Deutschland und die Olympische Bewegung in

der Zeit des Nationalsozialismus

von

Hajo Bernett

Vorbemerkung Herren erkannten bald die Chance densliebe umstellte. Die Sportfüh- der außenpolitischen Aufwertung rung nutzte den politischen Auf- Mit dem erfolgreichen „Comeback" und machten sich zum Motor einer wind und postulierte die Identität 1928 in Amsterdam hatte die Olym- Bewegung, die mit der nationalso- der Olympischen und der national- pische Bewegung in Deutschland zialistischen Weltanschauung ei- sozialistischen Bewegung. Insofern einen verheißungsvollen Auf- gentlich nichts gemein hatte Mit war es berechtigt, wenn kritische schwung erfahren, und die Vergabe dem Aufbau der politischen Vor- der Spiele der XI. Olympiade nach machtstellung verbanden sie das Summen im Ausland vor der „Na- bestätigte diesen Trend. Der Ziel, sich zur ersten Sportnation der zi-Olympiade" und „Spielen unter sportlichen Enttäuschung in Los Welt zu erheben. Diese Tendenz dem Hakenkreuz" warnten. Angeles folgte jedoch eine spürbare stimmte mit den Absichten der Als die Berliner Spiele über die Büh- Abschwächung, bedingt durch die Sportführung allerdings voll über- ne gingen und in aller Welt Schlag- ökonomische Krise und die Versu- ein. Die Bedenken der Deutschen zeilen machten, vermerkte Reichs- che der sprunghaft wachsenden po- Turnerschaft wurden hinwegge- propagandaminister Joseph Goeb- litischen Rechten, die Bewegung in schwemmt, und die oppositionellen 1 bels schon am dritten Tag: „Diese eine falsche Richtung zu drängen. Arbeitersportler wurden mundtot Hemmend wirkten die andauernde Olympiade ist ein ganz großer gemacht oder zur Emigration ge- 2 Zurückhaltung der Deutschen Tur- zwungen. Durchbruch." Das IOC sparte an- nerschaft und der Umstand, daß der gesichts der neuen Größenordnung deutsche Arbeitersport internatio- So entfaltete sich zur Überraschung der ersten Olympischen Spiele in nal eigene Wege ging. der Verantwortlichen für die Spiele Deutschland nicht mit Anerken- des Jahres 1936 bald eine allgemeine nung.3 Sein Präsident beglück- Als die Nationalsozialisten die olympische Begeisterung, und der wünschte die deutschen Mitglieder, Macht eroberten, konnte man für Olympische Gedanke wurde popu- die Olympische Bewegung in lär wie nie zuvor. Dafür sorgte auch daß es ihnen gelungen sei, das Deutschland keine neuen Impulse die zentral gesteuerte staatliche Pro- olympische Ideal „in alle Schichten erhoffen. Man mußte sogar um ihr paganda, die sich problemlos auf der deutschen Bevölkerung hinein- 4 Überleben bangen. Doch die neuen Volkerverständigung und Frie- zutragen."

1 Dazu im einzelnen: H. BERNETT, „The Olympic Games of Los Angeles 1932 as seen by the nationalistic and racial Ideology", in: N. MÜLLER / J. K. RÜHL (Hrs.), Olympic Scientific Congress 1984. Official Report. Sport History, Njedernhau- sen 1985, S. 468-477. 2 J- GOEBBELS, Tagebücher, sämtliche Fragmente, Teil II: Aufzeichnungen 1924-1941, hrsg. v. E. FRÖHLICH, München 1987. Eintragung 3. 8.1936, S. 654. 3 Zu den konkreten Gesten der Anerkennung vgl. A. KRÜGER, „Deutschland und die olympische Bewegung (1918-1945)", in: H. UEBERHORST (Hrsg.), Geschichte der Leibesübungen, Bd. 3.2, Berlin 1982, S. 1043. 4 Protokoll der IOC-Sitzung am 15.8.1936 in Berlin. IOC-Archiv Lausanne, Übersetzung.

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Mit den sportlichen Triumphen und Völkerbundsidee' (VB vom 14. 9. Hitler zu erkundigen, wie sich eine dem Medaillensegen erreichte die 1928). Nach den Olympischen Spielen von der NSDAP geführte Regie- Olympische Bewegung 1936 den in Los Angeles 1932 forderte das rung zu den Berliner Spielen 1936 Zenit ihrer Popularität. Doch man gleiche Blatt den Ausschluß der Far- stellen würde. Hitler ließ mitteilen, hatte sie politisch instrumentalisiert bigen von den Olympischen Spielen „daß er die Frage der Durchführung und mit fragwürdigen ideologi- in Berlin. Eine prinzipielle Ableh- mit großem Interesse betrachte".7 schen Inhalten angereichert. So nung der Teilnahme aus turnerisch- Nachdem Hitler am 16. März 1933 wurde der scheinbare Höhenflug nationalen Motiven, wie sie z. B. der auch offiziell seine Zustimmung zu zu einer realen Gefährdung. Zum Führer der Deutschen Turnerjugend den Olympischen Spielen in Berlin Verständnis dieses Prozesses ist es und kurzfristige DT-Vorsitzende gegeben hatte, beteuerte der nun erforderlich, zunächst das wechsel- Edmund Neuendorff propagierte, zum offiziösen Regierungsorgan hafte Urteil der NSDAP und ihres kam für die stärkste Partei des aufgestiegene Völkische Beobachter Führers über den Olympismus zu Reichstages 1932 allerdings nicht am 22. April 1933 eilfertig, man wer- mehr in Betracht5 Den „Erfolg" des erfragen. de alle Sportler bei den Olympischen faschistischen Italiens vor Augen, Spielen 1936 als Gäste behandeln, das in Los Angeles mit je 12 Gold-, Die Einstellung der NSDAP und 'welcher Rasse sie auch angehören' Silber und Bronzemedaillen den 2. Adolf Hitlers zur Olympischen Be- mögen. Angesichts der völkisch in- Platz der fiktiven Nationenwertung spirierten anti-olympischen Kam- wegung errungen hatte, proklamierte der pagne der Vertreter der Akademi- VB am 20. 8.1932: Nach den antijüdischen Boykott- schen Kreis- und Hochschulämter für maßnahmen am 1. April 1933 und „Deutschland kann sich mit jeder Leibesübungen, der antisemitischen den ersten Ausschlüssen jüdischer Nation messen, wenn wir das Diskriminierung deutscher Sportler Sportler aus deutschen Turn- und kämpferische Moment mehr beto- nen. Das Volk der 'Nur Dichter und im Frühjahr 1933 und der olympi- Sportorganisationen im Frühjahr Denker' gehört der Vergangenheit schen Machtansprüche des neuen 1933 erinnerte die internationale an, Kampf ist die Devise des 20. Reichssportkommissars8, bestand das Sportpresse an die antiolympische Jahrhunderts, besonders auch im IOC auf einer offiziellen Zusage, Sport". Polemik der NS-Presse vor der daß die olympischen Regeln 'Machtergreifung'. Schon während der Winterspiele respektiert und „grundsätzlich kei- Die rassistische Kritik der NSDAP 1932 in Lake Placid interpretierte ne Juden ausgeschlossen werden". an den Olympischen Spielen war zum der VB am 26.2.1932 die trotz Wirt- Der „Halbjude" Theodor Lewald, ersten Mal zehn Jahre zuvor öffent- schaftskrise ermöglichte deutsche selbst kurzfristig Zielscheibe natio- lich geäußert worden: Schon 1923 Teilnahme als Beleg dafür, „daß nalsozialistischer Attacken, legte in hatte der Völkische Beobachter (VB) Deutschland nicht unterzukriegen" Abstimmung mit dem Reichsinnen- die international offenen Olympi- ist. Da in NS-Publikationen die An- minister auf der Wiener IOC-Ses- schen Spiele durch eine „Olympiade griffe gegen den internationalen sion im Juni 1933 eine Garantieer- der nordischen Völker" ersetzen Sportverkehr nicht verstummten6, klärung vor, die im Völkischen Beob- wollen (VB 1. 10. 1923). 1928 diffa- hielt es IOC-Präsident de Baillet-La- achter vom 9. 6. 1933 veröffentlicht, mierte Alfred Rosenberg die Olym- tour bereits im Oktober 1932 für an- aber 1936 mit der Nichtnominie- pischen Spiele der Neuzeit daher als gebracht, sich über das deutsche rung von Gretel Bergmann9 gebro- 'rasseloses Verbrechen gleich der IOC-Mitglied Ritter von Halt bei chen wurde.

5 Die „olympische Kehrtwendung der NSDAP" wird genauer beschrieben bei: H. J. TEICHLER, „1936 - ein olympisches Trauma. Als die Spiele ihre Unschuld verloren", in: M. BLÖDORN (Hrsg.): Sport und Olympische Spiele, Reinbek 1984, S. 47-76, hier S.48f. 6 Vgl. B. MAUTZ, Die Leibesübungen in der nationalsozialistischen Idee, München 1933, S. 21ff. 7 Siehe A. KRÜGER, Die Olympischen Spiele 1936 und die Weltmeinung. Ihre außenpolitische Bedeutung unter besonderer Berücksichtigung der USA, Berlin, München, Frankfurt/M 1972, S. 41. 8 Vgl. H. J. TEICHLER, Internationale Sportpolitik im Dritten Reich, Schorndorf 1991 [Wissenschaftliche Schriftenreihe des Deutschen Sportbundes 23], S. 82ff.

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Die sprunghafte Revision der ur- Olympischen Spielen nach Etablierung haus offiziell zur Feier der Olympi- sprünglich antiolympischen Ein- der deutschen Weltherrschaft schen Spiele 1936 nach Berlin einlud, stellung der NSDAP erklärt sich vor konnte man mit dem Wohlwollen allem aus der politisch-propagandi- Die Umwandlung des Deutschen des IOC rechnen. Olympischen Ausschusses stischen Zielsetzung des Regimes Ein Jahr später entschieden sich sei- im Jahr 1933: In der Phase der unter- Der Deutsche Olympische Ausschuß ne Mitglieder in schriftlicher Ab- legenen Eigenrüstung unterstützte (DOA) - so hieß das damalige Na- stimmung für die Reichshaupt- Hitler alle Versuche, nach außen hin tionale Olympische Komitee - ver- stadt. Der DOA trat am 30. Mai 1931 Friedensliebe und Verständigungs- stand es, die ersten Olympischen zusammen, um seiner Genugtuung bereitschaft zu signalisieren sowie Spiele in Deutschland vorausschau- Ausdruck zu geben; aber angesichts durch positive Aktionen die welt- end zu planen. Er hatte sich 1926 als der wirtschaftlichen Talfahrt mußte politische Isolierung zu durchbre- ein Gremium des Deutschen Reichs- er seine Erwartungen zurückstek- chen. Zusätzliches Motiv der natio- ausschusses für Leibesübungen (DRA) ken und die Finanzierung durch ei- nalsozialistischen Unterstützung konstituiert, um die zukünftige Teil- nen „Olympia-Groschen" ins Auge der Berliner Spiele war die Hoff- nahme an Olympischen Spielen vor- fassen.11 nung, durch ein kraftvolles sportli- zubereiten. Die Zusammenarbeit ches Auftreten zur Weltgeltung des der Vorsitzenden der Fachverbände Im Jahr darauf entschloß sich der 'Dritten Reiches' beitragen zu kön- gewährleistete ein Optimum an DOA zur Berufung eines Organisa- nen. Die Umdeutung der Olympi- sportlichem Sachverstand, die tionskomitees. Dies geschah am 11. schen Spiele als „nationale Aufgabe" sportpolitischen Direktiven gingen November 1932 unter Mitwirkung und „vaterländischer Kampfauf- indessen von Theodor Lewald und geladener Vertreter des Auswärtigen trag" durch die Nationalsozialisten Carl Diem aus. Amtes, des Reichsministeriums des In- ließ die turnerisch-völkischen und nern, des Deutschen Städtetages, des sportlich-nationalen Gegenstim- Schon am 27. November 1927 er- Preußischen Kultusministeriums und men im eigenen Lager verstummen. mächtigte der Ausschuß seinen Vor- der Stadt Berlin. sitzenden Lewald, als IOC-Mitglied Auf Antrag von Oberbürgermeister Der sportlich-propagandistische Er- „beim Olympischen Komitee die Sahm wurde beschlossen: folg von 1936 führte zur Integration Spiele für 1936 für Deutschland zu der Olympischen Spiele in die natio- beantragen." Der Zeitpunkt war „Der Deutsche Olympische Aus- nalsozialistischen Weltherrschafts- günstig gewählt, da die Weimarer schuß beauftragt seinen Vorsitzen- den, die Gründung eines Organisa- pläne: Während Carl Diem für die Republik sich innenpolitisch festigte tionsausschusses als des Trägers Beibehaltung der weltumgreifen- und außenpolitisch an Ansehen ge- der XI. Olympischen Spiele 1936 in den internationalen Spiele noch wann. Mit diesem Rückhalt ver- die Wege zu leiten [...]".12 1940 mit dem Argument warb, die stärkte der DOA seine langfristige Im Hinblick auf spätere Komplika- Spiele seien eine „regelmäßig wie- Bewerbungskampagne. 1930 ge- tionen ist festzuhalten, daß der derkehrende Gelegenheit, der Welt lang es ihm, das IOC dafür zu ge- DOA im Bewußtsein seiner Priorität die Überlegenheit des Dritten Rei- winnen, seinen 9. Kongreß in Berlin handelte und dies auch in der For- ches auch auf dem Gebiet des zu veranstalten. Die Sitzungen im mulierung zum Ausdruck brachte: Sports zu beweisen"10, sah Hitler Preußischen Herrenhaus erhielten schon 1937 in dem geplanten Nürn- einen repräsentative Rahmen, und „Der Deutsche Olympische Aus- die Metropole zeigte sich von ihrer schuß beauftragt den Organisa- berger Stadion der 400 000 den zu- tionsausschuß der Olympischen künftigen Ort einer national- besten Seite. Als der Oberbürger- Spiele 1936 mit der Durchführung sozialistischen Alternative zu den meister bei dem Empfang im Rat- der Spiele"13

9 Vgl. den Abschnitt weiter unten über „jüdische Olympiakandidaten". 10 Denkschrift vom 26.7.1940; CLDA. 11 Vgl. H. BERNETT, "Der Deutsche Olympische Ausschuß", in: Jahrbuch des Deutschen Olympischen Instituts 1 (1994), S. ## 12 Ebenda, S. ## 13 Ebenda, S. ##

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Der DOA verstand sich demnach Berlin nehmen mußten. Auch im hieß es in der Antwort16, die den als Auftraggeber des Organisations- DOA wurde der demokratische Stil subalternen Charakter des DOA do- komitees, das sich im Januar 1933 durch das „Führerprinzip" ersetzt. kumentierte. Die im IOC-Statut ge- konstituierte, als die politischen Si- Während die Gruppe der Fachver- forderte Unabhängigkeit des natio- gnale auf Sturm standen. Der Sturm treter unter veränderten Etiketten nalen Ausschusses war längst zur brachte das Haus des deutschen Farce geworden. erhalten blieb, berief der DOA-Prä- Sports zum Einsturz, und mit der sident 15 neue Mitglieder aus dem Auflösung des DRA verlor der politisch-militärischen Bereich: fünf Das Organisationskomitee und DOA seine organisatorische Basis. Ministerialbeamte (Staatssekretär seine Kompetenzen Da Hitler jedoch entschlossen war, Körner, Gesandter von Bülow- mit dem Glanz der olympischen Schwandte, Stabsleiter Rodde, Mi- Auf Beschluß des Deutschen Olympi- Flamme das „neue Deutschland" zu nisterialdirektor KrümmeL Oberre- schen Ausschusses vom 11. Novem- verklären, war der DOA als offiziel- gierungsrat Ritter von Lex, Oberre- ber 1932 konstituierte sich am 24. Ja- ler Partner des IOC unentbehrlich. gierungsrat Mahlo), nationalsoziali- nuar 1933 das Organisationskomitee Darum untersagte Hitler die Attak- stische Prominenz (SA-Gruppen- für die XI. Olympischen Spiele im ken der NS-Presse auf den „Halbju- führer Beckerle, SS-Gruppenführer Berliner Rathaus. Das OK gab sich den" Lewald und akzeptierte wi- Heydrich, Gauarbeitsführer Decker, als eingetragener Verein eine Sat- derstrebend die Bedingungen des HJ-Stabsleiter Lauterbacher), drei zung, wonach Vorstand und Mit- IOC-Präsidenten. Der am 28. April Generäle (Busch, von Reichenau, gliederversammlung die beschließ- 1933 zum Reichssportkommissar 15 Daluege) u. a. enden Organe bildeten, während ernannte SA-Führer Hans vom Ausschüsse unterstützende Arbeit Tschammer und Osten konnte sei- leisteten. Die am 1. Februar 1933, nen Totalitätsanspruch nicht durch- Während das Organisationskomitee zwei Tage nach der Berufung Hit- setzen und mußte Theodor Lewald über seine Arbeit ständig öffentlich lers zum Reichskanzler, vom Vor- die Leitung des Organisationskomi- berichtete und nach den Spielen ei- stand des OK vorgelegte Vor- tees belassen. Am 15. Mai 1933 einig- nen zweibändigen Gesamtbericht schlagsliste für die verschiedenen te man sich im Reichsministerium herausgab, war von den Tätigkeiten Sonderausschüsse trug noch den des Innern auf den Kompromiß: des DOA nichts zu hören. Der IOC- Stempel der gerade untergegange- Präsident zog es nämlich vor, mit nen Weimarer Republik und ent- „Den Vorsitz in dem nationalen dem Organisationskomitee zu korre- Deutschen Olympischen Komitee hielt klangvolle Namen wie Rudolf würde der Herr Reichssportkom- spondieren, obgleich die olympi- Ullstein, Gerhart Hauptmann, Wil- missar übernehmen und damit die schen Statuten den DOA als Partner helm Furtwängler und Max Rein- gesamte Vorbereitung der deut- vorsahen. Er war aber über diesen schen Teilnehmer für die Spiele."14 hardt, wies aber kein einziges Mit- Ausschuß so wenig informiert, daß glied der NSDAP auf. Die Liste Im Organisationskomitee hatte er noch 1938 dessen Satzung erbat. wurde ebenso wie die Satzung Tschammer sich dagegen mit Sitz In Berlin geriet man in Verlegenheit, mehrfach geändert und den politi- und Stimme zu begnügen. da der autoritäre Führungsstil die schen Verhältnissen angepaßt. Le- Mit der autoritären „Neuordnung" Notwendigkeit einer Satzung er- wald gelang es zwar, die Reichsre- des deutschen Sports änderte sich übrigt hatte. gierung davon zu überzeugen, daß auch die Struktur des DOA. Den eine „Gleichschaltung" des OK Stamm der Mitglieder bildeten nun „Die gesamten sportlichen Belange »mit Sicherheit den Verlust der werden in Deutschland von dem die von Tschammer ernannten unter Führung des Reichssportfüh- Olympiade für Deutschland nach „Führer" der ihm unterstellten rers stehenden Deutschen Reichs- sich ziehen (würde)"17, konnte aber „Reichsfachämter", die ihren Sitz in bund für Leibesübungen gewahrt", nicht verhindern, daß der Reichs-

14 Schreiben Lewalds vom 15.5.1933. Bundesarchiv Koblenz [= BA], R 43 II/729. 15 H. BERNETT, „Olympischer Ausschuß", S. ## 16 H. BERNETT, „Olympischer Ausschuß", S. ??## 17 Aktenvermerk Pfundtner. Berlin, den 12.5.1933. BA R18/5615.

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5 sportführer, der den DOA leitete und Der Unterstützung durch die neue Persönlichkeiten des IOC eine hohe für die Mannschaftsaufstellung Reichsregierung hatte sich OK-Prä- Nachdruckquote in den Medien er- verantwortlich war, in den Vor- sident Lewald während einer Au- zielte. Diem versicherte später wie- stand des OK berufen wurde. In der dienz bei Hitler am 16. März 1933 derholt, die Presse- und Werbear- Mitgliederversammlung des OK vergewissert. Der Reichskanzler be- beit niemals aus der Hand gegeben waren alle beteiligten Reichsmi- kundete „lebhaftes Interesse" und zu haben. Als das OK sich aber die nisterien vertreten. Hier dominier- sorgte wenig später dafür, daß die „Freiheit" nahm, ohne Abstim- ten das Reichsministerium für Angriffe der Parteipresse gegen Le- mung mit dem Propagandaministe- 20 Volksaufklärung und Propaganda wald und Diem gestoppt wurden. rium und dem Reichssportführer das (RMfVuP) mit 5 und das Reichs- Die von Lewald herausgestrichene Ergebnis über den Wettbewerb zur 22 kriegsministerium bzw. die Wehr- „ungeheure Propagandawirkung Auswahl der Olympischen Hymne macht mit 7 Delegierten. Im Gegen- der Olympischen Spiele für Deutsch- und eine Einladung an den satz zum DOA wurde die NSDAP land" hatte ihren Eindruck nicht Ehrenpräsidenten des IOC auszu- mit ihren Formationen nicht verfehlt: Goebbels erklärte, „den ge- sprechen, erinnerte das RMdI un- samten Apparat seines Propagan- berücksichtigt. Die gravierendste mißverständlich an die wahren daministeriums"21 in den Dienst Machtverhältnisse. Dem OK stünde Veränderung betraf den „Werbe- der Olympiawerbung stellen zu zwar formal im Verkehr mit dem und Presseausschuß", dessen Auf- wollen. Sein Haus finanzierte in der Ausland eine „unabhängige Stel- gaben ein im RMfVuP gegründeter Folge u. a. eine olympische Wander- lung" zu, Propaganda-Ausschuß (Amt für ausstellung, die Olympiazeitung, Sportwerbung) übernahm.18 Die „Im Innenverhältnis ist das Organi- den Olympiafilm Leni Riefenstahls, sationskomitee jedoch der Treuhän- Aufgaben des „Bauauschusses" die Werbeflüge Tschammers und der des Deutschen Olympischen wurden nach der Grundsatzent- internationale Anzeigenkampa- Ausschusses und damit gehalten, scheidung Hitlers zum Neubau des gnen. Der Olympische Pressedienst sich in allen wesentlichen Fragen Stadions ebenfalls dem Reich der Zustimmung seines Auf- (OPD) des OK, für den Diem ver- traggebers zu vergewissern".23 (Staatssekretär Pfundtner, RMdI) antwortlich zeichnete, erschien ab übertragen. Januar 1934 fünfsprachig und zu- Theodor Lewald, der diese Manipu- Die Verwaltung des OK unter Gene- letzt in 14 Sprachen (!). Er erzielte in lation der IOC-Statuten wider bes- ralsekretär Carl Diem gliederte sich der Sportwelt vermutlich eine seres Wissens deckte, wurde bei der in zahlreiche Abteilungen mit 138 nachhaltigere Wirkung, da die ersten IOC-Sitzung nach den Olym- Mitarbeitern. Verantwortlich für die Diemsche Mixtur aus harten Fakten pischen Spielen 1937 durch den Par- sportliche Planung war der Sport- über die professionell voranschrei- teigänger General von Reichenau ausschuß mit seinen sportartspezi- tende Olympiavorbereitung in Ber- ersetzt. Wenige Monate nach den fischen Unterausschüssen, die ihre lin, feuilletonistischen Beiträgen Spielen hatte Goebbels in seinem Arbeit bereits im März 1933 aufnah- über die Olympische Bewegung Tagebuch notiert: „Da treibt noch men.19 und Huldigungen an die führenden immer Lewald sein Unwesen. Muß

18 Vgl. H. J. TEICHLER, „Berlin 1936 - Ein Sieg der NS-Propaganda? Institutionen, Methoden und Ziele der Olympiapropa- ganda Berlin 1936", in: Stadion 2 (1976), S. 265-306. Dem Propagandaausschuß unter Leitung von Ministerialrat Haegert gehörten bei Gründung 9 und zum Schluß 16 Vertreter des RMfVuP an. 19 Dazu die Gesamtdarstellung DIEMs in: ORGANISATIONSKOMITEE FÜR DIE XI. OLYMPIADE (Hrsg.), XI. Olympiade Berlin 1936. Amtlicher Bericht, Bd. 1, Berlin 1937, S. 34, 46f., 73f., 109f. 20 Den Vorgang schildert detailliert H. BERNETT, Sportpolitik im Dritten Reich, Schorndorf 1971, S. 41ff. Auf die Olympiadis kussion in ihrer Breite im Frühjahr 1933 geht ausführlich ein TEICHLER, Internationale Sportpolitik im Dritten Reich, S. 45-49 und S. 59-64. 21 Vgl. Bericht Tschammers über eine Besprechung im Propagandaministerium am 16.1.1934. Berlin, den 17.1.1934. BA R 18/5615. 22 OPD vom 28.9.1934. Über diesen Wettbewerb und seine zweifelhaften Ergebnisse siehe H. BERNETT, „Die Olympische Hymne von 1936. Ein Preisausschreiben und seine Folgen", in: G. HECKER / A. KIRSCH / C. MENZE (Hrsg.), Der Mensch im Sport (= Festschrift zum 70. Geb. von L Diem), Schorndorf 1976, S. 46-61. 23 RMdI an den Präsidenten des OK. Berlin, den 15.10.1934. BA R18/5611.

6 auch bald weg".24 Diem, der es ge- gefühl der neuen politischen Sinn- amtsleiter hatte ihr symbolisches schafft hatte, die Arbeit des Organi- gebung. In der Erinnerung befrag- Kraftzentrum im Hakenkreuz der sationskomitees mit einem Plus von ter Leichtathleten sind davon je- Nationalsozialisten, das ein Rezita- 4,5 Millionen RM abzuschließen25, doch nur wenige Spuren zurückge- tor mit Guido von Mengdens mar- wurde zunächst mit der Übertra- blieben.26 kigen Versen als „heiliges Zeichen" gung der Stadionverwaltung abge- Die Zentralisierung des Trainings beschwor. Ein Auserwählter gelob- funden. stieß auf den Widerspruch erfahre- te im Namen der 4 000 Kandidaten ner Athleten, die effektivere Organi- dem Reichssportführer mit Hand- Die Vorbereitung der deutschen sationsformen zu schätzen wußten. schlag: „Ich verpflichte mich!" Olympia-Mannschaft Die zeitbedingte Form des „Lagers" Der zu unterschreibende Text laute- mit straffer Gemeinschaftsordnung, te: Seit 1926 war es die Aufgabe des wie es die Leichtathleten in Ettlin- DOA, Olympiakandidaten ausfin- „Ich unterstelle mich vorbehaltlos gen erprobten, konnte sich auch dig zu machen, planmäßig zu schu- dem Reichssportführer und den von nicht allgemein durchsetzen. So len und für die Spiele zu nominie- ihm eingesetzten Lehr- und Schu- trainierte man bald wieder im Ver- lungskräften [...]." „Über die getrof- ren. In der Absicht, dem Auswahl- ein und in regionalen Stützpunkten. fenen und zu treffenden Maßnah- prozeß eine breite Basis zu verschaf- Die Sportführung stellte ihre haupt- men der Olympiavorbereitung fen, pflegte man Wettbewerbe zur werde ich die mir auferlegte amtlichen Reichstrainer zur Verfü- Suche nach dem „unbekannten Schweigepflicht strengstens beach- gung.27 29 Sportler" auszuschreiben. Das ge- ten." schah 1933/34 mit erneutem Elan, Die zentrale Kontrolle und Anlei- Die geforderte Einstellung ent- indem auch die politischen Forma- tung ließt sich der Reichssportführer sprach dem Ideal der nationalsozia- tionen zur Teilnahme aufgerufen nicht nehmen. Mit Christian Busch listischen Sozialisation: der Ver- wurden. Doch das Ergebnis war so berief er einen kompetenten Olym- pflichtung der Gefolgschaft auf den enttäuschend wie stets zuvor. pia-Inspekteur, der nach eigenen Führer. Soldatische Tugenden des Worten für die „Überwachung der Gehorchens und Schweigens waren Als der Reichssportführer im August mit den Fachverbänden (d.h. Fach- das Gebot der Stunde.30 1933 die DOA-Präsidentschaft ämtern) vereinbarten Trainingsmaß- übernahm, ließ er einen zentralen Die Effektivität der zentral gebün- nahmen" verantwortlich war.28 Lehrgang nach Berlin einberufen. delten Maßnahmen war offensicht- SA-Gruppenführer von Tschammer Großen Wert legte man auf die mo- lich. Nach drei Jahren intensiven und Osten hatte die Absicht, die ralische Vorbereitung der Athleten, Trainings erreichte die olympische Mentalität bürgerlichen Sporttrei- die in einer öffentlichen Verpflich- Kernmannschaft zum richtigen bens, die als „individualistisch" tung gipfelte. Am 16. Dezember Zeitpunkt ihr Leistungsoptimum. galt, durch „SA-Geist" auszutrei- 1934 versammelten sich je 100 Mit- Der Reichssportführer bekundete ben. Die 500 Männer und Frauen, glieder der Kernmannschaft in Berlin Stolz auf das Ergebnis. Indem er die die Ende September im Grunewald- und Garmisch, um ein feierliches Verdienste spezialisierter Fachleute stadion zusammenkamen, erhielten Gelöbnis abzulegen, das vom hintansetzte, rühmte er bei der No- durch SA-Führer einen Schnellkurs Rundfunk übertragen wurde. Die minierung der Mannschaft „den al- in Disziplin. Das unerwartete Er- Feier auf der Bühne des Deutschen leinigen Anteil der nationalsoziali- scheinen Hitlers gab ihnen ein Vor- Opernhauses in Gegenwart der Fach- stischen Bewegung an der hervor-

24 GOEBBELS, Tagebücher, sämtliche Fragmente, Eintragung vom 9.11.1936. 25 Vgl. C. DIEM, Ein Leben für den Sport, Ratingen o.J. (1974), S. 194. 26 7 von 9 Teilnehmern sind heute der Meinung, daß keine „politische Ausrichtung" stattgefunden habe. Vgl. H. BERNETT, Leichtathletik im geschichtlichen Wandel, Schorndorf 1987, S. 262 f. 27 Ebenda, S. 261 f. 28 Interview durch Heinrich Meusel in: Rheinische Turnzeitung 24 (1970), S. ## 29 Fußball-Woche 12 (1934), 17. Dezember, S. 8. Kritisch kommentiert bei H. BERNETT, Guido von Mengden, „Generalstabschef" des deutschen Sports, Berlin 1976, S. 43. 30 Auch dieser Vorgang ist den befragten Leichtathleten nur noch dunkel in Erinnerung.

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ragenden Vorbereitung der Olympi- errichten zu können. „Wir werden te den Olympiagästen aus aller Welt schen Spiele."31 bauen!" lautete das Führerwort, das ein vorbildliches nationales Sport- Drei Jahre totalitärer Herrschaft hat- die Propaganda international ver- zentrum präsentiert werden, ten auch den Leistungssport verän- breitete. Nach einer Aufzeichnung „so daß für die außenpolitisch-pro- dert Der politisch geprägte Füh- Theodor Lewalds erklärte der pagandistische Wirkung und für Kanzler, die reibungslose [...] Durchführung rungsstil hatte einen Verhaltens- der Spiele keine Sorgen mehr zu be- wandel zur Folge, den man an Bild- „das Stadion müsse vom Reich ge- stehen brauchen."36 dokumenten beobachten kann. Als baut werden, es sei das eine Reichs- aufgabe; wenn man die ganze Welt Am 14. Dezember war das Baupro- die Leichtathleten im Juli 1936 ihr zu Gast geladen hätte, müßte etwas gramm zur „Ausgestaltung des Abschlußtraining im Olympiasta- Großartiges und Schönes entste- 34 Sportforums und des Stadions" ent- dion absolvierten, marschierten sie hen." scheidungsreif. Nach einer Konfe- im Gleichschritt und mit einem Lied Hitler, der sich für einen Kenner der renz mit Tschammer, Lewald und durch das Marathontor.32 Baukunst hielt, forderte den Archi- March ließ Hitler über Presse und tekten Werner March auf, ihm um- Rundfunk öffentlich erklären: Die olympischen Neubauten - gehend eine neue Konzeption vor- zulegen. Mit diesen Anordnungen „Mit dem heutigen Tage habe ich eine „Reichsaufgabe" meine endgültige Genehmigung hatte der Reichskanzler dem Orga- zum Beginn und zur Durchführung Als das Organisationskomitee 1933 . nisationskomitee, einem eingetrage- der Bauten auf dem Stadiongelände seine Ziele absteckte, begnügte es nen Verein, die Zuständigkeit für gegeben. Deutschland erhält damit eine Sportstätte, die ihresgleichen sich mit dem realistischen Vorha- die olympischen Projekte ohne wei- 37 ben, das Fassungsvermögen des teres entzogen. Gleichwohl hielt es in der Welt sucht" Grunewaldstadions zu erweitern und Präsident Lewald für opportun, die Adolf Hitler hatte für die eigenen dafür 3,5 Millionen RM anzuset- überraschende Wende „nur auf das Belange des Sports wenig Verständ- zen.33 Die Bescheidenheit entsprach dankbarste und freudigste (zu) be- nis. Ihn reizte vielmehr die Möglich- der wirtschaftlichen Lage, die sich grüßen."35 Am 10. Oktober erschie- keit, mit seinem „Bauwillen" zu im- mit Hitlers Machtantritt keineswegs nen Frick, Goebbels und Pfundtner, ponieren und politische Aspekte in besserte. Doch der Nationalsozialis- der Vorsitzende des olympischen die Sportanlage einzubringen. In mus entfachte den Ehrgeiz zu archi- Bau-Ausschusses, bei ihrem Führer, diesem Sinne veranlaßte er den Ar- tektonischer Selbstdarstellung. um die Weichen zu stellen und Wer- chitekten zu einschneidenden Än- ner March förmlich mit dem Sta- derungen. Die dem Entwurf zu- Indem Hitler am 5. Oktober 1933 dionbau zu beauftragen. grundeliegende Richtzahl von die erste Ortsbesichtigung vor- 100 000 Zuschauern hielt er für nahm, erkannte er die Chance, der Die Pläne weiteten sich aus. Da Hit- „ganz unzureichend". Bei der zwei- Welt exemplarisch den Gestaltungs- ler auch das 1925 errichtete Sportfo- ten Konferenz in der Reichskanzlei willen des „Dritten Reiches" vorzu- rum in Augenschein genommen ließ er sich von March eine Terrain- führen. Bei der Besichtigung des hatte, ließ der Reichssportführer eine skizze geben und Stadions, dessen Bau 1913 dem Ge- Denkschrift anfertigen, die neue lände der Galopprennbahn ange- Ausbauziele formulierte Mit dem „zeichnete in der westlichen Ver- längerung des Stadions einen Platz paßt werden mußte, entschied er „Haus des deutschen Sports" und auf, der ihm groß genug für Ver- spontan, die Rennbahn zu verlegen, einer „Reichshochschule (Reichs- sammlungen, Feste und Aufmär- um uneingeschränkt einen Neubau akademie) für Leibesübungen" soll- sche erschien."38

31 Pressedienst des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen, 19.10.1937. 32 H. BERNETT, Leichtathletik in historischen Bilddokumenten, München 1986, S. 206. 33 Lewald an den Chef der Reichskanzlei, 16.3.1933. BA, R 43 II/729. 34 Lewald, vertrauliche Aufzeichnung vom 5.10.1933. BA, R18/5608. 35 Ebenda 36 „Das Forum ab Mittelpunkt der deutschen Leibesübungen", 11.12.1933. BA, R 18/5609. 37 BERNETT, Sportpolitik, S. 51. 38 H. BERNETT, „Symbolik und Zeremoniell der XI. Olympischen Spiele in Berlin 1936", in: Sportwissenschaft 16 (1986), S. 379.

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Da vom OK-Präsidenten keine Be- Carl Diem dem Stadionverwalter. ziert. Interne Angaben schwankten denken angemeldet wurden, machte „Wir beide werden ja klug genug zwischen 36 und 100 Millionen RM. sich der Architekt die geforderte sein, zu verheimlichen, von wem er 1932 hatten die Amerikaner mit der 40 politische Sinngebung zu eigen. Er stammt" Dieser Ratschlag kenn- Errichtung eines „Olympischen entwickelte den Bauplan für das zeichnet die Bemühungen des ehe- Dorfes" neue Wege beschritten. Die von Tribünen umgebene „Maifeld", maligen Generalsekretärs, die Fik- Deutschen hatten sich in den Holz- das 250 000 Menschen fassen konn- tion einer politisch unberührten häuschen wohlgefühlt und suchten te, und öffnete die Westkurve des „Oase" aufrechtzuerhalten. 1933 nach einer ähnlichen Lösung. Stadions durch den Einschnitt des Die Frage der Baukosten hielt der Das Organisationskomitee beantragte „Marathontores". Da die Arena von Reichskanzler offenbar für sekun- beim Reichswehrminister, dafür burgenähnlichen Pylonen flankiert där. Nach Lewalds Protokoll vom 5. das Militärlager in Döberitz zur werden sollte, krönte March das Oktober 1933 wäre erst nach Ab- Verfügung zu stellen. Da schaltete neue Aufmarschgelände mit einem schluß der Planung „der Finanzmi- sich General Walter von Reichenau monumentalen Glockenturm, an- nister hinzuzuziehen".41 Während ein, der 1933 unter Minister von fangs „Führerturm" genannt. An Blomberg zum Chef des Wehr dessen Fuß errichtete er eine „Füh- das Organisationskomitee anfangs nur eine durch Einnahmen gedeck- machtsamtes aufgerückt war. Der rerkanzel" als Rednerpodium. Die mit Carl Diem befreundete „Sport Herren des Organisationskomitees te „Reichsgarantie in Höhe von 6 Mill. Reichsmark" erhofft hatte,42 general" entschied sich für die Al waren mit allem einverstanden, ternative architektonisch an gingen nach Hitlers Entscheidung auch mit dem von Hitler und Goeb- spruchsvoller Neubauten in Döbe die Neubauten zu Lasten des bels gewünschten Bau einer Frei- ritz, 14 km vom Reichssportfeld ent Reichsministers des Innern. Dieser lichtbühne. Im Zuge der sportfrem- fernt Werner March übernahm veranschlagte die Baukosten zu- den Sinngebung wurde dieses Am- auch hier die Planung und schuf in phitheater für 20 000 Zuschauer nächst auf 16 Million RM. Hitlers ursprünglicher märkischer Land nach einem literarischen Vorkämp- Eingriffe in die Konzeption verur- schaft auf einer Fläche von fer des Nationalsozialismus be- sachten jedoch erhebliche Mehrko- 550 000 m2 ein Ensemble von 140 nannt. Wäre es nach Guido von sten. Allein für den „das Auf- Wohnhäusern für 3 500 Teilnehmer, Mengden gegangen, hätte die neue marschgelände krönenden Führer- ergänzt durch ein Wirtschaftsge Sportanlage den Namen „Adolf- turm mit Ehrenhalle" mußten 1,5 bäude mit 40 Küchen, ein dem An Hitler-Kampfbahn" erhalten. Der Millionen aufgebracht werden. So denken Hindenburgs gewidmetes Schirmherr der Spiele zog es dage- errechnete man schließlich eine Ge- Gemeinschaftshaus, ein Empfangs gen vor, den ersten Monumental- samtsumme von 27 Millionen. Die gebäude, eine Sporthalle und ein bau des 'Dritten Reiches' „Olym- Nachbewilligung der ungedeckten 44 39 Schwimmbad. piastadion" zu nennen. Restsumme von 5 Millionen recht- Selbstverständlich hatte das Dorf fertigte der Minister mit der einzig- Es war Hitlers Einfall, auf dem ein eigenes Postamt, doch die ge- artigen Gelegenheit, „den Aufbau- Reichssportfeld eine Reihe von Stelen samte eingehende Post war zen- willen und die Aufbaukraft des na- mit den Namen aller deutschen siert. Im vorgeschalteten Sonderpost- Olympiasieger errichten zu lassen. tionalsozialistischen Deutschlands amt II wurden alle der ganzen Welt vor Augen zu füh- Als nach dem Zweiten Weltkrieg 43 Auslandssendungen „angehalten" die Aktualisierung des „Säulenge- ren". Genaue Nachweise über die und überprüft Enthielten sie Texte dankens" diskutiert wurde, schrieb Gesamtkosten wurden nie publi- politischer Aufklärung, z.B. Infor-

39 BERNETT, Sportpolitik, S. 51 f. und BERNETT, Guido von Mengden, S. 42. 40 Schreiben vom 23.7.1955 an Max Gereit Carl und Liselott Diem-Archiv. 41 Lewald, vertrauliche Aufzeichnung vom 5.10.1933. BA, R18/5608. 42 Lewald an den Chef der Reichskanzlei, 16. 3.1933. BA, R 43 II/729. 43 Denkschrift vom 4.1.1935. BA, R. 18, Rep. 320/612. 44 ORGANISATONSKOMITEE (Hrsg.), Olympiade Berlin 1936, Bd. 1, S. 166-216.

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9 mationen über nationalsozialisti- Jüdische Olympiakandidaten ten den Willen zur Selbstbehaup- sche Konzentrationslager, wurden sie tung durch ein funktionierendes Unter dem Druck des IOC blieb der als „Hetzschriften" aussortiert.45 Wettkampfsystem. Ungeachtet der deutschen Sportführung nichts an- Die Leitung des Olympischen Dorfes Perspektive, bei Olympischen Spielen deres übrig, als die Garantieerklä- „unter dem Hakenkreuz" für die hatte ein „Kommandant" im Range rungen tendenziell zu verwirkli- Unterdrücker antreten zu müssen, eines Oberstleutnants. Sein Vertre- chen. In der Annahme, daß die jüdi- kämpften die jüdischen Leistungs- ter wurde ein Opfer der Rassendis- schen Spitzensportler doch nicht träger um ihre Qualifikation.50 Da- kriminierung: als man seine „nicht- die olympischen Normen erreichen bei kam es sogar zum Streit mit dem arische Abkunft" entdeckte, nahm würden, organisierte man Schu- Makkabi-Weltverband, der 1935 die lungslehrgänge in verschiedenen er sich das Leben. Goebbels ließ die Olympischen Komitees aller Län- Sportarten, z.B. für die Leichtathle- der ersuchte, Presse anweisen, von einem Ver- ten in Berlin und Ettlingen. Die Teil- kehrsunfall zu berichten.46 „jüdische Sportler von der Teilnah- nehmer wurden auf Vordrucken me an der Olympiade 1936 in Für die Segelregatten auf der Förde mit Tschammers Unterschrift ord- Deutschland zu befreien". schuf die Stadt Kiel am Hinden- nungsgemäß einberufen. Um ganz Die deutschen Vertreter lehnten die- korrekt zu erscheinen, wurden so- sen Rückzug ab und erklärten: burgufer einen „Olympia-Hafen" gar Reichstrainer für die Lehrgänge für mehrere hundert Yachten. Im „Da durch die vorliegende Resolu- abgeordnet. Drei Leichtathleten er- tion diese Linie verlassen wird, Neubau des „Olympia-Heimes" hielten jedoch nur die Chance, zu stimmt die Makkabi-Delegation aus konnten 100 ausländische Segler Prüfungskämpfen anzutreten. In Deutschland gegen diese Resolu- untergebracht werden.47 feindseliger Atmosphäre vermoch- tion." ten sie sich nicht zu behaupten. Gemeint war die „unpolitische" Li- Auf Reichskosten entstanden auch Dennoch wurde ein jüdischer Läu- nie des Weltverbandes, die unter in Garmisch-Partenkirchen neue fer in die Olympia-Kernmannschaft den Umständen nationalsozialisti- Anlagen: das Skistadion für 100 000 aufgenommen.49 scher Rassenpolitik natürlich nicht Zuschauer mit der kleinen und durchzuhalten war.51 Der allen Stö- großen Olympia-Schanze, das Eissta- Nach ihrer Eliminierung aus den rungen abgeneigte IOC-Präsident dion und die Bobbahn. Bei seinem Turn- und Sportvereinen hatten die ließ das Ansinnen des Makkabi Deutschlandbesuch im Herbst 1935 jüdischen Leistungssportler also durch seinen Generalsekretär zu- sprach der IOC-Präsident von der keineswegs resigniert Im Gegen- rückweisen. Durch diese Verständ- teil: mit zunehmender gesellschaft- nislosigkeit brüskiert, erklärte der „schönsten Wintersportanlage der 48 licher Diskriminierung wuchs auch Makkabi-Präsident nochmals, daß Welt". Mit der neuen „Olympia- der Ehrgeiz, die nationalsozialisti- jüdische Sportier darauf verzichten straße" nach München schuf man sche Propagandathese körperlicher sollten, in einem Land an den Start die Voraussetzung für die Bewälti- Inferiorität zu widerlegen. Die lei- zugehen, gung des zu erwartenden Massen- stungsstärksten jüdischen Sportver- „where they are discriminated besuchs. bände, Makkabi und Schild, steiger- against as a race and our Jewish bre-

45 Die Gestapo Berlin berichtete am 7.8. August über das „Anhalten" von insgesamt 78 Sendungen aus Paris und London durch das Sonderpostamt Charlottenburg. BA, NS10/51 (Recherchiert durch H. J. Teichler, Bonn.). 46 Vgl. die systematische Auswertung der Presseanweisungen durch TEICHLER, „Berlin 1936 - ein Sieg der NS-Propagan- da?", S. 278-296. 47 ORGANISATIONSKOMITEE (Hrsg.), Olympiade Berlin 1936, Bd. 1, S. 219-222. 48 BERNETT, Sportpolitik, S. 64. 49 Dazu das Kapitel „Sportliche Vorbereitung'' bei H. BERNETT, Der jüdische Sport im nationalsozialistischen Deutschland 1933-1938, Schorndorf 1978, S. 107 f. 50 H. BERNETT, „Die jüdische Turn- und Sportbewegung als Ausdruck der Selbstfindung und Selbstbehauptung des deutschen Judentums", in: Die Juden im Nationalsozialistischen Deutschland 1933-1943, [Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts 45], Tübingen 1986, S. 223-229. 51 Zirkular Nr. 23. Archiv der Maccabi World Union, Ramat-Gan, Israel (o. D.).

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thren treated with unexampled bru- ningskurse" und eine Abschrift sei- umstrittene Situation des jüdischen tality".52 ner Aufforderung an den Führer Sports an Ort und Stelle zu erkun- Als sich die internationale Boykott- des Fachamtes Leichtathletik, „sich den. Von seinem Urteil sollte die fäl- bewegung 1935 kritisch zuspitzte, der [sic] jüdischen Fräulein Berg- lige Entscheidung über die Beteili- entschloß sich der Reichssportführer mann besonders anzunehmen".55 gung der USA abhängig gemacht in Übereinstimmung mit den Er- Da das Schreiben an Ritter von Halt werden. Bei der denkwürdigen Zu- wartungen des IOC-Präsidenten53, drei Tage früher datiert war, ergibt sammenkunft mit den jüdischen zwei im Ausland lebende „halbjü- sich der Eindruck einer berechneten Sportfunktionären ließ Brundage dische" Spitzensportler zu den Aktion. Der gleichzeitige Versand sich darauf ein, die Anwesenheit Olympischen Spielen einzuladen: den von Kopien an Avery Brundage, der des stellvertretenden Reichssportfüh- Eishockeyspieler Rudi Ball und die die Teilnahme der USA propagierte, rers, eines dezidierten Antisemiten, Florettfechterin Helene Mayer. We- macht sie noch durchsichtiger. Von in Kauf zu nehmen.57 Zeitweise war gen der günstigen Quellenlage läßt Heimweh und sportlichem Ehrgeiz auch Sigfrid Edström zugegen, Prä- sich das Manöver am Fall der Olym- getrieben, akzeptierte Helene May- sident des Internationalen Leichtath- piasiegerin von Amsterdam au- er die Einladung, nachdem der letik-Verbandes, der wie Brundage thentisch rekonstruieren. Am 24 Reichssportführer ihr wunschgemäß mit dem nationalsozialistisch ge- September 1935 erging Tschammers versichert hatte, daß sie trotz der führten Deutschland sympathisier- 58 Einladung an Helene Mayer, die an diskriminierenden „Nürnberger te. Da sie Repressalien zu befürch- einem College in Kalifornien unter- Gesetze" für Deutschland starten ten hatten, konnten die jüdischen richtete. Er bot ihr an, ggfs. auf Aus- dürfe. Avery Brundage begrüßte ih- Delegierten die Fragen jedoch scheidungskämpfe zu verzichten ren Entschluß, indem er sein Glau- „nicht frei und wahrheitsgemäß be- 59 und die amerikanische Meister- bensbekenntnis erneuerte: The antworten". Brundage hörte, was schaft, die ihr gewiß war, „als hin- Olympic Games „must be kept abo- er hören wollte, und berichtete der ve all questions of politics, class or AAU über korrekte Startbedingun- reichende Qualifikation anzuerken- 56 nen".54 Unter dem gleichen Datum creed". So geschah es denn, daß gen. Damit schwächte er die Oppo- sandte Tschammer eine Abschrift die „blonde He" am 6. August 1936 sition, und das IOC dankte ihm, in- an den „sehr verehrten, lieben Gra- die zweite Stufe des Siegerpodestes dem es bei seiner Berliner Sitzung fen Baillet-Latour" mit dem heuch- betrat und zum ersten und letzten Lee Jahncke, den Wortführer der lerischen Kommentar, „daß die gan- Mal in ihrem Leben den „deutschen Boykottpartei, aus seinen Reihen Gruß" erwies. ausschloß und durch Avery Brun- ze jüdische Frage von uns wirklich 60 in der loyalsten Weise geregelt" Avery Brundage übernahm 1934 ei- dage ersetzte. werde. Er verstärkte den Nachweis ne maßgebliche Rolle, als er im Auf- Während die „Nürnberger Geset- der „Loyalität" durch weitere Beila- trag der American Athletic Union ze" die „Halbjüdin" Helene Mayer gen: Berichte über „jüdische Trai- (AAU) nach Berlin reiste, um die nicht tangierten, verlor die schwä-

52 Maccabi World Union an den IOC-Präsidenten, London, 12.11.1935. IOC-Archiv Lausanne. 53 Baillet-Latour hielt es für seine „Freundespflicht, das deutsche OK dazu aufzufordern, dem von „feindlichen Elementen geführte Feldzug" durch die Beteiligung jüdischer Athleten entgegenzutreten. Exekutiv-Komitee des IOC an Lewald, 13.1. 1934 (Übersetzung), BA, R18/5614. 54 Schreiben aus dem Nachlaß im Besitz des Bruders Ludwig Ernst Mayer, Frankfurt 55 Abschrift im IOC-Archiv Lausanne (Recherchiert durch Karl Lennartz, Köln). 56 Schreiben an Helene Mayer, 4.11.1935 im Nachlaß (Anm. 5##). 57 BERNETT, Jüdischer Sport, S. 105. Die Berichte über die Brundage-Mission („on-the-spot investigation") stimmen inhaltlich nicht überein. Unbefriedigend sind auch die Darstellungen in der amerikanischen Literatur, so z.B. bei R. MANDELL, The Nazi Olympics, New York 1971, S. 73, und A. GUTTMANN, The Games must go on. Avery Brundage and the Olympic Movement, New York 1984, S. 69 f. 58 Zur Einstellung Edströms vgl. TEICHLER, Internationale Sportpolitik, S. 289 f. 59 Bericht von Robert Atlasz, zitiert bei BERNETT, jüdischer Sport, S. 105. 60 Zur Vorgeschichte vgl. KRÜGER, Die Olympischen Spiele 1936, S. 163 ff. Nach KRÜGER hat Brundage seine positive Stellungnahme schon vor der Abreise nach Berlin veröffentlicht! Vgl. KRÜGER, „Deutschland und die olympische Bewegung (1918-1945)", S. 1038.

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11 bische Jüdin Gretel Bergmann die gründe verborgen, und sie erfuhr dakteur des schwedischen Idrotts- Reichsbürgerschaft und damit ihre auch nicht, daß fünf jüdische Sport- bladet kommentierte, politischen Rechte. Für die national- ler und Sportlerinnen anderer Na- «daß es nicht die Privatsache eines sozialistische Sportführung war es tionen Goldmedaillen erkämpften Landes sei, wie es das ihm anver- undenkbar, eine „Volljüdin" unter und so auf ihre Weise die national- traute olympische Pfund verwalte. Das sei vielmehr eine Sache, die die den Augen Hitlers starten oder gar sozialistische Rassenideologie ent- 66 62 ganze Sportwelt angehe". siegen zu lassen- Diese steigerte je- kräfteten. Das durch die Angriffe der national- doch ihre Leistung und egalisierte Der „Halbjude" Theodor Lewald, sozialistischen Presse auf den den deutschen Hochsprungrekord. der das Falschspiel der deutschen Präsidenten des Organisationskomi- Die Sportführung half sich in ihrer Sportführung gedeckt hatte, wurde tees und den Generalsekretär des Verlegenheit mit einem plumpen am Ende selbst mit den Konsequen- OK, Carl Diem, sowie durch ange- Trick. Sie nominierte nur zwei zen der Rassenpolitik konfrontiert kündigte Personalveränderungen Springerinnen und ließ verlauten, So geschah es denn 1937. Auf Hit- beunruhigte IOC intervenierte und daß man mit Rücksicht auf das lers Veranlassung verzichtete Le- bestand auf einer formellen Garan- große Teilnehmerfeld auf den Ein- wald auf seine Mitgliedschaft im tie der Reichsregierung, die olympi- satz einer dritten Hochspringerin IOC, um dem systemkonformen schen Gesetze zu beachten. verzichten wollte. Zwei Wochen vor General von Reichenau Platz zu 63 den Spielen erhielt Gretel Berg- machen. Nachdem allerdings die deutschen mann vom Reichsfachamt ein IOC-Mitglieder bei den IOC-Sessio- Schreiben, in dem ihre "in letzter Die internationale Boykottbewe- nen in Wien (Juni 1933) und Athen Zeit gezeigten Leistungen" bemän- (Mai 1934) die gewünschte und gung und ihr Scheitern gelt wurden. Als Trost für die ver- vom Innenministerium autorisierte sagte Nominierung bot man ihr ei- Am Anfang der internationalen Erklärung abgaben, in der auch die nige Stehplatzkarten an. Gretel Aufnahme deutscher Juden in die Bergmann, die im Juni eine Jahres- Boykottbewegung gegen Olympi- sche Spiele unter dem Hakenkreuz deutsche Olympiamannschaft zu- bestleistung erzielt hatte, war em- gesagt wurde, stellte sich das IOC pört und emigrierte 1936 in die stand der von der NSDAP organi- 61 sierte und von staatlichen Stellen im weiteren Verlauf auf die Seite der USA. Dort lebt die heute [1995] unterstützte Boykott gegen jüdische deutsche Organisatoren. Es wich 80jährige im Bundesstaat New von dieser Haltung auch nicht ab, York, immer noch voller Erbitte- Geschäfte, Rechtsanwälte und Ärz- te am 1. April 1933. Im Ausland als die Ausgrenzung der deutschen rung über das Betrugsmanöver. registrierte man nun auch den be- Juden durch die „Nürnberger Die Veranstalter hatten es also er- ginnenden Ausschluß deutscher Ju- Rassengesetze" im September 1935 reicht, eine halbwegs „reinrassige" den aus ihren Sportvereinen64 und international zu einer neuen Pro- Mannschaft starten zu lassen. Der damit auch aus den nationalen Aus- testwelle, besonders in den USA, Öffentlichkeit blieben die Hinter- wahlmannschaften.65 Der Chefre- führte. Während sich die Anhänger-

61 BERNETT, Jüdischer Sport, S. 110-112. 62 H. BERNFTT, „The Role of Jewish Sportsmen During the Olympic Games in 1936", in: U. SIMRI, Physical Education and Sports in the Jewish History an Culture. Proceedings off the International Seminar at Wingate Institute/Israel [Netanya] 1973, S. 112. 63 Das Persönlichkeitsbild der mit preußischen Tugenden ausgestatteten „Exzellenz", wie es die konservative Sportge schichtsschreibung überliefert, erscheint heute problematisch. Dazu A. KRÜGER, Theodor Lewald. Sportführer ins Dritte Reich, Berlin 1975. Während KRÜGER bei Lewald menschliche Größe vermißt, schließt von Mengden aus, daß Lewald dem Regime „Handlangerdienste" geleistet haben könnte. Vgl. G. v. MENGDEN, „Die Geschichte der Olympischen Sommerspiele von 1896-1968", in: R. LEMBKE (Hrsg.), Das große Handbuch der Olympischen Sommerspiele, München 1971, S. 196. 64 Vgl. BERNETT, Jüdischer Sport, S. 16-37. 65 Vor allem die Entscheidung des Deutschen Tennisbundes im April 1933, Daniel Prenn nicht mehr im Davis-Cup einzusetzen, erregte internationales Aufsehen. 66 Gesandtschaft Stockholm an AA. Stockholm, den 7.4.1933. PAdAA Politische Abteilung IV - Schweden: Gesundheitswe sen 10 (Sport, Spiele, Turnen).

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12 schaft der Boykottbewegung in Eu- rechtsverletzungen des NS-Re- scher Sportler, wie der österei- ropa aus dem traditionell antifa- gimes zusammen. Der populäre chischen Schwimmerinnen Edith schistischen Lager von Kommuni- Appell an „sportsmanship" ent- Deutsch und Ruth Langner, die dar- sten, Sozialisten, Linksliberalen, Ar- fachte eine breite Diskussion auf aufhin von ihrem Verband mit einer beitersportlern und Gewerkschaf- den Sportseiten der amerikanischen Sperre bestraft wurden. Der euro- tern rekrutierte und somit Kräfte Presse und trug so zu einer verbrei- päischen Protestbewegung, die ihre zusammenführte, deren Stimmen teten Kenntnis deutscher Verhält- Zentren in Dänemark, Schweden bei ihren jeweiligen nationalen nisse in der amerikanischen Öffent- Frankreich und den Niederlanden Sportorganisationen wenig oder lichkeit bei. Nur durch eine konzer- hatte, war es zwar nicht gelungen, überhaupt keinen Einfluß hatten, tierte Aktion der Ausrichter und des die eigenen Sportorganisationen zu gewannen die Boykottbefürworter IOC, die alle Register der Öffent- einem Boykott zu bewegen. Die Öf- in den USA in der zweiten Jahres- lichkeits- und Zielgruppenarbeit fentlichkeit dieser Länder war aber hälfte 1935 fast die publizistische zogen70, sowie durch die unermüd- durch die Beteiligung namhafter Meinungsführerschaft.67 Es waren liche Überzeugungsarbeit und das Künstler, Schriftsteller und Wissen- keinesfalls nur „jüdische Unterneh- geschickte Taktieren von Avery schaftler an dieser internationalen Protestbewegung auf die po- mungen gegen das neue Deutsch- Brundage gelang es, bei der ent- litischen Begleitumstände der land"68, wie das Reichssportblatt sei- scheidenden Abstimmung der Ame- Olympischen Spiele 1936 aufmerk- nen Lesern glauben machen wollte, rican Athletic Union eine knappe sam gemacht worden, was sich sondern eine breite Koalition von Mehrheit (58 1/4 zu 55 3/4) für Teil- dann u. a. in einem überraschend N5-Gegnern aus beiden christli- nahme zu gewinnen.71 Die Teilnah- kritischen Presseecho niederschlug. chen Konfessionen, Gewerkschaf- me der USA bescherten den Berliner ten, der Demokratischen Partei, Spielen die Rekordbeteiligung von Vertretern des liberalen Bürger- über 4 000 Teilnehmern aus 49 Län- Die Funktion der Künste tums, von Sportführern und jüdi- dern. Daran konnten auch Protest- Kunst auf dem Reichssportfeld schen Organisationen, die sich im kundgebungen72 und Aktionen des Committee on Fair Play in Sports Pariser Comité international pour le Werner Marchs Vater hatte schon zusammengeschlossen hatten.69 Ihre respect de l'esprit otympique73 im das Grunewald-Stadion mit künstle- 64seitige Dokumentation mit dem Frühjahr 1936, an denen u. a. der rischen Elementen bereichert Für Titel Preserve the Olympic Ideal. A emigirierte deutsche Schriftsteller den Sohn stellte sich jedoch zusätz- Statement of the Case Against Ame- Heinrich Mann mitwirkte, nichts lich die Aufgabe künstlerischer „Be- rican Participation in the Olympic Ga- Entscheidendes ändern. Es blieb bei seelung" der weiträumigen Flächen mes at Berlin faßte die sportlichen Boykottaktionen einzelner Sport- und der strengen architektonischen Argumente gegen die Menschen- fachverbände74 und einzelner jüdi- Linienführung durch monumentale

67 Vgl. KRÜGER, Theodor Lewald, & 117-120. 68 Reichssportblatt 2 (1935) 28, S. 762. 69 Vgl. KRÜGER, Die Olympischen Spiele 1936, S. 114ff. und H. WETZEL, Der Kampf der Anti-Olympiade-Bewegung gegen den Mißbrauch der Olympischen Spiele 1936, Diss. Potsdam 1965, S. 98ff. 70 Entsendung von prominenten Sportlern wie z.B. Max Schmeling und Gottfried von Cramm, Nominierung prominenter Halbjuden (Helene Mayer und Rudi Ball) für die deutsche Vertretung, Scheinnominierung der Jüdin Gretel Bergmann, Zusagen des evangelischen Jungmännerwerkes an das YMCA, Deutschlandbesuch des IOC-Präsidenten, Interview des IOC-Ehrenpräsidenten u. a. m. .: 71 Vgl. KRÜGER, Die Olympischen Spiele 1936, S. 163ff. 72 So fand am 6. 6. 1936 in der Pariser Mutualité eine Konferenz der antifaschistischen Protestbewegung gegen die Olympischen Spiele in Berlin statt 73 Das Comité verschickte u.a. als Beleg der antiolympischen Gesinnung der NS-Regierung das Handbuch des DRL-Diet- wesens, die „Deutschkunde über Volk, Staat und Leibesübungen" des Reichsdietwarts Kurt Münch. Die besorgten Anfragen des Auswärtigen Amts ergaben aber, daß dieses Machwerk von der internationalen Presse kaum zur Kenntnis genommen wurde. PAdAA Ref. Deutschland 86-26 (Olympiade 1936 / Comité International pour le respect de l'esprit olympique, Fair Play; 7.4.1936-12.10.1936). 74 Z.B. Französischer Fußballverband, Niederländischer Gymnastik-Verband.

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Plastik. Die Festlichkeit der Gesamt- kuline, überwiegend nackte Figu- ser Besetzung zeigte sich in der in- anlage schloß nach Marens Über- ren, deren kraftgeladene Körper- ternationalen Jury für Bildende zeugung eine alltäglich wirkende sprache dem Idol der nordischen Künste, in der Deutschland durch „Sportplastik" aus. Er erwartete „Herrenrasse" nahekam. Ungeach- Adolf Ziegler, den man als „Reichs- den Ausdruck „deutschen Gestal- tet der olympischen Friedensidee schamhaarmaler" verspottete, und wählte man auch zwei martialische tungswillens" in einem „gesunden" den nationalsozialistischen Propa- Schwertträger. Der von Hitler per- Stil. Den dafür zu vergebenden Auf- gandazeichner Hans Schweitzer sönlich gestiftete „Faustkämpfer" tragswerken reservierte er auf dem (Pseudonym „Mjölnir") repräsen- Reichssportfeld einige „beherrschen- war zwar eine Sportplastik, aber 80 78 tiert wurde. de Standorte".75 aufgeladen mit Gewalttätigkeit. Die zum Wettbewerb eingereichten Für die gewünschte Monumental- Olympische Kunstwettbewerbe Arbeiten konnten in einer Ausstel- plastik standen die „65 Marmorrie- sen" des Foro Mussolini in Rom Mo- Seit 1912 war der Wettbewerb in lung besichtigt werden. Reichsmi- dell. Carl Diem hatte diese „Vorbil- fünf künstlerischen Gattungen offi- nister Goebbels begrüßte die „Spit- der von Kraft und Energie" 1934 in zieller Bestandteil des olympischen zenergebnisse" als „Ausfluß leben- 81 Rom besichtigt, um Anregungen für Programms. Die Auswahl der Jury- digsten Volksseins". Einige der das Berliner Stadion zu sammeln.76 Mitglieder lag jeweils in der Hand prämierten «Spitzenergebnisse" Im Unterschied zu den Faschisten des Organisationskomitees. Das deut- trugen offenbar Züge des faschi- hatten die Nationalsozialisten noch sche Komitee offerierte den Vorsitz stisch-nationalsozialistischen Men- des Gremiums zunächst dem keine Kunstideologie entwickelt - schenbildes: ein Eishockey-Tor- „Reichskunstwart, der seit 1920 im sie sollte erst 1937 zum Durchbruch mann mit titanischer Kraft, ein De- Innenministerium angesiedelt war, kommen. Gleichwohl war sie ten- genfechter als soldatischer Haude- denziell vorgegeben und eine un- „Die nationalsozialistische Revolu- gen, ein Faustkämpfer von extremer terschwellige Norm für den Kunst- tion bedingte jedoch eine vollstän- dige Änderung auch auf diesem Brutalität Arno Brekers Zehnkämp- ausschuß des Organisationskomitees, Gebiet; sie gab die Richtung an für fer, ein Auftragswerk für das Sport- der die eingereichten Entwürfe zu die endgültige Gestaltung des forum, verkörperte den favorisier- prüfen hatte. Die Protokolle der Olympischen Kunstausschusses."79 ten Idealtyp. Ausschußsitzungen dokumentieren Die vom Nationalsozialismus be- die Befangenheit in Vorstellungen stimmte Richtung brachte es mit Eine kritische Gegenausstellung in von Kraft und Größe. Die Kor- sich, daß drei Präsidenten der von Amsterdam „De Olympiade onder rekturwünsche der Jury, der auch Goebbels beherrschten Reichskultur- Dictatuur" zeigte während der Beamte des Propagandaministeri- kammer dem Ausschuß beitraten. Olympiawochen u. a. Graphiken ums angehörten, kreisten daher um Sie vertraten Deutschland im inter- und Collagen von John Heartfield. die Attribute „straffer" und „stren- nationalen Preisgericht, das sein Ur- Sie mußte aufgrund einer Interven- 77 ger". Mit Ausnahme einer Sieges- teil bei der Eröffnung der Spiele be- tion der Deutschen Botschaft ge- göttin entschied man sich für mas- kanntgab. Die Fragwürdigkeit die- schlossen werden.82

75 W. MARCH, Bauwerk Reichssportfeld, Berlin 1936, S. 41 f. 76 BERNETT, „Symbolik und Zeremoniell", S. 382. 77 Ebenda, S. 383, und in: AKADEMIE DER KÜNSTE (Hrsg.), Skulptur und Macht. Ausstellungskatalog, Berlin 1983, S. 42 ff. 78 Vgl. die Abbildung von 15 Auftragswerken bei W. MARCH, Reichssportfeld, Anhang. Wiedergabe des "Faustkämpfers" von J. Thorak als Vorsatzblatt zu H. BERNETT, Nationalsozialistische Leibeserziehung. Eine Dokumentation ihrer Theorie und Organisation, [Theorie der Leibeserziehung. Texte - Quellen - Dokumente, Bd. 1], Schorndorf 1966. Zur Diskussion im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Olympia-Bewerbung Berlin siehe zusammenfassend: H. HOFFMANN, Mythos Olympia, Berlin 1993 sowie den Beitrag in diesem Band. 79 ORGANISATIONSKOMITEE (Hrsg.), Olympiade Berlin 1936, Bd. 2, S. 1106. 80 Ebenda, S. 1112. 81 Ebenda, S. 1127. 82 Vgl. dazu die Polemik „Ruhmloses Ende einer 'Kunstausstellung'", in Wegweiser. Turnerischer Pressedienst 4 (1936), Nr. 59, 30. September.

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Eine Olympische Hymne mühten sich, den olympischen Ge- nung Hitler vorzuspielen - sollte sie Nach den Vorstellungen des Organi- danken in Versen zu verherrlichen. ihm doch „in erster Linie gefallen". sationskomitees sollte die Kunst dazu Das Ergebnis der Einsendungen Nach mehreren Terminverschie- beitragen, die deutsche Auffassung war niederschmetternd. Carl Diem bungen kam es am 29. März 1935 zu bescheinigte den Dilettanten des olympischen Sports in neue dem gewünschten Zusammentref- „gründliche Unbildung". Der von Formen zu gießen. Das IOC war der fen in Berlin: „Das Vorspiel hat in der Akademie als Juror eingesetzte der Wohnung des Führers stattge- Auffassung, daß die für Los Ange- Balladendichter Börries Freiherr funden. Die Hymne ist genehmigt les geschaffene Olympische Hymne von Münchhausen fühlte sich von worden."88 Obgleich Strauß für das auch in Berlin dargeboten werden der Masse an „Ungeschmack, Uner- Auftragswerk vom Organisationsko- sollte. Dem widersprach Theodor zogenzeit und aufspielerischem Ge- mitee ein beträchtliches Honorar er- Lewald mit der Begründung, daß tue" abgestoßen. Er kam zu dem Er- hielt, war der Führer und Reichs- „Deutschland in der ganzen Welt gebnis eines „beinahe unfaßbaren kanzler für ihn die entscheidende als das eigentliche Musikland aner- 83 Tiefstandes" und sammelte die Stil- Instanz. Wiederum ein Indiz für die kannt werde." Er wünschte eine 85 blüten in einem Privatdruck. Die vom Komitee akzeptierte Domi- Komposition von Richard Strauß, Wahl fiel schließlich auf einen ar- nanz der politischen Autoritäten. der als Präsident der Reichsmusik- beitslosen Rezitator und Schauspie- kammer auch kunstpolitische Ver- Bei der Eröffnung am 1. August ler namens Robert Lubahn. Dessen 1936 dirigierte Richard Strauß sein antwortung übernommen hatte. an Friedrich Schiller geschulte Ge- Werk persönlich, und OK-Präsident Doch es mangelte an einem geeig- dankenlyrik entsprach jedoch „zu neten Text, obgleich 1912 kein Ge- Lewald dankte in seiner Ansprache wenig dem Geist des Dritten Rei- dem „großen deutschen Meister der ringerer als Pierre de Coubertin un- ches". Da Goebbels und Tschammer ter einem Pseudonym mit einer Ode 86 Töne". Er verkündete den Beschluß protestierten, verbesserte man die des IOC, die Komposition zur offi- an den Sport den 1. Preis in der Kate- anstößig erscheinende Werthierar- 89 ziellen Hymne zu erheben. gorie Literatur für Deutschland er- chie mit einem Kunstgriff. Lubahns 84 rungen hatte! In dem Bewußtsein, Fassung lautete: die Spiele als nationalen Auftrag zu Das Festspiel „Olympische Jugend" „Ehre sei dem Völkerfeste! gestalten, wandte sich das Organisa- Friede soll der Kampfspruch sein." Es war Carl Diems persönliche Pas- tionskomitee an die oberste Instanz: Durch Austausch der Zentralbegrif- sion, den Sport durch die Kunst zu an die Deutsche Akademie für Dich- fe machten die Zensoren daraus: adeln, ihn mit geistiger Substanz zu tung, die daraufhin einen Wettbe- füllen. Er wünschte sich eine Fest- werb unter ihren Mitgliedern ver- „Friede sei dem Völkerfeste! 87 kultur, wie Turner und Arbeiter- Ehre soll der Kampfspruch sein." anstaltete. Da das erwählte Produkt sportler sie entwickelt hatten. Bei jedoch keine Olympia-Hymne, son- Diese ideologisch bedingte Mani- der Vergabe der Spiele nach Berlin dern eine Siegfried-Dichtung war, pulation widerlegt abermals Diems reifte in ihm der Entschluß, den Tag entschloß sich das Komitee 1934 zu These von den Olympischen Spielen der Eröffnung mit einem Festspiel einem öffentlichen Preisausschrei- als einer „Oase der Freiheit". abzuschließen. Seit 1925 hatte Diem ben. Da 1000 RM zu gewinnen wa- Richard Strauß zeigte sich von dem „Poesie des Sports" gesammelt und ren, setzten sich zahllose Federn in Text „außerordentlich befriedigt". eigene Verse dazu beigetragen. Er Bewegung. 2 000 Volksgenossen Er hatte die Absicht, seine Verto- vertraute auf seine produktiven

83 BERNETT, „Symbolik und Zeremonien", S. 372. 84 Diesen seltsamen Sachverhalt dokumentiert F. MEZÖ, Die modernen Olympischen Spiele, Budapest 19592, S. 135. Abdruck der Ode bei DIEM (Hrsg.), Poesie des Sports, Stuttgart 1957, S. 213 f. 85 B. v. MÜNCHHAUSEN, Das Weihelied der Elften Olympiade, Privatdruck 1935. 86 Staatssekretär Pfundtner an Th. Lewald, 15.10.1934. BA, R 18/5611. 87 Zu dem gesamten Vorgang: BERNETT, „Die Olympische Hymne von 1936", S. 46-61. 88 Aktenvermerk der Reichskanzlei. BA, R 43 II/729. 89 ORGANISATIONSKOMITEE (Hrsg.), Olympiade Berlin 1936, Bd. 1, S. 563. Das IOC machte diesen Beschluß 1956 wieder rückgängig. Siehe die Charta des IOC

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Kräfte und plante ein festliches todes, verstärkt durch die Klänge der Universität. Bei diesem Anlaß Spiel von Bewegungschören unter der 9. Symphonie und der Olympi- beschenkte man die IOC-Mitglieder freiem Himmel, gipfelnd in der von schen Glocke. Der Eindruck war so mit einer goldenen Amtskette.94 Beethoven vertonten Schiller-Ode gewaltig, daß Diems Festspiel vor Zwei Reichsminister luden zu ei- „An die Freude". Nach der Wahl insgesamt 328 000 Zuschauern drei- 90 nem festlichen Abend im Pergamon- zum Generalsekretär konzipierte er mal wiederholt werden mußte. Museum mit Barockmusik und eine Selbstdarstellung Olympischer Mit der Wirkung dieses Appells an Tanzvorführungen des Staatsthea- Jugend als Teil des Programms, das die Opferbereitschaft der Volksge- ters. Zu Ehren des IOC veranstaltete der Zustimmung des IOC bedurfte. nossen konnten auch die national- man ein Festessen im Weißen Saal Bei seiner Sitzung in Amen 1934 bil- sozialistischen Kulturverwalter zu- des Berliner Stadtschlosses. Der ligte es die angekündigte Inszenie- frieden sein. Dennoch entdeckten Reichsaußenminister empfing aus- rung „friedlicher Vereinigung der sie ideologische Abweichungen, die ländische Prominenz in der Golde- Völker der Welt und ewiger Dauer der Goebbels unterstellte „Reichs- nen Galerie des Charlottenburger der Jugendkraft [...]". Unter dieser dramaturg" Rainer Schlosser bean- Schlosses. Die Reichsregierung bat zu Sinngebung entwarf Diem in sym- standete.91 In einer „Oase der Frei- ihrem offiziellen Empfang in der bolischer Gestaltung Stationen fro- heit" wäre ein solcher Eingriff nicht Staatsoper Unter den Linden. Goeb- hen Jugendlebens, musikalisch in- denkbar gewesen. terpretiert durch Carl Orff und Wer- bels hielt den glanzvollen Verlauf Der festliche Rahmen dieser Gala für „eine große Propa- ner Egk. Mit dem 4. Akt folgte je- 95 doch eine jähe Wendung zu tiefstem gandatat". Der Reichskriegsminister Zur Besorgnis des IOC-Präsidenten Ernst. Der Sprecher erfragte den empfing ausländische Sport- setzte Berlin mit künstlerisch gestal- „Sinn des ganzen Spiels", und ein funktionäre im Haus der Flieger. Alle teten Rahmenveranstaltungen neue Schwertertanz von Jünglingen gab Feste übertraf jedoch die von Goeb- Höhepunkte, die das gebotene Maß bels im Namen der Reichsregierung die bildhafte Antwort. Nun rief der überstiegen. In der Gewißheit poli- inszenierte Sommernacht auf der Sprecher zum „Opfertod" für das tischer Unterstützung konnte das Pfaueninsel mit 2 000 geladenen Vaterland, Schlachtreihen von Krie- Organisationskomitee es sich erlau- gern setzten sich in Bewegung, ihre ben, „die Reichsmusikkammer mit Gästen, die mit 242 663 RM zu Bu- Anführer fielen in heldischem der Durchführung des gesamten che schlug. Kampf, beklagt von Frauen. Dieses musikalischen Teiles" zu beauftra- Dieser unmäßige Aufwand veran- Finale spiegelte das Credo Carl gen.92 Bei der überaus großzügigen laßte den IOC-Präsidenten zu der Diems, der sich mit dem Soldaten- Einladung zu Festlichkeiten wußte kritischen Feststellung: tum identifizierte. Eine Elite deut- sich das Komitee „in völliger Über- „Man muß diese ungeheure Flut von scher Ausdruckstänzer, an ihrer einstimmung mit der Reichsregie- Einladungen, diese Serien rau- 93 Spitze Mary Wigman und Harald rung". Der Reigen begann mit der schender Feste, diesen Exzeß an Kreutzberg, erschütterten das Pu- musikalisch umrahmten Eröff- Propaganda und riesenhaften De- 96 blikum mit der Botschaft des Opfer- nungssitzung des IOC in der Aula monstrationen zurückdrängen."

90 Die Darstellung ist ein Extrakt des Kapitels „Olympische Jugend" in BERNETT, „Symbolik und Zeremoniell'', S. 387-390. Darin findet sich eine detaillierte Textanalyse. 91 Diem berichtet über diesen Vorgang in seiner Autobiographie Ein Leben für den Sport, S. 187. Diese Passagen sind allerdings vom herausgebenden Carl-Diem-Institut sinnwidrig verändert worden. Zu den Manipulationen des Instituts vgl. H. BERNETT, „Carl Diem und sein Werk als Gegenstand sportgeschichtlicher Forschung", in: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports 1 (1987), H. 1, S. 20-27. 92 ORGANISATIONSKOMITEE (Hrsg.), Olympiade Berlin 1936, Bd. 1, S. 563. 93 Ebenda, S. 506. 94 Das IOC beschloß, die Amtsketten dem jeweiligen Veranstalter zur Aufbewahrung zu überlassen. Daher geschah es, daß sie in Berlin nach einmaligem Gebrauch durch Bomben zerstört wurden. 95 GOEBBELS, Tagebücher, Eintragung vom 7.8.1936, S. 657. 96 TEICHLER, „Berlin 1936 - ein Sieg der NS-Propaganda?", S. 294. Im Jahre 1937 wurde diese Absichtserklärung bei der IOC-Session in Warschau bestätigt

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Der Verlauf der IV. Olympischen den Abschluß der Vorbereitungen re. In St Moritz (1928) und Lake Pla- 100 Winterspiele Bericht zu erstatten. cid (1932) kannte man nur Lang- Die Eröffnung am 6. Februar fand lauf- und Sprunglauf-Disziplinen. Das Organisationskomitee für die IV. im Flockenwirbel statt Hitler ent- Bei den Rennen am Kreuzeck und Olympischen Winterspiele war am 23. stieg mit Göring und Goebbels dem auf dem Gudiberg feierten die August 1933 gegründet worden, Regierungssonderzug, um sich in Deutschen überraschende Trium- und sein Präsident Ritter von Halt das mit 60 000 Menschen gefüllte phe: Männer und Frauen errangen hatte dem IOC in Athen und Oslo Skistadion zu begeben. Die Leitung zwei goldene und zwei silberne Me- über die Vorbereitungen berichtet, des „gewaltigsten Aufmarsches, daillen. auch über die Förderung durch die der je im Wintersport gesehen wur- Auf den langen Strecken dominier- Reichsregierung. Von den Ausga- de",101 hatte ein Offizier der Deut- ten erwartungsgemäß die Skandi- ben in Höhe von 2,6 Millionen RM schen Wehrmacht, der auch den Ein- navier und Finnen. Sie belegten übernahm das Reich 1,1 Millionen, marsch zu den Sommerspielen diri- über 18 km die ersten 9 und im 50- die vor allem für die Neubauten 102 97 gieren sollte. Das Publikum jubelte, km-Marathon die ersten 8 Plätze. In (1,25 Millionen) benötigt wurden. wenn einige Mannschaften mit der dramatischen 4 x 10-km-Staffel Die Organisatoren hatten 1935 eine erhobener Rechten an der Ehrentri- siegten sie mit der gleichen Überle- ernste Krise zu meistern, als der büne vorbeizogen. Man wußte genheit Im Spezialsprunglauf yor Kreisleiter der NSDAP die Bevölke- nicht, daß der „olympische Gruß" 130 000 Zuschauern lagen die Skan- rung aufforderte, „alles Jüdische gemeint war, der erstmals 1924 in dinavier vorne. Bei der Kombina- aus Garmisch-Partenkirchen zu ent- Paris gezeigt wurde. Als 1500 Wett- tion waren die Norweger fast unter fernen". Die Folgen waren alarmie- kämpfer aus 28 Nationen eingezo- sich. rend, und Ritter von Halt mußte in gen waren, folgte das übliche Zere- Traditionelle Strukturen bestimm- Berlin vorstellig werden, um durch moniell. Nach der Ansprache des ten auch die Leistungen im Eislauf. Hitlers Machtwort ein Scheitern der Präsidenten des Organisationskomi- Beim Schnellauf auf dem Rießersee Spiele zu verhindern.98 tees eröffnete Hitler die IV. Olympi- schen Winterspiele mit der vorgege- lag Norwegen in Front, und den Das Organisationskomitee war nicht benen Formel, auf die Baillet-Latour Kunstlauf im Eisstadion beherrsch- autonom - politische Instanzen wa- ihn mit dem Hinweis festgelegt hat- ten die Favoriten aus Österreich, ren allgegenwärtig. Auf Veranlas- te, „daß die Spiele sich frei von poli- Deutschland und Norwegen. sung des Reichsinnenministers über- tischer Propaganda" abwickeln Auf der Bobbahn, die aus Eisblök- nahm die Bayerische Politische Polizei 103 müßten. ken zusammengesetzt war, kamen die Kontrolle der ausländischen endlich die Amerikaner zum Zuge. Teilnehmer. Die Gestapo bean- Zum Glockenklang von allen Kirch- Sie teilten sich mit Schweizern und spruchte ein eigenes Gebäude, das türmen flammte das Olympische Engländern die Medaillenränge. die Schweizer Delegation bereits Feuer auf, Willy Bogner sprach den Mit einem englischen Sieg im Eis- gemietet hatte. 1 400 Männer der Olympischen Eid, Gebirgsartillerie hockeyturnier wurde Kanada nach SS-Leibstandarte „Adolf Hitler" wur- schoß Salut, und zum Ausmarsch drei Olympiasiegen in Folge ent- den eingesetzt, um den Führer und der Nationalmannschaften wurde thront Reichskanzler abzuschirmen.99 Drei Beethovens 5. Symphonie intoniert Tage vor Beginn fuhr Ritter von Abfahrtslauf und Slalom hatten in Die Schlußfeier war „ein organisa- Halt nach München, um Hitler über Garmisch ihre olympische Premie- torisches Meisterwerk".104 Nach der

97 ORGANISATIONSKOMITEE (Hrsg.), IV. Olympische Winterspiele 1936 Garmisch-Partenkirchen 6.-16. Februar. Amtlicher Bericht, Berlin 1936, S. 74. 98 BERNETT, Sportpolitik, S. 61 f. 99 ORGANISATIONSKOMITEE (Hrsg.), IV. Olympische Winterspiele 1936, S. 60. 100 H. HARSTER / P. v. LE FORT (Hrsg.), Kampfund Sieg in Schnee und Eis. Winterolympiade 1936, München 1937, S. 8. 101 Ebenda, S. 18. 102 Ebenda, S. 14. Das Kommando hatte Major Feuchtinger. 103 BERNETT, Sportpolitik, S. 64.

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Siegerehrung erklärte der IOC-Prä- Währenddessen kreuzte das Luft- ließ 25 000 Tauben aufsteigen.108 sident die IV. Olympischen Winter- schiff „Hindenburg" über dem Fanfarenbläser der Wehrmacht lei- spiele für beendet. Die Flagge wurde Reichssportfeld. Zu den Klängen von teten die Olympische Hymne ein, von eingeholt, und das Feuer erlosch. Richard Wagners Huldigungs- 3 000 Sängern dargeboten, von Ri- Sechs Läufer brachten die olympi- marsch betrat der Schirmherr der chard Strauß dirigiert. Ein nach sche Fahne über die Aufsprung- Spiele mit dem IOC durch das Ma- dem nordischen Erscheinungsbild bahn der kleinen Schanze mit Fak- rathontor das Stadion. „Begrü- ausgewählter Läufer trug die Fackel keln zu Tal. Das war der Auftakt ßungsstürme" empfingen ihn, und ins Stadion, um das Olympische Feu- zum Finale mit Feuerwerk und die Tochter des Generalsekretärs er am Marathontor zu entzünden. Scheinwerfer-„Dom". Hitler stand überreichte ihm Blumen mit den Rudolf Ismayr, Olympiasieger von auf dem Ehrenbalkon, stolz auf Worten „Heil, mein Führer!" Die 1932, leistete den Olympischen Eid. „sein Deutschland", das „unter sei- Olympische Glocke ertönte, und Ma- Nach dem „Hallelujah" aus Hän- ner Führung die Olympischen Win- rinesoldaten hißten die Flaggen. dels Messias begann der Ausmarsch terspiele beendet und zu einem rest- Beim Einzug der Mannschaften tru- der 7000, und Hitler verließ zu den losen, grandiosen Erfolg gebracht gen Schüler Nationalpolitischer Erzie- Klängen der Schlußfanfare pünkt- 106 hatte". hungsanstalten die Namensschilder lich um 18.16 Uhr das Stadion.109 voran. Die Sportler grüßten auf un- Der Verlauf der Olympischen terschiedliche Weise, viele mit dem Leichtathletik Sommerspiele 1936 sogenannten „Olympischen Gruß", Das war Schauplatz mit dem nach oben rechts gestreck- der Leichtathletik-Wettbewerbe. In Die Eröffnungsfeier ten Arm. Als die Franzosen vor der den bisherigen Spielen hatte Die Eröffnung am 1. August war Ehrentribüne diesen Gruß erwie- Deutschland bislang nur eine Gold- das spektakulärste Ereignis der sen, jubelte die Menge in der An- medaille erringen können. In Berlin Spiele. Generalsekretär Diem hatte nahme, der einstige Erzfeind huldi- wuchsen einige Athleten „unter den ge dem „Dritten Reich".107 Einem Augen des Führers weit über sich dafür einen Minutenplan ausgear- 110 beitet und die exakte Durchführung Sinnspruch Coubertins, durch Laut- hinaus" , insbesondere in den einem Major des Heeres anvertraut sprecher im Originalton übertra- technischen Disziplinen mit 3 Sie- Hitlers umjubelte Anfahrt über die gen, folgte die Ansprache Lewalds, gen der Männer und 2 Siegen der Ost-West-Achse wurde als „olympi- die sich in bezeichnender Weise an Frauen. Die Amerikaner gewannen sche Triumphfahrt" interpretiert den „Führer" richtete. Indem dieser 14 von 29 Wettbewerben. Ihre Seine erste Handlung vollzog sich dann die Spiele „als eröffnet" er- drückende Überlegenheit verdank- in der Stille: ein Augenblick des Ge- klärte, unterlief ihm ein Austriazis- ten sie auch schwarzen Athleten, denkens in der Langemarck-Halle des mus. Kein Repräsentant des Sports, vor allem Jesse Owens. Während Glockenturms.106 Auf dem Maifeld sondern Major Feuchtinger gab das das Publikum keine rassistischen hatten sich die Mannschaften von Kommando zum Hissen der Olym- Vorbehalte kannte, bemerkte Goeb- 50 Nationen aufgestellt, um für Hit- pischen Fahne. Artillerie schoß Salut, bels in seinem Tagebuch: „Das ist ei- ler und das IOC Spalier zu bilden. und die Heeresbrieftaubenanstalt ne Schande. Die weiße Menschheit

104 H. HARSTER/P. v. LE FORT (Hrsg.), Kampf und Sieg, S. 86. 105 Ebenda, S. 87. Der Verfasser, H. Harster, war Pressechef des Organisationskomitees. 106 Zur kultischen Funktion der Langemarckhalle vgl. H. BERNETT, „Der Sturmangriff bei Langemarck - ein Mythos der Nation und ein Symbol der Turn- und Sportführung", in: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports 3 (1989), H. 3, S. 14 f. 107 Diese irrige Annahme findet sich in vielen neueren Publikationen, zuletzt bei W. KNECHT in W. KNECHT / K. A. SCHERER, 100 Jahre Olympische Spiele, Band 2, München 1992(?), S. 79. 108 Zur Organisation des Taubenflugs: ORGANISATIONSKOMITEE (Hrsg.), XI. Olympiade Berlin 1936, Bd. 1, & 283. Zum Symbolgehalt vgl. BERNETT, „Symbolik und Zeremoniell", S. 374 f. 109 Der Beschreibung im Amtlichen Bericht des Organisationskomitees folgt der Abdruck des „Minutenprogramms": Bd. 1, S. 566-576. 110 E. MINDT (Hrsg.), Olympia 1936. Die XI. Olympischen Spiele Berlin und die IV. Olympischen Winterspiele Garmisch-Partenkir- chen, Berlin 1936, S. 37.

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18 müßte sich schämen."111 Irritierend konnte die deutsche Turnkunst zum Moderner Fünfkampf war die Anwesenheit Hitlers, der ersten und letzten Mal ihre Füh- Die von Coubertin eingeführte Viel- das olympische Reglement nicht rungsposition darstellen. Der er- kannte und den Fehler beging, Sie- folgreichste Einzelturner wurde seitigkeitsprüfung hatte die Wehr- ger in der Ehrenloge zu beglück- vom Feldwebel zum Leutnant be- macht organisiert. Als mit der 300- wünschen.112 Daß er seine persönli- fördert. m-Konkurrenz das Schwimmsta- che Gunst zwei Athletinnen zuge- dion freigegeben wurde, war Hitler wandt haben soll, gehört in das Res- Schwerathletik und Boxen zugegen. Olympiasieger wurde ein 113 sort von Boulevard-Reportern. In der neuerbauten Oberleutnant der Luftwaffe, den Schwimmen an der Avus eröffneten die Gewicht- Göring daraufhin zum Hauptmann heber die Konkurrenzen der beförderte.114 Die Wettkämpfe im Schwimmsta- Schwerathleten. Es folgten die dion, das March unmittelbar neben Ringkämpfe, zu denen nicht weni- Reiter-Wettkämpfe dem Olympiastadion errichtet hat- ger als 43 Nationen Teilnehmer ge- Bei den Reiter-Wettkämpfen, an de- te, standen im Zeichen neuer Rekor- meldet hatten. Zur deutschen Ver- nen sich 21 Nationen beteiligten, de. Der in Los Angeles begonnene tretung gehörte der Berliner Werner Aufstieg des japanischen Seelenbinder, der 1944 als kommu- waren deutsche Offiziere außeror- Schwimmsports setzte sich fort, nistischer Widerstandskämpfer dentlich erfolgreich. Sie gewannen und es kam zu einem „Dreikampf" hingerichtet wurde. alle Einzel- und Mannschaftswett- zwischen den USA, Japan und Hol- bewerbe: das Dressurreiten, die land. Die Deutschen erkämpften 4 Besonders erfolgreich war die deut- Vielseitigkeitsprüfung (Military) Silber- und 3 Bronzemedaillen. sche Boxstaffel, die zweimal Gold, und das Große Jagdspringen. Der zweimal Silber und einmal Bronze Sieg im „Preis der Nationen" war Turnen errang. Obgleich Hitler den „An- der sportliche Höhepunkt des letz- Im Gerätturnen auf der Freilicht- griffsgeist" des Boxens zu schätzen ten olympischen Tages. Von der Öf- wußte, erschien zu den Kämpfen bühne konkurrierten 14 Mann- fentlichkeit unbemerkt, wurde die keine Parteiprominenz. schaften vor je 20 000 fachkundigen spanische Offiziersmannschaft we- Zuschauern, aber die traditionsrei- gen des Bürgerkrieges vorzeitig zu- chen europäischen Turn-Nationen Fechten 115 waren eine Klasse für sich. Die rückgerufen. Deutsche Turnerschaft hatte lange ab- Bei dem zeitraubenden Fechttur- Radrennen seits gestanden und sich erst 1934 nier im Kuppelsaal des neu errichte- dem Internationalen Turnverband an- ten Hauses des deutschen Sports sah In Berlin war die internationale Eli- geschlossen. Nach spannendem man nur fachkundiges Publikum. te der Amateure am Start. Den Flie- Endkampf siegte Deutschland vor Unter den teilnehmenden 31 Län- gern stand eine hölzerne Behelfs- der Schweiz. Bei den Frauen, die dern dominierten die klassischen bahn am Funkturm zur Verfügung. nur als Mannschaft gewertet wur- Fechtnationen Italien, Ungarn und In die Straßenrennen hatte man die den und auch eine Gemeinschafts- Frankreich. Die bemerkenswerten übung vorzuführen hatten, gewan- Erfolge jüdischer Fechterinnen Avus mit ihren Tribünen einbezo- nen die Deutschen vor der Tsche- wurden in der Öffentlichkeit nicht gen. Die Deutschen gewannen zwei choslowakei. Mit 6 Goldmedaillen reflektiert der fünf Wettbewerbe.

111 GOEBBELS, Tagebücher, Eintragung vom 5.8.1936, S. 655. 112 Es trifft nicht zu, daß Hitler Jesse Owens nicht beglückwünscht haben soll, „nur weil er Neger war" (K. A. SCHERER, 75 Olympische Jahre, München o. J., S. 85); vielmehr ist Hitler vom IOC ausdrücklich um Zurückhaltung gebeten worden. 113 Dafür gibt es nur unsichere Belege bei J. M.-M., „Gisela, das Hitlerkind", in: Die Zeit 21 (1966) Nr. ??, ??. ??. und R. PARIENTÉ, La fabuleuse Histoire de l'Athléisme, Paris 1978, S. 1031 f. 114 MINDT (Hrsg.), Olympia 1936, S. 179. 115 ORGANISATIONSKOMITEE (Hrsg.), XI. Olympiade Berlin 1936, Bd. 2, S. 877.

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Rudern Tennisplätzen des Reichssportfeldes, überlieferten Zeremoniell. Hitler interessierten sich nur einige Hun- Die neue strömungsfreie Regatta- wurde wie an den Vortagen außer dert Neugierige. Dagegen weckte strecke auf dem Langensee bei Grü- halb des Stadions von seiner SS- das in Deutschland entwickelte nau war in jeder Beziehung vorbild- Leibstandarte in Empfang genom Feldhandballspiel die Begeisterung lich. Eine Staffel von Jugendlichen men und von deren Kommandeur der Massen. In der Endrunde, aus brachte das Olympische Feuer vom ins Innere geleitet Nachdem die der die Deutschen als Sieger hervor- Reichssportfeld nach Grünau. Kanu- Reiter-Equipe im Jagdspringen die gingen, war das Olympiastadion ge- Wettbewerbe hatten hier ihre olym- letzte Goldmedaille für Deutsch füllt. Für das Poloturnier hatte man pische Premiere. Daß deutsche Ru- land gewonnen hatte, brach die derer 6 von 7 Konkurrenzen gewan- unter Zeitdruck die Rasendecke der Grunewald-Rennbahn abgestochen, Dunkelheit herein, und unter dem nen, während die Engländer ent- Strahlenbündel der Flak-Schein täuschten, war eine große Überra- um das Maifeld damit zu belegen. werfer zogen die Fahnenträger der schung. Hitler würdigte sie durch Zum hochklassigen Endspiel zwi- Nationen durch das Marathontor.117 seine Anwesenheit. So wurden die schen Argentinien und England ka- Ruderer hinter den Reitern und Tur- men 50 000 Zuschauer. In dem pro- Graf Baillet-Latour dankte den nern die erfolgreichsten deutschen visorisch errichteten Hockey-Sta- Deutschen und ihrem Führer und Olympiateilnehmer, dion auf dem Reichssportfeld domi- rief die „Jugend der Welt" für 1940 nierten erwartungsgemäß die Inder, nach Tokyo. Ein Chor stimmte Beet Segelregatta die Deutschland im Endspiel mit 8:1 hovens „Opferlied" an, und die Na Auf der Kieler Förde leuchtete das abfertigten. Im Fußballturnier, das tionalfahnen senkten sich, um mit Olympische Feuer vom Mast einer hi- Italien vor Österreich gewann, gab Erinnerungszeichen geschmückt zu storischen Hansekogge. In Zusam- es eine Enttäuschung: zum Ärger werden. Auf Kommando von Major Hitlers, der das Poststadion in der menarbeit mit der Kriegsmarine Feuchtinger, der wiederum für das Halbzeit verließ, verlor Deutschland wurden 7 Wettfahrten in 4 Boots- Programm verantwortlich war, in der Zwischenrunde gegen klassen durchgeführt. Ein umstrit- wurde die Olympische Fahne nieder Norwegen. Dennoch war das tenes Punktsystem und zahlreiche geholt Beim Klang der Glocke er Proteste wegen Behinderung trüb- Olympia-Stadion in der Endrunde losch das Olympische Feuer. Aus den ten den Gesamteindruck. Zu den ausverkauft Leider war auch ein Schlußkämpfen reiste Hitler mit sei- Skandal zu verzeichnen. Nach ei- Händen des Bürgermeisters von nen Ministern und dem IOC nach nem handfesten Streit mußte das Los Angeles übernahm der Staats Kiel. Spiel Peru gegen Österreich ein kommissar und Oberbürgermeister zweites Mal angesetzt werden. Da von Berlin, in SA-Uniform geklei Sportspiele Peru dazu nicht antrat, wurde die det, die Olympische Fahne in vierjäh Die fünf Ballspiel-Turniere waren österreichische Mannschaft zum • rige Verwahrung. Die Feier endete 116 von extrem unterschiedlicher An- Sieger erklärt mit dem Absingen des Deutschland- ziehungskraft Diese Spannweite Die Schlußfeier und Horst-Wessel-Liedes, die seit zeigte sich auch bei den beiden 1933 gemeinsam die Nationalhym olympischen Premieren. Für das in Die im Vergleich mit der Eröffnung ne des Deutschen Reiches bildeten wesentlich schlichtere Schlußfeier Deutschland noch unbekannte Bas- und deshalb im Olympischen folgte in ihren Grundlinien dem ketballspiel, ausgetragen auf den Protokoll Platz fanden.118 '.','.

116 ORGANISATIONSKOMITEE (Hrsg.), XI. Olympiade Berlin 1936, Bd. 2 S. 1048 f. 117 Der Träger der Hakenkreuzfahne erklärte später, vom Reichssportführer den „dienstlichen Befehl" erhalten zu haben. 118 Der vorstehende Oberblick des Verlaufs der Sommerspiele berücksichtigt die beiden Berichtsbände, hrsg. vom ORGANI SATIONSKOMITEE und von E. MINDT. Weniger brauchbar ist die dem Amtlichen Bericht folgende Darstellung G. v. MENGDENS, die einige gravierende Fehler enthält, z.B. die falsche Datierung des Spanischen Bürgerkrieges auf 1931 (S. 167), der angebliche Besuch Baillet-Latours bei Hitler 1933 (S. 169), die vermeintliche Finanzierung der Ausgrabungen in Olympia aus Überschüssen des Organisationskomitees (S. 172). Vgl. v. MENGDEN, »Geschichte der Olympischen Sommer spiele". A. METZNER hat seinerzeit eine „Überfülle von Fehlern" registriert und von „Schlamperei" und „Schludrigkeit"

\DOI\NS-1 .WS, Autorenkorr. ok, G. Sp. 31.1.1994

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Das Publikum drücke wiedergegeben werden. Das eines „ideologischen Zwanges" Quellenmaterial besteht aus schrift- 125 Das Berliner Publikum hatte im all- weit von sich, obgleich sie als lichen Befragungen, privaten Kor- gemeinen eine sehr gute Presse. Es DRL-Funktionärin aktiv an der In- respondenzen und Interviews war begeisterungsfähig, bemer- doktrination beteiligt war. 1935 hat- durch Journalisten. Gegenüberstel- kenswert sachkundig und - wie die te sie die nationalsozialistische Er- lung früherer Äußerungen soll Ovationen für Jesse Owens zeig- ziehung zur „Wehrhaftigkeit" der nicht etwa Unaufrichtigkeit, son- ten — auch vorurteilsfrei Sprach- Frau mit dem Argument begründet, dern innere Widersprüchlichkeit chöre, die Göring und Goebbels daß „nur von wehrhaften Müttern dokumentieren. nicht schonten, ließen sogar Humor wehrhafte Söhne kommen kön- 126 erkennen: eine in Stadien unge- Olympiasieger Gerhard Stock berief nen". Und bei der Reichstags- wöhnliche Stimmung. Die Lautstär- sich auf den Zehnkampf-Weltre- wahl im März 1936 hatte sie - wie ke war beträchtlich, wurde aber von kordmann Hans Heinz Sievert, der Gerhard Stock - an Deutschlands dirigierten ausländischen Besucher- am Stil der intendierten Olympia- Sportler appelliert, ihre Stimme gruppen häufig noch übertroffen. trainings Kritik geübt und öffent- dem Führer zu geben.127 In einem „Heil"-Rufe zur täglichen Begrü- lich erklärt hatte, „daß man über Schriftwechsel mit dem Verfasser ßung Hitlers hielten sich im Rah- Flaggenparaden und Marschlieder- beharrte Gisela Mauermeyer auf men einer Pflichtübung.119 gesang nicht ins Olympiastadion der Auslegung, es als „Ehre" emp- 121 Ungünstige Urteile in der Aus- einziehen könne". Offenbar war funden zu haben, daß sie ihr „Vater- 128 landspresse waren überwiegend es ihm nicht mehr gegenwärtig, daß land" sportlich vertreten durfte. Polemik, z.B. die Attacke des fran- er 1936 an der Spitze einer im Daß die Idee des Vaterlandes von zösischen Blattes „L'Auto" gegen Gleichschritt marschierenden, sin- den Nationalsozialisten korrum- das Zuschauerverhalten bei den Er- genden Kolonne von Leichtathleten piert worden war, wollte sie als Ein- folgen der deutschen Reiter am letz- zum Abschlußtraining in das Sta- wand nicht gelten lassen. dion eingezogen war.122 Stock be- ten Tag der Spiele: „Die deutsche, Typisch erscheint die Aussage des stritt auf Befragen jede Art von vom Siege trunkene Menge trat die 123 Diskuswerfers Gerhard Hilbrecht, „ideologischem Zwang", aber elementarsten Regeln der Höflich- der in der schon erwähnten Umfra- 120 keit mit Füßen!" 1936 brachte er seine eigene Fixie- 129 rung auf Hitler demonstrativ zum ge festgestellt hatte, „daß sehr viele von uns in ihrer eigenen klei- Olympia in der Erinnerung der Ausdruck, indem er nach dem Sie- geswurf Front zur Führerloge nen Welt des Sports lebten und un- Athleten 130 machte und in strammer Haltung behindert leben durften." Hatte Da die Erinnerungen der deutschen den „Deutschen Gruß" erwies.124 er nicht die Erfahrung gemacht, daß Olympiateilnehmer noch nicht sy- der Nationalsozialismus den Eigen- stematisch recherchiert worden Olympiasiegerin Gisela Mauermey- weltcharakter des Sports radikal sind, können nur vereinzelte Ein- er wies gleichfalls die Unterstellung verneinte?

gesprochen. In: Die Zeit 26 (1971), Nr. 49, 3. Dezember. 119 Nach der persönlichen Erinnerung des Verfassers. 120 Die Olympiade Berlin 1936 im Spiegel der ausländischen Presse, S. 26 [Exemplar in der Zentralbibliothek der Deutschen Sporthochschule Köln]. 121 Schreiben vom-7.11.1967 an einen Seminarteilnehmer des Verfassers. 122 Fotografische Abbildung in: BERNETT, Leichtathletik in historischen Bilddokumenten, S. 206. 123 Schreiben vom 7.11.1967 an einen Seminarteilnehmer des Verfassers. 124 Dokumentiert in „Fest der Völker", dem 1. Teil des Olympiafilms von Leni Riefenstahl. 125 Schreiben vom 12.11.1967 an einen Seminarteilnehmer des Verfassers. 126 G. MAUERMEYER, „Pflichtturnjahr für Turnerinnen", in: Deutsche Turnzeitung 80 (1935), Beilage 'Die Turnerin', Nr. 6, 3. Juni. 127 DRL-Pressedienst, Amtlicher Dienst, 19.3.1936. 128 Schreiben vom 4.9.1985. 129 Siehe oben S. ###. 130 Schreiben an den Verf. vom 21.6.1988.

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Der ZDF-Film Wollt ihr den totalen stärker beeindruckte als die Spiele worden."140 Das von Voigt öffent- Sieg?131 dokumentiert auch die Er- in München 1972.135 lich deklamierte Gelöbnis, von allen innerungsarbeit der Olympia-Ath- Differenzierter war die Einstellung deutschen Rundfunksendern über- leten. Maxi Herber, Olympiasiege- des Diskuswerfers Hans tragen, und die Unterschrift Gretel rin im Paarlauf, hatte 1936 einen Fritsch, den Tschammer zum Fah- Bergmanns stehen dieser Aussage Aufruf zur Reichstagswahl unter- nenträger der Mannschaft bestimmt entgegen. schrieben, in dem es hieß: hatte. Er machte sich Gedanken Wenn den zitierten Äußerungen re „Ich bin ein 15 1/2 jähriges Mäd- über die ideologische Funktion der präsentative Bedeutung zukommt, chen, aber ich glaube felsenfest, Langemarck-Halle, die Hitler, wie er ist daraus zu schließen, daß die Ath Adolf Hitler, unser Führer, ist uns meinte, bewußt „ins Gelände des leten weder damals noch heute ihre 132 von Gott gesandt (...)". olympischen Friedens eingebaut" politische Funktionalisierung Dagegen erklärte sie im gefilmten habe.136 durchdacht haben. Ein Ereignis des Interview: Olympiajahres hätte ihnen die Au- „Ich war also so desinteressiert mit Von auffallender Widersprüchlich- gen öffnen müssen, aber man hat es meinen jungen Jahren, also von mir keit sind die Erinnerungen an das durch Verschweigen aus der Erin- hätte Marx oder Engels oder der Zeremoniell der „Olympischen Ver- nerung getilgt. Der Reichssportführer 137 Kaiser von China oder Adolf Hitler pflichtung" in der Berliner Oper. hatte den olympischen Lorbeer auf am Ruder sein können." Harry Voigt, Mitglied der 4x400-m- dem „Altar der nationalsozialisti- Auf Nachfrage war Maxi Herber al- Staffel, versicherte auf Anfrage: schen Bewegung" zum Opfer dar- lerdings bereit, den „Fehler" einzu- „Den Eid habe ich nur vorgespro- gebracht, und die NSDAP nahm räumen, sich damals „mit diesem chen, niemand hat außer mir den das Opfer dankbar an, indem sie die 133 Regime identifiziert" zu haben. Text je gesehen, geschweige ihn un- Olympiakämpfer 1936 zu ihrem terschrieben."138 Diese Erklärungen Ein bleibender Eindruck der V. Reichsparteitag nach Nürnberg beor- stehen jedoch im strikten Wider- Olympischen Winterspiele war für derte. Dort bildeten sie einen spruch zu der Tatsache, daß sogar Ernst Baier, Sieger im Paarlauf mit „Olympischen Block", der sich in Gretel Bergmann, die als Jüdin ganz Maxi Herber, die Einladung zu ei- Olympiakleidung unter Tscham- am Rande stand, den Verpflich- nem Essen, wo die Sportler ein mers Führung an die Spitze der Par- tungsschein eigenhändig unter- Frühstück „mit Kaviar und mit al- teiformationen setzte. „Wir mar- schrieben hat.139 Angesprochen auf len Schikanen" genossen, während schierten", so berichtet ein Teilneh- die im Formular festgeschriebene Hitler seine bescheidene „Rohkost" mer, „als erster Marschblock vor 134 strenge „Schweigepflicht", erwider- verzehrte. den uniformierten Einheiten an te Harry Voigt: „Von Geheimhal- Adolf Hitler vorbei."141 Noch vordergründiger wirkt die Er- tung irgendwelcher Art war mir innerung des österreichischen Olym- nichts bekannt." „Ich betone noch Daß man diese Vorführung (im piasiegers G. Radetzky an den Ber- einmal: Von Geheimhaltung ist uns doppelten Sinn des Wortes) mit ei- liner „Olympiataumel", der ihn Athleten niemals etwas bekannt ge- nem Tabu belegt hat, deutet darauf

131 „Wollt ihr den totalen Sieg?" Der Sport im Dritten Reich. ZDF-Matinee von Hans-Jürgen USKO, 11.4.1981,1030-12.00 Uhr. 132 DRL-Pressedienst, Amtlicher Dienst, 19.3.1936. 133 „ Wollt ihr den totalen Sieg? ", Film-Manuskript S. 16, 46. 134 „Wollt ihr den totalen Sieg? ", Film-Manuskript S. 16. 135 „Wollt ihr den totalen Sieg?", Film-Manuskript S. 28. 136 „ Wollt ihr den totalen Sieg? ", Film-Manuskript S. 20. 137 Siehe oben S. ###. 138 Harry Voigt, Schreiben an den Verf. vom 28.4.1986. 139 „Meine Verpflichtung!" Ausgegeben am 8.2.1935, unterschrieben von Gretel Bergmann, Ameisenburgstr. 67, Stuttgart-O. Kopie im Besitz des Verf. 140 Harry Voigt, Schreiben an den Verf. vom 28.4.1986. 141 Mitteilung von Heinz Amend (Solingen) an den Verf. vom 15. 2. 1986. Außerdem zeigten 60 Olympiakämpfer ihr sportliches Können bei einem „Schaukampf (MAUERMEYER), einer „Parade des deutschen Sports" vor 100 000 Zuschauern. Völkischer Beobachter 1936, Nr. 258 vom 14. September.

22 hin, daß die Erinnerungsarbeit der IOC den Kurswechsel zur Kenntnis Die Olympischen Spiele 1936 im Olympiakämpfer fragmentarisch genommen hat. Es hatte sich nie Spiegel der Auslandspresse geblieben ist. durch politische Sensibilität ausge- Das von den gleichgeschalteten Die politische Bilanz zeichnet und stets pragmatische Lö- deutschen Medien suggerierte Bild sungen angestrebt Das IOC hatte einer einhellig begeisterten Aus- „Es war deutsches Olympia", hieß sich auf die Fiktion der Unberühr- landspresse149 bestimmt auch heute es am Schluß des Berichtsbandes 142 barkeit festgelegt und beharrte auf noch das kollektive Gedächtnis der des Reichssportverlages. Wah- Zeitgenossen. Dabei hat es an kriti- rend Deutschland aus Los Angeles seiner Exklusivität. Es unterschätz- te die Omnipotenz der nationalso- schen Stimmen in der seriösen Aus- unter den Schmähungen Rechtsra- landspresse nicht gefehlt Selbst dikaler nur 4 Goldmedaillen nach zialistischen Diktatur und begnügte wenn man in Rechnung stellt, daß Hause gebracht und in der Natio- sich bei den Verhandlungen mit den die Rezeption der Berliner Spiele im nenwertung nur den 6. Platz belegt deutschen Kollegen mit dem spannungsreichen Jahr 1936 von hatte, feierte man am 16. August Axiom, daß es seine Pflicht sei, „de den jeweiligen außen- und innen- 1936 einen unerwarteten Enderfolg: politischen Positionen nicht unbe- Mit 33 Gold-, 26 Silber- und 30 Bron- veiller à ce que le Sport reste en de- hors de toute question politique".145 einflußt bleiben konnte, überrascht zemedaillen rangierte Deutschland der kritische Tenor vieler Gesamt- Der IOC-Präsident hatte eine Be- vor den USA. würdigungen in der Presse des neu- Doch man wußte um die starke po- schwichtigungspolitik verfolgt, tralen Auslandes. litische Schubkraft und überhöhte konnte jedoch die den Olympismus sie propagandistisch. Der Haupt- verfälschenden Tendenzen nicht Die Kritik der kleineren Nationen schriftleiter der Olympia-Zeitung übersehen. Er stellte sie 1937 in War- setzte dabei nicht nur an der neuen fragte zum Schluß rhetorisch: Dimension des Pomps und des Gi- „Müssen wir sagen, daß der große schau zur Diskussion. Dort erörterte gantismus der Spiele an, sondern an Sieger der Olympischen Weltspiele man die aktuelle Frage der „na- der offenkundigen politischen In- Adolf Hitler heißt?"143 tionalisation des Sports dans un but strumentalisierung des Sports 146 Der Reichssportführer rief noch ein- politique" bzw. der „nationalisa- durch den Gastgeber, die als Wider- mal den Deutschen Olympischen Aus- tion of the Sport as to be used politi- spruch zum Gedanken des Sports schuß zusammen und bekannte fei- cally".147 Man kam zu keinem Er- und zum Geist des Olympismus ge- brandmarkt wurde. Was in Berlin erlich, gebnis und artikulierte 1938 in Kai- geschah, werteten die liberalen Ba- „daß wir den olympischen Lorbeer, ro abermals die wachsende Besorg- den wir für Deutschland erringen seler Nachrichten als „Rekordsüch- konnten, am Altar der nationalso- nis gegenüber telei, nationalistisch befohlener und zialistischen Bewegung niederle „une exaltation nationale des suc- in Szene gesetzter Sportzwang". 144 gen wollen {...]" ces remportés plutot que la réalisa- Der Sporterfolg des Gastgebers So war die deutsche Olympische tion de l'objectif commun et concor- wurde vor allem in der schweizeri- Bewegung völlig aus den Gleisen dant, qui est la loi essentielle de schen Presse als Produkt eines „dik- gelaufen, und man fragt sich, ob das l'Olympisme".148 tatorisch hochgekommenen Sports,

142 W. F. KÖNTTZER, Olympia 1936, Berlin 1936, S. 165. 143 F. KRÜGER in: Olympia-Zeitung. Offizielles Organ der XI. Olympischen Spiele Berlin, Nr. 30, 19.8.1936, S. 610. 144 „Bewährung, Dank und Ausblick", in: Reichssportblatt 3 (1936), S. 1706. 145 3. IOC-Session in Athen 1934, Sitzung am 19. Mai. Wortprotokoll, IOC-Archiv Lausanne. 146 6. IOC-Session in Warschau, 7.-12.6.1937, Sitzung am 9. Juni Wortprotokoll, IOC-Archiv Lausanne. 147 Ebenda, englische Kurzfassung von W. LYBERG, The IOC-Sessions, Vol. I (1894-1954). 148 37. IOC-Session in Kairo, 13.-18.3.1938. Sitzung am 17. März. Wortprotokoll, IOC-Archiv Lausanne. 149 Das Archiv 1936, S. 741ff: „Trotz einer maßlosen Hetze marxistischer und jüdischer Blatter in aller Welt schon vor Beginn der Olympischen Spiele fanden die Veranstaltungen der Berliner Olympiade einen starken Widerhall in der ausländischen Presse, wobei fast einstimmig die nicht mehr zu übertreffende Organisation und Durchführung der Spiele, die Schönheit und Zweckmäßigkeit der Bauten auf dem Reichssportfeld und der deutsche sportliche Erfolg hervorgehoben wurden".

23 den nicht Einzelne aus Bedürfnis rung und Jugendmobilisierung auf sportlichen hellenistischen At- 156 betreiben, sondern den ein ganzes Frankreich forderte, schlossen sich mosphäre zurückkommen". Volk auszuüben gezwungen ist"150, die auflagenstarken Blätter L'Auto Diese Kritik traf die Organisatoren kritisiert. Allgemeinere sportkriti- und Paris Soir nach anfänglich posi- stärker als die zurückhaltende Be- sche Überlegungen stellte das kon- tiver Berichterstattung der kri- richterstattung in Großbritannien157 servative Berner Tageblatt in den Vor- tischen Tendenz der Linkspresse an und die Kritik in den USA, wo das dergrund seines Resümees: und übertrafen diese an Polemik Urteil „The greatest propaganda „Der Sport wird nicht mehr um sei- und Schärfe: stunt in history" (New York Times)158 netwillen betrieben, sondern er ist „Zu oft haben wir das "Deutschland bei vielen Blättern nach der erbitter- Mittel zum Zweck. Eitelkeit, Ehre, über alles /und das 'Hitlerlied' brül- ten Boykott-Diskussion schon von soziale Stellung und falscher Natio- len hören, nicht mehr der Sportler vornherein feststand. nalstolz sind die treibenden Fakto- wurde gefeiert, sondern die ganze ren, was dem olympischen Gedan- 151 Nation, der Sieg der Rasse, der Re- ken jedenfalls zuwidersteht". gierung, des Heeres! {...] Keine Na- Generell ist festzustellen, daß vieles, Während die bürgerliche Presse der tion soll sich mehr der Spiele bedie- was die NS-Propagandisten mit kleineren Länder, z.B. Schwedens, nen dürfen, um sein Volk zu fanati- Stolz erfüllte, im Ausland mit kriti- durch die Vorherrschaft der Sport- sieren und um zu versuchen, den schen, teils sogar ängstlichen Au- Ausländer zu demütigen!"153 großmächte einen Verlust an olym- gen gesehen wurde Besonders galt pischer Motivation befürchtete, sti- Als allerdings das Sportblatt L'Auto dies für die politische Hauptperson lisierte die Presse des faschistischen die kritische Nachbetrachtung mit der Spiele, Adolf Hitler. So notierte Italiens „die Olympischen Spiele zum einem Artikel ihres Herausgebers der Berichterstatter von La Métropo- Lebensbarometer der Völker".152 Jacques Goddet unter der Zola- le (Antwerpen) als wichtigsten Gazetta dello Sport (19. 8. 1936) Schlagzeile „J'accuse"154 auf die Olympia-Eindruck: brachte dieses faschistische Sport- Spitze trieb, griff sogar der Wieder- verständnis auf folgende Kurz- begründer der modernen Olympi- „[...] die Begeisterung und der abso- formel: schen Spiele zugunsten der Berliner lute Glaube (des deutschen Publi- kums) in seinen neuen Gott, den „Einzelne Rassen und Nationen Organisatoren in die Diskussion 155 Führer. Diese Begeisterung, deren sind in ihren Leistungen bei den ein. Coubertin stand damit aller- Ausmaße jeder Olympiagast erle- Weltspielen im Aufstieg begriffen, dings im Widerspruch zum amtie- ben konnte, sei unglaublich, ver- während andere, wie England und renden Präsidenten des IOC, der be- rückt, fanatisch. Der Führer könne Frankreich, auf dem Wege der De- klagte, daß mit der großartigen Auf- mit seinem Volke, das ihn nicht nur kadenz sind. Es sind die jungen achte, sondern auch wie ein höheres Volker, die vormarschieren." machung der Sport dem Zeremoni- Wesen, wie eine Gottheit verehre, Während sich die französische ell geopfert wurde wie mit einer willenlosen Maschine Rechtspresse diesem Urteil an- verfahren. In Berlin habe man gese- „Schluß mit diesen Festen, ewigen hen, daß Deutschland für alle Auf- schloß und eine Übertragung des Empfangen und Kundgebungen. gaben, die seine Leiter stellen wer- deutschen Modells der Sportförde- [...] Wir müssen zur klassischen den, bereit sei".159

150 Baseler Nachrichten vom 17.8.1936/BA R 55/1054. 151 Berner Tageblatt / BA R 55/1054. 152 La Tribuna / BA R55/1054 und BA NSD 34/5. 153 Siehe Bénac in Paris Soir vom 20.8.1936. Siehe Auslandspressebericht der Pressestelle des Reichssportführers, Nr. 12 v. 21. 8. 1936. BA NSD 34/5. Die RMfVuP-Version schreibt diesen Artikel L'Auto zu. Vgl. BA R 55/1054. Frankreich, 26. 154 VgL BA R55/1054; Frankreich, 29. 155 Vgl. TEICHLER 1982 [##????##], S. 18-55, 35ff. 156 Siehe Auslandspressebericht der Pressestelle des Reichssportführers, Nr. 10 vom 20. 8.1936, S. 1f.. Siehe ebenfalls BA R55/1054; Frankreich, 28. 157 Bellers registriert zwar auch für Großbritannien überwiegend positive Berichte, übersieht aber den auffeilend geringen Umfang. Vgl. HJ. BELLERS, „Presse-Berichterstattung, außenpolitische Konstellation und Olympische Spiele 1936", in: Ders. (Hrsg.): Die Olympiade Berlin 1936 im Spiegel der ausländischen Presse, Münster 1986, S. 267-287. 158 Siehe BA R 55/1054; USA, 6. Über das Presseecho in den USA informiert ausführlich KRÜGER, Die Olympischen Spiele, S. 206ff. 159 Siehe Auslandspressebericht der Pressestelle des Reichssportführers, Nr. 22 vom 22.8.1936, 8.

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Das Unverständnis des Auslandes wöhnlichen Maßnahme und bat ei- bissener Härte stilisiert Großauf- für diese Begeisterung und die da- nen Regisseur um Mitarbeit, der po- nahmen vergegenwärtigen Hinga- bei mitschwingenden Ängste wur- litisch belastet war: Carl Junghans be und Opfersinn. Bei den Bobren- den in der für Hitler ausgefertigten hatte in Moskau Propagandafilme nen erreicht die Erregung ihren Hö- Zusammenstellung des Presseechos produziert und war in Deutschland hepunkt, indem Sturz an Sturz ge- allerdings nicht berücksichtigt.160 durch „Proletarierfilme" bekannt reiht wird. Der Reichssportführer Die geschönte Darstellung des Aus- geworden. Er verwarf die „wochen- kommentierte diese Kämpfe mit landsechos in den deutschen Me- schauartige" Erstfassung und schuf den Worten: „Sie sind in einer Härte dien, welche die kritischen Stim- durch kunstvollen Bildschnitt ein ausgetragen worden, wie wohl men in den vertraulichen Presse- Werk, das der Idee einer „sinfoni- noch nie in der Geschichte der spiegeln der Reichs- und Parteistel- schen Sportdichtung" nahekam. Olympischen Winterspiele" len und der Reichssportführung un- Das Propagandaministerium sorgte Den beruhigenden Gegenpol bilden terschlug, trug in Deutschland zum dafür, daß im Vorspann ein gewis- die nach ästhetischen Kriterien ge- Trugbild eines uneingeschränkt po- ser Dr. Brieger genannt wurde, der schnitten Szenen des Eiskunstlaufs. sitiven Auslandsechos der Berliner zwar unbeteiligt, doch parteipoli- Die Bilder der alpinen Wettbewerbe Spiele von 1936 bei. tisch makellos war. erzählen vom Einklang mit der Na- Auch in seiner ästhetisierenden Me- tur. Sie dokumentieren auch den „Jugend der Welt" - der Film der thode vermittelt der Film ein au- damaligen Entwicklungsstand der IV. Olympischen Winterspiele thentisches Bild des sportlichen Ge- Ausrüstung und der Lauftechnik, schehens. Obgleich man in der Ein Bravourstück ist die Wiederga- Ausrichtende Olympische Komi- überlieferten Kopie eine gestellte be des Spezialsprunglaufs in rhyth- tees sind nach IOC-Vorschriften da- Rede des Reichssportführers elimi- mischen Bewegungsfolgen, die den zu verpflichtet, „die Spiele durch niert hat, bleibt der politisch ge- Flügelschlag der Bergdohlen assozi- photographische und kinematogra- prägte Rahmen präsent: Die Ehren- ieren. Diese Meisterleistung dürfte phische Aufnahmen festzuhalten". tribüne mit Hitler und Parteipromi- Leni Riefenstahl zu ihrer bekannten Die deutschen Veranstalter über- nenz, der häufig eingeblendete von Turmspringer-Sequenz inspiriert ließen diese Aufgabe dem Reichspro- Tschammer und Osten sowie der haben. pagandaminister, der 1934 versicher- unvermeidliche Goebbels in Groß- te, „den gesamten Apparat" seines Das Übermaß symbolischer Effekte aufnahme. Der Vorbeimarsch mit Hauses einsetzen zu wollen. In die- entspricht dem Irrationalismus der dem vermeintlichen Hitlergruß ist ser Absicht finanzierte Goebbels herrschenden Weltanschauung. Der jedoch bei den meisten Mannschaf- den Film der Winterspiele und be- fast wortlose Film unterlegt die Ak- ten als „Olympischer Gruß" zu auftragte Hans Weidemann, den Vi- te des Siegens mit Nationalhymne identifizieren. Auch die Wehrmacht zepräsidenten der Reichsfilmkam- und Flagge. Das Finale ist ein einzi- ist häufig im Bild: als Salut schie- mer, mit der Herstellung. ger Feuerzauber, ein Blendwerk. ßende Artillerie, als Ehrenbataillon Der Regisseur intendierte mehr als und bei der Ski-Patrouille des Mili- Es kennzeichnet die offizielle Ein- eine Reportage, nämlich eine „sin- tärs in Gegenwart des Reichs-Kriegs- schätzung des Films, der heute in fonische Sportdichtung" zwischen ministers. Vergessenheit geraten ist, daß seine Realismus und Symbolismus. Wei- Uraufführung am 3. Juli 1936 im demann hatte durchaus künstleri- Die filmische Reproduktion der Ufa-Palast am Zoo erfolgte. Danach sche Qualitäten, aber wenig prakti- Wettbewerbe thematisiert das lief er in Berlin während der Som- sche Erfahrung. Als er das Ergebnis kämpferische Moment Die musika- merspiele in 17 Kinos. Wegen der seiner Kameramänner vor Augen lisch verstärkte Dramatisierung kurzen Laufzeit von 35 Minuten hatte, konnte ihn der Zusammen- zielt auf emotionale Wirkung. Die mußte er mit Spiel- oder Dokumen- schnitt nicht befriedigen- Er nahm 18-km-Staffel und der 50-km-Lang- tarfilmen gekoppelt werden. Beson- sich die Freiheit zu einer außerge- lauf werden zu Kämpfen von ver- ders zeitgemäß war die Kombina-

160 Die verschiedenen Versionen der Presseauswertung bei TEICHLER, Internationale Sportpolitik, S. 168-170.

25 tion mit dem Propagandafilm suchte er diesen Sachverhalt später „Sportmanuskript" vorausgedacht „Sport und Soldaten". Das Presse- zu bestreiten. Die ominöse Filmge- Sie war ständig präsent, kontrollier- Echo war unisono auf Superlative sellschaft war jedoch nichts anderes te die Einstellungen und meisterte abgestimmt. Bei der Biennale in Ve- als eine Attrappe, „weil das Reich akute Schwierigkeiten. Als sie sich nedig wurde „Jugend der Welt" in nicht offen als Hersteller in Erschei- schließlich mit 400 000 m Negativ- Gegenwart des Auftraggebers nung treten" wollte. Goebbels sorg- material in ihr Hauptquartier Goebbels am 1. September 1936 als te für die Vorfinanzierung aus "Haus Ruhleben" zurückzog, be- „bester dokumentarischer Film" Reichsmitteln und für ein Honorar gann die künstlerische Arbeit des ausgezeichnet Anläßlich der Welt- von 250 000 RM, das die Künstlerin Sichtens, Schneidens und Synchro- ausstellung in Paris erhielt er einen durch Forderungen für ihre Garde- nisierens. „Grand Prix". Die Reichspropagan- robe um 90 000 RM aufstocken ließ. Während Weidemann den Film der daleitung erteilte ihm das Prädikat Erst nach Auflösung der Scheinfir- Winterspiele so schnell wie möglich „staatspolitisch wertvoll, künstle- ma, die 1939 den Reichszuschuß in die Lichtspieltheater brachte, risch wertvoll, volksbildend".161 von 1,8 Millionen RM abgerechnet nahm Leni Riefenstahl sich 1 1/2 hatte, gründete Leni Riefenstahl ih- Jahre Zeit Sie gestaltete zwei re eigene Filmgesellschaft. Der Dokumentarfilm der Olympi- abendfüllende Teile: Fest der Völker schen Sommerspiele in Berlin Dank der Freundschaft Hitlers und (3429 m) und Fest der Schönheit (2722 der Gunst des Reichspropagandami- m). Zur privaten Erstaufführung Der Dokumentarfilm Leni Riefen- nisters konnte die Regisseurin sich wurde der Auftraggeber eingela- Stahls ist immer noch der populär- alle Wünsche erfüllen. Sie bildete ei- den. Goebbels war begeistert und ste der deutschen Sportfilme162 Er nen Stab von 45 qualifizierten Ka- notierte am 24. November 1937: hat das Bild der Berliner Spiele nicht meraleuten und beschäftigte 200 nur festgehalten, sondern mit dem weitere Mitarbeiter. An den Sport- „Unbeschreiblich gut. Hinreißend Nimbus der Größe umrahmt. Das stätten wurden Türme, fahrbare photographiert und dargestellt. Leitern und Katapulte eingesetzt; Eine ganz große Leistung. In lag auch in der Absicht des Auftrag- einzelnen Teilen tief ergreifend. gebers Joseph Goebbels, der die Zu- sogar ein Fesselballon der Wehr- Die Leni kann schon sehr viel."163 ständigkeit des Organisationskomi- macht stand zur Verfügung. tees ignorierte und eigenmächtig Die Arbeit begann mit der Herstel- Zum Termin der mehrfach verscho- Leni Riefenstahl berief, die in zwei lung eines „Prologs" in der Einsam- benen Uraufführung wählte das Monumentalfilmen von Reichspar- keit der Kurischen Nehrung. Dort Propagandaministerium Hitlers teitagen Adolf Hitler und seiner suchte man den symbolischen Geburtstag am 20. April 1938. Im NSDAP Denkmäler gesetzt hatte. Brückenschlag von der Antike zur Ufa-Palast versammelten sich 2 000 Während Carl Diem im Amtlichen Gegenwart in suggestive Bildfolgen geladene Gäste und die Spitzen von Bericht des Organisationskomitees umzusetzen. Dieses Motiv ver- Partei, Staat und Wehrmacht. Das wahrheitgemäß feststellte: knüpfte Leni Riefenstahl mit der Publikum spendete stürmischen Überführung des Olympischen Feuers. Beifall, und Leni Riefenstahl nahm „Der Olympia-Filmgesellschaft war Zu diesem Zweck begleitete eine die Glückwünsche des Führers ent- durch eine Anordnung ihres Auf- Film-Expedition den Fackel-Staf- gegen. Hitler war von dem Werk so traggebers und Schirmherrn, des beeindruckt, daß er bei seinem Ita- Reichsministers Dr. Goebbels, das fellauf von Olympia nach Berlin. alleinige Recht zu Aufnahmen und lien-Besuch dem Duce eine Kopie zur filmischen Ausnutzung der Den Gesamtverlauf der Inszenie- als persönliches Geschenk über- Spiele gegeben worden [...]", rung hatte die Regisseurin in einem reichte.

161 Die Zitate und ihre Belege findet man in der Film-Begleitpublikation von H. BERNETT, „Jugend der Welt", der Film von den IV. Olympischen Winterspielen Garmisch-Partenkirchen 1936. Institut für den wissenschaftlichen Film, Göttingen 1980, Film G160. 162 Belege für die Zitate in H. BERNETT, „Leni Riefenstahls Dokumentarfilm von den Olympischen Spielen in Berlin 1936", in: Ders., Untersuchungen zur Zeitgeschichte des Sports, Schorndorf 1973, S. 115-147. 163 GOEBBELS, Tagebücher, S. 344.

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Die deutsche Presse schloß sich der jegliches Prädikat und blockierte Ein Denkmal des 'Dritten Reiches' offiziellen Wertschätzung an und damit die Übernahme in den Ver- in Olympia unterstrich die weltanschauliche leih. Der ehemalige Generalsekretär Übereinstimmung mit dem Natio- des Organisationskomitees opponier- Carl Diem erfaßte die Gunst der nalsozialismus. Positiv war auch te energisch, sprach von politischer Stunde, der kulturpolitischen und das Echo in den internationalen Me- außenpolitischen Situation. Da er Integrität und forderte die Jury auf, tropolen. Nur Paris machte eine den Reichssportführer bei seinen Pro- Ausnahme, wie Goebbels empört „die Spiele als eine respektierte Oa- pagandareisen in europäische vermerkte: se zu würdigen". Der wieder zum Hauptstädte begleitete, nutzte er NOK-Präsidenten aufgestiegene „Man will in Paris den Olympiafilm 1935 einen Flug nach Athen, um nur aufführen, wenn die Aufnah- Ritter von Halt schloß sich diesem Tschammer für den langgehegten men vom Führer herausgeschnitten Votum an und bescheinigte dem Plan zu gewinnen, die Ausgrabun- werden. Das ist eine Gemeinheit Film: „Er ist ein sportliches Doku- gen in Olympia mit deutscher Hilfe Ich lehne das kategorisch ab."164 ment und hat mit Politik nicht das wiederaufzunehmen. Bei einer Ex- Das Filmwerk erhielt auch interna- geringste zu tun." kursion zur antiken Feststätte über- tionale Auszeichnungen: einen zeugte er den Reichssportführer von „Grand Prix" der Weltausstellung, Da die Jury bei ihrem Urteil blieb, der unwiederbringlichen Chance, das Prädikat „bester Film des Jah- wählte man zunächst den Weg der endlich das Stadion freizulegen, das res" bei der Biennale und das Olym- Studio-Aufführungen. Damit war die Archäologen bisher außer acht pische Diplom des IOC, das nicht ah- das Eis gebrochen, und trotz kriti- gelassen hatten. Diem hatte diesen nen konnte, daß der Auftraggeber scher Vorbehalte informierter Publi- Schritt gründlich vorbereitet und des Films die „Olympianer" mit zisten gewann der Film seine einsti- den Direktor des Deutschen Archäo- „Direktoren von Flohzirkussen'' logischen Instituts in Athen auf sei- verglichen hatte.165 Marschall Stalin ge Popularität zurück. Während der Olympischen Spiele in München lief ner Seite. So lagen schon detaillierte ließ Leni Riefenstahl eine persönli- Pläne vor, als Hans von Tschammer er wochenlang in mehreren Thea- che Dankesbotschaft übermitteln, und Osten seinem Führer am 11. obgleich kein sowjetischer Sportler tern. Bei der Ausstrahlung durch Dezember 1935 vorschlug, daß in Berlin zu sehen war. Auf Kritik das Deutsche Fernsehen verzeichnete und Protest stieß das Werk vor- man eine hohe Einschaltquote. „zur bleibenden Erinnerung an die nehmlich in den USA. Gänzlich ab- Feier der XI. Olympiade zu Berlin weisend verhielt man sich in Holly- Leni Riefenstahl sah keinen Anlaß das Deutsche Reich die im Jahre wood, wo Leni Riefenstahl nur von zu nachdenklicher Selbstkontrolle. 1875 begonnenen Ausgrabungen 166 [...] zu Ende fuhrt". Walt Disney akzeptiert wurde. In Veröffentlichungen und Inter- views wies sie ihre Kritiker vehe- Nach dem Zweiten Weltkrieg lager- Die Kosten der Kampagne hatte ten die Kopien für ein Jahrzehnt in ment zurück. Daß sie in dieser Hal- man bereits ermittelt und auf den Magazinen. Als Leni Riefen- tung durch Carl Diem und Ritter 300 000 RM veranschlagt In richti- stahl nach Internierung durch die von Halt bestärkt worden ist, deutet ger Einschätzung der Mentalität französische Besatzungsmacht um darauf hin, daß die Repräsentanten Hitlers stellte der Antrag in Aus- ihre Rehabilitation kämpfte, fand der Olympischen Bewegung in sicht, daß die Vollendung der Aus- sie in Carl Diem einen Bundesge- Deutschland nicht imstande waren, grabungen „bei allen anderen Kul- nossen. Die Jury der freiwilligen den politischen Verwertungsprozeß turvölkern Bewunderung hervorru- Filmselbstkontrolle verweigerte dem fen und für alle Zeiten ein Denkmal kritisch zu reflektieren. Werk 1958 wegen seiner politisch- des Dritten Reiches [...] sein" wür- weltanschaulichen Implikationen de.

164 Ebenda, Eintragung vom 22. 6.1938, S. 452 165 Ebenda, Eintragung vom 2.8.1936, S. 652 166 Zuletzt im Neudruck ihres Bildbandes Schönheit im Olympischen Kampf, München 1988, der im Anhang das rechtfertigende Gutachten Diems wiedergibt

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terstützung erfahren habe, bereitge- schen Spielen des Jahres 1936, dem Nichts konnte Hitler willkommener 170 sein, als mit einer „Kulturtat des stellt würden". nationalsozialistischen Deutsch- land und seinem Führer Adolf Hit- Dritten Reiches" (Tschammer) von Diese Argumentation setzte sich 173 ler zu danken ist". der forcierten militärischen Aufrü- durch, und Hitler stellte 300 000 RM stung abzulenken. Schon am 28. De- aus seinem Dispositionsfonds zur Es bleibt nachzutragen, daß die 171 zember 1935 teilte der Chef der Verfügung. 1942 unterbrochene Kampagne das Reichskanzlei dem fachlich zustän- von einer 5 Meter hohen Schwemm- Um die „Kulturtart" der Weltöffent- schicht verschüttete Stadion freileg- digen Kultusminister mit „Der lichkeit würdig zu präsentieren, Führer und Reichskanzler begrüßt te und bedeutende Funde zutage wählte man den Empfang des IOC förderte.174 diesen Vorschlag und wünscht eine in der Reichskanzlei am Tage der Er- baldige Förderung des Gedan- öffnung. Hier erklärte Hitler mit kens." Daraufhin beauftragte der den von Diem formulierten Worten: Die Mitgestaltung der Präsident des Deutschen Archäologi- Olympischen Bewegung in schen Instituts die Zweigstelle in „Ich habe mich nun entschlossen, zur bleibenden Erinnerung an die Deutschland durch Carl Diem Amen, die Genehmigung der grie- Feier der XI. Olympiade 1936 zu 167 chischen Regierung zu erwirken. Berlin die im Jahre 1875 begonne- Carl Diem war mehr als der effi- nen Ausgrabungen der Olympi- ziente Organisator der Spiele: Er Es ist also evident, daß die politi- schen Fest- und Sportstätten wieder sche Führung die „propagandisti- aufzunehmen und zu Ende zu fuh- selbst verstand die Arbeit als Gene- schen Möglichkeiten, die das Pro- ren. Ich danke der königlich-grie- ralsekretär des Organisationskomi- jekt bot", in vollem Maße in An- chischen Regierung, das sie ihre tees als Krönung seines Lebens- 168 freundliche Zustimmung zu die- werks. Nach den Zwischenspielen spruch nahm. Dagegen erscheint sem Werk erklärt hat"172 es kurzsichtig, von einem „von wis- 1906 in Athen, die er noch als Jour- Carl Diems Traum hatte sich erfüllt senschaftlichem Interesse geleiteten nalist begleitet hatte, war er als Als das olympische Jahr zu Ende Neubeginn" zu sprechen.169 Der „Mannschaftskapitän", bzw. als ging, erinnerte er in der Weih- Vorrang der politischen Begrün- „Chef de Mission" verantwortlicher nachtsausgabe des Völkischen Beob- dung zeigte sich auch bei der Finan- Leiter der deutschen Olympia- achters an den 1. August und Hitlers zierung des Vorhabens. Während mannschaften in Stockholm (1912), Botschaft an das IOC „Diese Mittei- das Organisationskomitee sich erbot, Amsterdam (1928) und Los Angeles lung des Führers war ein geschicht- die Kosten mit den Einnahmen der (1932) eng mit dem olympischen licher Augenblick [...]". Indem er Spiele zu verrechnen, hielt es Ritter Geschehen verbunden. Als Sekretär seinen eigenen Anteil ausklammer- von Lex, der das Reichssportamt im des DRAfOS war er mit der te, würdigte Diem die „zusammen- Reichsinnenministerium verwaltete, Vorbereitung der Olympischen Spiele geballte aller Trennungen entklei- von 1916175 betraut worden und „der Bedeutung der Angelegenheit dete Kraft des Dritten Reiches" und lernte durch diese Aufgabe Pierre [für] angemessener, wenn die Aus- bekräftigte die offizielle Lesart, grabungskosten aus Mitteln des de Coubertin kennen und schät- deutschen Reichsoberhauptes, von „daß die volle Aufdeckung dieses zen.176 Diems Identifikation mit der dem der Plan eine so tatkräftige Un- Heiligtums der Antike den Olympi- Olympischen Bewegung gestaltete

167 Zitate aus BERNETT, Sportpolitik, Kap. „Fortsetzung der Ausgrabungen in Olympia", S. 68-70. 168 H.-V. HERRMANN, „Die Ausgrabungen in Olympia - Idee und Wirklichkeit", in: Stadion 6 (1980), S. 55. 169 B. FELLMANN, „Die Geschichte der deutschen Ausgrabungen", in: 100Jahre deutsche Ausgrabungen in Olympia, München 1972, S. 45. Katalog zur Ausstellung anläßlich der Olympischen Spiele in München. 170 W. DECKER, „Carl Diem und die Ausgrabung des Stadions von Olympia", in: Kölner Beiträge zur Sportwissenschaft 10/11 (1981 /82), S. 81. Decker hat das Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin ausgewertet 171 Mitteilung des Chefs der Präsidialkanzlei an den Reichsminister der Finanzen, 20.7.1936. BA, R 2/17736. 172 ORGANISATIONSKOMITEE (Hrsg.), Olympiade Berlin 1936, Bd. 1, S. 544. 173 C. DIEM, „Olympia wieder ganz im Licht der Sonne", in: Völkischer Beobachter. Norddeutsche Ausgabe. Nr. 359 vom 24.12. 1936. 174 Dazu die o.g. Darstellung von B. FELLMANN, „Die Geschichte der deutschen Ausgrabungen". 175 Vgl. K. LENNARTZ, Die VI.. Olympischen Spiele Berlin 1916, Köln, o.J. 176 Vgl. DIEM, Ein Leben für den Sport, S. 87ff.

28 sich jedoch nicht ohne Brüche: Nach und Eichenbäumchen als Medail- turforscher Sven Hedin, ein Sympa- der Niederlage des Ersten Weltkrie- lenzugaben und die Ehrenkette für thisant Hitlers, sagte zu und hielt im ges erteilte er der Olympischen Idee die IOC-Mitglieder, Stelen mit den Olympiastadion eine kurze Anspra- eine befristete Absage177. Dagegen Namen der deutschen Olym- che.182 hielt er - durchaus in Anlehnung an piasieger) blieben einmalige, Berli- Unbestritten ist Diems Leistung als Coubertin - bis zum Ende des Zwei- ner Besonderheiten, zu denen auch Organisator: Schon in der Vor- ten Weltkrieges an einer patriotisch- am ersten Tag die außerprotokolla- bereitung erntete er für seine kom- nationalistischen Interpretation der rischen „Siegerehrungen" durch petente und konzentrierte Arbeit Olympischen Idee fest, die er in den den im Stadion anwesenden Hitler Lob aus den Kreisen der internatio- vierziger Jahren noch um den „sol- gehörten, die auf Protest des IOC nalen Fachverbände.183 Bei den wei- datischen Kern des Olympischen eingestellt bzw. für die deutschen teren kulturellen Rahmenveranstal- Gedankens" erweiterte. Sieger auf den nichtöffentlichen Be- tungen in der Dietrich-Eckart-Bühne Unterstützt und angetrieben durch reich der Führerloge beschränkt (Uraufführung des „Frankenburger Coubertin, zu dem er engen Kon- wurden. Würfelspieles" E. W. Möllers, Hän- takt hielt, hatte Carl Diem großen Von einer gewissen Einmaligkeit dels Musikdrama „Herakles" und Anteil an der Ausgestaltung und waren die zahlreichen religiösen Werken der im Olympischen Kunst- Entwicklung des kulturellen Rah- Rahmenveranstaltungen, zu denen wettbewerb preisgekrönten Kom- mens der Spiele, der deutlich auch ein Schlußgottesdienst in der ponisten Werner Egk, Lino Liviabel- scheinreligiöse Festformen (ewiges Dietrich-Eckart-Bühne gehörte, für la und Jaroslav Kricka) blieben die Feuer, Hymnen, Olympia-Glocke, den sogar die Berliner Philharmoni- für das IOC reservierten Plätze je- prozessionsartige Aufmärsche) imi- ker unter Furtwängler aufgeboten doch zumeist leer. Die Herren des 178 tierte. worden waren: Sie waren Bestand- IOC zogen die zahlreichen Empfän- Viele der unter seiner Leitung erst- teil des religiösen Olympiafriedens ge bei den Größen von Partei und mals realisierten Programmbe- zur Beruhigung der amerikani- Staat (Göring, Goebbels, von Blom- standteile {Fackellauf179, Studenten- schen Kirchen, denen man kirchen- berg, Rosenberg) vor. Diem selbst politische Toleranz des 'Dritten Rei- und Jugendlager, Wissenschaftlicher 181 organisierte den traditionellen Kongreß, Kunstausstellung) wurden ches' vorgegaukelt hatte. Empfang für die Generalsekretäre zum festen Bestandteil des olympi- Diems Versuch, aus Anlaß der der Nationalen Olympischen Komitees schen Zeremoniells. Andere Berli- Olympischen Spiele herausragende und die stimmungsvolle Schluß- ner Innovationen180 (Glockenturm, Vertreter der geistigen Elite der Welt feier der Aktiven in der Berliner die Gestaltung des Reichssportfeldes zu Vorträgen in Berlin zu ver- Deutschlandhalle. Seine wohl größte als integrierte Sport-, Kult und Fei- sammeln, scheiterte u.a. an der anti- organisatorische Leistung bestand - erstätte, Monumentalplastiken, nazistischen Einstellung der Einge- nach seinen eigenen Angaben184 - in Olympisches Festspiel, Eichenlaub ladenen. Nur der schwedische Na- der weitgehenden Abwehr „wohl-

177 Vgl. BERNETT, "Carl Diem und sein Werk als Gegenstand der sportgeschichtlichen Forschung", S. 7-41, hier S. 36. 178 Vgl. P. HÜTTENBERGER (Manuskript eines Vortrages in der FVA Berlin des DSB von Dezember 1987). 179 Diem hatte zweifelsohne großen Anteil an der kultischen Ausgestaltung der Entzündung der Flamme im heiligen Hain des antiken Olympia und an der praktischen Verwirklichung des eigentlichen Fackellaufes. Er selbst schreibt - im Gegensatz zu seinen Nachlaßverwaltern (DIEM 1974, S. 252) - im Amtlichen Bericht (Bd. 1, S. 58) die Idee des Fackellaufes von Griechenland nach Berlin dem Propagandaministerium zu. 180 Vgl. H. BERNETT, „Symbolik und Zeremoniell der XI. Olympische Spiele in Berlin 1936", in: Sportwissenschaft 16 (1986) 4, S. 357-397, hier S. 378ff. 181 Zum Umfang und zur Vorgeschichte des religiösen Rahmenprogramms nähere Informationen bei TEICHLER, „1936 - ein olympisches Trauma", S. 66ff. 182 Vgl. Carl DIEM, Ein Leben für den Sport, S. 188. Sven Hedin hielt darüber hinaus auch noch vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag über die „Rolle des Pferdes in der Geschichte Asiens". 183 Der ungarische Boxpräsident Kankovsky drückte dies in einem Interview mit der heimischen Presse so aus: .Er habe mit Dr. Diem ein halbstündiges Gespräch geführt In dieser kurzen Zeit hätten sie aber mehr Arbeit geleistet, als man in Ungarn in Wochen leiste". PAdAA Gesandtschaft Budapest, Olympiade Berlin, Bd. 2 184 Vgl. DIEM, Ein Leben für den Sport, S. 175. Diem übersieht in seinen Erinnerungen aber die logistischen Hilfsdienste des

29 meinender" Hilfestellungen und nach den Olympischen Spielen zum den allerdings erst nach 1945 veröf- Eingriffe durch die verschiedenen Leiter der Reichssportfeldverwaltung. fentlicht Nach einem kurzen Inter- Parteigliederungen und die Reichs- Seine olympischen und journalisti- mezzo als Generalsekretär der aus- sportführung. Diem zog es vor, sich schen Erfahrungen konnte er erst gefallenen Winterspiele 1940 und fast ausschließlich auf die wieder entfalten, als ihm die Lei- nach dem gescheiterten Versuch, Unterstützung der Wehrmacht tung des bescheidenen Internatio- das IOC unter deutsche Vormacht (Olympisches Dorf, Heeresmusiker nalen Olympischen Instituts anver- zu stellen, beschränkten sich seine für die Olympiafanfare, Auf- traut wurde, wo er einen Teil des 'olympischen Aktivitäten' auf Gele- marschorganisation, Flak-Schein- Coubertinschen Nachlasses verwal- genheitsartikel, Nachrufe und zahl- werfer, Heeresbrieftauben u.a.m.) tete und die Olympische Rundschau reiche Vorträge, zuletzt auch im zu verlassen, zu der er über Walter des IOC herausgab. Seine dort be- Rahmen der Truppenbetreuung. von Reichenau einen engen Draht gonnenen Organisationsübersich- Dort meinte er, den „soldatischen hatte. Tschammer ließ Diem die ten des deutschen und internationa- Gehalt der Olympischen Spiele"185 in empfundene Zurücksetzung zu- len Sports sowie seine kultur- und den Vordergrund stellen zu müs- nächst spüren und degradierte ihn sportgeschichtlichen Arbeiten wur- sen.

NSKK und das demonstrative Absperraufgebot der SS-Leibstandarte 185 C. DIEM, Ausgewählte Schriften, hrsg. vom Carl-Diem-Institut, 3 Bde., St Augustin 1982, Bd. 2, S. 296ff.

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Olympische Aktivitäten im Zweiten Weltkrieg

Vorbereitungen auf die Für die planmäßige vorolympische schen Ausschusses an sich gezogen. Olympischen Spiele 1940 Ausbildung wurden öffentliche Wie 1936 beauftragte er den Olym- Mittel in Anspruch genommen. pia-Inspekteur mit der Planung der Nach den Olympischen Sommer- 1937 beantragte der Reichssportfüh- Trainingsarbeit. In einer Würdi- spielen in Berlin setzte die Sportfüh- rer beim Finanzminister zur Förde- gung seiner Person hieß es 1939: rung sich das Ziel, die Spitzenstel- rung der „Schulungsarbeit ein- „Der Reichssportwart Busch hat lung des deutschen Leistungssports schließlich Olympia-Vorbereitung" nun sein ganzes Augenmerk auf die weiter auszubauen- Mit der Aus- Reichsmittel in Höhe von 2,5 Millio- Olympischen Spiele von Helsinki schöpfung des Potentials der Hitler- nen RM. Der zuständige Innenmini- zu lenken, und wieder ist er mit sei- nem ganzen Herzen dabei."190 jugend forcierte sie die Nachwuchs- ster bejahte zwar die „Erhaltung der schulung. Der Reichsbund für Leibes- Weltgeltung des deutschen Sports", Nach ihren Berliner Erfolgen hatten übungen hatte seinen Jugendsport kürzte die Antragssumme jedoch die Turner eine „Deutschlandriege'' zwar an die HJ abtreten müssen, auf 1 Million RM.188 zusammengestellt, die sich 1938 zu aber er stellte seine Anlagen und einer „Reichsriege" formierte, um 191 seine Reichstrainer zur Verfügung. Zur Unterstützung der sportartspe- für Helsinki gerüstet zu sein. zifischen Olympia-Schulung veran- Entgegen weltanschaulichen Prä- Für die Leichtathleten begannen im laßte der Reichssportführer die missen setzte sich der Elitegedanke Mai 1939 die olympischen Prü- NSDAP, die innerhalb der Parteior- durch. HJ-Reichsmeisterschaften in fungskämpfe. Ihre Vorbereitungen ganisationen tätigen Reichsfachamts- olympischen Sportarten bildeten für 1940 verliefen optimal.192 Die leiter 1939 und 1940 je 4 Wochen mit ein funktionierendes Qualifika- Kernmannschaft kam in Berlin zu- vollen Bezügen zu beurlauben. Der tionssystem. Die leistungsstärksten sammen, wo Christian Busch sie Stellvertreter des Führers begrün- Jungen und Mädchen wurden in über „Probleme der Olympiavorbe- dete die Freistellung mit Deutsch- „Reichsleistungsgruppen" zusam- reitung" unterrichtete.193 Die Deut- lands Aufgabe, „seinen 1936 errun- mengefaßt 1938 standen die 'Turn- schen Meisterschaften 1939 dienten genen ersten Platz auf fremdem Bo- meisterschaften und die Reichsruder- der Vorauswahl für Helsinki.194 Unter den zu verteidigen". Darüber hin- regatta der HJ schon im Zeichen ei- Karl von Halts straffer Führung aus erwartete die Parteiführung in ner vorolympischen Motivation.186 hielt das Reichsfachamt trotz ihrem unveröffentlichten Rund- 1939 schloß der Nationalsozialistische Kriegsausbruch an der Parole fest schreiben, „daß Maßnahmen des Reichsbund für Leibesübungen mit der „Die deutschen Leichtathleten sind Reichssportführers für die Vorberei- HJ-Führung ein förmliches Abkom- die ersten und besten der Welt!" In tung der Olympischen Spiele 1940 un- men zur kooperativen Schulung 189 optimistischer Erwartung ließ man terstützt werden". „aller HJ- und BDM-Angehörigen, es bei der bisherigen Rangordnung: die für die Olympischen Spiele 1940 Der Reichssportführer hatte die „Olympia-Klasse, internationale in Betracht kommen".187 Funktionen des Deutschen Olympi- Klasse, nationale Klasse".195

186 Berichte in: Sport der Jugend 1 (1938), Nr. 2, S. 16; Nr. 20, S. 8. 187 „Olympia-Vorbereitung von Hitlerjungen und BDM-Mädeln", in: NS-Reichsbund für Leibesübungen, Gau XI Mittelrhein. Gauverordnungsblatt vom 17.4.1939 188 Reichsminister des Innern. Voranmeldung für den Haushalt 1938, 13.11.1937. BA, R 2/12001. 189 NSDAP, Stellvertreter des Führers. Rundschreiben Nr. 74/39. München, 6.4.1939. BA, NS 22/864. 190 „Olympiainspekteur Christian Busch", in: NSRL-Pressedienst, Artikeldienst, Jg. IV/Nr. 9, 8.5.1939. 191 „Olympia-Schulung hat begonnen!", in: Deutsche Turn-Zeitung 83 (1938), Folge 45, S. 1044. 192 Daran erinnert sich Dieter Giesen, Deutscher Juniorenmeister über 800 m und mehrfacher Länderkampfteilnehmer. Schreiben an den Verfasser, 16.7.1985. 193 „Blickpunkt Helsinki", in: Der Leichtathlet 16 (1939), Nr. 8, S. 2. 194 „Deutsche Meisterschaften 1939", in: Der Leichtathlet 16 (1939), Nr. 27, S. 2.

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Auch die Künstler gedachte man nen. Der nationalsozialistische hat- Latour wandte sich an Ritter von beizeiten zu interessieren. Da es im te mit dem kommunistischen Dikta- Halt, den Präsidenten der IV. Win- nationalsozialistischen Deutsch- tor paktiert und Finnland dem Ein- terspiele, um die Alternative Gar- land kein freies Kunstschaffen mehr marsch der Roten Armee preisgege- misch-Partenkirchen zu erkunden. gab, oblag die Auswahl der Einsen- ben. Hätte der Belgier nicht wissen müs- dungen den Prüfungsausschüssen sen, daß Hitlers gewaltsame Expan- der einzelnen Kammern. Der Der Fehlschlag der V. Olympi- sionspolitik, die zur Annexion Reichssportführer ernannte den Di- schen Winterspiele 1940 Österreichs geführt hatte, gleich- rektor des Internationalen Olympi- falls einem Krieg zusteuerte? Karl schen Instituts, Carl Diem, zum "Be- Obgleich der deutschen Olympi- von Halt erkannte die politische Re- schen Bewegung seit 1937 in den auftragten für alle Fragen des levanz des Angebots und schaltete von Hitler favorisierten Nationalso- Kunstwettbewerbs der XII. Olym- den Reichssportführer ein. Dieser er- 196 zialistischen Kampfspielen Konkurrenz piade". suchte am 8. Mai 1938 den Chef der drohte, setzte die Reichssport- Wie eine Umfrage des Deutschen Ge- führung ihre internationale Sport- Reichskanzlei, „hierzu die Entschei- meindetages bei den Kommunalbe- politik fort Der Welterfolg der Spie- dung des Führers herbeizufüh- hörden belegt, begann 1939 die Or- 202 le des Jahres 1936 hatte sie in der ren". Daraufhin erhielt Tscham- ganisation des Olympia-Touris- Auffassung bestärkt, zum Treuhän- mer die telefonische Mitteilung, daß mus.197 Otto von Zwehl, Beauftragter der des Olympismus berufen zu Hitler grundsätzlich einverstanden des Reichssportführers, verhandelte sein. Mit der Errichtung des Interna- sei Es sollte sich bald herausstellen, mit den zuständigen Ministerien tionalen Olympischen Instituts in Berlin daß er die Absicht hatte, mit einem über die Zuteilung von Devisen verband sich der Anspruch, den olympischen Friedensfest die Welt und den Einsatz der „KdF-Flot- abermals zu täuschen. 198 „geistigen Mittelpunkt" der Bewe- te". Hitler soll sogar den Wunsch 201 gung darzustellen. Dieses Gel- Als das IOC zur Beschlußfassung geäußert haben, die deutschen Tri- tungsbewußtsein erhielt neue Nah- vom 6. bis 9. Juni 1939 in London umphe in Helsinki als „Privatper- 199 rung, als sich die unerwartete Chan- zusammentrat, waren die Folgen son" zu erleben. ce ergab, nochmals Olympische Spiele der nationalsozialistischen Gewalt- Quod erat demonstrandum Die in Deutschland auszurichten. herrschaft nicht mehr zu verken- Olympischen Spiele in Helsinki „hät- Das IOC hatte die V. Olympischen nen. Nach dem Pogrom des 9. No- ten nichts anderes gebracht als die Winterspiele des Jahres 1940 nach vember 1938 war die planmäßige Bestätigung dafür, daß Groß- Sapporo vergeben. Als Japan jedoch Entrechtung und Vertreibung der deutschland die Führung unter den von der Expansionspolitik zu offe- jüdischen Bürger eskaliert, und mit Sportvölkern der Erde genommen ner Kriegsführung in China über- der militärischen Besetzung der hat", brüstete sich das Amtliche Or- 200 ging, wurden die Spiele am 3. Sep- Tschechoslowakei im März 1939 gan des Reichssportführers. tember 1938 St Moritz übertragen. war die Appeasement-Politik der Daß die von Tokio nach Helsinki Es gab allerdings Streit um das Pro- Westmächte ad absurdum geführt verlegten Spiele gleichfalls einem gramm, um die Durchführung alpi- worden. Das IOC, das die Humani- Krieg zum Opfer fielen, ist der Welt- ner Ski-Demonstrationen. Das IOC tät auf seine Fahne geschrieben hat- herrschaftspolitik Hitlers zuzurech- blieb hartnäckig, und Graf Baillet- te, nahm dies aus Prinzip nicht zur

195 BERNETT, Leichtathletik im Wandel, S. 272. 196 „Kunstwettbewerb bei der XII. Olympiade Helsinki 1940", in: NSRL-Pressedienst, Artikeldienst, Jg. IV/Nr. 42,10.8.1939. 197 Rundschreiben des Deutschen Gemeindetages Berlin. BA, R 36/2078. 198 Olympia-Archiv im Bundesarchiv Abteilungen Potsdam, 70 Or3 45/106/PAZ. 199 W. v. BLÜCHER, Gesandter zwischen Diktatur und Demokratie. Erinnerungen aus den Jahren 1935-1944, Wiesbaden 1951, S. 284. 200 „Vor einem neuen Sport-Europa", in: NS-Sport 2 (1940), 13. Oktober 201 C. DIEM, „Das Internationale Institut in Berlin", in: Ders., Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Carl-Diem-lnstitut, Bd. 2, St Augustin 1982, S. 237. 202 BERNETT, Sportpolitik, S. 75.

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Kenntnis. Sein Eintreten für jüdi- „gemeinen Lügenfeldzug" in der Am 1. Juli 1939 erfolgte in Garmisch sche Sportler war nur um des Regle- kritischen Weltpresse.207 die Gründungssitzung des Organi- sationskomitees. Tschammer hielt ei- ments willen geschehen. Es Die Pläne waren schon fertig, als ne aufschlußreiche Rede, begin- wünschte lediglich, daß sein tsche- der Führer und Reichskanzler die er- nend mit den Worten: „Meine Her- chisches Mitglied unbehelligt blieb, folgreichen Teilnehmer der Londo- ren, wir feiern heute einen Sieg." was auch gewährt wurde, um die ner IOC-Sitzung am 20. Juni 1939 203 Dann erfuhr man, daß Hitler Olym- Strategie nicht zu gefährden. zur Berichterstattung auf dem pische Spiele in Deutschland als ei- So reisten die deutschen IOC-Mit- Obersalzberg empfing. Hitler ge- nen „Aktivposten in seiner Politik" nehmigte die Bauvorhaben und bil- glieder optimistisch nach London, bezeichnet habe. Mit Genugtuung ligte auch die von Diem vorgetrage- während die Schweizer keine Gele- nahm man zur Kenntnis, daß der ne Innovation: den „Tag des Ski- genheit erhielten, ihre Auffassung Führer die von Diem formulierte laufs" mit nicht weniger als 10 000 vorzutragen. „Dies wäre das wenig- „Vollmacht" erteilt hatte, „die Mit- Teilnehmern, die von den umlie- ste gewesen, das man hätte tun kön- wirkung von Partei, Staat und genden Hängen in Wellen abfahren nen", vermerkte das erbitterte Wehrmacht" zu veranlassen.210 Diese sollten, um „strahlenförmig auf den Schweizer Olympische Komitee in ei- Mitwirkung ging so weit, daß 204 Standort des Führers zuzulau- ner Denkschrift. Der IOC-Präsi- man es Hitler sogar überließ, das of- fen".203 Dieser würde eine Anspra- dent stellte telegraphisch ultimative fizielle Werbeplakat mit Olympi- che halten und die Stiftung von Ski- Forderungen. Da die Antwort ihn schen Ringen und Hakenkreuzen hütten im In- und Ausland verkün- nicht befriedigte, stand die Ent- auszuwählen.211 den. scheidung für Garmisch fest. Sie war „in vielen Gesprächen mit Graf Als Präsident des DOA ernannte Nach dem gemeinsamen Mittag- der Reichssportführer seinen „Freund Baillet-Latour von langer Hand vor- essen setzte Tschammer sich neben und Kameraden" Karl von Halt bereitet" worden, erinnerte sich der Hitler „und tuschelte ihm ins Ohr", zum Präsidenten des Organisations- deutsche IOC-Berater Werner Klin- 206 daß Carl Diem sich eine ordentliche komitees. Carl Diem, der zum Gene- geberg. Dagegen erklärte Diem in Professur an der Berliner Universi- ralsekretär berufen wurde, unter- der Olympischen Rundschau, man sei tät wünsche. In bestem Einverneh- breitete der Gründungsversamm- „überraschend und ohne den Schat- men verließen die Repräsentanten lung ein vollständiges Programm ten einer Mitwirkung" beauftragt der olympischen Friedensbewe- und großzügige Finanzierungsplä- 206 worden. Die deutsche Sportfüh- gung den Obersalzberg, wo am fol- ne. Darin veranschlagte er für den rung deutete das einstimmige Vo- genden Tage „die gesamte höchste „Tag des Skilaufs", der mit einem tum als internationalen Vertrauens- Generalität" erwartet wurde, um „Aufmarsch vor dem Führer" en- beweis, als einen „wärmenden Son- die nächste kriegerische Invasion den sollte, fast eine halbe Million 209 nenstrahl" gegenüber dem akuten vorzubereiten. Reichsmark.212 Der Bürgermeister

203 Ebenda, S. 113. Allerdings durfte das tschechische IOC-Mitglied Dr. Jiri Guth-Jamowski, immerhin Senior des IOC und sein Mitbegründer, nicht nach London reisen; vgl Teichler, internationale Sportpolitik, S. 224-227. 204 SCHWEIZERISCHES OLYMPISCHES KOMITEE, Denkschrift über die Umstände, unter welchen der Schweiz die Winterspiele 1940 entzogen wurden, o.O. o.J., S. 2 205 BERNETT, Sportpolitik, S. 76, Anm. 136. 206 Ebenda, S. 76 207 H. v. TSCHAMMER u. OSTEN, „Zur sportpolitischen Lage", in: NS-Sport 1 (1939), 18. 6.1939. 208 Schnellbrief des Reichsministers des Innern (Pfundtner) an den Reichsfinanzminister,5.7.1939. BA,R 2/12008, dgl.R 43 II/731 a. 209 Zitate aus dem Tagebuch Carl Diems, „Vortrag bei Hitler auf dem Obersalzberg 1939", in; C. DIEM, Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Carl-Diem-Institut, Bd. 3, S. 59. 210 Protokoll der Gründungssitzung des Organisationskomitees für die V. Olympischen Winterspiele 1940 Garmisch-Partenkir- chen, 1. 7.1939. BA, NS 22/865, dgl. R 43 D/731 a. 211 „Das Werbeplakat für die V. Olympischen Winterspiele 1940", in: Amtlicher Pressedienst der V. Olympischen Winterspiele 1940, Sonderausgabe, 19. 8.1939. BA, R 2/12008. 212 C. DIEM (Hrsg.), Vorbereitungen zu den V. Olympischen Winterspielen 1940 Garmisch-Partenkirchen. Amtlicher Bericht, o.O.,

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informierte über die von Hitler ge- Nürnberger Deutschen Stadion ein- ber 1939 fiel auch die Entscheidung nehmigten Ausbaupläne: massive zustellen und die „größte Baustelle über Garmisch-Partenkirchen. Tribünen für das Skistadion mit ei- der Welt" stillzulegen.216 Unter die- Nach einer Beratung mit Speer ver- nem „Ehrenraum" für den Führer sen Umständen mußte man in Gar- fügte Hitler noch am gleichen Tage, und die Reichsregierung, Anlage ei- misch auf tschechische „Fremdar- „daß die Bauten für die Winter- ner Eisschnellaufbahn und Errich- beiter" zurückgreifen und das Bau- Olympiade stillgelegt werden sol- 218 tung eines Hallen-Schwimmbades, programm reduzieren. len [...]". an dessen Finanzierung Hitler sich Hitlers Angriffskrieg gegen Polen Bevor die Veranstalter die Segel stri- beteiligte, um einem Wunsch der ließ die olympischen Blütenträume chen, vergewisserten sie sich der Wehrmacht entgegenzukommen.213 welken. Aber keiner wagte es, dem örtlichen Situation. Bei Begehungen Der Reichsfinanzminister hatte für die Diktator vorzugreifen. Staatssekre- am 20. und 28. Oktober 1939 stellte Winterspiele zunächst 6 Millionen tär Pfundtner, 1936 schon Mitglied sich heraus, daß man schon 4 Mil- RM veranschlagt und 2 Millionen des Organisationskomitees, war mit lionen verbaut hatte. Zur Sicherung bereitgestellt 4 Millionen waren für den olympischen Usancen durch- der Fragmente sollten 230 tschechi- die Baumaßnahmen, 2 Millionen aus vertraut Dennoch wandte er sche Arbeiter weiterbeschäftigt für die Schwimmhalle, für die sich an die Reichskanzlei, um eine werden. Das Organisationskomitee Hitler und die Wehrmacht je 500 000 „Entscheidung des Führers auf mußte dem Personal kündigen und 214 RM einzubringen gedachten. Bei Rückgabe der Spiele" anzufor- die Liquidierung beim Registerge- einer späteren Überprüfung durch dern.217 Damit wurde die Machtlo- richt beantragen. Ungelöst blieb die den Finanzausschuß mußten die sigkeit der Sportführung offenbar. Frage, wer die aus Reichsmitteln er- Zahlen jedoch nach oben korrigiert richteten Anlagen später unterhal- Aus dem Führerhauptquartier kam 219 und auf 9,648 Millionen bemessen jedoch die überraschende Order, ten sollte. werden. Diesen Reichsmitteln stand „daß der Führer die Arbeiten an den als Eigenbeitrag nur die zu Es war den Veranstaltern bewußt, Olympiabauten in Garmisch-Par- erwartende Einnahme von ca. einer daß ein kriegführendes Land keine tenkirchen vorläufig im bisherigen Million RM gegenübet.215 Olympischen Spiele ausrichten durf- Maße fortgesetzt zu sehen te. Mit Zustimmung Hitlers ent- Die eingeleiteten Baumaßnahmen wünscht". Die Presse erhielt Anwei- sandte der Reichssportführer Carl gerieten bald unter Druck, weil sich sung, über die problematische Si- Diem nach Brüssel, um den IOC- die ganze Energie öffentlichen Bau- tuation nicht zu berichten. Nach Präsidenten auf die fällige Entschei- ens im Westen Deutschlands zu- dem vernichtenden „Blitzkrieg" dung vorzubereiten. Dieser bedau- sammenballte, wo seit 1938 mit ei- und der mit Stalin vereinbarten erte zutiefst den Verzicht auf ein ner halben Million Arbeiter der Aufteilung Polens brüskierte Hitler „gewaltiges Fest des Friedens", «Westwall" errichtet wurde. Gene- die Westmächte durch ein Friedens- rühmte die Art, „wie Deutschland ralinspekteur Albert Speer sah sich angebot Mit der Zurückweisung diese Aufgabe angepackt habe"220 deshalb genötigt, die Arbeiten am durch Großbritannien am 12. Okto- und machte Diem das Kompliment,

o.J., S. 94. Carl-Diem-Institut 213 Protokoll der Gründungssitzung des Organisationskomitees für die V. Olympischen Winterspiele 1940 Garmisch-Partenkir- chen, 1.7.1939. BA, NS 22/865, dgl. R 43 II/731 a, S. 15 f. 214 Schnellbrief des Reichsministers des Innern (Pfundtner) an den Reichsminister der Finanzen, 5. 7.1939, BA, R 2/12008, dgl. R 43 II/731 a. 215 Bericht der Bauabteilung des Reichsministers der Finanzen, 11.3.1940. BA, R 2/12008. 216 H. BERNETT, «Zur Grundsteinlegung vor 50 Jahren: Das 'Deutsche Stadion' in Nürnberg - ein Phantom nationalsoziali stischen Größenwahns", in: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports 1 (1987), H. 3, S. 35. 217 Reichsminister des Innern (Pfundtner) an den Präsidenten des Organisationskomitees für die V. Olympischen Winterspiele, 15. 9.1939. BA R2/1200. 218 BERNETT, Sportpolitik, S. 81. 219 Niederschrift über die Ortsbesichtigung vom 20.10.1939 in Garmisch-Partenkirchen. BA, R 2/12008. Niederschrift über die Ortsbesichtigung vom 28.10.1939. Ebenda. 220 BERNETT, Sportpolitik, S. 81.

34 daß sein „Tag des Skilaufs" für alle während das IOC blindlings am an den Friedenswillen, sondern an „ein unvergeßliches Ereignis" ge- Prinzip des unpolitischen Sports die Opferbereitschaft Wie ernst es worden wäre.221 Der Vorankündi- festhielt. Diem mit dieser Botschaft nahm, gung folgte am 22. November 1939 Das gescheiterte Projekt der V. zeigt sein späteres Bekenntnis: die offizielle Rückgabe des Auf- Olympischen Winterspiele läßt erken- „Gewiß stammt dieser Vorschlag trags. Tschammer und Halt mach- nen, daß die deutsche Olympische seinerzeit von mir, und ich bin auch ten es sich leicht, indem sie die Bewegung zwischen 1936 und 1939 selbst in Langemarck gewesen und Schuld am Kriegszustand den West- habe Erde von den Gräbern meiner ihre Eigenständigkeit aufgegeben dort gefallenen Freunde geholt."225 mächten zuschoben. Sie begründe- hatte. 1939 gingen alle sportpoliti- Seinen jungen Berliner Clubkame- ten die Absage mit der Propaganda- schen Entscheidungen von Hitler these, daß raden hatte Diem einst nachgeru- aus, vom Zugriff bis zur Absage, fen: „Sie sind in Jugendfrische „die deutschen Vorschläge auf Her- von der Wahl des Werbeplakats bis wacker gestorben."226 Dieses Ideal beiführung eines Weltfriedens [...] zur Genehmigung des Programms. von der englischen und französi- des freiwilligen Heldentodes trans- Der Rapport auf dem Obersalzberg schen Regierung abgelehnt [...]" portierte er vom Ersten zum Zwei- wurden. am 20. Juni 1939 war kein Höhe- ten Weltkrieg unter der Wertvorstel- Indem Karl von Halt die Mitglieder punkt, sondern eine Manifestation lung „ewigen Spartanertums". Er des Komitees über den notwendi- der Erniedrigung. folgte also nicht seinem Lehrmeister gen Schritt unterrichtete, berief er Coubertin, der die Alternative des sich auf die „Zustimmung" Hitlers. athenischen und spartanischen Pa- ((Folgt TEICHLER -fehlt noch-:)) Er bestärkte sie in der Illusion, daß radigmas aufgezeigt, jedoch die man die Welt überzeugt habe, „wie Wiederbelebung der athenischen Sportpolitisches Hegemonialstre- sehr Deutschland dem Werke des Paideia in der englischen Sporterzie- 223 Friedens zu dienen bereit ist". ben hung höher bewertet hatte.227 Für Schlimmer ist die olympische Bot- ((Ende Teichler)) Diem war der Krieg das Signal, sein schaft nie strapaziert worden. Die Sportverständnis noch enger mit Schlagzeilen der Presse verbreiteten der Sparta-Ideologie zu verknüp- diese Version. Die Kriegspropagan- fen. Als er 1940 ehrfürchtig an ei- Die kriegsbedingte Umdeutung da machte auch davon Gebrauch. nem „Heldenmal der Spartaner“ Sie produzierte z.B. eine Postkarte der Olympischen Idee verweilte, das deutsche Archäolo- mit den Symbolen der Olympischen Carl Diem war Deutschlands Wort- gen freigelegt hatten, erinnerte er Spiele und der Aufschrift: Die Win- führer bei der Deutung, aber auch sich seines olympischen Festspiels ter-Olympiade „fand durch den uns bei der Umdeutung des Olympi- und der Glorifizierung des „Opfer- aufgezwungenen Krieg nicht todes". Indem er Schillers „Seid 224 schen Gedankens. Die Sinnver- statt". schiebung zeichnete sich schon ab, umschlungen, Millionen" für „nicht Hitlers Kalkül mit dem olympi- als der Generalsekretär der Olympi- zeitgemäß" erklärte, zitierte er als schen „Aktivposten" seiner Politik schen Spiele 1936 mit der Langemarck- „Leitwort" für die deutsche Gegen- war nicht aufgegangen. Aber die Halle den olympischen Sport am wart den „Kriegsdichter der Sparta- deutschen Olympiafunktionäre wa- Vermächtnis der Gefallenen des Er- ner": ren ihm gefolgt und hatten sich mit sten Weltkrieges orientierte. Das „Schön ist der Tod, wenn der edle seiner Sportauffassung identifiziert, Ehrenmal appellierte jedoch nicht Krieger im vordersten Treffen

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221 Graf Baillet-Latour an v. Halt und v. Tschammer u. Osten, 24.11.1939. Abschrift, Übersetzung. Bayerisches Hauptstaatsar chiv München, Ministerialabteilung, MA107385. Und dies trotz der von Diem geplanten „Gefechtsübung" der Wehrmacht! 222 Schreiben vom 22.11.1939 an den Präsidenten des IOC, Brüssel. BA, NS 22/865. 223 Karl Ritter von Halt an die Mitglieder des Organisationskomitees, 22.11.1939. BA, NS 22/865. 224 Postkarte mit Stempel Garmisch-Partenkirchen, 21.2.1941. Privatbesitz H. J. Teichler (Bonn). 225 Schreiben an den Architekten Werner Maren, 7.8.1961. Carl-Diem-Institut. 226 BERNETT, „Der Sturmangriff bei Langemarck", S. 13. 227 P. de COUBERTIN, Der Olympische Gedanke, hrsg. v. Carl-Diem-Institut, Schorndorf 1966, S. 8.

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Für das Vaterland ficht und für das Deutschland integrierte er in seiner er nicht für die olympische Frie- 228 Vaterland stirbt" Person das nationale und das inter- densidee und nicht für den Pädago- Da Carl Diem den Leistungssport nationale Element Statt des bisheri- gen, sondern für den Kämpfer Cou- mit Kampf und Härte gleichsetzte, gen Nebeneinander empfahl er die bertin, um seine These von der krie- war der Krieg für ihn das Bewäh- Verschmelzung zu einer „alleinigen gerischen Funktion Olympischer rungsfeld des Sportsmannes. In die- Dauerform", in der „die Tradition Spiele zu erhärten: sem Zusammenhang bewertete er der Turnfeste und der deutschen „Dieser militärische Sinn der Olym- den sportlichen Rekord als Instru- Kampfspiele sowie der antiken pischen Spiele des Altertums wieder- ment soldatischer Erziehung: „Sein Spiele mit verwoben ist".232 Wie holt sich in der Neuzeit Ihr Wieder- Nutzen zeigt sich erst, wenn der über den Antrag verhandelt oder erwecker Coubertin war ein Mann, 229 in dessen Adern das Blut tapferer Krieg da ist [...]." Somit war der entschieden worden ist, weiß man Soldaten floß. Ihm lag aller Pazifis- Zweite Weltkrieg für Diem kein nicht; aber er ist ein Indiz für den mus, alle Friedensduselei welten- 233 Bruch in seiner Sport-Philosophie, deutschen „Sonderweg" innerhalb fern." kein Abbruch seiner olympischen der Olympischen Bewegung. Sollte Pläne er zu einer Synthese führen, und In diesem Text, der in deutscher wäre damit die Alternative interna- und französischer Sprache gedruckt Im Oktober 1939, unmittelbar nach wurde234, formulierte Diem die tionaler Olympischer Spiele gegen- der Eroberung Polens und der Ein- Stichworte für seine olympischen standslos geworden? Diem hatte gliederung westpolnischer Gebiete Vorträge an der Nord- und Ostfront. bei seinem Vorstoß den in das Deutsche Reich, konzipierte Die Wehrmacht hatte ihn dazu auf- „siegreichen Abschluß des Krieges" Diem die Idee eines Großdeutschen gefordert, während die Partei ihn - gegen die Westmächte vorausge- Olympia.230 Damit erhielt der tradi- nach eigenen Worten - daran zu setzt Als sich mit dem Waffenstill- tionelle Gedanke eines Nationalen hindern suchte.235 stand in Frankreich am 22. Juni 1940 Olympia, der die Deutschen Kampf- dieser Sieg abzeichnete, fand er in spiele hervorgebracht harte, eine Von der utopischen Friedensmis- den Erfolgen der Deutschen Wehr- neue politische Dimension. Im Be- sion des Olympismus wollte der wußtsein dieser Größenordnung er- macht eine Bestätigung seiner Sport- ehemalige Frontsoldat nichts wis- suchte Diem den Reichssportführer, Philosophie. Der Direktor des Inter- sen. In den Ruhestellungen der mit seinem Vorschlag an Hitler her- nationalen Olympischen Instituts hielt Truppe lehrte er die zeitgemäße anzutreten. Wie erklärt sich das er- es für legitim, den Ahnherren der Rechtfertigung durch „militäri- staunliche Selbstbewußtsein Diems Bewegung in diesen Gedanken- schen Sinn". Diem beteiligte sich an zu diesem Zeitpunkt? Im Herbst gang einzubeziehen. Bei einem Vor- der psychologischen Kriegsfüh- 1939 schwebte er „auf einer Welle trag im besetzten Paris, der für fran- rung, indem er Spartanertum pre- des Erfolgs", denn er hatte zahlrei- zösische Hörer bestimmt war, trans- digte und den „soldatischen Kern che Ämter und Aufgaben auf sich ponierte er die Olympische Idee in des Olympischen Gedankens" be- vereinigt.231 Als Organisator der er- das Zukunftsbild eines „neuen Eu- schwor. Coubertin galt nun als der sten Deutschen Kampfspiele und der ropa", ein Konstrukt nationalsozia- Mann, „in dessen Adern das Blut ersten Olympischen Spiele in listischer Propaganda. Darin warb tapferer Soldaten floß".236

228 C. DIEM, „Am Heldenmal der Spartaner", in: Ders., Olympische Flamme, Bd. 2, S. 986 f. 229 C. DIEM, „Sport muß Härte sein!", in: Sport der Wehrmacht 4 (1936), Nr. 16, S. 297. 230 Schreiben Diems an den Reichssportführer, 11.10.1939. CLDA. Dazu im einzelnen: H. J. TEICHLER, „Vom 'Deutschen' zum 'Großdeutschen Olympia'. Carl Diems Plan für ein 'Großdeutsches Olympia' aus dem Jahre 1939." In: R J. TEICHLER (Red.), Sportliche Festkultur in geschichtlicher Perspektive. DVS-Protokolle Nr. 42, Clausthal-Zellerfeld 1990, S. 85-104. Nach Auskunft des CLDA ist das Schriftstück nicht mehr vorhanden. 231 TEICHLER, „Vom 'Deutschen' zum 'Großdeutschen Olympia'", S. 95. 232 Ebenda, S. 91. 233 C. DIEM, Der Olympische Gedanke im neuen Europa. Berlin 1942. l'Idée Olympique dans la nouvelle Europe. Paris o.J. 234 Nach Teichler war der Verlag der deutschen Ausgabe eine „Tarngründung des Propagandaministeriums", siehe TEICH LER, Internationale Sportpolitik, S. 295, Anm. 41. 235 DIEM, Ein Leben für den Sport, S. 211.

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„Krieg war immer Erfüllung des chem Starkult mit soldatischem gentlichen Sinn der Leibeserzie- Manneslebens", zitierte Diem aus Heldentum in der politischen Lei- hung unterband letztlich aber alle Coubertins Werken.237 Das Parado- beserziehung des 'Dritten Reiches' Versuche, Spitzensportler in der xon olympischen Soldatentums hatte für viele Leibeserzieher, Sport- Etappe und in Heimatgarnisonen diente ihm dazu, eine geistige Ver- ler und vor allem für Spitzensport- ähnlich den Sparten der Unterhal- wandtschaft mit dem großen Sport- ler tödliche Konsequenzen. Wer den rungsindustrie und des Kulturbe- pädagogen zu konstruieren. Nach Sport als „Werkstatt zum Sieg"240 triebes zu schonen. Die vom Reichs- der Katastrophe von Stalingrad, als aufwertete oder wie der Reichssport- sportführer aus innerer Überzeu- der Angriffsgeist der Deutschen führer die Parole ausgab, „meine be- gung und aus Prestigegründen243 Wehrmacht zu erlahmen schien, sten Sportler sollen auch des Füh- forcierte praktische Umsetzung des rechtfertigte Diem die Funktion des rers beste Soldaten sein"241, konnte militaristisch interpretierten bür- olympischen Sports mit den er- es nicht dulden, daß bekannte gerlichen Sportmottos - pro patria 244 schreckenden Worten: Sportler in der Etappe oder in der est, dum ludere videmur - legte „Wenn Sport und Olympische Spiele Heimat eingesetzt wurden. Die den meisten deutschen Spitzen- uns etwas zu Nutzen gewesen sind, Umsetzung dieser Propagandapa- sportlern eine widersinnige und dann haben sie uns diesen Geist des verlustreiche Doppelbelastung auf. Angriffs und der blitzschnellen Ent- role kostete viele Olympiateilneh- 238 Anstelle einer Wettkampfpause schlußkraft gelehrt [...]." mern das Leben. Spitzenkönner des folgte der Fronteinsatz: Für Winter- Daß er in diesem Satz, der jedem Sports hatten nach der überraschen- sportler im Sommer, für Leichtath- Bildungsdenken Hohn spricht, aus den Fortsetzung des internationa- leten, Schwimmer und andere Hitlers 'Mein Kampf' zitierte, gibt len Sportverkehrs nach Kriegsbe- „Sommersportler" im Winter. Bis der Umdeutung der Olympischen ginn gehofft, ähnlich großzügig wie 1945 waren 51 Mitglieder der deut- Idee eine makabre Note. die Stars aus Film, Musik und Thea- ter in den Genuß von uk.-Stellun- schen Olympiamannschaft von 1936 gefallen. Olympiakämpfer als Opfer des gen zu kommen, da die Fortsetzung des Sportbetriebes als „Beweis der Dem verbrecherischen Krieg und Krieges eigenen Kraft nach innen und auß- der grausamen Besatzungs- und „Vaterlandes höchst Gebot -in der en"242 auch propagandistisch Rassenpolitik fielen insgesamt 124 239 Not Opfertod": ausreichend legitimiert schien. Die Olympiateilnehmer von 1936 zum Die ideologische Verknüpfung von Fixierung der NS-Sportideologie Opfer. Besonders groß war der Blut- sportlichem Kampf und sportli- auf die Wehrertüchtigung als ei- zoll der Polen, deren Olympia-

236 C. DIEM, „Olympia-Vortrag im Russenwald" [1943], in: Ders., Ausgewählte Schriften, Bd. 2, S. 296. 237 C. DIEM, „Olympische Spiele - aber erst wieder nach dem wahren Frieden" [1943], in: Ders., Ausgewählte Schriften, Bd. 2, S. 294. 238 Ebenda. 239 Zeile aus dem vierten Bild „Heldenkampf und Totenklage" aus Carl Diems Festspiel „Olympische Jugend" von 1936, das den Opfertod ebenso verherrlichte, wie seine in der Olympia-Zeitung abgedruckte Erzählung „Der Läufer von Marathon", die im Zweiten Weltkrieg Aufnahme in die Heeresbibliothek fand. Vgl. Patricia STÖCKEMANN, „Das Festspiel 'Olym pische Jugend'", in: H. MULLER/P. STOCKEMANN, „...jeder Mensch ist ein Tänzer" - Ausdruckstanz in Deutschland zwischen 1900 und 1945 (= Begleitbuch zur Ausstellung „Weltenfriede - Jugendglück" - vom Ausdrucktanz zum Olympischen Festspiel, Berlin 1993), Gießen 1993, S. 171-176. 240 Völkischer Beobachter vom 6.6.1940, S. 7. 241 NS-Sport vom 20. 4.1941, S. 1. 242 Vgl. TEICHLER, Internationale Sportpolitik, S. 309-315 und S. 323-325. 243 Tschammer untersagte den Fachamtsleitern jegliche u.k-Gesuche mit folgender Begründung: „Eine U.k.-Stellung junger, in vollem Umfang kriegsverwendungsfähiger Aktiver aber bringt den deutschen Sport in die unmittelbare Gefahr, in den Augen des Volkes seinen erzieherischen Charakter, ja seinen ganzen ethischen und politischen Wert zu verlieren und zum reinen Selbstzweck herunterzusinken. Deutschlands Sportler müssen zu seinen besten Soldaten zählen. Ohne dieses Wort wahrgemacht zu haben, wird dem deutschen Sport nach dem Kriege das Recht auf Ansehen und Ausbreitung streitig gemacht werden". Tschammer an alle Reichsfachamtsleiter und NSRL-Bereichsführer. Berlin, 23.3.1940. StA Prag URP Kart. 411, I-3d 6910. 244 ###

38 mannschaft 15 Tote zu beklagen Das Olympiastadion behielt auch im von Halt, übernahm die Führung, hatten. Weitere 17 Olympiateilneh- Kriege die Funktion eines Schau- während Diem als Ordonnanzoffi- mer wurden hingerichtet oder in platzes nationalsozialistischer zier eingesetzt wurde. Bei der Ver- Konzentrationslagern umgebracht, Kundgebungen, wie Hitler es ge- teidigung der „Havelfront" gegen davon fünf deutsche.245 Die Frie- wünscht hatte. Am „Führer-Ge- die anstürmende Rote Armee kam es densbeteuerungen aus Anlaß der burtstag" feierte hier die Berliner zu einer denkwürdigen Begegnung Olympischen Spiele von Berlin 1936 Hitler-Jugend die Aufnahme der zwischen führenden Männern, die haben sich nachträglich als giganti- 14jährigen Mitglieder des Deut- jugendliche Leibeserziehung am sches Täuschungsmanöver erwie- schen Jungvolks in die HJ. Im No- kriegerischen Ernstfall ausgerichtet sen. vember 1944 versammelte sich der hatten. Das Bataillon der Sportfunk- Volkssturm, das letzte Aufgebot der tionäre traf auf den Rest einer Volks- 16- bis 60jährigen auf dem Olympi- Reichssportfeld und sturmeinheit unter dem Komman- schen Platz, um auf den Obersten do des ehemaligen Jugendführers der Olympiastadion als Kriegsschau- Befehlshaber vereidigt zu werden. Deutschen Turnerschaft, Thilo Schel- platz im Endkampf um Berlin Hitlerjungen aus Wehrertüchti- ler. Erschütternd wirkte auch das gungslagern wurden im März 1945 Es entbehrt nicht der historischen Zusammentreffen mit einer dezi- auf dem Reichssportfeld zusammen- mierten HJ-Kampfgruppe unter Logik, daß die im olympischen Fest- gezogen und an der Waffe ausgebil- spiel verherrlichte Opferbereit- Obergebietsführer Ernst Schlünder, det. Carl Diem, Direktor des Chef der Leibeserziehung und der Wehr- schaft wenige Jahre später ernsthaft Internationalen Olympischen Instituts, gefordert wurde. Im Luftkrieg, der ertüchtigung in der Reichsjugendfüh- motivierte sie mit einer rung.250 Die auf dem Reichssportfeld 1942 eskalierte, war das markante „flammenden Rede, in der viel Oval des Stadions ein Orientie- stationierte Einheit sollte auf Hitlers von Sparta und Opferbereitschaft Befehl die Havelbrücken in Pichels- rungspunkt bei Tagesangriffen der vorkam", für den „siegreichen alliierten Bombergeschwader. Statt 248 dorf für die anrückende 12. Armee Endkampf". Wer angesichts der (General Wenck) und für einen Aus- der Falk-Scheinwerfer, die 1936 ei- aussichtslosen Lage diese bruchsversuch offenhalten. Wurde nen „Lichtdom" gebildet hatten, Bereitschaft nicht mehr aufbrachte das Olympiastadion „zu einer letzten wurden nun Flak-Geschütze auf und dem Unheil zu entkommen Festung der Faschisten", wie neuer- dem Olympiastadion montiert. Das suchte, wurde vor den Augen der dings behauptet wird?251 Die mili- Tunnelsystem unter den Tribünen Hitlerjungen in der Dietrich-Eckart- tärgeschichtliche Erforschung der erhielt eine verstärkende Stahlbe- Bühne standrechtlich erschossen, wo Kampfhandlungen dieses Ab- tondecke, um einen elektronischen man die Olympischen Spiele durch 246 schnitts wird heute maßgeblich von Rüstungsbetrieb aufzunehmen. einen Gottesdienst beendet hatte.249 Die Olympischen Ringe zwischen ehemaligen HJ-Führern bestimmt den Eingangstürmen wurden abge- Die Funktionäre der Reichssportfüh- Danach gab es keine „Schlacht um hängt - aus Sicherheitsgründen, rung bildeten den Kern eines Volks- das Olympiastadion", wenngleich wie es hieß.247 In den Gebäuden des sturmbataillons, das im Sportforum das Reichssportfeld wegen seiner Sportforums richtet die Wehrmacht Quartier bezog. Der kommissari- strategischen Bedeutung hart um- zahlreiche Dienststellen ein. sche Reichssportlehrer, Karl Ritter kämpft wurde.252 Um es zurückzu-

245 Nach Angaben der Gemeinschaft deutscher Olympiateilnehmer (GdO) handelt es sich bei den deutschen Opfern des NS-Tenors um: Alfred und Gustav-Felix Flatow (Turnen, Athen 1896, Julius Hirsch 0, Walter Meyer 0 und Werner Seelenbinder (Ringen, Berlin 1936). 246 Dazu im einzelnen T. SCHMIDT: Das Berliner Olympia-Stadion und seine Geschichte. Berlin 1983. 247 Mitteilung des damaligen Stadionverwalters M. Gereit an den Verf. v. 7.7.1985. 248 Schriftliche Erklärung des Augenzeugen Reinhard Appel, Chefredakteur des ZDF, 28.4.1984 249 R. Appel an den Verf., 16.12.1993. 250 Vgl. die ausführliche Darstellung bei H. BERNETT: Guido von Mengden, „Generalstabschef" des deutschen Sports. Berlin 1976, S.90f. 251 W. DRESSEN: „Kein Denkmalsturz in Berlin. Z.B. Langemarck-Halle", in Museumspädagogischer Dienst (Hrsg.): Museums Journal 1990, S. 15.

39 erobern, kam es am 27./28. April zu Wehmütig gedachte er seines Olym- dung des Olympischen Gedankens einem letzten Angriff, bei dem Hun- pischen Festspiels mit 10 000 Kin- von der Friedensfeier zur soldati- derte von notdürftig bewaffneten dern, aber Schuldbewußtsein blieb schen Bewährung. Die Verantwort- Hitlerjungen ums Leben kamen, wie ihm fremd.254 Diem erinnerte sich lichen und Betroffenen waren je- ein Augenzeuge geschildert hat.253 auch der „blutenden Hitlerjungen, doch nicht zur Selbstkritik bereit 1949 reihte man sich wieder in die Als die Waffen am 2. Mai 1945 die dort zusammengeschossen 255 Olympische Bewegung ein, ohne schwiegen, betrat Carl Diem das wurden", ohne jedoch seinen An- aus der Vergangenheit Konsequen- von Trümmern und Leichen übersä- teil an ihrer Motivierung zu über- zen zu ziehen. te Schlachtfeld. Der Anblick stimm- denken. te ihn verzweifelt, denn er hielt das Das apokalyptische Finale symboli- Reichssportfeld für „sein Werk". sierte die verhängnisvolle Umwen-

252 H. VOIGT: Wehrgeschichtliche Studie zum kombattanten Kriegseinsatz der HJ in und um Berlin. Hannover 1979. Bundesar chiv/Militärarchiv Freiburg. 253 H. ALTNER: Totentanz Berlin. Tagebuchblätter eines Achtzehnjährigen. Offenbach 1947,155 ff. Vgl. die Rekonstruktion der Kampfhandlungen (nach ALTNER) bei H. BERNETT, „Symbolik und Zeremoniell der XI. Olympischen Spiele in Berlin 1936", in: Sportwissenschaft 16 (1986), S. 394 f. Die genannte Zahl von 2 000 Toten und Verwundeten wird in der militärgeschichtlichen Forschung (VOIGT: Wehrgeschichtliche Studie...) bestritten. 254 C. DIEM: Ein Leben für den Sport. Erinnerungen aus dem Nachlaß, hersg. v. Carl-Diem-Institut Ratingen o.J. (1974), S. 224 f. 255 Bericht Carl DIEMS in L. DIEM,: Fliehen oder bleiben? Dramatisches Kriegsende in Berlin. Freiburg 1982, S. 109.