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Beiträge aus der angewandten Forschung in Thüringer Wäldern und deren Bewirtschaftung Mitteilungsheft 38/2020

Forstliches Versuchswesen in Thüringen Versuchsflächen, Messstationen und Natur-

waldparzellen des Forstlichen Forschungs- und Kompetenzzentrums Gotha Beiträge aus der angewandten Forschung in Thüringer Wäldern und deren Bewirtschaftung deren und Wäldern Thüringer in Forschung der angewandten aus Beiträge www.thueringenforst.de

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BEITRÄGE AUS DER ANGEWANDTEN FORSCHUNG IN THÜRINGER WÄLDERN UND DEREN BEWIRTSCHAFTUNG

Mitteilungen 38/2020

IMPRESSUM

Herausgeber: ThüringenForst – Anstalt öffentlichen Rechts Hallesche Straße 16 I 990858 Erfurt Gestaltung: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha Jägerstraße 1 | 99867 Gotha Redaktion: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha Druck: Resch-Druck GmbH | Meiningen Auflage: 400 Stück, Mai 2020 ISSN-Nr.: 2196-6087

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Vorwort

Seit nunmehr fast 30 Jahren ist das Forstliche Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha die zentrale Forschungs-, Service- und Dienstleistungseinrichtung für Wald und Forstwirtschaft in Thüringen. Ursprünglich als Thüringer Forsteinrichtungs- und Versuchsanstalt (TFEVA) im Jahr 1991 gegründet, änderte sich die Bezeichnung des Hauses über die Jahren mehrfach und die Auf- gaben und Arbeitsthemen wurden immer wieder an die gesellschaftlichen und forstlichen Anfor- derungen in Thüringen angepasst. Über all die Jahre blieben jedoch zwei zentrale Aspekte für die Arbeit des Hauses konstant. So wie bereits im Vorwort des ersten Heftes dieser Serie „Mitteilun- gen“ klar hervorgehoben, so gilt dies uneingeschränkt auch heute noch:

. Erarbeitung wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Umsetzung in der forstlichen Praxis und . Gewährleistung einer landesspezifischen forstlichen Forschung.

Die Bedeutung dieser Aufgaben im Gesamtkontext ist dabei nicht konstant geblieben. Aufgrund der sich ändernden gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und Ansprüche an den Wald wie auch durch die sich deutlich verändernden Umweltbedingungen mit allen Konsequenzen und Heraus- forderungen für die Wälder und deren Bewirtschaftung hat diese Bedeutung noch deutlich zuge- nommen. Schon allein die zurückliegenden drei Jahre unterstreichen, wie wichtig die fachlich fun- dierte Auseinandersetzung mit den Fragen von Klimafolgen und Klimaanpassung für die Wälder und die Waldbewirtschaftung ist. Dementsprechend zählen heute mehr denn je die fachliche Be- arbeitung forstlich relevanter Themenfelder und der Wissenstransfer von Wissenschaft und an- gewandter Forschung in die forstliche Praxis zu den wesentlichen Aufgaben des Forstlichen For- schungs- und Kompetenzzentrums Gotha.

In diesem Sinne werden im FFK Gotha im Rahmen einer praxisorientierten Forschung, oftmals in enger Kooperation mit Forschungspartnern, verschiedenste forstliche und waldbauliche Themen- felder bearbeitet, technologische Entwicklungen erprobt und Lösungsansätze für gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen erarbeitet. Wir ziehen hieraus Erkenntnisse zum Wald mit seinen ökologischen Prozessen, zu seinen Leistungen und Funktionen. Durch unsere forstliche Forschung und unser langfristiges Versuchswesen in den Thüringer Wäldern leisten wir somit einen wichtigen Beitrag zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit im Dreiklang der Waldfunktionen.

Die Serie „Mitteilungen“ wurde 1991 mit dem Ziel ins Leben gerufen, „Programme und Ergebnisse der wissenschaftlichen Tätigkeit des Hauses zu publizieren“. In den zurückliegenden Jahren sind innerhalb dieser Serien vermehrt Hefte veröffentlicht worden, die sich detaillierter ausgewählten Themenstellungen widmeten. Mit dem nunmehr vorgelegten Heft Nummer 38 knüpfen wir an den Ursprung der Serie an und möchten mit einer interessanten und abwechslungsreichen Arti- kelzusammenstellung aus der aktuellen Arbeit in den verschiedenen Arbeitsbereichen und aus unterschiedlichen Forschungs- und Entwicklungsprojekten des FFK Gotha berichten.

Viel Freude beim Lesen dieser spannenden Lektüre und möglichst vielfältige, neue Erkenntnisse für Ihre Arbeit wünscht

Corinna Geißler Leiterin Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...... 3

Inhaltsverzeichnis ...... 5

1 Die Westliche Hemlocktanne (Tsuga heterophylla (Raf.) Sarg.) und ihre Naturverjüngung in Thüringen ...... 9 1.1 Einleitung ...... 9 1.2 Tsuga heterophylla im Bundesland Thüringen ...... 10 1.3 Analyse der Naturverjüngung von T. heterophylla ...... 12 1.4 Genetische Analysen ...... 16 1.5 Schlussfolgerungen und Ausblick ...... 17 Danksagung ...... 18 Literatur ...... 18

2 Mit modernem Niederschlagsradar und europaweiter Blitzortung auf dem Weg zu neuartigen Unwetter-Beobachtungszeitreihen auch für Forstbetriebe...... 20 2.1 Einleitung ...... 20 2.2 Niederschlagsradar- und Blitzortungsdaten sowie abgeleitete Produkte ...... 21 2.3 Mögliche Anwendungen im Forstbetrieb ...... 23 2.4 Schlussfolgerungen und Ausblick ...... 28 Danksagung ...... 29 Literatur ...... 29

3 Schwarzwild-Forschungsprojekt Hainich ...... 31 3.1 Angewandte Forschung im Bereich eines Großschutzgebietes ...... 31 3.2 Einblick in die Forschungsarbeiten und erste Erkenntnisse ...... 32 Danksagung ...... 38

4 Samenbäume und Naturverjüngungspotenziale von Pionierbaumarten zur Stärkung der Resilienz von Fichtenwäldern ...... 39 4.1 Einleitung ...... 39 4.2 Untersuchungsgebiet und Versuchsdesign ...... 40 4.3 Samenausbreitung von Birke und Salweide ...... 42 4.4 Endozoochore Samenausbreitung durch Vogelarten ...... 43 4.5 Bodensamenbank ...... 45 4.6 Verjüngungsetablierung...... 47 4.7 Samenbauminventur ...... 48 Danksagung ...... 50 Literatur ...... 51

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5 Phänomene der Baumernährung auf Gips-Standorten ...... 55 Literatur ...... 66

6 Verbundprojekt ‚FIRIS‘ - Die thüringisch-sächsischen Fichtengebiete im Spannungsfeld von Waldbau und Klimawandel...... 67 6.1 Motivation und Zielstellung ...... 67 6.2 Datengrundlage und Methoden ...... 69 6.3 Erste Ergebnisse ...... 69 6.4 Ausblick ...... 72 Danksagung ...... 72 Literatur ...... 72

7 Genetische und waldbauliche Untersuchungen zur Bestimmung des Ursprungs, des Wachstums und der Stammqualität von Roteichen (Quercus rubra L.) in Deutschland ...... 74 7.1 Einleitung ...... 74 7.2 Ziele ...... 74 7.3 Methoden ...... 75 7.4 Untersuchungsflächen in Thüringen ...... 75 Danksagung ...... 77 Literatur ...... 77

8 Alternativbaumarten zur Gemeinen Fichte - Erste Auswertung der Demonstrationsfläche „ Grundhof“ ...... 78 8.1 Vorwort ...... 78 8.2 Flächen- und Standortsbeschreibung ...... 78 8.3 Flächenvorbereitung und Versuchsflächenanordnung ...... 79 8.4 Erste Ergebnisse ...... 82 8.5 Handlungsempfehlungen zur Weiterführung der Fläche ...... 86 8.6 Zusammenfassung ...... 86 Danksagung ...... 87 Literatur ...... 87

9 Zur Situation der Vogelkirsche in Thüringen und erste Erfahrungen mit dem Anbau des silvaSELECT®-Vogelkirschen ...... 89 9.1 Vogelkirsche in Thüringen ...... 89 9.2 Die Entwicklung der silvaSELECT-Vogelkirschen-Klonmischung – ein Erfolg der Forstpflanzenzüchtung ...... 91 9.3 Die Thüringer silvaSELECT-Demonstrationsflächen ...... 92 9.4 Klonsorte silvaSELECT III – und wie geht es weiter? ...... 96 9.5 Fazit ...... 97 Literatur ...... 98

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10 Genetische Untersuchungen von Uralteichen in Thüringen ...... 99 10.1 Einführung ...... 99 10.2 Vorgehen und Methodik ...... 99 10.3 Ergebnisse ...... 100 10.4 Nacheiszeitliche Rückwanderungswege und Haplotypenstrukturen ...... 102 Literatur ...... 102

11 Kalabrische Weiß-Tanne in Thüringen ...... 104 11.1 Einleitung ...... 104 11.2 Material und Methoden ...... 104 11.3 Ergebnisse und Diskussion ...... 105 11.4 Fazit ...... 106 Danksagung ...... 106 Literatur ...... 106

12 Waldbau und Forstgenetik arbeiten eng und erfolgreich zusammen ...... 108 12.1 Beispielbaumart Weiß-Tanne ...... 108 12.2 Konzeption der Weiß-Tannen-Samenplantage Vitzeroda und erste Ergebnisse ...... 109 12.3 Fazit ...... 112 Literatur ...... 112

13 Der Speierling in Thüringen – Populationsgenetik heute und in der Zukunft 114 13.1 Einleitung ...... 114 13.2 Material und Methoden ...... 115 13.3 Ergebnisse ...... 115 13.4 Diskussion ...... 119 Literatur ...... 122

14 Phytophthora-Erkrankung der Rotbuche in Thüringen ...... 123 14.1 Allgemeines ...... 123 14.2 Auftreten der Phytophthora-Erkrankung der Rotbuche in Thüringen ...... 124 14.3 Fallstudie Reisberg ...... 127 Literatur ...... 130

15 Die Nutzung eines Handlaserscanners zur Bestimmung forsteinrichtungsrelevanter Größen ...... 132 15.1 Hintergrund ...... 132 15.2 Eingesetzte Technologie ...... 134 15.3 Verwendete Auswertungsmethoden...... 135 15.4 Aufnahme von Testbeständen und Ergebnisse ...... 137 15.5 Fazit ...... 141 Literatur ...... 142

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16 Oberhofer Schlossberg-Fichten und Methusalem-Kiefern von Paulinzella: Zwei bemerkenswerte Altbestände von Nadelbäumen ...... 143 16.1 Einführung ...... 143 16.2 Probeflächen und Methodik ...... 144 16.3 Altersstruktur und jährliche Zuwächse der Schlossbergfichten ...... 146 16.4 Altersstruktur und jährliche Zuwächse der Methusalemkiefern ...... 150 16.5 Chronologien und Wachstumsverläufe ...... 154 16.6 Klimareaktion und Klimarekonstruktion ...... 156 16.7 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ...... 162 Danksagung ...... 163 Anhang ...... 164 Literatur ...... 165

17 Früherkennung von Buchdruckerbefall in Fichtenbeständen mit den Möglichkeiten der Fernerkundung – Test eines Verfahrens ...... 166 17.1 Rahmenbedingungen und Zielsetzung ...... 166 17.2 Material und Methode ...... 167 17.3 Ergebnisse ...... 171 17.4 Diskussion und Fazit ...... 172 Literatur ...... 173

18 Altersstruktur und Waldgeschichte der „Uhrdaer Kopflinden“ bei Vollradisroda/Thüringen ...... 174 18.1 Zielstellung ...... 174 18.2 Flächenbeschreibung und Methodik ...... 175 18.3 Untersuchungsmethodik ...... 178 18.4 Altersstruktur des Lindenovals ...... 179 18.5 Rekonstruktion der Waldgeschichte ...... 183 18.6 Naturschutzfachliche und kulturhistorische Bewertung ...... 189 Literatur ...... 190

Autorenverzeichnis mit Institutionen ...... 192

Übersicht "Mitteilungen – ThüringenForst" (ISSN 2196 - 6087) ...... 195

Notizen ...... 198

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1 Die Westliche Hemlocktanne (Tsuga heterophylla (Raf.) Sarg.) und ihre Naturverjüngung in Thüringen

Frischbier, Nico; Damm, Christoph; Wohlwend, Michael; Aas, Gregor; Wagner, Sven; Kahlert, Karina

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (ThüringenForst) Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha E-Mail: [email protected]

1.1 Einleitung

Tsuga heterophylla (Westliche Hemlocktanne) ist eine sehr leistungsfähige Nadelbaumart aus dem pazifischen Nordwesten Nordamerikas mit dem Potential zu beachtlichen Bestandesvorräten und -grundflächen (2.000 m³ ha-1 bzw. 100 m² ha-1), die in Nordamerika eine große holzwirtschaft- liche Bedeutung hat (FRANKLIN und DYRNESS 1969, PACKEE 1990, HENNON 1999). Ihr natürliches Areal hat eine große Nord-Süd-Ausdehnung (3.200 km) und umfasst Höhenlagen von 0 bis 2.130 m üNN, weshalb T. heterophylla hinsichtlich Temperatur und Niederschlag ein weites Spektrum un- terschiedlicher Standorte besiedelt. GAVIN und HU (2006) konnten zeigen, dass T. heterophylla zur Besiedelung eines noch größeren klimatischen Areals in der Lage wäre, jedoch durch artspezifi- sche Ausbreitungsdynamik, Waldbrände und Konkurrenz gegenüber störungsangepassten Arten beschränkt wird. An die Bodennährkraft werden geringe Ansprüche gestellt, dagegen sind aber ausreichende Bodenfrische und belüftung ausschlaggebend für Wuchsleistung, Konkurrenzkraft und Vitalität (HENNON 1999).

Obwohl die Westliche Hemlocktanne u.a. mit Picea sitchensis, Thuja plicata, Pseudotsuga menzie- sii oder Abies grandis vergesellschaftet sein kann und in Mitteleuropa winterhart ist (BANNISTER und NEUNER (2001) Zone 6: -17,8 bis -23,2 °C bzw. ROLOFF und BÄRTELS (1996) Zone 6b: -17,8 bis -20,5°C), konnte sie hier bisher keine forstwirtschaftliche Bedeutung erlangen. In alten Versuchs- anbauten ist sie selten präsent (gelegentlich in den Preußischen Fremdländerversuchen 1881- 1890, vgl. STRATMANN 1988), Berichte beruhen eher auf Kleinversuchen (z.B. HARRER 1927, THOMASIUS 1972, TRAUBOTH 2002, GLAWENDA und KOPROWSKI 2012). Dabei wird T. heterophylla bes- ser bewertet als Tsuga canadensis, die hinsichtlich Wuchsleistung, Qualität und Holzeigenschaften in europäischen Anbauversuchen häufig nicht überzeugen konnte (TRAUBOTH 2002, LIESEBACH 2007). T. heterophylla gerät im Moment aufgrund ihrer Standortsansprüche, potentiellen Wuchs- leistung, Ökologie und Holznutzungspotentiale im Rahmen von Klimaanpassungsstrategien für Baumartenversuche und Baumartenempfehlungen erneut in den Fokus (SCHMIEDINGER et al. 2009, SCHÖLCH et al. 2010, METZGER et al. 2012), obwohl es zu ihrer Anbauwürdigkeit auf großer Fläche auch ältere Gegenpositionen gibt (bei OTTO 1993 hinsichtlich Bodenpfleglichkeit und Mischbar- keit).

T. heterophylla zeichnet sich an vielen Naturstandorten durch intensive Naturverjüngung aus. Aus diesem Grund ist es wichtig, das Naturverjüngungsverhalten der Art außerhalb des natürlichen Areals zu analysieren, um das Potenzial einer möglichen Invasivität dieser Baumart auch in Mittel-

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europa zu beurteilen. Bei SCHRADER (1998) und HENNON (1999) wird für die Hemlocktanne im na- türlichen Areal beispielsweise zusammengefasst, dass adulte Bäume regelmäßig große Samen- mengen produzieren und Mastjahre sehr häufig sind. In Reinbeständen werden bis zu 20 Mio. keimfähige Samen je Hektar gebildet und bei wechselnder Luftfeuchte ab September über den kompletten Winter hinweg aus dem Zapfen entlassen. Die leichten, geflügelten Samen starten ihre Windverbreitung aus relativ hohen Kronenpositionen und werden im natürlichen Areal im Mittel 120 bis 600 m und maximal bis etwa 1.600 m ausgebreitet (ISAAC 1930, GASHWILER 1969, PACKEE 1990). Auch hierbei unterscheidet sich T. heterophylla erheblich von T. canadensis, die mit schwereren Samen und kleineren Samenflügeln für eine stammnahe Ausbreitung mit mittleren Distanzen unter 5 m bekannt ist (RIBBENS et al. 1994, LIESEBACH 2007).

Nicht zuletzt dank einer hohen Keimfähigkeit der Samen sind aus dem Heimatgebiet dichte Ver- -1 jüngungen von T. heterophylla mit bis zu 25.000 und 37.000 Pflanzen ha bekannt (PACKEE 1990, HENNON 1999). Auf einzelnen Plots in Altbaumnähe findet SCHRADER (1998) sogar 140.000 Stück ha-1. Für den Keimerfolg der Samen sowie Etablierung und Wachstum der Verjüngung sind in Wäldern im natürlichen Areal Niederschlagsangebot, Licht, Boden- und Humusfeuchte, Hitze, Trockenheit, Wind und Kälte von unterschiedlicher Bedeutung. Zusammenfassend gilt T. hetero- phylla dort als schattenertragende Baumart selbst in mehrschichtigen Waldbildern mit hohen Ansprüchen ausschließlich an die Bodenfeuchte und ist empfindlich gegen Witterungsextreme.

Der Beitrag befasst sich daher mit:

. Tsuga heterophylla Beständen im Bundesland Thüringen und . der Analyse vorgefundener Naturverjüngung von T. heterophylla hinsichtlich Dichte und Ausbreitungsdistanz sowie der Bedeutung des Mikrostandortes für diese Verjüngung und . Genanalysen in ausgewählten Tsuga heterophylla-Beständen.

1.2 Tsuga heterophylla im Bundesland Thüringen

Die Thüringer Forstinventuranweisung unterscheidet bei Tsuga nicht konkret nach Arten. Für die Wälder im Freistaat Thüringen ist daher per Datenbankselektionen lediglich bekannt, dass Tsuga spec. zum Stichjahr 2016 mit neun Vorkommen im Landeswald und weiteren drei im Privatwald auf insgesamt 3,55 ha präsent ist. Im Rahmen der methodischen Beschränkungen flächiger Forstinventurverfahren, z.B. hinsichtlich Stichtag, Baumartenflächenschätzung und Konzentration auf die jeweils wichtigsten Bestandeskomponenten, bestätigt diese Bilanz weitestgehend frühere Erhebungen ausschließlich für den Landeswald (1999: 1,84 ha, 2010: 4,60 ha, 2016: 2,90 ha). Tsuga spec. wurde als Restvorrat, im Ober- und Unterstand, mit Alter 5 bis 110 Jahre, BHD 5 bis 40 cm und mit bis zu 32 m Baumhöhe inventarisiert. Zusätzlich wird Tsuga spec. 25-mal im Text- teil der Bestandesblätter ohne Flächen- und Holzvorratszuordnung im Wald aller Eigentums- formen erwähnt. Zusammenfassend ist Tsuga spec. in Thüringen in der Mehrzahl der Forstamts- bereiche und in etwa 10 % aller Forstreviere mindestens sporadisch präsent außerhalb der Thü- ringer Gebirge bis ca. 350-550 m üNN. Tsuga spec. verjüngt sich in einzelnen taxierten Beständen natürlich und wird darüber hinaus von Waldbesitzern und Revierleitern gelegentlich auch bei der künstlichen Waldverjüngung berücksichtigt.

Die neun Vorkommen im Landeswald mit Inventurdaten wurden aufgesucht und z.T. nochmals waldwachstumskundlich charakterisiert (STRAUBE 2010, 2011, 2012). Dabei konnte für T. cana-

Mitteilungsheft 38/2020 11 | densis erneut bestätigt werden, dass Schaftqualität, Vitalität und soziologische Stellung im Misch- bestand ungenügend sind (TRAUBOTH 2002, STRAUBE 2011). Vorkommen von T. heterophylla waren dagegen vital, vorwüchsig und verjüngungsfreudig (vgl. Abb. 1.1 und Abb. 1.2), jedoch nicht frei von Schäden durch Trockenheit, Nassschnee, Wild, Fällung und Rückung. In der Naturverjüngung ausgewählter Kleinvorkommen konnten in Probeflächen (25-300 m²) Verjüngungsdichten von ca. 800-11.600 Stück ha-1 ermittelt werden. Für die Studien zur Naturverjüngung konnten vor Ort zwei besonders auffällige Vorkommen ausgewählt werden (vgl. Tab. 1.1).

Tab. 1.1: Waldwachstumskundliche Daten der untersuchten T. heterophylla-Bestände mit intensiver Na- turverjüngung (Daten anhand einer Vollaufnahme im Probekreis 0,2 ha)

„Blankenhain“ „Kranichfeld“ Bad Berka, Blankenhain Erfurt-Willrode, Kranichfeld Ortsbezeichnung 222a1 308a1 Alter [Jahre] 60-110 70

Bestandestyp HTA-GKI-GFI-Mischbestand GFI-HTA-GKI-RBU-Mischbestand

Stammzahl Tsuga [N ha-1] 340 188

D100 [cm] 54,5 40,4

H100 [m] 29,8 34,7

Grundfläche [m² ha-1] 42,9 17,8

Vorrat [Vfm ha-1] 546 288

Bonität [relativ bzw. absolut] 0 bzw. 17,8 Vfm ha-1 a-1 -1,6 bzw. 24,4 Vfm ha-1 a-1

HTA = Hemlocktanne (Tsuga heterophylla), GKI = Gemeine Kiefer (Pinus sylvestris), GFI = Gemeine Fichte (Picea abies), RBU = Rotbuche (Fagus sylvatica)

Abb. 1.1: Ertragskundlicher Aufnahmepunkt im Tsuga heterophylla-Fichten-Misch- bestand „Kranichfeld“ (Foto: N. Frischbier)

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Abb. 1.2: Naturverjüngung von Tsuga hete- rophylla bei Kranichfeld

(Foto: N. Frischbier)

1.3 Analyse der Naturverjüngung von T. heterophylla

1.3.1 Untersuchte Bestände

Beide Bestände mit Naturverjüngung liegen im gleichen Naturraum mit ähnlichen Klima- und Bo- denverhältnissen (Tab. 1.2). Sie sind ca. 5 km voneinander entfernt und gehören zu unter- schiedlichen Forstämtern. Herkunft und Historie dieser Anpflanzungen waren bisher nicht be- kannt.

Die Fläche „Kranichfeld“ weist einen einzelnen, kompakten Horst mit 33 lebenden Altbäumen von T. heterophylla auf, weitere 27 Bäume finden sich einzelbaumweise beigemischt in einem Fich- tenbestand etwa 500 m südlich davon entfernt (DAMM 2016, Abb. 1.2). Der zweite Hemlock- bestand liegt im Revier „Blankenhain“. Er besteht aus vier räumlich getrennten Kleinstvorkommen trupp- und gruppenweise eingemischter T. heterophylla unterschiedlichen Alters in einem Um- kreis von ca. 3 km (WOHLWEND 2016).

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Tab. 1.2: Naturräumliche, klimatische und edaphische Charakterisierung beider Flächen für die Untersu- chungen der Naturverjüngung (VZ = Vegetationszeit)

Wuchsgebiet Ostthüringisches Trias-Hügelland (B.33)

Wuchsbezirk Ilm--Muschelkalk-Platten (B.33.3) nach GAUER UND ALDINGER (2005)

Höhenlage [m ü. NN] 150-600 (hier konkret 360-380) 7,9 °C / 14,6 °C / 155 Tage / -1,1 °C / 16,8 °C Temperaturwerte Jahr VZ VZ Jan Jul

Niederschlag 640 mmJahr / 320 mmVZ 63 mm / -121 mm klimat. Wasserbilanz Jahr VZ W-M/Z-S2 (wechselfrische mittlere/ziemlich arme Sand-Standorte), Boden Buntsandstein

1.3.2 Ergebnisse

Fläche „Blankenhain“

Mit Hilfe von Transekten in die vier Haupthimmelsrichtungen konnten ausgehend vom jeweils äußersten Mutterbaum je Kleinvorkommen durchschnittliche Dichte-Distanz-Beziehungen für die Verjüngung von T. heterophylla dargestellt werden (Abb. 1.3). Plots für Verjüngungszählungen waren dafür jeweils 10 m lang auf der Transektlinie und 5 m breit (50 m²). Die Verjüngung war im Durchschnitt bereits 3,2 m hoch, auch besonders hohe Individuen aus der Naturverjüngung (max. 26 m) konnten visuell eindeutig von Mutterbäumen unterschieden werden. Im Nahbereich zu Mutterbäumen (≤ 10 m) konnten mittlere Verjüngungsdichten von 6.000-10.000 Stück ha-1 ausge- zählt werden. Bis 50 m Distanz zum nächsten Samenbaum liegen die Verjüngungsdichten im Durchschnitt bei über 1.000 Stück ha-1. In weiteren Distanzen stammen höhere Dichten stets aus Transekten entgegen der Hauptwindrichtung. Ab etwa 120 m Distanz tritt kaum noch Verjüngung auf.

Ergänzend dazu wurden maximale Verjüngungsdistanzen je Kleinvorkommen in alle acht Him- melsrichtungen erschritten (WOHLWEND 2016). Verjüngung ließ sich dabei in jede Himmels- richtung stets bis mindestens 364 m Distanz zum letzten Mutterbaum finden. Das Maximum wur- de ausgehend von einem dieser Kleinvorkommen in Richtung Süd-Ost bei 866 m Entfernung fest- gestellt. WOHLWEND untersuchte 2016 neben dem hier präsentierten Vorkommen in Blankenhain in Thüringen drei weitere Bestände in Nordbayern, bei denen die Verjüngung nicht weiter als 145 Meter vom Mutterbaum anzutreffen war.

Fläche „Kranichfeld“

Auf der Fläche Kranichfeld wurde ausgehend vom zentral gelegenen Altbaumhorst ein systemati- sches Netz von Aufnahmeflächen mit 10 mal 10 Plots jeweils 25 m entfernt zueinander angelegt (Abb. 1.4). Dieses systematische Netz wurde mit identischen Distanzschritten strahlenförmig in die acht Himmelsrichtungen bis maximal 500 m Entfernung ergänzt (n = 10 x 10 + 8 x 13 = 204). Verjüngungsinventuren erfolgten je Plot auf jeweils 5 m². Bestimmt wurde dazu, ob sich Naturver- jüngung von T. heterophylla etablieren konnte, mit welcher Verjüngungsdichte und mit welchem Alter. Dafür wurde die Verjüngung am Plot ausgezählt und jeweils eine repräsentative Pflanze für

Mitteilungsheft 38/2020 | 14 die Jahrringzählung entnommen. Im Nahbereich des Altbaumhorstes wurden an Plots der syste- matischen 100er Stichprobe zusätzlich Standortseigenschaften erhoben oder per GIS aus der forstlichen Standortskartierung ergänzt (vgl. Tab. 1.3).

Plots mit etablierter, häufig auch älterer Verjüngung finden sich vorrangig nordöstlich von der potentiellen Samenquelle und damit entgegen der Hauptwindrichtung. Im Datensatz liegt eine höchstsignifikante lineare Beziehung zwischen ermittelter Verjüngungsdichte am Plot und dem dazugehörigen Verjüngungsalter vor. Ältere Verjüngung wies geringere Verjüngungsdichten auf und war damit offensichtlich bereits konkurrenzbedingten Absterbedynamiken unterworfen. Die- se Alter-Dichte-Relation wurde durch eine Regressionsanalyse parametrisiert und anschließend benutzt, um die beobachtete Verjüngungsdichte auf das mittlere Alter (10 Jahre) zu normieren und damit Alters- und Konkurrenzeffekte aus dem Datensatz zu eliminieren. Alle weiteren Aus- wertungen beziehen sich auf diese alterstrendbereinigten Dichtewerte.

Abb. 1.3: Mittlere Verjüngungsdichte (aus je vier Vorkommen und vier Himmels- richtungen) auf der Fläche „Blankenhain“ in Abhängigkeit von der Dis- tanz zum nächsten potenziellen Mutterbaum

Naturverjüngung konnte bis 475 m Distanz zum Zentrum des Altbaumhorstes nachgewiesen wer- den. Besonders hohe Verjüngungsdichten fanden sich mit 17.500-40.000 n ha-1 in unmittelbarer Altbaumnähe und direkt unter dem Kronenschirm. Mit zunehmender Entfernung vom Horstzent- rum nimmt die Verjüngungsdichte kontinuierlich ab (Abb. 1.5). Dieser Trend lässt sich mit Glei- chungssystemen verallgemeinern und führt im konkreten Fall zur Ableitung einer mittleren Ver- jüngungsdistanz von ca. 110 m. Höhere Dichten und weitere Distanzen erreicht die Verjüngung von T. heterophylla statistisch gesichert entgegen der Hauptwindrichtung.

Tab. 1.3 gibt Auskunft über signifikante Einflüsse unterschiedlicher Standortsvariablen auf (1) die Häufigkeit verjüngter Plots, (2) die Mittelwerte der Verjüngungsdichte innerhalb der 100er Stich- probe und (3) die Verjüngungsdichte ausschließlich innerhalb des mit Verjüngung etablierten Teil- datensatzes (n = 57 von 100). Hierfür erfolgten Chi²-Tests, nichtparametrische Verteilungstests und lineare Regressionen mit dem Programm R (THE R CORE TEAM, Version 3.3.2 2016) jeweils in Abhängigkeit von der Skaleneigenschaft vorgelegener Standortsvariablen (DAMM 2016).

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Abb. 1.4: Karte der Fläche „Kranichfeld“ inkl. T. heterophylla Altbäume (∆, BHD- sensitiv) im Zentrum des Gitternetzes und im Süden der Fläche, sowie mit dem Stichprobendesign für die Verjüngungsinventur (□), dem Alter der Verjüngung (■, Grün-Töne für 1-24 Jahre) und der Verjüngungsdichte am Plot (●, Kreisgrößen für 0-4,2 n m-²)

Abb. 1.5: Distanz-abhängige Verjüngungsdichten auf der Fläche „Kranichfeld“ im Verhältnis zum Zentrum des Altbestandes

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Tab. 1.3: Einfluss unterschiedlicher Standortseigenschaften auf die Verjüngungshäufigkeit, -dichte auf allen Plots und Verjüngungsdichte auf Plots mit etablierter Verjüngung von T. heterophylla

Variable Häufigkeit Dichte Dichte auf Plots mit [Einheit o. Klassen] auf allen Plots auf allen Plots etablierter Verjüngung Wassergehalt [Vol. %] n.s. n.s. n.s. Wasserhaushalt Standort- sig. (seltener & spärlicher bei „mittel“) sig. (dichter bei „gut“) kartierung [3] sig. (häufiger bei Bodennährkraft [2] n.s. n.s. „ziemlich arm“) Reliefform [5 bzw. zusam- n.s. n.s. sig. (dichter am Hang) mengefasst zu 3] Humusform [5] n.s. n.s. n.s.

Humusmächtigkeit [cm] n.s. sig. (geringer je mächtiger der Humus) Bodenvegetation [4 bzw. n.s. n.s. n.s. zusammengefasst zu 2] Überschirmung [4] n.s. n.s. n.s.

Strahlung [% und W m-²] sig. (häufiger & dichter je mehr Strahlung) n.s.

n.s. = nicht signifikant, sig. = signifikant

Der gemessene volumetrische Wassergehalt am Plot, die Humusform, die Bodenvegetation und die Überschirmung wirkten nicht signifikant auf die Häufigkeit und Dichte der Verjüngung auf der Fläche Kranichfeld. Signifikant häufiger und dichter war Naturverjüngung bei gutem Bodenwasser- haushalt zu finden. Darunter zählen am Ort der Untersuchung laut Nomenklatur der forstlichen Standortskartierung frische terrestrische Standorte, Standorte mit Staunässe im Unterboden und solche mit Wechselfeuchte. Auf Plots mit Verjüngung finden sich höhere Dichten am Hang im Vergleich zu Plateau- und Muldenlage sowie auf Plots mit geringer Humusmächtigkeit. Signifikant häufiger wurden ärmere Standorte besiedelt. Auch die Strahlungsinformation aus Fish-Eye- Aufnahmen kann dazu beitragen, signifikante Unterschiede in der Häufigkeit und Dichte der Na- turverjüngung zu erklären. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich Verjüngung von T. heterophylla auf der Fläche Kranichfeld vorrangig und besonders dicht auf wechselfeuchten und auf frischen, ziemlich armen Hangstandorten mit geringer Humusmächtigkeit und besserer Strahlungsversorgung findet.

1.4 Genetische Analysen

Im Auftrag des FFK Gotha der ThüringenForst-AöR wurden die Tsuga heterophylla-Bestände „Kra- nichfeld“ und „Blankenhain“ biochemisch-genetisch charakterisiert (HOSIUS und LEINEMANN 2016 und 2017). Hierfür wurden Zweig- und Knospenproben vor Ort gewonnen. Auf Basis von Genmar- ker-Analysen an insgesamt 10 Isoenzym-Genorten erfolgten Vergleiche zu Material aus dem na- türlichen Areal sowie Abstammungsanalysen innerhalb der Thüringer Vorkommen.

Mitteilungsheft 38/2020 17 |

Genetische Vielfalt (Na, durchschn. Anzahl Allele/Locus) und Diversität (He, erwartete Hetero- zygotie) untersuchter Altbäume in „Blankenhain“ (n=67) und „Kranichfeld“ (n=58) sind ähnlich hoch wie oder sogar höher als die der Referenzprobe aus Nordwestamerika. Insbesondere die Bäume aus „Blankenhain“ eignen sich daher laut HOSIUS und LEINEMANN (2017) zur Saatguternte und Pflanzenproduktion, sofern am Forstort genügend Altbäume beerntet werden und eine Saat- gutmischung mit weiteren Absaaten aus anderen Vorkommen sichergestellt werden kann. Die Bestände in Blankenhain und in Kranichfeld unterscheiden sich genetisch deutlich.

Überraschend war hingegen der Befund für „Kranichfeld“. Die genetische Variation zwischen den drei beprobten Teilkollektiven (die Altbäume aus dem Horst innerhalb eines 500m-Radius (n=56), die beiden ca. 130jährige Einzelbäume im benachbarten Kleinarboretum Steinhäuschen, die un- tersuchte Naturverjüngung (n=40)), ist laut Analysis of Molecular Variance anhand der Allel- häufigkeiten an insgesamt 10 Genorten mit weniger als 1 % auffällig gering. Eine unmittelbare Abstammung voneinander kann daher nicht ausgeschlossen werden. Mehr noch, die beprobte Naturverjüngung stammt nachweislich vollständig von den benachbarten Altbäumen ab und diese wiederum stammen von den beiden Einzelbäumen am Steinhäuschen ab. Die Tsuga heterophylla in „Kranichfeld“ hat ihren Ursprung also insgesamt stets in den zwei Altbäumen am Arboretum Steinhäuschen. Von dort wanderte Naturverjüngung einerseits in die umliegenden Nadelmisch- wälder ein und wurde in die Folgebestände übernommen. Zusätzlich wurden vermutlich Wildlinge geworben und als Tsuga-Horst gepflanzt. Dieser Horst ist heute Ausgangspunkt der beobachteten Naturverjüngung. Dieses Ergebnis ist dem Umstand zu verdanken, dass die beiden ursprünglichen Mutterbäume am Steinhäuschen (1. Generation) überdurchschnittlich divers sind, da beide einen hohen Heterozygotiegrad aufweisen, den sie inzwischen an zwei Nachkommengenerationen wei- tergegeben haben (HOSIUS und LEINEMANN 2016).

1.5 Schlussfolgerungen und Ausblick

Die Anbauerfahrungen mit T. heterophylla außerhalb ihres natürlichen Areals sind spärlich, sie reichen momentan nicht aus, um fundierte Einschätzungen z.B. für einzelne Regionen oder Natur- räume in Mitteleuropa abzuleiten. Praxisnahe Anbauten sind gelegentlich zu finden (Thüringen soll hier als Beispiel gelten) und geben Hinweise auf eine leistungsfähige, verjüngungsfreudige Baumart, die bereits Jahrzehnte in heimischen Wäldern standhält. Eine großräumige, systemati- sche Auswertung bestehender Anbauten, beispielsweise auch im Zusammenhang mit dem dyna- mischen Klimawandel, hat jedoch noch nicht stattgefunden.

In den untersuchten Fallbeispielen ist die Naturverjüngung von T. heterophylla im Nahbereich zu Mutterbäumen sehr dicht (10.000-40.000 n ha-1). Auch die aus dem natürlichen Areal bekannte weitstreichende Windausbreitung konnte in den Beständen in Thüringen bestätigt werden (Ø 110 m, max. 866 m). Im Rahmen der vorgefundenen Standortsvariabilität der untersuchten Fläche „Kranichfeld“ lassen sich für die Verjüngung von T. heterophylla z.B. (1) geringe Ansprüche an die Bodentrophie, (2) hohe Ansprüche an den Bodenwasserhaushalt und (3) höhere Keim- und Etab- lierungserfolge bei möglichst geringen Humusauflagen auch außerhalb des natürlichen Areals belegen.

Das beobachtete Naturverjüngungspotential nimmt aber mit zunehmender Distanz zur Samen- quelle ab etwa 250 m rasch ab. Neben dieser räumlichen Beschränkung sprechen auch Boden- wasserhaushalt, Humusmächtigkeit und signifikanter Strahlungseinfluss gegen eine omnipräsente,

Mitteilungsheft 38/2020 | 18 stets dichte Verjüngung von T. heterophylla und damit für Steuerungsmöglichkeiten von T. hete- rophylla-Naturverjüngung durch Forstplanung und -management. Ein nicht kontrollierbares, inva- sives Verhalten ist daher aus den wenigen Fallbeispielen nicht ableitbar. Die anhand genetischer Analysen erschlossene Historie der Fläche „Kranichfeld“ und die beobachteten hohen maximalen Wuchsdichten geben jedoch genügend Anlass dazu, dass ökologische Verhalten der Tsuga hetero- phylla langfristig zu beobachten. Bei Anbauversuchen sollte außerdem das Potential der Art zur weitstreichenden Windausbreitung berücksichtigt werden, sodass eine ungewollte Etablierung der Art in sensiblen angrenzenden Gebieten frühzeitig unterbunden werden kann.

Diese Schlussfolgerungen können sich allerdings nur auf den untersuchten Naturraum und Nadel- mischwaldtyp beziehen. Es fehlen Erfahrungen zum Verhalten in verschiedenen Waldgesell- schaften sowie bei Klima- und Bodengradienten. Für den Anbau von T. heterophylla außerhalb des weiten, natürlichen Areals ist außerdem die Provenienzfrage bisher nicht erschöpfend beant- wortet und weitere Forschung zur Anbaueignung notwendig, z.B. hinsichtlich Standfestigkeit, Klima- und Wasseransprüchen sowie Pathogenen. Ein aktueller, dendroökologischer Forschungs- ansatz widmet sich in Thüringen beispielsweise retrospektiv Jahrringreaktionsmustern auf Klima- und Witterungssignale und vergleicht hierzu Bohrkerne von Tsuga heterophylla mit Gemeiner Fichte und Gemeiner Kiefer auf gleichem Standort (CEBULLA, FSU JENA, in Vorb.).

Danksagung

Für das Überlassen der Waldflächen und Pflanzenproben, das geduldige Rückstellen forstbetrieb- licher Maßnahmen bis zum Abschluss der Untersuchungen und die freundliche Außenbetreuung unserer Nachwuchswissenschaftler danken wir den Mitarbeitern der Thüringer Forstämter Bad Berka und Erfurt-Willrode.

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Mitteilungsheft 38/2020 19 |

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2 Mit modernem Niederschlagsradar und europaweiter Blitzortung auf dem Weg zu neuartigen Unwetter-Beobachtungszeitreihen auch für Forstbetriebe

Frischbier, Nico; Heyner, Frank

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (ThüringenForst) Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha E-Mail: [email protected]

2.1 Einleitung

Der Umgang mit dem Klima und dem Klimawandel gehört im Forstbetrieb zum Alltag. Klimainfor- mationen und -trendanalysen bilden die Grundlage waldbaulicher, waldschutzfachlicher, forst- technischer, ertragskundlicher und letztendlich betriebswirtschaftlicher Entscheidungen. In dem Zusammenhang entstehen Unsicherheiten z.B. durch (1) kurze, unter- und abgebrochene Klima- zeitreihen, (2) die begrenzte Verfügbarkeit von Punktinformationen an Klimamessstationen und deren notwendige Regionalisierung für Kartenprodukte, (3) die Eignung einzelner Klimaparameter für die jeweils konkrete forstliche Fragestellung sowie durch (4) die Vielfalt an Emissionsszenarien, daraus abgeleiteten Klimaprojektionen und den Fokus auf sehr unterschiedliche zukünftige Pla- nungszeiträume (vgl. BOLTE et al. 2008, BUNDESREGIERUNG 2008, FRISCHBIER und PROFFT 2008, GÖMANN et al. 2015). Moderne Niederschlagsradar- und Blitzortungsdaten bereichern heute ganz aktuell den Fundus verfügbarer Klimainformationen. Dadurch entstehen neue ergänzende Klima- zeitreihen, die flächig statt punktbezogen vorliegen – also keiner Regionalisierungstechnik bedür- fen. Ob daraus geeignete Klimaparameter für forstliche Fragen hervorgehen, gilt es rechtzeitig zu prüfen und womöglich die bereitstellende Institution zur Produktion dieses Climate Data Services für den Forstsektor zu bewegen.

Besonders Witterungsextreme, wie Frost, Hitze, Dürre, Starkregen, Hagel und Sturm, sind bisher kaum in forstlichen Planungen integriert. Zu den wenigen Ausnahmen zählen die Beachtung der Winterhärtezonen bei der Baumartenwahl (BANNISTER und NEUNER 2001) und waldbauliche Schlussfolgerungen aus Post-Sturmanalysen (CLASEN et al. 2008, ALBRECHT 2009). Für eine umfas- sende Berücksichtigung von Klimaextremen mangelt es häufig noch an ausreichend langen Be- obachtungszeitreihen mit guter räumlicher Abdeckung, sowie an der akzeptablen Modellierung der Extreme in Klimaprojektionen. Für sommerliche Unwetter im Zeitraum von April bis Septem- ber (sog. atmosphärische Feuchtkonvektion, Abb. 2.1) liefern Radar- und Blitzklimatologien mög- licherweise flächendeckende Ansätze zur retrospektiven Auswertung und Synthese im Forst.

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Abb. 2.1: Aufbauende Gewitterwolke (Cu- mulus congestus) (Foto: F. Heyner / Thürin- ger Klimaagentur am TLUBN)

2.2 Niederschlagsradar- und Blitzortungsdaten sowie abgeleitete Produkte

2.2.1 Niederschlagsradar

Vom Deutschen Wetterdienst (DWD) werden seit 2001 flächendeckende, räumlich und zeitlich hoch aufgelöste quantitative Niederschlagsradardaten im Echtzeitbetrieb für Deutschland erho- ben. Dafür betreibt der DWD ein Netzwerk aus 17 in der Bundesrepublik verteilten Radar- systemen (BRENDEL et al. 2014, WINTERRATH und KRINGS 2014, DWD 2015), die elektromagnetische Impulse bis zu 150 km Reichweite aussenden und anschließend deren Reflektion an Nieder- schlagsgebieten in der Atmosphäre detektieren und interpretieren. Das Routineverfahren RADO- LAN (Radar-Online-Anreicherung, WINTERRATH et al. 2017) z.B. liefert dabei durch die Kombination mit herkömmlichen Niederschlagsstationen als bestmögliches Produkt ein Deutschlandkomposit mit stündlichen Niederschlagshöhen in einer Intensitätsauflösung von 0,1 mm und einer räumli- chen Auflösung von 1 km², welches im Echtzeitbetrieb innerhalb von 30 Minuten verfügbar ist (DWD 2015). Der Begriff „Komposit“ weist darauf hin, dass ursprüngliche Radarbeobachtungsda- ten bereits anwenderorientiert aggregiert sind und in einen geographischen Kontext gestellt wur- den. Weitere flächenscharfe Summenbildungen, Durchschnittswertberechnungen etc. sind – im begrenzten Umfang der vorliegenden Zeitreihe – möglich, so dass beispielsweise diverse Karten zur Niederschlagsverteilung während ausgewählter Messperioden oder einzelner Wetterereignis- se angeboten werden können (vgl. VDI 2014, KRONENBERG und BERNHOFER 2015, WINTERRATH et al. 2017). Langfristig verbessert und erweitert das Niederschlagsradar die stationsgebundenen Nie- derschlagsmessungen und ersetzt die sonst nachträglich noch notwendige Datenregionalisierung für flächenhafte Darstellungen. Das Niederschlagsradar ist allerdings noch in einer anhaltenden Phase der Erprobung und Weiterentwicklung und selbst beim DWD auch Objekt aktueller For- schung (siehe WINTERRATH et al. 2017).

2.2.2 Blitzortung

Blitze entstehen durch elektrostatische Aufladung innerhalb einer Gewitterwolke (Cumulo- nimbus). Jede Blitzentladung erzeugt ein elektromagnetisches Feld, das sich wellenförmig mit nahezu Lichtgeschwindigkeit vom Entstehungsort in alle Richtungen ausbreitet (BRENDEL et al. 2014). Über das Time-Of-Arrival-Prinzip und Kreuzpeilungen an verschiedenen Antennen-

Mitteilungsheft 38/2020 | 22 standorten werden Blitzentladungen anschließend mit bis zu 200 m Genauigkeit geortet. Voraus- setzung hierfür sind zeitlich hochgenau synchronisierte Empfänger per Satelliten (SIEMENS 2015). Neben Zeit und Ort werden auch Blitzart, Polarität und Stromstärke ermittelt. Hierfür dient ein europaweites Messnetz (EUCLID, European Cooperation for Lightning Detection) aus 148 Statio- nen. Die Zeitreihe gesammelter Blitzdaten von 1992 bis heute und kundenorientierte Produkte daraus können über den Blitz Informationsdienst von Siemens (BLIDS) bezogen werden.

2.2.3 Abgeleitete Unwetter- bzw. Konvektions-Produkte

Liefern Niederschlagsradar und Blitzortung eigentlich nur räumlich hochaufgelöste Sequenzen, so erfordert die Ableitung von sommerlichen Unwettern aus diesen Beobachtungsdaten zusätzliche Arbeitsschritte. Schließlich kann nicht aus jeder detektierten Niederschlagszelle oder Blitz- entladung automatisch und vorbehaltlos auf ein Unwetter geschlossen werden. Die sog. atmo- sphärische Feuchtkonvektion entsteht aus der Kombination von hohem Wasserdampfgehalt, ei- nem Hebungsantrieb (z.B. durch Einstrahlung, Orografie oder Oberflächenrauhigkeits- unterschiede) und überadiabatischen, negativen, vertikalen Temperaturgradienten in der Atmo- sphäre (sog. Labilität) in Verbindung mit vertikaler Windscherung. Es kommt zur Ausbildung von Einzel-, Multi- oder Superzellen, die z.T. stundenlang stabil bleiben können und über die Erdober- fläche ziehen. Als Folge daraus treten Starkregen, Blitzschlag, Hagel und lokale Sturmböen auf (BRENDEL et al. 2014).

Mit Hilfe eines Zellverfolgungsalgorithmus sind für den Freistaat Thüringen im Rahmen eines Pro- jektes zwischen Thüringer Klimaagentur am TLUBN in Jena und Goethe-Universität Frankfurt a. Main in Kooperation mit dem DWD Niederschlags- und Blitzsequenzen für das Sommerhalbjahr (April-September) aus dem Zeitraum 2004-2015 zusammengefasst wurden (BRENDEL et al. 2014), um GIS-Produkte mit räumlicher Auflösung von 1 km² abzuleiten, die retrospektiv sehr wahr- scheinlich eine klimatologische Aussage über sommerliche Unwetterpotentiale erlauben:

. Anzahl an Starkniederschlagszellen mit ≥ 20 mm h-1 (n a-1 km-2), . mittlere Niederschlagsintensität je Starkniederschlagszelle (mm h-1), . Sturzflutpotential bzw. stationärer Starkregen, Quotient aus Niederschlagsintensität und Zuggeschwindigkeit (mm km-1), . Blitzschlaghäufigkeit (n a-1 km-2), -1 -2 . Hagelpotential, nach komplexer Methode (vgl. BRENDEL et al. 2014) (n a km ).

Regional differenziert ließen sich für das Sommerhalbjahr für Thüringen im mehrjährigen Über- blick zwischen 2004-2015 (leider ohne 2011 wegen Umbau der Radarstation Neuhaus) 0,8 bis 7,4 fünfminutige Starkniederschlagsereignisse pro Jahr und Quadratkilometer nachweisen (vgl. Tab. 2.1). Dabei beträgt die durchschnittliche 5min. Niederschlagsintensität im Mittel etwa 42 mm h-1, maximal sogar 73 mm h-1. Zudem sind pro Jahr und Quadratkilometer bis zu 1,3 Hagelereignisse zu erwarten. Die mittlere Blitzdichte in Thüringen liegt bei 2 Wolke-Erde Blitzen pro Jahr und Quadratkilometer, je nach Region in Thüringen schwankte dieser Durchschnittswert aber zwi- schen 0,5 bis 4,4 Blitzen a-1 km-2. Schwerpunkte sommerlicher Feuchtkonvektion zeigten sich in Süd-Ost-Thüringen im Vogtland und Frankenwald im Lee der Thüringer Gebirge (Abb. 2.2).

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Tab. 2.1: Statistische Kennzahlen zur Verteilung der Weiser auf sommerliche Konvektion in Thüringen (Auflösung 1 km²)

Mittel - +/- Standard- Mini- Maxi- Weiser bzw. GIS-Produkt Einheit wert abw. mum mum Starkniederschlagszellen n a-1 km-2 3,06 0,856 0,82 7,36 mittl. Starkniederschlags- mm h-1 42 4,848 28 73 intensität Sturzflutenpotenzial mm km-1 0,93 0,162 0,49 1,98

Blitzhäufigkeit n a-1 km-2 1,99 0,485 0,53 4,36

Hagelpotenzial n a-1 km-2 0,25 0,157 0,09 1,27

Inzwischen hat die Thüringer Klimaagentur am Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz (TLUBN) diese Kartendienste für jedermann online verfügbar gemacht. Regionale Unwetterhotspots Thüringens können in Karten über die entsprechende Homepage (www.thueringen.de/th8/klimaagentur/data/klima-kommunal/Modul_UNW/index.html) re- cherchiert und z.B. blitzexponierte Areale im Freistaat direkt abgelesen werden. Dieser neue Kar- tenservice wurde in erster Linie für die Thüringer Landkreise und Kommunen konzipiert, um diese über Unwettergefahren zu informieren. Ergänzend dazu werden auch Unwettersteckbriefe für Gemeinden und Landkreise angeboten. Teile dieses Kartendienstes fließen inzwischen außerdem ein in den www.kompass-naturgefahren.de vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungs- wirtschaft (GDV), in dem man sich in den Bundesländern Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Thüringen hausadressenbezogen informieren kann über drohende Naturgefahren auf dem eigenen Grundstück (u.a. zusätzlich Hochwasser, Sturm und Erdbeben), um anschließend möglichenfalls den Status der eigenen Gebäudeversicherung nochmals zu überdenken und an drohende Gefahren anzupassen.

2.3 Mögliche Anwendungen im Forstbetrieb

2.3.1 Allgemein

Neben der Substitution herkömmlich produzierter Niederschlagskarten durch Radarkomposite sind einige neuartige Nutzungen der dargestellten Daten im Forstbetrieb denkbar. Langjährige Auswertungen zur Gefährdung durch Hagelschlag könnten beispielsweise die Auswahl geeigneter Standorte für Baumschulneuanlagen oder Pflanzkampe im Revier beeinflussen. Besonders hagel- exponierte Regionen erfordern aufgrund direkter mechanischer Schädigungen empfindlicher Baumarten und baumartspezifischer Prädispositionen für sekundäre Pilzinfektionen (vgl. ALTEN- KIRCH et al. 2002, PERNY 2007, LANGER et al. 2011) eventuell intensive waldschutzfachliche Beurtei- lungen und vom allgemeinen Standard abweichende Baumarten- und Waldstruktu- rierungsempfehlungen (SCHWERDTFEGER 1970). Notwendigkeit und Grad der Versicherung von forstlichen Dienst- und Wirtschaftsgebäuden gegen Elementarschäden durch Naturkatastrophen können auf Basis der vorgestellten Informationen räumlich differenziert entschieden werden (vgl. hierzu auch www.kompass-naturgefahren.de des GDV). Ähnliches gilt für die Gefährdung des

Mitteilungsheft 38/2020 | 24

Tourismus im Wald inklusive erforderlicher Verkehrssicherungsmaßnahmen, -intensitäten und entsprechende Wiederkehrintervalle. Räumliche Informationen zu Starkregenanzahl und -inten- sität bieten Ansätze, um Gefährdungen durch Erosion, Hangrutschungen, Überschwemmungen etc. zu konkretisieren und im Kontext mit der Geländesituation vor Ort individuell zu bewerten.

Abb. 2.2: GIS-Produkte zur sommerlichen Konvektion in Thüringen 2004-2015 und (unten rechts) das summarische sommerliche Schadholz im selben Zeitraum (für die Darstellung: „ x 100“ je ha Holzboden im Wuchsbezirk)

Zuletzt ist allen diesen potentiellen Ansätzen gemein, dass kausale Zusammenhänge zwischen bereitgestellter Klimainformation und möglicher Auswirkung im Forstsektor erst einmal aufge- deckt werden müssen. Schwierigkeiten bereitet es zudem, die Vielfalt vorliegender Klima- datenprodukte zielgerichtet zu kombinieren und zu gewichten. Dieses allgemeine Problem vieler Studien wird heute mit dem Begriff der Klimawirkungsanalyse beschrieben.

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2.3.2 Sommersturmholz

Auswertungen nach den Stürmen „Vivien, Wiebke, Lothar und Kyrill“ haben zur Klärung von Schadursachen aus dem Komplex Gelände-Standort-Baumart-Waldstruktur-und-Waldbehandlung für den klassischen Fall des Wintersturmes beigetragen (z.B. SCHÜTZ et al. 2006, CLASEN et al. 2008). Die Abb. 2.3 verdeutlicht aber für den Fall des Gesamtwaldes im Bundesland Thüringen, dass in der 25jährigen Zeitreihe des Thüringer Waldschutzmeldewesen immerhin im Durchschnitt knapp 25 % des jährlichen Wurf- und Bruchholzes aus den Sommermonaten Mai bis September stammen. Im langjährigen Durchschnitt verursachten sommerliche Unwetter unplanmäßige Nut- zungen in der Höhe von etwa 1 % - in extremen Jahren (1997) auch 14 % - der gesamten regulären Holznutzung in Thüringen. Multipliziert man den mittleren Sommer-Schadholzanfall dieser Zeit- reihe von im Mittel 36,6 Tsd. Fm a-1 mit einem durchschnittlichen Holzpreis von 75 € Fm-1, so sind in Thüringen ca. 2,75 Mio. € a-1 Umsatz aus Holzerlösen unmittelbar verknüpft mit Unwetterscha- dereignissen im Sommerhalbjahr.

Im Gegensatz zu Winterstürmen sind bei Sommerereignissen möglicherweise andere regionale Schadschwerpunkte zu beklagen (vgl. Abb. 2.2). Sehr wahrscheinlich gelten aber auch ab- weichende Wirkmechanismen, z.B. bei Bäumen im belaubten Zustand oder bei frostfreien, nieder- schlagsdurchweichten Böden. Ein tieferer Blick in das Waldschutzmeldewesen deckt beispiels- weise für 2010-2015 auf, dass Laubholz - im Gegensatz zum Winterhalbjahr (5,5 %) - im Sommer- halbjahr 10,7 % des Schadholzes ausmacht. Dabei dominieren Rotbuche und Ahorn-Arten.

Abb. 2.3: Wurf- und Bruchschadholz im Gesamtwald in Thüringen 1990-2015, differenziert nach Winter und Sommer

Wegen mehrmals veränderter Forstamts- und Revierstrukturen können die registrierten Schad- holzmengen in 2004-2015 nur auf die robuste, großräumige Flächeneinheit des Wuchsbezirkes normiert werden. Für die insgesamt auswertbaren 42 Wuchsbezirke in Thüringen waren zwischen Mai und September im Durchschnitt zwar nur 0,09 Fm ha-1 a-1 Schadholz zu beklagen, maximal sind jedoch bis zu 4,5 Fm ha-1 a-1 über den gesamten Wuchsbezirk hinweg in Extremjahren gemel-

Mitteilungsheft 38/2020 | 26 det worden (11.5. „Südthüringisch-Oberfränkisches Trias-Hügelland, Bruchschollenland“ in 2005, 2.8 „Nordthüringisches Trias-Hügelland, Südliches Harzvorland“ in 2015).

Abb. 2.4: Tornadoschaden vom 04.09.2016 (mit ca. 10.000 Fm Bruch- und Wurfholz) im Revier Friedebach des Thüringer Forst- amtes Neustadt (Foto: M. Stürtz)

Für eine erfolgreiche statistische Analyse nach räumlichen und zeitlichen Zusammenhängen zwi- schen GIS-Produkten der sommerlichen Konvektion und dem sommerlichen Schadholzaufkom- men waren beide Grundinformationen jedoch zu grob. Während bei großräumigen Wuchsbe- zirksbetrachtungen lokale Schadmengenspitzenwerte aus Extremereignissen verwischen, bieten die GIS-Produkte bisher nur mittlere Werte über längere Betrachtungszeiträume. Dagegen sind Extreme im Detail meist sehr kurzfristig und besonders intensiv sowie kleinräumig (Abb. 2.4). Wie erwartet, waren Korrelationsanalysen und varianzanalytische Modelle daher nicht signifikant. Für GIS-Produkte zur sommerlichen Konvektion und die dazu kongruenten Waldschutzmeldedaten besteht also noch Handlungsbedarf. Eine klare Beziehung zwischen Schwerpunktregionen som- merlicher Unwetter und den zeitgleich gemeldeten Schadholzmengen besteht nicht und lässt sich daher auch noch nicht für Anpassungsstrategien in Thüringen verallgemeinern.

2.3.3 Klimawandelangepasstes Waldwegenetz

Als besonderes Projekt im Zusammenhang mit Niederschlagsradar- und Blitzdaten hat sich das FFK Gotha von ThüringenForst-AöR gemeinsam mit der Thüringer Klimaagentur am TLUBN in Jena 2014-2015 mit möglichen Auswirkungen sommerlicher Unwetter auf das Waldwegenetz befasst. Den Anstoß hierfür liefert § 25 ThürWaldG, in dem für den Bau und die Unterhaltung von Wald- wegen und sonstigen baulichen Anlagen die Berücksichtigung vorherrschender Gegebenheiten eingefordert wird. Damit verbunden ist der Auftrag aus dem Thüringer Klima- und Anpassungs- programm (TMLNU 2009) für die Wald- und Forstwirtschaft, „räumlich differenzierte Risikoanaly- sen […] in Thüringen mit Hilfe der Klimaforschung“ durchzuführen (S. 39). Forstliche Erschlie- ßungs- und Waldwegesysteme sind durch den Klimawandel verwundbar, sog. vulnerabel. Für erd- gebundene Wege, Grabensysteme, Brücken, Durchlässe usw. ergeben sich besondere Gefahren aus zunehmenden Starkregenereignissen, aus Erosionen und Hangrutschungen sowie aus Über- schwemmungen und Oberbodendurchfeuchtungen. Ein Zusammenhang zwischen globalen Re- kordniederschlägen und dem anthropogenen Klimawandel ist inzwischen belegt (LEHMANN et al. 2015) und auch für Europa quantifiziert (Zunahme um ca. 30 % zwischen 1901 und 2010). Beson-

Mitteilungsheft 38/2020 27 | ders exponiert sind bei solchen Nassereignissen das reliefbetonte Gelände, Unterhänge, Kerbtäler usw. sowie Anlagen in Bach- oder Flussnähe, im Grenzbereich zu Quellbereichen, zu Moor-, Re- tentions- und Feuchtflächen.

Der Einfluss (sog. Impact) von niederschlagsreichen Unwettern auf das Waldwegenetz kann er- heblich sein (Abb. 2.5). Die Gewährleistung der Rundholzlogistik und des normalen Forst- betriebes, wie Maschinen- und Unternehmereinsatz, Revierdienst, Zuwegung für Wald- und Forst- schutzkontrollen, ist mitunter längerfristig beeinträchtigt. Daneben verursachten beispielsweise die Hochwässer 2013 nach Starkregenereignissen Schäden an Waldwegen und Ingenieurbauten im Wald bei ThüringenForst-AöR in Höhe von ca. 2-3 Mio. € (vgl. ThüringenForst-AöR 2014). Die Schadenssumme der Hochwässer 2013 an wasserbaulichen Anlagen, Verkehrswegen etc. des Landes Thüringen insgesamt beträgt laut TLUG (2013) ca. 15 Mio. €. In der Niedersächsischen Harzregion sorgte ein Tief mit Dauerregen im Juli 2017 für Schäden i.H.v. 650.000 € an Wegen und Bauwerken im Landeswald, 750.000 € an Wald- und Wanderwegen im Nationalpark Harz und rund 500.000 € im Stadtforst Goslar (SOHNS 2018).

Das Risiko witterungsinduzierter Beeinträchtigungen des Waldwegesystems wird laut Risikokata- log von ThüringenForst-AöR mit ca. 400.000-500.000 € pro Jahr, einer hohen Eintrittswahrschein- lichkeit und erheblichen Auswirkungen inklusive Imageschäden bewertet (ThüringenForst-AöR 2014 und unveröff. 2018). 2015 waren etwa 4,8 Mio. lfm Waldwege im Landeswald erfasst (11,6 Mio. lfm im Gesamtwald), weitere 670 Tausend lfm Wege sind geplant (2,6 Mio. lfm im Gesamt- wald). Im digitalen Wegeinformationssystem von ThüringenForst waren außerdem insgesamt 255 Brücken, 13.472 Durchlässe und 61 Tunnel, Unterführungen und Durchfahrten (davon im Lan- deswald 159 bzw. 7.354 und 36) registriert und kartiert. ThüringenForst-AöR investiert jährlich etwa 7,7 Mio. € in die Wegeunterhaltung und den ökologischen Waldwegebau (ThüringenForst- AöR 2015). Das forstliche Waldwegenetz übernimmt zusätzlich Funktionen als Wander-, Rad-, Reit- und Skiwegenetz, für die Zuwegung des Katastrophen- und Rettungsdienstes, insbesondere hinsichtlich Erreichbarkeit und Gewährleistung des Rettungspunktesystems Forst und für den Waldbrandschutz.

Abb. 2.5: Waldwegeschaden verursacht durch Regenwasser im Thüringer Forstamt Finsterbergen (Foto: H. Sproßmann)

Aus diesen Gründen wurden schon 2015 die abgeleiteten GIS-Produkte (vgl. 2.2.3) aufbereitet und zu einer rückblickenden Gesamteinschätzung der regionalen Sommerunwettergefährdung zwischen 2004 und 2010 kombiniert und nachträglich um die Erfahrungswerte aus den Unwettern

Mitteilungsheft 38/2020 | 28 im Mai und Juni 2013 (TLUG 2013) ergänzt. Auf dieser Datenbasis könnten regionale Anpassungen erfolgen, z.B. hinsichtlich:

. Art und Dimensionierung von wegebegleitenden Entwässerungsanlagen und Wasserbau- ten, . Intensität und Turnus von Anlagenprüfungen und Verkehrssicherung, . Ort und Art der Hang- und Straßenbefestigung und des Wegeneubaus sowie . Wegeaufgabe und -rückbau. Beabsichtigt ist momentan, dass die Investitionsmittel bei ThüringenForst-AöR zur Wegeinstand- setzung und -unterhaltung zukünftig auf Basis retrospektiver Analysen zu Schadensmeldungen und Unwetterpotential regional unterschiedlich verteilt und verwendet werden. Das Projekt ist bisher noch nicht abgeschlossen. Im ersten Durchlauf wurden die Thüringer Forstämter Gehren, Neuhaus, Sonneberg und Saalfeld-Rudolstadt als „hochgefährdet/Stufe 4 von 5“ bewertet, „gering gefährdet/Stufe 2 von 5“ waren lediglich die Forstämter im Nordwesten des Freistaates (FFK 2015).

2.4 Schlussfolgerungen und Ausblick

Niederschlagsradar-, Blitzortungsdaten und daraus abgeleitete GIS-Produkte bieten sich für die Kartendarstellung rückblickender Niederschlagsverteilungen und extremer Ereignisse mit Feucht- konvektion an. Die Zeitreihen dazu sind noch kurz, sie werden aber täglich länger. Einige Anwen- dungen für den Forstbetrieb sind denkbar, für sommerliche Starkregenereignisse und Waldwege- schäden wird eine praktikable Anwendung vorgestellt (vgl. auch FRISCHBIER und HEYNER 2016a). Dagegen gibt es noch Analyseschwächen bei der Ableitung von Sommerschadholzmengen anhand der GIS-Produkte zu Unwettern (vgl. FRISCHBIER und HEYNER 2016b). Dazu ist weitere Forschung notwendig.

Das Messnetz zur Blitzortung ist seit über 25 Jahren aktiv und robust. Das Niederschlagsradar liefert seit 2001 Daten. Es unterliegt jedoch Modifikationen, z.B. hinsichtlich der räumlichen Aus- dehnung des Analysegebietes unter Einbindung weiterer ausländischer Radarstandorte, zu radar- seitigen Defiziten und Kompositroutinen sowie hinsichtlich der prinzipiellen Radartechnologie (Stichwort: Forschungsradar Hohenpeißenberg, DWD 2015). Insbesondere die automatisierte Fehlerkorrektur (sog. Nachprozessierung) der Radarinformationen wurde zuletzt intensiv betrie- ben, um z.B. systematische Fehler im Nachbereich der Radaranlagen, systemimmanente Proble- me wie Überschneidungen, Radarringe, Speichen oder Clutter zu beseitigen sowie die Ent- fernungs-, Winkel- und Höhenkorrektur zu verbessern. Inzwischen hat der Deutsche Wetterdienst seine Bereitstellung von Radardaten nochmals grundlegend überarbeitet (WINTERRATH et al. 2017). Er bietet nun – auch rückblickend aufbereitet – ein neues Produkt an (sog. YW). Die Thüringer Klimaagentur nimmt dieses Angebot zum Anlass, um in Kürze neue GIS-Produkte auf dieser Basis für den Zeitraum 2001-2017 zu rechnen und anschließend kontinuierlich zu aktualisieren. Im Nachgang dazu können die forstlichen Anwendungen bei Bedarf angepasst werden, was sich hin- sichtlich der verbesserten Methode und der längeren Zeitreihe positiv auswirken sollte.

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Danksagung

Wir danken dem DEUTSCHEN WETTERDIENST für die Bereitstellung der Niederschlagsradardaten, dem BLITZ INFORMATIONSDIENST VON SIEMENS für die überlassenen Blitzdaten, den Kollegen M. STÜRTZ für die Aufbereitung der Waldschutzmeldungen am FFK GOTHA/HAUPTSTELLE WALDSCHUTZ und den Kol- legen M. STÜRTZ und DR. H. SPROßMANN für die freundlicherweise überlassenen Fotos.

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3 Schwarzwild-Forschungsprojekt Hainich

Klamm, Alisa

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Nationalparkverwaltung Hainich Bei der Marktkirche 9, D - 99947 Bad Langensalza E-Mail: [email protected]

3.1 Angewandte Forschung im Bereich eines Großschutzgebietes

3.1.1 Überblick

Vor über drei Jahren startete das Forschungsprojekt „Entwicklung und Raumnutzung eines Schwarzwildbestandes in Abhängigkeit der naturräumlichen Gegebenheiten des Buchenwald- Nationalparks Hainich und dessen intensiv landwirtschaftlich genutzten Umfeldes“. Es soll das Wissen über die Anpassung des Schwarzwildes an ein Leben in einem Mosaik von sehr unter- schiedlich anthropogen geprägten Lebensräumen mit teilweise hohen Nahrungsressourcen erwei- tern. Das Projekt wird u.a. aus Mitteln der Jagdabgabe finanziert und endete am 31.12.2019. In Kooperation mit dem Forstlichen Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha der ThüringenForst AöR und dem Landesjagdverband Thüringen e.V. wurden insgesamt vier Teilprojekte etabliert, die unterschiedliche Ziele verfolgen:

. Untersuchungen zur Raumnutzung und zu Effekten der Jagdruhezone auf die Bewegungen von Wildschweinen im Nationalpark (Teilprojekt 1) . Schätzung des Frühjahrsbestandes der Wildschweine im Nationalpark (Teilprojekt 2) . Analyse und Bewertung der vorhandenen Habitatstruktur und –qualität sowie der Nah- rungsressourcen im Untersuchungsgebiet (Teilprojekt 3) . Öffentlichkeitsarbeit und Wissenstransfer (Teilprojekt 4) Der Nationalpark Hainich mit einer Gesamtfläche von 7.500 Hektar liegt im Westen Thüringens im Städtedreieck von Eisenach, Mühlhausen und Bad Langensalza. Durch den Schutz eines militäri- schen Sperrgebietes konnten sich hier jahrzehntelang Wälder mit der Buche als prägende Baum- art entwickeln. Weiterhin entstanden durch die militärischen Nutzungen bedeutsame Offenland- bereiche, die heute naturschutzfachlich sehr wertvoll sind. Etwa die Hälfte der Gesamtfläche des Nationalparks unterliegt keiner Wildtierregulierung, d.h. hier hat das Wild ganzjährig Jagdruhe. Die Gegebenheiten des Nationalparks und dessen Lage in der agrarisch geprägten Umgebung bieten für das dort vorkommende Schwarzwild ideale Lebensbedingungen, weshalb die oben ge- nannten Untersuchungen nicht nur regional von Bedeutung sind, sondern auch für andere Ge- biete in Deutschland mit ähnlichen Strukturen relevant sein können. Aufbauend auf den For- schungserkenntnissen sollen nach Abschluss des Projektes mit den Akteursgruppen vor Ort ge- meinsame Jagdstrategien, die sowohl den Nationalpark als auch das Umfeld betreffen, erarbeitet werden, um vor allem auftretende Schäden an landwirtschaftlichen Nutzflächen zu minimieren oder zu verhindern.

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Abb. 3.1: Ein typisches Bild entlang der Grenze des Nationalparks: Hier treffen großflächige Waldgebiete des Nationalparks direkt auf landwirtschaft- liche Nutzflächen (Foto: M. Großmann)

3.2 Einblick in die Forschungsarbeiten und erste Erkenntnisse

3.2.1 Teilprojekt 1 – Raumnutzung

Um die Raumnutzung und die Effekte der Jagdruhezone auf die Bewegungen der Wildschweine im Nationalpark zu untersuchen, wurden diese mit einem GPS-Halsbandsender ausgestattet. Mithilfe der Satellitentelemetrie können so zu einem individuell festgelegten Intervall (hier alle 30 Minu- ten sowohl tagsüber als auch nachts) die Ortungen über das GSM-Netz, also per SMS, an die Sta- tion im Büro gesendet werden. Dies ermöglicht eine direkte Verarbeitung der Daten im Büro ohne großen Aufwand im Feld zu betreiben (im Gegensatz z.B. zur Radiotelemetrie). Der Fang der Wild- schweine erfolgte in vier großen Korralen im Nationalpark. Diese sind so bemessen, dass auch größere Rotten gefangen werden können. Mithilfe eines Abfangkastens wurden die Tiere verein- zelt und anschließend, ohne vorherige Immobilisierung, mit Ohrmarken markiert und besendert. Darüber hinaus wurde für weiterführende Untersuchungen von jedem Tier eine Gewebeprobe aus dem Ohr entnommen. Wildschweine mit einem Lebendgewicht unter ca. 30 kg wurden zum Zwecke der Wiedererkennung auf den Fotofallen ausschließlich mit Ohrmarken markiert. Seit der ersten Besenderung im April 2017 konnten mit dieser Methode insgesamt über 120 Tiere mar- kiert und davon 64 Tiere (34 Keiler und 30 Bachen) besendert werden.

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Abb. 3.2: Korral zum Fangen und Besendern von Schwarzwild im Nationalpark Hainich (Foto: Nationalparkverwaltung)

Für eine genaue Interpretation der Daten ist es zu diesem Zeitpunkt noch zu früh, da im Rahmen der Auswertungen verschiedene Parameter wie bspw. Jagdereignisse, Witterungsbedingungen und landwirtschaftliche Strukturen im Umfeld des Nationalparks berücksichtigt werden müssen. Was die GPS-Daten jedoch jetzt schon zeigen, ist, dass die umliegenden landwirtschaftlichen Flä- chen, abhängig davon mit welcher Kulturart sie bestellt sind, sehr attraktiv für die besenderten Wildschweine sein können. Dabei halten sich einige Tiere wochenlang, andere nur während der Nacht in den Feldern auf. Die Entfernung der Tiere zum Nationalpark bleibt dabei jedoch meistens gering, nur selten unternahmen, v.a. Keiler, Wanderungen bis zu 20 km Entfernung zum National- park. Eine langfristige Abwanderung eines Tieres aus dem Untersuchungsgebiet kam nicht vor.

Abb. 3.3: Im Rahmen des Projektes besenderte und markierte Tiere im National- park Hainich (Foto: Nationalparkverwaltung)

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3.2.2 Teilprojekt 2 – Bestandesschätzung

Die Ermittlung von Bestandsdichten beim Schwarzwild ist durch viele Faktoren erschwert. Allen voran stehen die hohe Reproduktionsrate und die Tatsache, dass über das ganze Jahr hinweg Ba- chen frischen können und der Zuwachs der Population damit nur schätzungsweise angegeben werden kann. Darüber hinaus können Wildschweine individuell nicht unterschieden werden; nur in seltenen Fällen ist es möglich, einzelne Tiere aufgrund z.B. markanter Fellzeichnungen eindeu- tig zu bestimmen. Aber gerade im Hinblick auf ein angepasstes Wildtiermanagement ist die Kenntnis der Bestandsdichte und dessen Entwicklung im Gebiet essentiell. Im Rahmen des Forschungsprojektes sollen mithilfe von zwei grundlegenden Methoden der Früh- jahrsbestand des Schwarzwildes im Nationalpark ermittelt werden: Mithilfe eines Fotofallen- Monitorings und einer Kotgenotypisierung.

Fotofallen-Monitoring

Die Dokumentation der Bestandsentwicklung wurde mittels eines gleichmäßig und zufällig über das engere Projektgebiet (= Gesamtfläche des Nationalpark mit ca. 7.500 ha) verteilten Fotofal- lennetzes durchgeführt. Dies erfolgte über den gesamten Projektzeitraum hinweg, d.h. über drei Jahre (2017-2019).

Abb. 3.4: Perfekt eingereiht: Eine Wildschwein-Rotte tappt in die Fotofalle (Foto: Nationalparkverwaltung)

Durch den Einsatz von Fotofallen ist es möglich, Bewegungen von Wildtieren über einen längeren Zeitraum Tag und Nacht zu überwachen. Auch überwiegend nachtaktive Tiere können so mit rela- tiv geringen Kosten erfasst werden. Dies ermöglicht bspw. auch interessante Aufnahmen zur Le- bensweise des Schwarzwildes, wie das folgende Fotofallen-Bild zeigt:

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Abb. 3.5: Kuscheln und ein warmes Bett helfen gegen kalte Temperaturen (Foto: Nationalparkverwaltung)

Ein weiterer Vorteil von Fotofallen ist, dass es sich um eine nicht invasive Methode handelt, d.h. den Tieren muss für ein Monitoring nicht nachgestellt und diese auch nicht gefangen werden. Die von Rowcliffe et. al. 2008 entwickelte Methode (Random Encounter Model) ermöglicht das Schät- zen von Populationsdichten mittels Fotofallen ohne individuelle Erkennung der einzelnen Tiere. Die Methode ist somit insbesondere für Arten wie das Wildschwein geeignet. Darüber hinaus kann bei der Auswertung der Fotofallenbilder der Anteil markierter Tiere ermittelt werden und somit basierend auf einem Fang-Wiederfang-Modell eine Dichteschätzung vorgenommen werden. Die Ergebnisse des Fotofallen-Monitorings werden voraussichtlich Ende des 2. Quartals 2020 vor- liegen.

Kotgenotypisierung

Um die Ergebnisse des Fotofallen-Monitorings im Gebiet zu verifizieren bzw. dieses Verfahren, zu eichen, wurde der Schwarzwild-Bestand (konkret des Frühjahrsbestandes 2018) zusätzlich über eine Kotgenotypisierung ermittelt (d. h. beide Verfahren wurden parallel durchgeführt). Die Kot- genotypisierung gibt dabei nicht nur Aufschluss über die Höhe des Bestandes, sondern auch über das Geschlechterverhältnis in der Population. In Zusammenarbeit mit Mitarbeitern der Firma Wildlife monitoring by aerosense konnten hierfür im März/April 2018 die Feldarbeiten abge- schlossen werden. Dazu wurde auf der Gesamtfläche des Nationalparks auf über 700 km langen Transekten im 100 m Abstand Frischkot von Wildschweinen gesammelt (Abb. 3.6) und an ein La- bor (Seq-IT GmbH & Co. KG) für weiterführende Analysen übergeben.

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Abb. 3.6: Auf insgesamt 101 Transekten wurden im gesamten Nationalpark frische Kotproben von Wild- schweinen mittels Proberöhrchen gesammelt (Karte: Nationalparkverwaltung)

Es wurden insgesamt 1.200 Wildschwein-Losungen im Labor untersucht, wovon 915 Proben aus- wertbar waren und die DNA analysiert werden konnte (diese waren sehr frisch und somit ideal für genetische Analysen). Aus den 915 Proben konnten 555 verschiedene Individuen identifiziert werden; dies entspricht also dem absoluten Mindestbestand. Bezogen auf die Nationalparkfläche von 7.500 ha ergibt das einen Bestand von 7,4 Wildschweinen/100 ha. Mithilfe der Erfassungsda- ten im Gelände und unter Berücksichtigung ihrer räumlichen Anordnung (Verfahren: Spatially Explicit Capture-Recapture, kurz SECR) kann nun der Gesamtbestand geschätzt werden. Daraus resultierend ergibt sich ein Gesamtbestand von knapp 12 Wildschweinen/100 ha mit einem Ge- schlechterverhältnis von 1 : 1,12, dieses ist also leicht in Richtung der Bachen hin verschobenen. Diese Ergebnisse gilt es nun mit denen des Fotofallen-Monitorings zu vergleichen.

3.2.3 Teilprojekt 3 – Habitatqualität und Nahrungsressourcen

Der Hainich und Umgebung bieten optimale Lebensbindungen für das Schwarzwild. Nicht zuletzt deshalb, weil sich für das Schwarzwild schmackhafte Maisfelder direkt an die Waldgrenzen des Hainich reihen (siehe Abb. 3.1 und Abb. 3.7). Das Thema Wildschäden im Umfeld von Natur- schutzgebieten, in denen die Jagd ruht, berührt verschiedene Akteursgruppen und wird in diesen kontrovers diskutiert. Auch im Rahmen des Forschungsprojektes wird dieses Thema aufgegriffen. Die Wildwirkung soll vor allem für die angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen beleuchtet werden. Dafür würde u.a. eine Arbeitsgruppe „Landwirtschaft“ gegründet, die aus Vertretern

Mitteilungsheft 38/2020 37 | ortsansässiger Landwirtschaftsbetriebe sowie aus Vertretern der zuständigen Landwirtschafts- ämter und der betreffenden Kreisbauernverbände Thüringen bestehen. Ziel ist es, Forschungs- ansätze zu diskutieren, die dazu beitragen, die komplexen Zusammenhänge bei den von Wild- schweinen verursachten Probleme in der Landwirtschaft zu verstehen und Lösungsansätze für das Umfeld des Nationalparks und darüber hinaus zu finden. Unter anderem wurde eine Pilotstudie in Kooperation mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Fernerkundung, zu folgen- den Thema initiiert: Können Fehlstellen in landwirtschaftlichen Kulturen mithilfe von frei verfüg- baren Satelliten-Daten und den Telemetrie-Daten der Sendertiere erfasst werden? Hierbei konn- ten folgende Ergebnisse ermittelt werden: Fehlstellen können mittels frei verfügbaren Satelliten- Daten (hier Sentinel-1 A/B) detektiert werden, allerdings sind diese nicht für eine quadrat- metergenaue Kartierung geeignet. Vielmehr könnte dieses Verfahren dazu dienen, für einen grö- ßeren Bereich (z.B. für das Territorium einer Gemeinde oder für die Flächen eines landwirtschaft- lichen Betriebes) das Auftreten von Fehlstellen zu beobachten und einen Trend abzuleiten. Der- zeit gelingt die Detektion der Fehlstellen in den verschiedenen Kulturarten unterschiedlich gut. Sehr gute Ergebnisse wurden insbesondere bei Maisfeldern erzielt. Ein Zusammenhang zwischen der Raumnutzung der besenderten Wildschweine und den Fehlstellen konnte nicht festgestellt werden. Dafür war u. a. die Anzahl besenderter Tiere, die die o. g. Flächen aufsuchten, zu gering. Weiterführende Analysen wie bspw. die Erstellung von Referenzdaten durch Drohnen über be- kannte Schadstellen könnten weitere Erkenntnisse bringen.

Abb. 3.7: Wildschäden durch Schwarzwild in einem Maisfeld im Projektgebiet: Können solche Fehlstellen über Fernerkundungsdaten detektiert wer- den? (Foto: A. Klamm)

3.2.4 Teilprojekt 4 – Wissenstransfer & Kommunikation

Das Forschungsprojekt berührt verschiedene Interessengruppen, weshalb die Kommunikation mit diesen von großer Bedeutung ist. Essenziell ist eine umfassende Information der Jäger im Projekt-

Mitteilungsheft 38/2020 | 38 gebiet und auch darüber hinaus, um z.B. Rückmeldungen zur Erlegung von markierten Wild- schweinen zu erhalten. Im Rahmen von Arbeitsgruppen-Treffen und Informations- veranstaltungen, sowie einer Fachveranstaltung im Jahr, wurden regelmäßig Informationen zum Projekt weitergegeben sowie erste Erkenntnisse vorgestellt und gemeinsam diskutiert. Eine wis- senschaftliche Begleitung der Untersuchungen im Projekt erfolgte durch einen Projektbeirat, der 1mal im Jahr tagt. Neben seiner beratenden Funktion dient er auch dem Erfahrungsaustausch zwischen verschiedenen Institutionen, die wildbiologische Forschung zum Schwarzwild durchfüh- ren. Ein wichtiges Medium ist auch der Projekt-Newsletter, der ca. 3mal im Jahr an alle Interes- sierte per E-Mail verschickt wurde. Hier werden wichtige Informationen und Neuigkeiten der letz- ten Monate im Projekt zusammengestellt.

Die Projekt-Homepage www.schwarzwild-hainich.de bietet darüber hinaus allen Interessierten die Möglichkeit, sich umfassend über das Projekt und dessen Inhalte zu informieren. Nach Fertig- stellung des Endberichtes zum Projekt sollen die Ergebnisse in diesem Jahr im Rahmen einer Ab- schlussveranstaltung vorgestellt werden sowie ein Kommunikationsprozess zum Schwarzwildma- nagement im Nationalpark und Umfeld mit den Akteursgruppen vor Ort stattfinden. Nähere In- formationen zur Abschlussveranstaltung erscheinen im 2. Quartal 2020 auf der Projekt-Homepage (https://www.schwarzwild-hainich.de/veranstaltungen.htm).

Für Entscheidungen hinsichtlich eines angepassten Jagdmanagements müssen viele Faktoren, wie bspw. die Lebensraumausstattung, berücksichtigt werden müssen. Forschungserkenntnisse soll- ten mit den Erfahrungen der Akteursgruppen vor Ort verbunden und gemeinsame Jagdstrategien, die sowohl den Nationalpark als auch das Umfeld betreffen, erarbeitet werden. Denn nur so kann der Sprung von „nice to know“ zu angewandter und praxisorientierter Forschung gelingen.

Danksagung

Ein besonderer Dank gilt dem Thüringer Ministerium für Landwirtschaft und Infrastruktur (TMIL) in Vertretung durch die Oberste Jagdbehörde für die zur Verfügung gestellten Fördermittel sowie den zwei Kooperationspartnern, dem Landesjagdverband Thüringen e.V. und dem Forstlichen Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha der ThüringenForst AöR, für die Unterstützung und die gute Zusammenarbeit im Rahmen des Forschungsprojektes.

Weiterhin wird allen am Projekt beteiligten Mitarbeitern der Nationalparkverwaltung, v.a. der Nationalpark-Wacht, für die tatkräftige Unterstützung bei den Feldarbeiten gedankt. Ebenso gilt der Dank den Kollegen im FFK Gotha, Mario Klein und Ingolf Profft, die wesentlich bei verschiede- nen Arbeiten im Projekt beteiligt waren.

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4 Samenbäume und Naturverjüngungspotenziale von Pionierbaumar- ten zur Stärkung der Resilienz von Fichtenwäldern

Tiebel, Katharina; Huth, Franka; Wagner, Sven

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Technische Universität Dresden, Institut für Waldbau und Waldschutz, Professur für Waldbau Pienner Straße 8, D - 01737 Tharandt E-Mail: [email protected]

4.1 Einleitung

Großflächige Schadereignisse, wie Sturmwurf, Borkenkäferkalamitäten oder Schneebruch, werfen immer wieder die Frage nach der Zweckmäßigkeit von kostenintensiven Wiederaufforstungs- maßnahmen auf. Meist stehen den Forstbetrieben nicht die nötigten finanziellen und personellen Mittel zur Verfügung, um in kurzer Zeit die Schadholzaufarbeitung und Aufforstung zu gewährleis- ten. Da der plötzliche Bestockungsverlust eine Entkopplung der Nährstoffkreisläufe, eine ver- mehrte Kohlenstoffdioxid- und Nährstofffreisetzung oder die Änderung der Wasserregime zur Folge hat (WOHLGEMUTH et al. 1995, BURSCHEL & HUSS 1997, RÖHRIG et al. 2006), gilt es die Flächen schnellstmöglich wieder zu bewalden. Die Pflicht zur Wiederaufforstung stark verlichteter Wald- bestände ist daher auch im §11 Abs.1 BWaldG verankert und wird in den Landeswaldgesetzen nochmals konkretisiert (z.B. in Thüringen §23 ThürWaldG).

Im Zuge der Wiederbewaldung bieten Vorwaldstrukturen von Pionierbaumarten aus Naturverjün- gung eine kostensparende Alternative zur Aufforstung durch Kunstverjüngung, da sie sich bei aus- reichender Samenbaumanzahl im Zuge von Sukzessionsprozessen natürlicherweise einstellen. Pionierbaumarten vermögen aufgrund ihrer Arteigenschaften die Folgen der Freiflächenwirkung bereits nach kurzer Zeit zu mindern. Langfristige ökologische Defizite, die unter anderem ihre Ursache im Anbau einschichtiger Fichtenreinbestände haben, können durch Pionierbaumarten kompensiert werden (siehe PERALA & ALM 1990, SCHIECHTL 1992, PRIEN 1995, SCHMIDT 1998, HACKER 1999, SCHMIDT 1999, RASPÉ et al. 2000, ARGUS 2006, LEDER et al. 2007, ZERBE 2009, HYNYNEN et al. 2010). Außerdem ermöglicht die Einbindung von Pionierbaumarten in das Bestandesgefüge die Begründung naturnaher, standortsgerechter und stabiler Mischwälder.

Die Abschätzung des Besiedlungserfolgs durch Pionierbaumarten ist jedoch aufgrund begrenzter verjüngungsökologischer Kenntnisse zu maximalen Ausbreitungsdistanzen, optimalen Keimungs- bedingungen oder standörtlichen Ansprüchen der Verjüngungspflanzen mit großen Unsicherhei- ten verbunden (u.a. RICHTER & LEDER 1990, LÄSSIG et al. 1995, SCHMIDT-SCHÜTZ & HUSS 1998). Um zukünftig den Entscheidungsprozess zur Abwägung der Dringlichkeit von Maßnahmen auf Schad- flächen - auch im Hinblick auf die Kalamitätsvorsorge in Fichtenwäldern - sicherer zu gestalten, wurden folgende Forschungsschwerpunkte in der vorliegenden Studie auf Kyrill-Sturmwurf- flächen in den Hoch- und Kammlagen des Thüringer Waldes berücksichtigt:

. Anemochore Samenausbreitung von Birke und Salweide sowie endozoochore Samenaus- breitung durch Vogelarten auf Sturmwurfflächen,

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. Potenzial der Bodensamenbanken von Pionierbaumarten auf Sturmwurfflächen und in fich- tenbestockten Waldflächen, . Verjüngungsfortschritt von Pionierbaumarten auf Sturmwurfflächen sowie . Stichprobenhafte Erhebung der aktuellen Samenbaumvorkommen von Pionierbaumarten in den Hoch- und Kammlagen des Thüringer Waldes.

4.2 Untersuchungsgebiet und Versuchsdesign

Das Untersuchungsgebiet entspricht der ausgewiesenen Fläche des Modellprojektes "Waldumbau in den mittleren, Hoch- und Kammlagen des Thüringer Waldes", die zwischen Oberhof, Zella- Mehlis, Schmiedefeld und Ilmenau gelegen ist (Abb. 4.1). Das Gebiet des Modellprojektes umfasst eine Fläche von ca. 8.000 ha und wird dem Wuchsgebiet „Thüringer Gebirge“ und dem Wuchsbe- zirk „Mittlerer Thüringer Wald“ zugeordnet (BURSE et al. 1997). Der Wuchsbezirk stellt sich vor- rangig als Kammgebirge mit einem hohen Hanglagenanteil und häufig fehlenden Plateaulagen dar (BURSE et al. 1997, WAESCH 2003, GAUER & ALDINGER 2005).

Abb. 4.1: Lage der Untersuchungsflächen im Gebiet des Modellprojektes „Wald- umbau in den mittleren, Hoch- und Kammlagen des Thüringer Waldes“

Die Aufnahmen wurden auf sieben standörtlich vergleichbaren, ehemals fichtenbestockten Kyrill- Sturmwurfflächen (Januar 2007) mit Ausdehnungen der damaligen Blößen von 4,0  12,7 ha in den Hoch- und Kammlagen (750  900 m ü. NN) durchgeführt (Abb. 4.1 und Tab. 4.1). In einem 500 m breiten Streifen um die Sturmwurfflächen wurden alle Birken-, Salweiden- und Eber- eschensamenbäume erfasst. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Flächenausdehnung und Flä-

Mitteilungsheft 38/2020 41 | chenform wurden kreuz- und sternförmig angeordnete Linientransekte angelegt. Die Aufstellung von Samen- und Kotfallen (Abb. 4.2), die Entnahmen der Bodenproben und die Verjüngungs- aufnahmen erfolgten entlang dieser Transekte stets in Abständen von 20 m. Die Kotfallen wurden dabei jeweils auf freien Flächenbereichen und unter einem, im unmittelbaren Umkreis vorhande- nen Strukturelement platziert (siehe TIEBEL et al. 2017).

Abb. 4.2: Netztrichterfalle für Birkensamenfänge (links), Kotfalle für Ebereschen- samen (Mitte) und Klebfallen für Weidensamenfänge (rechts) (Fotos: K. Tiebel)

Zudem wurden Bodenproben in Fichtenbeständen mit vereinzelt eingemischten Ebereschen- und Birkensamenbäumen entnommen. Abschließend wurde in dem Untersuchungsgebiet auf einer Teilfläche von 600 ha eine Samenbauminventur durchgeführt. Die Aufnahmen erfolgten entspre- chend eines 200 x 200 m Rasters. Zusätzlich konnten alle Samenbäume der Pionierbaumarten entlang befahrbarer Waldwege erfasst werden (STÄHR et al. 2006, HOSIUS et al. 2012). Alle Unter- suchungen fanden im Zeitraum von 2014  2016 statt.

Tab. 4.1: Übersicht über die Untersuchungsflächen und das Versuchsdesign

Fläche I II III IV V VI VII Frauen- Frauen- Frauen- Oberhof, Fins- Forstamt Oberhof Oberhof Oberhof wald wald wald terbergen Zwei Gold- Finster- Finster- Schneekopf, Zella- Spitziger Revier Wiesen lauter bergen bergen Gräfenroda Mehlis Berg Abteilung 243 694 803 906 946, 105 851 1021

Klimastufe Hff Kff Kff Hff, Kff Hff Hff Kff

Versuchsdesign St. Kr. St. Kr. Kr. R. R.

Probepunkte 54 27 58 38 41 74 93

Klimastufe: Hff = Hochlage, Kff = Kammlage; Versuchsdesign: St. = Sterntransekt, Kr. = Kreuztransekt, R. = Raster.

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4.3 Samenausbreitung von Birke und Salweide

4.3.1 Ergebnisse

Der Samenflug von Birke und Salweide wurde auf den gleichen Sturmwurfflächen in zwei aufei- nanderfolgenden Jahren, 2015 und 2016, untersucht. Die erfassten Samendichten fielen für beide Pionierbaumarten im Jahr 2015 signifikant geringer aus (U-Test: p<0,003). Für Birke wurden auf den Sturmwurfflächen mittlere Samendichten von 8,3  92,5 n m-2 (2015) nachgewiesen. Im Jahr 2016 erreichte die mittlere Samendichte Werte zwischen 46  445 n m-2 (Abb. 4.3 links). Die Sa- mendichte betrug damit das Fünffache im Vergleich zum Vorjahr. Die maximal erfassten Dichten beliefen sich auf 2.053 (2015) und 9.557 n m-2 (2016).

Bei Salweide betrugen die Fangzahlen 2015 zwischen 0,6  1,8 n je Falle und im Jahr 2016 zwi- schen 1,1  2,1 n je Falle, womit der Unterschied nicht so deutlich wie bei Birke ausfiel (Abb. 4.3 rechts). Die höchste Samendichte von 156 n je Falle (2016) wurde direkt unter einem Samenbaum der Salweiden gemessen. Auf den samenbaumfreien Sturmwurfflächen erreichten die maximalen Samendichten 5 n je Falle (2015) und 9 n je Falle (2016).

Kenntnisse über die mittleren Ausbreitungsdistanzen und Richtungseffekte liefert für Birke die inverse Modellierung zur Samenausbreitung (siehe VAN PUTTEN et al. 2012). Dabei ergaben sich für den richtungsunabhängigen Fall mittlere Ausbreitungsdistanzen (MDD) von 86  380 m. Für Sal- weide wurden Ausbreitungsdistanzen bis 870 m und darüber hinaus nachgewiesen. Ein mathema- tischer Richtungseffekt (Windfahne) konnte für beide Pionierbaumarten nicht belegt werden.

Abb. 4.3: Birkensamendichten [n m-²] und Salweidensamendichten je Falle in den Jahren 2015 und 2016 (H-Test: p<0,01**)

4.3.2 Schussfolgerungen für die Forstpraxis

Die Qualität und Quantität der jährlichen Fruktifikation sowie die zeitlichen und räumlichen Aus- breitungsmuster windverbreiteter Baumarten wie Birke werden durch vielfältige Faktoren und Rahmenbedingungen beeinflusst. Dimension, Kronenausdehnung (bzw. Konkurrenzdruck und Pflegerückstände) und individuelle Konstitution eines Samenbaumes sind entscheidende Einfluss- größen bezüglich der absolut produzierbaren Samenmengen eines Baumes (BUSCHEL & HUSS 1997). Zudem können von Jahr zu Jahr deutliche Unterschiede in den produzierten Samenmengen auf- treten, ähnlich einem Mastjahr. Diese unterschiedlichen Samenmengen sind u.a. durch variieren-

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de Witterungsbedingungen begründet (SARVAS 1952, BASTIDE und VAN VREDENBURCH 1970, ATKINSON 1992). Aus den Untersuchungsergebnissen geht hervor, dass mit einer Besiedlung von Störungs- flächen mit waldbaulich relevanten Verjüngungsdichten von Birke vorrangig in ausgewählten Jah- ren mit größeren Mengen produzierter Samen („Mastjahren“) zu rechnen ist.

Die räumlichen Ausbreitungsmuster der abgelagerten Birkensamen auf den Sturmwurfflächen zeigen, dass die höchsten Samendichten jeweils in Samenbaumnähe zu finden sind. Ebenso unter- liegt die Samenausbreitung dem Einfluss des Reliefs, aber nicht der vorherrschenden Windrich- tung. So betrug die hangabwärts gerichtete mittlere Ausbreitung 380 m, wohingegen die Birken- samen hangaufwärts mit 97 m eine deutlich geringere mittlere Distanz zurücklegten. Folglich kommt auch der Position und der räumlichen Verteilung der Samenbäume um eine Störungsflä- che eine große Bedeutung zu.

Die Untersuchungen zur Samenausbreitung von Salweide haben gezeigt, dass (i) Richtungseffekte keine Rolle bei der Samenausbreitung spielen, (ii) die Position des Samenbaums im Gelände kei- nen Einfluss hat (=Reliefunabhängigkeit) und (iii) die Samenbaumanzahl auf die abgelagerte Sa- mendichte ab einer Entfernung von > 50 m vernachlässigbar ist. Im Zuge der enormen Fernaus- breitung lösen sich zeitliche und räumliche Ablagerungsmuster auf. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass von einer samenquellenunabhängigen Samenablagerung zwischen 10  20 n m-² während des jährlichen Reproduktionszeitraums ausgegangen werden kann. Mit Blick auf die natürliche Wiederbewaldung von Störungsflächen durch Salweide sind die erfassten Samendich- ten somit ausreichend. Limitierende Faktoren bei der Wiederbewaldung sind nicht die Flugweiten der Salweiden, sondern (i) Wildverbiss, (ii) fehlende oder unzureichend vorhandene Mikrostand- orte und (iii) klimatisch-standörtlich ungünstige Bedingung während der Keimung. Salweidensa- men verlieren bereits nach wenigen Tagen bis Wochen unter natürlichen Bedingungen ihre Keim- fähigkeit (HECKER 1998, SCHÜTT et al. 2011).

Eine räumliche Optimierung von Samenbäumen zur prophylaktischen Stärkung der Resilienz in kalamitätsgefährdeten Fichtenwäldern muss lediglich für die Birke vorgenommen werden. Dabei gilt es möglichst viele, vitale Samenbäume verteilt auf der Fläche vorzuhalten. Durch die weiten Ausbreitungsdistanzen und Omnipräsenz der Samen trifft dies nicht für Salweide zu. Allerdings müssen für beide (alle) Pionierbaumarten waldbauliche Maßnahmen zur Erhaltung, Vitalisierung und Förderung neuer Samenbäume in die Behandlungskonzepte der Bestände integriert werden.

4.4 Endozoochore Samenausbreitung durch Vogelarten

4.4.1 Ergebnisse

Die Untersuchungen zur endozoochoren Samenausbreitung durch Vogelarten auf Sturmwurf- flächen unter Freiflächenbedingungen und Strukturelementen fanden im Jahr 2015 statt. Auf- grund des Versuchsaufbaus waren nicht an jedem Aufnahmepunkt vergleichbare Struktur- elemente zur Beprobung verfügbar (Abb. 4.4). Die vorgefundene Vielfalt der Strukturelemente bot jedoch die Möglichkeit, Präferenzen der Vogelarten bei der Wahl von Rast- und Sitzgelegen- heiten zu benennen.

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Abb. 4.4 belegt den häufigeren Aufenthalt frugivorer (=Früchte fressende) Vögel auf abgestorbe- nen Baumteilen. Anhand der Kotdichte am Boden konnte gezeigt werden, dass bevorzugt Totäste (20 n m-²) aufgesucht wurden. Unter umgeklappten Wurzeltellern erreichte die mittlere Kothau- fendichte 4,6 n m-². Im Vergleich zu den Stubben (0,8 n m-²) mit einer maximalen Höhe von einem Meter wurden unter Hochstubben (3,9 n m-²) deutlich höhere Kothaufendichten nachgewiesen. Im direkten Umfeld oder unter bereits etablierter Verjüngung von Birke und Eberesche fand sich kein Vogelkot. Zwischen den Fallenpunkten unter Fichtenverjüngung auf den Sturmwurfflächen (1,1 n m-²) und unter Fichten der Wuchsklasse Baumholz in den angrenzenden Beständen (1,8 n m-²) ließen sich keine eindeutigen Unterschiede hinsichtlich der Kothaufendichte dokumentieren. Unter den künstlich eingebrachten Sitzgelegenheiten (Einzelschutz und Zaun) war kein Vogelkot vorhanden. Insgesamt konnte eine signifikant höhere Dichte an Vogelkot (2,7 n m-²) auf Kotfallen unter Strukturelementen im Vergleich zu Kotfallen auf den Freiflächen ohne Strukturelemente nachgewiesen werden (U-Test: p=0,000). An allen Aufnahmepunkten ohne Strukturelemente er- reichte die mittlere Kothaufendichte lediglich 0,4 n m-².

Abb. 4.4: Mittlere Vogelkotdichten [n m-²] unter den beprobten Strukturelemen- ten und unter Freiflächenbedingungen

4.4.2 Schussfolgerungen für die Forstpraxis

Das Vorhandensein von Strukturelementen ist eine notwendige Voraussetzung für den endo- zoochoren Sameneintrag durch Vögel auf Freiflächen. Für eine gezielte natürliche Wiederbewal- dung von Sturmwurfflächen mit einer ausreichenden Verjüngungsdichte an endozoochor verbrei- teten Baumarten reicht die nachgewiesene Vogelkotdichte unter „realen“ Freiflächenbedingen ohne vorhandene Rast- und Sitzgelegenheiten nicht aus (u.a. MCDONNELL & STILES 1983, JORDANO & SCHUPP 2000).

Wie die Studie belegen konnte, bevorzugen frugivore Vogelarten Rast- und Sitzgelegenheiten zum Absetzen von Kot auf Freiflächen. Sie bieten oftmals Sichtschutz vor Feinden und zugleich ein weites Sichtfeld (MCDONNELL & STILES 1983, KOLLMANN 2000, ŻYWIEC & LEDWOŃ 2008). Die vorliegen- de Untersuchung weist dabei auf eine Präferenz der Vögel für stehende, stärker dimensionierte und mindestens einen Meter hohe Strukturelemente hin. Schwach dimensionierte Verjüngungs-

Mitteilungsheft 38/2020 45 | pflanzen der Birke, Eberesche oder Fichte wurden auf den untersuchten Sturmwurfflächen weit- gehend von den Vogelarten gemieden bzw. nicht zum Absetzen von Kot aufgesucht (siehe TIEBEL et al. 2017). Künstlich eingebrachte Sitzgelegenheiten stellen nur unter bestimmten Vorausset- zungen eine Alternative dar. Maßgeblich sind vor allem vertikale Strukturen mit horizontalen Ab- zweigungen und ausreichenden Sitzhöhen von mindestens anderthalb Meter (MCDONNELL & STILES 1983, MCDONNELL 1986).

Für den praktischen Umgang mit Strukturelementen auf Störungsflächen lässt sich schlussfolgern, dass eine komplette Beräumung der „Schlüsselstrukturen“ vermieden werden sollte (Abb. 4.5). Eine Reduktion der strukturellen Diversität ist weder aus ökonomischer noch aus ökologischer Sicht zu rechtfertigen. Vor allem durch das Belassen von: (i) liegendem und stehendem Totholz mit stärker dimensionierten Ästen, (ii) einer ausreichenden Anzahl an beasteten Hochstubben und (iii) geworfenen Wurzeltellern können bestmögliche Voraussetzungen für den Sameneintrag auf Sturmwurfflächen geschaffen werden. Bereits etablierte Verjüngungspflanzen endozoochor ver- breiteter Baumarten auf Störungsflächen sollten als potentielle Samenbäume möglichst erhalten werden. Fruchttragende Baumarten, wie die Eberesche, weisen den Vorteil einer frühen und reichlichen Fruktifikation im Freistand oder bei Freistellung auf, sodass diese Bäume zeitnah zur räumlichen Vernetzung der Samenquellen beitragen können (GOCKEL 2016).

Abb. 4.5: Etablierte Ebereschenverjüngung um den Stammfuß einer Altfichte (Foto: K. Tiebel)

4.5 Bodensamenbank

4.5.1 Ergebnisse

Die Untersuchungen zum Bodensamenbankpotential von Pionierbaumarten wurden für Eber- esche und Birke durchgeführt (Abb. 4.6). Für Eberesche erbrachten die Untersuchungen keine Ergebnisse. Unabhängig von den beprobten Flächen waren keine Samen dieser Baumart im Boden nachweisbar.

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Abb. 4.6: Schematische Darstellung der Probenaufbereitung des gestochenen Bodens bis zur

fertigen Keimprobe (Fotos: K. Tiebel)

Birkensamen waren dagegen für alle untersuchten Standorte nachweisbar. In den Fichtenbestän- den mit einzelbaumweise eingemischten Birken fanden sich durchschnittlich 48 n m-² keimfähige Samen, wovon 20 n m-² auf den Mineralboden und 28 n m-² auf die Auflagehorizonte entfielen (Tab. 4.2). In reinen Fichtenbeständen ohne Einzelbäume der Birke belief sich die Birkensamen- dichte auf lediglich 3 n m-². Diese befanden sich ausnahmslos in den Auflagehorizonten. In den Mineralbodenproben der Sturmwurfflächen wurden nur auf einer Fläche in unmittelbarere Nähe zum Samenbaum keimfähige Birkensamen (8 n m-²) gefunden. Auf diesen Flächen wurden jedoch nicht die Auflagenhorizonte untersucht. Unabhängig von den beprobten Standorten, nahmen die Birkensamendichten in den Proben mit zunehmender Bodentiefe signifikant ab (H-Test: p<0,001).

Tab. 4.2: Birkensamendichten [n m-²] in den untersuchten Proben der Bodensamenbank, getrennt nach den Untersuchungsflächen und Bodenschichten

BI-Einzelbaum in EB-Einzelbaum in Sturmwurf- Standorte FI-Bestand FI-Bestand flächen Schichten x ̅ sd x ̅ sd x ̅ sd Auflagehorizonte 28,0 67,918 2,5 17,609 - -

Mineralboden 20,4 58,310 0 0 8,4 55,350

Standorte: BI = Birke, EB = Eberesche; Schichten: x ̅ = arithmetischer Mittelwert, sd = Standardabweichung

4.5.2 Schussfolgerungen für die Forstpraxis

Bodensamenbanken setzen sich unabhängig vom betrachteten Ökosystem hauptsächlich aus früh- und mittelsukzessionalen Arten zusammen, sogenannten lichtbedürftigen Arten oder Stö- rungszeigern. Diese Arten sind zum Aufbau einer persistenten Bodensamenbank befähigt (DO-

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NELAN & THOMPSON 1980, BOSSUTY et al. 2002). Die Untersuchungen auf den Sturmwurfflächen zei- gen, dass die ehemalige Bodensamenbank mit dem Störungsereignis im Januar 2007 aktiviert wurde. Aufgrund des fehlenden Nachweises von Birkensamen im Mineralboden müssen ehemals im Boden befindliche Samen nach dem Sturmereignis gekeimt sein oder zum Zeitpunkt der Unter- suchung nicht mehr keimfähig gewesen sein. Der Nachweis von Birkensamen in der transienten Bodensamenbank (Auflagehorizonte) deutet dagegen auf ein neu im Aufbau befindliches Boden- samenbankreservoir hin. Wahrscheinlich werden erst mit zunehmender Bestandesentwicklung keimfähige Birkensamen in tiefere Bodenschichten gelangen.

Keimfähige Samen von Eberesche wurden in den Bodenproben der verschiedenen Untersu- chungsflächen nicht gefunden, obgleich diese Baumart die einzige Pionierbaumart ist, deren Sa- men nachweislich 3  5 Jahre im Boden überliegen kann (HILL 1979, LEDER 1992, ERLBECK 1998). Birkensamen waren dagegen auf allen Flächen nachweisbar, obwohl viele Autoren sich gegen die Bodensamenbankfähigkeit dieser Baumart aussprechen (HILL & STEVENS 1981, AMEZAGA & ONAINDIA 1997, BUCKLEY et al. 1997, EBRECHT & SCHMIDT 2008, HEINRICHS 2010). KOMULAINEN et al. (1994) schreibt jedoch, dass in Mastjahren von Birke große Mengen abgelagerter Birkensamen im Boden akkumuliert werden können, wenn die Keimbedingungen unvorteilhaft sind. Dies erklärt die ho- hen Samendichten in der transienten Bodensamenbank. Allerdings zeigt die signifikante Abnahme keimfähiger Samen mit zunehmender Bodentiefe auch eine begrenzte Verweilzeit der Birkensa- men im Boden. In verschiedenen Studien wurde die Birke infolge der divergierenden Ergebnisse unterschiedlichen Bodensamenbanktypen zugeordnet (siehe TIEBEL et al. 2018). Die Angaben zur Erhaltung der Keimfähigkeit im Boden reichen dabei von weniger als einem Jahr bis zu 4  5 Jah- ren (BAKKER et al. 1996, THOMPSON et al. 1997, BEKKER et al. 2000). Um eine kontinuierliche Verjün- gung zu gewährleisten, muss die Bodensamenbank daher so oft wie möglich aus umliegenden Samenbäumen gespeist werden.

4.6 Verjüngungsetablierung

4.6.1 Ergebnisse

Die erfassten Verjüngungsdichten auf den Kyrill-Sturmwurfflächen der Hoch- und Kammlagen betrugen für Birke 0,06  0,27 n m-² und Eberesche 0,06  0,88 n m-². Demgegenüber belief sich die Verjüngungszahl von Salweide und Zitterpappel lediglich auf 0  0,2 n m-² und 0  0,12 n m-².

Die erfassten Individuen unterlagen zudem einem art- und flächenspezifisch unterschiedlich star- ken Verbissdruck durch Wild. Die baumartenspezifischen mittleren Verbissraten lagen bei 19 %, 62 %, 65 % und 85 % für Birke, Eberesche, Pappel und Weide. Detailliertere Angaben zum Ver- bissdruck sind aus der Abb. 4.7 zu entnehmen.

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Abb. 4.7: Darstellung der relativen Häufigkeit verbissener Individuen [%] in den einzelnen Verbissklassen (=Verbissprozente an den Individuen), getrennt nach den Baumartengruppen

4.6.2 Schussfolgerungen für die Forstpraxis

Im Rahmen der Vegetationsaufnahmen wurden 8 Jahre nach Sturmwurf Verjüngungsdichten von Pionierbaumarten zwischen 4.200 - 11.700 Individuen pro ha erfasst. Bei der Gegenüberstellung mit vergleichbaren Studien ergab sich eine ausreichende Verjüngungsdichte im Sinne eines Vor- waldcharakters (siehe FALINSKA 1998, 1999, KEIDEL et al. 2008, WOHLGEMUTH & KRAMER 2015). Laut den Maßgaben von ThüringenForst galt eine Sturmwurffläche nach dem Sturm Kyrill bei einer Verjüngungsdichte von vitalen und unbeschädigten Individuen mit > 2.000 Laubbäume pro ha (= 0,2 n m-²) oder > 1.000 Nadelbäume pro ha (= 0,1 n m-²) als ausreichend wiederbewaldet (TMLNU 2009). Zum Zeitpunkt der Vegetationsaufnahmen erfüllten alle Sturmwurfflächen die quantitativen Vorgaben, obgleich die Verjüngungspflanzen oft in geklumpter Form auftraten und nicht homogen über die Fläche verteilt waren (Abb. 4.8). Allerdings muss infolge des extrem ho- hen Verbissdrucks bei fortschreitender Flächenentwicklung mit einer weiteren Reduktion der Verjüngungsdichten gerechnet werden, die sich aufgrund höherer Mortalitätsraten nach zu star- ker Schädigung der Pflanzen einstellt. Nach Aussagen von KEIDEL et al. (2008) sterben Ebereschen bei einem Terminaltriebverbiss von mehr als 80 % mit großer Wahrscheinlichkeit ab. Mit Blick auf den bereits vorhandenen dichten Begleitwuchs krautiger Pflanzen, die ein Aufwachsen neuer Pionierbaumarten erschweren, kann eine bisher als ausreichend verjüngte Fläche dadurch wieder in die Kategorie „ungenügend gesicherte Verjüngung“ fallen.

4.7 Samenbauminventur

4.7.1 Ergebnisse

Die Stichprobeninventur auf 600 ha zur Erhebung der Samenbaumvorräte von Pionierbaumarten im Thüringer Wald ergab eine deutliche Dominanz der Eberesche. Insgesamt konnten in dem Ge- biet 200 Ebereschen-Samenbäume lokalisiert werden, wovon 131 Individuen unmittelbar am Wegrand stockten. Dies entsprach einem Mittelwert von 10 n km-1 Weg. Dagegen wurden 8 Bir-

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Abb. 4.8: Mit Birke erfolgreich wiederbe- waldete Kyrill-Sturmwurffläche (Foto: K. Tiebel)

Des Weiteren traten die Samenbäume aller untersuchten Pionierbaumarten sowohl am Weg, als auch in den Waldflächen in aggregierter Form auf. Die höchsten Samenbaumdichten innerhalb der ausgewählten Stichprobenfläche wies das Revier Schneekopf im Bereich Schmücke und Schneekopf auf (Abb. 4.9). In diesem Revier waren auch alle detektierten Samenbäume der Sal- weiden und Birken angesiedelt. Die Eberesche wurde hingegen auch vereinzelt in den benachbar- ten Revieren Goldlauter, Zella-Mehlis und Zwei Wiesen nachgewiesen. Keine Samenbäume von Birke, Salweide und Eberesche fanden sich dagegen im Revier Finsterberg.

Abb. 4.9: Kartografische Darstellung der Samenbaumpotenziale an den Aufnahmepunkten (200 x 200 m) und befahrbaren Waldwegen auf der 600 ha großen Teilfläche im Unter- suchungsgebiet

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4.7.2 Schussfolgerungen für die Forstpraxis

Die Ergebnisse der Samenbauminventur haben ein unzureichendes Samenbaumpotenzial im Falle neuer Schadkatastrophen für einen großen Bereich des untersuchten Waldgebietes offengelegt. Besonders häufig fehlte es an Birken und Salweiden. Mit Ausnahme der ehemals aktiv geförder- ten Individuen an den Wegrändern waren diese Baumarten kaum in den Beständen zu finden. Aus diesem Grund ist die Schaffung von Lückeninitialen in den sonst geschlossenen Nadelwaldbestän- den zur Begründung neuer Samenbaumpotentiale unabdingbar, sowie eine aktive Förderung vor- handener Individuen empfehlenswert (ATKINSON 1992, PERALA & ALM 1990).

Auch die Eberesche ist mit Ausnahme des Revieres Schneekopf in den Waldflächen stark unterre- präsentiert. Die große Dichte von Ebereschen-Samenbäumen im Bereich Schneekopf und Schmü- cke ist der lokalen Flächengeschichte als sowjetisches Sperrgebiet geschuldet. Pionierbaumarten brauchten nicht aktiv aus Forstkulturen entnommen werden, wie es für die Wirtschaftswälder zu dieser Zeit vorgegeben war (RÖHRIG & GUSSON 1990, LEDER 1992). Dieser flächenspezifische Sonder- fall zeigt jedoch, dass Ebereschen, wenn sie im Bestand belassen werden, mit dem Hauptbestand aufwachsen und sich etablieren können. Allerdings gilt es, wie gleichermaßen für Birke und Sal- weide auch, die Baumarten aktiv zu fördern, indem Individuen oder Gruppen freigestellt werden. Denn alle Ebereschen-Samenbäume in den Beständen wiesen schlecht entwickelte Kronen, schlechte Qualitäten, geringe Stabilitäten, geringe Vitalitäten und mitunter erste Absterbeer- scheinungen auf. Dies sind die Folgen einer fehlenden Pflege in der Vergangenheit. Dichtstand und mangelhafte Kronenentwicklung geht zudem häufig mit einer unzureichenden bis ausblei- benden Fruktifikation einher (GOCKEL 2016). Für das angestrebte Ziel der natürlichen Wiederbe- waldung im Falle neuer Schadkatastrophen stellen die zweifelsfrei vorhandenen Ebereschen- Samenbäume demnach keine optimale Ausgangssituation dar.

Zur Schaffung ausreichender Samenbaumpotentiale von Pionierbaumarten in den fichtenwald- dominierten Flächen gilt es zukünftig (i) Verjüngungsinitiale zu schaffen, (ii) den Schutz der Ver- jüngung vor Wildverbiss zu gewährleisten und (iii) etablierte Individuen oder Gruppen turnusmä- ßig zu pflegen und damit die Kronenentwicklung sowie Einzelbaumstabilität zu fördern.

Danksagung

Die Studie wurde überhaupt erst möglich durch ein Promotionsstipendium der Deutschen Bun- desstiftung Umwelt (DBU) für Katharina Tiebel. Des Weiteren ist ThüringenForst, insbesondere dem Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha, für die finanzielle Unterstützung der umfangrei- chen Untersuchungen zur Samenausbreitung von Salweide zu danken. Sonja Gockel (Modellpro- jekt "Waldumbau in den mittleren, Hoch- und Kammlagen des Thüringer Waldes“) und den Mit- arbeitern von ThüringenForst gilt unser Dank für die Flächenbereitstellung. Ein besonderer Dank geht an Antje Karge, Angelika Otto, Alexandra Wehnert, Jörg Wollmerstädt und Julia Möhring für die Unterstützung während der umfangreichen Feldaufnahmen, sowie an die Forstwirte von Thü- ringenForst für die Vor- und Nachbereitung der Versuchsflächen.

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Literatur

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5 Phänomene der Baumernährung auf Gips-Standorten

Chmara, Ines; Heinze, Martin; Burse, Karl

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (ThüringenForst) Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha E-Mail: [email protected]

Forstliche Standorte auf Gips sind in Thüringen zwar nur kleinflächig zu finden, umso interessan- ter ist jedoch ihre Spezifik und ihr wissenschaftlicher Wert. Ungewöhnliche Eigenschaften und Merkmalskombinationen kennzeichnen die Gips-Standorte und stellen alle bislang bekannten Wege des Nährstofftransportes und der Baumernährung auf den Prüfstand.

Im Kyffhäusergebirge stocken derzeit rund 20 % der Bestände auf Gipsstandorten und deren Ver- witterungsprodukten. Das ca. 80 km² umfassende Kleingebirge am nördlichen Rand des Thüringer Beckens bildet eine asymmetrische Pultscholle, die im Norden mit einer imposanten Bruchstufe die Helme-Niederung („Goldene Aue“) und das angrenzende Buntsandsteinvorland des Südharzes um mehr als 200 m überragt. Die südliche Abdachung des Kyffhäusergebirges fällt mit der ober- flächig ausstreichenden Schichtfolge des Zechsteins zusammen. Auf einer Breite von 2 bis 3 km und einer NW-O-Erstreckung von bis zu 17 km haben die Zechsteingipse ein stark zergliedertes Mikro- und Makrorelief hervorgebracht, das als "Gipskarstlandschaft des südlichen Kyffhäusers" wegen seiner Einmaligkeit unter Schutz gestellt wurde.

Abb. 5.1: Gipskarstlandschaft Kyffhäuser (Fotos:R. Süß)

Das Bodensubstrat (Gestein) ist hier hauptsächlich Gips, es treten inselartig aber immer wieder Stinkschieferbeimengungen in wenigen Zentimeter dicken Schleiern und Lößablagerungen bis zu einigen Metern Dicke auf. In den Mulden hat sich stark humoses Kolluvium („schwarzes Material“) gesammelt - ein Gemisch aus den in der Umgebung anstehenden Substraten und des eingeweh- ten Laubes. Dieses „schwarze Material“ und die Nichtgips-Inseln sind für die Ernährung und das Wachstum der Bäume im Kyffhäuser von entscheidender Bedeutung.

Die Gipsstandorte bzw. die auf Gips stockenden Buchenbestände weisen vor allem im Hinblick auf die Baumernährung zahlreiche Phänomene auf (HEINZE 1998, CHMARA 2009):

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Nährkraftstufen

Die Nährkraftstufen der ostdeutschen Standortskartierung haben sich bei Standorten mit einer ausgeglichenen Nährelementversorgung bewährt, versagen jedoch bei reinen Gipsstandorten. Das Calciumangebot ist hier extrem hoch, das Kaliumangebot niedrig, der pH-Wert sauer, die Ve- getation spärlich und ohne Basenzeiger. Laut Standorterkundungsanweisung (VEB FORSTPROJEKTIE- RUNG POTSDAM 1974) müsste man die Gipsstandorte als ziemlich arme Standorte (Z) einstufen, wird damit jedoch den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht. pH-Wert-Calcium-Phänomen

Auf den reinen Gipsböden sind in der Bodenlösung bei hohen Calciumkonzentrationen fast durchweg niedrige pH-Wert zu finden. Auf Gips lässt sich also grundsätzlich die Säurewirkung von der Calciumwirkung trennen - das ist bei keinem anderen Boden der Fall. So wachsen hier trotz der hohen Calciumkonzentrationen stellenweise Besenheide (Calluna vulgaris) und Heidelbeere (Vaccinium myrtillus).

Calcium-Schwefel-Phänomen

Trotz der sehr hohen Calcium- und Schwefelvorräte im Boden ist die Ca- und S-Ernährung der aufstockenden Buchenbestände nicht überdurchschnittlich luxuriös.

Kalium-Phosphor-Phänomen

Die K-und die P-Ernährung ist trotz extrem geringer Bodenvorräte besser als erwartet. Ein Ca-K- Antagonismus wurde nicht gefunden.

Aluminium-Phänomen

Auf Silikat-, Carbonat- und Gipsstandorten sind trotz sehr unterschiedlicher Aluminium-Konzen- trationen im Boden und in der Bodenlösung vergleichbare Al-Gehalte in den Blättern feststellbar.

Zur Aufklärung dieser Phänomene werden seit den 1990er-Jahren im Kyffhäusergebirge Monito- ringprogramme und wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt. Insbesondere die langjähri- gen Mess- und Beobachtungsreihen des Forstlichen Umweltmonitoring liefern wertvolle Erkennt- nisse zur Erklärung der o.g. Phänomene.

Im Rahmen des Forstlichen Umweltmonitoring werden landesweit 14 Wald- und Hauptmessstati- onen betrieben. Die Waldmessstation im Kyffhäusergebirge (WMS Kyffhäuser, Abb. 5.2) befindet sich im südlichen Teil des Kyffhäusergebirges, ca. 3 km nordöstlich der „Barbarossahöhle“ an ei- nem exponierten Südosthang der Herrenköpfe in 300 m NN. Der seit 2013 durch Sturmschäden stark aufgelichtete Buchenbestand ist 196 Jahre alt, die Grundfläche lag vor der Auflichtung bei 29 2 m /ha, der Vorrat bei 461 Vfm/ha. Nach der Ertragstafel von DITTMAR et.al. (1983) wurde der Be- stand in die III. Bonität eingestuft. Da das Gebiet um die Waldmessstation als Stilllegungsfläche (Prozessschutzfläche ohne forstliche Nutzung und Pflege) deklariert ist, werden hier seit 2012 keine forstlichen Maßnahmen mehr durchgeführt.

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Die Messstation wird seit 1996 mit folgendem Untersuchungsprogramm betrieben:

Messungen/Untersuchungen im Frei- Messungen/Untersuchungen unter dem Kronen- land dach  Kronendurchlassmenge und –qualität  Niederschlagsmenge und –qualität (14-tägige Sammelprobe) (14-tägige Sammelprobe)  Stammabflussmenge und -qualität (14-tägige Sammelprobe) Messungen/Untersuchungen am bzw. im Waldbo- Untersuchungen im Waldbestand den  Kronenzustand (jährlich)  Sickerwasserqualität (14-tägige Sammelprobe im  Waldernährung (jährlich) Humus und in 50 und 100 cm Bodentiefe)  Waldwachstum (alle 5 Jahre)  Quellwasser (14- tägige Schüttungsmessung/  Phänologie (wöchentlich) Probenahme)  Bodenzustand (alle 10 Jahre)  Vegetationsaufnahmen (alle 5 Jahre)  Bodenwassergehalt/Bodensaugspannung, Luft- /Bodentemperatur (halbstündlich, seit 2010)

Thür. Forstamt: Sondershausen Revier: Steinthaleben Abt./Uabt./Tfl.: 917 a4 Geologie: Perm - Zechstein Gestein: Anhydrit (Gips) Bodentyp: Gips-Rendzina Nährkraft: nicht eindeutig zuordenbar Forstliche Klimastufe: Vm – Hügelland mit mäßig trockenem Klima reliefbedingte Wasserhaushaltsstufe: mäßig trocken (Umfeld WMS) Waldgesellschaft (pnV): Orchideen- Buchenwald Waldbestand: einschichtiger Buchen- Reinbestand, 194 Jahre, III. Bonität

Jahresdurchschnittstemperatur (°C)

1901 - 1950 1951 - 1980 1961 - 1990 1971 - 2000 1981 - 2010 1987 - 2016 Flächenmittelwert Thüringen (DWD) 7,6 7,6 7,6 7,9 8,2 8,5 WMS Kyffhäuser am Herrenkopf (interpoliert, 1x1 km Pixel) 7,6 7,8 8,1 8,7 8,7 Jahresniederschlagssumme (mm) [korrigiert nach RICHTER]

1901 - 1950 1951 - 1980 1961 - 1990 1971 - 2000 1981 - 2010 1987 - 2016 Flächenmittelwert Thüringen (DWD) 691 694 700 705 741 729 WMS Kyffhäuser am Herrenkopf (interpoliert, 1x1 km Pixel) 579 598 589 624 622

Abb. 5.2: Beschreibung und Lage der Waldmessstation Kyffhäuser

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Abb. 5.3: Ursprüngliche Ansicht der Wald- messstation Kyffhäuser vor den Sturm- schäden (Foto: I. Chmara)

Das Bodenprofil (Abb. 5.4) ist aufgrund der standörtlichen Besonderheiten (Gipsbuckelrelief) nicht ganz eindeutig zu beschreiben. Die Kartierung schwankt zwischen einem A-C-Boden (Rendzina), den man auf Grund des geringmächtigen Ai-Horizonts zu einer Gips-Rendzina im Initialstadium stellen könnte und einem Gipsschluff-Syrosem. Die Auflage besteht aus Buchenstreu und ist als humusreicher Moder anzusprechen. Im Umfeld der Messstation variiert die organische Auflage zwischen 0 cm an den exponierten Gips-Kuppen bis 80 cm in den Mulden der Quellkuppenland- schaft.

Tiefe (cm) Horizonte Beschreibung

+ 13 L + 10 Of Moder + 5 Oh - 2 I Ai Horizont mit initialer Bodenbildung

- 80 I Cv angewitterter bzw. ver- witterter, mehlig- schluffiger Untergrund- horizont der Zersatzzone

- 120 II Cn anstehendes festes Gipsgestein

Abb. 5.4: Bodenprofil am Standort WMS Kyffhäuser

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Der Ai-Horizont ist ca. 2 cm mächtig und liegt auf einem locker gelagerten, mehlig-schluffigen, stark verwitterten, etwa 80 cm mächtigen Untergrundhorizont (lCv-Horizont). Auffällig sind die beigefarbenen Schlieren und ein wahrscheinlich angewitterter Skelettrest des als Zersatzzone angesprochenen lCv-Horizonts. Die Einfärbungen lassen hier auf Einwaschungen schließen. Weni- ge Meter oberhalb der Bodengrube lagert eine dünne Schicht dolomitischer Kalk (Stinkschiefer), dessen Sickerwässer hangabwärts geflossen und in den Gipsboden eingedrungen sind. Das erklärt auch das Vorhandensein einer typisch reichen Vegetation, wie z.B. dem Waldbingelkraut (Mer- curialis perennis). Ab 80 cm beginnt der von der Bodenbildung unberührte Cn-Horizont. Feinwur- zelgeflechte sind hauptsächlich in der organischen Auflage und bis in 10 cm Tiefe zu finden, da- runter werden sie immer spärlicher.

Tab. 5.1: Körnungsanalyse/Bodenarten am Standort WMS Kyffhäuser

Entnahmetiefe (cm) Sand (%) Schluff (%) Ton (%) Bodenart 0-5 (Ai) 16,5 70,8 12,7 mitteltoniger Schluff

5-10 (Cv) 16,6 64,4 19,0 sandig-lehmiger Schluff

20-25 (Cv) 33,7 57,1 9,2 sandig-lehmiger Schluff

40-45 (Cv) 10,7 64,8 24,5 schluffiger Lehm

70-75 (Cv) 25,4 60,5 14,1 sandig-lehmiger Schluff

Die anhand der Bodenarten für den Hauptwurzelraum (bis 90 cm Tiefe) berechnete nutzbare Wasserspeicherkapazität (nWSK) ist mit 214 l/m2 sehr hoch. Allerdings ist das Wasser im Gips teilweise sehr fest gebunden. Die an der Waldmessstation installierte Anlage zur Bodensicker- wassergewinnung liefert nur wenige Proben im Jahr und die über drei Jahre hinweg durchgeführ- ten Messungen zur Bodensaugspannung zeigen, dass vor allem in den Sommermonaten kaum pflanzenverfügbares Wasser vorhanden ist.

Die effektive Kationenaustauschkapazität (Ake) und die Basensättigung (BS) sind aufgrund der Ca- Dominanz über das gesamte Profil hinweg sehr hoch. Dem gegenüber stehen relativ niedrige pH-

Werte und ein Carbonatgehalt (CaCO3) < 0,5 % in den ersten 30 cm des Mineralbodens. In der Tiefenstufe 30-60 cm steigen der pH-Wert, der Carbonatgehalt und die Mg- und Na-Vorräte deut- lich an (Tab. 5.2), im Kontext zum Anstieg des Tongehaltes deutet das auf die oben beschriebenen Einwaschungen hin.

Die kurz- bis mittelfristig verfügbaren K-Vorräte sind im gesamten Wurzelraum erwartungsgemäß extrem niedrig (Tab. 5.2) und müssten normalerweise zu einer defizitären K-Ernährung der Buche mit ausgeprägten Schadbildern (braune Nekrosen am Blattrand, Vergilbungen zwischen den Blattadern) führen. Das ist jedoch nicht der Fall. Dasselbe gilt für die P-Ernährung, die zwar man- gelhaft, in Anbetracht der extrem geringen P-Vorräte im Boden (Tab. 5.5) aber trotzdem erstaun- lich moderat ist. Sichtbare P-Mangelsymptome traten auch bei stärkerem Mangel bislang noch nicht auf.

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Tab. 5.2: Bodenkennwerte und kurz-/mittelfristig verfügbare Vorräte im effektiven Wurzelraum

]

Kurzfristig verfügbare Nährstoffe ] %

O) [

2 % stufe 3 [ µmol µmol

K* Ca* Mg* Na Fe Al Mn IÄ/g BS pH (H pH CaCO AKe

Tiefen kg/ha

L 5,2 520 99 <0,5 1,7 29,0 2,3 0,0 0,0 0,003 0,59

Of 6,2 1.440 99 0,7 5,9 541,2 17,4 0,5 0,0 0,018 3,85

Oh 5,3 1.070 99 0,6 7,4 1.239,1 24,7 2,3 0,1 1,989 9,33

0-5 4,2 3.282 100 <0,5 10,3 28.634,3 10,6 11,0 2,4 19,259 9,61

5-10 4,0 3.238 100 <0,5 8,8 29.144,3 2,2 9,3 3,4 21,06 1,24

10-30 5,6 2.561 100 <0,5 65,8 95.767,1 13,6 64,2 3,5 25,206 5,13

30-60 7,2 2.051 100 1,6 11,2 117.463,6 114,9 157,6 5,3 15,464 7,88

60-90 7,7 1.844 100 2,1 11,4 107.080,9 63,5 113,1 5,4 2,611 7,98

 122,4 379.899,5 249,4 358,0 20,2 85,6 45,6

* Bewertung gemäß Forstliche Standortaufnahme, 7. Auflage (blau: sehr gering/gering, gelb: sehr hoch)

Bei den von BUTZ-BRAUN (2012) durchgeführten Tonmineralanalysen konnte ausschließlich Gips nachgewiesen werden. Lediglich die Kristallinität des Gipses verändert sich kontinuierlich über die fünf beprobten und analysierten Tiefenstufen. Neben Gips treten weniger als 1 % andere Minera- le auf, die allerdings unterhalb der Nachweisgrenze liegen und somit nicht identifiziert werden können. Der Anteil an freisetzbaren (Nährstoff-)Kationen ist mit Ausnahme von Calcium extrem gering. Der Anteil an Na, K und Mg liegt in der Gesamtprobe der Tiefenstufe 0-5 cm für alle drei Elemente zusammen bei nur 0,03 %.

Das lässt den Schluss zu, dass die Nährstoffversorgung der Bäume nicht bzw. nur in sehr geringem Maße über den bekannten Weg des Kationenaustausches im Mineralboden stattfindet. Das Wachstum und der relativ gute Zustand des aufstockenden 196jährigen Buchenbestandes spre- chen dafür, dass die Nährstoffaufnahme entweder weitestgehend aus der organischen Auflage („schwarzes Material“) erfolgt und/oder die Bäume durch Wurzelvernetzungen und Symbiosen die aus oberflächigen Ablagerungen und Stinkschiefer- und Lößbeimengungen gewonnenen Nähr- stoffe über längere Strecken transportieren und an ihre „Artgenossen“ weiterreichen. Für einen gezielten Nährstofftransport sprechen u.a. die Untersuchungen von BETHGE (2007). Er hat nach- gewiesen, dass die Buchen im Kyffhäuser Phosphor über Wurzelverwachsungen von Baum zu Baum weitergeben.

Die Ergebnisse der Waldernährung an der Messstation und die nach den letzten Sturmwürfen gut sichtbare Wurzelverteilung stützen die o.g. Theorien. Große Teile des Feinwurzelsystems befinden sich in bzw. unmittelbar unterhalb der organischen Auflage. Im tieferen Gips findet man nur noch vereinzelt Feinwurzelgeflechte, es überwiegen hier die starken und mittelstarken Wurzeln. Diese ungewöhnliche Wurzelverteilung könnte eine der Ursachen für die relativ moderaten Ca- und S-

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Gehalte in den Buchenblättern sein (Abb. 5.5), die – gemessen an den verfügbaren Bodenvorräten (Tab. 5.2) – eigentlich deutlich höher ausfallen müssten.

Abb. 5.5: Ca- und S-Gehalte in Buchenblättern (Bewertung nach GÖTTLEIN et al., 2011; schwarze Linie – Überschuss- bzw. Mangelgrenze)

Denkbar ist aber auch, dass Bäume grundsätzlich in der Lage sind, die Aufnahme von Nährstoffen aktiv zu steuern und zu differenzieren. Das heißt, bei einem Überschuss wird die Aufnahme des betreffenden Nährstoffes gedrosselt, während mangelhaft vorhandene Stoffe bevorzugt aufge- nommen werden. Dafür sprechen die Untersuchungen von ENDERS (1997) und HEINZE (1998), die in den 1990er Jahren die Ernährung der Buche auf verschiedenen Standorten im Kyffhäuser unter- sucht haben (Tab. 5.3).

Tab. 5.3: Elementgehalte in den Blättern junger Rotbuchen (Mittelwerte und Variationsbreiten) (TRM – Trockenmasse)

Silikatstandorte Carbonatstandorte Gipsstandorte

Schwefel (% TRM) 0,22 (0,21-0,24) 0,23 (0,22-0,24) 0,42 (0,42-0,43)

Calcium (% TRM) 0,89 (0,80-1,10) 1,42 (1,40-1,43) 1,60 (1,57-1,66)

Kalium (% TRM) 0,68 (0,57-0,85) 0,60 (0,57-0,62) 0,72 (0,64-0,79)

Aluminium (ppm TRM) 68 (37-111) 40 (37-42) 54 (53-55)

Um die Fähigkeit der Buchen aufzuzeigen, dass sie bei der Aufnahme von Stoffen aus dem Boden differenzieren - also bestimmte Stoffe bevorzugt aufzunehmen und andere Stoffe unterdrücken können, wurden Übertragungskoeffizienten vom Boden zum Blatt für Schwefel, Calcium, Kalium und Aluminium errechnet (Tab. 5.4). Der Übertragungskoeffizient ist der Quotient aus der Kon- zentration des Elements in den Blättern dividiert durch die Konzentration des Elements im Boden (Gesamtkonzentration aus der Vollanalyse).

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Tab. 5.4: Element-Übertragungskoeffizienten vom Boden zu den Blättern junger Rotbuchen am Kyffhäuser (Mittelwerte und Variationsbreiten)

Silikatstandorte Carbonatstandorte Gipsstandorte

Schwefel 4,4 (1,1-21,0) 2,3 (2,0-2,8) 0,02 (0,02-0,03)

Calcium 4,2 (1,9-40,0) 0.16 (0,15-0,17) 0,13 (0,12-0,13)

Kalium 3,2 (2,4-5,2) 1,1 (1,1-1,2) 120 (116-132)

Aluminium 0,0046 (0,0042-0,0070) 0,0014 (0,0013-0,0014) 0,17 (0,13-0,23)

Die Übertragungskoeffizienten zeigen, dass die Buchen in der Lage sind, die Aufnahme von Näh- relementen bei einem Überangebot zu drosseln (z. B. die Schwefel auf Gipsstandorten) und wenig vorhandene Nährelemente bevorzugt aufzunehmen (z. B. Kalium auf Gipsstandorten). Bemer- kenswert ist an dieser Stelle auch die Bevorzugung des Aluminiums auf den von Natur aus alumi- niumarmen Gipsstandorten. Das könnte bedeuten, dass eine konstante Al-Versorgung zur Auf- rechterhaltung lebensnotwendiger Prozesse notwendig ist und Aluminium im Nährstoffkreislauf der Bäume eine größere Bedeutung hat als bislang angenommen.

Bei den Untersuchungen von ENDERS (1997) und HEINZE (1998) bewegen sich die Ca- und K-Gehalte in einem ähnlichen Rahmen wie die Werte der langjährigen Messreihen an der Waldmessstation (Abb. 5.5 und Abb. 5.6), während die S-Gehalte in den jungen Buchenblättern auf den Gipsstand- orten wesentlich höher lagen (Tab. 5.3). An der Messstation wurden zu Beginn der Messungen 1998 ebenfalls höhere S-Gehalte in Buchenblättern festgestellt, die im Kontext zu den damals noch deutlich höheren, immissionsbedingten Sulfat-Schwefeleinträgen stehen. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass Bäume in der Lage sind, die Aufnahme von Schwefel natürlichen Ur- sprungs zu drosseln, während ihnen das bei einem Überangebot an Schwefel aus anthropogenen Quellen nicht gelingt bzw. der Drosselungsmechanismus dann nicht mehr ausreicht. Auf jeden Fall sollte bei der Beurteilung der S-Gehalte in Blättern/Nadeln immer zwischen einem bodenspezi- fisch-natürlichen Maß (z.B. auf Gipsstandorten) und den Grenzwerten zur Bioindikation für Luft- schadstoffimmissionen (z.B. im Erzgebirge) unterschieden werden.

Die Kalium-Ernährung des Buchenbestandes an der Waldmessstation findet mit großer Wahr- scheinlichkeit sowohl über eine Verwertung externer K-Einträge direkt aus dem Oh-Horizont als auch über einen K-Transport von Baum zu Baum statt. Für die Verwertung des mit dem Nieder- schlag eingetragenen Kaliums sprechen die in bzw. direkt unterhalb der Humusschicht gemesse- nen K-Konzentrationen der Bodenlösung, die deutlich höher sind als in den tieferen Bodenschich- ten. Der jährliche K-Eintrag liegt im Kyffhäusergebirge zwischen 7 und 19 kg/ha. Als zusätzliche Kaliumquelle reicht diese Menge allerdings bei Weitem nicht aus, um die seit 1998 in den Bu- chenblättern gemessenen K-Gehalte (Abb. 5.6links) zu erzielen. Das leicht lösliche Kalium wird höchstwahrscheinlich von Buchen, die auf besser K-versorgten Bereichen (Löß, Stinkschiefer) sto- cken, aufgenommen und über ein vernetztes Wurzelsystem von Baum zu Baum weitertranspor- tiert.

Ähnlich dürfte es auch beim Phosphor sein. Da die P-Ernährung der Bäume in erster Linie von der P-Ausstattung und P–Verfügbarkeit im Mineralboden abhängt, ist ein latenter P-Mangel am Standort Kyffhäuser programmiert. Der organisch gebundene Phosphor im „schwarzen Material“

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und die externen jährlichen P-Einträge mit dem Niederschlag (0,3-2 kg PO4/ha) reichen nicht aus, um den Bedarf des aufstockenden Buchenbestandes zu decken. Dennoch liegen die P-Gehalte in den meisten Jahren nur wenig unterhalb der Mangelgrenze (Abb. 5.6 rechts), so dass dies für ei- nen Transport von Baum zu Baum spricht.

Abb. 5.6: K- und P-Gehalte in Buchenblättern (Bewertung nach GÖTTLEIN et al., 2011; schwarze Linie – Überschuss- bzw. Mangelgrenze)

Die Mg-Gehalte liegen in allen Untersuchungsjahren durchweg im Bereich der normalen Versor- gung (Abb. 5.7). Hier werden die in 30-60 cm Bodentiefe vorhandenen Mg-Vorräte wahrscheinlich sehr effizient genutzt, die höheren Mg-Konzentrationen in der Bodenlösung in 50 cm Tiefe spre- chen dafür. Zusätzlich liefern die jährlichen Einträge mit dem Niederschlag Magnesium nach, wenngleich auch mit 1-3 kg/ha auf einem sehr niedrigen Niveau.

Abb. 5.7: Mg-Gehalte in Buchenblättern (Bewertung nach GÖTTLEIN et al., 2011; schwarze Linie – Überschuss- bzw. Mangelgrenze)

Der für Gips typische Fe-Mangel ist sehr stark ausgeprägt (Abb. 5.8 links), vor allem in trockenen Jahren führt das verstärkt zu Chlorosen mit sichtbaren Blattverfärbungen. Die niedrigen Zn- Gehalte (Abb. 5.8 rechts) in den Buchenblättern passen ebenfalls zum Standort und zur Wurzel- verteilung. Eisen und Zink werden nur in minimalen Mengen (< 0,5 kg/ha*a) über den Luftpfad eingetragen, so dass hier mit dem Niederschlag keine Zuführung erfolgt.

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Abb. 5.8: Fe- und Zn-Gehalte in Buchenblättern (Bewertung nach GÖTTLEIN et al., 2011; schwarze Linie – Überschuss- bzw. Mangelgrenze)

Gemäß den Bewertungskriterien der Forstlichen Standortaufnahme ist der Gehalt an organischem

Kohlenstoff (Corg) ist im effektiven Wurzelraum an der WMS Kyffhäuser mit 99 t/ha relativ gering. Die in Tab. 5.5 dargestellten Ergebnisse passen sowohl zu den stark schwankenden Humusmäch- tigkeiten als auch zur Wurzelverteilung.

Die Stickstoffvorräte im Boden liegen mit 5 t/ha (Tab. 5.5) im gering-mittleren Bereich, gleichzeitig sind die N-Gehalte in den Buchenblättern teilweise extrem hoch (Abb. 5.9). Das bedeutet, der 196jährige Buchenbestand verwertet fast den gesamten vorhandenen Stickstoff. Dieser ist bei einem C/N-Verhältnis von 15,9 im Oh-Horizont gut verfügbar.

Tab. 5.5: Langfristige Vorräte im effektiven Wurzelraum (Königswasseraufschluss)

Langfristig freisetzbare Nährstoffe

Ca* K* Mg* P S Zn Corg* N*

Tiefenstufe kg/ha kg/ha kg/ha kg/ha kg/ha kg/ha t/ha t/ha

L k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. 1,54 0,05

Of 686 11,80 19,60 11,60 42 1,78 8,63 0,47

Oh 1.328 67,29 158,22 33,34 119 11,09 16,42 1,03

0-5 65.143 236,09 594,59 48,09 51.152 18,97 23,87 1,40

5-10 95.957 19,37 49,56 11,26 77.937 2,53 5,45 0,27

10-30 383.186 59,81 128,97 31,78 310.287 12,80 18,69 0,75

30-60 610.628 83,14 344,02 57,34 495.956 1,92 18,63 1,15

60-90 630.168 84,22 2.323,20 49,37 499.488 0,67 7,55 0,29

 1.787.095 562 3.618 243 1.434.982 50 99 5

* Bewertung gem. Forstliche Standortaufnahme, 7. Auflage (blau: sehr gering/gering, gelb: sehr hoch)

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Landesweit sind im Kyffhäusergebirge die höchsten N-Gehalte in Buchenblättern zu verzeichnen. Die Überschussgrenze wird an der WMS Kyffhäuser seit Messbeginn deutlich überschritten (Abb. 5.9).

Abb. 5.9: N-Gehalte in Buchenblättern (Bewertung nach GÖTTLEIN et al., 2011; schwarze Linie – Überschuss- bzw. Mangelgrenze)

Diese z.T. sehr hohen N-Gehalte in den Buchenblättern lassen sich nur teilweise mit hohen Stick- stoffeinträgen und der Überschreitung kritischer Belastungsgrenzen (Critical loads) für eutrophie- renden Stickstoff erklären. Critical loads sind naturwissenschaftlich begründete Grenzwerte, die zur Beurteilung der Auswirkung von Luftschadstoffen auf unsere Umwelt ermittelt werden (CHMA- RA et al. 2012 und SCHLUTOW und RITTER 2018). Bei deren Berechnung wurde die Standortsituation im Kyffhäuser mit berücksichtigt. Es liegt also auch hier die Vermutung nahe, dass aufgrund der außergewöhnlichen Feinwurzelverteilung der gesamte Stickstoff unmittelbar und ausschließlich aus dem Oh-Horizont aufgenommen wird. Im Oh-Horizont treffen hohe N-Konzentrationen (v.a.

NO3) in der Bodenlösung mit einer hohen Anzahl an Feinwurzeln zusammen.

Abb. 5.10: Überschreitung des Critical load für eutrophierenden Stickstoff am Standort Kyffhäuser

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Die aufgeführten Ergebnisse unterstreichen die Besonderheiten der Waldernährung auf Gips- standorten, zeigen aber auch die große Anpassungsfähigkeit unserer Waldbäume an außerge- wöhnliche Standortbedingungen. Trotz der Notwendigkeit weiterführender Untersuchungen ist und bleibt es ein Phänomen, dass die auf reinem Gips stockenden Waldbestände im Kyffhäuser- gebirge seit vielen hundert Jahren unter schwierigsten Bedingungen leben und überleben.

Literatur

ARBEITSKREIS STANDORTKARTIERUNG IN DER ARBEISTGEMEINSCHAFT FORSTEINRICHTUNG (2016):Forstliche Standortaufnahme, 7. Auflage, BHW-Verlag Eching, 400 S. BETHGE, C. (2007): Untersuchungen von Stofftransporten über intraspezifische Wurzelverwach- sungen der Rotbuche (Fagus sylvatica L.). Diplomarbeit FH Schwarzburg, unveröff. BUTZ-BRAUN,R. (2012): Tonminerale als Indikator für die Nährstoffverfügbarkeit – Ergebnisse der Thüringer Wald- und Hauptmessstationen, in: Mitteilungsheft 1/2012 der Thüringenforst AöR „Wie belastbar ist unser Wald? – Ergebnisse des Forstlichen Umweltmonitoring in Thüringen“ CHMARA, I. (2009): Ergebnisbericht Waldmessstation Kyffhäuser, unveröff. CHMARA, I., SÜSS. R., WENZEL, A. (2012): Forstliches Umweltmonitoring in Thüringen, in: Mittei- lungsheft 1/2012 der Thüringenforst AöR „Wie belastbar ist unser Wald? – Ergebnisse des Forstlichen Umweltmonitoring in Thüringen“ CHMARA, I., NAGEL, H.-D., SCHEUSCHNER, T. (2012): Ökologische Belastungsgrenzen als Indikator für eine nachhaltige Waldgesundheit, in: Mitteilungsheft 1/2012 der Thüringenforst AöR „Wie belastbar ist unser Wald? – Ergebnisse des Forstlichen Umweltmonitoring in Thüringen“ DITTMAR, 0., KNAPP, L., LEMBCKE, G. (1983): DDR-Buchenertragstafel, Institut für Forstwissenschaf- ten Eberswalde. 59 S. ENDERS, L. (1997): Ernährung der Rotbuche (Fagus sylvatica L.) auf Silikat-, Karbonat- und Sulfat- standorten in Nordthüringen, Diplomarbeit FH Schwarzburg, unveröff. HEINZE, M.(1998): Die Ernährung von Waldbäumen auf Gipsstandorten, Forstw. Cbl. 117 (1998), S. 267-276 SCHLUTOW, A., RITTER. A. (2018): Aktualisierung der Berechnung von ökologischen Belastungsgren- zen (Critical Loads) und ihren Überschreitungen für 14 Thüringer Wald- und Hauptmess- stationen, unveröff. VEB FORSTPROJEKTIERUNG POTSDAM (1974) : Anweisung für die forstliche Standortserkundung in der DDR (Standortserkundungs-Anweisung /SEA 74)

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6 Verbundprojekt ‚FIRIS‘ - Die thüringisch-sächsischen Fichtengebiete im Spannungsfeld von Waldbau und Klimawandel

Wernicke, Jakob; Körner, Michael; Wenzel, Ralf; Münder, Kristian; Seltmann, Torsten; Martens, Sven

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (ThüringenForst) Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha E-Mail: [email protected]

6.1 Motivation und Zielstellung

Im thüringisch-sächsischen Mittelgebirgsraum stellt die gemeine Fichte (Picea abies (L.) Karst.) mit einem Holzbodenanteil von 36,4 % (38,4 % Thüringen, 34,4 % Sachsen) die Hauptbaumart dar (bwi.info). Die wirtschaftliche Bedeutung der Fichtengebiete spiegelt sich in einem jährlichen Hiebsatz von 2.641*10m³/a (Thüringen), bzw. 1.641*10³m³/a (Sachsen) wider (Vorrat des genutz- ten, rechnerischen Reinbestandes: bwi.info). Demgegenüber stehen in vielen Regionen Fichten- reinbestände der III. und IV. Altersklasse, die häufig durch horizontale und vertikale Strukturarmut sowie ungünstige h/d-Verhältnisse gekennzeichnet sind. Zudem befindet sich das natürliche Ver- breitungsareal der in Thüringen und Sachsen angebauten Fichten in den kühl-humiden Gebieten der höheren Breiten oberhalb von 800m üNN (Aas 2017). Die klimatischen Verhältnisse der Mit- telgebirge bilden daher nur einen bedingt geeigneten Wuchsraum (siehe Abb. 6.1 Klimaverhält- nisse des natürlichen Fichtenverbreitungsareals (grün) im Vergleich zu den Klimaverhältnissen der Fichtenbestände in Thüringen (blau)). Negative Wachstumsentwicklungen infolge langfristig stei- gender Temperaturen und sinkender Niederschläge (besonders in den Sommermonaten) sowie Extremereignisse (z.B. extreme Trocknis 2003, 2006, 2018) werden in Mitteldeutschland gehäuft auftreten.

Abb. 6.1: Ökogramm der Fichtengebiete (a) Thüringens und (b) Sachsen (blau markiert, je dunk-

ler, desto mehr Flächen in diesem Klimabereich) im Vergleich zu den schematisch dar- gestellten Klimaverhältnissen des natürlichen Fichtenhabitats (grün markiert, nach KÖLLING et al. (2010)). Datengrundlage: REKIS-Klimadaten (Klimaperiode 1981-2010) so- wie die Forsteinrichtungsdaten für Thüringen und Sachsen

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Die durch Witterung prädisponierten Bestände weisen ein erhebliches biotisches und abiotisches Kalamitätsrisiko auf. Die Wurzelräume, insbesondere von Reinbeständen (Wurzelkonkurrenz), sind oftmals schlecht entwickelt und besitzen gegenüber Trocken- und Windstress nur geringe Widerstandskraft (BINDER und HÖLLERL 2017). Geschwächte Bestände sind ideale Habitate für rin- denbrütende Schadinsekten, die beispielsweise im Trockensommer 2003 in Thüringen ca. 332.000 fm Kalamitätsholz verursachten (ARENHÖVEL et al. 2017). Für Thüringen sind 2018 bereits 405.976 fm Käferholz gemeldet (Summe der von den Revieren gemeldeten Schadholzmengen zwischen 01.06.-15.09.2018) und bis Mai 2019 wird diese Zahl höchst wahrscheinlich auf über 1Mio. fm anwachsen (ThüringenForst Vorstandsinformationen 09/2018). Ähnlich stellt sich die Situation ins Sachsen dar, wo bis Mitte Oktober 2018 „etwa 340.000 m³ Fichtenholz vom Buchdrucker, zum Teil in Kombination mit dem Kupferstecher befallen“ waren (SZ-online.de). Das sind für Sachsen die höchsten Buchdrucker-Befallszahlen seit 1946 und übersteigen schon jetzt die Rekordzahlen von 1947 (300.000m³). KURTH (1994) schätzt dass in den intensiv bewirtschafteten Nadelholzge- bieten Mitteleuropas jährlich ca. 1 Efm/ha der Zufallsnutzung zugerechnet werden muss. Diese Gegebenheiten könnten sich unter der prognostizierten und klimainduzierten Wuchsraumver- schiebung häufen und verstärken (FRISCHBIER und PROFFT 2010).

Aus forstwirtschaftlicher Perspektive wird „Risiko“ häufig als Mortalitätswahrscheinlichkeit ein- zelner Bäume oder Bestände durch das Auftreten extremer Witterungsereignisse sowie dadurch induzierte Sekundärschädigungen (z.B. Buchdrucker oder Kupferstecher) definiert (KÖLLING et al. 2010; STAUPENDAHL 2011). Daneben führt eine langfristige Wuchsraumverschiebung zunächst zu nicht-letalen Verlusten in Biomasse-Primärproduktion und Änderung der Holzqualität (z.B. Ände- rungen des Frühholz-/Spätholzanteils). Diesen langfristigen Veränderungen kann bis zu einem gewissen Grad über geeignete Managementstrategien und entsprechende Waldumbaupläne ent- gegengewirkt werden („Leitbild Dauerwald“, Dienstordnung 2.8 – Waldbau). Idealerweise sinkt damit das Ausfallsrisiko von Einzelbäumen, was zu einer Erhöhung der gesamten Bestandstabilität beiträgt.

Um das Fichtenrisko (‚FIRIS‘) im thüringisch-sächsischen Mittelgebirgsraum bewerten zu können, wurde im November 2016 das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderte FIRIS-Projekt ins Leben gerufen. Die Bearbeitung der verschiedenen Arbeitspakete erfolgt in Kooperation mit dem Staatsbetrieb Sachsenforst - Kompetenzzentrum Wald und Forst- wirtschaft (Graupa) und beinhaltet im Wesentlichen folgenden Teilaspekte:

I. Inventarisierung der Fichtengebiete mittels aktiven und passiven Fernerkundungsme- thoden II. Prädispositionsabschätzung biotischer und abiotischer Kalamitäten III. (retrospektive) Wachstumsanalyse an Fichte im thüringisch-sächsischen Mittelgebirgs- raum IV. Neuparametrisierung der Fichtenertragskurven (z.B. Standort-Leistungs-Modellierung) V. Erarbeitung waldbaulicher Handlungsempfehlungen zur Risikominimierung

Die verschiedenen Teilprojekte werden zunächst unabhängig voneinander erarbeitet und gegen Ende der Projektlaufzeit synoptisch zusammengefasst. Die Bewertung des Fichtenrisikos erfolgt dabei auf einer kurzfristigen, event-basierten Zeitskala (Prädispositionsabschätzung) sowie einer langfristigen Risikobewertung, die in die Standort-Leistungsmodellierung einfließen soll.

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6.2 Datengrundlage und Methoden

Die heterogene Datengrundlage erschwert eine zielgerichtete Risikobewertung des Fichtenanbaus im mitteldeutschen Mittelgebirgsraum signifikant. Neben methodischen Unterschieden der Da- tenerhebung, bildet auch die raum-zeitliche Variabilität der vorhandenen Datensätze ein erhebli- ches Auswertungshemmnis. Da im Projekt auch fernerkundliche Analysen durchgeführt werden, wird ein konsistentes Datenformat (Rasterdaten) mit einer einheitlichen räumlichen Auflösung von 10m angestrebt. Größere Flächeninformation werden dabei geteilt (gleiche Information in allen Rasterzellen), kleinerer über Mittelwertbildung (Median, Modus oder Perzentil) aggregiert.

Die (I.) Inventarisierung der Fichtengebiete Thüringens und Sachsens wird über einen Random- Forest-Ansatz (RF, BREIMAN 2001) von Satellitendaten vorgenommen (Sentinel 2A). Die Methodik wurde am FFK Gotha im Rahmen des SenThIS-Projektes zur Baumartenklassifkation bereits vali- diert und wird nun im FIRIS-Projekt weitergeführt. Dabei bilden die flächenhaften Forsteinrich- tungsdaten des ‚Datenspeicher Wald 2‘ (DSW2) die Auswahlgrundlage der Trainingsgebiete für den RF-Algorithmus. Die dadurch erhobene Fichtengebietskulisse wird in einem weiteren Schritt mit airborne Laserscanning Daten (ALS) verschnitten, um so Baumdimensionen ableiten zu kön- nen. Die Zusammenführung beider Ergebnisse wird in einem neuen Projekt des FFK Gotha in Zu- sammenarbeit mit der FSU Jena (BioFor) erfolgen und wünschenswerterweise zu genaueren Vor- ratsabschätzungen führen. Zur Validierung dieses Ansatzes werden die Ergebnisse der permanen- ten Stichprobeninventur (pSI) zunächst für den Testbetrieb im Revier Waldhaus verwendet.

Die Abschätzung der (II.) biotischen und abiotischen Prädisposition gegenüber Fichtenkalamitäten wird im Rahmen eines Kooperationsvertrages mit der BOKU in Wien bestimmt. Als Endprodukt ist ein auf Expertenwissen und geographischen Parametern (Bestandesalter, Bestandesstruktur, Standortfaktoren, etc.) fußende Risikokartierung zu erwarten.

Die Analyse des (III.) Wachstumsgangs der Fichte führt Wachstumskenngrößen der Forsteinrich- tungsdaten aus Thüringen und Sachsen, der Bundeswaldinventur 2 und 3 (BWI2 und BWI3), Daten sächsischer Versuchsflächen, Daten der Umweltvektoren (METTE und KÖLLING 2015) sowie Zeitrei- hen retrospektiver Zuwachsuntersuchungen (Bohrkerne von ca. 600 Fichten) zusammen. Die an dieses Arbeitspaket gestellten Fragestellungen befassen sich insbesondere mit dem Reaktions- vermögen von Fichtenbeständen unterschiedlicher Wuchsgebiete auf abiotische Stressfaktoren. Die so gewonnen Wachstumsinformationen (Alter, Kreisflächenzuwachs, BHD, Höhe, Kronenan- satzhöhe) können zusammen mit Standortinformationen (Standortsgruppe, Klima) zur Abschät- zung der (IV.) Standortleistungsfähigkeit herangezogen werden. Die Standortsgruppeninformatio- nen werden dabei aus dem DSW2 (Thüringen), bzw. aus GIS-Daten (Sachsen), abgleitet und in Verbindung mit den Klimadaten des Regionalen Klimainformationssystem (ReKIS) verwendet, um schließlich (V.) waldbauliche Handlungsempfehlungen zum risikominimierten Fichtenanbau zu geben.

6.3 Erste Ergebnisse

Zur (I.) Inventarisierung der Fichtenbestände im gesamten Untersuchungsgebiet wurden geeigne- te Sentinel 2A-Szenen ausgewählt (Wolkenfreiheit) und vorprozessiert (atmosphärische und topo- graphische Korrektur). Die überwiegende Mehrzahl der verwendeten Szenen stammt von Mai 2017. Der RF-Klassifikationsansatz basiert auf Trainingsgebieten, deren Grauwerte aus den gepuf-

Mitteilungsheft 38/2020 | 70 ferten Mittelpunkten der DSW2-Flächen (Reinbestände mit Forsteinrichtungsdatum > 01.01.2012) für die unterschiedlichen Baumarten abgeleitet wurden.

Somit ergeben sich pro Satellitenszene weit mehr als 1000 Trainingsgebiete, die eine hervorra- gende RF-Modellqualität gewährleisten werden. Erste Klassifikationsergebnisse (Abb. 6.2 (a)) zei- gen jedoch im Vergleich zu den im DSW2 erfassten Beständen (Polygone in Abb. 6.2 (c)) teilweise deutliche Abweichungen in der Fichtenverbreitung. Als Ursache ist hier sicherlich auch die poly- gongebundene, vereinfachte flächenhafte Darstellung der jeweiligen Hauptbaumart, von Nicht- Reinbeständen zu nennen (Abb. 6.2 (c)). Damit wird die Notwendigkeit der Erhebung einer ge- naueren, pixelbasierten Baumartenerfassung verdeutlicht. Die in Abb. 6.2 (a) grün hervorgehobe- nen Fichtengebiete zeigen jedoch erhebliche Abweichungen in der Differenzierung von Fichten- und Nicht-Fichtengebieten (rot markiert).

Abb. 6.2: Klassifikationsbeispiel der Fichtengebiete (grün) im Forstamt Heldburg (Revier Trostadt, Veilsdorf und Zollbrück). (a) Uni-temporale RF-Klassifikation (bisherige Ergebnisse), (b) multi-temporale RF- Klassifikation (Ergebnis aus SenThIS-Projekt) und (c) Polygone der Fichtengebiete des DSW2. Gel- be Markierungen zeigen beispielhafte Klassifikationsunterschiede zwischen (a) und (b), bzw. rot: (a) und (c).

Die Anwendung einer Wald/Nicht-Wald Maske im Vorfeld der Klassifikation wird hier sicherlich zu Verbesserungen führen. Ferner verdeutlicht der Vergleich zwischen der uni-temporalen (a) und multi-temporal (b) erhobenen Klassifikation teilweise große Unterschiede (Abb. 6.2, gelb mar- kiert). Schon anhand des rein visuellen Vergleichs von Abb. 6.2 ergeben sich die größten Über- einstimmungen zwischen der RF-Klassifikation (b) und den Referenzdaten des DWS2 (c). Folglich wird für die länderübergreifende Fichtengebietsmaske für Thüringen und Sachsen auf die Er- kenntnisse des SenThIS-Projektes zurückgegriffen und in einem nächsten Schritt ein multi- temporaler RF-Klassifikationsansatz verfolgt.

Zur Erfassung des (III.) Wachstumsgangs ist eine zeitliche Dimension der Daten Grundvorausset- zung. Über die flächenhaften Daten des DWS2, aber auch der BWI2 sowie der BWI3 können Pseu- dozeitreihen erhoben werden. Damit sind beispielsweise deskriptive Änderungen der relativen Bonitäten über das Alter oder die Höhe ableitbar (Abb. 6.3 (a-b)).

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Abb. 6.3: Relative Bonität von allen auf M3-Standorten stockenden thüringischen Fichtenreinbeständen im Verhältnis zum Begründungsjahr (a) und der Höhe (b). Datengrundlage: DSW2-Daten mit Stichtag > 01.01.2012.

Abb. 6.3 (a) zeigt eine deutliche Verbesserung der relativen Bonitäten mit abnehmendem Be- gründungsalter sowie eine nichtlineare Bonitätsverschlechterung mit zunehmender Höhe üNN (b). Die altersabhängige Bonitätsverbesserung wird meist in Zusammenhang mit verbesserten klimatischen und edaphischen Bedingungen gesehen. Die wachstumsfördernden Standortfakto- ren der unteren Lagen sind jedoch nur über Konkurrenzmanagement für Fichtenbestände zugäng- lich. Natürlicherweise liegt das ökologische Optimum der Fichte bei ≤7 bis 8°C und ≥800mm Jah- resniederschlag (PROFFT et al. 2007; KÖLLING et al. 2009) und besetzt unter diesen Bedingungen ihr natürliches Areal.

Daneben bietet die Auswertung von Jahrringzeitreihen (Kreisflächenzuwachs) die genaue Wachs- tumsvariabilität von Einzelbäumen und Beständen. Diese Analysen werden entlang dreier Höhen- transekte des westlichen, zentralen und östlichen Thüringer Waldes durchgeführt. Erste Ergebnis- se vom zentralen Thüringer Wald zeigen als Folge extremer Sommertrocknis synchrone „Wachs- tumseinbrüche“ während der Weiserjahre 1976, 2003 und 2006 (Abb. 6.4 (b)). Das Resistenz- und Resilienzvermöge der Einzelbäume wird gegenwärtig über verschiedene Ansätze untersucht.

(a) (b)

Abb. 6.4: Übersichtskarte der Zuwachsbohrungen im zentralen Thüringer Wald (a) mit vorläufigen Ergeb- nissen der Ringbreitenmessungen (b) entlang unterschiedlicher Höhenstufen des südlichen („S“) und nördlichen („N“) Thüringer Waldes.

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Neben den kurzfristigen Schwankungen sind aber auch die langfristigen Wachstumsveränderun- gen in unterschiedlichen Höhenstufen und Expositionen (Luv/Lee) von Interesse. Dabei wird die Verschneidung der gewonnen Zeitreihen mit wachstumsrelevanten Kenngrößen (Witterungsein- flüsse, Nährstoffverfügbarkeit, Wasserverfügbarkeit, etc.) zur Modellierung der Standortleistungs- fähigkeit angestrebt.

6.4 Ausblick

Der zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Artikels herrschende Witterungsverlauf und die schon damals zu beobachtenden starken Fichtenschädigungen unterstrichen schon im August 2018 die Dringlichkeit des Forschungsprojektes nachdrücklich. Heute wissen wir, dass 2018 nur der Auftakt zur größten Kalamität war, der sich ThrüingenForst je konfrontiert sah. Somit sind die Zielstellun- gen und methodischen Ansätze des FIRIS-Projektes aktueller denn je – insbesondere in Bezug auf die Möglichkeiten einer aktuellen, satellitengestützten Fichtengebietskulisse. Diese wird die Grundlage einer zunächst qualitativen Vorratsabschätzung der Fichtengebiete aus LiDAR-Daten bilden. Ferner wird in Kooperation mit den Experten des Staatsbetriebs Sachsenforst die Prädis- positionsabschätzung für biotische und abiotische Kalamitäten dynamisiert. Die retrospektiven Wachstumsuntersuchungen werden neben Weiser- und Versuchsflächen in eine rasterbasierte Standort-Leistungsabschätzung integriert. Zusammen mit der Standort-Risikobewertung können damit Behandlungskonzepte vorgeschlagen werden, die zur Kontinuität der Waldfunktionen bei- tragen und so zur Abschätzung, bzw. Neubewertung des betrieblichen und ökologischen Risikos führen. Zusammenfassend zielt das Projekt also auf eine möglichst flächendeckende und aktuelle Bilanzierung der Fichtenvorkommen sowie einer dynamischen Abschätzung von Wachstum und Risiko ab, um den Bedarf an strukturellen Änderungen zur Minderung von Risiken aufzuzeigen.

Danksagung

Das diesem Bericht zugrundeliegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft unter den Förderkennzeichen 22001815 und 22030614 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt der Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

Literatur

AAS, G. (2017): Die Fichte (Picea abies): Verwandtschaft, Morphologie und Ökologie. LWF Wissen 80 – Beiträge zur Fichte. Bayrische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (Hrsg.), Freising, S. 13ff. ARENHÖVEL, W., FRISCHBIER, N., GEIßLER, C. (2017): Die Bedeutung der Fichte in und für Thüringen. LWF Wissen 80 – Beiträge zur Fichte. Bayrische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (Hrsg.), Freising, S. 81ff. BINDER, F., HÖLLERL, S. (2017): Bayrische Alpen- ein denkbares Rückzugsgebiet für Fichte im Klima- wandel. LWF Wissen 80 – Beiträge zur Fichte. Bayrische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (Hrsg.), Freising, S. 108ff. BREIMAN, L. (2001): Random Forests, Mach. Learn., vol. 45, no. 1, pp. 5–32.

Mitteilungsheft 38/2020 73 |

DIENSTORDNUNG WALDBAU - 2.8 ANWEISUNGEN ZUM WALDBAU IM STAATSWALD DER LANDESFORSTANSTALT. ThüringenForst AöR. Erfurt. FRISCHBIER, N.; PROFFT, I. (2010): Grundlagen zur Ausweisung klimawandelangepasster Bestandes- zieltypen für Thüringen. Mitteilungen der Thüringer Landesanstalt für Wald, Jagd und Fi- scherei, 30/2010, Resch Druck GmbH, Meiningen, S. 21-34 KÖLLING, C.; KNOKE, T.; SCHALL, P.; AMMER, C. (2009): Überlegungen zum Risiko des Fichtenanbaus in Deutschland vor dem Hintergrund des Klimawandels. Forstarchiv 80, S. 42-54. KÖLLING, C.; BEINHOFER, B.; HAHN, A.; KNOKE, T. (2010): Wie soll die Forstwirtschaft auf neue Risiken im Klimawandel reagieren? AFZ-DerWald 5, S. 18-22. KURTH, H. (1994): Forsteinrichtung- Nachhaltige Regelung des Waldes. Deutscher Landwirtschafts- verlag Berlin, S. 592. STAUPENDAHL, K. (2011): Modellierung der Überlebenswahrscheinlichkeit von Waldbeständen mit- hilfe der neu parametrisierten Weibull-Funktion. Forstarchiv 82, S. 10-19. METTE, T.; KÖLLING, C. (2015): Wald, Wachstum, Umwelt. Großes Gemeinschaftsprojekt WP-KS-KW verschneidet die Bundeswaldinventur mit Boden- und Umweltdaten. LWF aktuell 107. Bayrische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (Hrsg.), Freising, S. 46ff. PROFFT, K. (2007): Die Zukunft der Fichte in Thüringen vor dem Hintergrund des Klimawandels. Forst und Holz 62 (2), S. 19-25. bwi.info: THÜNEN-INSTITUT, DRITTE BUNDESWALDINVENTUR - ERGEBNISDATENBANK, HTTPS://BWI.INFO, AUF- RUF AM: 22.10.2018, AUFTRAGSKÜRZEL: 77Z1PA_L417mf_0212_biHb, ARCHIVIERUNGSDATUM: 2014-7-28 15:49:54.963, ÜBERSCHRIFT: Vorrat des genutzten Bestandes [1000 m³/a] nach Land und Baumartengruppe (rechnerischer Reinbestand),FILTER: PERIODE=2002-2012. Sz-online.de: Forstwirte schlagen Alarm- Forstleute sprechen von der größten Borkenkäferplage seit Beginn der Aufzeichnungen. Sächsische Zeitung; Zugriff: 16.10.2018.

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7 Genetische und waldbauliche Untersuchungen zur Bestimmung des Ursprungs, des Wachstums und der Stammqualität von Roteichen (Quercus rubra L.) in Deutschland

Burkardt, Katharina; Vor, Torsten; Pettenkofer, Tim

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Georg-August-Universität Göttingen Abteilung Waldbau und Waldökologie der gemäßigten Zonen Büsgenweg 1, D - 37077 Göttingen E-Mail: [email protected]

7.1 Einleitung

Die Forstwirtschaft wird aufgrund des Klimawandels diverse Herausforderungen bewältigen müs- sen. Die Klimaprojektionen sagen einen Temperaturanstieg sowie eine Zunahme von meteorolo- gischen Extremereignissen wie orkanartigen Unwettern, Trockenperioden oder Starkniederschlä- gen voraus (LENDERINK and VAN MEIJGAARD 2008; IPCC 2014). Da nicht alle Baumarten langfristig diesen klimatischen Veränderungen Stand halten werden, wird nach Anbaualternativen gesucht. Eine geeignete Baumart könnte in diesem Zusammenhang die in Nordamerika beheimatete Rotei- che (Quercus rubra L.) darstellen. Sie wächst auf einer breiten Standortamplitude und ist aufgrund ihres tiefen und dichten Herzwurzelsystems sturmfest (NAGEL 2011, KLEMMT 2013, BURKARDT 2018). Daneben ist sie schon jetzt die flächenmäßig am häufigsten angebaute fremdländische Laub- baumart in Deutschland (STRATMANN und WARTH 1987, BMELV 2005).

7.2 Ziele

7.2.1 Übergeordnetes Ziel

Ziel dieses von der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe (FNR) unterstützten Projektes ist es, waldbauliche Eigenschaften, Ertragsleistung, Stammqualität und Verjüngungsökologie der Roteiche näher zu untersuchen und ihrer genetischen Variabilität in Abhängigkeit ihres Ursprungs zuzuweisen. Das Projekt wird einen Beitrag zur Prüfung der nichtheimischen Roteiche als Anbau- alternative für den klimagerechten Waldumbau unter Berücksichtigung der Herkunft, der Holzqualität und der Naturverjüngung liefern. Es wird zwischen 04/2016 und 03/2019 unter dem FKZ 22023314 gefördert (BURKARDT 2017).

7.2.2 Einzelziele

Aus selbst erhobenen Daten sollen auf Bestandesebene u.a. Derbholz-Vorräte berechnet und Höhenkurven erstellt werden. Diese sollen innerhalb und zwischen den Bundesländern verglichen werden. Ebenfalls wird durch Mikrosatelliten-Marker der genetische Ursprung der Bestände be-

Mitteilungsheft 38/2020 75 | stimmt. Auf Einzelbaumebene wird u.a. sowohl der Einfluss der Konkurrenz auf die Qualitätsent- wicklung des Auswahlbaumes, als auch die Wirkung der genetischen Prädisposition auf Wuchs- und Qualitätsparameter untersucht. Außerdem soll der Einfluss der Genetik auf die Dichte und Vitalität der Naturverjüngung überprüft werden.

7.3 Methoden

Es erfolgte eine strenge Auswahl von 40 Untersuchungsflächen von je 1 ha Größe in den Bundes- ländern Niedersachsen, Brandenburg, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Im ersten Schritt wurde mit dem GIS-unterstützten Software-Programm „Field-Map“ eine Vollauf- nahme jedes Einzelbaumes, mit u.a. Position, Brusthöhendurchmesser und der sozialen Stellung, durchgeführt. Knospen- bzw. Blattproben wurden entnommen und durch Chloroplasten-codierte DNA-Marker genetisch analysiert (PETTENKOFER et al. 2017).

Im zweiten Schritt wurden von den 40 Flächen 10 Bestände ausgewählt, dessen Haplotypen in Deutschland als genetisch repräsentativ eingestuft wurden. Diese Flächen wurden einer näheren genetischen und waldbaulichen Untersuchung unterzogen. Dabei erfolgte eine dreidimensionale Aufnahme von insgesamt 100 (vor-)herrschenden Roteichen mittels terrestrischem Laser-Scan- Verfahren. Daneben wurden Höhen von insgesamt 400 Bäumen gemessen. Von selbigen Bäumen wurden im Sommer 2018 insgesamt 500 Blattproben zur genetischen Analyse entnommen.

Die verjüngungsökologischen Aufnahmen werden im Herbst 2018 auf den Probeflächen erfolgen, die Roteichennaturverjüngung aufweisen. Neben der Höhe und der Dichte der Verjüngung stehen die Lichtbedingungen im Zentrum der Untersuchung.

7.4 Untersuchungsflächen in Thüringen

In Thüringen wurden in Kooperation mit dem forstlichen Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha sieben Untersuchungsbestände in einer Altersspanne zwischen 56-82 Jahren ausgewählt (Abb. 7.1). Die Flächen liegen im Zuständigkeitsbereich der Forstämter Weida, Neustadt, Jena- Holzland und Sondershausen. Im Sommer 2017 wurden neben der lokalen Position jedes Einzel- baumes und des BHDs, die soziale Stellung aller Roteichen aufgenommen. Daneben wurde an 10 zufällig ausgewählten Bäumen je Bestand Blattproben zur genetischen Analyse entnommen.

Für die intensiven waldbaulichen und genetischen Untersuchungen wurde eine Fläche bei Neu- stadt „Strößwitz“ und eine bei Jena „Wolfersdorf“ ausgewählt. Beide Flächen liegen im Wuchsge- biet des „ostthüringischen Trias-Hügellandes“ und des Wuchsbezirkes „ostthüringischer Bunt- sandstein“ auf mittleren Buntsandstein. Mit einer jährlichen Durchschnittstemperatur von 8,8 °C und einem jährlichen Niederschlag von etwa 660 - 680 mm kann das Klima auf beiden Flächen als warm und gemäßigt bezeichnet werden (DWD 2017). In beiden Roteichenbeständen wurden, nach einer durchgeführten Vollaufnahme, 10 (vor-)herrschende Roteichen per Zufallsauswahl bestimmt, welche aus 4-5 Perspektiven mit dem Terrestrischen Laser Scanner dreidimensional aufgenommen wurden (Abb. 7.2). Daneben wurden Höhen von 2x20 zufällig auf der Fläche ver- teilten Bäumen gemessen.

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Abb. 7.1: Ausgewählte Roteichenbestände in Thüringen (Quelle: Pettenkofer u. Burkardt)

Abb. 7.2: Mit dem Terrestrischen Laser Scanner aufgenommene

Zielbäume bei Jena Wolfersdorf (links) und Neustadt an der Orla (rechts) (Quelle: Burkardt).

Informationen zum Projekt unter: https://www.fnr.de/index.php?id=11150&fkz=22023314

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Danksagung

Für die Unterstützung bei der Probeflächenauswahl sowie der Bereitstellung von umfassenden Informationen zu den Roteichenbeständen in Thüringen, wollen wir uns herzlich bei Herrn Dr. Nico Frischbier bedanken.

Literatur

BMELV, H. (2005): Die zweite Bundeswaldinventur–BWI 2: Der Inventurbericht. Bonn: Bundesmi- nisterium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. BURKARDT, K. (2017): Genetische und waldbauliche Untersuchungen zur Bestimmung des Ur- sprungs, des Wachstums und der Stammqualität von Roteichen (Quercus rubra L.) in Deutschland. Tagung der AG-Gastbaumarten in der Sektion Waldbau des DVFFA, Offen- burg, 13. und 14.03.2017, Vortrag. BURKARDT, K. (2018): Portrait fremdländischer Baumarten – Quercus rubra. Online (18.01.2018) https://www.waldwissen.net/waldwirtschaft/waldbau/wuh_roteiche/index_DE DWD Climate Data Center (CDC) (2017): Raster der Monatsmittel der Lufttemperatur (2m) für Deutschland, Version v1.0. und Raster der Monatssumme der Niederschlagshöhe für Deutschland, Version v1.0. KLEMMT, H.-J.; Neubert, M.; Falk, W (2013): Das Wachstum der Roteiche im Vergleich zu den ein- heimischen Eichen. LWF Aktuell, 97, 28–31. LENDERINK, G.; VAN MEIJGAARD, E. (2008): Increase in hourly precipitation extremes beyond expecta- tions from temperature changes, Nat. Geosci., 1, 511–514. NAGEL, J. (2011): Anbauwürdigkeit und Behandlung der Roteiche. Folienunterlagen zur LÖWE- Schulung der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt vom 7.7.2011 in Ankum PETTENKOFER, T.; BURKARDT, K.; KRUTOVSKY, K.; MÜLLER, M.; VORNAM, B.; GAILING, O.; AMMER, C.; LEINE- MANN, L. (2017): Genetic and silvicultural analyses to determine the region of origin, the growth and quality features of red oak (Quercus rubra) stands in Germany - Identification of cpSSR Haplotypes in German red oak stands. At: Freiburg, Germany, Conference: IUFRO Anniversary Congress 2017, Poster. STRATMANN, J.; & WARTH, H. (1987): Die Roteiche als Alternative zu Eiche oder Buche in Nordwest- deutschland. AFZ, 42(3), 40-41. TEAM, C. W.; PACHAURI, R. K.; MEYER, L. A. (2014). IPCC, 2014: climate change 2014: synthesis re- port. Contribution of Working Groups I. II and III to the Fifth Assessment Report of the in- tergovernmental panel on Climate Change. IPCC, Geneva, Switzerland, 151.

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8 Alternativbaumarten zur Gemeinen Fichte - Erste Auswertung der Demonstrationsfläche „ Grundhof“

Klein, Mario; Kahlert, Karina

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (ThüringenForst) Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha E-Mail: [email protected]

8.1 Vorwort

Die Folgen des globalen Klimawandels, der in den letzten Jahren sehr stark zugenommen hat, sind auch in den Waldökosystemen des Freistaates Thüringen allgegenwärtig und deutlich sichtbar. Temperaturverschiebungen, Dürreperioden und Extremwetterlagen bestimmen aktuell unseren Klimaverlauf. Das hat zur Folge, dass wir unsere bisherige Waldbewirtschaftung hinterfragen müs- sen. Unser Ziel muss es sein, die negativen Auswirkungen auf unsere Waldökosysteme und unsere bisherigen Hauptbaumarten zu minimieren und über weitere geeignete Baumarten eine gesunde Risikoverteilung anzustreben. Ein Bestandteil dieser Maßnahmenpalette besteht unter anderem, in der verstärkten Erprobung alternativer Baumarten in der forstlichen Praxis. Dabei ist es not- wendig, die vielfältigen Waldfunktionen langfristig sicherzustellen und den Spagat zwischen öko- nomischen Interessen der Waldeigentümer und den Anforderungen der Gesellschaft an den Wald zu sichern.

Die Baumart Fichte, die aktuell in Thüringen einen Baumartenanteil von 38,4 % (ANONYMUS 2017) belegt, ist vom zunehmenden Witterungsstress besonders stark betroffen. Dabei steigt in den unteren Lagen das Anbaurisiko, da sich die klimatischen Voraussetzungen für diese Baumart ver- schlechtern. Die Anfälligkeit der Fichte gegenüber Schädlingen nimmt vor allem in den unteren Lagen stark zu und zwingt uns bei der Baumartenwahl über Alternativen zur Fichte nachzudenken und entsprechend zu handeln.

Im Jahr 2012 wurde durch das Forstliche Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha eine De- monstrationsfläche angelegt, welche sich mit möglichen Alternativbaumarten zur Gemeinen Fich- te im Bereich des sich vollziehenden Wechsels von Klimabereich 30 zu 40 (TLWJF; 2011) in den unteren Lagen beschäftigt. Dafür wurde dem FFK Gotha vom Thüringer Forstamt Bad Salzungen im Revier Grundhof eine geeignete Fläche Verfügung gestellt.

8.2 Flächen- und Standortsbeschreibung

Bei dieser Fläche handelt es sich um eine auf drei Seiten vom Wald umschlossene Wiesenfläche in einer Höhenlage von 310 m, mit einer NNO-Exposition und leichter Hangneigung. Die Lage der Demonstrationsfläche ist aus Abb. 8.1 ersichtlich.

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Wuchsgebiet: Südthüringisches Trias-Hügelland Wuchsbezirk: Westthüringer Buntsandstein Klimastufe: Vf – Grundhöfer Makroklimaform Standortsform: Ge.S-5h (Gerstunger Sandstein-Braunerde) Standortseinheit: MS 2 Grundgestein: Buntsandstein

Abb. 8.1: Lage der Demonstrationsfläche „Grundhof“ im Revier Grundhof, Forstamt Bad Salzungen

(Karte: ThüringenForst)

8.3 Flächenvorbereitung und Versuchsflächenanordnung

Die Fläche wurde mit Knotengeflecht schwarzwildsicher eingezäunt, im Anschluss daran die Ver- suchsanordnung eingemessen und verpfählt. Da es sich um eine Wiesenaufforstung handelt, wur- den zwischen den einzelnen Parzellen fünf Meter breite Zwischenräume eingeplant, um vorsorg- lich auf eventuell auftretenden Befall von Schermäusen reagieren zu können.

In die Versuchsanordnung wurden folgende Baumarten einbezogen, die in dreifacher Wiederho- lung gepflanzt wurden: Gemeine Fichte (Picea abies), Küsten-Tanne (Abies grandis), Europäische Lärche (Larix decidua), Hemlock-Tanne (Tsuga heterophylla), Douglasie (Pseudotsuga menziesii) und Gelb-Kiefer (Pinus ponderosa). In Abb. 8.3 ist die Versuchsanordnung schematisch dargestellt.

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Abb. 8.2: Gesamtansicht der Versuchs- fläche vor der Pflanzung (Januar 2013) (Foto: M. Klein)

Abb. 8.3: Schematische Darstellung der Versuchsanordnung der Demonstrationsfläche „Grundhof“

Die Herkunft der Küsten-Tannen basiert auf Einzelbaumabsaaten aus Nedlitz (Sachsen-Anhalt), der Altmark (Sachsen-Anhalt) und aus Wolfhagen (Hessen). Die Küsten-Tannen sind Restpflanzen einer umfangreichen Nachkommenschaftsprüfung und wurden dankenswerter Weise durch die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt zur Verfügung gestellt. Die Versuchsanordnung hinsichtlich der verschiedenen Herkünfte bei der Küsten-Tanne ist in der Abb. 8.4 dargestellt. Bei dieser Auswertung wird nicht zwischen Küsten-Tannenherkünften unterschieden, sondern mit dem Mittelwert über alle Herkünfte gearbeitet. Eine herkunftsweise Auswertung kann gesondert erfolgen.

Die in der Tab. 8.1 aufgeführten Pflanzverbände und Pflanzenzahlen basieren auf den damals noch gültigen Waldbaugrundsätzen und Behandlungsrichtlinien des Grundsatzerlasses 3/2004 der Thüringer Landesforstverwaltung.

Bei der Pflanzung wurden die Pflanzlöcher mit einem Erdbohrgerät (Pflanzfuchs – PF 360, 250 mm Erdbohrer) vorbereitet, da es sich bei einem Teil der verwendeten Baumarten (Gelb-Kiefer) um Containerpflanzen handelte.

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Abb. 8.4: Versuchsanordnung der verwendeten Herkünfte der Küsten-Tanne

Alle Parzellen wurden möglichst mit der gleichen Baumart „umfüttert“, um Waldrandeffekte der einzelnen Versuchsglieder auszuschließen. Da im Pflanzjahr 2013 nicht genügend Gelb-Kiefern zur Verfügung standen, wurden die Fehlstellen 2014 (78 Stück) mit einem Jahr jüngeren Pflanzen nachgebessert.

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Tab. 8.1: Verwendete Baumarten, Pflanzverbände und Stückzahlen für die Demonstrationsfläche „Grund- hof“

Pflanzen- Pflanz- Pflanzen- Baumart Abk. sortiment verband zahl Gemeine Fichte 4 jährig, 40-60 cm 420 FI 2,5 x 1,5 m (Picea abies) wurzelnackt (140 je Parzelle) Küsten-Tanne 4 jährig, 20-40 cm 420 KTA 2,5 x 1,5 m (Abies grandis) wurzelnackt (140 je Parzelle) Europäische Lärche 4 jährig, 40-60 cm 330 ELA 2,5 x 2.0 m (Larix decidua) wurzelnackt (110 je Parzelle) Hemlock-Tanne 4 jährig, 40-60 cm 540 HTA 2,5 x 1,0 m (Tsuga heterophylla) wurzelnackt (180 je Parzelle) Douglasie 4 jährig, 40-60 cm 330 DGL 2,5 x 2,0 m (Pseudotsuga menziesii) wurzelnackt (110 je Parzelle) Gelb-Kiefer 3 jährig, 20-40 cm 600 GKI 2,5 x 0,9 m (Pinus ponderosa) Container (200 je Parzelle)

8.4 Erste Ergebnisse

8.4.1 Anwuchsverhalten, Schaftform und Schädlingsbefall

Die Pflanzen zeigten, auch auf Grund eines feuchten Frühjahrs und Sommers im Anlagejahr 2013, optimale Anwuchsprozente. Eine erste vollflächige Ausfallkontrolle wurde im September 2013 und eine Wiederholungsaufnahme im November 2017 durchgeführt. Die Hemlocktanne zeigte die meistens Ausfälle, gefolgt von Fichte und Douglasie. Wogegen die Gelb-Kiefer mit nur 6 % die geringsten Ausfälle aufwies. Auffällig war der hohe Anteil der Zwieselung (24 %) auf den Douglasi- enparzellen, was m. E. auf genetische Ursachen der Erntebäume zurückzuführen ist (siehe Abb. 8.5).

Abb. 8.5: Vergleich der Ausfälle 2013 und 2017

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Im Frühjahr 2015 fielen einige Pflanzen aus, wobei als hauptsächliche Ursache Mäuseschäden (Abb. 8.6) ober- und unterirdische erkennbar waren, obwohl jährliche mit dem Schermauspflug die Fläche bearbeitet wurde und Mäuseköderstationen ausgelegt worden waren. Dieses Schader- eignis trat aber nur einmalig auf.

Abb. 8.6: Mäuseschäden, aufgenommen im Mai 2015 (Fotos: M. Klein)

Aktuell zeigen die Douglasienparzellen z. T. extreme Schädigungen. Hier sind v. a. Schütte, Gelb- färbung und vertrocknete Kurztriebe zu nennen. (siehe Abb. 8.7)

Im Herbst 2019 wurde daraufhin Untersuchungsmaterial an das Landeskompetenzzentrum Forst, Hauptstelle Waldschutz nach Eberswalde geschickt, um weitere mögliche Schadursachen entwe- der zu bestätigen oder auszuschließen. Als Ergebnis der Untersuchung konnte einzig und allein nur die Rußige Douglasienschütte als Pilzerkrankung nachgewiesen werden.

Abb. 8.7: Schädigungen bei der Douglasie (links: extreme Gelbfärbung, Mitte: vertrocknete Kurztriebe, rechts: Schüttebefall (Fotos: M. Klein)

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8.4.2 Entwicklung des Höhenwachstums

Eine erste vollflächige Höhenmessung erfolgte im Frühjahr 2014 und eine Folgeaufnahme im Herbst 2017. Dabei war festzustellen, dass die Fichte den geringsten Höhenzuwachs, gefolgt von Küsten-Tanne, Gelb-Kiefer, Douglasie und Hemlocktanne aufwies. Der hohe Zuwachs der Europäi- schen Lärche (3-fache Wert des durchschnittlichen jährlichen Zuwachses der Vergleichsbaumar- ten), kann mit den anderen Baumarten nicht direkt verglichen werden, da es sich bei der Europäi- schen Lärche um eine Pionierbaumart handelt, die erwartungsgemäß in den ersten Jahren den anderen Baumarten davon wächst (siehe Abb. 8.8 und Abb. 8.9).

Abb. 8.8: Entwicklung des Höhenwachstums von 2014 bis 2017 (vier Vegetations- perioden)

Abb. 8.9: Durchschnittlicher jährlicher Zuwachs nach Baumarten getrennt

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Die Wuchsformen der einzelnen Baumarten haben sich auch im Hinblick auf die verwendeten Pflanzverbände recht unterschiedlich entwickelt. (Abb. 8.10 und Abb. 8.11) Die Gelb-Kiefer ver- mittelt den Eindruck der ausgeprägten Starkastigkeit, bezogen auf ihr momentanes Alter.

Abb. 8.10: Exemplarische Aufnahmen zu den verschiedenen Baumarten der Demonstrationsfläche „Grundhof“, links: Gelb-Kiefer, Mitte: Küsten-Tanne, rechts: Hemlock-Tanne, November 2019 (Fotos: M. Klein)

Abb. 8.11: Exemplarische Aufnahmen zu den verschiedenen Baumarten der Demonstrationsfläche „Grundhof“, links: Europäische Lärche, Mitte: Douglasie, rechts: Gemeine Fichte, November 2019 (Fotos: M. Klein)

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8.5 Handlungsempfehlungen zur Weiterführung der Fläche

Auf Grund der guten Aussagefähigkeit der Fläche ist es sinnvoll, diese Demonstrationsfläche noch über die kommende Jahre weiter zu betreuen. Hierbei empfehlen wir, eine vollflächige Aufnahme von Höhe und BHD im Herbst 2022 durchzuführen. Im Anschluss daran ist diese alle fünf Jahre zu wiederholen. Auf Grund dessen, dass die Lärche als ausgesprochene Vorwaldbaumart eine sehr gute Wuchsleistung zeigt, sollte in diesen Parzellen der erste Pflegeeingriff erfolgen, sobald der Kronenschluss beginnt. Dabei können die einzelnen Parzellen in unterschiedlicher Eingriffsstärke gepflegt werden (Beispiel: 1. Wh. schematisch, 2. Wh. Z-Baumauswahl, 3. Wh. kein Eingriff). Diese Verfahrensweise kann nach Bedarf auch auf die anderen Baumarten angewandt werden. Eine parzellenscharfe Dokumentation ist für jeden Pflegeeingriff erforderlich.

8.6 Zusammenfassung

Grundsätzlich ist festzustellen, dass der gesamte Versuch hinsichtlich des Versuchszieles bislang interessante Ergebnisse erzielt hat. Während Fichte, Gelb-Kiefer, Hemlocktanne und Küstentanne ein vermutetes Wuchsverhalten bislang auf diesem Standort zeigen, zeigt sich bei der Douglasie zwar eine ähnliche Reaktion, unterscheidet sich aber beim Gesundheitszustand extrem. Teilweise extreme Gelbfärbungen, Spätfrostschäden und die Rußige Douglasienschütte sind ursächlich für die visuell sichtbaren Schädigungen der Douglasienparzellen verantwortlich.

Die Europäische Lärche wird ihrem Ruf als anspruchslose Pionierbaumart mehr als gerecht und zeigt im Vergleich zu den anderen Versuchsbaumarten auf dieser konkreten Fläche eine hohe Wuchsleistung. In der momentanen Situation sehen wir für die Baumart Lärche ein riesiges Poten- tial im Hinblick auf eine schnelle Wiederbewaldung. Dabei wird es keine Universallösung geben und wir sollten über den Schritt des Vorwaldes mit Einbeziehung der Lärche und einer gesunden Risikoverteilung, auch durch die Einbeziehung gebietsfremder Baumarten, unseren Wald der Zu- kunft aktiv gestalten.

Abb. 8.12: Exemplarischer Gesamteindruck von der Demonstrationsfläche „Grundhof“, November 2019 (Foto: M. Klein)

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Die Demonstrationsfläche sollte in den nächsten Jahren noch fortgeführt werden. Dabei stehen Wiederholungsinventuren (Ausfall, Höhenmessungen) nach den Dürrejahren 2018 und 2019 im Fokus. Ebenso sind die erstmaligen Pflegeeingriffe v. a. bei der Lärche zu planen und umzusetzen. Dabei wäre denkbar, verschiedene Eingriffsstärken bei der Baumart Lärche im Hinblick auf die Entwicklung des H-D-Verhältnisses zu testen. Des Weiteren ist die Entwicklung der Douglasie zu beobachten, bezüglich des Einflusses von Spätfrösten und Schütteerscheinungen.

Abb. 8.13: Luftbild mit der Demonstrationsfläche „Grundhof“, Sommer 2020 (Fo- to: M. Kummetat, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Firma M. Kummetat GmbH & Co. KG, 36466 Dermbach)

Die Anforderung der Holzindustrie an die naturnahe Forstwirtschaft ist die Sicherung eines ange- messenen Anteils von Nadelholz, weil diese Nadelholzanteile eine heimische Rohstoffbasis bilden und zum Klimaschutz durch langfristige CO2-Bindung beitragen. Die meisten der Holz- oder auf Holz basierten Produkte bestehen aus Nadelholz. Auf Grund der holzspezifischen Eigenschaften lässt sich dieses leichter verarbeiteten und generalisiert zudem einen höheren Produktstandard als Laubholz. Darum muss ein gewisser Nadelholzanteil in den Wäldern erhalten bleiben. Das Na- delholz ist und bleibt kein Auslaufmodell.

Danksagung

Für die Unterstützung beim Aufbau, der Durchführung der Pflanzung und der Unterhaltung der Versuchsfläche durch das Forstamt Bad Salzungen und vor allem durch den zuständigen Revierlei- ter Herrn MATTHIAS GIESS möchten wir uns auf diesem Wege recht herzlich bedanken.

Literatur

Klimafolgen in Thüringen - Monitoringbericht 2017, Ministerium für Umwelt, Energie und Natur- schutz; Mai 2017.

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Standortsgerechte Baumarten- und Bestandeszieltypenwahl für die Wälder des Freistaates Thü- ringen auf Grundlage der forstlichen Standortskartierung unter Beachtung des Klimawan- dels; Thüringer Landesanstalt für Wald, Jagd und Fischerei; August 2011.

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9 Zur Situation der Vogelkirsche in Thüringen und erste Erfahrungen mit dem Anbau des silvaSELECT®-Vogelkirschen1

Kahlert, Karina

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (ThüringenForst) Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha E-Mail: [email protected]

9.1 Vogelkirsche in Thüringen

9.1.1 Zum aktuellen „Status“

Die Vogelkirsche ist die Urform der kultivierten Süßkirsche und gehört zu den Rosengewächsen. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich über fast ganz Europa. Sie war und ist in den Mittelwäldern häufiger verbreitet, da hier die Konkurrenzkraft der weniger ausschlagfreudigen Buche weitge- hend ausgeschaltet ist. Der Übergang zum schlagweisen Hochwald hat die Vogelkirsche in unse- ren Wäldern selten werden lassen.

Die Vogelkirsche ist bundesweit eine seltene Baumart. Exakte Aussagen zum derzeitigen Flächen- anteil der Vogelkirsche in den Wäldern Thüringens sind nicht möglich. Die in der Regel nur einzel- stammweise und in sehr geringem Anteil beigemischte Vogelkirsche wird von der Forsteinrichtung verfahrensbedingt nur unzureichend erfasst. Eine Übersicht zum Gesamtwald weist zum aktuellen Zeitpunkt etwa 120 ha Kirschenfläche (netto) aus.

Anreiz und Antrieb zu einer verstärkten Einbeziehung der Vogelkirsche in den naturnahen Wald- bau ergibt sich aus den in den vergangenen Jahren erzielten Holzpreisen und aus der ökologischen Bedeutung der Baumart (Klimaanpassung). Werthaltiges Kirschholz wird am Holzmarkt kontinuier- lich nachgefragt und gut bezahlt.

Aktive Einbringung in kirschenfreie Waldbereiche ist nur über Pflanzung möglich. Dabei ist die Bereitstellung hochwertigen Pflanzguts von entscheidender Bedeutung.

Für ThüringenForst stellen die nachhaltige Erzeugung und Bereitstellung von Holz als Rohstoff und Energieträger sowie die Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels Handlungsschwerpunk- te dar. Dabei spielt die Bereitstellung von hochwertigem Saat- und Pflanzgut eine sehr wichtige Rolle. Forstliches Vermehrungsgut schafft die Grundlage für die Stabilität, Leistungsfähigkeit und Qualität zukünftiger Wälder und somit für den wirtschaftlichen Erfolg von Forstbetrieben in Thü- ringen.

Hier ist auch das Prinzip „Erhaltung durch Nutzung“ (vgl. Verkaufserlöse bei Vogelkirsche) ein An- satz, der durchaus auch forstbetrieblich bei einigen seltenen Baumarten interessant sein kann.

1 Unter dem geschützten Markenzeichen silvaSELECT® werden qualitativ hochwertige Selektionen verschie- dener Waldbaumarten in Lizenz vertrieben.

Mitteilungsheft 38/2020 | 90

9.1.2 Bereitstellung von forstlichem Vermehrungsgut der Vogelkirsche

Vogelkirschensaatgutbestände sind allgemein selten. Zum Beispiel gibt es Im Staatswald Thürin- gens lediglich sechs Vogelkirschen-Saatgutbestände, von denen aufgrund von Schäden und Quali- tätsmängeln zwei bis drei in den nächsten Jahren abgängig sein werden. Darüber hinaus bestehen Vogelkirschen-Saatgutbestände durch (arteigene) vegetative Vermehrung (Wurzelbrut) i. d. R. aus wenigen Klonen.

EBERT (1998) gibt an, dass als größte Entfernung zwischen zwei genetisch identischen Kirschen bisher 80 m nachgewiesen sind. Deshalb kann man von einer geringen genetischen Vielfalt des Saatguts ausgehen.

Samenplantagen stellen ein geeignetes und national wie international anerkanntes Instrument dar, um hochwertiges, in seinen genetischen Eigenschaften verbessertes Forstsaatgut mit großer genetischer Vielfalt zu produzieren (LIESEBACH et al. 2013). Samenplantagen leisten weiterhin ei- nen wichtigen Beitrag für die Erhaltung von (seltenen) Baumarten.

Samenplantagen sind zum Zweck der frühzeitigen, reichen und kontinuierlichen Samenproduktion begründete Pflanzungen von Sämlingen oder Klonen, die ausschließlich für diesen Zweck angelegt und bewirtschaftet werden (PAUL et al. 2010).

Insbesondere bei einigen forstlich weniger beachteten Baumarten wie Speierling, Wildbirne, Wildapfel, Elsbeere und Vogelkirsche bestehen die Restvorkommen häufig nur noch aus Einzel- bäumen, die lediglich genetisch verarmte Bestäubungseinheiten darstellen. Ihre Zusammenfüh- rung in Generhaltungssamenplantagen führt zu neuen Fortpflanzungsgemeinschaften, in denen künftig Saatgut höherer genetischer Vielfalt gewonnen werden kann. Diese höhere genetische Vielfalt ist nachweisbar (z. B. Weiß-Tanne aus der Samenplantage Vitzeroda siehe ARENHÖVEL 2018). Der Weg zu einer gesicherten Saatgutversorgung ist jedoch weit.

Die 2002 im Thüringer Forstamt Heiligenstadt, Revier Bernterode angelegte Vogelkirschensamen- plantage Greifenstein ist die einzige ihrer Art in Thüringen. Die Plantagenglieder sind genetisch identische Nachkommen (Pfropflinge) von 92 ausgewählten und charakterisierten Elitebäumen. Die in die Plantage einbezogenen Klone wurden durch biochemisch-genetische Untersuchungen identifiziert. Damit ist abgesichert, dass sich die verwendeten Klone genetisch unterscheiden. Eine hohe genetischer Vielfalt des Plantagensaatgutes sowie eine entscheidend höhere Qualität und Volumenleistung der Nachkommen gegenüber Kirschennaturverjüngung bzw. den Absaaten der genetisch ärmeren Saatgutbestände ist zu erwarten. Nach Startschwierigkeiten, bedingt insbe- sondere durch das Trockenjahr 2003, fruktifiziert die Plantage bis zum heutigen Zeitpunkt nicht ausreichend.

Allgemein ist zu sagen, dass das am Markt verfügbare Vogelkirschen-Saatgut i. d. R. nur ein gerin- ges Potenzial birgt, qualitativ hochwertige Individuen mit guter Stammform hervorzubringen.

Eine vielversprechende Alternative zu generativ erzeugtem Vermehrungsgut stellen inzwischen vegetative Nachkommen selektierter Elitebäume der Vogelkirsche aus Gewebekulturen dar (MEI- ER-DINKEL et al. 2007).

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9.2 Die Entwicklung der silvaSELECT-Vogelkirschen-Klonmischung – ein Erfolg der Forstpflanzenzüchtung

Die Entwicklung der silvaSELECT-Vogelkirschen-Klonmischung2 ist – allgemein gesagt – auf die Initiative der Forstpflanzenzüchter im Bereich der heutigen Nordwestdeutschen Forstlichen Ver- suchsanstalt (NW-FVA), Göttingen, zurückzuführen.

Bereits ca. 1984 begannen die Forschungen zur Auswahl und vegetativen Vermehrung von Kirschenelitebäumen im Rahmen eines BMBF-Verbundprojektes.

KLEINSCHMIT et. al (2015) berichten hierzu:

„Nach einem strengen Maßstab wurden zwischen 1985 und 1988 Plusbäume der Vogelkirsche in Waldbeständen nach phänotypischen Kriterien ausgewählt (erster Selektionsschritt). Von diesen Plusbäumen wurde einzelbaumweise Saatgut aus freier Abblüte zur Anlage von Nachkommen- schaftsprüfungen geerntet. In diesen Einzelbaum-Nachkommenschaften wurden in einem zweiten Schritt die besten Familien nach Qualität (Stammform, Wipfelschäftigkeit, Kronenausbildung) bei mindestens durchschnittlicher Wuchsleistung bestimmt. Aus den besten Familien wurden dann in einem dritten Selektionsschritt die am besten veranlagten Bäume (Elitebäume) für eine Klonprü- fung ausgewählt und vegetativ (in vitro) vermehrt.

Die Klonprüfungen wurden mit den mikrovegetativ vermehrten Pflanzen der selektierten Elite- bäume zwischen 1999 und 2002 angelegt. Nach Messung und Bonitur der Bäume im Alter von fünf bzw. sechs Jahren wurden herausragende Genotypen, die auf derselben Fläche stehenden Sämlin- gen in mindestens einem wirtschaftlich wichtigem Merkmal (Stammform, Wuchsleistung) signifi- kant überlegen waren, nach FoVG als Ausgangsmaterial für die Erzeugung von geprüftem Ver- mehrungsgut zugelassen. Insgesamt sind von der NW-FVA zurzeit 33 Vogelkirschen nach FoVG einzelklonweise zugelassen. Jungpflanzen der silvaSELECT-Vogelkirschen für die Praxis werden von zwei Partnerfirmen, Hummel in Stuttgart und Institut für Pflanzenkultur in Schnega, in Lizenz ver- mehrt. Zwischen 2002 und 2009 wurden insgesamt 167.000 silvaSELECT-Vogelkirschen vermark- tet.“

2„ Klonen (altgr. κλών klon ‚Zweig‘, ‚Schössling‘) bezeichnet die Erzeugung eines oder mehrerer genetisch identischer Individuen von Lebewesen. Die Gesamtheit der genetisch identischen Nachkommenschaft wird bei ganzen Organismen wie auch bei Zellen als Klon bezeichnet. Das Erzeugen von identischen Kopien einer DNA wird hingegen als Klonieren bezeichnet. ... In der Landwirtschaft hat die ungeschlechtliche, d. h. vege- tative Vermehrung, das Klonen von Kulturpflanzen, eine sehr lange Tradition. Damit soll erreicht werden, dass das Genom von Kulturpflanzen, die in der Regel durch Züchtung gewonnen wurden und bestimmte genetisch determinierte Eigenschaften besitzen, durch die Vermehrung nicht verändert wird. Zum Beispiel sind aus Knollen entstehende neue Kartoffelpflanzen Klone, genauso alle Zwiebelpflanzen. Auch der gesam- te Weinanbau beruht auf Stecklingsvermehrung, und Rebsorten sind im biologischen Sinne Klone. Das Glei- che gilt für alle Apfelsorten und die meisten anderen Obstsorten, die vegetativ durch Pflanzenveredelung vermehrt werden.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Klonen)

Mitteilungsheft 38/2020 | 92

Erste Untersuchungsergebnisse der Klonprüfungen durch die Verantwortlichen der NW-FVA zeig- ten eine „überragende waldbauliche Eignung“ der silvaSELECT-Vogelkirschen gegenüber den ge- nerativ erzeugten Pflanzen:

. homogene Wuchsform, . überwiegende Geradschaftigkeit, . überwiegend keine Starkastigkeit.

Hinsichtlich der Ausfallprozente waren die silvaSELECT•Kulturen vergleichbaren Sämlingskulturen nicht überlegen.

Von März 2012 bis März 2013 wurden weitere Untersuchungen auf mehr als 70 Flächen in Nie- dersachsen und Hessen durchgeführt (KLEINSCHMIT et. al 2015): „Anhand der aktuellen Ergebnisse der Klonprüfungen und der Aufnahme der Praxisflächen wurden die zugelassenen silvaSELECT- Genotypen von der NW-FVA erneut in ihrer Qualität beurteilt, mit dem Ziel die besten Genotypen, die sich auf mehreren Standorten als stabil gut erwiesen haben, für die forstliche Praxis vermehren zu lassen. Es werden künftig nur noch die 19 besten von insgesamt 33 den Vergleichssämlingen signifikant überlegenen zugelassenen Genotypen vermehrt und vermarktet.“

Vereinfacht kann man das praktizierte Vorgehen wie folgt zusammenfassen:

Die Nachkommen von Plusbäumen verschiedener Herkünfte wurden hinsichtlich Qualität und Wuchsleistung geprüft. Die besten Bäume wurden ausgewählt, vegetativ vermehrt und erneut geprüft. Aus diesen Klonprüfungen wurden wiederum die besten Bäume erneut vegetativ ver- mehrt. Diese stehen nun für die in vitro Vermehrung zur Verfügung. Dabei ist die genetische Viel- falt dieses Klongemisches höher als Vergleichsbestände aus Sämlingen.

Die Vogelkirsche unterliegt dem FoVG. Die Klone sind unter den Registernummern der Einzelklone als Vermehrungsgut der Kategorie „Geprüft“ (GP) zugelassen. Eine Aufstellung der Registernum- mern und Stammzertifikate muss von den Anbietern den Lieferpapieren beigefügt werden. Silva- SELECT ist ohne Ausnahme als Klongemisch zu pflanzen und wird deshalb nur als Klongemisch mit geschützten Warenzeichen abgegeben. Mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks können die Klo- ne einwandfrei identifiziert werden.

Über Bezugsmöglichkeiten und Preise können sich Interessenten unter www.silvaselect.com in- formieren.

In Thüringen wurden bereits im Herbst 2006 zwei silvaSELECT-Demonstrationsflächen angelegt. Diese Flächen waren und sind nicht Bestandteil der von der NW-FVA angelegten Prüfflächenserie.

9.3 Die Thüringer silvaSELECT-Demonstrationsflächen

Die beiden silvaSELECT-Demonstrationsflächen wurden im Herbst 2006 in den Thüringer Forstäm- tern Bleicherode-Südharz und Leinefelde angelegt (Tab. 9.1).

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Tab. 9.1: Grunddaten der Demonstrationsflächen in Thüringen

„Wipperdorf“ „Geney“

Forstamt Bleicherode-Südharz Leinefelde

Revier Wipperdorf Geney3

Abteilung Wi 4 b2 107 z2

Standortseinheit Vf-ML2 Vff-RLL2

Bodentyp Braunerde Parabraunerde

Bodenart Lehmiger Sand Skelettfreier Schlufflehm

Höhe ü. NN 224 m 408 m

Flächengröße 0,49 ha 0,8 ha Versuchsmethode 20 Klone silvaSELECT und genera- 20 Klone silvaSELECT und generati- tive Vergleichsherkünfte ve Vergleichsherkünfte 10 Stück/Reihe 10 Stück/Reihe Pflanzverband 2,5 m x 5 m 2,5 m x 5 m

In der Aufnahme im Herbst 2007 wurden Ausfall und Höhenwachstum nach Ablauf des ersten Jahres nach der Pflanzung aufgenommen. Die Ergebnisse zeigten bereits zu diesem Zeitpunkt eine positive Tendenz pro silvaSELECT (Tab. 9.2).

Unter dem Begriff „generative Vergleichsherkünfte“ werden die Herkünfte Lensahn und Eutin subsummiert.

Wie wurde auf den Versuchsflächen in den Folgejahren weiterverfahren?

. Kulturpflege in den ersten Jahren, . Beginn der Ästung nach zwei Vegetationsperioden (Spätwinter bzw. Juli), dabei sollte der Durchmesser der zu entfernenden Seitenzweige nicht größer als der Durchmesser der 1- Euro-Münze sein, . Ziel: sieben bis neun Meter astfreier Schaft.

Leider wurden die Kirschen auf der Fläche „Geney“ stark durch Mäuseschäden beeinflusst. Ein der Teil der Pflanzen wurde bei der Pflanzung mit offenen bzw. geschlossenen Wurzelkäfigen ausge- stattet, um ihre Wirksamkeit gegen Mäusefraß an den Wurzeln zu testen. Es traten jedoch zusätz- lich massive Mäusefraßschäden am Schaft der Pflanzen auf. Dies führte letztendlich zu einer star- ken Dezimierung der ausgebrachten Pflanzen bzw. sogar dem Totalausfall eines Klones.

3 Das Revier Geney war zum Zeitpunkt der Flächenanlage dem Thüringer Forstamt Leinefelde zugeordnet.

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Tab. 9.2: Ausgewählte Ergebnisse der Aufnahme Herbst 2007

Herkünfte „Wipperdorf“ „Geney“ generative Ver- Ausfall 5,7 % 22,9 % gleichsherkünfte Ausfall silvaSELECT 4,5 % 13,4 % generative Ver- mittl. Höhe Herbst 2006 82,0 cm 74,1 cm gleichsherkünfte generative Ver- mittl. Höhe Herbst 2007 87,0 cm 84,0 cm gleichsherkünfte Zuwachs in % zur Höhe 2006 6,1 9,9

mittl. Höhe Herbst 2006 silvaSELECT 112,4 cm 107,9 cm

mittl. Höhe Herbst 2007 silvaSELECT 122,0 cm 128,4 cm

Zuwachs in % zur Höhe 2006 7,7 19,0

In der Vegetationsruhe 2016/2017 erfolgte nach zehn Vegetationsperioden die vorerst letzte Auf- nahme der Flächen. Neben Durchmesser- und Höhenwachstum wurde auch die Stammform nach folgendem Schlüssel angesprochen:

. 1 zweischnürig, ganz gerade . 2 einschnürig mit geringen Bögen . 3 unschnürig mit geringen bis mittleren Bögen . 4 unschnürig mit mittleren bis starken Bögen . 5 krummer und knickiger Stamm

In der nachfolgenden Tabelle (Tab. 9.3) wird zur Charakterisierung der Stammform jeweils der Mittelwert der Boniturnoten je Klon bzw. Vergleichsherkunft dargestellt. Je höher dieser ausfällt, je schlechter ist die Qualität des Schaftes einzuschätzen.

Es wird deutlich, dass auf den Thüringer Flächen die silvaSELECT-Klone im Durchschnitt ein besse- res Wachstum und eine bessere Qualität zeigen als die Absaaten der Saatgutbestände. Beide Flä- chen zeigen jedoch, i. W. bedingt durch Faktoren wie Standort und Mäuseschäden, ein unter- schiedliches Niveau der Wuchsleistung.

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Tab. 9.3: Ausgewählte Ergebnisse der Aufnahme nach Abschluss der Vegetationszeit 2016

„Wipperdorf“ „Geney“ BHD Höhe Stamm- BHD Höhe Stamm- Klon (cm) (cm) form (cm) (cm) form 1 Aphrodite 10,18 9,02 1,33 6,35 5,40 1,13 2 Apollo 7,39 6,52 1,44 3 Asteria 10,93 7,75 1,00 7,82 5,81 1,22 4 Bacchus 9,73 7,69 1,29 5,05 5,00 1,00 5 Ceres 8,14 7,10 1,10 6,35 5,83 1,00 6 Concordia 10,88 9,48 1,00 9,38 8,37 1,00 7 Deo 8,57 6,88 1,22 7,70 6,80 1,00 8 Diane 9,30 7,83 1,78 8,00 7,28 1,33 9 Dike 11,07 8,77 1,70 8,50 7,20 1,00 10 Eros 6,85 6,21 1,90 4,97 4,91 2,14 11 Favonius 8,04 7,26 1,22 9,30 7,49 1,29 12 Fidius 9,95 6,75 1,75 7,95 5,86 1,38 13 Hektor 8,99 8,41 1,22 6,91 6,71 1,57 14 Hypnos 8,86 7,14 1,38 8,66 6,92 1,20 15 Mars 10,07 7,81 1,78 7,67 6,33 1,33 16 Merkur 11,34 7,87 1,70 9,30 6,55 1,38 17 Neptun 12,18 9,19 1,40 10,25 7,67 1,00 18 Pan 8,08 7,04 2,11 8,16 6,88 1,25 19 Pluto 7,38 7,14 1,50 6,73 6,30 1,00 20 Saturn 10,11 7,63 1,29 7,97 6,54 1,00

Mittelwert 9,40 7,67 1,46 7,74 6,52 1,22

Vergleichsherkunft 8,86 6,63 1,82 7,29 5,30 1,38 Eutin Vergleichsherkunft 7,46 6,05 2,07 6,56 5,04 1,88 Lehnsan Mittelwert 8,16 6,34 1,94 6,93 5,17 1,63

Die in grüner Schrift hervorgehobenen Klone sind u. a. diejenigen, die auch auf den Flächen der NW-FVA überzeugten und nun zu den 19 ausgewählten Klonen gehören, die den Vergleichssämlingen signifikant überlegen sind, aktuell vermehrt und als Klonsorte „silvaSELECT III“ vermarktet werden.

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Abb. 9.1: Grafische Darstellung der Ergebnisse der Aufnahme 2017

Darüber hinaus zeigt sich, dass Wachstum und Qualität der einzelnen silvaSELECT-Klone im Ver- gleich untereinander sehr heterogen ist. Einzelne Klone zeigen sogar geringere Leistungen als die Baumschulvergleichsklone.

Abb. 9.2: Aktuelle Situation auf der Demonstrations-

fläche Wipperdorf (Foto: R. Rabel)

9.4 Klonsorte silvaSELECT III – und wie geht es weiter?

Abweichende Erfahrungen im Vergleich zu den Untersuchungsergebnissen der NW-FVA - insbe- sondere hinsichtlich des Anwuchsverhaltens - wurden auch auf Flächen des Staatsbetriebes Sach- senforst gemacht. Die Ergebnisse erster Aufnahmen deuteten darauf hin, dass auf suboptimalen

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Standorten die Klone aufgrund ihrer nicht vorhandenen Anpassung an eher kontinentale Klima- verhältnisse Schwierigkeiten haben, zu überleben. Auch die Wahrscheinlichkeit der Anfälligkeit gegenüber Schäden in der Folgezeit wurde höher eingeschätzt.

Abb. 9.3: Verdeutlichung der Dimensionen eines Einzelbaums des Klons Neptun auf der Demonstra- tionsfläche Wipperdorf (Foto: R. Rabel)

Da für die Herkunftsgebiete 814 02 und 814 03 keine überzeugenden Anwuchsergebnisse zu ver- zeichnen waren, wurde empfohlen, die Verwendung von silvaSELECT-Klonmischung auf das HKG 814 04 zu beschränken.

Seit einigen Jahren arbeiten die Fachleute des Kompetenzzentrums Wald und Forstwirtschaft des Staatsbetriebes Sachsenforst gemeinsam mit den Spezialisten der Baumschulen Oberdorla GmbH an der Entwicklung einer Vogelkirschen-Klonsorte, die eine bessere Eignung für kontinentale Kli- maverhältnisse aufweist. In diesen Prozess wurden auch Thüringer Vogelkirschen-Elite- Mutterbäume einbezogen. Der forstvermehrungsgutrechtliche Zulassungsprozess ist jedoch noch nicht abgeschlossen.

9.5 Fazit

Das am Markt verfügbare Vermehrungsgut der Vogelkirsche aus Absaaten von Saatgutbeststän- den bzw. Samenplantagen enthält in der Regel nur einen geringen Anteil qualitativ hochwertigen Materials mit einer hohen Erlöserwartung für die Zukunft.

Durch die Methode der Mikrovermehrung werden ausgesuchte Elitebäume vegetativ vermehrt. Dadurch bleiben die guten Wuchseigenschaften der Nachkommen unverändert erhalten. Diese Art der Vermehrung stellt keinen Eingriff in den „Genpool“ dar und ist ein legitimes Instrument der Forstpflanzenzüchtung.

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Die silvaSELECT-Vogelkirschen überzeugen in der Volumenleistung, jedoch besonders in der Stammform bzw. Schaftqualität. Die Möglichkeit der Wertholzerzeugung in einem Zeitraum von in 40 bis 80 Jahren wird realistisch. Sie sind ohne Ausnahme als Klongemisch zu pflanzen und wird deshalb nur als Klongemisch mit geschützten Warenzeichen von den Anbietern abgegeben. Die silvaSELECT-Vogelkirschen sollten in Weitverbänden von (mindestens 2 x 2 m bis) 5 x 5 m unter Beachtung der Standortseignung (sonnige, tiefgründige, mäßig frische bis frische Standorte mit guter bis sehr guter Nährstoffversorgung) angepflanzt werden. In den ersten 10 bis 15 Jahren sollte regelmäßige Wertästung erfolgen, bis ein astfreier Schaft von 6 bis 8 m Länge für die Wert- holzerzeugung erreicht ist.Für Thüringen kann angenommen werden, dass das aktuell auf dem Markt vorhandene Klongemisch am besten für das HKG 814 04 geeignet ist.

Die Entwicklung einer neuen Klonsorte für den mitteldeutschen kontinentalen Bereich Deutsch- lands durch das Kompetenzzentrums Wald und Forstwirtschaft des Staatsbetriebes Sachsenforst und die Baumschulen Oberdorla GmbH eröffnet für die Zukunft neue Perspektiven.

Literatur

ARENHÖVEL, W.et.al (2018): Die Weißtannen-Samenplantage Vitzeroda in Thüringen, AFZ-Der Wald 5/2018 ARENHÖVEL, W., KAHLERT, K. (1998): Erhaltung forstlicher Genressourcen in Thüringen, Schriftenrei- he LaWuF 14/98 EBERT, H. P. (1998): Die Behandlung von nicht häufig vorkommenden Baumarten (Nebenbaumar- ten), Schriftenreihe der Fachhochschule Rottenburg Nr. 10 JANSSEN, A.; MEIER-DINKEL, A.; STEINER, W.; DEGEN, B. (2010): Forstgenetische Ressourcen der Vogel- Kirsche, Forst u. Holz, 65. Jg., 6, 19-24 KLEINSCHMIT, J.; MEIER-DINKEL, A.; JORBAHN, M. (2015): Entwicklung von Kulturen mit silvaSELECT- Vogelkirsche, AFZ/Der Wald, 70. Jg., 15, 44-46 LIESEBACH, M.; DEGEN, B.; GROTEHUSMANN, H.; JANßEN, A.; KONNERT, M.; RAU, H.-M.; SCHIRMER, R.; SCHNECK, V.; SCHNECK, D.; STEINER, W.; WOLF, H. (2013): Strategie zur mittel- und langfristi- gen Versorgung mit hochwertigem forstlichem Vermehrungsgut durch Züchtung in Deutschland. Thünen Report 7, Johann-Heinrich von Thünen-Institut, Braunschweig, 69 Seiten MEIER-DINKEL, A.; STEINER, W.; ARTES, O.; HOSIUS, B.; LEINEMANN, L. (2007): Die silvaSELECT- Vogelkirschen-Klonmischung "Escherode I", AFZ/Der Wald, 62. Jg., 246-248 PAUL, M.; HINRICHS, T.; JANßEN, A.; SCHMIDT, H.-P.; SOPPA, B.; STEPHAN, B. R.; DÖRFLINGER, H. (2010): Forstliche Genressourcen in Deutschland. Konzept zur Erhaltung und nachhaltigen Nut- zung forstlicher Genressourcen in der Bundesrepublik Deutschland. Aktualisierte Neuauf- lage, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Bonn, 84 Seiten.

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10 Genetische Untersuchungen von Uralteichen in Thüringen

Klein, Mario

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (ThüringenForst) Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha E-Mail: [email protected]

10.1 Einführung

Für die aktuelle genetische Variation und Differenzierung von Waldbaumarten in Europa sind im Wesentlichen zwei Faktoren maßgebend. Erstens sind die nacheiszeitlichen Rückwanderungs- geschichte aus den meist in Süd- und Südosteuropa liegenden Refugien und zweitens die Anzahl und geografische Lage der Refugialgebiete sowie die anthropogenen Verbreitungen wesentliche Einflussfaktoren. Die Untersuchungen von HEWITT (1999) und PETIT et al. (2002) zeigen eine deutli- che genetische Differenzierung verschiedener Refugialgebiete, die es noch heute möglich macht, die Rückwanderungswege der Eiche nach der letzten Eiszeit zu rekonstruieren.

10.2 Vorgehen und Methodik

Durch die Fa. ISOGEN (Göttingen) wurden 2014 in Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg- Vorpommern und Thüringen Alteichen-Solitäre und in Thüringen zusätzlich zwei Alteichen- bestände mit einem Stichprobenumfang von jeweils 20 Individuen genetisch untersucht. Diese dienten als Referenzpopulationen für eine Analyse zur Artunterscheidung.

Tab. 10.1: Übersicht über die beprobten Einzelbäume bzw. Bestände nach Bundesländern

Anzahl Anzahl Art- Bundesland Solitäre Bestände unterscheidung Mecklenburg-Vorpommern 57 Nein

Thüringen 65 2 Ja

Nordrhein-Westfalen 128 Ja

Die Auswahl der Solitäreichen in Thüringen erfolgte nach Literaturrecherche und Datensammlun- gen der Landesforstverwaltung und der unteren Naturschutzbehörden der Landkreise und kreis- freien Städte. Da es sich um markante Bäume handelte, war das ungefähre Alter teilweise aus alten Unterlagen zu diesen Bäumen bekannt.

Mitteilungsheft 38/2020 | 100

Neben den Solitären wurden in Thüringen ebenfalls noch zwei Saatgutbestände mit einem Stich- probenumfang von je 20 Bäumen erfasst und beprobt. Von allen Eichen wurden Blattproben ge- wonnen, in Einzelfällen das Kambium von absterbenden und/oder geworfenen Bäumen.

Mithilfe von Genmarkern konnten diese Uralteichen eiszeitlichen Refugien zugeordnet werden und somit eine Eichenverbreitung über mehrere Hundert Jahre zurückverfolgt werden. Dies er- folgte vor dem Hintergrund der Kenntnis, dass der menschliche Einfluss auf die Waldbaum- populationen in den letzten 2.000 Jahren stetig zunahm.

In der Tab. 10.2 sind die Farbcodes für die in den Kulturen nachgewiesenen cpDNA-Haplotypen und deren Ursprungsregionen dargestellt.

Tab. 10.2: Zuordnung der cpDNA-Haplotypen zu den Ursprungsregionen (Quelle: ISOGEN 2015)

Haplotyp Farb- Ursprung (haplotype) code (origin) 1 Italien

2 Italien

4 Balkan

5 Balkan

7 Balkan

10 Iberische Halbinsel

12 Iberische Halbinsel

10.3 Ergebnisse

10.3.1 Gesamtübersicht

Nach Auswertung der Genmarker ergab sich ein interessantes Bild zwischen den einzelnen Bun- desländern. Die in Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern analysierten Genmarker sind überwiegend dem italienischen Refugium (H1) und der Iberischen Halbinsel (H 12) zuzuord- nen. Die in Thüringen gefundenen Haplotypen hingegen, sind dem Balkan-Refugium (H 5, H 7) zuzuordnen (siehe Abb. 10.1).

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Abb. 10.1: Haplotypen der untersuchten Alteichen (H1 = rot, H2 = rosa, H 4 = grau, H5 = dunkelblau, H7 = hellblau, H10 = gelb, H12 = orange; nach Petit et al. 2002), (Quelle: ISOGEN, 2015)

10.3.2 Haplotypenverteilung in den Bundesländern

In Nordrhein-Westfalen wurde sechs von sieben Haplotypen gefunden. Während 77 % aus dem apenninischen (H 1) und 22 % aus dem iberischen Refugium (H 10, H 12) stammen, kamen Haplo- typen aus dem Balkan Refugium (H 4, H7) relativ selten vor.

In Mecklenburg-Vorpommern wurden vier von sieben Haplotypen gefunden. 87 % der gefunden Haplotypen stammen aus Italien (H 1) und von der Iberischen Halbinsel (H 10) Die Haplotypen aus dem Balkan Refugium (H 4, H 7) kamen in Mecklenburg-Vorpommern nur selten vor.

In Thüringen konnten fünf von sieben Haplotypen nachgewiesen werden. Dabei dominierten die Haplotypen aus dem Balkanrefugium (H 5, H 7) mit 64 %, gefolgt von den Haplotypen der Iberi- schen Halbinsel (H 10, H 12) mit 25 % und dem apenninischen Refugium (H 1) mit 11 %. Es zeigte sich in Thüringen eine kompakte Häufung des Haplotypen H 7, der aus dem Balkan-Refugium stammt im Bereich der Ilmplatte, des Holzlandes und des Thüringer Oberlandes. In der Mitte und im Westen Thüringens befinden sich vorwiegend die Haplotypen H 1 (Apennin) und H 12 (Iberi- sche Halbinsel).

10.3.3 Analyse der Artzugehörigkeit

Weiterhin wurde mit Hilfe von artdifferenzierten Kerngenmarkern eine Analyse der Artzugehörig- keit der Eichensolitäre in Nordrhein-Westfalen und Thüringen durchgeführt. Dafür dienten die

Mitteilungsheft 38/2020 | 102 zwei Thüringer Bestände (Forstamt Jena-Holzland und Forstamt Sondershausen) als Referenzflä- chen.

Abb. 10.2: Zuordnung der Eichenbestände zu Trauben- bzw. Stieleiche (Quelle: ISOGEN, 2015)

Beide thüringischen Bestände bilden genetisch völlig unabhängige Gruppen, wie aus Abb. 10.2 ersichtlich ist. Diese Referenzflächen wurden mit den Solitäreichen aus Thüringen und Nordrhein- Westfalen verglichen. Der paarweise Vergleich zwischen den Solitären aus Nordrhein-Westfalen und Thüringen ergab, dass der überwiegende Teil der Solitäre Stieleichen sind. Von insgesamt 193 Eichensolitären in Nordrhein-Westfalen und Thüringen sind nur 18 Bäume (9 %) der Traubeneiche zuzuordnen.

10.4 Nacheiszeitliche Rückwanderungswege und Haplotypenstrukturen

Die Eiche überlebte die Eiszeiten in Mitteleuropa in Refugien auf der iberischen Halbinsel, in Ita- lien und auf dem Balkan. Auf Grund der vorgefundenen Haplotypen ist eine Differenzierung, auch in der Ausbreitung erkennbar. Diese einzelnen haplotypischen Strukturen haben sich relativ gut erhalten und somit ist es möglich, Herkunftsaussagen der heute vorkommenden Eichenvorkom- men zu treffen. Die Haplotypenstrukturen in Deutschland sind wesentlich differenzierter als in anderen europäischen Staaten. Dieser Umstand ergibt sich aus der Verschneidung der nacheis- zeitlichen natürlichen Rückwanderung und der seit dem 18. Jahrhundert zunehmenden Verfrach- tung von Saat- und Pflanzgut durch den Menschen.

Literatur

HEWITT, G. (2009): Post‐glacial re‐colonization of European biota, Biological Journal of the Linnean Society

Mitteilungsheft 38/2020 103 |

HOSIUS, B. et. al. (2012): Genetische Untersuchungen von Uralteichen in Mecklenburg- Vorpommern, AFZ/Der Wald 24/2012, 10 - 12 ISOGEN (2015): Vergleichende genetische Charakterisierung von Eichenbeständen in Thüringen mittels DNA-Analysen, unveröffentlicht LEINEMANN, L.; HOSIUS, B.; BERGMANN, F.; ARENHÖVEL, W.; ROGGE, M.; VOTH, W.; GAILING, O. (2017): Analysen mit DNS-Genmarkern an Uralteichen in verschiedenen Regionen Deutschlands. Allgemeine Forst- und Jagdzeitung (11/12), S. 210-221. DOI 10.23765/afjz0002015 PETIT, R. et. al. (2002): Identification of refugia and post-glacial colonisation routes of European white oaks based on chloroplast DNA and fossil pollen evidence. Forest Ecology and Man- agement 156, 49-74. PETIT, R. et. al. (2002) Chloroplast DNA variation in European white oaks. Phylogeography and pat- terns of diversity based on data from over 2600 populations. Forest Ecology and Manage- ment 156, 5-26.

Mitteilungsheft 38/2020 | 104

11 Kalabrische Weiß-Tanne in Thüringen

Carl, Christin; Zimmermanns, Jan; Kahlert, Karina; Klein, Mario

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Technische Universität München, Lehrstuhl Waldwachstumskunde Hans-Carl-v.-Carlowitz-Platz 2, D - 85354 Freising E-Mail: [email protected]

11.1 Einleitung

Die kalabrische Weiß-Tanne stammt aus einem eiszeitlichen Refugium und bildet eine räumlich getrennte und genetisch stark differenzierte Population (NEOPHYTOU 2014). Die mitteleuropäische Weiß-Tanne hingegen stammt aus den zwei Refugien: nördliche Apennin und Balkan (NEOPHYTOU 2014). Tannenprovenienzversuche in Mittelitalien (PAVARI 1951) und Dänemark (LØFTING 1959) zeigten, dass die kalabrischen Provenienzen ein hohes Leistungspotenzial haben. Im Zuge des „Waldsterbens“ und der genetischen Verarmung wurde vermehrt in Mitteleuropa nach vitalen und alternativen Provenienzen gesucht. Daher wurden im Frühjahr 1998 auch in Thüringen zwei Versuchsflächen (jeweils ca. 0,5 ha) mit kalabrischer Weiß-Tanne (Pflanzenalter 2/2) der Herkünf- te Monte (Mt.) Gariglione (1550 - 1750 m ü NN) und Mt. Pollino (1400 - 1650 m ü NN) angelegt. Der Reihenabstand betrug 3 m und der Pflanzabstand 2 m.

Die Etablierung erfolgte im heutigen Forstamt Neuhaus in den Revieren Lauscha und Reich- mannsdorf. In der Tab. 11.1 sind die wesentlichen Kenndaten zur Beschreibung der zwei Ver- suchsflächen in Thüringen dargestellt.

Erste ertragskundliche Daten wurden 2001 und 2003 (KAHLERT 2005) erhoben. Weitere Zwischen- ergebnisse aus dem Jahr 2017 werden im Folgenden beschrieben.

11.2 Material und Methoden

Die Aufnahme der Untersuchungsflächen erfolgte am 23./27.09.2017. Es wurden je Versuchsflä- che und je Herkunft zwei Probekreise systematisch auf den Untersuchungsflächen verteilt. Der Radius betrug 12,62 m. Alle sich im Probekreis befindenden kalabrischen Weiß-Tannen und die Begleitbaumarten wurden aufgenommen. Vermessen wurden der Brusthöhendurchmesser (BHD), die Höhe, die Jahrestrieblängen 2017, 2016 und 2015. Zudem erfolgte eine Vitalitätsansprache, Ermittlung des Ausfalls, der Vergleiche zu einer Referenzfläche im Revier und zu vorliegen- den Zwischenergebnissen (KAHLERT 2005).

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Tab. 11.1: Charakterisierung der zwei Versuchsflächen in Thüringen

Revier Lauscha Reichmannsdorf

Abteilung 0338 a1 614 a6

Wuchsgebiet Thüringer Gebirge Thüringer Gebirge Nordabdachung des Schie- Wuchsbezirk Hohes Schiefergebirge fergebirges Höhe 790 m ü NN 650 m ü NN leicht geneigt, eben bis schwach geneigt, Hangneigung Hangrichtung Südosten Hangrichtung Nordosten mittlere Jahresdurchschnitts- 5,7 °C 6.7 °C temperatur mittlerer Jahresniederschlag 862 mm 733 mm

Ausgangsgestein quarzitischer Schiefer quarzitischer Schiefer

Bodentyp podsolige Braunerde podsolige Braunerde Hainsimsen-(Tannen)- Beerstrauch-Fichten- Waldgesellschaft Fichten-Buchenwald Kiefern-Tannenwald

11.3 Ergebnisse und Diskussion

Bei der Betrachtung des Durchmessers des Grundflächenmittelstammes (dg) erreicht die Proveni- enz Mt. Gariglione (4,0 cm| 3,5 m) im Revier Reichmannsdorf 44 % der Wuchsleistung des Reviers Lauscha (9,1 cm| hg 5,9 m). Die Provenienz Mt. Pollino (5,3 cm| hg 4,5 m) im Revier Reichmanns- dorf erreicht 72 % der dg Wuchsleistung des Reviers Lauscha (7,4 cm| 5,1 m). Die „einheimische“ Weiß-Tanne im Revier Piesau (dg 5,6 cm| hg 4,3) ist bezüglich ihrer Ertragsleistung zwischen den Versuchsflächen und Provenienzen einzuordnen. Bei der Gegenüberstellung der Versuchsflächen zeigen die kalabrischen Tannen im Revier Lauscha höhere ertragskundliche Werte als im Revier Reichmannsdorf. Die Gründe hierfür könnten die Belichtungs- und die Standortsverhältnisse sein. In der Abb. 11.1 ist die Höhenentwicklung aller kalabrischen Weiß-Tannen in Thüringen zusam- menfassend dargestellt. Die kontinuierliche Höhenentwicklung ist vermutlich den etablierten Zäunen zu verdanken (weitgehende Vermeidung von Verbiss). Beide kalabrischen Provenienzen zeigen im Jahr 2016 den höchsten Höhenzuwachs. Bei der Betrachtung der Jahrestrieblängen der Periode 2000-2003 ist der Einbruch des Höhenwachstums im Trockenjahr 2003 bei allen Weiß- Tannenherkünften deutlich zu erkennen. Das Ausfallprozent schwankt ein Jahr nach der Auspflan- zung 1999 von 1 bis 10 %, im Jahr 2000 von 8 bis 20 % (KAHLERT 2005) und im Jahr 2017 von 21 bis 45 %. Die Begleitbaumarten sind Buche, Fichte und Eberesche. Alle analysierten Tannen sind vital und haben eine intakte Terminalknospe. Lediglich im Revier Lauscha tritt; Herpotricha parasitica - Nadelbräune an den unteren Seitentrieben der kalabrischen Tannen, auf (CARL und ZIMMERMANNS 2017).

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Abb. 11.1: Höhenentwicklung der Kalabrischen Weiß-Tanne - Thüringen, Baumhöhen 1997 - 2017, Mess- werte (bunte Säulen), interpolierte Werte (graue Säulen), Bilder: 1997 - Baumschule Breiten- worbis 12.09.1997 - Mt.Pollino, 1999 Revier Reichmannsdorf Mt. Gariglione, 2002 Revier Reichmannsdorf, 2012 Revier Lauscha, 2017 Revier Lauscha (Fotos: FFK Gotha)

11.4 Fazit

Die ausgewählten kalabrischen Provenienzen erzielen gute Wuchsleistungen im Thüringer Wald. Demnach sind die Bedingungen (Lage, Klima, Boden) auf den beiden Versuchsflächen für einen vitalen Aufwuchs der kalabrischen Weiß-Tanne geeignet. Der Anbau der kalabrischen Tannenpro- venienzen sollte in Mischung mit der „Thüringer“ Tanne erfolgen. Alles in allem kann die geneti- sche Vielfalt durch die kalabrische Tanne aufgewertet und das Risiko der genetischen Einengung gesenkt werden.

Danksagung

Unser Dank gilt dem Forstamt Neuhaus in Vertretung durch Herrn Peter Hamers und den Revier- leitern Herrn Michael Jäcklein und Herrn Jens Ulbricht.

Literatur

CARL, C., ZIMMERMANNS, J. (2017): Projekt Kalabrische Weißtanne, Abies alba var. calabrica in Thüringen - Wachstumsentwicklung 1998 - 2017. Intern FFK Gotha, 1-50. KAHLERT, K. (2005): Anbauversuche mit Abies alba var. calabrica in Thüringen, Zwischenauswer- tung, Intern FFK Gotha, 1-10.

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LØFTING, E. (1959): Danmarks Aedelgranproblem. 1. Del. Proveniensv. Forst. Forsogosv. Danm. 2. Bd. 26.1. NEOPHYTOU, C. (2014): Genetik der Weißtanne: Ein- oder Vielfalt?, VFS-Freiburg, Forstlicher Ver- suchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg, 8. PAVARI, A. (1951): Esperienze e indagini su le provenienze e razze dell'Abete bianco (Abies alba Mill.). Stazione Sperimentale di Selvicoltura.

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12 Waldbau und Forstgenetik arbeiten eng und erfolgreich zusammen

Arenhövel, Wolfgang; Kahlert, Karina; Frischbier, Nico; Hosius, Bernhard; Leinemann, Ludger

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (ThüringenForst) Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha E-Mail: [email protected]

12.1 Beispielbaumart Weiß-Tanne

Der Klimawandel ist Realität. Die Baumartenanteile verändern sich. Die Fichte hat durch die Stür- me der letzten Jahrzehnte – hier wird v.a. auf Kyrill 2007 verwiesen – und durch den Borkenkäfer deutlich an Fläche verloren. Der Bedarf an Nadelholz steigt dagegen kontinuierlich an. Insofern bieten sich die heimische Weiß-Tanne und die Gastbaumart Douglasie an, die Flächenverluste von Fichte und auch Kiefer anteilig zu kompensieren.

Die sehr umfangreiche, flächendeckende Weiß-Tanneninventur von 1993 weist nur noch etwas mehr als 90.000 Tannen in 3.043 räumlich getrennten Vorkommen nach, die älter als 20 Jahre sind (HENKEL 1995). Gegenwärtig beträgt der Tannenanteil in Thüringen trotz leichten Anstiegs in den letzten Jahren noch nicht mehr als 0,1 % (BWI 3, 2016). Als Mischbaumart ist die Weiß-Tanne vom Gebirge bis in die Hügelländer ein unverzichtbarer Stabilitätsfaktor. Unter Berücksichtigung der klimatischen Veränderungen könnte die Weiß-Tanne auf etwa 65 % der Waldfläche Thürin- gens angebaut werden. Im Landeswald hat man sich vorerst auf einen perspektivischen Tannen- anteil von 4 bis 5 % festgelegt (ARENHÖVEL 2002, KOHLSTEDT et al. 2014).

Im Nachgang zur Weiß-Tanneninventur 1993 konnte durch umfassende biochemisch-genetische Untersuchungen – eine wesentliche Grundlage für erfolgversprechende Erhaltungsmaßnahmen – der Nachweis einer Thüringer Lokalrasse erbracht werden. Diese autochthone Weiß-Tanne zeigt in ihren genetischen Strukturen Ähnlichkeit mit der Weiß-Tanne des Erzgebirges, Südwestpolens, Nordtschechiens aber auch des Fichtelgebirges und des Bayerischen Waldes. Festgestellt wurde jedoch auch, dass die Weiß-Tanne in Thüringen aufgrund ihres langen Rückwanderungsweges und ihrer gravierenden Flächenverluste durch Nutzung, Waldbau, Wild, Luftschadstoffe genetisch eingeengt ist (KONNERT et. al. 1995). Insofern braucht es ein breites Spektrum von Erhaltungsmaß- nahmen, um die Tanne in Thüringen in eine sichere Zukunft zu führen (ARENHÖVEL 2002, LARSEN 1993):

Naturverjüngung nutzen, wo immer möglich

Naturverjüngung mit Tanne gelingt unter Schirm bei tannenverträglichem Wildstand relativ un- kompliziert. Allerdings dürfen die Bestände nicht vergrast sein. Notwendig tannenverträgliche Wilddichten sind als Daueraufgabe nicht leicht durchzuhalten (HAMM et. al. 2014, HUTH et al. 2017).

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Saatgutgewinnung in Thüringer Saatgutbeständen für Pflanzung und Saat

In Thüringen gibt es aktuell 42 autochthone Saatgutbestände der Weiß-Tanne. Allerdings sind die Tannen-Saatgutbestände weit überwiegend sehr klein. Das verschärft das Problem der geneti- schen Einengung. Daher ist es zwingend, dass nicht immer dieselben, sondern über einen länge- ren Zeitraum möglichst viele Saatgutbestände beerntet werden. Seit 2003 wurden 19,5 t Zapfen geerntet und 2 t Saatgut aufbereitet (das entspricht etwa 2,7 Mio. Tannenpflanzen bzw. 100 ha Saat). Der aktuelle Bedarf kann nicht gedeckt werden.

Verwendung von Weiß-Tannensaatgut des Rückwanderungsweges

In den letzten Jahren wurde immer auch Saatgut eingekauft, sofern es dem Rückwanderungsweg der Tanne nach Thüringen entspricht. Von ersten Einkäufen aus Nordostbayern ist später abge- rückt worden, weil auch diese Tanne genetisch eingeengt ist. Inzwischen wird deshalb vor allem Tannensaatgut aus der Slowakei bezogen.

Aufbau von Weiß-Tannen-Samenplantagen

Aus populationsgenetischer Sicht ist die Situation in den verbliebenen stammzahlarmen Weiß- Tannen-Restvorkommen kritisch. Das Paarungsgeschehen ist aufgrund der Seltenheit und der weiten Entfernung zwischen den Paarungspartnern erheblich gestört. Die Folgen sind hohe Antei- le von Selbstbefruchtung und geringe Saatgutqualität. Die Lösung für dieses Problem formulierte HOSIUS (1996) so: „Die Zusammenführung von Individuen verschiedener, in natura weit auseinan- der liegender Bestände in einer Samenplantage erzeugt eine große effektive Populationsgröße und schafft eine künstliche Paarungsgemeinschaft, welche neue Genotyp-Kombinationen ermöglicht. Daher ist eine Erhöhung der genetischen Diversität zu erwarten“.

Im Frühjahr 2000 wurden daher zwei Weiß-Tannen-Generhaltungssamenplantagen angelegt. Während „Vitzeroda“ im Forstamt Bad Liebenstein gut gelungen ist, waren die Weiß-Tannen- Pfropflingspflanzen den standörtlichen Bedingungen der Thüringer Kammlagen in „Schmiedefeld“ nicht gewachsen.

12.2 Konzeption der Weiß-Tannen-Samenplantage Vitzeroda und erste Ergeb- nisse

Bereits 1995 erfolgte nach der Empfehlung von HENKEL eine Vorauswahl von potentiellen Tannen- beständen für eine Samenplantage auf der Basis von Genmarkern. Auf diesem Weg als nicht- autochthon erkannte Bestände wurden von der späteren Plusbaumauswahl ausgeschlossen. Plus- bäume wurden nach Vitalität und phänotypischen Kriterien ausgewählt. Die Berücksichtigung genetischer Kriterien führte zur Auswahl von 139 biochemisch-genetisch charakterisierten Klonen aus 39 Tannen-Beständen in damals 16 Forstämtern.

An der genetischen Verarmung der Thüringer Weiß-Tanne durch Anpassungsprozesse und Fla- schenhalseffekte während der nacheiszeitlichen Rückwanderung besteht kein Zweifel (KONNERT 1993, KONNERT et. al. 1995, HENKEL et. al. 1996, ISOGEN 1993, ISOGEN 1998, HOSIUS et. al. 2000).

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Als klassischen Flaschenhalseffekt bezeichnet man den Verlust genetischer Vielfalt aufgrund ge- ringer Populationsgrößen, also aus statistischen Gründen und nicht auf Selektion basierend. An- dere Flaschenhalseffekte sind in der jüngeren Vergangenheit jedoch auch auf die Waldbewirt- schaftung (Altersklassenwald, meist im Kahlschlagbetrieb, hohe Wildbestände) und Luftschadstof- fe (SO2) zurück zu führen, die zu einer deutlichen Bevorzugung der hierfür geeigneten Baumarten Fichte und Kiefer führte. Daher sollte die Weiß-Tannen-Samenplantage zwei Aufgaben erfüllen:

I. Erhaltung der Thüringer Lokalrasse und damit deren waldbaulicher Vorteile durch die Verwendung von bereits an die örtlichen Bedingungen angepasstem Material (Erhaltung der Angepasstheit). II. Erhöhung der genetischen Vielfalt und Diversität, sowie Vermeidung letaler Erbanlagen (Förderung der Anpassungsfähigkeit).

Die Erhöhung der genetischen Diversität erfolgte durch eine Vorauswahl von Plusbäumen aus einem größeren Kollektiv von Plusbaumkandidaten. Zunächst wurden diese Plusbaumkandidaten genetisch untersucht und eine Genotypen-Datenbank erstellt, so dass dort gezielt nach geeigne- ten Plusbäumen selektiert werden konnte. Die Erhöhung der genetischen Vielfalt und Diversität erfolgte durch eine stärkere Berücksichtigung von Bäumen mit seltenen Allelen. Dieses Vorgehen basiert auf dem Gedanken, dass an Isoenzymgenorten nachweisbare seltene Allele ein Indikator für weitere seltene Erbanlagen im Genom sind (HENKEL et. al. 1996).

Im Frühjahr 2000 konnte in der ehemaligen Baumschule Vitzeroda (Südthüringisches Trias- Hügelland, 7–7,5°C; 650–750mm, Sandstein-Braunerde) die Weiß-Tannenplantage begründet werden. Verfügbar waren von 139 Klonen zuletzt insgesamt 768 Ballen-Pflanzen (davon 362 Stück auf Pfropfunterlagen von Abies alba und 406 Stück auf Abies koreana).

Abb. 12.1: Erste Zapfen in der Samen- plantage Vitzeroda (Foto: W. Arenhövel)

Sehr früh zeigten sich v.a. männliche Blüten. Im ersten Jahr nach der Anlage (2001) blühten 39,4 %, im Jahr 2002 beeindruckende 71,5 % und 2003 erneut insgesamt 38,7 % der Pflanzen. Bereits 2003 trug ein Pfropfling den ersten Zapfen. 2006 wurden an Plantagengliedern von 19 Klonen weibliche Blüten festgestellt.

Im Jahr 2012 wurde die Samenplantage zugelassen (1,56 ha; 139 Klone) und erstmals beerntet. Es fruktifizierten bereits 34 Klone bzw. 41 Individuen. Nachdem die Samenplantage 2013 nicht frukti-

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Tab. 12.1: Weiß-Tannen-Saatguternte in der Samenplantage Vitzeroda

Jahr 2012 2013 2014 2015 2016 2017

Zapfen (kg) 15,0 - 115,0 231,0 1.010,0 -

reines Saatgut (kg) 1,2 - 10,0 21,8 110,0 -

Nun sollte aber auch geklärt werden, ob sich das Genmarker-gestützte Auswahlverfahren der Plantagenklone bewährt und tatsächlich zu einer Erhöhung der genetischen Vielfalt und Diversität geführt hat. Dazu wurden Proben aus den Absaaten von 2012 und 2016 genetisch untersucht und hinsichtlich der genetischen Diversität (Vielfalt) Referenzpopulationen gegenübergestellt (Abb. 12.2).

Abb. 12.2: Die Genpool-Diversität der Plantagenabsaaten (rot) und in Referenzpopulationen

Es zeigt sich, dass das Ziel sehr gut erreicht wurde. Die nachgewiesene Genpool-Diversität aber auch die genetische Vielfalt (hier nicht dargestellt) von THY-V-2016 und -2012 liegen auf einem hohen Niveau und zwar über dem von klassischen autochthonen thüringischen (THY1 bis THY5) und ostbayerischen Erntepopulationen (Zwiesel, D-Zwi).

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Höhere Werte werden lediglich in den Referenzpopulationen des makedonischen Refugialgebie- tes (MAK) und des genetisch vielfältigeren Westalpenweges (Alpirsbach, „D-Alp“, Tiengen „D-Tie“) gemessen. Auch weitere Herkünfte aus anderen Ländern (Rumänien, Tschechien, Serbien, Slowe- nien, Bulgarien, Frankreich) bleiben hinter der Genpool-Diversität in Vitzeroda zurück.

Ein weiteres positives Indiz für den Erfolg des hier angewendeten Konzeptes liefern Absaaten einer Samenplantage aus Rheinland-Pfalz, wo bereits deutlich höhere Tausendkorngewichte als in zugelassenen Erntebeständen sowie überdurchschnittlich hohe Keimfähigkeiten ermittelt wur- den.

12.3 Fazit

Zumindest deutschlandweit wird die Weiß-Tanne als Hoffnungsträger im Klimawandel zuneh- mend geschätzt. Obwohl aktuell 929 ausgewählte Weiß-Tannen-Saatgutbestände mit einer Fläche von 6.017,2 ha zugelassen sind (davon 42 Bestände in Thüringen) kann der gegenwärtig hohe Bedarf nicht gedeckt werden. Zusätzlich existieren sieben qualifizierte Weiß-Tannen-Samen- plantagen (Bayern 2, Rheinland-Pfalz 2, Sachsen 2, Vitzeroda in Thüringen, Auskunft der Bundes- anstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) 2017). Für Kunstverjüngungen bleibt Tannensaat- gut damit ein knappes Gut, Elternbäume und Paarungsgemeinschaften sind rar bzw. genetisch eingeengt. Umso erfreulicher ist es, dass in Samenplantagen über rasch fruktifizierende Pfropflin- ge auf der Grundlage einer gezielten Plusbaumauswahl eine genetisch hochwertige Saatgutbereit- stellung möglich ist. Bemühungen der letzten Jahrzehnte zahlen sich nun bereits aus, müssen aber noch forciert werden, um den Engpass nachhaltige Bereitstellung hochwertigen Weiß-Tannen- Saatgutes zu überwinden.

Über die erfolgreiche Entwicklung der Weiß-Tannen-Samenplantage Vitzeroda freuen wir uns und danken allen Kolleginnen und Kollegen, die den Aufbau mit Rat und Tat unterstützt haben. Wir möchten mit diesem Beitrag an unseren geschätzten ehemaligen Kollegen Dr. Wolfgang Henkel erinnern, der am 09.12.2014 verstorben ist und sich zu Lebzeiten leidenschaftlich für die Weiß- Tanne in Thüringen eingesetzt hat.

Literatur

ARENHÖVEL, W. (2002): Die Erhaltung und Wiedereinbringung der Weißtanne (Abies alba Mill.) in Thüringen. Mitt. Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz (50/03), S. 97-107. ARENHÖVEL, W.; KAHLERT, K.; FRISCHBIER, N.; HOSIUS, B.; LEINEMANN, L. (2018): Die Weißtannen- Samenplantage „Vitzeroda“ in Thüringen. AFZ-DerWald (5), S. 61-64. BUNDESMINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG UND LANDWIRTSCHAFT (BMEL) (2016): Ergebnisse der Bundeswal- dinventur 2012 HAMM, T.; WEIDIG, J.; HUTH, F.; KUHLISCH, W.; WAGNER, S. (2014): Wachstumsreaktionen junger Weißtannen-Voraussaaten auf Begleitvegetation und Strahlungskonkurrenz. Allgemeine Forst- und Jagdzeitung 185 (3/4), S. 45-59.

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HENKEL, W. (1995): Zur Situation der Baumart Weißtanne (Abies alba Mill.) an ihrer nördlichen Arealgrenze im Freistaat Thüringen. Mitteilungen der Landesanstalt für Wald und Forst- wirtschaft. Gotha. Heft 8. HENKEL, W., KONNERT, M. und HOSIUS, B. (1996): Genetische Untersuchungen an der Weißtanne (Abies alba Mill.) in Thüringen mit waldbaulichen Konsequenzen. HOSIUS, B. (1996): Konzept zur Generhaltung der Thüringischen Lokalrasse der Weißtanne (Abies alba Mill.) nach neuesten Erkenntnissen der Forstgenetik. Mitteilungen der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. Gotha Heft 11. HOSIUS, B., BERGMANN F., KONNERT, M., HENKEL, W. (2000): A concept for seed orchards based on isoenzyme gene markers. Forest Ecology and Management 131, 143-152. HUTH, F.; WEHNERT, A.; TIEBEL, K.; WAGNER, S. (2017): Direct seeding of silver fir (Abies alba Mill.) to convert Norway spruce (Picea Abies L.) forests in Europe: A review. Forest Ecology and Management 403, S. 61-78. ISOGEN (1995): Biochemisch-genetische Analysen an ausgewählten Populationen der Weißtanne in Thüringen mit dem Ziel der Herkunftszertifizierung. ISOGEN (1998): Biochemisch-genetische Analysen an ausgewählten Saatgutbeständen der Weiß- tanne in Thüringen mit dem Ziel der Herkunftszertifizierung und Feststellung der Zugehö- rigkeit zur Thüringer Lokalrasse. KOHLSTEDT, E.; AUER, I.; ARENHÖVEL, W.; FRISCHBIER, N.; BRÜMMEL, R. (2014): Die landeseigene Thürin- ger Forstbaumschule Breitenworbis. AFZ-DerWald 19, S. 19-22. KONNERT, M. (1993): Untersuchung über die genetische Variation der Weißtanne (Abies alba Mill.) in Bayern. Allg. Forst und Jagdztg. 164: 162-169. KONNERT, M. und BERGMANN, F. (1995): The geographical distribution of genetic variation of silver fir (Abies alba, Pinaceae) in relation to its migration history. Plant Systematics and Evoluti- on 196: 19-30. LARSEN, J.B. (1993): Die Weißtanne (Abies alba Mill) und ihre waldbaulichen Probleme im neuer Erkenntnisse. Contributiones biologiae Arborum, Vol. 5, Landsberg am Lech, eco- med, S. 1-10. LEINEMANN, L.; HOSIUS, B.; BERGMANN, F.; ARENHÖVEL, W.; ROGGE, M.; VOTH, W.; GAILING, O. (2017): Analysen mit DNS-Genmarkern an Uralteichen in verschiedenen Regionen Deutschlands. Allgemeine Forst- und Jagdzeitung (11/12), S. 210-221. DOI 10.23765/afjz0002015.

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13 Der Speierling in Thüringen – Populationsgenetik heute und in der Zukunft

Konrad, Heino; George, Jan-Peter; Kahlert, Karina

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft, Secken- dorff-Gudent-Weg 8, A - 1130 Wien, Österreich E-Mail: [email protected]

13.1 Einleitung

Der Speierling (Sorbus domestica L.) ist eine der seltensten Baumarten in Deutschland und er- reicht in den Bundesländern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt seine nördliche Verbrei- tungsgrenze in Mitteleuropa. Die Populationen hier dürften nach der letzten Eiszeit etwa zwi- schen 9000 bis 8000 v Chr. von Südwestfrankreich nach Deutschland über das Rhonetal und den Jura eingewandert sein (KAUSCH-BLECKEN VON SCHMELING 2000). Somit dürfte das Vorkommen der Art auch in Thüringen einen natürlichen Ursprung haben. Durch das sich ändernde Klima hat der Speierling in den letzten Jahren sicherlich an Interesse gewonnen, ist er doch sehr trockenresis- tent und bringt dennoch sehr wertvolles Holz, das auch beachtliche Dimensionen erreichen kann. Deswegen und aus Naturschutzgründen wurde die Art in den letzten Jahren auch relativ häufig angepflanzt.

Auch in den anderen Teilen Europas ist der Speierling selten, häufiger kommt er nur in naturbe- lassenen Trockenwäldern in Südfrankreich vor. Molekulargenetische Untersuchungen haben ge- zeigt, dass die Population großräumig in zwei Teilpopulationen geteilt ist: GEORGE et al. (2015) konnten zeigen, dass eine Populationsgruppe in Westeuropa existiert, eine weitere Populations- gruppe hat sich im östlichen Teil Europas gebildet. Beide Gruppen dürften sich aber im Mittel- meerraum mischen, da hier die größte Diversität gefunden wurde; dies ist auch Zeugnis der Nut- zung durch den Menschen, die viele hunderte Jahre zurückgeht. Insbesondere während des Römi- schen Reiches dürfte viel Handel mit Früchten getrieben worden sein, sodass die Unterschiede in diesem Bereich relativ undeutlich sind.

In Thüringen wurden bisher 185 vermutlich autochthone Altspeierlinge vorgefunden. Speierlinge bilden keine Reinbestände, die Exemplare kommen meist in Einzelmischung vor. Die Schwer- punktvorkommen befinden sich in den Bereichen Grabfeld, Kyffhäuser, Hainleite und Saaletal auf kalkgeprägtem Grundgestein und haben dort überdauert, wo Nieder- und Mittelwaldwirtschaft am längsten betrieben wurde bzw. auf Standorten, wo die Buche konkurrenzschwach ist. Nur hier konnte sich der lichtbedürftige Speierling überhaupt langfristig in Einzelmischung etablieren.

In der vorliegenden Arbeit wurde zum ersten Mal die genetische Vielfalt der Thüringer Speierlinge untersucht. Als Vergleichsbasis dienten die Daten aus GEORGE et al. (2015), sodass die Proben auch mit dem gesamteuropäischen Muster der Populationsstruktur verglichen werden konnten. Zusätz- lich wurde eine Reihe von Jungspeierlingen, die in der jüngeren Vergangenheit gepflanzt worden waren, untersucht. So sollte auch festgestellt werden, ob für die Aufforstungen heimisches Mate- rial verwendet worden ist.

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13.2 Material und Methoden

Insgesamt wurden für die Untersuchung Blattproben von 66 Speierlingen (Sorbus domestica) aus Thüringen verwendet. Davon waren 41 Altspeierlinge aus verschiedenen Regionen Thüringens, die restlichen 25 Proben sind Jungspeierlinge, die zwischen 1995 und 2000 gepflanzt wurden.

Die eingelangten Blattproben von Sorbus domestica wurden zunächst zwischengelagert (Zugabe von Silicagel zur Trocknung, Lagerung bei -18°C). Anschließend wurden ca. jeweils 2 cm² Blattma- terial in Eppendorf-Mikrozentrifugenröhrchen überführt, in flüssigem Stickstoff schockgefroren. Anschließend wurde die DNA aus den Proben mittels des Qiagen DNeasy Kits extrahiert.

In Folge wurden die Proben an einem rps16-Chloroplastenmarker, sowie 7 nuklearen Mikrosatelli- ten mittels PCR wie in GEORGE et al. (2015) beschrieben genotypisiert. Die Größe der resultieren- den DNA-Fragmente wurde auf einem CEQ8000 (Beckman-Coulter) mittels Kapillargelelektropho- rese bestimmt.

13.3 Ergebnisse

13.3.1 Chloroplasten-Marker

Insgesamt konnten von den eingesandten 66 Proben bei 59 die Chloroplasten-Marker erfolgreich angewandt werden, bei 65 Proben konnten zumindest 5 der 7 Mikrosatelliten-Marker erfolgreich amplifiziert werden. Lediglich von Probe Nr. 61 (Jungspeierling) konnten keine Daten erlangt wer- den, hier war offenbar die Probenqualität nicht ausreichend für eine erfolgreiche DNA-Extraktion (trotz mehrmaligen Versuchen).

Die Analyse der Daten des Chloroplasten-Markers mittels der Software GENALEX (PEAKALL & SMOUSE 2012) zeigte bereits einen großen Unterschied in der genetischen Vielfalt und in der Haplotypen-Zusammensetzung der Stichproben. Die Ergebnisse sind in Tab. 13.1 zusammenge- fasst.

Während in allen untersuchten Populationen von Thüringer Altbäumen der Haplotyp 266 (blau) dominierte, stellte dieser in der Stichprobe der Jungspeierlinge nur den kleinsten Anteil. Insge- samt war die Haplotypendiversität in den Altbäumen (mit Ausnahme der Population „Saaletal“) mit nur 1-2 Haplotypen sehr gering.

Im Gegensatz zu den Altspeierlingen zeigten die Jungspeierlinge eine Haplotypenzusammenset- zung, die ungefähr einer Mischung aus dem mittel- bis osteuropäischen Durchschnitt entspricht. Der relativ große Anteil von Haplotyp 222 (rot) könnte auf einen eher osteuropäischen Ursprung hinweisen, allerdings ist die Schärfe des Markers bzw. auch die Stichprobengröße nicht groß ge- nug um eine solche Vermutung zweifelsfrei abzusichern. Insgesamt ist auch die genetische Vielfalt (uh) bei den Jungspeierlingen deutlich höher als bei den Altspeierlingen (0.150 vs. 0.626, vgl. auch Tab. 13.1).

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Tab. 13.1: Diversität von Sorbus domestica in Europa und in Thüringen: Anzahl Individuen (N); Anzahl Allele (Na); effektive Anzahl Allele (Ne); Information-Index (I); haploid diversity (h); unbiased haploid diversity (uh); F – Frankreich, CH – Schweiz, EB – Elba/Italien, CS – Korsika/Frankreich, IT – Italien, SC – Sizilien/Italien, SLO – Slowenien, AT – Österreich, HR – Kroatien, SRB – Serbien, BIH – Bosnien-Herzegowina, BG – Bulgarien, HUN – Ungarn, T – Thüringen

Population N Na Ne I h uh

F(NW) 33 3 2.889 1.087 0.654 0.657 F (C) 38 3 2.971 1.094 0.663 0.681 F (S) 24 3 2.642 1.023 0.622 0.649 CH 18 2 1.385 0.451 0.278 0.294 EB 14 4 3.161 1.240 0.684 0.736 CS 14 3 2.085 0.892 0.520 0.560 IT (V) 4 2 1.600 0.562 0.375 0.500 IT (S) 13 3 2.195 0.925 0.544 0.590 SC 4 2 1.600 0.562 0.375 0.500 SLO 31 2 1.538 0.534 0.350 0.361 AT (NC) 29 3 2.046 0.797 0.511 0.530 AT (WD) 37 4 1.557 0.681 0.358 0.368 AT (MS) 45 3 2.363 0.931 0.577 0.590 HR 34 4 3.158 1.196 0.683 0.704 BIH 49 3 2.498 0.980 0.600 0.612 SRB 32 2 1.679 0.594 0.404 0.417 BG (W) 16 2 1.280 0.377 0.219 0.233 BG (SE) 20 2 1.724 0.611 0.420 0.442 HUN 13 4 2.683 1.119 0.627 0.679

Kyffhäuser 10 1 1.000 0.000 0.000 0.000 Hainleite 10 2 1.220 0.325 0.180 0.200 Saaletal 10 3 1.515 0.639 0.340 0.378 Grabfeld 9 1 1.000 0.000 0.000 0.000 TH_jung 20 3 2.469 0.997 0.595 0.626

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Abb. 13.1: Chloroplasten-Haplotypenverteilung innerhalb der Stichprobe aus Thüringen

Abb. 13.2: Haplotypenverteilung der Thüringer Speierlinge (GER) im Vergleich zur gesamteuropäischen Stichprobe

Mitteilungsheft 38/2020 | 118

13.3.2 Genetische Variation an nuklearen Mikrosatelliten

Die Ergebnisse der genetischen Variation untersucht anhand der nuklearen Mikrosatelliten- Marker sind in Tab. 13.2 dargestellt.

Tab. 13.2: Populationsdiversitätsindices (+/- Standardabweichung) aus den nuklearen Mikrosatelliten- daten (7 Loci). Ne, Anzahl effektive Allele; Ho, beobachtete Heterozygotie; uHe, um die Stich- probengröße korrigierte erwartete Heterozygotie; F, Fixationsindex

Population Ne Ho uHe F

F (NW) 2.740 ± 0.313 0.603 ± 0.047 0.615 ± 0.051 -0.008 ± 0.034 F (C) 2.794 ± 0.396 0.595 ± 0.069 0.597 ± 0.066 -0.013 ± 0.037 F (S) 3.419 ± 0.472 0.693 ± 0.035 0.690 ± 0.041 -0.035 ± 0.036 EB 2.163 ± 0.367 0.469 ± 0.089 0.480 ± 0.097 -0.071 ± 0.095 CS 3.229 ± 0.612 0.575 ± 0.077 0.632 ± 0.090 0.035 ± 0.041 IT (L) 3.674 ± 0.744 0.648 ± 0.139 0.632 ± 0.117 -0.048 ± 0.079 SLO 2.251 ± 0.358 0.642 ± 0.134 0.494 ± 0.087 -0.274 ± 0.086 AT (NC) 2.696 ± 0.480 0.575 ± 0.122 0.559 ± 0.088 0.003 ± 0.112 AT (WD) 2.687 ± 0.359 0.604 ± 0.061 0.594 ± 0.053 -0.034 ± 0.076 AT (MS) 2.553 ± 0.397 0.541 ± 0.064 0.562 ± 0.060 0.030 ± 0.022 HR 2.622 ± 0.440 0.612 ± 0.101 0.548 ± 0.093 -0.147 ± 0.033 BIH 3.320 ± 0.719 0.643 ± 0.095 0.632 ± 0.078 -0.047 ± 0.070 SRB 3.252 ± 0.716 0.626 ± 0.130 0.603 ± 0.123 -0.120 ± 0.057 BG (W) 4.422 ± 0.925 0.684 ± 0.119 0.675 ± 0.109 -0.027 ± 0.035 BG (SE) 3.218 ± 0.512 0.609 ± 0.091 0.628 ± 0.087 -0.010 ± 0.061 Kyffhäuser 3.045 ± 0.278 0.714 ± 0.040 0.691 ± 0.029 -0.094 ± 0.063 Hainleite 2.436 ± 0.309 0.500 ± 0.069 0.576 ± 0.062 0.063 ± 0.098 Saaletal 3.184 ± 0.326 0.669 ± 0.046 0.698 ± 0.040 -0.020 ± 0.069 Grabfeld 3.051 ± 0.335 0.646 ± 0.054 0.677 ± 0.052 -0.046 ± 0.109 TH_jung 3.419 ± 0.469 0.590 ± 0.050 0.689 ± 0.045 0.103 ± 0.092

Die Untersuchung an 7 nuklearen Mikrosatelliten ergab, dass alle Thüringer Populationen eine für die Art relativ hohe genetische Vielfalt aufwiesen (im Durchschnitt erwartete Heterozygotie 0.688 bei Altspeierlingen bzw. 0.689 bei den Jungspeierlingen); lediglich die Population Hainleite zeigte hier einen niedrigeren Wert. Letztere Population weist auch einen positiven Fixationsindex auf, was ebenfalls ein Hinweis auf genetische Verarmung ist (Kreuzungen zwischen verwandten Indivi- duen). Bei den anderen untersuchten Thüringer Teilpopulationen ist der Inzuchtwert (F) ausgegli-

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13.4 Diskussion

Der in den Thüringer Altspeierlingen vorherrschende Chloroplasten-Haplotyp ist besonders in Westeuropa und im Mittelmeergebiet häufiger verbreitet; dies stimmt auch mit dem bekannten Verbreitungsgebiet der Art in Mitteleuropa überein, sodass eine Besiedlung (womöglich durch den Menschen auch begünstigt) über Frankreich nach Thüringen am wahrscheinlichsten er- scheint. Die zusätzliche (spätere) Verbringung von Vermehrungsgut aus weiteren Regionen nach Thüringen ist ebenso möglich und wahrscheinlich, dafür würde auch das Vorkommen des Haplo- typen 291 (grün) hindeuten, der sonst fast nur in Italien gefunden wurde. Eine Besiedlung aus dem Osten ist aufgrund des geringen (und wohl nicht natürlichen) Vorkommens der Art in Tsche- chien eher unwahrscheinlich.

Abb. 13.3: Ergebnisse der auf individuellen Daten basierenden Zuweisung zu genetischen Gruppen mittels der Software STRUCTURE (PRITCHARD et al. 2000). Jede vertikale farbige Linie stellt die Wahr- scheinlichkeit der Zuordnung zu einem bestimmten genetischen Cluster für ein Individuum dar, d.h. je signifikanter die Zuordnung eines Individuums zu einem Cluster umso „einfarbiger“ ist die jeweilige Linie. FRA – Frankreich, ITA – Italien, SLO – Slowenien, AT – Österreich, CRO – Kro-

atien, BIH – Bosnien-Herzegowina, BG – Bulgarien, T – Thüringen

Interessant ist jedoch die relativ starke Differenzierung der Thüringer Altspeierlinge, im Vergleich zu anderen Populationen aus Europa (GEORGE et al. 2015), sowie auch im Verhältnis zu den ge- pflanzten Jungspeierlingen. Besonders deutlich wird dies in der auf individuellen Daten basieren- den Zuweisung zu genetischen Gruppen mittels der Software STRUCTURE (vgl. Abb. 13.3): hier bilden die Thüringer Altspeierlinge im Verhältnis zu anderen in Europa gesammelten Populationen eine sehr einheitliche Gruppe. Am ehesten gibt es eine Beziehung zu französischen und insbeson- dere südfranzösischen Populationen, hier sind auch die genetischen Distanzmaße am geringsten (durchschnittlich 0.25 Nei’s korrigierte Distanz). Dies stimmt auch mit der oben skizzierten Ein- wanderungsgeschichte der Art nach Deutschland und Thüringen und der bekannten aktuellen Verbreitung in Europa überein.

Mitteilungsheft 38/2020 | 120

Insgesamt deuten die vorliegenden Ergebnisse darauf hin, dass die alten Speierlinge in Thüringen längere Zeit von anderen Vorkommen isoliert waren, andererseits sich aber auch (mehr oder we- niger) natürlich vermehren konnten, da die Populationsstruktur der Altspeierlinge nur sehr weni- ge Abweichungen vom natürlich zu erwartenden Muster zeigten (nur geringe Abweichungen vom Hardy-Weinberg-Gleichgewicht). Nur wenige der Altbäume stammen aus anderen Regionen, etwa Frankreich und dem mediterranen Raum (Tab. 13.3).

Im Gegensatz zu den Altspeierlingen weisen die Jungspeierlinge ein sehr heterogenes Muster in der STRUCTURE-Analyse auf (Abb. 13.3, Tab. 13.3). Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass hier Vermehrungsgut aus mehreren Teilen Europas verwendet worden ist, insbesondere dürften hier Herkünfte aus Frankreich bzw. aus Osteuropa (ehemaliges Jugoslawien) verwendet worden sein. Dies deckt sich auch gut mit den Ergebnissen des Chloroplasten-Markers. Drei der Jungspeierlinge (siehe Tab. 13.3) dürften aber aus der Thüringer Population stammen, offenbar wurde hier schon darauf geachtet den heimischen Genpool zu nutzen und zu erhalten.

Der Speierling ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es für die Erhaltung einer Art ist, Grund- kenntnisse über ihre genetische Vielfalt zu haben bzw. gewisse Grundvoraussetzungen bei der Beerntung von Saatgut einzuhalten. In den letzten Jahrzehnten sind vermutlich tausende Speier- linge in Deutschland gepflanzt worden, aber oft wurde dabei auf deren Herkunft nur wenig geach- tet. Meist wird günstig Saat- oder Pflanzgut aus anderen Ländern oder von großen Baumschulbe- trieben eingekauft und dieses Material stammt dann aus Populationen, die große genetische Un- terschiede zur heimischen Population aufweisen und womöglich auch weniger gut an die lokalen Bedingungen angepasst sind. Dazu kommt noch, dass es für die seltenen Baumarten in den meis- ten Ländern keine gesetzlichen Vorgaben gibt, die die Sammlung von Saatgut regulieren; d.h. Saatgut kann hier überall gesammelt und undeklariert verkauft werden. Im schlimmsten Fall kann ein Einzelbaum beerntet werden und dieses Saatgut wird dann für die Produktion tausender Jungpflanzen verwendet. Oft weist daher Handelsware nur eine sehr geringe genetische Vielfalt auf.

Genfluss in geringem Ausmaß dagegen hilft den fragmentierten Reliktpopulationen wiederum genetische Vielfalt aufzubauen, da sie ansonsten langfristig durch Inzuchterscheinungen vom Aus- sterben bedroht sind. Andererseits kann eine lokale autochthone Population in kürzester Zeit ausgelöscht werden, wenn in kleinen überalterten Vorkommen anstatt heimischer Jungpflanzen Material aus weit entfernten Regionen gepflanzt wird. Eine solche „Überschwemmung“ des hei- mischen Genpools (LEFÈVRE 2004) sollte auf jeden Fall vermieden werden, da dies dem Erhaltungs- gedanken völlig zuwiderläuft. Eine derartige Entwicklung ist aber bei der gegenständlichen Unter- suchung der Verjüngung deutlich erkennbar.

Abschließend kann gesagt werden, dass die gewonnen Ergebnisse eine überaus interessante Be- reicherung unseres Wissensstandes über die Art darstellen. Die Thüringer Population zeigt Hin- weise auf natürliche Entstehung und könnte so die nördliche Verbreitungsgrenze der Ausbreitung der Art nach Nordosten hin zeigen. Eine genetische Einengung an einer solchen Front, die theore- tisch wahrscheinlich wäre, ist aber nicht zu erkennen, sondern sogar eher das Gegenteil davon. Die Art ist daher in Thüringen absolut erhaltungs- und schützenswert, die Verwendung von ein- heimischem Vermehrungsgut sollte auf jeden Fall gefördert werden.

Mitteilungsheft 38/2020 121 |

Tab. 13.3: Zuordnung der Thüringer Proben zu einem genetischen Cluster, basierend auf dem Ergebnis der STRUCTURE-Analyse der nuklearen Mikrosatelliten-Markerdaten

Proben-Nr. Population DNA-Cluster Proben-Nr. Population DNA-Cluster

T01 Kyffhäuser Thüringen T34 Grabfeld Thüringen

T02 Kyffhäuser Thüringen T35 Grabfeld Thüringen

T03 Kyffhäuser Thüringen T36 Grabfeld Thüringen

T04 Kyffhäuser Thüringen T37 Grabfeld Thüringen

T05 Kyffhäuser Thüringen T38 Grabfeld Thüringen

T06 Kyffhäuser mediterran T39 Grabfeld Thüringen

T07 Kyffhäuser Thüringen T40 Grabfeld Thüringen

T08 Kyffhäuser Thüringen T41 Grabfeld Thüringen

T09 Kyffhäuser Thüringen T42 Jungspeierling Balkan

T10 Kyffhäuser Thüringen T43 Jungspeierling Balkan

T11 Hainleite Thüringen T44 Jungspeierling Balkan

T12 Hainleite Thüringen T45 Jungspeierling Balkan

T13 Hainleite Thüringen T46 Jungspeierling Balkan

T14 Hainleite Thüringen T47 Jungspeierling Balkan

T15 Hainleite Thüringen T48 Jungspeierling Frankreich

T16 Hainleite Thüringen T49 Jungspeierling Frankreich

T17 Hainleite Thüringen T50 Jungspeierling Frankreich

T18 Hainleite Thüringen T51 Jungspeierling Frankreich

T19 Hainleite Thüringen T52 Jungspeierling Frankreich

T20 Hainleite Thüringen T53 Jungspeierling Balkan

T21 Saaletal Frankreich T54 Jungspeierling Balkan

T22 Saaletal Thüringen T55 Jungspeierling Frankreich

T23 Saaletal Thüringen T56 Jungspeierling Balkan

T24 Saaletal Thüringen T57 Jungspeierling Österreich

T25 Saaletal Frankreich T58 Jungspeierling Frankreich

T26 Saaletal Thüringen T59 Jungspeierling Frankreich

T27 Saaletal Thüringen T60 Jungspeierling Frankreich

T28 Saaletal Thüringen T61 Jungspeierling Frankreich

T29 Saaletal Thüringen T62 Jungspeierling Frankreich

T30 Saaletal Thüringen T63 Jungspeierling Thüringen

T31 Saaletal Thüringen T64 Jungspeierling Thüringen

T32 Grabfeld Thüringen T65 Jungspeierling Frankreich

T33 Grabfeld Thüringen T66 Jungspeierling Thüringen

Mitteilungsheft 38/2020 | 122

Literatur

GEORGE, J. P., KONRAD, H., COLLIN, E., THEVENET, J., BALLIAN, D., IDZOJTIC, M., KAMM, U., ZHELEV, P. & GEBUREK, T. (2015). High molecular diversity in true service tree (Sorbus domestica L.) de- spite rareness: data from Europe with special reference to the Austrian occurrence. Annals of Botany, 115: 1105–1115. KAUSCH-BLECKEN VON SCHMELING, W. (2000): Der Speierling. Selbstverlag, Bovenden. LEFÈVRE, F. (2004): Human impacts on forest genetic resources in the temperate zone: an updated review. Forest Ecology and Management 197: 257–271. PEAKALL, R. & SMOUSE, P. E. (2012): GenAlEx 6.5: genetic analysis in Excel. Population genetic soft- ware for teaching and research— an update. Bioinformatics, 28: 2537–2539. PRITCHARD, J. K., STEPHENS, P. & DONNELLY, P. (2000): Inference of population structure using multi- locus genotype data. Genetics, 155: 945–959.

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14 Phytophthora-Erkrankung der Rotbuche in Thüringen

Stürtz, Mathias; Bruhn, Tabea

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (ThüringenForst) Hauptstelle für Waldschutz Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha E-Mail: [email protected]

14.1 Allgemeines

14.1.1 Bedeutung der Rotbuche in Thüringen

Die Rotbuche (Fagus sylvatica L.) ist in Thüringen mit einem Anteil von 19,8 % neben der dominie- renden Fichte die am meisten verbreitete Baumart. Ihr Flächenanteil ist in den Jahren 2002 bis 2012 um 0,9 % angestiegen. Die Hauptverbreitungsgebiete liegen derzeit in den kollinen Berei- chen Nord- und Südthüringens überwiegend auf Karbonatgesteinen der Triasfolge sowie im nordwestlichen Teil des Thüringer Gebirges in submontanen bis montanen Lagen der Formatio- nen des Rotliegenden.

Die überwiegend durch Buchenwaldgesellschaften geprägte Region des Hainich gilt als das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet Deutschlands und schließt den gleichnamigen Nationalpark ein.

Im Vergleich zu den anderen in Thüringen maßgeblich flächig vertretenden Baumarten wie der Fichte [38,3 %], der Kiefer [14,1 %] und der Eiche [6,8 %] war die Rotbuche in den vergangenen Jahrzehnten in Bezug auf akute Waldschutzprobleme eher unauffällig.

Aufgrund ihrer Fähigkeit, durch kurzfristige phänologische Plastizität und langfristig wirksame evolutionäre Anpassung auf Umweltveränderungen zu reagieren, erhöht sich ihr Wert auch unter den Folgen der Klimaveränderungen.

Die Rotbuche ist und bleibt damit sowohl unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet, als auch aus ökologischer Sicht ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Wälder.

14.1.2 Bedeutung der Gattung Phytophthora als Schadorganismus

Von den global weit verbreiteten pilzähnlichen Mikroorganismen (Pseudofungi) aus der Gattung Phytophthora sind derzeit etwa 120 Arten bekannt, von denen die überwiegende Anzahl patho- gen an krautigen und verholzenden Pflanzen auftritt. Aus den verschiedensten Bereichen des Pflanzenbaus werden seit dem 19. Jahrhundert Schäden an Kulturpflanzen beschrieben, welche zu vollständigen Ernteausfällen führten.

Mitteilungsheft 38/2020 | 124

Neben sehr wirtsspezifischen Arten, wie beispielsweise Phytophthora alni als Erreger der Wurzel- halsfäule der Erle, treten auch solche auf, welche eine Vielzahl von Pflanzengattungen infizieren können. So birgt Phytophthora infestans als bekanntester Vertreter und gefürchteter Erreger der Knollenfäule der Kartoffel sowie der Braunfäule der Tomate ein hohes Gefährdungspotenzial für diese Kulturpflanzen. Zusätzlich zu den Schäden durch die bereits in Deutschland etablierten Ar- ten, besteht eine permanente Gefahr der Einschleppung weiterer bisher in Deutschland nicht nachgewiesener Arten, wie zum Beispiel Phytophthora chrysanthemi im Zierpflanzenbau unter Glas.

Die European and Mediterranean Plant Protection Organisation (EPPO) hat einige Phytophthora- Arten als so aggressiv eingestuft, dass für sie spezielle Regelungen der Überwachung und Ein- dämmung erlassen wurden. Im Forstbereich kann beispielsweise Phytophthora ramorum als Pri- märerreger an Rotbuche, Eiche, Ahorn und diversen Straucharten erhebliche Schäden verursa- chen. Bekannt ist diese Art aus den USA, wo sie für starke Absterbeerscheinungen in Eichenbe- ständen, dem sogenannten “Sudden Oak Death“ verantwortlich ist.

Bei den thüringischen Untersuchungen der Schadbilder an Rotbuche in den Jahren 2015 bis 2017 konnte nur eine Art nachgewiesen werden. Hierbei handelte es sich um Phytophthora cambivora, eine Art welche bereits in anderen deutschen Bundesländern sowie in Österreich an geschädigten Rotbuchen festgestellt wurde.

14.2 Auftreten der Phytophthora-Erkrankung der Rotbuche in Thüringen

14.2.1 Krankheitsverlauf und Symptomatik

Neben der allgemeinen Buchenvitalitätsschwäche, häu- fig mit nachfolgendem Befall durch den Buchenprachtkä- fer (Agrilus viridis), hatte bisher die sogenannte Buchen- komplexkrankheit, mit vorausgehendem Befall durch die Buchenwollschildlaus (Cryptococcus fagisuga), entschei- denden Einfluss auf die Vitalität dieser Baumart. Mehr oder weniger ausgeprägte Schleimflussflecken im Kro- nenbereich oder unterhalb des Kronenansatzes können Indiz für eine dieser Erkrankungen sein. In beiden Fällen spielen Insekten eine maßgebliche Rolle beim Schadens- verlauf bzw. der Prädisposition.

Phytophthora cambivora ist wie viele andere Phytoph- thora-Arten, ein bodenbürtiger Schadorganismus, des- sen Verbreitung ohne Vektoren überwiegend durch frei bewegliche Sporen im Bodenwasser erfolgt. Für eine er- folgreiche Verbreitung sind deshalb hohe Bodenwasser- Abb. 14.1: Beginnende Schleimflussbil- gehalte erforderlich, für eine erfolgreiche Infektion wie- dung im erdnahen Bereich, aus dem derum sind längere Trockenphasen, welche zu einer Wurzelbereich aufsteigend Schwächung der Rotbuche infolge des Dürrestresses füh- (Foto: T. Bruhn) ren, begünstigend. Ebenso fördern milde Winterverläufe die Entwicklung des Schadorganismus im Wirtsbaum.

Mitteilungsheft 38/2020 125 |

Eine Infektion greift das Feinwurzelsystem an, führt zu einer erhöhten Wurzelmortalität und Schädigung der Mykorrhiza. In der Folge kommt es zu einer massiven Störung der Wasseraufnahme bzw. des Nährstoffaustau- sches. Befallene Rotbuchen reagieren in der Regel mit intensivem Schleimfluss, vorzugsweise im Bereich der Wurzelanläufe und des Stammfusses (Abb. 14.1 bis Abb. 14.3). Phytophthora cambivora kann im Inneren des Stammes aufsteigen und dabei große Rindennekrosen verursachen (Abb. 14.3 und Abb. 14.4).

Durch das Eindringen holzbrütender Insekten, wie dem häufig anzutreffenden Laubnutzholzbohrer (Trypodend- ron domesticum), können sich holzzerstörender Pilze, wie beispielsweise der Brandkrustenpilz (Ustulina deus- ta) in den nekrotischen Stammbereichen etablieren und Abb. 14.2: Voranschreitende, weiter auf- in der Folge die Struktur des Holzes nachhaltig zerstören steigende Infektion mit zunehmender (Abb. 14.5 links). Dies führt früher oder später zu einer Schleimflussintensität und beginnender eingeschränkten Stabilität und zum Ausbruch von Kro- Ausbildung von Rindennekrosen nenteilen bzw. zum Stammbruch. In stark frequentierten (Foto: M. Stürtz) Waldgebieten kann dies einen erhöhten Aufwand bei der Verkehrssicherung nach sich ziehen.

Nach der anfänglich eher schleichend verlaufenden Er- krankung ist die akute Phase deutlich an einer schnell voranschreitenden Veränderung der Kronenstruktur zu erkennen. Neben Kleinblättrigkeit und Blattvergilbungen sind die Entstehung von großen Totastbereichen bis hin zum Absterben der gesamten Krone sowie das Ablösen großer Rindenpartien zu beobachten (Abb. 14.5 rechts).

14.2.2 Verbreitung der Erkrankung in Thüringen

Die beschriebenen Schadbilder wurden 2014, vorwie- gend in nördlichen Landesteilen auffällig, so dass eine in- tensivere Betrachtung des Voranschreitens dieser Infek- tion erforderlich wurde.

Die Witterungsverläufe 2014 und 2015 boten mit den milden Winter- und trockenen Sommermonaten optima- le Entwicklungsbedingungen für Phytophthora cambivo- ra. Diese Bedingungen ließen bereits zu diesem Zeit- Abb. 14.3: Ausbildung großer nekroti- punkt eine Zunahme der Schäden erwarten. Die Winter- scher Rindenbereiche, meist in Verbin- periode 2015/2016 verlief ebenfalls ungewöhnlich mild, dung mit intensivem Schleimfluss in den Sommermonaten 2016 wechselten sich nieder- (Foto: T. Bruhn) schlagsreiche Phasen, häufig geprägt durch Starknieder-

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schläge, mit längeren Trockenphasen ab. Durch die feh- lenden Niederschläge im Hoch- und Spätsommer 2016 waren deutliche Trockenschäden an Laubgehölzen zu er- kennen. Auffallend stark betroffen war hier die Rotbu- che. Die Sommermonate Juli und August 2017 waren landesweit durch überdurchschnittliche Niederschlags- mengen gekennzeichnet, im Folgejahr 2018 beherrschte eine mehrmonatige Trockenperiode in der Vegetations- zeit die Abläufe in der Natur. Rückblickend begünstigten somit seit 2014 die Witterungsbedingungen sowohl die Verbreitung, als auch den Infektionserfolg von Phytoph- thora cambivora an Rotbuche in erheblichem Maße.

Abb. 14.4: Freigelegte Rindennekrose am Stamm mit deutlicher Schädigung des Splintholzes (Foto: T. Bruhn)

Bestätigten sich 2015 die Verdachtsfälle noch ausschließlich auf karbonathaltigen Böden des Mu- schelkalkes und des Zechsteins, so konnte 2016 der Erreger auch auf karbonatfreien Böden des Buntsandsteins und des Rotliegenden gefunden werden. Damit erweiterte sich das potenzielle Schadgebiet erheblich, auch bis in die Bereiche des Thüringer Gebirges.

Abb. 14.5: Weiterer Schadverlauf Links: Besiedelung des Holzes im Bereich der Rindennekrosen durch sekundäre holzbrü- tende Insekten wie z. B Trypodendron domesticum und damit Schaffung von Ein- trittspforten für holzzerstörende Pilze (Foto: M. Stürtz) Rechts: Kleinblättrigkeit, Blattvergilbung und Absterben der Krone vom Wipfel her in Rich- tung Kronenansatz. Hoher Totastanteil und schnell ansteigende Brüchigkeit von starken Ästen bzw. Stammbereichen (Foto: M. Stürtz)

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Zum aktuellen Zeitpunkt muss davon ausgegangen werden, dass der Schaderreger landesweit in den Rotbuchenbeständen gegenwärtig ist (Abb. 14.6). Einzig aus den Bereichen der Rhön sowie des südlichen Harzrandes fehlen explizite Nachweise. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Phytoph- thora cambivora dort auch nicht in Zukunft auftreten kann. In fünf Beständen konnte trotz typi- scher Schleimflussbildung kein Phytophthora-Nachweis erbracht werden. Da in diesen Fällen je- doch Cryptococcus fagisuga an den betreffenden Rotbuchen festgestellt werden konnte, ist hier die Buchenkomplexkrankheit als ursächlich anzusehen.

Abb. 14.6: Auftreten der Phytophthora-Infektion in den Thüringer Forstämtern im Hauptverbreitungs- gebiet der Rotbuche (grün), (Stand 01.01.2018)

Infolge der extremen Niederschlagsdefizite während der Vegetationszeit 2018 und der damit ein- hergehenden stark erhöhten Prädisposition der Rotbuchen gegenüber Phytophthora cambivora ist landesweit, auch in den bisher nicht betroffenen Gebieten von einer deutlichen Zunahme der Schadbilder auszugehen.

14.3 Fallstudie Reisberg

Bereits in den Jahren 2014/2015 war aufgrund der Ausgangssituation sowie des Witterungsver- laufes absehbar, dass die Phytophthora-Erkrankung in Thüringen an Bedeutung gewinnen wird. Zur Untersuchung der Ausbreitungsdynamik und des individuellen Schadverlaufes wurde deshalb eine Dauerbeobachtungsfläche installiert. In dem ausgewählten Rotbuchen-Bestand waren be-

Mitteilungsheft 38/2020 | 128 reits in den Vorjahren massive Absterbeerscheinungen zu verzeichnen, eine Vielzahl von Bäumen wies typische Symptome einer Phytophthora-Infektion auf.

Erste Untersuchungen und Aufnahmen wurden im Rahmen einer Bachelorarbeit der Fachhoch- schule Erfurt, Studienfachrichtung Forstwirtschaft und Ökosystemmanagement im Zeitraum 2015/2016 realisiert.

14.3.1 Material und Methode

Das Untersuchungsgebiet befindet sich im Ostthüringischen Trias-Hügelland. Geprägt wird dieses Gebiet durch einen mittleren Jahresniederschlag von 550 bis 600 mm bei einer Jahresdurch- schnittstemperatur von 7,0 °C. Im Bereich der etwa 320 m ü. NHN gelegenen Dauerbeobachtungs- fläche dominieren die Ceratitenschichten des Oberen Muschelkalkes [moC]. Für die Fallstudie wurde eine 0,9 ha große Teilfläche im Revier Reisberg des Thüringer Forstamtes Bad Berka aus- gewählt. Die Bestockung bestand zum Zeitpunkt der Erstaufnahme im Jahr 2015 aus 77 % Rotbu- che, 9 % Eiche (Quercus spec.) sowie 14 % sonstigen Baumarten wie Esche (Fraxinus excelsior), Ahorn (Acer spec.) und Linde (Tilia spec.) mit einem Gesamtvolumenschlussgrad von 1,0. Die Oberhöhe der Rotbuchen des 1910 begründeten Bestandes betrug 31 m, der mittlere Brusthö- hendurchmesser lag bei 35 cm.

Alle auf der ausgewählten Fläche stockenden Bäume mit einem BHD >7,0 cm wurden terrestrisch eingemessen, dauerhaft markiert und auf Symptome einer Phytophthora-Infektion untersucht (Abb. 14.7). Zusätzlich wurden beschreibende Informationen zum Schadbild sowie zum Vitalitäts- zustand des Einzelbaumes erfasst.

Ziel der Untersuchungen im Rahmen dieser Fallstudie ist es, durch regelmäßige Wiederholungs- aufnahmen konkrete Aussagen zur Befallsdynamik innerhalb des Bestandes, zur individuellen Schadbildentwicklung sowie zur Mortalität der erkrankten Bäume zu ermöglichen. Im Sommer 2018 erfolgte deshalb eine erste Wiederholungsaufnahme.

Abb. 14.7: Rotbuche mit deutlicher Symp- tomausprägung (Foto: T. Bruhn)

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14.3.2 Ergebnisse

An den untersuchten Eichen sowie an den übrigen Baumarten wurden bisher keinerlei Symptome identifiziert, welche auf eine Infektion mit Phytophthora cambivora schließen lassen. Aus diesem Grund beinhaltet die Ergebnisdarstellung ausschließlich Angaben zur Baumart Rotbuche (Tab. 14.1). Im Zuge der Erstaufnahme im Jahr 2015 wurden 337 Rotbuchen markiert und untersucht.

Bei den nachfolgenden Wiederholungsaufnahmen wird mit diesem Ausgangswert weiterhin als Umfang der Grundgesamtheit gearbeitet. Abgestorbene und gegebenenfalls entnommene Rotbu- chen verbleiben rechnerisch in diesem Pool (Tab. 14.1).

Durch eine präzise Einmessung aller Bäume konnte ein Verteilungsmuster für die Infektion in dem betroffenen Bestand erzeugt werden (Abb. 14.8).

Tab. 14.1: Ergebnisse der Erstaufnahme sowie der ersten Wiederholungsaufnahme

Merkmal Erstaufnahme 2015 Wiederholungsaufnahme 2018 absolut [n] relativ [%] absolut [n] relativ [%] Rotbuchen 337 100 337 100

Symptomfrei 284 84,3 221 65,6

mit Symptomen 53 15,7 92 27,3

abgestorben 1] 1] 24 7,1

1] zum Zeitpunkt der Erstaufnahme vorhandenes, stehendes Totholz wurde nicht aufgenommen

Abb. 14.8: Lagegenaue Darstellung der Ergebnisse der Erstaufnahme 2015 sowie der Wieder- holungsaufnahme 2018

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14.3.3 Diskussion und Ausblick

Ausgehend von der Befallssituation im Jahr 2015 mit 15,7 % erkrankter Rotbuchen stieg die Infek- tionsrate bis 2018 auf 27,3 % an. Dieser Anstieg um 11,6 %, entspricht einer jährlichen Zunahme von 3,86 %. Im gleichen Zeitraum starben 7,1 % der symptomtragenden Rotbuchen ab. Dies ent- spricht einer jährlichen Mortalität von 2,4 % (Abb. 14.9).

Abb. 14.9: Befallssituationen 2015 und 2018

Der deutliche Trend, sowohl bei der Zunahme der Infektionsfälle als auch beim Verlauf der Ab- sterberate, ist Beleg für die Dynamik dieser Erkrankung. Abb. 14.8 verdeutlicht zusätzlich die ra- sche flächige Ausbreitung, welche auch Bereiche der Versuchsfläche einschließt, die zum Zeit- punkt der Erstaufnahme nicht oder nur gering betroffen waren.

Für die Rotbuche prädisponierende Faktoren sowie Bedingungen, welche für die Verbreitung und Entwicklung von Phytophthora cambivora förderlich sind, mussten in den letzten Jahren mehrfach registriert werden. Insbesondere im Hinblick auf die Vegetationsperiode 2018, welche maßgeblich von Niederschlagsdefiziten und deutlich überdurchschnittlichen Temperaturen geprägt war, ist in den folgenden Jahren mit einem häufigeren und intensiveren Auftreten der Phytophthora- Erkrankung der Rotbuche zu rechnen.

Literatur

BOLTE, A. (2016): Chancen und Risiken der Buche im Klimawandel. AFZ-Der Wald 12/2016 BRESSEM, U. (2008): Komplexe Erkrankungen an Buche. Beiträge aus der NW-FVA, Band 3, 2008 BRUHN, T. (2016): Untersuchungen zum Auftreten der Phytophthora-Infektion und der damit ver- bundenen Holzentwertung in einem Rotbuchenbestand im Revier Reisberg des Thüringer

Mitteilungsheft 38/2020 131 |

Forstamtes Bad Berka. Bachelorarbeit an der Fachhochschule Erfurt, Studienfachrichtung Forstwirtschaft und Ökosystemmanagement BUTIN, H. (2011): Krankheiten der Wald- und Parkbäume. Eugen Ulmer, Stuttgart, 4. Aufl. CHECH, T. L.; JUNG, T. (2005): Phytophthora-Wurzelhalsfäulen an Buchen nehmen auch in Öster- reich zu. Forstschutz Aktuell Nr. 34/2005 FORSTLICHES FORSCHUNGS- UND KOMPETENZZENTRUM GOTHA (2016 - 2018): Forstlicher Witterungsbe- richt [Quartalsberichte] FORSTLICHES FORSCHUNGS- UND KOMPETENZZENTRUM GOTHA (2015): Waldschutz-Information 8/2015 FORSTLICHES FORSCHUNGS- UND KOMPETENZZENTRUM GOTHA (2016): Waldschutz-Information 10/2016 JULIUS KÜHN-INSTITUT, INSTITUT PFLANZENGESUNDHEIT (2017): Express-Risikoanalyse (PRA) zu Phytoph- thora chrysanthemi JUNG, T. (2004): Phytophthora schädigt Buchenbestände in ganz Bayern. LWF aktuell 43 WENZEL, A.; FRISCHBIER, N.; SCHWERHOFF, J.; WITTAU, F. (2015): Bundeswaldinventur 3 im Freistaat Thüringen. Mitteilungen 34/2015

Mitteilungsheft 38/2020 | 132

15 Die Nutzung eines Handlaserscanners zur Bestimmung forsteinrich- tungsrelevanter Größen

Wördehoff, René; Seidemann, Jan; Chmara, Sergej

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (ThüringenForst) Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha E-Mail: [email protected]

15.1 Hintergrund

Die waldbauliche Zielsetzung vieler Forstbetriebe ist die Entwicklung klimastabiler, ertragreicher Mischbestände mit einer entsprechenden Arten- und Strukturvielfalt. Solch langfristige Ziele sind durch ihren Zukunftsbezug mit Risiken behaftet und bedürfen einer regelmäßigen Kontrolle, um zu prüfen, in wie weit der Zielzustand erreicht ist. Diese Aufgabe nimmt typischerweise die Fors- teinrichtung, neben weiteren Fragestellungen und Funktionen, wahr, indem sie den aktuellen Waldzustand beschreibt, ihn anhand der waldbaulichen bzw. betrieblichen Ziele kritisch überprüft und Vorschläge für die weitere Waldbewirtschaftung in der folgenden Dekade erarbeitet. Mit einer ansteigenden Struktur- und Artendiversität der Wälder wird allerdings die Zustandsbe- schreibung immer anspruchsvoller. Neben diesen und weiteren Gründen werden deshalb ver- mehrt Stichprobenkonzepte, teilweise in Verbindung mit den klassischen Verfahren der Forstein- richtung genutzt, um Informationen über den aktuellen Zustand des Waldes zu erhalten (OPPER- MANN 2020). Auch verschiedene Fernerkundungstechniken haben das Potenzial die Ermittlung räumlich expliziter forsteinrichtungsrelevanter Parameter zu rationalisieren (WHITE ET AL. 2016) bzw. die Ermittlung dieser Informationen für Klein- und Kleinstprivatwaldbesitzer zunächst einmal zu ermöglichen.

Die forstliche Fernerkundung nutzt unterschiedlichste Daten und Methoden, um Informationen über den Wald aus der Distanz zu ermitteln. Dabei greift die Forsteinrichtung schon lange auf Ergebnisse der forstlichen Fernerkundung zurück. Insbesondere die Auswertungsergebnisse von Luftbildern sind in der Forsteinrichtung weit verbreitet, beispielsweise als Grundlage für die Be- standesabgrenzung. Daneben können Luftbilder als Grundlage für die Erstellung digitaler Oberflä- chenmodelle oder zur Unterscheidung von Laub- und Nadelholz dienen. Aber auch die Nutzung von Stichproben- und Fernerkundungsergebnissen zur Bestimmung des Derbholzvolumens ganzer Waldgebiete ist ein Verknüpfungspunkt beider Fachbereiche (HEURICH 2006, NAESSET 2007, STRAUB ET AL. 2009). Wobei als Berechnungsgrundlage vermehrt auf Lasertechnologie basierende Daten, auch als LiDAR4-Daten bekannt, dienen. Mit dieser Technik kann die Entfernung zwischen dem Sensor, der den Laserstrahl aussendet, und dem erfassten Punkt im einfachsten Fall aus der hal- ben Laufzeit des Laserimpulses und der Lichtgeschwindigkeit ermittelt werden. Eine mögliche Aufnahmeplattform für LiDAR-Daten sind Flugzeuge und daher wird dieses Aufnahmeverfahren auch als Airborne Laserscanning (ALS) bezeichnet. Aus diesen so erhobenen Daten können räum-

4 LiDAR - Light Detection And Ranging

Mitteilungsheft 38/2020 133 | lich hoch aufgelöste digitale Gelände-(DGM) und Oberflächenmodelle (DOM) erstellt werden. Im forstlichen Bereich dienen diese Modelle anschließend der Baumhöhenberechnung im Wald in- dem das DGM vom DOM subtrahiert wird. Es entsteht ein sogenanntes normalisiertes, digitales Oberflächenmodell (nDOM), welches gelegentlich auch als Vegetationshöhenmodell bezeichnet wird. Neben dem ALS gibt es das Terrestrische Laserscanning (TLS), welches vorrangig im forstwis- senschaftlichen Bereich angewendet wird, um die Beziehung zwischen Struktur und Produktivität von Einzelbäumen zu untersuchen (SEIDEL 2017, SEIDEL ET AL. 2019). Im Gegensatz zum TLS, welches während des Scanvorgangs stationär ist, können auch Handlaserscanner (HLS) im Wald genutzt werden. Ursprünglich werden Handlaserscanner zum Beispiel in der Höhlenforschung, der Tatort- dokumentation oder von Architekten verwendet und die zugrundeliegende Technologie sowie Auswertungsmöglichkeiten entwickeln sich stetig weiter. Mobile Laserscanner, seien sie handge- tragen oder auf einem Fahrzeug montiert, können die Daten aus der Bewegung heraus aufneh- men und somit sind die Rüst- sowie Aufnahmezeiten entsprechend geringer als beim TLS. Diese Zeitersparnis ist u. a. ein Grund, warum HLS für die Forsteinrichtung von Interesse sind. Im Fol- genden werden die Nutzungsmöglichkeiten eines HLS, als Ergänzung zu den bisher zur Verfügung stehenden Fernerkundungsmethoden, zur Ermittlung des Einzelbaumdurchmessers dargelegt und der mögliche Nutzen für die Forsteinrichtung bzw. andere Nutzergruppen abgeschätzt.

Die Ergebnisse wurden im Rahmen des Verbundvorhabens „Integriertes forstliches Informations- system für den kleinparzellierten Nicht-Staatswald“ im Teilprojekt 2 „Primärdatenerfassung und Validierung“ am Forstlichen Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha erarbeitet, wobei das Projekt über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. als Projektträger des Bundesminis- teriums für Ernährung und Landwirtschaft unter der Kennziffer 22023417 gefördert wird.

Abb. 15.1: ZEB REVO-RT (Quelle: GEOSLAM 2019)

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15.2 Eingesetzte Technologie

Dem Forstlichen Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha steht ein HLS der Firma GeoSLAM mit der Bezeichnung ZEB REVO-RT zur Verfügung (Abb. 15.1). Dieses Gerät setzt sich zusammen aus dem Laserscanner, montiert auf einem Handgriff, und einer Datenprozessierungseinheit (DPE). Um den Scanprozess zu starten bzw. zu beenden und um ihn in Echtzeit verfolgen zu kön- nen, ist zusätzlich ein Smartphone oder Tablet notwendig. Die Echtzeitverfolgung (RT = realtime) des Scanvorganges stellt eine Besonderheit des Gerätes dar und erfordert eine entsprechend leistungsfähige DPE. Daneben besteht die Möglichkeit den Scanvorgang mit einer Kamera zu fil- men. Die Kameradaten können später mit den erhobenen LiDAR-Daten für eine bessere Visuali- sierung verschnitten werden. Das Gerät inklusive Software kostete Anfang 2019 rd. 44.000 €.

Der Laser sendet im elektromagnetischen Spektrum des nahen Infrarots mit einer Wellenlänge von 905 nm. Während des Aufnahmevorgangs entstehen pro Sekunde 43.200 Messpunkte mit einem Scanrauschen von ± 30 mm (Tab. 15.1). So entsteht eine Punktwolke mit entsprechenden Schwankungen in der Lagegenauigkeit der Punkte, welche nicht mit der eines TLS vergleichbar ist (i. d. R. ± 1 - 5 mm). Für die praktische Anwendung eines HLS im Wald ergeben sich durch Regen oder Schnee, hohen Grasbewuchs, dichte Verjüngung oder zu niedrige (< 0°C laut Hersteller, < 5°C nach praktischer Erfahrung) bzw. zu hohe Lufttemperaturen (> 35°C) weitere Einschränkungen, welche die nachfolgende Datenanalyse negativ beeinflussen. Auch sollte ein Scanvorgang die Dauer von mehr als 30 Minuten nicht wesentlich überschreiten, da sich sonst dieses Scanrauschen potenziert. Auch darf beim verwendeten Scanner die DPE während des Scanvorgangs nicht ver- packt in einem Rucksack o. ä. transportiert werden, weil sie sonst überhitzt und man den Verlust von Daten bzw. eine Schädigung des Gerätes riskiert.

Tab. 15.1: Gerätespezifikationen des Handlaserscanners ZEB REVO-RT von GeoSLAM

Laserwellenlänge 905 nm

Sicherheitsklassifizierung Laserklasse I

Sichtbereich des Lasers 270° x 360°

Scanrate 43.200 Messpunkte/Sekunde

Scanrauschen ± 30 mm

Stromversorgung DC 14,8 V, ca. 5,0 A

Gewicht Scannerkopf 1,0 kg

Abmessungen Scannerkopf 80 x 113 x 140 mm (287 mm inkl. Griff)

Akkulaufzeit ca. 90 Minuten bei ununterbrochener Nutzung

Reichweite max. 30 m bei optimalen Bedingungen, im Wald 10 bis 20 m

Betriebsbedingungen Temperatur 0 bis + 35°C, keine kondensierende Feuchtigkeit

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Neben der Hardware wird für den Datenaustausch ein Webbrowser auf einem Tablet oder Smart- phone und für den Datenexport die Software GeoSLAM HUB benötigt. Die HUB-Software nutzt den SLAM-Algorithmus (Simultaneous Localization And Mapping, zu Deutsch: Simultane Positi- onsbestimmung und Kartenerstellung) zur Erstellung der Punktwolken aus den aufgenommenen LiDAR-Daten. Ursprünglich wurde dieser Algorithmus entwickelt, um ein Problem der Robotik zu lösen, welches darin bestand, dass ein mobiler Roboter eine Karte seiner unmittelbaren Umge- bung erstellen und gleichzeitig seine Position innerhalb dieser Karte schätzen muss. Der Algorith- mus kann also die Position der aufgenommenen Punkte ins Verhältnis zum Anfangspunkt des Scans setzten und somit eine Punktwolke erzeugen. Eine technische Voraussetzung zur Punktwol- kengenerierung ist die am HLS verbaute inertiale Messeinheit, besser bekannt als sogenannte IMU (inertial measurement unit), aus Beschleunigungs- und Drehratensensoren. Solche Messein- heiten dienen zur Bewegungsdetektion und werden beispielsweise bei der Flugnavigation, der Robotik oder zur Bildstabilisierung im Smartphone verwendet. Für den Datenaustausch der Scan- daten muss zunächst ein Tablet oder Smartphone mit der DPE über ein lokales WLAN verbunden werden. Dann können die Daten mit Hilfe des Webbrowsers und den notwendigen Einstellungen für den HLS auf das mobile Endgerät heruntergeladen werden. Diese Prozedur wird am besten bei gesicherter Stromversorgung durchgeführt. Dabei liegen die heruntergeladenen Daten im geos- lam-Format vor und müssen für die weitere Verarbeitung mit anderen Programmen exportiert werden. Dazu wird das Tablet o. ä. mit dem PC verbunden auf dem die GeoSLAM HUB-Software installiert ist. Nach dem Datenimport in den GeoSLAM HUB können die Punktwolken betrachtet und in ein für andere Software lesbares Format exportiert werden. Bewährt hat sich als Ex- porteinstellung für die Punktwolke das laz-Format mit 100 % der Punkte, ohne Einfärbung nach Höhe, Scanbedingungen o. ä. und mit Zeitstempel. So liegen die Daten stark komprimiert und mit Informationen über den Zeitpunkt des Scanstarts sowie der Dauer des Scans vor. Die empfohle- nen Systemanforderungen der verwendeten Software GeoSLAM HUB Version 5.2.1 sind in Tab. 15.2 zu finden.

Tab. 15.2: Empfohlene Systemanforderungen der Software GeoSLAM HUB Version 5.2.1

Betriebssystem Windows 10

Prozessoren i7, i9 8. Generation oder höher, AMD Ryzen 7 (2700X)

Grafikkarte NVIDIA GTX 1060

Arbeitsspeicher 32 GB

freier Datenspeicher 30 GB, SSD

15.3 Verwendete Auswertungsmethoden

Die mit dem HLS erhobene Punktwolke besteht aus XYZ-Informationen und diese definieren in einem dreidimensionalen Raum, mit einem inneren Koordinatensystem, die Lage jedes einzelnen Punktes. Das bedeutet, dass die Ergebnisse für eine lagerichtige Darstellung in einem späteren Schritt georeferenziert werden müssen. Zunächst wird allerdings die Punktwolke in Boden- und Nichtbodenpunkte eingeteilt. Dazu wird ein sogenannter Cloth-Simulation-Filter (ZHANG ET AL.

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2016) angewendet, welcher die Bodenpunkte in 1 m² großen Kacheln zusammenfasst und ein DGM erstellt. Im ersten Schritt wird die Punktwolke invertiert und über dieser erstellt der Filter eine als virtuell bezeichnete Schicht (Abb. 15.2). Dann werden die nun oben liegenden Punkte zuerst unter die virtuelle Schicht und anschließend auf diese verschoben. Durch dieses Verschie- ben und dem anschließenden Vergleich der individuellen Punktlage mit derjenigen der Nachbar- punkte wird das DGM generiert und die Punktklassifikation durchgeführt. Alle Punkte die nicht zur Erstellung des DGM dienen werden der Kategorie Nichtbodenpunkte zugeordnet, im Verhältnis zum Startpunkt der Messung normalisiert und für die weiteren Berechnungen herangezogen.

Abb. 15.2: Schema des Cloth-Simulation-Algorithmus (Quelle: ZHANG ET AL. 2016, verändert)

Anschließend wird die Punktwolke ausgedünnt, wobei ein sogenanntes Voxel-Gitter verwendet wird. Ein Voxel ist nichts anderes als ein Gitterpunkt mit einer gewissen räumlichen Ausdehnung in Form eines Würfels (hier 2 cm Kantenlänge). In diesem Würfel wird bei der verwendeten Me- thode zufällig ein XYZ-Wert ausgewählt und so die Punktdichte innerhalb der Punktwolke verein- heitlicht. Auf Basis dieser im Vergleich zum Ausgangszustand ausgedünnten Punktwolke werden die Baumkoordinaten geschätzt. Dazu wird die Punktwolke auf einen Höhenbereich eingegrenzt (hier 0,5 bis 2,5 m) und dieser wiederum in Schichten mit definierter Mächtigkeit (hier 0,5 m) ein- geteilt. In diesen Schichten wird der Hough-Transformations-Algorithmus für die Suche nach kreis- förmigen Strukturen verwendet. Dabei wird im Suchraum jeder Voxel als Mittelpunkt eines Krei- ses mit definiertem Radius angesehen. Für diesen Kreis wird der Schnittpunkt mit anderen Kreisen verglichen, wobei der Kreisradius sukzessive erhöht wird. Dort wo im Suchraum eine Häufung von Kreisschnittpunkten auf Grundlage gleicher Kreisradien auftritt, wird eine Baumposition vermutet. In Abb. 15.3 sind drei Iterationen des Algorithmus dargestellt. Von links nach rechts ist beispiel- haft auf Basis der gleichen Voxel abgebildet, wie sich der Kreisradius immer weiter vergrößert. In der Mitte der Abbildung ergibt sich eine Häufung der Kreisschnittpunkte, ergo ist dies die ge- schätzte Baumposition. In der untersten Schicht ist diese Suche besonders rechenintensiv und in den darüber liegenden Schichten wird auf die Ergebnisse der ersten bzw. vorangegangenen Kreismittelpunktsuche zurückgegriffen.

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Abb. 15.3: Beispielhafte Vorgehensweise des Hough-Transformations-Algorithmus (Quelle: CONTO et al. 2017), Erläuterungen siehe Text

Die geschätzten Baumpositionen bilden die Grundlage für die Klassifikation von Baum- und Nicht- baumpunkten, wobei der Bereich um eine geschätzte Baumposition mit einer Punktdichte von weniger als 10 % nicht in die weiteren Berechnungen eingeht. Für die Radiusbestimmung von Stammsegmenten wird daran anschließend ein RANSAC-Algorithmus (RANdom SAmple Consen- sus) angewendet, welcher zunächst Ausreißer eliminiert und nachfolgend eine Kreisanpassung mit der Methode der kleinsten Quadrate vornimmt. Der RANSAC-Ansatz gilt als sehr robustes Verfah- ren zur Modellschätzung auf Basis von Daten mit vielen Ausreißern. Das Ergebnis sind für jede geschätzte Baumposition mehrere Durchmesser-Höhen-Werte ähnlich einer Schaftkurve. Verein- fachend wird anschließend der Mittelwert aus den geschätzten Durchmessern im Höhenbereich zwischen 1,0 und 2,0 m gebildet. Daraus wird die Grundfläche und in Verbindung mit der Stamm- zahl der Durchmesser des Grundflächenmittelstammes (Dg) prognostiziert. Stehen die Koordina- ten des Startpunktes der Messung zur Verfügung können die Baumstandpunkte georeferenziert werden, wobei dafür die Messung in einer bestimmten Himmelsrichtung, beispielsweise Norden, erfolgt sein muss. Auf Basis der XY-Koordinaten kann die Distanz der einzelnen Punkte zum Start- punkt und der Winkel im inneren Koordinatensystem ermittelt werden (Umrechnung von kartesi- schen Koordinaten in Polarkoordinaten). In Verbindung mit den Koordinaten des Startpunktes können mit Hilfe der Polarkoordinaten temporäre Koordinaten für die Baumpositionen bestimmt werden. Danach wird geprüft ob der Abstand zwischen den temporären Koordinaten geringer als 1 m ist. Ist dies der Fall, werden die geschätzten Einzelbaumdurchmesser gemittelt und auf die erste Baumposition übertragen, die zweite wird gelöscht. Die temporären Koordinaten werden abschließend um einen gewissen Winkel im Uhrzeigersinn gedreht, um approximiert lagerichtige Koordinaten der Baumpositionen zu erhalten. Die gesamte Analyse der Scandaten im laz-Format erfolgt mit der Programmiersprache R (R CORE TEAM 2019) und vorrangig mit der Bibliothek TreeLS (CONTO ET AL. 2017, CONTO 2019).

15.4 Aufnahme von Testbeständen und Ergebnisse

Ein erster Beispielbestand befand sich auf dem Krahnberg in der Nähe von Gotha und wurde im Februar 2019 vollgekluppt bzw. im Mai 2019 vollständig gescannt. Der Testbestand mit rd. 0,5 ha Größe war zum Zeitpunkt der Aufnahmen ein 74-jähriger, einschichtiger, aus Pflanzung entstan- dener Fichtenreinbestand aus überwiegend schwachem Baumholz. Die Fichten hatten kleine, teilweise eingeklemmte Kronen und der Bestandesschluss war geschlossen bis gedrängt. Die Er-

Mitteilungsheft 38/2020 | 138 gebnisse der Vollkluppung und des ausgewerteten Scans sind in Tab. 15.3 zu finden, wobei in der Auswertung noch nicht der Abstand zwischen den geschätzten Baumpositionen geprüft wurde. Es zeigt sich, dass die Stammzahl zwischen der Vollkluppung und der Aufnahme mit dem HLS über- einstimmen, die ermittelten Grundflächen sehr ähnlich sind und somit auch der Dg fast gleich ist. Allerdings fällt auf, dass die Durchmesserspreite auf Grundlage des Handlaserscans breiter ist als die der Vollkluppung. Zur Ermittlung des Derbholzvolumens wurden einige Einzelbaumhöhen so- wie dazugehörige BHDs aufgenommen und daraus eine Höhenkurve erstellt. Im Ergebnis unter- schieden sich die geschätzten Volumen um lediglich 3 Vfm. Die Vollkluppung des ersten Beispiel- bestandes hat mit zwei Personen 2,5 Stunden gedauert, der Scan inklusive Auswertung 30 Minu- ten.

Tab. 15.3: Bestandeskenngrößen eines Fichtenreinbestandes auf dem Krahnberg bei Gotha auf Basis einer Vollkluppung und eines Scans mit dem ZEB REVO-RT im Februar bzw. Mai 2019

Kenngröße Vollkluppung Handlaserscan

Stammzahl [n] 387 387

Grundfläche [m²] 24,8 24,6

Dg [cm] 28,6 28,4

min. – max. BHD [cm] 14,2 – 51,3 10,0 – 55,4

Derbholzvorrat [m³] 255 252

Ein zweiter Beispielbestand aus Douglasie befand sich ebenfalls auf dem Krahnberg und wurde im Dezember 2019 vollgekluppt sowie gescannt. Der einschichtige Douglasienreinbestand aus Pflan- zung war beim Scan 45 Jahre alt, das Kronendach war geschlossen und er bestand vorwiegend aus schwachem Baumholz. Um diesen Bestand besser von der Umgebung abzugrenzen, wurde die Punktwolke vor den Berechnungen bearbeitet, wobei gescannte Bäume die offensichtlich nicht zum Douglasienbestand gehörten entfernt wurden. Auch wurden im Laufe der Analyse die Durchmesser von Bäumen, deren geschätzte Positionen einen Abstand von weniger als 1 m hat- ten, gemittelt und der ersten Baumposition zugewiesen. Als Ergebnis wurde eine Stammzahl von 165 Bäumen mit dem HLS ermittelt, die Vollkluppung hat fünf Bäume mehr ergeben. Für diesen Beispielbestand wurden die Berechnungsschritte zehnmal wiederholt, um zu sehen wie stabil die Schätzungen sind. Im Durchschnitt ergab sich eine Grundfläche von 11,7 m², bei einer Stan- dardabweichung von 0,09 m². Der darauf aufbauende, mit dem Handlaserscanner ermittelte Dg ist 3,5 cm größer als bei der Vollkluppung (Tab. 15.4). Ohne die Eliminierung von unrealistischen Positionskonstellationen ergeben sich folgende Werte: Stammzahl 175, Grundfläche 12,8 m², Dg 30,5 cm. Die Vollkluppung mit zwei Personen dauerte 1,5 Stunden, der Scan inklusive Auswertung etwa 30 Minuten.

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Tab. 15.4: Bestandeskenngrößen eines Douglasienreinbestandes auf dem Krahnberg bei Gotha auf Basis einer Vollkluppung und eines Scans mit dem ZEB REVO-RT im November 2019

Kenngröße Vollkluppung Handlaserscan

Stammzahl [n] 387 387

Stammzahl [n] 170 165

Grundfläche [m²] 9,4 11,7

Dg [cm] 26,5 30,0

min. – max. BHD [cm] 11,0 – 42,5 9,7 – 55,8

Dauer [h] 1,5 0,5

Um den Einsatz des HLS für ein größeres Gebiet zu testen, wurden Messungen mit dem Gerät im Revier Oberhof auf dem Schützenberg durchgeführt (Abb. 15.4). Das Untersuchungsgebiet mit einer Fläche von etwa 240 ha ist geprägt durch Fichtenreinbestände im mittleren bis starken Baumholz. Im Rahmen der permanenten Betriebsinventur von ThüringenForst AöR wurden im gleichen Gebiet im September und Oktober 2019 49 Stichprobenpunkte terrestrisch erfasst, wo- bei die Probefläche aus zwei konzentrisch um den Stichprobenmittelpunkt angeordneten Probe- kreisen mit 6 und 13 m Radius besteht. Annähernd zeitgleich wurde an den Punkten der Betriebs- inventur gescannt, wobei die Aufnahmepunkte der Scans und der Betriebsinventur nicht immer deckungsgleich waren und nur an 46 Punkten verwertbare Ergebnisse erzielt werden konnten. Die Differenz in der Stichprobenanzahl ergibt sich aus der Tatsache, dass der Einsatz des Scanners in dichten, tief beasteten Fichten-Stangenhölzern bzw. auf Verjüngungsflächen nicht auswertbare Punktwolken erzeugt. Die Ausrüstung für die Aufnahmen bestand aus dem HLS inkl. DPE, einem Tablet, einem GNSS-Empfänger, einem Kompass und Schreibutensilien. Diese wurden zwischen den einzelnen Stichprobenpunkten im Rucksack transportiert.

Abb. 15.4: Lage des Untersuchungsgebietes Schützenberg in der Nähe von Ober- hof im Thüringer Wald

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Am Stichprobenpunkt selbst wurde nach einer Gefährdungsbeurteilung (liegendes und stehendes Totholz, Bodenunebenheiten etc.) vom Stichprobenmittelpunkt ausgehend schleifenförmig 25 m (Schrittmaß) in die Haupthimmelsrichtungen die Messung mit dem HLS durchgeführt (Abb. 15.5). Die gewählte Entfernung stellt sicher, dass möglichst alle Bäume innerhalb des 13 m-Probekreises der Betriebsinventur erfasst werden. Die Wetterbedingungen waren zum Großteil gut im Verlauf der Scankampagne, allerdings war ein Betrieb des HLS bei Lufttemperaturen unter 5°C und hoher Luftfeuchte bzw. Nebel nicht möglich. Die durchschnittliche Scandauer betrug rund 5,5 Minuten, die Rüstzeit bzw. Organisation am Punkt selbst ebenfalls etwa 5 Minuten (Ist-Koordinate aufneh- men, Gefährdungsbeurteilung und Orientierung im näheren Umfeld, ggf. Notizen), weitere 10 Minuten wurde in ebenem Gelände für den Weg von einem zum nächsten Stichprobenpunkt benötigt. In Summe beanspruchte der Scan eines Punktes demnach rund 21 Minuten. Theoretisch sind somit in 8 Stunden ca. 20 stichprobenartige HLS-Messungen mit dem vorgestellten Ablauf möglich.

Abb. 15.5: Laufweg (orange) beim Scan um den Stichprobenmittelpunkt (blau) im Untersuchungsgebiet Schützenberg

Die Betriebsinventur hat an den 49 Stichprobenpunkten 624 Bäume aufgenommen, durch die Auswertung der Daten des HLS konnten insgesamt 4.099 geschätzte Baumpositionen und Durch- messer ermittelt werden. Für die Hochrechnung der HLS-Daten wurden die Schätzungen im Radi- us von 13 m um den Stichprobenmittelpunkt herangezogen, dabei ergab sich im Mittel ein Dg von 39,2 cm. Die Hochrechnung der Betriebsinventur lieferte für das Untersuchungsgebiet einen ge- ringeren durchschnittlichen Dg von 36,9 cm. Die Durchmesserverteilung getrennt nach Verfahren zeigt, dass sich auf Basis des HLS eine geringere Durchmesserspreite ergibt, allerdings Durchmes- ser über 40 cm bei dem Scan teilweise doppelt bis dreimal so häufig sind wie bei der Kontroll- stichprobe (Abb. 15.6). Ein Vergleich der Ergebnisse auf Plotebene ist somit nicht zielführend.

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Abb. 15.6: Häufigkeitsverteilung der Durchmesser des Grundflächen- mittelstammes [cm] auf Basis der Messung mit dem ZEB RE- VO-RT (HLS) und der Kontrollstichprobe (KSP) im Unter- suchungsgebiet Schützenberg

15.5 Fazit

Wie die Auswertungen der drei Fallbeispiele zeigen, sind mit dem HLS für Teilflächen von Bestän- den bzw. mit stichprobenartigen Messkampagnen mindestens ausreichend genaue Ergebnisse bezüglich des Dg möglich (0,2 bis 3,5 cm Abweichung zum Referenzverfahren, im Mittel 2 cm auf Basis der drei Testbestände). Als ein Projektziel werden Volumenschätzungen von Beständen bzw. Teilen davon auf Basis der Scanergebnisse, einer Baumartenklassifikation, der Bestandeshöhe und der Stammzahl angestrebt. Wobei diese Informationen ebenfalls mit Fernerkundungsmethoden ermittelt werden können. Für den praktischen Einsatz des HLS sind allerdings geeignete Tempera- tur- und Witterungsverhältnisse (kein Nebel, Regen oder Schnee!) zwingend notwendig. Auch eignen sich Bestände ohne flächige Verjüngung, tief ansitzende Äste oder hohen Grasbewuchs am besten für den Einsatz des HLS. Einschichtige Bestände sind auf etwa 32 % des bestockten begeh- baren Holzbodens in Deutschland überwiegend im Privatwald zu finden (THÜNEN-INSTITUT 2020), somit ist ein entsprechendes Potenzial für die Anwendung von HLS zur schnellen Durchmesserer- mittlung vorhanden. Um das Verfahren weiter zu verifizieren, müssen im Rahmen des Verbund- vorhabens zusätzliche Flächen voll gekluppt sowie gescannt und die Ergebnisse gegenübergestellt werden.

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Literatur

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16 Oberhofer Schlossberg-Fichten und Methusalem-Kiefern von Paulin- zella: Zwei bemerkenswerte Altbestände von Nadelbäumen

Jetschke, Gottfried; Wilhelm, Bernd; Wagner, Matthias; Kahlert, Karina

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Ökologie und Evolution Dornburger Straße 159, D - 07743 Jena E-Mail: [email protected]

16.1 Einführung

Die Schlossbergfichten in Oberhof gehören zu den ältesten Fichtenbeständen Deutschlands und repräsentieren zugleich eine wichtige Hochlagenrasse, deren schmalkronige Form eine Anpassung an die im oberen Bergland häufiger auftretenden Schneelasten darstellt. Solche alten Bäume ent- halten überdies wertvolle Informationen zur Bestandesdynamik über längere Zeiträume und zur Klimareaktion der Bäume in Extremjahren sowie zur Klimageschichte. Das Höchstalter von Fichten (Picea abies) wird meist mit 200-300 Jahren angegeben (z.B. Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Wikipedia), im Ausnahmefall sollen 400-600 Jahre erreicht werden (LWF Wissen 2017). Im Wirt- schaftswald erreicht die Fichte dagegen selten mehr als 140 Jahre. Die Hochlagenfichte ist heute nur noch in wenigen Reliktvorkommen vorhanden und soll unter dem Aspekt des Klimawandels unbedingt als genetische Ressource erhalten und wieder vermehrt werden. Aus dieser Sicht war es zwingend erforderlich, durch dendrochronologische Untersuchungen das genaue Alter und das Zuwachsverhalten der Schlossbergfichten zu rekonstruieren sowie tiefergehende Aussagen zur Klimareaktion abzuleiten.

Ähnliche Altersspannen von 200-300(-600) Jahren erreicht die Wald-Kiefer (Pinus sylvestris), die durch ihre hohe standörtliche Anpassungsfähigkeit ebenfalls verschiedene Rassen ausgebildet hat. So unterscheidet HENGST (1958) eine "mitteldeutsche Höhenkiefer" (Pinus sylvestris ssp. hercynica) mit einer schmaleren Krone und kurzen feinen Zweigen, die in Thüringen vor allem im Lee des Thüringer Gebirges vorkommt und sich wegen der geringeren Lichtbedürftigkeit gut für den Naturverjüngungsbetrieb eignet. Diese Rasse sollte in Zukunft auf flachgründigen und wär- meexponierten Standorten Chancen im Bestandesaufbau haben, wenn die Fichte Flächenanteile verlieren wird (KAHLERT 2016). Im Revier Kienberg des Thüringer Forstamts Gehren kommen noch etwa 60 besonders alte Exemplare dieser Rasse vor, so dass auch hier eine dendrochronologische Analyse wichtige Informationen zur Wüchsigkeit und zur Klimareaktion verspricht.

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16.2 Probeflächen und Methodik

16.2.1 Probeflächen

Bestand Oberhof

Der Bestand Oberhof (Forstamt Oberhof, Abt. 1117 a1) befindet sich auf dem Oberhofer Schloss- berg, einer leichten Kuppe in etwa 810-820 m Höhe über NN. Es handelt sich (nahezu) um einen vitalen Fichtenreinbestand. Das Standortsmerkmal ZG3 weist ihn als nährstoffärmeren, mäßig trockenen und schwach skelettigen Silikatboden aus. Der Bestand weist einen deutlichen Kronen- schluss und z.T. eine sehr dichte Naturverjüngung auf. Zwei typische Exemplare sind in Abb. 16.3 abgebildet.

Am Standort Oberhofer Schlossberg wurden im September/Oktober 2017 insgesamt 16 Fichten beprobt, von denen 10 Bäume mit je zwei Bohrkernen und drei Bäume mit nur einem Bohrkern in die Auswertung eingingen. Weitere Bäume ließen wegen Pilzbefall und Fäulnis im Kernholz keine bis zur Mitte reichenden Bohrkerne zu. Zusätzlich wurden zwei im Thüringer Forstamt Oberhof vorhandene Holzproben verwendet: Bei einer (Nr. 91) wurde durch Vergleich der letzte Jahrring auf 1986 datiert, die andere Probe (Nr. 92) stammt von einer durch den Sturm Kyrill 2006 gewor- fenen Fichte.

Bestand Paulinzella

Der Bestand Paulinzella (Forstamt Gehren, Abt. 261 a2, Fläche 0,67 ha) befindet sich inmitten eines ausgedehnten Kiefern- und Fichtenbestandes auf etwa 440 m über NN und ist schwach (< 5 Grad) nach NNW geneigt. Das Standortsmerkmal ZS2 weist ihn als ärmeren, sandigen und mäßig frischen Standort aus. Einzelne kleinere Blöcke von Sandstein weisen auf die Verwitterung des Ausgangsmaterials hin. Der Bestand trägt nur Altbäume und ist mit einer Kronendeckung un- ter 40 % sehr licht (Abb. 16.1).

Abb. 16.1: Bestand von Altkiefern (und Altfichten) in Paulinzella, Revier Kienberg, Abt. 261 a2 (Foto: G. Jetschke)

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Am Standort Paulinzella wurden im September und Oktober 2017 in der Abteilung 261 a2 insge- samt 25 Kiefern beprobt, von denen 20 Bäume mit je zwei Bohrkernen in die Auswertung eingin- gen. Die restlichen Bäume ließen wegen Pilzbefall und Fäulnis im Kernholz keine bis zur Mitte reichenden Bohrkerne zu. Außerdem wurden am gleichen Standort insgesamt 14 Fichten beprobt, von denen sich fünf als ebenfalls sehr alt erwiesen (siehe Anhang).

16.2.2 Probenahme, Präparation und Auswertemethoden

Probenahme und Präparation

Pro Baum wurden im Normalfall mit einem Zuwachsbohrer nach PRESSLER (Länge 40 cm bzw. 60 cm) richtungsversetzt zwei Bohrkerne mit 5 mm Durchmesser entnommen. Das Bohrloch wur- de mit einem Hartholzdübel von 10 mm Durchmesser verschlossen und mit LacBalsam bedeckt, um das Eindringen von Feuchtigkeit und Pathogenen zu vermeiden. Vor und zwischen den Boh- rungen wurde der Bohrer mit einem Fungizid (Menno Florades) desinfiziert. Die Bohrkerne wur- den vor Ort in Plastik-Trinkhalme verpackt und beschriftet, im Labor einzeln auf Holzträger mit einer Nut aufgeklebt und mit einer Zylinder-Schleifmaschine bzw. einem Bandschleifer mit Schleifpapier wachsender Körnung (bis Korn 600) plan geschliffen und poliert. Anschließend wur- den auf einem Messtisch LINTAB 6 der Firma Rinntech Heidelberg die jährlichen Zuwächse auf 0,01 mm Genauigkeit vermessen und mittels der Software TSAP-Win (ebenfalls Rinntech) weiter- verarbeitet. Da pro Baum paarweise Kerne vorlagen, wurden zunächst die beiden Kerne eines Baumes visuell verglichen und eventuelle Fehler sofort korrigiert. Anschließend wurden alle Bäu- me eines Standortes visuell verglichen, gegebenenfalls korrigiert und mit Hilfe statistischer Ver- fahren (segmentweise berechnete Korrelationskoeffizienten) die Qualität der Kreuzdatierung geprüft.

Auswertemethoden

Da durch die Kreuzdatierung alle Jahreszahlen (einschließlich eventuell nicht ausgebildeter Ringe) korrekt zugeordnet werden konnten, wurden für jeden beprobten Baum Zeitreihen des jährlichen Radialzuwachses sowie - nach Schätzung der bis zum Mark fehlenden Distanz bzw. Anzahl von Ringen - auch Zeitreihen des jährlichen Flächenzuwachses und des absoluten Durchmesser- wachstums sowie deren Mittelwerte für den jeweiligen Bestand berechnet.

Um den Alterstrend (und eventuelle Standortsveränderungen) zu eliminieren, wurden auch relati- ve jährliche Zuwächse verwendet. Dabei werden die tatsächlichen Zuwächse durch den Wert ei- nes "Langzeittrends" dividiert, was zu relative Zuwächsen führt mit Werten, die um 100 % (= "Normaljahr") schwanken. Der Trend soll dabei die langsamen Veränderungen abfangen, während die kurzfristigen (insbesondere interannuellen bis dekadischen) Schwankungen im relativen Wachstum, dem "Tree Ring Index", erhalten bleiben. Die Kurve der Mittelwerte aller relativen Zuwächse über der Zeit wird dann Chronologie genannt.

Für die Klimareaktion wurden die Pearsonschen Korrelationskoeffizienten zwischen den Chrono- logie-Werten und monatlichen (oder mehrmonatlichen) Temperatur- und Niederschlagsdaten berechnet. Die monatlichen Witterungsdaten, speziell mittlere Monatstemperaturen und monat- liche Niederschlagssummen, wurden aus den über den Klimaserver CDC des Deutschen Wetter- dienstes (DWD) bereitgestellten Rasterkarten für Deutschland (mit 1 km Gitterweite) für die Jahre

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1946-2017 durch Verschneiden im GIS extrahiert (DWD 2017a). Dabei wurden die Temperaturda- ten direkt aus dem jeweiligen Gitterfeld entnommen, während für die Niederschlagsdaten eine Mittelung über die vier benachbarten Gitterzellen erfolgte, um Zufälligkeiten bei der Berechnung (durch räumliche und zeitliche Interpolation von Stationsdaten!) zu verringern. Außerdem stan- den direkte tägliche Messdaten für Temperatur (Oberhof, 1946-2007) und Niederschlag (Oberhof, 1950-1980, Schmücke 1981-2017) vom DWD-Server WESTE-XL zur Verfügung (DWD 2017b).

16.3 Altersstruktur und jährliche Zuwächse der Schlossbergfichten

16.3.1 Altersstruktur der Fichten

Das Alter der ältesten Fichte (ermittelt ab Brusthöhe) liegt bei 288 Jahren, bezogen auf das Erhe- bungsjahr 2017. Von den 13 vermessenen Bäumen sind 11 Bäume mindestens 270 Jahre alt, die anderen beiden sind mit 264 bzw. 260 Jahren nur unwesentlich jünger (Tab. 16.1).

Tab. 16.1: Alter (ab Brusthöhe) und ausgefallene Ringe der Oberhofer Schlossbergfichten

Ringe gezählt geschätzt Alter 2017 Start- Anzahl Ringe fehlende ID (+ fehlend) (bis Mitte) (Brusthöhe) jahr nicht gebildet Jahre 01 285 3 288 1730 -- 1956, 1982

03 273 5 278 1740 --

05 259 5 264 1754 --

07 255 5 260 1758 --

08 263 7 270 1748 -- 1965, 1980

10 271 0 271 1747 --

11 268 8 276 1742 -- 1923, 1984

14 282 0 282 1736 --

15 275 4 279 1739 --

16 274 4 278 1740 -- 1923, 37, 38, 56, 57, 17A 279 4 283 1735 9 88-91 17B 271 12 283 1735 8 1937, 1985-91

18 266 8 274 1744 2 1984, 1988

22 271 1 272 1746 1 1984, 1987

91 255 0 255 1732 -- (Endjahr 1986)

92 261 0 261 1757 -- (Endjahr 2006) 18 266 8 274 1744 2 1984, 1988

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Die Holzprobe vom Forstamt Oberhof weist ein Baumalter von 261 Jahren aus (bezogen auf 2017, aber gefallen in 2006). Für das tatsächliche Alter des Baumes ist noch eine Spanne von 5-7 Jahren hinzuzurechnen, die bis zum Erreichen der Brusthöhe gebraucht wird.

Man kann deshalb davon ausgehen, dass die vorhandenen Fichten am Oberhofer Schlossberg im Wesentlichen einer Kohorte mit etwa dem gleichen Alter von knapp unter 300 Jahren angehören. Sie sind folglich alle um 1725 gepflanzt worden (was eher unwahrscheinlich ist) oder nach einer um 1725 erfolgten Kahlstellung des Standorts gewachsen. Die Lage der ältesten Fichten und deren Alter ist aus der Karte in Abb. 16.2 ersichtlich, zwei repräsentative Exemplare sind in Abb. 16.3 im Bild zu sehen.

Abb. 16.2: Name, Lage und Alter (in 2017) der beprobten Fichten am Schlossberg (fett: Alter mindestens 260 Jahre; in Klammern: Anzahl Ringe bis zur Kernfäule)

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Abb. 16.3: Älteste beprobte Fichte am Oberhofer Schlossberg PAOH01, 288 Jahre (links), häufig fotografierte Fichte PAOH15, 279 Jahre alt, 2017 (rechts), (Foto: G. Jetschke)

16.3.2 Jährliche Zuwächse der Fichten

Radialzuwächse

Die jährlichen Radialzuwächse der beprobten Oberhofer Schlossbergfichten haben bis etwa 1820 (also etwa bis zum Baumalter von 80-90 Jahren) auf 1 mm/a abgenommen und schwankten bis 1940 um diesen mittleren Wert (mit einem charakteristischen Einbruch in 1923). Nach einem Peak 1946 mit im Mittel 1,8 mm/a nahmen die jährlichen Zuwächse bis 1980 auf 0,3 mm/a ab, was mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf die hohe Luftbelastung mit Schadstoffen seit Mitte der 1960er Jahre zurückzuführen ist. Nach 1980 erst schwach, nach 1990 dann viel stärker, stie- gen die jährlichen mittleren Radialzuwächse wieder auf Werte zwischen 1,2 mm/a und 1,6 mm/a ab dem Jahr 2000 (Abb. 16.4).

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Sieben von 13 Bohrkernen zeigten Ringausfälle von ein oder zwei Ringen (darunter stets die 1980er Jahre). Ein Baum wies in beiden Bohrkernen (17A, 17B in Tab. 16.1) 8 bzw. sogar 9 fehlen- de Ringe auf, die auf 1937/38, 1956/57 sowie auf 1984/85-1991 datiert wurden.

Abb. 16.4: Jährliche Ringbreiten aller Fichten in Oberhof in 0,01 mm (y-Achse: 100 ≙ 1 mm), Mittelwert in rot. Deutlich erkennbar sind die Ringausfälle 1923, 1937/38, 1956/57, 1963 und um 1984

Durchmesserwachstum

Ab dem Alter von etwa 50 Jahren erfolgte das Durchmesserwachstum (Brusthöhendurchmesser BHD ohne Borke!) nahezu linear mit etwa 2 mm/a (also etwa 40 cm in 200 Jahren), natürlich wie- der mit individuell bedingter Schwankungsbreite (Abb. 16.5). Die bis jetzt erreichten Durch- messer in Brusthöhe (ohne Borke) schwanken zwischen 45 cm und fast 90 cm, wobei der älteste Baum einen BHD ohne Borke von 60 cm besitzt. (Die Zufallsschwankungen ab dem Alter von 250 Jahren resultieren aus der abnehmenden Zahl von Bäumen, die in den Mittelwert eingehen.)

Abb. 16.5: Kumuliertes Durchmesserwachstum (ohne Borke) aller Fichten in Oberhof über dem Baumalter in Millmetern (y-Achse: 100 ≙ 10 cm), Mittelwert in rot

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Grundflächenzuwächse der Bäume

Der jährliche Grundflächenzuwachs (d.h. der Zuwachs des Stammquerschnitts in Brusthöhe) der einzelnen Fichten am Standort Oberhof hat von anfänglich 800 mm2/a (um 1760) auf Werte um 2000 mm2/a (in den 1930er Jahren) zugenommen mit einer Spitze von 3000 mm2/a in 1946 (Abb. 16.6). Danach erfolgte, vermutlich als Folge der Luftbelastung mit Schadstoffen, eine graduelle Abnahme des Flächenzuwachses bis in die 1980er Jahre auf Werte wieder um 800 mm2/a. An- schließend stieg der jährliche Flächenzuwachs stark an und erreicht jetzt im Mittel 2500-3000 mm2/a. Damit ist beeindruckend, dass diese nahezu 300 Jahre alten Fichten immer noch einen ungebrochen hohen Grundflächenzuwachs ohne altersbedingte Abnahme der Wüchsigkeit auf- weisen.

Die ermittelten Daten zur Altersstruktur und den Radialzuwächse sind grundsätzlich konsistent mit Voruntersuchungen von J. KÖNIG (2011), wobei auf Grund der kleinen Stichprobengröße und der ausschließlichen Beprobung bereits gefallener Fichten nur ein Baum auf 269 Jahre geschätzt wurde, während die anderen sieben zwischen 205 und 251 Jahren eingestuft wurden.

2 Abb. 16.6: Jährliche Zuwächse der Stammgrundfläche aller Fichten in Oberhof (in mm /a) und Mittelwert in rot. Der aktuelle Flächenzuwachs ist höher als in allen früheren Dekaden

16.4 Altersstruktur und jährliche Zuwächse der Methusalemkiefern

16.4.1 Altersstruktur der Kiefern

Das Alter der ältesten Kiefern (ab Brusthöhe) liegt ziemlich eng bei etwa 244-247 Jahren (Tab. 16.2). Von 20 beprobten Bäumen sind 15 Bäume älter als 230 Jahre, die restlichen fünf liegen bei 210 bis 227 Jahren. Man kann davon ausgehen, dass alle Altkiefern im Wesentlichen einer Kohor- te mit etwa dem gleichen Alter angehören. Ihre Höhen lagen 2016 bei etwa 32±3 Metern (NEUMANN 2016)

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Tab. 16.2: Alter (ab Brusthöhe) und ausgefallene Ringe der Methusalemkiefern Paulinzella

Ringe gezählt geschätzt Alter 2017 Start- Anzahl Ringe fehlende ID (+ fehlend) (bis Mitte) (Brusthöhe) jahr nicht gebildet Jahre 01 218 5 223 1795 -- 1961, 62, 64, 1965, 02 244 0 244 1774 6 70, 76 03 231 3 234 1784 -- 1956, 61 1941, 42, 60, 1961, 04A 239 3 242 1776 10 66, 76-80 04B 228 14 242 1776 6 1956, 57, 1976-79

05 235 2 237 1781 A:1/B:1 1961 / 1976

06 210 0 210 1808 4 1983, 84, 88, 1989

07 222 8 230 1788 --

08 245 2 247 1771 --

09 244 0 244 1774 --

10 215 12 227 1791 --

11 231 1 232 1786 --

12 240 3 243 1775 2 1937 / 1982, 88

13 243 3 246 1772 --

14 206 4 210 1808 --

15 207 3 210 1808 --

17 227 6 233 1785 --

18 238 2 240 1778 1 1956

19 225 8 233 1785 --

20 228 7 235 1783 --

21 238 2 240 1778 -- 18 266 8 274 1744 2 1984, 1988

16.4.2 Jährliche Zuwächse der Kiefern

Radialzuwächse

Die Radialzuwächse der beprobten Kiefern schwanken in den letzten 100 Jahren meist zwischen etwa 0,5 mm/a und 2,5 mm/a, wobei der absolute Tiefpunkt der mittleren Zuwächse um 1920 bei 0,3 mm/a lag. Bis zum Jahr 2000 sind die Zuwächse tendenziell wieder auf über 1 mm/a angestie- gen (Spitzenwert 1997: 1,2 mm/a), seitdem haben sie auf Werte um 0,8 mm/a abgenommen (Abb. 16.7).

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Abb. 16.7: Jährliche Ringbreiten aller Kiefern in Paulinzella in 0,01 mm (y-Achse: 100 ≙ 1 mm) und ihr Mittelwert in rot. Erkennbar sind Ringausfälle 1937, 1941/42, 1956 und in 1960-1990

Elf von 40 Bohrkernen zeigten Ringausfälle, vorwiegend in den 1960er und 1980er Jahren. Extrem fallen die Bäume PSPZ04 mit 10 (Kern A) bzw. 6 fehlenden Ringen (Kern B) und PSPZ02 mit 6 (Kern B) bzw. 3 (Kern A) fehlenden Ringen auf. Die angegebenen Ausfalljahre sind beste Schätzungen (± 2 Jahre). Solche Ringausfälle mangels ausreichenden Dickenzuwachses lassen sich durch Vergleich der zeitlichen Muster von engen und breiten Ringen mit allen anderen ausfallsfreien Bäumen zweifelsfrei nachweisen.

Der von vielen Standorten der Weiß-Tanne und Hochlagenstandorten der Fichte bekannte Ein- bruch der Ringbreiten durch Luftbelastung in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts sowie die nachfolgende Erholung ab den 1990er Jahren (JETSCHKE 2015) ist bei den Zuwachskurven der Methusalemkiefern nicht zu erkennen. Abgesehen von kurzzeitlichen und witterungsbeding- ten Schwankungen ist als Langzeittrend nur zu erkennen, dass die jährlichen Zuwächse seit etwa 1920 tendenziell zugenommen haben und erst nach 2000 wieder einen Trend zu etwas geringeren Werten zeigen. Dem entspricht auch die noch unerklärte Beobachtung, dass Paulinzella bis jetzt der einzige Standort ist (im Vergleich von fast 30 Standorten!), an dem die Weiß-Tanne nicht in den Jahren um 1980 ihre extreme Depression im jährlichen Zuwachs hatte, sondern um 1940 ein Wachstumsminimum durchläuft.

Durchmesserwachstum

Ab dem Alter von etwa 100 Jahren erfolgte das Durchmesserwachstum (BHD ohne Borke!) nahe- zu linear mit etwa 1,5 mm/a mit einer gewissen Schwankungsbreite zwischen den einzelnen Bäu- men (Abb. 16.8). Die zurzeit erreichten Durchmesser in Brusthöhe (ohne Borke) variieren zwi- schen 35 cm und fast 60 cm. Es kann festgestellt werden, dass trotz des hohen Alters weiterhin ein erstaunliches Dickenwachstum der Methusalemkiefern stattfindet.

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Abb. 16.8: Kumuliertes Durchmesserwachstum aller Kiefern in Paulinzella über dem Baumalter in Milli- metern (y-Achse: 100 ≙ 10 cm), Mittelwert in rot

Grundflächenzuwächse

Nach einem Hochpunkt um in der Jugendphase 1845 mit etwa 1000 mm2/a ist der jährliche Grundflächenzuwachs bis 1910/1920 auf den sehr niedrigen Wert von etwa 600 mm2/a abgesun- ken. Seitdem stieg der Flächenzuwachs wieder, er liegt gegenwärtig bei 1000-1200 mm2/a (mit Maximalwerten über 1400 mm2/a im Jahr 1997). Abgesehen von der geringen Abnahme seit dem Jahre 2000, die durch Häufungen von Jahren mit warmen und trockenen Sommern erklärt werden kann, ist keine altersbedingte Abnahme der Wüchsigkeit festzustellen (Abb. 16.9). Eine sehr grobe Abschätzung ergibt, dass bei einer geschätzten mittleren Höhe von 35 m der derzeitige jährliche Volumenzuwachs bei 40 dm3/a (gleich 0,04 Vfm) pro Jahr und Baum liegen dürfte. Das unter- streicht auch noch einmal die erstaunliche Wuchsleistung der Kiefern im Alter von mehr als 200 Jahren!

Abb. 16.9: Jährliche Zuwächse der Stammgrundfläche aller Kiefern in Oberhof (in mm2/a) und Mittelwert in rot. Der aktuelle Flächenzuwachs ist höher als in allen früheren Dekaden

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16.5 Chronologien und Wachstumsverläufe

16.5.1 Chronologien

Chronologien sind Kurven des mittleren relativen Durchmesserwachstums aller Bäume, verglichen auf einer geeigneten Zeitskala benachbarter Jahre, so dass (relative) Extremjahre hervorgehoben werden. In Abb. 16.10 sind die Chronologien für ein Vergleichsfenster von etwa ±16 Jahren für die Fichten aus Oberhof seit 1740 und die Kiefern aus Paulinzella seit 1773 angegeben. Der Mittel- wert 1 entspricht dem Durchschnittswachstum, je niedriger (oder größer) die Werte sind, umso enger (oder weiter) sind die Jahrringe im Vergleich zum Mittel aus etwa drei Dekaden.

Abb. 16.10: Chronologien (= mittlere relative jährliche Zuwächse) der Fichten aus Oberhof (grün) und der

Kiefern aus Paulinzella (rot)

Man erkennt, dass trotz der räumlichen Entfernung und unterschiedlichen Höhenlage gewisse Gemeinsamkeiten im Gesamtmuster des Zeitverlaufs auftreten, beispielsweise die Wachstums- einbrüche 1835, 1922/23, 1956 und 1976 und den anschließenden Wiederanstieg. Es gibt aber auch deutliche Unterschiede und Gegenläufigkeiten: Die Fichten in Oberhof zeigen um 1865 mit 126 % ein sehr gutes Wachstum, während die Kiefern in Paulinzella mit etwa 71 % gerade ein Mi- nimum durchlaufen. Das Trockenjahr 1976 erweist sich in Paulinzella als sehr wachstumsschwach (unter 60 %), während in Oberhof das Wachstum nur auf 80 % zurückgeht. Dafür wird in Oberhof 1980 ein Tiefpunkt erreicht, während im gleichen Jahr in Paulinzella das Wachstum mit 130 % floriert. Die größten relativen Zuwächse wurden im letzten Jahrhundert in den Jahren 1946 (Oberhof, 161 %) bzw. 1953 (Paulinzella, 161 %) erreicht, die kleinsten Werte für Oberhof in den Jahren 1923 (54 %) und 1980 (55 %) bzw. für Paulinzella in den Jahren 1911 (63 %) bzw. 1976 (60 %). Insgesamt überwiegen damit im Detail die lokalklimatischen, edaphischen und artspezifi- schen Unterschiede, was auch zu erwarten war.

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16.5.2 Zuwachsrückgang in Extremjahren

Noch deutlicher wird der Einfluss der jeweiligen Witterung auf das Wachstum der Bäume, wenn man den Radialzuwachs in einem bestimmten Jahr auf das durchschnittliche Radialwachstum in den fünf Vorjahren bezieht. Werte von kleiner als 100 % bezeichnen dabei Jahre, in denen der Zuwachs unter dem 5-Vorjahre-Mittel lag, entsprechend sind Werte größer als 100 % in Jahren der Erholung nach schlechten Vorjahren erreicht. Da sich der Stammumfang innerhalb weniger Jahre nur unwesentlich ändert, entsprechen diese Verhältnisse auch denen der relativen Zuwäch- se der Stammgrundfläche.

In Abb. 16.11 sind die relativen Zuwachsraten (das sind in Jahren mit Werten deutlich kleiner als 1 tatsächliche "Einbrüche") für die Kiefern aus Paulinzella und die Oberhofer Schlossbergfichten sowie zusätzlich für eine Vergleichsgruppe von Fichten in der Nähe der Schmücke graphisch dar- gestellt. Die letztere Gruppe besteht aus 30 Fichten im Alter von 80-120 Jahren, von denen die Hälfte ein- oder mehrmals Wipfelbruch durch Schneelast (u.a. in 1981) erlitten hat (JETSCHKE 2017).

Abb. 16.11: Relative Radialzuwächse, bezogen auf das Zuwachsmittel der fünf Vorjahre, für den Zeitraum 1880-2017 für die Kiefern Paulinzella (rot), die Fichten aus Oberhof (grün) sowie eine Ver- gleichsgruppe von Fichten nahe der Schmücke (grau)

Aus Abb. 16.11 ist ersichtlich, dass das Zuwachsverhalten der Oberhofer Schlossbergfichten sehr deutlich mit dem der benachbarten (und deutlich "jüngeren") Fichten an der Schmücke überein- stimmt. Die Zeitkurven verlaufen weitgehend synchron, wenn man von kleineren zufälligen Schwankungen absieht. Beide Standorte haben in 1923 einen kräftigen Einbruch innerhalb sonst eher guter Jahre, beide Standorte zeigen zwischen 1970 und 1980 einen anhaltenden Rückgang (z.T. bedingt als Folge der Luftbelastung), der bis 1990 ausläuft und dann bis etwa 2002 als über- durchschnittliches Wachstum weitergeht. Die Oberhofer Hochlagen-Fichten sind in diesem Sinne ihren benachbarten (vermutlich) "Tieflagen"-Schwestern an der Schmücke wachstumsmäßig sehr ähnlich. Das relative Wachstum der Kiefern in Paulinzella ist zwar auf der Zeitskala von ein bis mehreren Dekaden als Folge eines gemeinsamen großklimatischen Musters ebenfalls ähnlich, auf einer Zeitskala von 1-10 Jahren gibt es dagegen (wie schon bei den Chronologien) deutliche Ab- weichungen, die durch die unterschiedliche Höhenlage, die damit verbundenen unterschiedlichen lokalklimatischen Bedingungen sowie standörtliche und artspezifische Unterschiede bedingt sind.

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16.6 Klimareaktion und Klimarekonstruktion

16.6.1 Klimareaktion

Für die Klimareaktion wurden jeweils die Pearsonschen Korrelationskoeffizienten zwischen den Chronologie-Werten und monatlichen (oder mehrmonatlichen) Witterungsdaten, speziell den monatlichen Mitteltemperaturen und den monatlichen Niederschlagssummen, berechnet. Dabei werden diejenigen Monate (oder Mehrmonatsintervalle) gesucht, für die der Zusammenhang zwischen relativem Wachstum (= Chronologie) und Witterungswerten am stärksten ist. Da es zu- nächst um den relativen Einfluss von Temperatur und Niederschlag auf die interannuellen Schwankungen des Wachstums geht, werden die Chronologien aus Abschnitt 12.5.1 verwendet, bei denen der Alters- (und Standort-)Trend auf einer Zeitskala von rund 30 Jahren herausgemittelt wurde.

Abb. 16.12: Pearsonsche Korrelationskoeffizienten für den Zusammenhang von monatlichen Mitteltempe- raturen (oben, 1951-2017) bzw. monatlichen Niederschlagssummen (unten, 1947-2017) für die

Fichten aus Oberhof ('3-6' bezeichnet März bis Juni, '4-6' analog April bis Juni usw., 'p' bezeich- net Vorjahr). Positive Balken entsprechen einem fördernden Zusammenhang, negative Balken einem hemmenden Einfluss

Hinsichtlich der Temperatur sind die Korrelationen in Oberhof fast durchweg positiv, d.h. je höher die Temperaturen waren, umso breitere Ringe wurden ausgebildet (Abb. 16.12, oben). Die größte monatliche (und zwar positive !) Korrelation besteht zur mittleren Temperatur im Mai mit einem Korrelationskoeffizienten von +0,36. Die Korrelation zur Mitteltemperatur der Monate April bis Juni beträgt +0,38 und die Korrelation zum Zeitraum April bis September ist mit +0,39 nur gering-

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Bei den Niederschlägen gibt es kein typisches Muster der Korrelationen, die auch meist nicht sig- nifikant sind (Abb. 16.12, unten). Am ehesten relevant ist die (signifikante) negative Korrelation von -0,27 zur Niederschlagssumme von Dezember des Vorjahres und Januar des aktuellen Jahres. "Feuchte" (d.h. nasse oder schneereiche) Winter wirken auf das Wachstum eher hemmend.

In Paulinzella sind die Korrelationen hinsichtlich der Temperatur mit +0,23 "knapp" signifikant positiv für die Monate Februar und März; für die Mitteltemperatur von Februar und März zu- sammen wird +0,26 erreicht (Abb. 16.13, oben). Je höher die Temperaturen im Spätwinter bzw. zeitigem Frühjahr sind, umso breiter sind tendenziell die Jahrringe. Negativ, aber auch signifikant, sind die Korrelationen zur Temperatur vom September des Vorjahres (-0,26).

Abb. 16.13: Pearsonsche Korrelationskoeffizienten für den Zusammenhang von monatlichen Mitteltempe- raturen (oben) bzw. monatlichen Niederschlagssummen (unten) für den Zeitraum 1951-2017

für die Kiefern in Paulinzella (Weiteres siehe Abb. 16.12)

Niederschläge im Juni und Juli sind förderlich für das Ringwachstum, für die Niederschlagssumme von Juni und Juli zusammen wird ein Korrelationskoeffizient von rund +0,30 erreicht (Abb. 16.13 unten). Etwas schwächer, aber noch signifikant, ist die ebenfalls positive Korrelation zur Nieder- schlagsmenge vom September des Vorjahres (+0,27).

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Zum Vergleich wurden auch Stationsdaten der nahe gelegenen Station Schwarzburg (1950-2017) herangezogen, die fast das gleiche Bild ergeben; die positiven Korrelationen zum Vorjahres- September fallen sogar noch höher aus. Ähnliches gilt für die Temperaturdaten von Schwarzburg, die aber nur für die relativ kurze Bezugsperiode 1951-1975 vorliegen. Die Daten zum Niederschlag von Schwarzburg (1951-1975) ergeben für April eine deutlich negative Korrelation. Wegen der "schwachen" Datenlage (nur 25 Jahre Bezugszeitraum) wird den aus den Rasterkarten des DWD entnommenen Werten der Vorzug gegeben.

Die Korrelationen der Fichtenchronologie Oberhof zur Temperatur weisen einen ausgeprägten Peak für die Mitteltemperaturen von April und Mai auf. Die Fichten in Oberhof wachsen somit besonders gut, wenn im April und Mai hohe Temperaturen herrschen, sie wachsen relativ schlecht, wenn der Dezember des Vorjahres kalt war. Bei den Niederschlagsmengen im Frühjahr oder Sommer gibt es keine signifikanten Korrelationen, tendenziell wirken hohe Niederschläge im Dezember des Vorjahres negativ auf das Wachstum. Die Korrelationen der Kiefernchronologie Paulinzella zur Temperatur weisen den höchsten Wert im Februar und März auf, hohe Tempera- turen im Frühjahr begünstigen ganz eindeutig das Wachstum der Bäume. Hohe Temperaturen im Vorjahres-September wirken dagegen negativ. Bei den Niederschlägen sind die Monate Juni und Juli entscheidend, das heißt, dass hohe Niederschläge vor allem im Juni und Juli das Wachstum der Kiefern fördern, dazu auch hohe Niederschläge im September des Vorjahres.

Das Wachstum der Fichten am Oberhofer Schlossberg ist somit - wie eigentlich erst für Höhen- standorte oberhalb 1000 m zu erwarten - bereits primär durch die Temperatur limitiert. Die Kie- fern am Standort Paulinzella weisen dagegen den für Flach- oder Hügellandstandorte dominie- renden Einfluss der Sommerniederschläge auf, wobei sich der Wasserstress multifaktoriell in Kombination mit höheren Temperaturen natürlich besonders hemmend auswirkt. In diesem Zu- sammenhang ist es bemerkenswert, dass der genannte Zusammenhang zwischen dem Wachstum von Fichten und ihren limitierenden Faktoren bereits sehr früh in der Entwicklung der Dendrochronologie durch den Jenaer Forstmeteorologen Koch in Ansätzen gefunden wurde, der die Ringbreiten entlang eines Höhengradienten im Thüringer Wald untersucht hatte (KOCH 1957).

16.6.2 Klimarekonstruktion der Temperaturen von Oberhof

Der im Abschnitt 6.1 gefundene starke Zusammenhang zwischen relativen Ringbreiten der Ober- hofer Schlossbergfichten und den jährlichen Frühsommertemperaturen legt die Vermutung nahe, dass damit eine gewisse Rekonstruktion der mittleren Temperaturen für die Jahre vor dem Vorlie- gen instrumenteller Messungen möglich sein könnte. Um das Klima vergangener Jahrhunderte zu rekonstruieren, müssen jedoch auch die langzeitlichen Schwankungen möglichst weitgehend im Signal enthalten sein, so dass der Trend im Wesentlichen den Alterseinfluss enthält. Üblicher- weise wird der Glättungsparameter für den Trend dann bei 67 % der Länge der einzelnen Zeitrei- hen angesetzt, was für die Oberhofer Fichten mit ihrem mittleren Alter von 270-280 Jahren effek- tiv einen Parameterwert von ca. 180 Jahren bedeutet. Schwankungen mit dieser Periode, also einseitige Auslenkungen auf einer Jahrhundert-Skala, sind dann noch zu 50 % im Signal enthalten (und nur zu 50 % im Trend eliminiert). Damit sollte der Versuch einer Klimarekonstruktion möglich sein. "Trends" auf der Skala von 300 Jahren sind aber nicht komplett erfassbar, ohne a priori- Annahmen über den standorttypischen Altersverlauf der Ringbreiten zu machen. Die entspre- chende Chronologie, die nur den "reinen" Alterstrend eliminiert, ist in Abb. 16.14 angegeben.

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Deutlich zu erkennen ist, dass ab etwa 1800 die relativen Ringbreiten (in Bezug auf ein "Fenster" von ±90 Jahren) tendenziell bis 1950 ansteigen (unterbrochen durch ein Tief um 1923), dann bis etwa 1980 deutlich abnehmen und anschließend wieder auf sehr große Werte (um 1,4) ansteigen.

Abb. 16.14: Relative jährliche Zuwächse der Fichten aus Oberhof (schwarz) und ihr Mittelwert als Chronolo- gie (rot), bezogen auf ein jeweiliges Bezugsintervall der Länge von ±90 Jahren

Werden die Korrelationen zu monatlichen Klimadaten, wie Temperatur und Niederschlag, mit der modifizierten Chronologie aus Abb. 16.14 untersucht, dann zeigt sich das schon aus Abschnitt 6.1 bekannte Bild, dass die Temperaturen einen deutlich größeren Einfluss haben als die Niederschlä- ge. Insbesondere die mittleren Temperaturen im Zeitraum April/Mai/Juni erreichen einen Korrela- tionskoeffizienten von +0,51 und können damit einen Anteil von 26 % (= 0,51•0,51) der Ge- samtvariabilität erklären. Der Zusammenhang von mittleren relativen Ringbreiten und der jährli- chen mittleren Temperaturen im Zeitraum April bis Juni für die Jahre 1951-2017 ist aus Abb. 16.15 ersichtlich, allerdings sind dort bereits die Achsen vertauscht (d.h. die Temperatur über der Chro- nologie), und die für die Rekonstruktion notwendige Umkehrfunktion, nämlich

mittlere Temperatur April/Mai/Juni = 1,81 • Chronologiewert + 6,69 ist als beste lineare Anpassung angegeben. Angemerkt werden muss, dass es sich bei der Re- gression der Temperaturdaten gegen die Chronologie um eine Regression mit fehlerbehafteten x- und y-Werten handelt. Es ist wenig bekannt, dass die "normale" Regression im Sinne kleinster Quadrate den Anstieg systematisch unterschätzt, wenn die x-Werte auch fehlerbehaftet sind (HARTUNG 1999). Deshalb wurde die Regression der Transferfunktion mit einem um 10 % höhe- ren Anstieg gerechnet, der zwischen dem "normalen" Anstieg (OLS = ordinary least squares) und dem der klassischen Hauptachse einer Hauptkomponenten-Analyse (RMA = reduced major axis) liegt, so dass für den Zeitraum bekannter Temperaturen (1951-2017) die größtmögliche Überein- stimmung von gemessenen und rekonstruierten Daten entsteht. Generell beeinflusst dies aber nur die "Amplitude" der Rekonstruktion, nicht deren zeitliches Muster.

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Abb. 16.15: Streudiagramm der jährlichen Mitteltemperaturen der Monate April bis Juni und des relativen Radialwachstums der Fichten aus Oberhof (Chronologie, berechnet für ein Bezugsfenster von 180 Jahren) und beste lineare Interpolationsfunktion. Die Daten der Jahre 1977-1987 sind be-

sonders hervorgehoben (siehe Text)

Zu beachten ist, dass mit Hilfe der Regressionsformel grundsätzlich nur die „Erwartungs“werte der Temperatur für die einzelnen Jahre geschätzt werden können, während der tatsächliche Wert irgendwo innerhalb der angegebenen Fehlerbalken (= ± Standardabweichung) gelegen hat. Des- halb ist es sinnvoll, aus den geschätzten Werten wieder ein mehrjähriges Gleitmittel zu bilden, das dann besser den Klimacharakter der einzelnen Dekaden wiedergibt.

Der für den Zeitraum 1740-2017 rekonstruierte Verlauf der Mitteltemperaturen ist in Abb. 16.16 als blassgrüne Linie dargestellt. Diese ist nur eine lineare Transformation der Chronologie, also der rot dargestellten Kurve in Abb. 16.14. Für die Interpretation sinnvoller sind deshalb wieder 9- Jahres-Gleitmittel der Temperatur, die deutlicher einzelne Dekaden als unter- oder über- durchschnittlich warm hervorheben. Zum Vergleich bzw. zur Bewertung der Güte der Rekonstruk- tion sind auch die beobachteten Messwerte für Oberhof seit 1951 und deren 9-Jahre-Gleitmittel eingetragen (orange).

Man erkennt, dass die rekonstruierten Temperaturen für den Zeitraum 1951-2017, in dem Mess- werte von Oberhof vorliegen, vom Verlauf her gut mit den Messungen übereinstimmen und ins- besondere den Tiefpunkt der Temperaturen um 1980 und den nachfolgenden Anstieg bis nach 2000 auch in der Amplitude korrekt wiedergeben. Damit kann auch der rekonstruierte Tempera- turverlauf für die Jahre 1740-1950 (in erster Näherung) als seriös angesehen werden.

Grundsätzlich ist zu erkennen, dass die Mitteltemperaturen im Spätfrühjahr bzw. Frühsommer (April/Mai/Juni) bis etwa 1800 tendenziell auf einen Tiefpunkt bei 8 Grad Celsius abgenommen haben. Seit etwa 1800 haben die Temperaturen bis etwa 1930 tendenziell um insgesamt 1,5 Grad zugenommen, allerdings immer wieder unterbrochen durch relativ kalte Dekaden. Dies betrifft z.B. die Zeiträume 1848-1858, 1888-1898 und 1918-1926. Um 1940 gibt es einen kurzzeitigen Temperatureinbruch, der gleich darauf (1943-1949) durch relativ hohe Temperaturen abgelöst wird (10,9 Grad im Jahre 1946!). Danach sinken die Temperaturen, nur unterbrochen durch eine kurzzeitige Erwärmung im Intervall 1960-1970, bis 1985 auf einen absoluten Tiefpunkt von etwa 7,3 Grad. Seit 1990 steigen die mittleren Temperaturen im Zeitraum April bis Juni stetig bis auf etwa 9,5 Grad Celsius im Jahre 2010 an, sie haben aber seit dem Maximalwert im Jahre 2011

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(Messwert 10,7 Grad, 9-Jahre-Mittel in 2012 10,1 Grad) wieder leicht abgenommen.

In den Jahren 1970 bis 1990 traten besonders enge Ringe und Ringausfälle auf (siehe Abb. 16.4), die vermutlich auch auf die Luftbelastung durch Schwefeldioxid zurückgeführt werden müssen. Deshalb entsteht die kritische Frage, wie stark die Klimareaktion von diesen nichtklimatischen Einflüssen verzerrt wird. Grundsätzlich kann aus der einen Probeserie nicht der Einfluss von Klima (hier: Temperatur) und Umweltzustand (hier: Schwefeldioxid) separiert werden, weil nach der Berechnung der Chronologie die Indexwerte allein als Resultat von Temperaturschwankungen interpretiert werden. In Abb. 16.15 sind allerdings die Datenpaare der Jahre 1977 bis 1987, die zu sehr engen Ringen gehören, separat markiert. Man erkennt, dass in diesen Jahren die Indexwerte sehr klein sind, also relativ enge Ringe (im Vergleich zu einem "Jahrhundert-Trend") gebildet wur- den. Andererseits sind die Jahre dieser Periode auch durch sehr niedrige Temperaturen in den Monaten April bis Juni charakterisiert (z.B. 1984: Indexwert 0,41 und Temperatur 5,7 Grad). Falls die Chronologiewerte durch "luftbelastete" Ringbreiten etwas zu klein geschätzt wurden, dann würden die in Abb. 16.15 markierten Punkte etwas nach rechts rücken, so dass die Regressionsge- rade etwas steiler wird und die Temperaturen in früheren Jahrhunderten etwas kleiner geschätzt würden. Andererseits beruht die Berechnung der Chronologie auf einer sogenannten "robusten" Mittelung, bei der Ausreißer, also sehr kleine (oder sehr große) Werte deutlich herabgewichtet werden, was den Einfluss extrem enger Ringe abmindert. Außerdem ist die Übereinstimmung zwischen gemessenen und rekonstruierten Daten vom zeitlichen Verlauf und der Größenordnung her sehr gut, so dass der vorliegenden Rekonstruktion durchaus Sinn beigemessen werden kann.

Abb. 16.16: Rekonstruktion der jährlichen Mitteltemperaturen in Oberhof für die Monate April/Mai/Juni seit 1740 (türkis, graue Fehlerbalken) und zugehöriges 9-Jahre-Mittel (grün). Zum Vergleich gemessene Temperaturen (blassorange) und das zugehörige 9-Jahre-Mittel (orange) seit 1951

Wichtig ist auf jeden Fall die Anmerkung, dass die Rekonstruktion sich immer noch auf relative Abweichungen auf einer Jahrhundertskala bezieht, da mit sogenannten Glättungs-Splines mit dem Parameter von etwa 180 Jahren gerechnet wurde. Eine generelle Erwärmung im Verlauf mehr als 200 Jahren ist deshalb nicht auszuschließen und müsste zur rekonstruierten Kurve hinzugerechnet

Mitteilungsheft 38/2020 | 162 werden. Andererseits würde dies den qualitativen Verlauf, insbesondere den deutlichen Einbruch in den 1980er Jahren, nur graduell beeinflussen. Außerdem weisen viele andere gemessene oder rekonstruierte Zeitreihen ebenfalls einen Anstieg der Mitteltemperaturen ab etwa 1850 auf, also dem Beginn des eigentlichen Industriezeitalters, während vorher über sehr lange Zeiten eine Ab- kühlung erfolgte.

Seit 1824 liegen Messwerte der meteorologischen Station Jena-Sternwarte vor. Werden für die Temperatur deren 9-Jahres-Mittel für April/Mai/Juni mit den seit 1951 gemessenen Temperatu- ren für Oberhof und den in Abb. 16.16 rekonstruierten Werten verglichen, so zeigen sich mindes- tens ab 1890 grundsätzlichen Ähnlichkeiten im zeitlichen Muster des Dekaden-Gleitmittels. Auch in Jena sind die Frühjahrstemperaturen zwischen 1960 und 1980 (tendenziell sogar zwischen 1950 und 1980) gesunken. Allerdings fällt dieser Temperaturabfall in Oberhof deutlich stärker aus, wird aber durch die starke Temperaturzunahme ab 1985 überkompensiert. Es ist somit nicht auszu- schließen, dass zumindest für Oberhof (und damit für die Höhenlagen des Thüringer Waldes) die 1970er und 1980er Jahre zu den kältesten Dekaden seit langer Zeit gehören (das schließt einzelne Extremjahre zu anderen Zeiten, z.B. 1955, nicht aus).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Versuch einer Temperaturrekonstruktion aus den Jahrringbreiten der Oberhofer Schlossbergfichten plausible Ergebnisse zeigt und als erste Näherung durchaus brauchbar ist. Allerdings darf Abb. 16.16 nicht unkritisch "gelesen" werden, sondern immer im Kontext der verwendeten Annahmen. Insbesondere ist zu beachten, dass ge- mäß Abb. 16.15 die Temperaturen April bis Juni nur etwa 30 % der relativen Ringbreiten erklären, also eine bestimmte Unsicherheit des Blicks in die Vergangenheit bleibt. Für eine gut begründete Rekonstruktion der Temperaturen der letzten Jahrhunderte sind deshalb Ringbreiten von anderen Standorten in den Höhenlagen des Thüringer Waldes und von weiteren Baumarten dringend not- wendig.

16.7 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Das Alter der beprobten Oberhofer Schlossbergfichten liegt zwischen 255 und fast 290 Jahren (im Jahr 2017). Die mittleren jährlichen Radialzuwächse lagen fast 150 Jahre lang (seit etwa 1800) bei knapp 1 mm pro Jahr, erreichten um 1980 einen Tiefpunkt von 0,4 mm pro Jahr und sind seitdem auf Werte über 1,3 mm pro Jahr angestiegen. Damit wurden Brusthöhen-Durchmesser von 45-85 cm erreicht. Die mittleren jährlichen Flächenzuwächse der Einzelbäume sind mit rund 2500 mm2 pro Jahr höher als je zuvor in der Vergangenheit. Obwohl etwa ein Drittel der beprobten Bäume Zerfallserscheinungen zum Kern hin aufweist (meist Rotfäule), ist die Mehrheit der beprobten Fichten trotz ihres hohen Alters sehr vital. Neben den bereits genannten Vorzügen der Oberhofer Fichten hinsichtlich ihrer Morphologie und Anpassung an Schneebruchgefährdung liefert die Dendrochronologie weitere Argumente für den dringenden Erhalt dieser Höhenrasse, nämlich ihre Fähigkeit, über Jahrhunderte gleichmäßige und anhaltend hohe Holzzuwächse zu liefern.

Die Methusalem-Kiefern in Paulinzella sind zwischen 230 und 250 Jahren alt (ab Brusthöhe, in 2017). Die mittleren jährlichen Radialzuwächse sind seit 1920 wieder angestiegen und liegen der- zeit bei etwa 0,8 mm pro Jahr. Es wurden bisher Durchmesser zwischen 35 cm und fast 60 cm erreicht. Auch hier liegen die gegenwärtigen jährlichen Flächenzuwächse mit 1200 mm2 pro Jahr höher als je zuvor und unterstreichen die andauernde Vitalität. Es gab in der Vergangenheit gele- gentlich Ringausfälle (bei einzelnen Bäume 6-10 Ringe!), so um 1940, in den 1960ern und nach

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1980, was vermutlich auf nicht ausreichende Assimilatproduktion in einzelnen Extremjahren zu- rückzuführen ist. Die Robustheit der noch verbliebenen Exemplare, deren Seneszenz bei weitem noch nicht zu erkennen ist, liefert ein wichtiges Argument, auch diese Kiefernrasse als eine wich- tige forstgenetische Ressource mit allen Mitteln zu erhalten und zu fördern.

Die Chronologien von Fichten in Oberhof und Kiefern in Paulinzella (mit Glättungsfenstern der Länge 32 Jahre) unterscheiden sich im Detail deutlich, so dass unterschiedliche steuernde klimati- sche Faktoren angenommen werden müssen. Beide Chronologien besitzen typische Abweichun- gen der relativen mittleren Ringbreiten von ±20 %, gelegentlich treten auch Einbrüche oder Wachstumsschübe von mehr als 40 % auf. Die Chronologie der Fichten von Oberhof zeigt deutli- che Ähnlichkeiten zur Chronologie von 80-120 Jahre alten Fichten von der Schmücke, während die Kiefernchronologie von Paulinzella der von den Tannen aus Paulinzella stark ähnelt. Generell lässt sich feststellen, dass das Wachstum der Kiefern (und Tannen) in Paulinzella von mehreren klimati- schen Faktoren abhängt, unter denen der fördernde Einfluss hoher Niederschläge im Frühsommer am stärksten herausragt. In den Hochlagen des Thüringer Waldes, also auch in Oberhof und an der Schmücke, sind dagegen in erster Linie hohe Temperaturen im späten Frühjahr und im Früh- sommer für das Wachstum förderlich. Deshalb sollten die submontanen bis montanen Standorte auch in Zukunft unter dem zu erwartenden Klimawandel für die Fichte produktive Standorte blei- ben, während die zunehmende Sommertrockenheit im Flach- und Hügelland die Fichte existentiell gefährdet und den allmählichen Übergang zu besser angepassten Baumarten (neben Weiß-Tanne, Buche und Eiche sicher lokal auch die Kiefer) erfordert.

Wenn für die Oberhofer Schlossbergfichten die Chronologie auf einer längeren Zeitskala (also einem Vergleichs„fenster“ für das mittlere Wachstums von etwa 180 Jahren) berechnet wird, dann weist diese eine starke positive Korrelation zur mittleren Temperatur der Monate Ap- ril/Mai/Juni auf. Knapp 30 % der relativen Ringbreitenvariation können durch diesen einzelnen Umweltfaktor erklärt werden. Eine darauf basierende Klimarekonstruktion der mittleren Tempe- raturen für Oberhof lässt erkennen, dass ab 1790 die Temperaturen tendenziell um etwa 1,5 Grad gestiegen sind, allerdings mit deutlichen Schwankungen auf der Skala von Dekaden. Trotz einer verbleibenden Restunsicherheit hinsichtlich des möglicherweise verzerrenden Einflusses kleiner Ringbreiten durch Luftbelastung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird die Vermutung gestützt, dass der Zeitraum 1970-1990 deutlich kälter war als die Mehrzahl der Jahre, die die Oberhofer Fichten in ihrem Wachstum seit 1740 erlebt haben.

Im Gegensatz zu Industrie und Landwirtschaft muss der Waldbau auf einer sehr viel längeren Zeit- skala von mindestens 80-100 Jahren geplant und betrieben werden, wenn Nachhaltigkeit das oberste Gebot ist. Dendrochronologische Untersuchungen an weiteren Standorten Thüringens können wertvolle Hinweise zur bisherigen und aktuellen Wachstumsdynamik von Beständen und deren Abschätzung für die Zukunft liefern. Sie sollten von den Forstämtern künftig stärker für die Planung des Waldumbaus eingesetzt werden.

Danksagung

Die Thematik wurde im Auftrag des Forstlichen Forschungs- und Kompetenzzentrums Gotha be- arbeitet. Mein Dank gilt Frau Karina KAHLERT vom FFK Gotha für die Unterstützung bei der Vorbe- reitung und der Auswahl der Untersuchungsflächen.

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Ein besonderer Dank gilt auch dem Forstamtsleiter Oberhof, Herrn Bernd WILHELM, für wertvolle Hinweise und die Genehmigung zur Probenahme an den Schlossbergfichten sowie dem Revierlei- ter Kienberg (Forstamt Gehren), Herrn Matthias WAGNER, für die Unterstützung vor Ort und die Genehmigung zur Probenahme an den Methusalemkiefern von Paulinzella.

Anhang

Unmittelbar im Bestand der Altkiefern in Paulinzella (Revier Kienberg, Abt. 261 a2) beigemischt befinden sich fünf sehr alte Fichten, deren Baumalter mit 241 Jahren (ab Brusthöhe) bzw. 216 bis 228 Jahren fast so hoch ist wie das der Methusalem-Kiefern und die im gleichen Bestand hochge- wachsen sind. Weitere Fichten in der unmittelbaren Umgebung der umzäunten Kiefernfläche waren, bei ähnlichem Durchmesser, deutlich jünger und reichen kaum an 120 Jahre heran. Auch in der näheren Umgebung wurden einige potentiell sehr alte Bäume beprobt, unter denen zwei Exemplare mit 172 bzw. 164 Jahren gefunden wurden.

Abb. 16.17: Jährliche Ringbreiten von fünf Altfichten aus Paulinzella in 0,01 mm (100 ≙ 1 mm), Mittelwert in rot. Erkennbar sind zwei Ringausfälle 1841 und 1938

Der mittlere Radialzuwachs unterlag großen Schwankungen zwischen 0,4 mm/a (1823, 1893/94, 1912, 1938, 1948) und 3 mm/a (1997, 1999) mit charakteristischen Einbrüchen 1823, 1858, 1948, 1976, 1992/93 und 2005. Der jährliche Radialzuwachs der letzten zehn Jahre liegt im Mittel bei 1,5 mm/a. Der Durchmesser in Brusthöhe (ohne Borke) liegt bei nur bei 40-65cm, die Flächenzuwäch- se sind mit derzeit durchschnittlich 3000 mm2/a die größten aller Dekaden, wobei einzelne Jahre (1997, 1999, 2002) mit 4000-4500 mm2/a Spitzenwerte erreichten. Wie bei den Altkiefern ist auch bei den Altfichten in Paulinzella keine altersbedingte Abnahme der Wüchsigkeit festzustellen.

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Literatur

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17 Früherkennung von Buchdruckerbefall in Fichtenbeständen mit den Möglichkeiten der Fernerkundung – Test eines Verfahrens

Stürtz, Mathias; Otto, Lutz-Florian; Hoffmann, Karina; Sagischewski, Herbert

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (ThüringenForst) Hauptstelle für Waldschutz Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha E-Mail: [email protected]

17.1 Rahmenbedingungen und Zielsetzung

17.1.1 Waldschutz

In den Freistaaten Thüringen und Sachsen werden große Bereiche der forstwirtschaftlich genutz- ten Fläche, insbesondere die mittleren und höheren Lagen der Mittelgebirge durch die Gemeine Fichte (Picea abies) geprägt. Aber auch auf für diese Baumart ungeeigneten Standorten im Vor- land der Mittelgebirge bis hinein in die Tieflandsbereiche wurde über lange Zeit auf die Fichte als Wirtschaftsbaumart gesetzt. Die in den letzten Jahren deutlich spürbare Veränderung der klimati- schen Rahmenbedingungen, vor allem gekennzeichnet durch hohe Niederschlagsdefizite und eine steigende Anzahl von Sommer- u. Hitzetagen, erschweren zunehmend eine nachhaltige Bewirt- schaftung der Fichte außerhalb der Mittelgebirge. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei die durch die sich verändernden klimatischen Bedingungen hervorgerufene erhöhte Prädisposition der Fich- te gegenüber Borkenkäfern, insbesondere dem Buchdrucker (Ips typographus). Durchschnittlich fielen im Zeitraum 1990 bis 2017 in Thüringen etwa 100.000 fm pro Jahr und in Sachsen 31.000 fm pro Jahr diesem Borkenkäfer zum Opfer. Die Befallsentwicklung seit dem Jahr 2018 lässt einen dramatischen Anstieg dieser Schadholzmengen erwarten. Entscheidend für eine er- folgreiche Eindämmung und Begrenzung der durch die Borkenkäfer verursachten Schäden ist eine Erkennung der befallenen Fichten zu einem möglichst frühen Befallszeitpunkt, so dass eine Sanie- rung noch vor dem Ausflug einer neuen Käfergeneration realisiert werden kann. Die Suche und Erkennung von frischem Stehendbefall in den großflächigen Fichtenforsten Thüringens und Sach- sens erfolgt derzeitig noch durch eine sehr personal-, zeit- und kostenintensive terrestrische Kon- trolle besonders gefährdeter Bestandesteile. Eine flächendeckende Überwachung kann mit die- sem Verfahren jedoch nicht gewährleistet werden.

17.1.2 Fernerkundung

Mit Hilfe von Fernerkundungsdaten, speziell mit Luftbildern, werden seit Jahren biotische und abiotische Schäden erfasst. Diese Aufnahmen bewährten sich unter anderem bei der Darstellung geschädigter Waldflächen nach starken Fraßschäden durch blatt- bzw. nadelfressende Insekten. Für automatisierte Auswertungsverfahren sind dabei Spektralbereiche außerhalb des sichtbaren Spektrums von großer Bedeutung. So ist die Reflexion im Nahen Infrarot [NIR] im Spektralbereich

Mitteilungsheft 38/2020 167 | von 0,7 bis 1,3 μm vom Chlorophyllgehalt der Pflanze und der damit verbundenen Vitalität der Pflanze abhängig. Eine hohe Reflexion in diesem Bereich zeigt eine hohe Vitalität an.

Der Spektralbereich zwischen 1,4 und 1,5 μm wird durch das Wasser in den Pflanzen stark absor- biert, weshalb dieser Bereich für Detektion von Trockenstress genutzt werden kann.

2016 wurden auf verschiedenen nationalen und internationalen Plattformen Verfahren vorge- stellt, welche die Früherkennung von Borkenkäferbefall mittels der genannten Parameter in Aus- sicht stellten. Neben weiteren Aspekten wurde eine sehr frühe Befallserkennung als Vorteil dieses Verfahrens versprochen.

Aufgrund der eindeutigen Vorteile eines automatisierten Verfahrens der Früherkennung von Buchdruckerbefall gegenüber der terrestrischen Befallssuche und Erkennung, wurde 2017 ein solches Verfahren in der Praxis unter kontrollierten Bedingungen getestet. Zielstellung war es zu prüfen, ob damit ein praktikables Verfahren zur Verfügung steht, welches schnell, frühzeitig und zuverlässig die Buchdruckerbefallssituation in Fichtenbeständen widerspiegelt. Dazu sollten fol- gende Fragestellungen bearbeitet werden:

. Können Fichten zuverlässig in einer Frühphase des Buchdruckerbefalls, d. h. noch bevor ei- ne sichtbare Kronenverfärbung eintritt, erkannt werden? . Wie anfällig ist dieses Verfahren hinsichtlich Fehlinterpretationen?

17.2 Material und Methode

17.2.1 Befallsinduzierung und Befallsentwicklung

Um den Vorteil einer Früherkennung eindeutig nachzuweisen, war es erforderlich den Beginn des Buchdruckerbefalls möglichst präzise zu terminieren. Dazu wurden in Thüringen [TH] auf drei Ver- suchsparzellen jeweils fünf Fichten, in Sachsen [SN] auf vier Versuchsparzellen jeweils zwei Fich- ten zeitgleich mit dem für den Buchdrucker artspezifischen Aggregationspheromon Pheroprax® versehen. Der somit gezielt induzierte Befall an stehenden Fichten stellte den Startpunkt der Ver- suchsreihe dar [TH: 12.05.2017; SN: 15.05.2017]. Erwartungsgemäß entstand im engeren Umfeld der induzierten Probebäume zusätzlicher Befall (Tab. 17.1).

Infolge der hohen Attraktivität des Pheromons erfolgte die vollständige Besiedelung der Probe- bäume innerhalb kürzester Zeit. Unter optimalen Bedingungen dauert die Entwicklung einer neu- en Buchdruckergeneration vom Ei bis zum ausflugbereiten Jungkäfer ca. sechs Wochen. Mit zu- nehmendem Entwicklungsstadium und vermutlich auch abhängig von seiner Prädisposition und den herrschenden Witterungsbedingungen verändert sich das äußere Erscheinungsbild des Wirts- baumes.

Mitteilungsheft 38/2020 | 168

Tab. 17.1: Versuchsparzellencharakteristik

Haupt- Lage Anzahl Probebäume mit Buchdruckerbefall Versuchsparzelle bestand ü. NHN induziert zusätzlich gesamt [m] [n] [n] [n] TH - Weimar VP1 Fi / 91 J. 375 5 1 6

TH - Weimar VP2 Fi / 88 J. 400 5 9 14

TH - Weimar VP3 Fi / 92 J. 400 5 7 12

SN - Waldmühle Fi / 94 J. 200 2 5 7

SN - Zellwald Fi / 101 J. 305 2 13 15

SN - Naundorf 1 Fi / 129 J. 395 2 7 9

SN - Naundorf 2 Fi / 113 J. 450 2 3 5

Die Entwicklung der Buchdrucker unter der Rinde wurde an gefällten und ebenfalls befallenen Fichten sowie an allen Probebäumen anhand der visuell wahrnehmbaren, äußeren Befalls- symptome beobachtet und dokumentiert:

. Einbohrlöcher [Frühphase des Befalls] . Harzfluss [Frühphase des Befalls] grüne Krone [green-attack phase] . Bohrmehlauswurf [Frühphase des Befalls] . zeitiger Rindenabfall [Frühphase des Befalls]

. später Rindenabfall [Spätphase des Befalls] . Nadelfall [Spätphase des Befalls] rote Krone [red-attack phase] . Kronenverfärbung [Spätphase des Befalls]

Während in der Frühphase des Befalls [green-attack phase] überwiegend weiße Entwicklungs- stadien (Ei, Larve, Puppe) im Brutbild vorzufinden waren, war in der Spätphase [red-attack phase] häufig die Entwicklung schon bis zum Jungkäfer vorangeschritten bzw. die Käfer waren bereits ausgeflogen. Von maßgeblichem Interesse bei der Versuchsdurchführung war die Frage, zu wel- chem Zeitpunkt bzw. in welcher Befallsphase das automatisierte Verfahren den Buchdruckerbefall der Fichten anzeigt.

17.2.2 Erhebung multispektraler Bilddaten

Die Befliegung der ausgewiesenen Versuchsparzellen wurde mittels eines UAV-System (unman- ned aerial vehicle, dt.: unbemanntes Luftfahrzeug) in Form eines Multikopter in einer Flughöhe unter 100 m durch die thüringische Firma Rucon Engineering GmbH, Großschwabhausen, durch- geführt. Für die Erstellung der Luftbilder kam eine Kamera vom Typ Parrot/Micasense Sequoia mit

Mitteilungsheft 38/2020 169 | den Kanälen Rot, Grün, Blau, NIR mit einer Auflösung von 1,2 Megapixeln zum Einsatz (Abb. 17.1). Neben dem grünen und roten Spektralbereich wurde zusätzlich auch ein Kanal im Spektralbereich zwischen 0,8 und 1,0 μm genutzt. Grundsätzlich galt die Annahme, dass sich eine Information, in diesem Fall ein Buchdruckerbefall in der Frühphase, in den Bilddaten nur erkennen lässt, wenn sie sich auf Grund ihrer spektralen Eigenschaften in den erfassten Spektralbereichen oder über ihre Textur von den anderen Informationen deutlich unterscheidet. So basieren beispielsweise Vegeta- tionsindices darauf, dass gesunde Vegetation im roten Spektralbereich (0,6 bis 0,7 μm) Licht stark absorbiert, im nahen Infrarot-Bereich (> 0,7 bis 1,1 μm) dagegen stark reflektiert. Der genaue Algorithmus für die Interpretation der spektralen Abweichungen war Geheimnis der österreichi- schen Firma FESTMETER, Leoben, als Anbieter des automatisierten Verfahrens.

Abb. 17.1: Eingesetzter Multikopter der Fa. Rucon Engineering GmbH, Großschwabhausen (Bild: S. Chmara)

Die Termine für die Befliegungen der Versuchsparzellen mittels UAV und die Erstellung der multi- spektralen Aufnahmen wurden bewusst flexibel geplant, um eine Anlehnung an den Befalls- fortschritt zu gewährleisten. Beginnend vom Tag der Befallsinduzierung war ein Abstand von zehn Tagen zwischen den Befliegungen vorgesehen, wobei dieser Abstand bei Bedarf, z. B. aufgrund von Entwicklungsverzögerungen bzw. bei ungünstigen Witterungsbedingungen für eine Beflie- gung, vergrößert werden konnte (Tab. 17.2 bis Tab. 17.5). Lediglich der erste Befliegungstermin im März 2017 zur Beurteilung der Ausgangssituation und der letzte Termin im September 2017 zur präzisen Lagebestimmung der Probebäume waren von der Buchdruckerentwicklung unabhän- gig.

Tab. 17.2: Geplante und realisierte Termine für die UAV-Befliegung (Thüringen)

Planung Realisierung Lfd. Ursache für die Terminän- Tage nach Tage nach Nr. Datum Datum derung Befallsbeginn Befallsbeginn

1 -x [T0] 31.03.2017 - 44 [T0] 31.03.2017

2 10 [T10] 22.05.2017 10 [T10] 22.05.2017

3 20 [T20] 01.06.2017 29 [T29] 10.06.2017 Entwicklungsverzögerung

4 30 [T30] 11.06.2017 39 [T39] 20.06.2017

5 40 [T40] 21.06.2017 54 [T54] 05.07.2017 Witterungsbedingungen

6 140 [T140] 29.09.2017 140 [T140] 29.09.2017

Mitteilungsheft 38/2020 | 170

Tab. 17.3: Geplante und realisierte Termine für die UAV-Befliegung (Sachsen/Waldmühle)

Planung Realisierung Lfd. Ursache für die Terminän- Tage nach Tage nach Nr. Datum Datum derung Befallsbeginn Befallsbeginn

1 -x [T0] 09.05.2017 -6 [T0] 09.05.2017

2 10 [T10] 25.05.2017 8 [T08] 23.05.2017

3 20 [T20] 04.06.2017 30 [T30] 14.06.2017

4 30 [T30] 14.06.2017 38 [T38] 22.06.2017

5 40 [T40] 24.06.2017 52 [T52] 06.07.2017

6 70 [T70] 24.07.2017 65 [T65] 19.07.2017

7 80 [T80] 03.08.2017 84 [T84] 07.08.2017 Flug erfolgte nach Fällung der 8 90 [T ] 13.08.2017 91 [T ] 14.08.2017 90 91 infizierten Fichten

9 100 [T100] 23.08.2017 100 [T100] 23.08.2017

Tab. 17.4: Geplante und realisierte Termine für die UAV-Befliegung (Sachsen/Zellwald)

Planung Realisierung Lfd. Ursache für die Terminän- Tage nach Tage nach Nr. Datum Datum derung Befallsbeginn Befallsbeginn

1 -x [T0] 09.05.2017 - 6 [T0] 09.05.2017

2 10 [T10] 25.05.2017 8 [T08] 23.05.2017

3 20 [T20] 04.06.2017 30 [T30] 14.06.2017

4 30 [T30] 14.06.2017 38 [T38] 22.06.2017

5 40 [T40] 24.06.2017 52 [T52] 06.07.2017

6 70 [T70] 24.07.2017 65 [T65] 19.07.2017

7 80 [T80] 03.08.2017 - - Flug erfolgte nach Fällung der 8 90 [T ] 13.08.2017 91 [T ] 14.08.2017 90 91 infizierten Fi

9 130 [T130] 22.09.2017 130 [T130] 22.09.2017

Tab. 17.5: Geplante und realisierte Termine für die UAV-Befliegung (Sachsen/Naundorf Ost und West)

Planung Realisierung Lfd. Ursache für die Terminän- Tage nach Tage nach Nr. Datum Datum derung Befallsbeginn Befallsbeginn

1 -x [T0] 03.05.2017 - 12 [T0] 03.05.2017

2 10 [T10] 25.05.2017 8 [T08] 23.05.2017

3 20 [T20] 04.06.2017 30 [T30] 14.06.2017

4 30 [T30] 14.06.2017 38 [T38] 22.06.2017

5 40 [T40] 24.06.2017 52 [T52] 06.07.2017

6 70 [T70] 24.07.2017 - -

7 80 [T80] 03.08.2017 - - Flug erfolgte nach Fällung der 8 90 [T ] 13.08.2017 91 [T ] 14.08.2017 90 91 infizierten Fichten

9 100 [T100] 23.08.2017 130 [T130] 22.09.2017

Mitteilungsheft 38/2020 171 |

17.2.3 Terrestrische Überprüfung der Befallsentwicklung

Beginnend mit der Befallsinduzierung wurden durch flächige Begänge der Versuchsparzellen zum einen alle Probebäume jeweils zum Zeitpunkt der Befliegungen, zum anderen alle durch die multi- spektrale Bildanalyse nach der Befliegung ausgewiesenen physiologisch auffälligen Bäume bzw. Bestandesbereiche [Hotspots] innerhalb der Versuchsparzellen auf äußere Befallssymptome eines Borkenkäferbefalls überprüft. Die Ergebnisse dieser terrestrischen Aufnahmen sowie die Aufnah- men zur phänologischen Entwicklung des Buchdruckers wurden anschließend mit den Ergebnissen der multispektralen Bildanalysen verschnitten und hinsichtlich vorhandener Übereinstimmungen verglichen (Abb. 17.2).

Monat April Mai Juni Juli Rammel- Käfer - Puppe, ausfliegende Überwinterung kammer, Ei Larve Puppe entwicklung Jungkäfer Jungkäfer Muttergang Befalls- duzierung Ein- Nadelfall, Einbohrlöcher, Fällung symptome keine Befallssymptome bohr- Rindenabfall Verfärbung der Bohrmehlauswurf der Fichten Befallsin löcher Krone Befliegungs- [TH] termine [SN] 22. + 23. Mai 10. + 14. Juni 20. + 22. Juni 5. + 6. Juli 19. Juli

Abb. 17.2: Befallsentwicklung und Befliegungstermine

17.3 Ergebnisse

Der direkte Vergleich zwischen den Ergebnissen der Bildauswertung und denen der terrestrischen Einschätzung der Befallssituation an den ausgewiesenen Hotspots zeigt, dass vorhandener Ste- hendbefall durch Buchdrucker im Mittel über alle Versuchsparzellen zu 17,6 % (maximal 50 %; minimal 0 %) durch das angebotene Verfahren erkannt wurde. Daraus ergibt sich ein durch- schnittlicher Übersehfehler von 82,4 % (maximal 100 %; minimal 50 %), bei dem vorhandener Stehendbefall nicht erkannt wurde. An durchschnittlich 6,1 % der stockenden Fichten in den Ver- suchsparzellen wurde aufgrund der spektralen Merkmale ein Buchdruckerbefall angezeigt. Diese Fichten erwiesen sich jedoch als vital und ohne erkennbare Befallssymptome. Die Ergebnisse der einzelnen Versuchsparzellen sind der Tab. 17.6 zu entnehmen.

Im Verlauf der einzelnen Befliegungen nahm die Anzahl der ausgewiesenen Hotspots zu, ein An- stieg der Sensitivität (Trefferquote) mit voranschreitender Entwicklung der Käfer im Brutbild konnte aber nicht registriert werden (Abb. 17.3).

Mitteilungsheft 38/2020 | 172

Tab. 17.6: Versuchsergebnisse

Stehendbefall durch Buchdrucker … Versuchs- richtig erkannt (rp) nicht erkannt (fn) falsch vermutet (fp) nicht vorhanden (rn)

parzelle → Hotspot → kein Hotspot → Hotspot → kein Hotspot Trefferquote Übersehfehler Fehlalarm [Stck] [%] [Stck] [%] [Stck] [%] [Stck] [%] TH - Weimar VP1 3 50 3 50 18 11 145 88 TH - Weimar VP2 3 21 11 79 42 8 499 92 TH - Weimar VP3 4 33 8 67 8 4 179 96

SN - Waldmühle 1 14 6 86 39 11 322 89 SN - Zellwald 0 0 15 100 20 3 593 97 SN - Naundorf 1 1 11 8 89 22 5 388 95 SN - Naundorf 2 0 0 5 100 11 4 265 96

rp - richtig-positiv-Rate; Sensitivität bzw.Trefferquote: Anteil befallener Fichten, deren Befall mittels UAV detektiert wurde fn - falsch-negativ-Rate; Übersehfehler: Anteil befallener Fichten, deren Befall mittels UAV nicht detektiert wurde fp - falsch-positiv-Rate; Ausfallrate: Anteil nicht befallener Fichten, für die das UAV basierte Verfahren einen Befall detektierte (Fehlalarm) rn - richtig-negativ-Rate; Spezifität: Anteil nicht befallener und nicht detektierter Fichten

Abb. 17.3: Verteilung der ausgewiesenen Hotspots sowie die Lage der Befalls- bäume auf der Versuchsparzelle TH – Weimar VP1

Zum Zeitpunkt der Befliegung 39 Tage nach Befallsbeginn waren bereits erste Jungkäfer im Brut- bild zu finden und der Befall visuell deutlich an der Veränderung des Kronenzustandes sowie dem großflächigen Ablösen der Rinde erkennbar (Übergang von der green-attack phase zur red-attack phase).

17.4 Diskussion und Fazit

Mit dem getesteten Verfahren lässt sich Buchdruckerbefall in Fichtenbeständen nicht in ausrei- chendem Umfang [rp] und nicht rechtzeitig [green-attack phase] erfassen, um eine wirksame Sa- nierung einleiten und durchführen zu können.

Mitteilungsheft 38/2020 173 |

Der hohe Anteil falsch eingeschätzter Fichten [fp] führt zu einem erhöhten Kontrollaufwand und würde aufgrund dieser Fehlinterpretationen die Akzeptanz dieses Verfahrens in der forstlichen Praxis in Frage stellen.

Nach den in diesem Versuch gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen lassen sich folgenden Ursachen für die geringe Erfolgsquote bei der Früherkennung von Borkenkäferbefall anführen:

. Die erfassten Spektralbereiche der eingesetzten Kamera lassen keinen direkten Rückschluss auf Frühbefall zu. Bestenfalls sind Aussagen zur Vitalität des Kronendaches möglich. Die verschiedenen Ursachen für mögliche Vitalitätseinschränkungen (z. B. Trockenstress, Halli- masch- oder Borkenkäferbefall) können nicht differenziert werden. . Die Reaktion des Baumes auf Buchdruckerbefall beginnt in den unteren Kronenbereichen und wandert mit zunehmender Schädigung aufwärts. Häufig befinden sich dann oberhalb dieser Bereiche noch Nadeln ohne Schadausprägung. Da Luftbilder vorrangig den Zustand des Kronendaches abbilden, kann der Schaden erst erkannt werden wenn er schon deutlich vorrangeschritten ist.

Eine praxistaugliche Früherkennung des Buchdruckerbefalls durch die automatisierte Analyse multispektraler Aufnahmen mit dem beschriebenen Verfahren und den angewandten Auswer- tungsmethoden ist im Rahmen dieses Tests nicht gelungen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Analyse der standardmäßig verfügbaren Multispektralaufnahmen derzeit noch unzuläng- liche Früherkennungsergebnisse liefert.

Für eine Verbesserung der Ergebnisse sind weitere Kalibrierungsmaßnahmen der Kameras z.B. durch die frühzeitige Einbeziehung terrestrischer Befallsdaten, die Nutzung von Zusatzdaten von GeoInformationssystemen (Bestandesstrukturen) sowie eine Optimierung der Bilddatenanalyse erforderlich.

Unabhängig von den vorliegenden Ergebnissen könnte ein zuverlässig funktionierendes, rasches und präzises Verfahren der Früherkennung von Borkenkäferbefall bzw. Prädispositionen, mit Me- thoden der Fernerkundung, eine wertvolle Unterstützung der örtlichen Wirtschafter bei der Ver- meidung bzw. Reduzierung von Borkenkäferschäden darstellen. Aus diesem Grunde sollte dieses Thema, ggf. methodisch breiter aufgestellt, auch weiterhin im Fokus der forstlichen Forschung stehen.

Unser ausdrücklicher Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der forstlichen Praxis, ohne deren Unterstützung diese Untersuchungen nicht möglich gewesen wären.

Literatur

ACKERMANN, J. et al (2018): Früherkennung von Buchdruckerbefall durch Drohnen. – Allgemeine Forst Zeitschrift für Wald und Umweltvorsorge 19/2018 – Deutscher Landwirtschaftsverlag München

Mitteilungsheft 38/2020 | 174

18 Altersstruktur und Waldgeschichte der „Uhrdaer Kopflinden“ bei Vollradisroda/Thüringen

Jetschke, Gottfried; Resch, Falko; Biehl, Susann; Kahlert, Karina

Kontaktdaten des/der Hauptautors/-in: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Ökologie und Evolution Dornburger Straße 159, D - 07743 Jena E-Mail: [email protected]

18.1 Zielstellung

Wald war und ist Lebensgrundlage und Lebensraum. Er ist Ergebnis und Zeuge unserer Kulturge- schichte. Viele Generationen vor uns lebten im, mit und vom Wald. Dies hat Spuren hinterlassen. In den Wäldern Thüringens befinden sich viele kulturhistorische Zeugnisse und Spuren histori- scher Formen der Waldbewirtschaftung. Manche von ihnen sind sichtbar, andere erst auf den zweiten Blick erkennbar. Ihr ursprünglicher Sinn liegt nicht immer auf der Hand. Aber sie haben alle etwas Verbindendes: Sie sind wertvolle Zeugen einer jahrhundertelangen Arbeits- und Le- benstradition der Menschen vergangener Zeiten und deshalb erhaltenswert.

Forstverwaltungen sind in zunehmendem Maße aufgerufen, durch naturnahe Waldbewirt- schaftung auch Relikte früherer Waldnutzung (etwa Niederwald) zu erhalten (z.B. ForstBW 2015). Naturnahe Wälder bestehen aus einem Mosaik von Strukturelementen, die Lebensräume für ver- schiedenste Arten bieten, und tragen damit zum Arten- und Biotopschutz bei. Da sehr alte Bäume oft kaum vorhanden oder unterrepräsentiert sind, kommt auch Kleinvorkommen eine wichtige Bedeutung zu. Auch aus landschaftsästhetischen und kulturhistorischen Gründen besteht für die Forstwirtschaft die Verpflichtung, kleinflächige Sondervorkommen zu schützen und zu pflegen (STICHMANN 1999).

Will man die richtigen Schritte zur Sicherung und Erhaltung dieser Zeitzeugnisse gehen, ist ein solides Basiswissen über die entsprechenden Objekte wichtig. Dieses Wissen ist in der Vergan- genheit jedoch oft in Vergessenheit geraten. Über gezielte Recherchen und Untersuchungen muss versucht werden, solche Lücken zu schließen. Die Richtlinie „Förderung forstwirtschaftlicher Maßnahmen“ des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft vom 22.05.2018 (TMIL 2019) bietet entsprechend Punkt H2 „Sicherung historischer, kultureller sowie landschafts- und naturschutzwertvoller Strukturelemente“ die Möglichkeit, die Erhaltung solcher Besonderhei- ten finanziell zu fördern.

Schon seit längerer Zeit gab es Bemühungen verschiedener Akteure, das historische Lindenoval am Südrand des Vollradisrodaer Forstes (Forstamt Bad Berka, Revier Vollradisroda) in seiner Be- deutung zu würdigen und durch geeignete forstliche Maßnahmen als kulturelles Erbe zu sichern. In Vorbereitung eines Förderantrages zur Erhaltung des wertvollen Baumensembles arbeiteten Mitarbeiter der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, des FFK Gotha, des Thüringer Forstamt Bad Berka und der Erstautor (G.J.) als Sachverständiger für Dendrochronologie eng zusammen. In diesem Kontext sollte durch dendrochronologische Untersuchungen das Alter der vorhandenen Linden abgeschätzt und durch begleitende Recherchen zur Waldgeschichte der Wuchsort geogra-

Mitteilungsheft 38/2020 175 | phisch-historisch eingeordnet werden. Neben der generellen Frage zur Entstehungszeit des Lin- denovals war zu klären, ob ein Bezug zu einer der in der Umgebung vorkommenden mittelalterli- chen Wüstungen bestehen könnte.

Die Ergebnisse der Altersbestimmung der Linden sowie der Recherchen zur Waldgeschichte des Döbritscher Pfarrholzes sind Gegenstand des nachfolgenden Artikels. Es sollte festgestellt werden, ob das Lindenoval bei Vollradisroda ausreichende waldbauliche und historische Gründe liefert, die einen finanziell geförderten Erhalt im Rahmen der oben genannten Richtlinie rechtfertigen. Nicht zuletzt könnte durch einen sanierten Bestand dem interessierten Besucher die Geschichtlichkeit der (Wald-)Landschaft und der andauernde Einfluss des gestaltenden Menschen nahegebracht werden.

18.2 Flächenbeschreibung und Methodik

18.2.1 Lage

Die Baumgruppe "Uhrdaer Kopflinden" besteht aus 17 Bäumen und befindet sich im Revier Voll- radisroda des Thüringer Forstamtes Bad Berka in der Abteilung K2637 a2, etwa 1,5 km südöstlich von Döbritschen und 1,2 km südwestlich von Vollradisroda. Der Standort liegt auf der Südseite des auslaufenden Fußes des Steinhügels (400 m NN) innerhalb des Wuchsbezirkes „llm-Saale- Muschelkalk-Platten" (5.2.0). Forstklimatisch liegt die Fläche in der Klimastufe Vm (Hügelland mit mäßig trockenem Klima) mit einem Jahresmittelwert von etwa 8,0 °C und Jahresniederschlägen von 550-600 mm. Das geologische Ausgangssubstrat sind Kalktone des Oberen Muschelkalks (mo2), die Standortskartierung weist unter RCT2 wechselfrische sowie nährstoffreiche karbonati- sche sog. Flachdecktone aus. Die Baumartenkarte ordnet Weichlaubholz älter als 60 Jahre zu. Westlich bzw. südlich der unmittelbar angrenzenden Wege stocken Buchen in Mischung mit Kie- fern und Lärchen bzw. junge Eichen. Die Fläche steht entsprechend der aktuellen Forsteinrichtung sowie dem Eintrag im Grundbuch im Eigentum der Pfarrei Döbritschen, verwaltet durch das Lan- deskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.

Geprägt ist der Vollradisrodaer Forst durch einen großen sechsstrahligen Wegestern am Forstort "Stern" (Abb. 18.1) und einen kleineren weiter westlich am Forstort "Fuchseiche", die beide schon im 18. Jahrhundert angelegt wurden und auf die historische jagdliche Bedeutung verweisen.

18.2.2 Vorgefundener Baumbestand

Im Januar 2019 wurden 16 Kopflinden vorgefunden sowie eine Hainbuche, die alle offensichtlich ein beträchtliches Alter aufweisen, mehrfach beschnitten wurden und zum Teil größere Zerfallser- scheinungen zeigen (Abb. 18.2). Drei der Linden sind bereits abgestorben (Tab. 18.1).

Eine weitere Linde war nur noch in zersetzten Fragmenten zu erkennen. Die Linden stehen in zwei gekrümmten Reihen, die ein langgestrecktes Oval bilden (Abb. 18.3). Leider ist im Oktober 2019 eine weitere Linde (Nr. 5 in Abb. 18.3, Abb. 18.2) am Stammfuß umgebrochen.

Mitteilungsheft 38/2020 | 176

Zunächst wurden wichtige Strukturmerkmale erfasst, darunter der BHD, die Gesamthöhe und die Höhe des (mehrfachen) Kronenschnitts sowie die Zahl der Ausschläge im Kronenbereich (Tab. 18.1).

Abb. 18.1: Lage des Lindenovals im Vollradisrodaer Forst (Forstamt Bad Berka, Revier Vollradisroda)

Quelle: Geo Proxy Thüringen (http://www.geoproxy.geoportal-th.de)

Mitteilungsheft 38/2020 177 |

Abb. 18.2: Ansicht des Lindenovals im Oktober 2019 (Foto: A. Nestler)

Abb. 18.3: Maßstäbliche Lage und Nummerierung der erfass- ten Bäume im Lindenoval (rot: Hainbuche, Strich- linie: Bäume abgestorben)

Mitteilungsheft 38/2020 | 178

Tab. 18.1: Wichtige Strukturmerkmale aller 17 Bäume im Lindenoval

Kronen- äußerlich Anzahl

tot BHD Höhe schnitt erkenn- Beulig- Aus- Bemerkung Nr. (cm) (m) in Höhe bare keit schläge leb./ leb./ (m) Fäule 1 63 23,6 3,8 4 gering mittel

2 79 25,0 3,8 10 gering mittel

3 60 19,0 3,8 8 stark mittel

Hainbuche, Krone 4 51 22,0 nicht beschnitten 5 52 16,0 4,7 5 stark stark

6 77 25,2 4,8 11 gering mittel

7 73 24,2 5,5 7 stark mittel

8 60 27,6 2,8 5 sehr stark mittel

auf 2,7 m natürliche 9 101 30,9 5,4 14 schwach schwach Gabelung in drei Teile auf ca. 3 m Höhe 10 96 18,3 4,7 15 mittel stark natürl. Gabelung 11 80 27,2 3,7 5 stark gering

toter Stummel, Rest 12 tot ------ist verfault 13 41 16,5 4,3 1 sehr stark gering

Baum abgestorben, 14 tot 20 3,8 3,0 - - - liegt und ist angefault 15 86 20,3 4,3 1 sehr stark

16 tot - 1,6 - - - - verfaulter Stummel

17 52 17,0 2,7 1 sehr stark gering

18.3 Untersuchungsmethodik

18.3.1 Probenahme und Präparation

Im Januar 2019 wurden pro Baum, falls möglich, mittels Zuwachsbohrer zwei bis drei (und einmal vier) Bohrkerne entnommen, in der Regel um 90-120 Grad in der Richtung versetzt. Im Gegensatz zur klassischen Probenahme in Brusthöhe wurde versucht, möglichst nahe am Stammfuß zu boh- ren. Die Bohrlöcher lagen deshalb in 50-20 cm Höhe über dem Boden.

Die Bohrlöcher wurde anschließend mit einem Hartholzdübel von 10 mm Durchmesser verschlos- sen, um das Eindringen von Feuchtigkeit und Pathogenen zu vermeiden. Die Bohrkerne wurden

Mitteilungsheft 38/2020 179 | vor Ort in Plastik-Trinkhalme verpackt und beschriftet, im Labor einzeln auf Holzträger mit einer Nut aufgeklebt und mit einem Bandschleifer mit Schleifpapier wachsender Körnung (bis Korn 400) plan geschliffen, so dass die waagerecht angeschnittenen Gefäße sowie weitere holzanatomische Merkmale sichtbar wurden. Anschließend wurde für jeden Bohrkern unter einem Stereomikro- skop die Zahl der auflösbaren Jahrringe ermittelt.

Es wurden insgesamt sechs Bäume beprobt mit den Nummern 2 (drei Proben), 6 (zwei Proben), 7 (drei Proben), 9 (drei Proben), 10 (drei Proben) und 11 (vier Proben). Zusätzlich wurde der Um- fang der Bäume in ca. 40 cm Höhe über dem Boden gemessen, um eine grobe Abschätzung des Durchmessers in dieser Höhe zu gewinnen (wohl wissend, dass der Querschnitt durch Wurzelan- läufe und eventuelle Stockausschläge stark von der Kreisform abweichen kann).

18.3.2 Methodik der Altersabschätzung

Durch bloßen Augenschein bzw. durch Klopfproben wurde klar, dass die meisten Bäume im Innern hohl sind oder zumindest Zersetzungserscheinungen des Holzes aufweisen. Als grobe Abschätzung wurde deshalb aus dem Durchmesser in Bodennähe und der erfassten Länge der Bohrkerne die ungefähre Größe des Hohlraums ermittelt. Unter der stark vereinfachenden Annahme eines kon- zentrischen Wachstums konnte so der Radius des Hohlraums in Bohrrichtung abgeschätzt wer- den.

Die Grundidee bestand darin, aus der Länge der Bohrkerne und dem noch fehlenden Radius unter Annahme sich zur Mitte hin langsam verbreiternder Jahreszuwächse in etwa die fehlende Zahl von Ringen abzuschätzen. Aus mehreren Radien eines Baumes sollte sich dann durch Mittelung eine relativ gute Abschätzung des Alters ergeben. Diese Methode, die bei einigermaßen "regulär" und konzentrisch wachsenden Bäumen gut funktioniert, stößt bei Linde natürlich auf ihre Gren- zen. Bei einer schlechten Holzqualität (z.B. äußerst weichem Gewebe oder Wucherungen) sind gelegentlich keine Jahrringe erkennbar, zum anderen kann mitunter die Breite der Jahrringe in- nerhalb eines Kerns beträchtlich schwanken. Diese Art von Fehlern kann nur durch eine hinrei- chend große Zahl von Bohrproben verringert werden.

18.4 Altersstruktur des Lindenovals

18.4.1 Generelle Aussagen

Generell konnte festgestellt werden, dass bei allen Bohrkernen keine Änderung der Wachstums- richtung in der Abfolge Frühholz/Spätholz auftrat. Dies deutet darauf hin, dass es sich stets um Holz des primären Stammes und damit um aufeinander folgende Jahre handelt. Ein verwachsener Seitenaustrieb hätte dagegen das Mark des Astes oder zumindest in dessen Nähe verschiedene Wuchsrichtungen gezeigt. Insofern kann man davon ausgehen, dass die gezählten Ringe eine zeit- lich korrekte Abfolge vom ältesten vorhandenen zum jüngsten Jahrring ergeben.

Die Länge der gewinnbaren Bohrkerne schwankte zwischen 9 cm und 38 cm, weil in der Regel ab einer gewissen Tiefe das Holz im Stamminneren Auflösungserscheinungen zeigte. Dies erkennt

Mitteilungsheft 38/2020 | 180 man am deutlich geringeren Bohrwiderstand bzw. daran, dass der Bohrer nicht von selbst weiter eindringt. Dies bedeutet, dass alle beprobten Bäume im Stamminneren hohl bzw. zerfallen sind.

Linde ist eine Baumart mit diffusporigen Jahrringen, bei der lediglich die Anzahldichte der Gefäße zum Spätholz hin geringfügig abnimmt (Abb. 18.4). Die Jahrringgrenzen sind wenig ausgeprägt und mussten teilweise durch Anfeuchten im Kontrast verstärkt werden. Gelegentlich beeinträch- tigte die schlechte Qualität des Holzes die Auszählung der Jahrringe. Die Breite der Jahrringe schwankte innerhalb eines Kerns zum Teil beträchtlich, Phasen mit 1 mm Zuwachs pro Jahr wech- selten mit kurzen Phasen sehr raschen Wachstums (> 1 cm pro Jahr) ab. Außerdem gab es auch zwischen den Kernen eines Baumes große Unterschiede. So zeigte z.B. Baum 11 im Kern A auf 9 cm Länge 88 Jahre, aber im Kern D auf 36 cm Länge nur 53 Jahre. Solche Unterschiede sind nur durch nichtkonzentrisches Wachstum zu erklären, was die Altersabschätzung erschwert.

Abb. 18.4: Ausschnitt von Bohrkern 9C unter dem Mikroskop mit engen und weiten Jahrringen (Pfeile = Wachstumsrichtung nach rechts, im Frühholz höhere Dichte an Gefäßen)

Bei Baum Nr. 9 konnte der Kern C komplett mit 157 Jahren ausgezählt werden (auf 20 cm Länge) und die Kerne A und B mit 159 bzw. 142 Jahren (auf 34 bzw. 26 cm Länge), wobei bei den Kernen A und B evtl. noch 5-10 Jahre hinzukommen, weil kurze Stücken in der Struktur für die Zählung sehr unscharf waren (Abb. 18.4, oben). Baum Nr. 6 besaß im Kern A insgesamt 132 ausgezählte Ringe auf 23 cm Länge. Baum Nr. 10 kam im Kern B auf 114 Ringe (bei 12 cm Länge!) und Baum Nr. 11 zeigte im Kern B insgesamt 102 Ringe (auf 38 cm Länge).

Für jeden Bohrkern und die zugehörige Richtung wurde aus der Anzahl der gezählten Ringe und dem fehlenden Radius (bei Annahme konzentrischen Wachstums) die Zahl der noch fehlenden Ringe geschätzt. Letztere Schätzung ist als eine Näherung anzusehen, deren Fehler - je nach feh- lender Länge - bis zu ± 25 Jahre betragen dürfte.

18.4.2 Angaben zu ausgewählten Bäumen

Im Folgenden wird an drei ausgewählten Bäumen das Vorgehen bei der Altersschätzung illustriert. Es sind jeweils angegeben die Anzahl der ausgezählten Ringe (wegen kurzer diffusholziger Ab- schnitte z.T. geringfügig korrigiert), die Längen der gewonnenen Bohrkerne in cm, der effektive mittlere Durchmesser d bzw. Radius r in 40 cm Höhe sowie die Schätzungen für die Lage und Di- mension des Hohlraums im Stamminneren, für die daraus geschätzte Zahl der fehlenden Ringe und für das letztlich in Bohrrichtung abgeleitete Baumalter.

Von Baum Nr. 6 wurden zwei Proben genommen, die auf 23 cm bzw. 13 cm Länge insgesamt 132 bzw. 93 Ringe aufwiesen (Abb. 18.5, oben). Rechnet man die Ringbreiten auf die noch fehlenden 20 cm bzw. 30 cm hoch (unter Annahme einer zur Mitte einsetzenden Verbreiterung), so sollten noch etwa 100 Jahre bzw. 190 Jahre fehlen. Beide Radien ergeben deshalb eine Altersschätzung

Mitteilungsheft 38/2020 181 | von 232 Jahren bzw. 283 Jahren. Der Hohlraum und die ursprüngliche Mitte des Baumes (d.h. das Mark) weichen somit etwas von der in Abb. 18.5 angenommenen Lage ab, was eine abschließen- de Schätzung von etwas mehr als 250 (± 25) Jahren ergibt.

Von Baum 9 mit einem mittleren Radius von 56 cm wurden drei Proben in verteilten Richtungen entnommen, die 142, 157 bzw. 159 Ringe erkennen ließen. Bei zwei Kernen musste eine kurze "diffus" gewachsene Zone mit den Durchschnittsbreiten benachbarter Jahre aufgefüllt werden, was überdeckte Zeitspannen von 147, 157 bzw. 170 Ringen ergab (Abb. 18.5, Mitte). Während Kern A mit 33 cm Länge mehr als die Hälfte des angenommenen Radius von 56 cm überdeckte und auf ca. 90 weitere Ringe führte, besaß Kern C nur eine Länge von 20 cm bei fehlenden weite- ren 36 cm zum Mark, wodurch wenigstens noch weitere 150 Ringe bis zur Mitte fehlen sollten. Die drei Altersschätzungen von 260, 267 bzw. 307 Jahren unterstreichen konsistent, dass auch bei zurückhaltender Betrachtung ein Alter des Baumes von wenigstens 250 Jahren angenommen werden muss.

Baum 10 ist dadurch charakterisiert, dass ein vergleichsweise großer Hohlraum von ca. 45 cm Radius von einer noch stehenden Holzschicht von rund 14 cm umschlossen ist. Beeindruckend ist aber, dass auf den fast einheitlich kurzen Bohrkernen 92, 94 bzw. sogar 114 Jahre ausgezählt wer- den konnten (Abb. 18.5, unten). Bei konstant angenommener Breite müsste der Hohlraum noch weitere 300 Ringe enthalten, doch selbst bei der sehr konservativen Schätzung von jeweils 200 fehlenden Ringen führt dies konsistent auf 292, 294 bzw. 314 Jahre, was ebenfalls ein Baumalter jenseits der 250 Jahre als sehr plausibel erscheinen lässt.

Für Baum 2 mit einem Radius von 48 cm war von drei Kernen auf Grund sehr schlechter Holzquali- tät nur einer auszählbar, der auf 16 cm Länge 96 Ringe besaß. Wenn man die fehlenden 32 cm Hohlraum mit 180 Ringen überbrückt, führt das auf ein Gesamtalter von 276 Jahren. Der Baum 7 zeigt ein etwas heterogenes Bild, weil in zwei Richtungen etwa 28 cm Kernlänge knapp 140-150 Ringe aufweisen, während der dritte Kern auf 32 cm Länge nur etwa 100 Ringe besitzt, wobei diese Zahl durch eine größere "diffuse" Zone evtl. unterschätzt ist. Die drei Radien führen dann auf insgesamt 140, 210 bzw. 220 Jahre, so dass dieser Baum vermutlich jünger ist und nur auf etwa 200 Jahre kommt. Baum 11 scheint sehr exzentrisch gewachsen zu sein, denn Kern A mit 9 cm Länge und 95 Jahren! und Kern C mit 10 cm Länge und 76 Jahren repräsentieren Richtungen sehr langsamen Wachstums, während Kern B auf 38 cm Länge mit 102 Ringen und Kern D auf 36 cm Länge mit sogar nur 54 Jahren rasches Wachstum verkörpern. Dementsprechend schwanken die Altersschätzungen in den einzelnen Richtungen zwischen 104 und mehr als 300 Jahren. Wenn man aber die gegenüberliegenden Kerne A und B sowie C und D unter Annahme eines exzentri- schen Wachstums mittelt, sollte wiederum eine Altersschätzung jenseits der 200 Jahre einen rea- listischen Wert darstellen.

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Abb. 18.5: Charakteristische Längen (in cm), Jahrringzählungen (schwarz), Altersschätzungen (grün) und Fotos für drei ausgewählte Linden (unter Annahme eines exzentrisch versetzten kreisförmigen Hohlraums)

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18.4.3 Gesamteinschätzung

Aus der Anzahl der explizit erfassten Jahrringe und der Abschätzung der noch fehlenden (und inzwischen verrotteten) Ringe ergibt sich die zwingende Schlussfolgerung, dass das Altersspekt- rum aller beprobten Bäume zwischen 200 und 300 Jahren liegt. Die Proben 7C und 11B ergeben Schätzungen von nur etwa 150 Jahren, Kern 11D nur knapp über 100 Jahre. Der Baum Nr. 11 ist aber offensichtlich sehr ungleichförmig gewachsen, wie der Vergleich mit den gegenüber liegen- den Kernen A und C zeigt. Aus der Annahme, dass die Markröhre stark exzentrisch näher an A und C liegt, und der folglichen Mittelung der Richtungen A-B bzw. C-D ergibt sich ebenfalls eine Alters- schätzung von ca. 200-250 Jahren.

Es ist nicht zwingend davon auszugehen, dass alle Bäume gleich alt sein müssen. Möglicherweise sind die Bäume Nr. 10 und 11 am ältesten (250-300 Jahre), gefolgt von Baum Nr. 9, der wahr- scheinlich nur geringfügig jünger ist, aber auch die größte Zahl noch vorhandener und tatsächlich ausgezählter Ringe (170 bzw. 157) besitzt. Auch die Bäume Nr. 2 und 6 haben eventuell ein ähnli- ches Alter, wobei hier der Schätzfehler größer sein kann. Baum Nr. 7 dürfte dagegen etwas jünger sein. Genetische Untersuchungen könnten deshalb genaueren Aufschluss ergeben, ob die jünge- ren Linden eventuell aus Wurzelbruten einer bereits älteren Bepflanzung entstanden sind. Die anderen nicht beprobten Linden weisen alle eine ähnliche Physiognomie auf, so dass deren Be- probung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ähnliche Altersspannen führen würde. In unmittelbarer Nähe des Lindenovals (ca. 20 m Abstand) befindet sich eine Traubeneiche, die sich durch eine ungewöhnlich markante, vermutlich vom Menschen verursachte, Kronenverzweigung auszeich- net. Zwei Bohrkerne, die sich problemlos bis zur Mitte auszählen ließen, ergaben für diesen Baum ein Alter von ziemlich genau 250 Jahren.

Trotz der genannten Fehlerquellen, die vor allem von der Tatsache herrühren, dass sämtliche Bäume im Innern hohl sind, führt die Gesamtheit der Jahrringzählungen ziemlich konsistent zu dem Schluss, dass die Linden ein mittleres Alter von etwa 250 Jahren besitzen (mit einer Fehler- spanne, die bei ±30 Jahren liegen dürfte). Zumindest die vorgefundenen Linden sollten deshalb um 1770 begründet worden sein, auf jeden Fall aber spätestens am Ende des 18. Jahrhunderts. Damit könnte das Lindenoval auf Aktivitäten in der frühen Weimarer Klassik zurückgehen. So ist es durchaus denkbar, dass Großherzog Carl August und/oder Goethe zur Entstehung der Anlage beigetragen haben. Dies wird auch durch die eingangs erwähnten Jagdsterne nahegelegt, die den Vollradisrodaer Forst in ungewöhnlicher Weise prägen.

18.5 Rekonstruktion der Waldgeschichte

Aus den dendrochronologischen Untersuchungen hat sich ergeben, dass das Alter der (meisten) Linden auf 250 ± 30 Jahre geschätzt werden kann. Es liegt deshalb die Frage nahe, ob aus histori- schen Karten zusätzliche Anhaltspunkte zur Nutzungsgeschichte des Standorts zu finden sind. In der Umgebung des heutigen Vollradisrodaer Forstes gibt es mehrere mittelalterliche Wüstungen, von denen vor allem Uhrda einen Bezug zum Lindenoval besitzen könnte.

18.5.1 Karten vor 1800

Historische Karten, die vor dem 18. Jahrhundert liegen, sind im Allgemeinen zu grob und ungenau für unsere Zwecke. Erst die Karte von J. G. STURM von 1750 bietet, trotz ihres relativ kleinen Maß-

Mitteilungsheft 38/2020 | 184 stabs von 1:95 000, eine ausreichende Auflösung und eine zuordenbare Darstellung von Waldflä- chen. Aus ihr geht hervor, dass einige Waldungen um Jena, darunter auch der "Döbritscher Forst", bereits um 1750 in etwa der heutigen Form bestanden haben und somit auf eine lange kontinuier- liche Nutzung verweisen können (Abb. 18.6a). Andere Regionen dazwischen, z.B. auch bei Vollra- disroda, zeigen nur sporadische Waldflecken und waren vor 250 Jahren noch unbewaldet. Was das Lindenoval angeht, so ist nur zu erkennen, dass der Vollradisrodaer Forst ziemlich genau die auch auf späteren Karten (1797) zu erkennende Ausdehnung und charakteristische Form hatte und genau am heutigen Standort der Linden seine südlichste Ausbuchtung zeigt (Abb. 18.6a).

Abb. 18.6: (a) links: Ausschnitt aus der Karte von STURM (1750) mit dem "Döbritscher Forst" (b) rechts: Ausschnitt aus der "Charte des Fürstenthums Weimar" von 1797 mit dem "Döbrit-

scher Forst". Beide Karten grob eingenordet, rot: heutiges Lindenoval

In der 1797 erschienenen "Charte des Fürstenthums Weimar", die im Wesentlichen auf den Wiebekingschen Aufnahmen von 1785 basiert, sind Waldgebiete deutlich graubraun hinterlegt. Im "Döbritscher Forst" ist bereits der sternförmige Wegeverlauf verzeichnet. Die Stelle des heuti- gen Lindenovals liegt genau am Waldrand (besondere Signaturen sind aber nicht zu erkennen), der Weg von Göttern nach Coppanz liegt noch ca. 100 m weiter südlich (Abb. 18.6b). Allerdings hat ein früherer Nutzer in der Originalkarte mit Bleistift ein Gitternetz sowie den vom Lindenoval nach Nordosten führenden heutigen Waldweg eingezeichnet. Als nächstliegende Wüstung ist südöstlich vom Lindenoval die Siedlung Uhrda ("alte Dorff Stelle Urta") vermerkt, in deren Umge- bung verbuschtes Weideland sowie eine Wiese (in grün) eingetragen sind.

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18.5.2 Preußische und deutsche Messtischblätter

In den Jahren 1851-1855 wurde vom preußischen Generalstab eine Neutriangulation durchge- führt (mit der Linie Inselsberg–Brocken als Basis von 105 977 m Länge). Fast zeitgleich schritt die topografische Landesaufnahme Thüringens im Maßstab 1:25 000 voran (MEYER 2007). Der Vollra- disrodaer Forst befindet sich in der äußersten südöstlichen Ecke des Blattes 2935 (5034) Magdala, so dass zur besseren Übersicht Kartenteile der benachbarten Blätter 2998 (5134) Blankenhain, 2937 (5035) Jena und 2999 (5135) Kahla kombiniert wurden (Abb. 18.7a). Allerdings gibt es auf den Feldoriginalen von 1854/55 auf den einzelnen Blättern, bedingt durch die unterschiedlichen Bearbeiter (Blatt Magdala: von Salviati, Lieutn. Thür. Regmt.; Blatt Jena: Rogalla von Biberstein, Prem.Lieut. im 17ten Inf.Regmt.) Unterschiede bei der Farbgebung, die insbesondere beim Laub- wald (in blau) deutlich auffallen und zu beachten sind.

Der Döbritscher Forst, jetzt "Vollradisrodaer Forst" genannt, ist 1854 (ziemlich genau in den Gren- zen von 1797) blau als Laubwald ausgewiesen. Einige südlich angrenzende Flurstücke, die bis an den von Göttern herüberführenden Weg reichen, sind in braun als Nadelholz ausgewiesen und stellen damit Aufforstungen des 19. Jh. dar (Abb. 18.7a). Nach Osten, im Bereich der heutigen Straße von Vollradisroda nach Bucha, ist eine zusammenhängende Waldfläche entstanden. Die Wüstung Uhrda ist wiederum knapp 1 km südöstlich vom Lindenoval angegeben. Im Bereich des heutigen Lindenovals ist (rechts von dem nach Nordnordwest führenden Weg) eine kleine schma- le Fläche ohne Waldsignatur eingezeichnet (Abb. 18.7a, vgl. Abschnitt 19.5.3). Dies unterstreicht, dass die besagte Stelle auch schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts einen besonderen Standort verkörperte, der hellgrünen Signatur nach offenbar eine (Wald-)Wiese, die erkennbar von dem umgebenden Wald unterschieden wurde.

Die Urmesstischblätter von 1873 sind eigentlich nur die Reinzeichnungen (genauer: Schiefersti- che) der Feldoriginale von 1853, die ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen wa- ren. Inhaltlich gibt es nur wenige Unterschiede zu den Feldoriginalen, obwohl Teile von ihnen durch die in Folge der Gemeinheitsteilungen in Thüringen vorgenommenen umfangreichen Flur- neuordnungen veraltet waren (MEYER 2007). Die Zusammenstellung der Karten von 1873 für den Vollradisrodaer Forst zeigt deshalb im Wesentlichen die Farbgebung der 1854er Karte in Signatu- ren übersetzt, so dass Laubwald und Nadelwald jetzt deutlich unterscheidbar sind. Die an den Wegrand angrenzende Stelle des Lindenovals bleibt signaturfrei und ist damit eindeutig nicht als Wald ausgewiesen (siehe Abb. 18.8c).

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Urmesstischblätter durch völlig neu im Metermaß aufgenommene Messtischblätter abgelöst. Deren topografischen Genauigkeit entspricht heutigen Karten und erlaubt detaillierte Aussagen über Veränderungen in der Kulturlandschaft. Auf den Messtischblättern von 1905 ist der Vollradisrodaer Forst als "Staatsforst Jena" ausgezeichnet. Weitere kleine Flächen am Südrand sind zu Nadelwald aufgeforstet worden. Östlich vom Linden- oval ist ein neues kleines und blind endendes Wegstück eingetragen. Von Vollradisroda aus in Richtung Osten hat die Bewaldung mit Nadelholz flächenmäßig zugenommen, südlich vom Ort ist der Wald schon im Übergang zu Laubmischwald eingetragen. Der Flurname "Wüstung Uhrda" findet sich jetzt im nördlichen Teil des flächenmäßig größer gewordenen Wappenholzes.

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Abb. 18.7: (a) links: Ausschnitt aus dem Feldoriginal der preußischen Landesaufnahme von 1854/1855 mit dem " Vollradisrodaer Forst" (b) rechts: Ausschnitt aus dem Messtischblatt von 1903/1905 (mit Ergänzungen 1938) rot: heutiges Lindenoval

18.5.3 Rekonstruktion aus Vergleich von Karten und Luftbildern

Der Vergleich der "Charte" von 1797 sowie von Feldoriginal 1854, Urmesstischblatt 1873 und Messtischblatt 1905 unterstreicht, dass die Stelle mit dem Lindenoval schon seit 200 Jahren deut- lich von der Umgebung unterschieden wurde. 1797 liegt das Lindenoval (sollte es tatsächlich schon in den 1770er Jahren begründet worden sein, wie es die dendrochronologischen Daten aus Abschnitt 4 nahelegen) noch direkt am südlichen Waldrand und zwar an einem Verbindungsweg zum Wegestern (Abb. 18.8a). Auch nach 1850 sind Teile rechts des Weges nach Norden explizit von der blauen Signatur für Laubwald ausgespart. Der neu begründete Nadelwald beginnt dage- gen erst linkerhand, also südwestlich von diesem Weg. Dies deutet darauf hin, dass sich die Fläche mit den Kopflinden vom umgebenden Wald unterschied und möglicherweise eine mit "unseren" Linden bestandene Grünfläche (Wiese, Rastplatz o.ä.) darstellte (Abb. 18.8b). Diese topografische Charakterisierung wird im Messtischblatt von 1873 bestätigt, indem dort der östlich vom Weg verlaufende Bereich ohne Laubwaldsignatur belassen wird (Abb. 18.8c). Im Messtischblatt von 1905 wird östlich vom Lindenoval ein kurzes, blind endendes Wegstück eingetragen und die Flä- che des heutigen Lindenstandorts mit Laubwaldsignatur gefüllt. Kleinere Symbole deuten aber an, dass es sich um Bäume handeln muss, die sich vom Rest der Fläche (der heutigen Abteilung K2637 a2) in der Höhe oder der Baumart unterscheiden (Abb. 18.8d). Das offene Stück Waldwiese wurde offenbar allmählich von (Nadel-)Bäumen erobert und unterschied sich nicht mehr so deutlich vom umgebenden Wald. Bemerkenswert ist aber, dass sich genau am Lindenoval sechs eingetragene

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Wege schneiden, von denen zwei den Standort der Linden begrenzen.

Abb. 18.8: Ausschnitte aus (a, oben links) der "Charte des Fürstenthums Weimar" von

1797, (b, oben rechts) dem Feldoriginal des preußischen Messtischblatts von 1854/55, (c, Mitte links) dem Urmesstischblatt von 1873, (d, Mitte rechts) dem Messtischblatt von 1903/05, (e, unten links) aus einer Forstkarte von 1932 und (f, unten rechts) aus der aktuellen topografischen Karte 1:25 000

Eine spätere forstliche Bestandskarte von 1932, die das Revier Vollradisroda im Staatsforst Jena zeigt (die rote Färbung bedeutet Plenterwald), greift im Wesentlichen die Signatur des Messtisch- blatts von 1905 auf (Abb. 18.8e). Erst die heutige amtliche topografische Karte 1:25 000 verwen-

Mitteilungsheft 38/2020 | 188 det in der betreffenden Abteilung homogene Laubwaldsignatur und klassifiziert die südlich des ursprünglichen Vollradisrodaer Forstes entstandenen Waldflächen als Laubmischwald (Abb. 18.8f). Nach mehr als 100 Jahren forstlicher Arbeit und natürlicher Sukzession hat sich hier nun der Laubwald weitgehend durchgesetzt. Der Wuchsort der Kopflinden ist nicht mehr explizit un- terschieden.

Seit 2017 stellt das Landesamt für Vermessung und Geoinformation historische Luftbilder (ab ca. 1945) sowie aktuelle farbige Orthophotos kostenlos per Download zur Verfügung. Für das Gebiet um das Lindenoval wurden Schwarz-Weiß-Fotos aus den Jahren 1945, 1953 und 1987 sowie ein Orthophoto aus dem Jahr 2008 ausgewählt und verglichen. Das Foto vom Juni 1945 (Abb. 18.9, links oben) ist nicht sonderlich scharf, aber im Vergleich mit dem Foto vom Mai 1953 (Abb. 18.9, rechts oben) sind einzelne Strukturveränderungen, insbesondere das Zuwachsen offener Flächen, erkennbar. An der Stelle des Lindenovals ist jeweils intakte Baumvegetation zu erkennen, aber nördlich des von West heranziehenden Weges von Göttern gibt es eine auffällige halboffene Flä- che, die bis zum Lindenoval heranreicht und vielleicht immer noch dessen einstmals markanten Charakter bewahrte.

Abb. 18.9: Ausschnitte aus verschiedenen Luftbildern: links oben vom 24. 6. 1945, rechts oben 26. 5. 1953, links unten 29. 6. 1987, rechts unten 27. 4. 2008 (Quelle: Geoportal Thüringen)

Das Luftbild vom Juni 1987 (Abb. 18.9, links unten) zeigt westlich des Nord-Süd-Weges einige Auf- lichtungen (Kahlhieb), die auf dem Luftbild vom April 2008, das die Laubbäume ohne Belaubung zeigt, durch Jungwuchs an Nadelbäumen wieder allmählich zuwachsen (Abb. 18.9, rechts unten). Die aktuelle Baumartenkarte weist für diesen angrenzenden Teil "Lärche > 40 Jahre (rosa)" bzw. "Kiefer (braun)" aus. Das Lindenoval hebt sich nicht mehr heraus und kann nur noch vor Ort vom aufmerksamen Waldbesucher wahrgenommen werden.

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18.6 Naturschutzfachliche und kulturhistorische Bewertung

Das durch die dendrochronologischen Befunde nachgewiesene hohe Alter des Lindenovals unter- streicht den wertvollen kulturhistorischen Charakter der "Uhrdaer Kopflinden" als ein Zeichen vorzeitigen Wirkens des Menschen als Gestalter des Waldbildes und fordert folglich ihren best- möglichen Erhalt. Der aktuelle Zustand der Linden (und die traurige Tatsache, dass ein weiterer Baum 2019 abgegangen ist) verlangen deshalb eine möglichst zeitnahe Sanierung der überlebens- fähigen Bäume. Hierzu sollte in erster Linie ein baldiger Kopfschnitt gehören, der die Kronenlast deutlich herabsetzt. Dabei könnte auch festgestellt werden, wann der letzte Schnitt erfolgte. Wei- tere behutsame Maßnahmen, z.B. einseitige Stützungen, sollten vom konkreten Zustand der ein- zelnen Bäume abhängig gemacht werden. Das vorhandene Waldbild, das im unbelaubten Zustand durch die bizarren Wuchsformen besonders eindrücklich auf den Betrachter wirkt, sollte unbe- dingt langfristig erhalten und durch das Zurückdrängen des Jungwuchses in der Fläche begleitet werden. Gegebenenfalls könnte sogar an Nachpflanzungen gedacht werden, damit der Gesamt- eindruck dauerhaft gewahrt werden kann.

Der örtlich zuständige Ortschronist, Herr Siegfried Claus, ermöglichte die Einsichtnahme in aus- zugsweise Abschriften von Forstakten des ,,Thüringer Hauptarchivs", die Aussagen zur „Beschaf- fenheit des Waldes" u. a. in der Gemarkung Döbritschen, ab 1729 zum Inhalt haben. Dabei wird die über Jahrhunderte andauernde Bedeutung des Gebietes für Vieheintrieb, Waldweide, Schaf- trift und Graserei deutlich. Die Waldflächen im Bereich Döbritschen-Vollradisroda-Bucha waren lichte, übernutzte Wälder und wurden in der Regierungszeit von Großherzog Carl August unter Mitwirkung des Geheimrats und späteren Finanzministers Goethe durch Landesforstmeister von Wedel erweitert. So wurden z.B. 1780 auf fürstlichen Befehl ,,5-6 Acker Landes wegen Holzmangel zu Wald gemacht". Die Beweidung der Wälder war auch in Thüringen noch bis in das 19. Jahrhun- dert und darüber hinaus die Regel. ln manchen Fällen begründete sich der wirtschaftliche Wert der Wälder sogar mehr auf der Weide als auf der Holznutzung. Die historische Bedeutung von Laub, Reisig und Waldkräutern als Futter für das Vieh (vor allem im Winter) darf nicht unter- schätzt werden. Die Futterlaubgewinnung erfolgte entweder durch Schneiteln, d.h. das kopfige Entfernen der Äste als Brennholz und Futter, oder aber man erntete nur das Laub. Die Laubfutter- gewinnung war für viele Bauern unentbehrlich und diente in erster Linie der Ziegenfütterung im Winter. Zu den beliebtesten Futterlaubbäumen gehörte neben Esche, Feldahorn, Ulme, Schwarz- pappel, Eiche und Bergahorn auch die Linde.

Die Analyse historischer Karten hat keine spezifischen Hinweise ergeben, zu welchem Zwecke das Lindenoval am Südrand des Vollradisrodaer Forstes angelegt sein könnte. Nimmt man das durch dendrochronologische Untersuchungen plausibel abgeschätzte Alter von 250 Jahren als zutref- fend an, dann hat sich das Lindenoval um 1800 direkt am Südrand des Waldes befunden. Es könn- te damit ein Rastplatz gewesen sein, der den Blick in die sich nach Süden anschließende offene Landschaft ermöglichte. Auf jeden Fall lässt das Erscheinungsbild der ,,Uhrdaer Kopflinden" ver- muten, dass diese Bäume in historischer Zeit Bestandteil der landwirtschaftlichen Nutzung des Waldes waren und regelmäßig „geschneitelt" wurden. Die Annahme, dass die Linden ursprünglich am Rande eines lichten Waldes standen, wird durch die in der gleichen Abteilung stehenden etwa gleich alten, tief beasteten Eichen mit voll ausgebildeten Kronen bekräftigt, die alle äußeren Ei- genschaften von ehemaligen Solitärbäumen bzw. Huteeichen aufweisen. Die Bedeutung solch einer Schneitelung für die Ökologie und für das Landschaftsbild liegt in der gezielten Förderung von Einzelbäumen in lichten Waldstrukturen sowie in der Offenhaltung von Blößen im Wald bzw. der Schaffung von vorratsarmen, lichten Wäldern.

Mitteilungsheft 38/2020 | 190

Aus den Feldoriginalen der preußischen Messtischblätter und den nachfolgenden Urdrucken kann man schließen, dass sich die Stelle um das Lindenoval auch später über lange Zeit strukturell vom umgebenden Wald unterschied und vermutlich eher einen lichten bis offenen Charakter (Wiese, Rastplatz) hatte. Möglicherweise birgt der Boden noch wertvolle Hinweise auf die Nutzung in der Vergangenheit. Obwohl Teile südlich des ursprünglichen Waldrandes in den nachfolgenden Jahr- zehnten mit Nadelholz aufgeforstet wurden, wird erst nach 1900 am Lindenoval bis an den Weg- rand heran Wald als Kartensignatur angegeben. Luftbilder aus der Zeit nach 1945 bis heute unter- streichen, dass sich an der Stelle des Lindenovals stets intakte Vegetation befand, die in der Vege- tationsperiode belaubt war. Der südlich noch einige Zeit lang vorhandene "offene" Zugang ist in den letzten Jahrzehnten zugewachsen und hat die Kopflinden vollständig ca. 100 m ins Waldesin- nere verlegt.

Nach einschlägigem Quellenstudium kommt von allen Wüstungen, die sich in der Nähe befinden (u.a. Gauga, Iritz, Möbis und Niederbucha), nur die Wüstung Uhrda in Frage, eine engere Bezie- hung zu dem Lindenoval zu besitzen. Sie befand sich ostsüdöstlich etwa 750 m entfernt (WELLHÖ- NER 1994, 1997) und soll nach MUELLER (1909, 1913) als slawische Rundlingssiedlung "am Döbrit- scher Holze" gelegen und noch bis 1448 bestanden haben, ehe sie im Bruderkrieg zerstört wurde. Die Bezeichnung "Uhrdaer Kopflinden" ist natürlich nur bedingt richtig, aber es ist durchaus denk- bar, dass direkt am Waldrand ein Versammlungs- oder Rastplatz bestand, von dem man aus das sich nach Süden erstreckende Siedlungsland um Uhrda gut überblicken konnte. Der Name Uhrda hielt sich noch lange im Sprachgebrauch ("ich habe meine Grundstücke in Uhrde, jenseits dem Döbritsch"), ehe durch die Separationen im 19. Jahrhundert viele alte Strukturen verschwanden (MUELLER 1909). Die Namensgebung "Uhrdaer Kopflinden" ist deshalb gerechtfertigt und zielfüh- rend, da auf diese Weise die unmittelbare Nähe zu Uhrda zum Ausdruck gebracht und zugleich eine Rückbesinnung und Erinnerung an diesen alten Flurnamen ermöglicht wird.

Wir sollten innehalten und uns bewusst machen, dass in der Vergangenheit die Wurzeln unserer Zukunft liegen. Die "Uhrdaer Kopflinden" sind es wert, als Zeugen der Vergangenheit für die Nachwelt erhalten zu werden.

Literatur

FORSTBW (Hrsg.) (2015): Die Gesamtkonzeption Waldnaturschutz ForstBW mit den Waldschutzzie- len 2020. FVA Baden-Württemberg, Stuttgart, 60 Seiten. MEYER, H.-H. (2007): Historische topographische Karten in Thüringen, Landesamt für Vermessung und Geoinformation, Erfurt, 128 Seiten. MUELLER, A. (1909): Die Wüstungen im I. und II. Verwaltungsbezirke des Großherzogtums Sachsen- Weimar. In: Dobenecker, O. (Hrsg.), Zeitschrift des Vereines für Thüringische Geschichte und Altertumskunde, Neue Folge, 19. Band, 199-274, Jena. https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jpvolume_00105339 MUELLER, A. (1913): Die Wüstungen des Großherzogtums Sachsen-Weimar im I., II. und V. Verwal- tungsbezirk. In: Dobenecker, O. (Hrsg.), Zeitschrift des Vereines für Thüringische Geschich- te und Altertumskunde, Neue Folge, 21. Band, Heft 2, 453-493, Jena. https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jpvolume_00104487 STICHMANN, W. (1999): Zur Bedeutung der Wald- und der Landschaftsgeschichte für die Umwelt- bildung. In: Kulturlandschaft, Zeitschr. f. Angew. u. Hist. Geographie 9(2), 18-26.

Mitteilungsheft 38/2020 191 |

TMIL (2019): Thüringer Richtlinie zur Förderung forstwirtschaftlicher Maßnahmen. Thüringer Mi- nisterium für Infrastruktur und Landwirtschaft (TMIL), 39 Seiten, Neufassung vom 4. 6. 2019. WELLHÖNER, J. (1994): Wüstungsprobleme des 13. bis 16. Jahrhunderts in einem ländlichen Bereich um Jena. Magisterarbeit, Universität Kiel. WELLHÖNER, J. (1997): Wüstungsprobleme des 13. bis 16. Jahrhunderts in einem ländlichen Bereich um Jena. Alt-Thüringen 31, 254-266.

Verwendete Karten:

STURM, JOHANN GEORG (1750): Nächster District um die Stadt Jena. Kupferstich, ca. 1:95 000. Quel- le: Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena. Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0. (https://archive.thulb.uni-jena.de/collections/receive/HisBest_cbu_00026906). CHARTE DES FÜRSTENTUMS WEIMAR (nach C. H. Wiebeking), 1797, ca. 1:28 000. Quelle: Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar, Historische Karte 1376, Bl. 2. Genehmigung vom 6. 11. 2019. FELDORIGINALE DER PREUßISCHEN LANDESAUFNAHME 1852-53, 1:25 000, Blätter 2871 (Apolda), 2936 (Jena), 2935 (Magdala), 2998 (Blankenhain). Quelle: Thüringer Landesamt für Geoinforma- tion. URMESSTISCHBLÄTTER 1873-74: Blätter 2871 (Apolda), 2936 (Jena), 2935 (Magdala), 2998 (Blanken- hain). Quelle: Thüringer Landesamt für Geoinformation. MESSTISCHBLÄTTER 1905: 1:25 000: Blätter 2871 (Apolda), 2936 (Jena), 2935 (Magdala), 2998 (Blan- kenhain). Quelle: Thüringer Landesamt für Geoinformation. BERNHARDT, F. (1932): Bestandskarte vom Thür. Forstrevier Jena, Revierteil Vollradisroda. Maßstab 1:12 500, Waldstand 1. 10. 1932..

Verwendete Luftbilder:

THÜRINGER LANDESAMT FÜR GEOINFORMATION: https://www.geoportal-th.de/de-de/Downloadbereiche/Download-Offene-Geodaten- Thüringen/Download-Luftbilder-und-Orthophotos

Mitteilungsheft 38/2020 | 192

Autorenverzeichnis mit Institutionen

(Hauptautor = Kapitelnummer im Fettdruck, Co-Autor = Kapitelnummer in normaler Schriftform)

Aas, Gregor Universität Bayreuth, Ökologisch-Botanischer Garten Universitätsstraße 30, D - 95447 Bayreuth Kapitel: 1

Arenhövel, Wolfgang Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 12

Biehl, Susann Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, Fachreferat Forst Michaelisstraße 39, D - 99084 Erfurt Kapitel: 18

Bruhn, Tabea Thüringer Forstamt Neuhaus, ThüringenForst – AöR Am Forsthaus 4, D - 98724 Neuhaus am Rennweg Kapitel: 14

Burkardt, Katharina Georg-August-Universität Göttingen, Abteilung Waldbau und Waldökologie der gemäßigten Zonen, Büsgenweg 1, D - 37077 Göttingen Kapitel: 7

Burse, Karl Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 5

Carl, Christin Technische Universität München, Lehrstuhl Waldwachstumskunde Hans-Carl-v.-Carlowitz-Platz 2, D - 85354 Freising Kapitel: 11

Chmara, Ines Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 5

Chmara, Sergej Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 15

Damm, Christoph Technische Universität Dresden, Institut für Waldbau und Waldschutz, Professur für Waldbau, Pienner Straße 8, D - 01737 Tharandt Kapitel: 1

Frischbier, Nico Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 1, 2, 12

George, Jan-Peter Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft, Seckendorff-Gudent-Weg 8, A - 1130 Wien, Österreich Kapitel: 13

Heinze, Martin Ortsstraße 25, 07806 Kospoda Kapitel: 5

Heyner, Frank Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz (TLUBN) Referat 72 – Thüringer Klimaagentur, Göschwitzer Straße 41, D - 07745 Jena Kapitel: 2

Mitteilungsheft 38/2020 193 |

Hoffmann, Karina Staatsbetrieb Sachsenforst, Kompetenzzentrum Wald und Forstwirtschaft Bonnewitzer Str. 34, D - 01796 Pirna Kapitel: 17

Hosius, Bernhard ISOGEN GmbH & Co. KG, an der Abteilung für Forstgenetik Büsgenweg 2, D - 37077 Göttingen Kapitel: 12

Huth, Franka Technische Universität Dresden, Institut für Waldbau und Waldschutz, Professur für Waldbau, Pienner Straße 8, D - 01737 Tharandt Kapitel: 4

Jetschke, Gottfried Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Ökologie und Evolution Dornburger Straße 159, D - 07743 Jena Kapitel: 16, 18

Kahlert, Karina Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 1, 8, 9, 11, 12, 13, 16, 18

Klamm, Alisa Nationalparkverwaltung Hainich Bei der Marktkirche 9, D - 99947 Bad Langensalza Kapitel: 3

Klein, Mario Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 8, 10, 11

Konrad, Heino Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft, Seckendorff-Gudent-Weg 8, A - 1130 Wien, Österreich Kapitel: 13

Körner, Michael Staatsbetrieb Sachsenforst, Kompetenzzentrum Wald und Forstwirtschaft Bonnewitzer Str. 34, D - 01796 Pirna Kapitel: 6

Leinemann, Ludger ISOGEN GmbH & Co. KG, an der Abteilung für Forstgenetik Büsgenweg 2, D - 37077 Göttingen Kapitel: 12

Martens, Sven Staatsbetrieb Sachsenforst, Kompetenzzentrum Wald und Forstwirtschaft, Bonnewitzer Str. 34, D - 01796 Pirna Kapitel: 6

Münder, Kristian Staatsbetrieb Sachsenforst, Kompetenzzentrum Wald und Forstwirtschaft, Bonnewitzer Str. 34, D - 01796 Pirna Kapitel: 6

Otto, Lutz-Florian Staatsbetrieb Sachsenforst, Kompetenzzentrum Wald und Forstwirtschaft Bonnewitzer Str. 34, D - 01796 Pirna Kapitel: 17

Pettenkofer, Tim Georg-August-Universität Göttingen, Büsgen-Institut, Abteilung Forstgenetik und Forstpflanzenzüchtung, Büsgenweg 2, D - 37077 Göttingen Kapitel: 7

Resch, Falko Thüringer Forstamt Bad Berka, ThüringenForst – AöR, Revier Vollradisroda Ilmstraße 1, D - 99438 Bad Berka Kapitel: 18

Mitteilungsheft 38/2020 | 194

Sagischewski, Herbert Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 17

Seidemann, Jan Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 15

Seltmann, Torsten Staatsbetrieb Sachsenforst, Kompetenzzentrum Wald und Forstwirtschaft Bonnewitzer Str. 34, D - 01796 Pirna Kapitel: 6

Stürtz, Mathias Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 14, 17

Tiebel, Katharina Technische Universität Dresden, Institut für Waldbau und Waldschutz Professur für Waldbau, Pienner Straße 8, D - 01737 Tharandt Kapitel: 4

Vor, Torsten Georg-August-Universität Göttingen, Waldbau und Waldökologie der gemäßig- ten Zonen, Büsgenweg 1, D - 37077 Göttingen Kapitel: 7

Wagner, Matthias Thüringer Forstamt Gehren, ThüringenForst - AöR, Revier Kienberg Töpfergasse 27, D - 98708 Ilmenau Kapitel: 16

Wagner, Sven Technische Universität Dresden, Institut für Waldbau und Waldschutz, Professur für Waldbau, Pienner Straße 8, D - 01737 Tharandt Kapitel: 1, 4

Wenzel, Ralf Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 6

Wernicke, Jakob Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 6

Wilhelm, Bernd Thüringer Forstamt Oberhof/ThüringenForst – AöR Rudolf-Breitscheid-Straße 4, D - 98559 Oberhof Kapitel: 16

Wohlwend, Michael Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena- Leipzig, Räumliche Interaktionsökologie, Deutscher Platz 5e, D - 04103 Leipzig Kapitel: 1

Wördehoff, René Forstliches Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha/ThüringenForst – AöR Jägerstraße 1, D - 99867 Gotha Kapitel: 15

Zimmermanns, Jan Forstdienstleistung und Baumpflege Pützemichweg 9, D - 53773 Hennef Kapitel: 11

Mitteilungsheft 38/2020 195 |

Übersicht "Mitteilungen – ThüringenForst" (ISSN 2196 - 6087)

Folgende Hefte sind bisher im Rahmen dieser Veröffentlichungsreihe „Mitteilungen“* erschienen:

Heft 1/1993 Jaeger, Hans Dokumentation forstlich-standortskundlicher und vegetationskundlicher Veröffentlichungen aus Thürin- gen, einschließlich Arbeiten über die Waldentwicklung in diesem Bundesland Heft 2/1993 Jahresbericht 1992 Heft 3/1993 Schramm, H.-J Die forstlichen Wuchsgebiete Thüringens

Wagner, H.-J.; Notwendigkeit und Ziele von Waldumbaumaßnahmen Henkel, W. im Wuchsgebiet Thüringer Gebirge und Vorausset- zungen für ihre Verwirklichung

Augusta, J.; Belastung und Beanspruchung von Forstmaschinen- Wahl, K. führern durch Ganzkörperschwingungen Heft 4/1994 Jahresbericht 1993 Heft 5/1994 Hoffmann, J. Die Wälder Thüringens – ihre Entwicklung bis zur Ge- genwart

Augusta, J. Betrachtungen zur Arbeitskleidung aus arbeitsmedizi- nischer Sicht

Baier, U.; Keßler, W.; Untersuchungen zur Pilzflora und zu biotischen Schad- Stürtz, M. faktoren an Eicheln

Pfauch, W. Dr. Johann Matthäus Bechstein (1757 – 1822), J. M. Bechsteins Privatbibliothek an der Forstakade- mie Dreißigacker 1803 bis 1822 – ein „letzter Zeuge“ Heft 6/1994 Augusta, J. Zur Häufigkeit vibrationsbedingter Durchblutungsstö- rungen an den Händen von Forstmaschinenführern, Erkrankungen der Wirbelsäule bei Beschäftigten der Forstwirtschaft

Wahl, K. Belastungen von Forstmaschinenführern durch Ganz- körperschwingungen

Henkel, W. Zum Ergebnis von Weißtannensaaten aus der Ernte 1992

Richter, D.; Untersuchungen zum endophytischen Auftreten von Keßler, W. Bläuepilzen der Gattung Ceratocystis im Splintholz der Fichte (Picea abies Karst.) Heft 7/1995 Jahresbericht 1994 Heft 8/1995 Henkel, W. Zur Situation der Baumart Weißtanne (Abies alba Mill.) an ihrer nördlichen Arealgrenze im Freistaat Thüringen

Mitteilungsheft 38/2020 | 196

Heft 9/1995 Baier, U. Massenvermehrung von Lymantria monacha L. in den Fichtenwäldern Thüringens, Untersuchungsergebnisse zur Waldschutzsituation in den Eichenbeständen Thüringens

Lucke, E. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Rotwildes in Thüringen Heft 10/1996 Schramm, H.-J.; Waldbodenzustandsbericht für Thüringen Burse, K. D. Heft 11/1996 Tannensymposium am 30. und 31. Mai 1996 in Schwarzburg (Tagungsband) Heft 12/1997 Jahresbericht 1995/1996 Heft 13/1997 Die forstlichen Wuchsbezirke Thüringens - Kurzbeschreibung - Heft 14/1998 Thiel, J. Verhinderung von Mäuseschäden im Forst Arenhövel, W.; Revitalisierung von Bergbaufolgeflächen der Wismut Heinze, M.; Kahlert, K. Arenhövel, W.; Erhaltung forstlicher Genressourcen in Thüringen Kahlert, K. Heft 15/1999 Chmara, I. Immissionsökologische Untersuchungen an den Wald- und Hauptmessstationen in Thüringen (1. Statusbe- richt) Heft 16/1999 Jahresbericht 1997/1998

Heft 17/2000 Beiträge zur Waldschutzforschung in Thüringen

Heft 18/2001 Jahresbericht 1999/2000 Heft 19/2001 Forstliches Umweltmonitoring in Thüringen Heft 20/2003 Erstaufforstung landwirtschaftlicher Nutzflächen Heft 21/2003 Jahresbericht 2001/2002 Heft 22/2003 Sagischewski, H.; Verfahrensentwicklung zur fernerkundungsbasierten Krüger, J.; Erstellung des Waldverzeichnisses Thüringen Koch, B. Heft 23/2004 Dynamik der Kohlenstoffvorräte in den Wäldern Thü- ringens Heft 24/2005 Bundeswaldinventur II im Freistaat Thüringen Heft 25/2005 Waldbau / Erhaltung forstlicher Genressourcen / Versuchsflächen / Naturwaldparzellen Heft 26/2006 Vorbereitung für eine laufende Fortschreibung der Kohlenstoffvorräte in den Wäldern Thüringens Heft 27/2006 Waldfunktionenkartierung im Freistaat Thüringen

Mitteilungsheft 38/2020 197 |

Heft 28/2007 Zukunftsorientierte Fichtenwirtschaft (Tagungsband und Projektvorstellung) Heft 29/2007 Klimaschutz und Klimawandel Rolle der Forstwirtschaft (Tagungsband und Projekt- vorstellung) Heft 30/2010 Forstwirtschaft in Zeiten des Klimawandels Von Anpassung bis Klimaschutz Heft 31/2011 Burse, K.; Waldbodenzustandsbericht für Thüringen Schlutow, A.; Auswertung der BZE II Stubenrauch, F.; Scheuschner, T.; Nagel, H.-D.; Weigelt-Kirchner, R. 2012 Wie belastbar ist unser Wald? Ergebnisse des Forstli- (ohne Nummer) chen Umweltmonitoring in Thüringen Heft 32/2013 Forstwirtschaft und Bodendenkmalpflege Heft 33/2014 Baier, U.; Die Käfer- und Schmetterlingsfauna (Insecta: Coleop- Stürtz, M.; tera, Lepidoptera) der Naturwaldparzelle „Kloster- Weigel, A.; holz" und einer bewirtschafteten Vergleichsfläche bei Heuer, A. Gutendorf (Thüringen, Landkreis Weimarer Land) Heft 34/2015 Wenzel, A.; Bundeswaldinventur 3 im Freistaat Thüringen Frischbier, N.; Schwerhoff, J.; Wittau, F. Heft 35/2017 Wenzel, A.; Die Käferfauna (Insecta: Coleoptera) der Naturwald- Stürtz, M.; parzelle „Vessertal“ und zweier bewirtschafteter Ver- Weigel, A. gleichsflächen bei Vesser (Thüringen) Heft 36/2018 Burse, K. 90 Jahre forstliche Standorterkundung in Thüringen (1927 – 2017) Heft 37/2019 Burse, K.; Die forstlichen Wuchsbezirke Thüringens Neumann, T. (aktualisierte Fassung des Heftes 13/1997)

* bis Heft 21/2003: ISSN 0942 475 X

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Notizen

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Notizen

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