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Einsicht 04 Bulletin des Fritz Bauer Instituts

Fritz Bauer Institut Holocaust, Geschichte und jüdische Geschichte und Gegenwart Wirkung des Holocaust PPädagogischeädagogische AAnnäherungennnäherungen Editorial

Unsicherheit in der Beurteilung rassistischer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Äußerungen verbirgt sich hinter dem irreführenden Wortgebrauch. Ein Tabu ist bekanntlich eine Sache, die man nicht berühren darf, resp. Worte und Sätze, die man nicht aussprechen darf. Geschützt durch ein göttliches oder gesellschaftliches Verbot, ist es nicht begründungsbedürftig. Dass man aber Władysław Bar- toszewski nicht beleidigen darf, ist kein Tabu – es zu tun ist einfach falsch. Jemanden durch eine solche Äußerung in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen kann in gewissen Fällen sogar nach § 11 Abs. 3 des deutschen Strafgesetzbuches bestraft werden. Dass es kein jüdisches Gen gibt, verdankt sich nicht dem Schutzraum eines Tabus, sondern schlichter wissenschaftlicher Erkenntnis. Die vorliegende Herbstausgabe unseres Bulletins Einsicht hat den Themenschwerpunkt »Holocaust, jüdische Geschichte und Ge- genwart – Pädagogische Annäherungen« (S. 14–53). Die Beiträge Liebe Leserinnen und Leser, des Schwerpunkts sind vor allem von den MitarbeiterInnen des vom Fritz Bauer Institut und dem Jüdischen Museum Frankfurt im letzten man könnte auf den ersten Blick zufrie- Jahr gegründeten Pädagogischen Zentrums verfasst worden. Eine den sein mit der Sarrazin/Steinbach- wichtige Aufgabe dieses Zentrums ist es, Lehrern den Umgang mit Debatte. Der Ex-Bundesbanker und die Themen zu ermöglichen, die heute in Deutschland noch viel zu oft Vorsitzende des Bundes der Vertriebe- fälschlich als »Tabuthemen« bezeichnet werden. Ebenso beliebt ist Aus dem Englischen von nen haben zwar in den letzten Wochen die Rede von »vermintem Gelände«. Antisemitismus ist kein »Tabu« viel Raum in den Medien eingenom- – er soll auch nicht »tabuisiert«, sondern bekämpft werden. Jüdische Christiana Goldmann men, die Reaktion auf die beiden war Geschichte ist gleichfalls kein »vermintes Gelände«, sondern vor 494 S., Geb., ` 32,- jedoch vorwiegend kritisch. Niemand allem viel zu vielen Menschen in Deutschland gänzlich unbekannt. hat sich darauf eingelassen, mit Thilo Auch da wird die Arbeit des neuen Pädagogischen Zentrums in ISBN 978-3-86854-223-3 Sarrazin über ein spezielles jüdisches Zukunft hoffentlich viel bewirken. Wir wünschen unseren Mitarbei- Gen zu fabulieren. Niemand knüpfte an terInnen viel Erfolg bei diesen Aufgaben, und ich hoffe, die Vielfalt die von Erika Steinbach verteidigte, fast der dabei anzugehenden Themen und ihre Dringlichkeit werden in … In Großbritannien und den Vereinigten Staaten hat ›Moralische »Das Lächeln der Kantianerin nahtlos auf zurückgehende verleumderische Rhetorik den hier vorgelegten Beiträgen deutlich. Klarheit‹ schon für Aufsehen gesorgt. Philosophisch geht es um die an, die Deutschland quasi als Opfer einer aggressiven polnischen Eine Philosophin, die so schreibt, Wiederbelebung der Aufklärung im Sinne Immanuel Kants. Politisch Politik darstellte. Steinbach sah sich zudem aufgrund der einstim- Prof. Dr. Raphael Gross migen Kritik auf ihre in der Tat außergewöhnlich primitive Belei- Frankfurt am Main, im September 2010 geht es darum, den evangelikalen Christen und anderen konserva- digung des ehemaligen polnischen Außenministers und heutigen dass man es versteht? tiven Bewegungen die Deutungshoheit über Werte wie Moral, Idea- Deutschlandbeauftragten Władysław Bartoszewski sogar genötigt, lismus und Heldentum zu entreißen. Mal liest sich das Buch wie ihre vor laufender Kamera gemachten Invektiven über dessen an- geblich »schlechten Charakter« zurückzunehmen, wenn auch der Und darüber hinaus noch glaub- eine Streitschrift, mal wie ein philosophischer Roman, mal wie eine ressentimentgeladene beleidigte Zungenschlag beibehalten wurde. essayistische Auslotung des Zeitgeists.« Daniel Schreiber, Cicero Sarrazin hat unter Druck sein Gerede von dem jüdischen Gen eben- haft versichert, mit den Maximen falls bedauert. Doch bei genauerer Betrachtung fällt der Lackmustest dieser der Aufklärung die Welt ver- Reaktionen nicht ganz so eindeutig aus, wie man vielleicht hoffen würde. Insbesondere ein Wort – es ist außerdem eines der Lieb- lingsworte von Sarrazin in seinem Buch Deutschland schafft sich ändern zu können? ab – muss aufhorchen lassen. Schnell wurde nämlich das scheinba- re Argument bemüht, es sei unerhört, wie Sarrazin und Steinbach Die in lebende Ameri- »Tabus« verletzen würden. Der Begriff scheint mir seltsam deplat- ziert. Sind die Äußerungen von Sarrazin oder Steinbach wirklich Ver- kanerin Susan Neiman ist so letzungen eines Tabus – oder nicht einfach falsch? Eine eigentümliche

eine Ausnahmeerscheinung … www.Hamburger-Edition.de Einsicht 04 Herbst 2010 Foto: Helmut Fricke, Frankfurter Allgemeine Zeitung Inhalt

Einsicht Pädagogisches Zentrum Forschung und Vermittlung Frankfurt am Main Exilforschung in der edition text + kritik Themenschwerpunkt »Holocaust, jüdische Geschichte 98 Angebote und Beratung und Gegenwart – Pädagogische Annäherungen« 99 Führungen und Studientage, Berichte und Mitteilungen 14 Identitäten, Zugehörigkeiten, Projektionen. Themen und Fragestellungen für das Pädagogische Zentrum Frankfurt Eine Einleitung von Gottfried Kößler EXILFORSCHUNG – 16 Gegenwartsbeziehungen. Erinnerungsbildung auf der Suche Ein internationales nach zeitgemäßen Perspektiven / Astrid Messerschmidt Nachrichten und Berichte Jahrbuch 22 Würde und Scham. Der Gegenstand des Lernens über den Information und Kommunikation 28 Holocaust vor dem Hintergrund der geistesgeschichtlichen n Gedächtnis des Exils Band 28 / 2010 e Formen der Erinnerung Forschung / Gottfried Kößler Aus dem Institut u Gedächtnis des Exils 28 Museumspädagogik in Jüdischen Museen. Neue 102 Relaunch: Neue Websites des Instituts, des Jüdischen Formen der Erinnerung Perspektiven auf alte Themen / Katharina Rauschenberger Museums und des Pädagogischen Zentrums Fritz Bauer Institut 30 Christen, Juden und das Geld. Über die Permanenz eines etwa 250 Seiten, ca. € 29,– ISBN 978-3-86916-077-1 Im Überblick Vorurteils und seine Wurzeln / Wolfgang Geiger Aus dem Förderverein 38 Wie erzählt man jüdische Geschichte? Narrative Konzepte 102 Bericht des Vereinsvorstands / Brigitte Tilmann Band 28 stellt Institutionen des kulturellen Gedächt- 4 Das Institut / Mitarbeiter / Gremien jüdischer Geschichte in Schulbüchern / Martin Liepach nisses wie Archive und Bibliotheken vor und untersucht 44 Didaktik zur jüdischen Gegenwart. Versuch einer Aus Kultur und Wissenschaft Formen der Erinnerung und des Vergessens am Beispiel Annäherung an ein Konzept / Manfred Levy 103 Neue Leitung: Jugendbegegnungsstätte Anne Frank von Ausstellungen und literarischen Texten. 50 Mit Kindern nicht nur über den Holocaust sprechen … 103 Neu berufen: Rebekka Voß, Seminar für Judaistik Notwendiger Perspektivwechsel auch zur Thematisierung 104 Auszeichnung: Rosl und Paul Arnsberg-Preis 2010 Veranstaltungen jüdischen Lebens in Geschichte und Gegenwart 104 Interviews mit Zeitzeugen und deren pädagogische Halbjahresvorschau Monica Kingreen Nutzung am Holocaustdenkmal Berlin 106 »Du bist anders«? Verfolgung von Jugendlichen im 6 Lehrveranstaltungen Nationalsozialismus 7 Vortragsreihe: Kulturpolitik im »Dritten Reich« 106 Memory Loops: 300 Tonspuren zu Orten des NS-Terrors 8 Vortrag von Tom Segev: Simon Wiesenthal. Die Biographie in München 1933–1945 Politik – Parteiarbeit –

8 Wanderausstellung »Legalisierter Raub« Einsicht 107 »Was ist eine Fuge?« Website zu Paul Celan: Pazifismus in Häntzschel Hiltrud (Hg.) Inge Hansen-Schaberg Kommentare Wege – Stationen – Biographisches der Emigration 108 Straßenumbenennung: Fritz-Bauer-Straße in Stuttgart- Frauen handeln Politik – Parteiarbeit – Pazifi smus in der Emigration 54 Amnestie von NS-Gehilfen. Die Novellierung des Sillenbuch Frauen handeln § 50 Abs. 2 StGB und dessen Auswirkungen auf die (Frauen und Exil, Band 3) n Neuerscheinungen NS-Strafverfolgung / Michael Greve e 277 Seiten, € 22,– u 58 Die Leere im Getto. Wie SCHINDLERS LISTE die Aktuelle Publikationen des Instituts ISBN 978-3-86916-078-8 Erinnerung in Krakau formt

9 Ulrich Wyrwa (Hrsg.), Die Reaktion des europäischen Juden- Andrea Löw und Markus Roth Ausstellungsangebote Der Band befasst sich mit dem gewaltsamen Abbruch der tums auf die Entstehung des Antisemitismus (1879–1914) Wanderausstellungen des Instituts Emanzipationsprozesse im Jahre 1933 und mit der not- 9 Micha Brumlik, Karol Sauerland (Hrsg.), Umdeuten, wendigen Neudefinition von »politischem Handeln« von verschweigen, erinnern. Die späte Aufarbeitung des 109 Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung Frauen unter den Bedingungen von Verfolgung und Exil. Holocaust in Europa der Juden in Hessen 1933–1945 10 Barbara Thimm, Gottfried Kößler, Susanne Ulrich (Hrsg.), Rezensionen 111 Die IG Farben und das KZ Buna/Monowitz Verunsichernde Orte. Selbstverständnis und Weiterbildung Buch- und Filmkritiken 111 Ein Leben aufs neu. Das Robinson-Album in der Gedenkstättenpädagogik 10 Raphael Gross, Anständig geblieben. 62 Rezensionsverzeichnis: Nationalsozialistische Moral Liste der besprochenen Bücher und Filme Levelingstraße 6a [email protected] 81673 München www.etk-muenchen.de 11 , Ich kann nicht vergeben. Meine Flucht 64 Rezensionen: Aktuelle Publikationen aus Auschwitz zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 112 Impressum

Einsicht 04 Herbst 2010 Fritz Bauer Institut Im Überblick

Mitarbeiter und Arbeitsbereiche

Direktor Prof. Dr. Raphael Gross

Administration Dorothee Becker (Sekretariat) Werner Lott (Technische Leitung und Mediengestaltung) Manuela Ritzheim (Leitung des Verwaltungs- und Projektmanagements)

Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Dr. Dmitrij Belkin (Ideen-, Rechts- und Migrationsgeschichte) PD Dr. Werner Konitzer (stellv. Direktor, Forschung) Dr. Jörg Osterloh (Zeitgeschichtsforschung) Das Fritz Bauer Institut Dr. Katharina Rauschenberger (Programmkoordination)

Das Fritz Bauer Institut ist eine interdisziplinär ausgerichtete, un- Pädagogisches Zentrum abhängige Forschungs- und Bildungseinrichtung. Es erforscht und des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt dokumentiert die Geschichte der nationalsozialistischen Massen- Dr. Wolfgang Geiger verbrechen – insbesondere des Holocaust – und deren Wirkung bis Monica Kingreen in die Gegenwart. Gottfried Kößler (stellv. Direktor, Pädagogik) Das Institut trägt den Namen Fritz Bauers (1903–1968) und ist Manfred Levy Wissenschaftlicher Beirat seinem Andenken verpfl ichtet. Bauer widmete sich als jüdischer Dr. Martin Liepach Stiftungsrat Remigrant und radikaler Demokrat der Rekonstruktion des Rechts- Prof. Dr. Joachim Rückert systems in der BRD nach 1945. Als hessischer Generalstaatsanwalt Archiv und Bibliothek Für das Land Hessen: Vorsitzender, Goethe-Universität Frankfurt am Main hat er den Frankfurter Auschwitz-Prozess angestoßen. Werner Renz Volker Bouffi er Prof. Dr. Moritz Epple Am 11. Januar 1995 wurde das Fritz Bauer Institut vom Land Ministerpräsident stellv. Vorsitzender, Goethe- Universität Frankfurt am Main Hessen, der Stadt Frankfurt am Main und dem Förderverein Fritz Freie Mitarbeiter, Doktoranden Eva Kühne-Hörmann Prof. Dr. Wolfgang Benz Bauer Institut e.V. als Stiftung bürgerlichen Rechts ins Leben geru- Ronny Loewy (Cinematographie des Holocaust) Ministerin für Wissenschaft und Kunst Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin fen. Seit Herbst 2000 ist es als An-Institut mit der Goethe-Universität Katharina Stengel (Doktorandin der Fritz Thyssen Stiftung) Prof. Dr. Dan Diner assoziiert und hat seinen Sitz im IG Farben-Haus auf dem Campus Für die Stadt Frankfurt am Main: Hebrew University of Jerusalem / Simon-Dubnow-Institut für Westend in Frankfurt am Main. Petra Roth jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig Forschungsschwerpunkte des Fritz Bauer Instituts sind die Be- Rat der Überlebenden des Holocaust Oberbürgermeisterin Prof. Dr. Atina Grossmann reiche »Zeitgeschichte« und »Erinnerung und moralische Auseinan- Prof. Dr. Felix Semmelroth Cooper Union University, New York dersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust«. Gemeinsam mit Trude Simonsohn (Vorsitzende und Ratssprecherin) Dezernent für Kultur und Wissenschaft Prof. Dr. Volkhard Knigge dem Jüdischen Museum Frankfurt betreibt das Fritz Bauer Institut Siegmund Freund Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora das Pädagogische Zentrum Frankfurt am Main. Zudem arbeitet das Dr. Heinz Kahn Für den Förderverein Fritz Bauer Institut e.V.: Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber Institut eng mit dem Leo Baeck Institute London zusammen. Das Inge Kahn Brigitte Tilmann Sigmund Freud Institut, Frankfurt am Main aus diesen Verbindungen heraus entstehende Zentrum für jüdische Dr. Siegmund Kalinski Vorsitzende Prof. Dr. Gisela Miller-Kipp Studien soll neue Perspektiven eröffnen, sowohl für die Forschung Prof. Dr. Jiří Kosta Herbert Mai Heinrich- Heine-Universität Düsseldorf wie für die gesellschaftliche und pädagogische Vermittlungsarbeit. Imo Moszkowicz 2. Vertreter des Fördervereins Krystyna Oleksy Die Arbeit des Instituts wird unterstützt und begleitet vom Wis- Katharina Prinz Staatliches Museum Auschwitz- Birkenau, Oświęcim senschaftlichen Beirat, dem Rat der Überlebenden des Holocaust Dora Skala Für die Goethe-Universität Frankfurt am Main: Prof. Dr. Walter H. Pehle und dem Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. Tibor Wohl Prof. Dr. Werner Müller-Esterl S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main Universitätspräsident Prof. Dr. Peter Steinbach Prof. Dr. André Fuhrmann Universität Karlsruhe Abb.: Haupteingang des IG Farben-Hauses auf dem Campus Westend Dekan, Fachbereich Philosophie und Prof. Dr. Michael Stolleis der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Foto: Werner Lott Geschichtswissenschaften Goethe- Universität Frankfurt am Main

4 Fritz Bauer Institut Einsicht 04 Herbst 2010 5 Veranstaltungen Halbjahresvorschau

theoretischer wie philosophischer Refl exion. dem Holocaust. Wie war die Lage in den wie beispielsweise das Gedenkprojekt Organisation des Kulturlebens, die ideolo- Sie hat Anlage und Konstruktion der Dialek- Displaced-Person-Camps im Nachkriegs- »Stolpersteine«, werden kritisch refl ektiert. gischen Ansprüche und die Praxis der natio- tik der Aufklärung wesentlich mit bestimmt. deutschland? Warum sind circa 20.000 Ju- nalsozialistischen Kulturpolitik – in diesem Damit antworten Horkheimer und Adorno den in der Bundesrepublik geblieben? Wie Kontext stehen auch die Kompetenzkämpfe auf die Erfahrung des Völkermordes an den gestaltete sich der Neubeginn des jüdischen etwa zwischen und Alfred europäischen Juden. In dem Text des Ka- (Gemeinde-)Lebens hier? Welche jüdische Lehrveranstaltung Rosenberg – sowie die Ausschaltung von pitels »Elemente des Antisemitismus« sind Identität entstand in der BRD? Wie reagierte politischen Gegnern und aller Juden. verschiedene Erklärungen und Deutungsver- die Gesellschaft im Land der Täter? Und es Christen, Juden und das Geld suche zum Antisemitismus zu einem kom- wird uns die Frage beschäftigen, was Ruth Christoph Schmidt plexen Gewebe verbunden. In dem Seminar Gay dazu veranlasste, ihrem 2002 veröf- Dr. Martin Liepach, Dr. Wolfgang Geiger, Übung, Die Organisation der Kulturpolitik soll sich die Diskussion auf dieses Kapitel fentlichten Buch den paradoxen Titel »Safe freitags 14.00–16.00 Uhr, Goethe-Universität Frank- im »Dritten Reich« (Arbeitstitel) konzentrieren. Die einzelnen Erklärungen Among the Germans« zu geben. furt am Main, Campus Westend, IG Farben-Haus, Raum 454; Institutionen: Pädagogisches Zentrum und Deutungen sollen unterschieden und Frankfurt und Seminar für Didaktik der Geschichte Dienstag, 16. November 2010, 18.00 Uhr, Goethe- auf ihre Plausibilität hin betrachtet werden. Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, Darüber hinaus soll der Versuch unternom- Eine angebliche besonde- Casino am IG Farben-Haus, Raum 1.812 Lehrveranstaltung »amoralisch«, »undeutsch« und vor allem men werden, das Kapitel in die Theoriege- Lehrveranstaltung re Affi nität der Juden zum »jüdisch« gebrandmarkt – hieran knüpften schichte der Antisemitismustheorie einzu- Geld ist das grundlegendste und allgemeinste Christoph Schmidt, geboren 1972, ist Archi- Kulturpolitik im die Nationalsozialisten an. Juden galten als ordnen. Es geht auch darum, Antworten auf Jüdisches Leben und aller Vorurteile über Juden, es lässt sich na- var im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. »Dritten Reich« »Kulturzerstörer«, »Arier« im Gegensatz die Frage zu fi nden, warum und in welcher Verfolgung in der NS-Zeit hezu bei jeder Gelegenheit, zu jedem Thema Der Historiker und Germanist promovierte dazu als »Kulturschöpfer«. Da der Kampf Form Antisemitismus in der Dialektik der als zwei unterschiedliche und historisch rückblickend für jede Epoche 2003 mit seiner Studie über »Kommunale gegen die weithin abgelehnte Moderne zu- Aufklärung ein Gegenstand philosophischer einsetzen. Es hat sich schon so weit ver- NS-Kulturpolitik im Parteigau Westfalen- Dr. Jörg Osterloh, Übung, dienstags 12.00–14.00 mindest Teile des konservativen Bürgertums Refl exion wird. Themen im Unterricht der selbstständigt, dass es längst nicht mehr nur Nord (1933–1945)«, die 2006 in der Reihe Uhr, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus ansprach, diente die Kulturpolitik auch zu Grundschule (D/W) in bewusst antisemitischer Absicht auftaucht. Forschungen zur Regionalgeschichte im Westend, IG Farben-Haus, Raum 4.401; Institutionen: dessen Anbindung an das Regime. In der Das Klischee geht auf unzulängliche und fal- Schöningh Verlag, Paderborn erschienen ist. Fritz Bauer Institut und Historisches Seminar Übung sollen ideologische Grundlagen und Monica Kingreen, Seminar, freitags 14.00–16.00 Uhr, sche Vorstellungen von der Geschichte der Praxis der NS-Kulturpolitik in den Blick ge- Lehrveranstaltung Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus West- Geldwirtschaft und des diesbezüglichen Ver- Jan-Pieter Barbian Das NS-Regime erhob nommen werden. Ein besonderes Augen- end, Casino am IG Farben-Haus, Raum 1.812; Institu- hältnisses zwischen Juden und Christen seit Ein gescheitertes Experiment? tionen: Pädagogisches Zentrum Frankfurt und Seminar »Kultur« 1933 umgehend merk gilt dabei den beteiligten Institutionen Safe Among the Germans für Didaktik der Geschichte dem Mittelalter zurück. In der Übung sollen Zur Bedeutung des Buches für die in den Rang einer Staatsaufgabe, zentra- und Akteuren. Juden im Nachkriegs- anhand zentraler wie auch weniger bekannter NS-Mediendiktatur lisierte die Kulturpolitik und verteilte die deutschland 1945–1970 In diesem Seminar wer- Quellen die historische Wirklichkeit und das Kompetenzen hierfür neu. Das Reichspro- den die Möglichkeiten historische Vorurteil gegenübergestellt und Dienstag, 30. November 2010, 18.00 Uhr, Goethe- pagandaministerium war de facto zugleich und Grenzen ausgelotet, mit älteren untersucht werden. Die Spannbreite reicht Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, Casino am IG Farben-Haus, Raum 1.812 Reichskulturministerium; eine zentrale Lehrveranstaltung Dr. Dmitrij Belkin, Übung, Blockseminar 27./28. Grundschulkindern jüdisches Leben in dabei von den mittelalterlichen Wurzeln bis Rolle spielte auch die im Herbst 1933 neu November 2010 und 22./23. Januar 2011, Uhrzeit und Vergangenheit und Gegenwart sowie die ins 20. Jahrhundert. Eine mögliche Verwen- geschaffene Reichskulturkammer. Geprägt Ort werden noch bekannt gegeben, Einführungstermin: Verfolgung der Juden in der NS-Zeit zu dung von Texten im schulischen Unterricht Dr. Jan-Pieter Barbian, geboren 1958, ist »Elemente des Antisemitis- 27. Oktober 2010, 10.00–12.00 Uhr, Goethe-Univer- wurde die Kulturpolitik von führenden mus« in der »Dialektik der sität Frankfurt am Main, Campus Westend, Casino am thematisieren. Einschlägige hilfreiche wird ebenfalls thematisiert. Direktor der Stadtbibliothek Duisburg. Der Nationalsozialisten wie Hitler, Goebbels, Aufklärung« IG Farben-Haus, Raum 1.802; Institutionen: Fritz Kinderbücher werden vorgestellt und kri- Historiker, Germanist und Philosoph pro- Rosenberg und Göring, aber auch einfl uss- Bauer Institut und Historisches Seminar tisch betrachtet. Mehrere Exkursionen zu movierte 1991 mit einer Studie über die reichen Satrapen des NS-Regimes in der Stätten Frankfurter jüdischen Lebens heu- »Literaturpolitik im ›Dritten Reich‹. Insti- Provinz. Sie diente den Nationalsozialisten PD Dr. Werner Konitzer, Proseminar, montags, Ist ein Leben nach dem Mas- te und in der Vergangenheit sind ebenso Vortragsreihe tutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder«, zur Durchsetzung, Legitimation und Siche- 10.00–12.00 Uhr, Goethe-Universität Frankfurt am senmord möglich? Und das vorgesehen wie die Begegnung mit einem veröffentlicht 1993 im Archiv für Geschich- rung ihrer Herrschaft. Allerdings war sie Main, Campus Westend, Hörsaalzentrum, Raum als Jüdin/Jude in Deutschland? Ein amerika- Zeitzeugen. (Bitte hier etwas mehr Zeit te des Buchwesens; eine überarbeitete und HZ 14; Institutionen: Fritz Bauer Institut und Histori- Kulturpolitik im durch verworrene Zielvorstellungen und sches Seminar nischer Situationsbericht vom Herbst 1945 einplanen!) Ein Kinderstadtführer zum »Dritten Reich« aktualisierte Taschenbuchausgabe erschien andauernde Kompetenzkämpfe geprägt. In fasste die Lage der die KZs überlebenden früheren jüdischen Leben in einer hessi- 1995 bei dtv. einem Punkt herrschte freilich von Anfang Das Kapitel »Elemente des Juden in den Worten zusammen: »Sie sind schen Kleinstadt, der auch die Einschnitte an Einigkeit: Alle Juden sollten aus dem Antisemitismus« aus dem befreit, aber nicht frei.« Wir befassen uns für die jüdischen Familien durch die NS- Die Vortragsreihe soll sich Weitere Veranstaltungen der Vortragsreihe Kulturleben ausgeschaltet werden. Deutsch- Buch Dialektik der Aufklärung von Adorno mit den diversen Aspekten der Geschichte Verfolgung beschreibt, wird vorgestellt. mit zentralen Bereichen der sind in Planung. Bitte informieren Sie sich völkische Kreise hatten die kulturelle Mo- und Horkheimer stellt die Analyse von An- und des Lebens der Juden in Deutschland Weitere Möglichkeiten der Annäherung für Kulturpolitik im »Dritten Reich« befassen. über Termine, Themen und Referenten auf derne bereits in der Zwischenkriegszeit als tisemitismus in das Zentrum gesellschafts- während des ersten Vierteljahrhunderts nach ältere Grundschulkinder an diese Themen, Die Beiträge behandeln unter anderem die unserer Website: www.fritz-bauer-institut.de

6 Veranstaltungen Einsicht 04 Herbst 2010 7 Neuerscheinungen Aktuelle Publikationen des Instituts

Vortrag das faszinierende Leben, die vielschichtige »Da mein Sohn außeror- Ulrich Wyrwa ist Professor für Neuere Ge- Persönlichkeit sowie die außerordentlichen dentlich begabt ist, wie schichte an der Universität Potsdam und Pro- Tom Segev Verdienste des Simon Wiesenthal erhellt.« auch sein Lehrer bestätigt, bitte ich Sie, jektleiter am Zentrum für Antisemitismus- Simon Wiesenthal Ian Kershaw mir das Klavier des evakuierten Juden zu forschung an der Technischen Universität Die Biographie überlassen.« Mit dieser Bitte trat 1942 ein Berlin. Im Wintersemester 2008/2009 hatte er Tom Segev ist Historiker und einer der pro- Offenbacher Bürger an sein Finanzamt he- die Gastprofessur für interdisziplinäre Holo- fi liertesten Journalisten Israels. In Deutsch- ran. Zu dieser Zeit waren die Finanzämter caustforschung des Fritz Bauer Instituts an der Donnerstag, 28. Oktober 2010, 19.00 Uhr, Goethe- land wurde er durch sein Buch Die siebte bereits mit der sogenannten Verwertung des Goethe-Universität Frankfurt am Main inne. Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, Million. Der Holocaust und Israels Poli- Eigentums der Deportierten befasst, das seit Grüneburgplatz 1, Hörsaalzentrum, Raum HZ 7 tik der Erinnerung (1995) bekannt. Für Es der 1941 erlassenen 11. Verordnung zum Das Jahrbuch erscheint mit Unterstützung des Förder- war einmal ein Palästina (2005) wurde er Reichsbürgergesetz dem »Reich verfi el«. vereins Fritz Bauer Institut e.V. Mitglieder des Förder- Vom Tag seiner Befreiung mit dem National Jewish Book Award aus- Überall kam es zu öffentlich angekündigten vereins können das Jahrbuch zum reduzierten Mitglie- derpreis von € 23,90 im Abonnement beziehen. aus dem Konzentrations- gezeichnet. Zuletzt erschien von ihm Die Auktionen von Wohnungsinventar aus dem lager Mauthausen an machte Simon Wie- ersten Israelis. Die Anfänge des jüdischen Besitz von Juden: Tischwäsche, Möbel, Kin- senthal (1908–2005) es sich zur Lebensauf- Staates (2008). derspielzeug, Geschirr, Lebensmittel usw. gabe, NS-Verbrecher aufzuspüren und vor wechselten den Besitzer. Viele schrieben an Ulrich Wyrwa (Hrsg.) Die Entstehung des Anti- Micha Brumlik, Karol Sauerland (Hrsg.) Gericht zu bringen. Fünf Jahre nach seinem Tom Segev, Simon Wiesenthal. Die Biographie die Finanzämter, um sich das begehrte Kla- semitismus im 19. Jahr- Tod legt nun der bekannte Historiker und Aus dem Hebräischen von Markus Lemke vier oder die schönere Wohnung zu sichern. Einspruch und Abwehr hundert stellte die jüdische Bevölkerung in Umdeuten, Journalist Tom Segev die erste aus Origi- München: Siedler Verlag, 2010, 576 S., mit Abb., Die Ausstellung gibt einen Einblick in die Europa vor eine gänzlich neue Situation. Sie € 29,95, ISBN 978-3-88680-858-8 Die Reaktion des verschweigen, erinnern nalquellen erarbeitete Biografi e dieser Jahr- Geschichte des legalisierten Raubes, in die europäischen Judentums sah sich neuartigen Formen von Angriffen, Die späte Aufarbeitung hundertgestalt vor, enthüllt zahlreiche bisher Lebensgeschichten von Tätern und Opfern. Ausgrenzungen und Anfeindungen ausge- unbekannte Tatsachen und erzählt eindrucks- Das umfangreiche Begleitprogramm auf die Entstehung des setzt. In der rückschauenden Betrachtung ist des Holocaust in voll das Leben des »Nazi-Jägers«, der selbst Wanderausstellung zur Ausstellung finden Sie unter: www. Antisemitismus (1879–1914) den Juden nicht zuletzt von jüdischer Seite Osteuropa auch zeitlebens ein Verfolgter blieb. fritz-bauer-institut.de/legalisierter-raub.html selbst immer wieder vorgehalten worden, Als Simon Wiesenthal im Alter von 97 Legalisierter Raub Weitere Informationen zur Wanderaus- dass sie nicht hinreichend und entschieden Jahren in Wien starb, betrauerte die Welt ei- Der Fiskus und die stellung »Legalisierter Raub« lesen Sie auf genug gegen den Antisemitismus vorge- nen unermüdlichen Kämpfer gegen das Böse. Ausplünderung der Juden den Seiten 109/110 in diesem Heft. gangen sind. Tatsächlich aber haben Juden Hollywood verklärte ihn zum Helden, gleich- sich schon im 19. Jahrhundert immer wieder wohl hatte er Zeit seines Lebens auch Ableh- in Hessen 1933–1945 und deutlich gegen die feindseligen Unter- nung und Anfeindungen erfahren, viele sahen stellungen und antisemitischen Übergriffe in ihm einen unversöhnlichen Störenfried. Er 12. März bis 22. Oktober 2010, Rotenburg an der Veranstaltungshinweis zur Wehr gesetzt. Die Reaktion der Juden entfachte die Fantasie von Menschen auf der Fulda, Studienzentrum der Finanzverwaltung und in Europa auf den Antisemitismus bestand ganzen Welt, fesselte und beängstigte sie, be- Justiz, Josef-Durstewitz-Straße 2–6, 36199 Rotenburg UNDKANAL OTRE AZI zunächst in intellektuellen Eingriffen, das an der Fulda, Öffnungszeiten: Mo., Di., Do. 8.00 bis W / N N lastete ihr Gewissen und verlieh ihnen doch 18.00 Uhr, Mi. 8.00 bis 20.00 Uhr, Fr. 8.00 bis 12.00 Filme von Thomas Harlan heißt in dem Versuch, das Phänomen der einen tröstlichen Glauben an das Gute. Uhr, Anmeldung zu Führungen: Wolfgang Hein, und Robert Kramer neuen Judenfeindschaft zu erfassen und Anhand von zahlreichen Briefen, Ge- Tel.: 06623.932-126, [email protected] diese öffentlich zurückzuweisen. Dafür heimdienstdossiers und anderen, bislang un- steht der Begriff Einspruch. Darüber hinaus bekannten Quellen zeichnet Tom Segev in 8. November 2010 bis 27. März 2011, Korbach, Dienstag, 9. November 2010, 19.30 Uhr, Pupille – Jahrbuch 2010 zur Geschichte und Wirkung des suchten die europäischen Juden politisch, in Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, seinem Buch die faszinierende Biografi e Si- Eröffnung: Sonntag, 7. November 2010, 11.15 Uhr, Kino in der Uni, Mertonstr. 26–28, Frankfurt am Holocaust, Band 14 der Praxis, durch die Bildung von Verbän- Band 18 Wolfgang-Bonhage-Museum Korbach, Kirchplatz 2, mon Wiesenthals nach: die höchst lebendige Main, [email protected], www.pupille.org Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts den und mithilfe von organisiertem politi- Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010 34997 Korbach, Öffnungszeiten: Di. bis So., 11.00– Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010 257 S., € 29,90, EAN 978-3-593-39271-4 und spannende Lebensgeschichte eines über- 16.30 Uhr, für Schulklassen und Gruppen nach Verein- ca. 320 S., € 29,90, EAN 978-3-593-39278-3 schen Engagement den Antisemitismus zu aus mutigen Mannes, der eine Reihe atem- barung auch außerhalb der Öffnungszeiten. Eintritt Die in der letzten Ausgabe bekämpfen – eine Strategie, die im Begriff beraubender Aktionen initiierte und dabei frei. Für Gruppen werden Führungen (Kosten: € 35,–) des Bulletins (Einsicht 03, Mit Beiträgen von Ulrich Wyrwa, Rafael Arnold, Abwehr zusammengefasst werden kann. In Ost- und Mitteleuropa angeboten. Anmeldung zu Gruppenführungen: Susanne Terwey, Daniel Gerson, Christoph Leiska, fast ganz auf sich gestellt arbeitete, in einer S. 83) besprochenen Filme WUNDKANAL von Diesen Widerstand von Juden gegen wurde der Holocaust lange Wilhelm Völcker-Janssen, Tel.: 05631.53289/53278, Gerald Lamprecht, Michal Frankl, Tim Buchen, kleinen Wohnung zwischen hohen Stapeln [email protected], www.museum-korbach.de Thomas Harlan (D/F 1984) und NOTRE NA- Miloslav Szabó, Marija Vulesica, Maria Margaroni, den Antisemitismus erstmals in seiner gan- aus der eigenen Geschichte verdrängt. Mit alter Zeitungen und vergilbter Karteikarten. ZI von Robert Kramer (F/D 1984) sind als Iulia Onac, Veselina Kulenska, Maciej Moszyński zen europäischen Breite zu präsentieren und Ende des Kalten Krieges öffneten sich jedoch »Eine glänzend geschriebene und Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Double Feature im Pupille-Kino auf dem und Klaus Richter damit das Bild der Juden als wehrlose Opfer die bis dahin verschlossenen Archive. Damit Hessischen Rundfunks, mit Unterstützung der Spar- spannend erzählte Biografi e, die auf der kassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und des Hes- Campus Bockenheim der Goethe-Univer- kritisch zu hinterfragen und zu korrigieren, ließ sich nicht länger leugnen, dass die Mas- Basis umfangreicher Quellenforschung sischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. sität Frankfurt am Main zu sehen. ist Ziel dieses Bandes. senvernichtung der Juden ein wesentlicher

8 Veranstaltungen Einsicht 04 Herbst 2010 9 Bestandteil nicht nur der deutschen Geschich- Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Band 21 Gedenkstättenpädagogik« entwickelt. Es moralischen Gefühlen und Tugenden die Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier und te, sondern auch der vieler europäischer Staa- Frankfurt am Main: Brandes & Apsel Verlag, 2010 steht im Mittelpunkt dieses Buches. Seine Begeisterung der deutschen Bevölkerung Brigitte Walitzek. Frankfurt am Main: Schöffl ing & ten ist. Der Band zeigt, wie unter anderem 208 S., ISBN 978-3-86099-630-0, € 19,90 Schwerpunktsetzungen werden in theoreti- für die nationalsozialistische Volksgemein- Co., 2010, 528 S., mit 32-seitigem Bildteil, € 28,00 NEU ISBN 978-3-89561-416-3 bei in Polen, Rumänien und Litauen, aber auch Mit Beiträgen von Monique Eckmann, Christian schen Beiträgen von Wissenschaftler(innen) schaft ermöglicht hat. Politische Reden, Campus in Ostdeutschland nach 1989 die Vergangen- Geißler, Uta George, Verena Haug, Wolf Kaiser, und Praktiker(innen) ausgeführt. Schulbücher und ebenso der scheinbar »Irgendwie fanden wir es nicht heit im »Dritten Reich« aufgearbeitet wurde. Gottfried Kößler, Imke Scheurich, Barbara Thimm, Der Praxisteil dient der Selbstrefl exion. apolitische Unterhaltungsbetrieb waren von richtig, dass die Welt sich weiter- Susanne Ulrich, Helmut Wetzel, Oliver von Wrochem Dabei wird klar, dass die Erinnerungsarbeit Dafür sind aus den in diesem Projekt neu für dieser Moral geprägt. Raphael Gross zeigt gedreht hatte, während es Auschwitz vielfach noch in den Anfängen steckt. die Weiterbildung von Mitarbeiter(innen) in seiner wegweisenden Darstellung, dass gab, dass die Leute gelacht und Die Aufsätze für diesen Sammelband Der zeitliche Abstand zum an Gedenkstätten (und verwandten Einrich- diese von vielen getragene, verbrecherische gescherzt, getrunken und sich geliebt sind entstanden aus Beiträgen zur internati- Nationalsozialismus ist in- tungen) entwickelten Übungen diejenigen NS-Moral nach der militärischen Niederla- hatten, während Millionen starben 2010 onalen Konferenz »Die Nachgeschichte des zwischen so groß, dass kaum mehr ein Ju- ausgewählt worden, die allein oder im Team ge 1945 nicht plötzlich verschwunden ist. und wir um unser Leben kämpften.« 375 Seiten Ca. 20 Abb. Holocaust in Ost- und Mitteleuropa«, 25. gendlicher, eine Jugendliche jemanden per- angewandt werden können. Im Zentrum ste- Rudolf Vrba € 24,90 und 26. Juni 2004 in Frankfurt am Main, sönlich kennenlernt, der oder die die Zeit hen Fragen des eigenen Selbstverständnis- Raphael Gross, Prof. Dr. phil, geboren 1966 ISBN 978-3- veranstaltet vom Fritz Bauer Institut in Zu- des Nationalsozialismus erlebt hat. Und ses, des Umgangs mit Teilnehmenden und in Zürich, studierte Geschichte in Zürich, Das Buch ist ein einmali- 593-39282-0 sammenarbeit mit Prof. Dr. Karol Sauerland. die Veränderung der europäischen Gesell- Gruppen sowie die Refl exion von Vermitt- Berlin, Cambridge, Bielefeld, Jerusalem ges Erinnerungsdokument. Ein Ba‘al Schem ist ein jüdischer Wunder- schaften zu Migrationsgesellschaften hat lungsmedien. und . Seit 2001 ist er Direktor des Leo Es erzählt, wie ein erst siebzehnjähriger mann, der mithilfe von praktischer Kabbala heilt und Wunder wirkt. Über 40 davon gab Micha Brumlik ist Professor am Institut für den Blick auf die Gewaltgeschichte des Baeck Instituts in London und leitet seit Fe- Slowake Majdanek und Auschwitz über- es seit dem Mittelalter im aschkenasischen Allgemeine Erziehungswissenschaft der 20. Jahrhunderts modifi ziert. Zugleich hat bruar 2006 zudem das Jüdische Museum in lebte, wie er sich vor der Willkür der SS Judentum. Der letzte Ba‘al Schem in West- europa war Seckel Löb Wormser aus Michel- Goethe-Universität Frankfurt. Von 2000 bis sich der Stellenwert von Gedenkstätten in Frankfurt am Main sowie seit April 2007 das und vor willfährigen Kapos schützte, wie stadt. Karl E. Grözinger schildert Leben und 2005 war er Direktor des Fritz Bauer Instituts. Deutschland und Österreich gewandelt, ein Raphael Gross Fritz Bauer Institut. Er ist Honorarprofessor er Strafen und Krankheiten überstand und Wirken dieses europaweit bekannten Man- breiter gesellschaftlicher Konsens trägt sie im Fachbereich Philosophie und Geschichts- sich bei Häftlingen, die dem Lagerwider- nes und zieht einen einmaligen Vergleich zwi- schen Legende und Wirklichkeit. Das Buch Karol Sauerland lehrt deutsche Literatur und inzwischen, auch wenn diese Errungenschaft Anständig geblieben wissenschaften an der Goethe-Universität in stand angehörten, Respekt verschaffte. Vrba enthält außerdem einen Neuabdruck der Ästhetik an den Universitäten von Warschau sicher auch in Zukunft immer wieder neu Frankfurt am Main und Reader in History gelang zusammen mit seinem Freund Alfréd Legendensammlung vom Leben des Ba‘al Nationalsozialistische Moral Schem sowie eine Vielzahl deutscher und und Thorn. 2003/2004 hatte er für zwei Se- eingefordert werden muss. Vielerorts wer- an der Queen Mary University of London. Wetzler die Flucht aus Auschwitz-Birkenau. hebräischer historischer Dokumente. mester die Gastprofessur für interdisziplinäre den Gedenkstätten institutionalisiert, was Die beiden Flüchtlinge waren dabei weniger Holocaustforschung des Fritz Bauer Instituts spezifi sche Auswirkungen auch auf die Ar- auf ihre Freiheit bedacht, sie strebten viel- an der Goethe-Universität Frankfurt inne. beitsbedingungen von Mitarbeitenden hat. mehr an, die Welt über die Verbrechen in Wenn auch die Erwartungen an gedenkstät- Rudolf Vrba Auschwitz aufzuklären und eine der letzten tenpädagogische Arbeit immer von einem Massenmordaktionen der Nationalsozialis- erzieherischen Anspruch geprägt waren, hat Ich kann nicht vergeben ten, die Deportation der ungarischen Juden, Barbara Thimm, Gottfried Kößler, sich diese Entwicklung seit 1989 verstärkt, Meine Flucht aus Auschwitz zu verhindern. Tatsächlich trug der im April Susanne Ulrich (Hrsg.) und in der Regel werden Demokratieförde- 1944 in Bratislava erstattete Vrba-Wetzler- rung und Menschenrechtsbildung – häufi g Bericht mit dazu bei, viele Menschenleben 2010 328 Seiten Verunsichernde Orte unhinterfragt – als Ziele von Gedenkstätten zu retten. 5 Abb. Selbstverständnis und und ihrer pädagogischen Arbeit beschrieben. € 37,90 All diese Entwicklungen befördern den Ein- Rudolf Vrba wurde 1924 im slowakischen ISBN 978-3- Weiterbildung in der 593-39191-5 druck, dass eine (Neu-)Verständigung über Topol’čany geboren. Mit siebzehn Jahren Die Israelitische Allianz zu Wien spiegelt den Gedenkstättenpädagogik realistische Ziele und zeitgemäße Methoden versuchte er, sich der »Aussiedlung« in Geist des habsburgisch-deutschen Juden- überfällig ist. Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Band 26 deutsche »Arbeitslager« durch Flucht nach tums im 19. Jahrhundert wider. Anhand bis- und eine Publikation des Leo Baeck Institute London. her unveröffentlichter Quellen skizziert Björn Diesem Prozess widmete sich das England zu entziehen. An der Grenze zu Siegel die Geschichte dieser einzigartigen Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2010, 288 S. Bundesmodellprojekt »Gedenkstättenpä- Ungarn verhaftet, wurde Vrba über die La- jüdischen Organisation vor dem Hintergrund € 19,95, ISBN 978-3-10-028713-7 dagogik und Gegenwartsbezug – Selbst- ger Nováky und Majdanek nach Auschwitz der zeitgenössischen Gegensatzkonstruk- tion des »Westens« und »Ostens« – und verständigung und Konzeptentwicklung«. verbracht. Als Häftling Nr. 44070 war er beleuchtet damit einen wichtigen Aspekt In einem mehrjährigen Arbeitsprozess Ehre, Treue, Schande und dort fast zwei Jahre inhaftiert. Nach dem des europäischen Judentums. haben Pädagog(inn)en aus zwölf KZ- und Kameradschaft: Raphael Krieg studierte Vrba in Prag und gelangte Euthanasie-Gedenkstätten sowie Jugend- Gross stellt in diesem Buch erstmals ei- über Israel und England nach Kanada, wo bildungsstätten mit gedenkstättenpädago- ne moralhistorische Perspektive auf die Mit einem Vorwort von . er 2006 starb. Ich kann nicht vergeben, erst- gischem Schwerpunkt aus Deutschland, NS-Geschichte vor. Er zeigt, dass erst ein Herausgegeben, mit Anmerkungen und einem mals 1963 in England veröffentlicht, wurde www.campus.de Österreich, Polen u.a. ein »Berufsbild System von gegenseitig eingeforderten Nachwort von Dagi Knellessen und Werner Renz. in zahlreiche Sprachen übersetzt.

10 Neuerscheinungen Einsicht 04 Herbst 2010 11 Else Lasker-Schüler, um 1920, Privatsammlung

BEGLEITPROGRAMM ZUR AUSSTELLUNG IM JÜDISCHEN MUSEUM

MITTWOCH, 29. SEPTEMBER 2010, 19.00 UHR ELSE LASKER-SCHÜLER ALS KÜNSTLERIN Vortrag von Dr. Ricarda Dick © Daniel Caldirola MITTWOCH, 20. OKTOBER 2010, 19.00 UHR ELSE LASKER-SCHÜLER: WERKE UND BRIEFE IN ELF BÄNDEN AUSSTELLUNGEN Ein Abend zum Abschluss der Werkausgabe JÜDISCHES MUSEUM FRANKFURT Lesung mit Thomas Sparr, Karl-Jürgen Skrodzki, Lisa Rauen

SONNTAG, 7. NOVEMBER 2010, 15.00 UHR »ICH BIN JUSSUF AUS EGYPTEN«: ORIENTALISMUS IN ELSE LASKER-SCHÜLER. DIE BILDER ELSE LASKER-SCHÜLERS BILDNERISCHEM WERK AUSSTELLUNG IM JÜDISCHEN MUSEUM Vortrag von Astrid Schmetterling JÜDISCHES LEBEN IN ARGENTINIEN – PORTRÄTS MITTWOCH, 13. OKTOBER 2010, 19.00 UHR 8. SEPTEMBER 2010 BIS 9. JANUAR 2011 ZUM ZWEIHUNDERTJÄHRIGEN JUBILÄUM DIE CASA DE ANA FRANK, BUENOS AIRES, SONNTAG, 14. NOVEMBER 2010, 15 UHR MUSEUM JUDENGASSE UND DIE ERINNERUNGSKULTUR IN ARGENTINIEN Im Zentrum unserer Ausstellung ELSE LASKER-SCHÜLER. DIE »MEIN LIEBER, LIEBER, LIEBER, LIEBER BLAUER REITER 5. OKTOBER 2010 BIS 9. JANUAR 2011 In Kooperation mit der Jugendbegegnungsstätte BILDER steht das eigenständige bildnerische Schaffen der sonst vor FRANZ MARC« Anne Frank, Frankfurt am Main allem als Dichterin berühmten Künstlerin. Durch die Ausstellung Hannelore Hoger liest aus Else Lasker-Schülers Der Malik Die Ausstellung zeigt verschiedene Aspekte der jüdischen öffnet sich ein neuer und faszinierender Blick, der der internationalen Präsenz und Geschichte in Argentinien. Themen der Ausstellung MITTWOCH, 3. NOVEMBER 2010, 19.00 UHR Bedeutung dieser herausragenden Vertreterin der avantgardisti- MITTWOCH, 24. NOVEMBER 2010, 19.00 UHR sind u. a. die Einwanderung in die ländlichen Regionen Argen- EIN LAND ZWEI DÖRFER schen Moderne gerecht wird. PAUL KLEE UND FRANZ MARC. tiniens, der Tango und die Juden, die starke Entwicklung der jü- DEUTSCHSPRACHIGE JÜDISCHE AUSWANDERER IN EINE FREUNDSCHAFT MIT DISSONANZEN dischen Kultur in Argentinien, der Holocaust und die Militärdik- ARGENTINIEN UND IHR VERHÄLTNIS ZU DEUTSCHEN Rund hundertfünfzig Zeichnungen, Collagen, bemalte Postkarten Vortrag von Dr. Cathrin Klingsöhr-Leroy tatur. Die jüdische Gemeinschaft in Argentinien ist die größte spa- NICHT-JÜDISCHER ABSTAMMUNG (1933–2009) und handkolorierte Lithographien bieten zum ersten Mal Gelegen- nischsprachige und die sechstgrößte der Diaspora. Sie hat eine Ein Film von Amiran Gabunia heit zu umfassenden Einblicken in Else Lasker-Schülers bildkünstle- intensive und kreative Lebensweise entwickelt, voller kultureller, rische Entwicklung. Zu sehen ist, welche künstlerische Kraft Else institutioneller, sozialer und geistiger Ausdrucksformen, die sowohl MITTWOCH, 1. DEZEMBER 2010, 19.00 UHR Lasker-Schüler entfaltete, welche Bedeutung die Farbe in ihren ihre Besonderheit als Einwanderergruppe als auch ihre Eingliede- GRETE STERN, FOTOGRAFIN, GEBOREN 1904 Zeichnungen gewann, wie diese neue Assoziationsräume eröffnete JÜDISCHES MUSEUM FRANKFURT Untermainkai 14/15 rung in die argentinische Gesellschaft als Ganzes und ihren Beitrag Ein Film von Antonia Lerch,Deutschland, 1992, 57 Min. und wie die Künstlerin neben dem Lyrisch-Dichterischen auch eine 60311 Frankfurt am Main dazu widerspiegeln. Filmvorführung und Gespräch mit der Autorin eindrucksvolle eigene Sprache im Bildnerischen entwickelte. Tel. (069) 212–35000 Fax (069) 212–30705 [email protected] MITTWOCH, 8. DEZEMBER 2010, 19.00 UHR Die ausgestellten Stücke stammen aus mehr als zwanzig öffent- www.juedischesmuseum.de BEGLEITPROGRAMM »JÜDISCHE GAUCHOS« lichen Sammlungen im In- und Ausland sowie von zahlreichen priva- ZUR AUSSTELLUNG IM MUSEUM JUDENGASSE VON ALBERTO GERCHUNOFF ten Leihgebern. Viele der Werke waren nie zuvor der Öffentlichkeit MUSEUM JUDENGASSE Buchvorstellung mit Liliana Ruth Feierstein zugänglich und sind bisher weitgehend unbekannt. Kurt-Schumacher-Str. 10 60311 Frankfurt am Main DONNERSTAG, 7. OKTOBER 2010, 19.00 UHR Tel. (069) 297 74 19 ZWEIMAL ÜBERLEBEN. Zur Ausstellung erscheint im Jüdischen Verlag im Suhrkamp Verlag JÜDISCHE EMIGRATION NACH ARGENTINIEN UND der mit einem Werkverzeichnis versehene Katalog ELSE LASKER- ÖFFNUNGSZEITEN Di – So 10 – 17 Uhr DAS LEBEN UNTER DER MILITÄRDIKTATUR SCHÜLER. DIE BILDER, herausgegeben von Ricarda Dick im Auf- Mi 10 – 20 Uhr Zwei Buchpräsentationen aus dem mandelbaum verlag, Wien. trag des Jüdischen Museums Frankfurt. Mo geschlossen Einsicht Forschung und Vermittlung

Zugehörigkeit zur zweiten Generation der Tätergesellschaft auf der immer wieder zugeschrieben werden. Diese gegenüber dem Pro- einen und die Exklusion derjenigen Gruppen, die nach 1945 nach blem des Antisemitismus unrefl ektierte Praxis verbindet sich mit Deutschland zugewandert sind, auf der anderen Seite schaffen ein dem Anspruch der Moralerziehung, der bei der Beschäftigung mit Problem. Dieses als solches zu verstehen und dafür Konzepte zu Juden wie selbstverständlich besteht. Besonders in Aufforderungen entwerfen sei eine der Aufgaben der Pädagogik. zu Analogieschlüssen auf heutige Fragen von Menschenrechten und Identitäten, Zugehörigkeiten, Projektionen Die geschichtswissenschaftliche Forschung zum Nationalso- Identität werden kurzschlüssige pädagogische Konzepte deutlich. zialismus hat sich seit den 1980er Jahren verstärkt den Themen Der Beitrag stellt erste Thesen für ein Forschungsprojekt über das Themen und Fragestellungen für Täterschaft und NS-Volksgemeinschaft gewidmet. Für die historisch- Bild von Juden im Schulbuch vor, das am PZ entsteht. politische Bildung und die Vermittlung von Zeitgeschichte in der Die jüdische Gegenwart in Deutschland ist vielfältig und dy- das Pädagogische Zentrum Frankfurt Schule bietet diese Fokussierung die Chance, Annäherungen an die namisch, das konnten wir gerade in diesem Jahr in der Ausstellung Geschichte des Holocaust – der Verfolgten und der Verfolger – zu fi n- »Ausgerechnet Deutschland!« über die russischen Zuwanderer im Eine Einleitung von Gottfried Kößler den, die moralisch relevante Themen berühren: Würde und Scham, Jüdischen Museum Frankfurt erfahren. Aber auch im Alltag sind Selbstbehauptung und Mitläuferschaft. Gottfried Kößler versucht in Juden in Deutschland zum Glück nicht mehr nur als Vertreter einer seinem Beitrag, die geschichtswissenschaftlichen Erträge mit didak- verfolgten Gruppe präsent. Manfred Levy hat sich vorgenommen, tischen Überlegungen zu verbinden. Für die Konzeption des PZ geht pädagogische Zugänge zum Kennenlernen des jüdischen Lebens es um die Beschreibung der Perspektive, in der historisch-politische und zum Wissen über Geschichte und Kultur des Judentums zu Bildung zur Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus entwickeln. Sein Beitrag geht von einem Problemaufriss aus und Gegenwartsbezüge entfalten kann. spannt den Bogen bis zur Präsentation von Medien, die sich für die Zwischen jüdi- Erfahrungen mit jüdischen Menschen und ihrer Lebenserzählung Das Jüdische Museum Frankfurt ist seit über 20 Jahren mit pädagogische Praxis eignen. Allerdings ist eine Beschäftigung mit schem Leben zu machen. Künftig ist es eine Aufgabe der Planung pädagogischer seinen Ausstellungen auch pädagogisch aktiv. Die Refl exion der jüdischer Gegenwart nicht ohne die Auseinandersetzung mit dem und dem Er- Prozesse, jüdische Themen und NS-Geschichte aufeinander zu be- Besonderheiten museumspädagogischer Arbeit an jüdischen Museen Antisemitismus denkbar. Das heißt aber gerade nicht, dass dieser innern an die ziehen oder aber sie voneinander zu trennen. Mit dem vorliegenden ist aber im deutschsprachigen Raum noch jung. Katharina Rauschen- immer das Thema des Unterrichts sein muss. Verbrechen des nationalsozialistischen Schwerpunkt dieses Bulletins möchten wir unsere Überlegungen berger skizziert die laufende Diskussion unter den Museumspäda- Die Frage, wie Kinder im Grundschulalter mit Themen aus der Deutschland wird das Angebot des neu- zur pädagogischen Arbeit in diesen Themengebieten zur Diskussion gogen der jüdischen Museen und beschreibt, wie diese Refl exionen jüdischen Geschichte, Religion und Kultur vertraut gemacht werden en Pädagogischen Zentrums des Fritz stellen. Einerseits liegt uns an einer Analyse von Konzepten und in verschiedenen Ausstellungen praktisch umgesetzt werden. Die können, wird zumeist von Zweifeln daran überlagert, wie es möglich Bauer Instituts und des Jüdischen Mu- Theorien, andererseits an alltagsbezogenen Erfahrungen und Projekt- schwierige Frage nach der Spannung zwischen der Präsentation ist, Kindern vom Holocaust zu erzählen. Monica Kingreen zeigt seums Frankfurt (PZ) seine Themen su- berichten. Zugleich geben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des jüdischen Lebens und der Thematisierung von Antisemitismus und auf, wie das Alltagsleben von Juden in Geschichte und Gegenwart chen. Der enge Zusammenhang beider PZ mit ihren Beiträgen einen Einblick in ihre Arbeitsschwerpunkte. Genozid stellt sich immer wieder neu. Kindern vermittelt werden kann. Sie gibt Hinweise auf Verbindungen Themen birgt eine Vielfalt an Lernchan- Die historisch-politische Bildung steht am Fritz Bauer Institut Das Stereotyp vom reichen Juden ist eines der alten Leitmotive zur Lokalgeschichte und zur Beschäftigung mit Biografi en. In Bezug cen, aber nicht zuletzt auch problemati- in engem Bezug zur Schule und zur Gedenkstättenpädagogik, die des Antisemitismus. Daher gehört die Frage nach seinem histori- auf die Verfolgung in der NS-Zeit betont sie die Notwendigkeit, nicht sche Implikationen. Denn das Bild von Angebote zur jüdischen Geschichte und Gegenwart sind eingebettet schen Hintergrund zu den Grundlagen für die Beurteilung beste- beim Schrecken der Verbrechen stehen zu bleiben, sondern Identi- den Juden als Opfern der Geschichte in die Museumspädagogik des Jüdischen Museums. Das vorliegende hender und die Entwicklung neuer pädagogischer Angebote zur fi kationsangebote zu präsentieren. Das Ziel dieser pädagogischen ist eines der dominanten Stereotype, Heft präsentiert methodisch und inhaltlich unterschiedliche Ansätze, jüdischen Geschichte oder zur Prävention gegen Antisemitismus. Angebote sieht sie vor allem darin, den Kindern erste Eindrücke mit denen die Vermittlung jüdischer die insgesamt ein Bild von der Arbeit am Profi l des PZ ergeben. Die Wolfgang Geiger zeigt, dass der Topos von der Monopolisierung des über Juden und jüdische Geschichte zu eröffnen, die das kindliche Geschichte und Gegenwart regelmäßig Beiträge unterscheiden sich nicht nur, was die Themenstellungen Geldverleihs durch die Juden im Mittelalter nicht den historischen Interesse am jüdischen Leben wecken. konfrontiert ist. Das Jüdische Museum betrifft, sondern auch im Zugriff auf ihren Gegenstand. Die Leser Realitäten entspricht, und belegt dies an Quellen und Sekundärli- Das PZ macht Angebote in unterschiedlichen Formaten, um Frankfurt widmet sich der Vielfalt jü- und Leserinnen werden sowohl praktische als auch theoretische teratur. Bemerkenswert ist, wie diese Vorstellung vom Juden als die vielen Ansätze und Interessen aufzunehmen. Sie sollen offen dischen Lebens in der Geschichte und Ausführungen fi nden, skeptische Analysen der Bildungsarbeit und Geldverleiher in der Fachliteratur, in Lexika und in Schulbüchern sein und auf neue Situationen und kritische Einwände reagieren Gegenwart. Das Fritz Bauer Institut Tipps für den Umgang mit praktischen Fragen. ungebrochen weiter vertreten und vermittelt wird, obwohl die For- können. Es soll als Forum für die theoretische Diskussion und als sieht seine Aufgabe in der Erforschung Der Beitrag von Astrid Messerschmidt beleuchtet theoretisch schung seit langem ein völlig anderes Bild vom Geldhandel im euro- Angebot für Praktiker/innen gleichermaßen fungieren und so beides und Vermittlung des Wissens über die die Funktion von Erinnerungsbildung für die Gegenwart. Chancen päischen Mittelalter und der frühen Neuzeit zeichnet. In der Analyse miteinander verzahnen. Verbrechen im Nationalsozialismus für eine kritische Haltung zur eigenen Gegenwart sieht sie darin, der Tradierung des Stereotyps macht Geiger einen wichtigen Aspekt Bitte informieren Sie sich über die Angebote in diesem Heft und ihre Nachgeschichte. Die Zeit sich geschichtliche Erfahrungen anzueignen und dabei zu lernen, für die Forschung und die Fortbildungsarbeit des PZ erkennbar, der (S. 98/99) und auf unserer Website: www.pz-ffm.de geht zu Ende, in der beide Themen oft dass eine negative Erfahrung wie die des Holocaust nicht mehr im auch die Präsentation der jüdischen Geschichte im Museum berührt. in der Begegnung mit Überlebenden Nachhinein verbessert oder wiederhergestellt werden kann. Die Auch Martin Liepach beschäftigt sich mit der Repräsentation des Holocaust, in ihrer Geschichte und Beschäftigung mit dem Holocaust und die inzwischen gewachsene jüdischer Geschichte. Sein Beitrag skizziert narrative Konstruk- in ihrer Gegenwärtigkeit, miteinander Bereitschaft in Deutschland, die Verantwortung für die begangenen tionen in Schulgeschichtsbüchern. An mehreren Beispielen wird verknüpft waren. Dankbar nutzen wir Verbrechen zu übernehmen, haben, so Messerschmidt, jedoch dazu beschrieben, wie – unabhängig von der jeweiligen Intention der nach wie vor solche Gelegenheiten, geführt, dass nicht jeder an dieser Erfahrung partizipieren kann. Die Autoren – die Stereotype des Anderen und des Fremden den Juden

14 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 15 Erwartungen und konform mit gesellschaftlichen Bedürfnissen erwie- jede Bildungsveranstaltung in diesem Feld mit der Geschichte der sen haben.2 Die Postulate politischer Bildung nach Einmischung und erinnernden Aufarbeitung nach 1945 konfrontiert. Junge Erwachsene Engagement sind gut zu vereinnahmen in einer Bildungslandschaft, die und Jugendliche bringen ihre eigenen zeitgeschichtlichen Erfahrun- aktive Beteiligung, Anstrengung und demokratische Übereinstimmung gen ein, und dabei geht es vor allem darum, wie die Vermittlung des fordert. Aktivierungsimperative treten als Individualisierungsforderun- Holocaust von ihnen selbst erlebt worden ist, wie also das, was Päd- Gegenwartsbeziehungen gen auf: Mach etwas aus dir, nutze deine Chancen!3 Der kritische Ge- agog/innen ihnen an Geschichtswissen und Geschichtsbewusstsein halt von gesellschaftspolitischem Engagement hat sich demgegenüber nahebringen wollten, bei ihnen angekommen ist. Ein problematischer Erinnerungsbildung auf der Suche aus den Initiativen entwickelt, die als Gegenbewegungen innerhalb Aspekt dessen, was viele herkunftsdeutsche Jugendliche aus den der Demokratie und für die Demokratie handeln und kollektive Akti- vielfältigen Bemühungen der Geschichtsvermittlung mitgenommen nach zeitgemäßen Perspektiven onsformen praktizieren. Allerdings verschwindet ihr oppositioneller haben, ist das Bild der Juden als Opfer. Jüdische Geschichte wird Anspruch, wenn sie die Wegbereiter des Aktivbürgers werden, der auf den Holocaust reduziert, und Juden tauchen nur als Tote auf, die von Astrid Messerschmidt stets bereit ist, sich im Gemeinwesen nützlich zu machen. Will politi- eine grauenhafte Vergangenheit repräsentieren, die nun endlich ganz sche Bildung ihren kritischen Gehalt nicht preisgeben, sollte sie sich vergehen soll. Auf dieses eindimensionale und stereotypisierte Bild auf ihre Erinnerungsdimensionen besinnen und Raum geben für die des Judentums reagieren Einrichtungen der historisch-politischen Refl exion erinnerter Geschichte. Aktivierung kennt nur Gegenwart Bildung zunehmend mit einem Gegenkonzept. Sie versuchen der Wie lässt sich geschichtsbewusstes päda- und Zukunft. Erinnerung steht in einer Beziehung zu geschichtlichen Opferfi xierung das Bild eines lebendigen Judentums entgegenzuset- gogisches Handeln auf gegenwärtige ge- Erfahrungen, zu etwas, das nicht mehr verbessert oder wiederherge- zen, gehen auf die facettenreiche und lange Geschichte der deutschen sellschaftliche Dynamiken ein, und welche stellt werden kann, zu einem Verlust, zu Opfern und Tätern und den Juden ein und vermitteln jüdische kulturelle Praktiken. Das Pädago- Formen der Selbstrefl exion benötigen Päd- Grauzonen dazwischen. Erinnerung steht für eine Unterbrechung in gische Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Astrid Messerschmidt, Dr. phil. agog/innen in sozialen Zusammenhängen vielfältiger (Nicht-)Zuge- der Kontinuität von Fortschrittsvorstellungen. Eine an Erinnerung Frankfurt arbeitet mit dem Ansatz, die Themenfelder »Jüdische Ge- habil., geb. 1965, Professorin für hörigkeiten, um eine auf die gegenwärtige Gesellschaft bezogene orientierte politische Bildungsarbeit hat sich in einem zeitgeschicht- schichte und Gegenwart« und »Geschichte und Nachgeschichte des interkulturelle Pädagogik an der Pä- Praxis erinnernder Bildungsarbeit zu entwickeln? lichen Kontext entwickelt, der insbesondere auf die Geschichte und Holocaust« zu unterscheiden.6 dagogischen Hochschule Karlsruhe, Die Suche nach einer Bildungsarbeit, die über gesellschaftliche die Folgen der nationalsozialistischen Massenverbrechen bezogen Mit diesem Ansatz kann ein komplexeres Bild der deutsch-jü- Studium der Pädagogik, Germanistik Probleme aufzuklären beansprucht, erfolgt in einem Spannungsfeld ist. Auf diesem Hintergrund eignet sich Erinnerungsbildung nicht zur dischen Geschichte und Gegenwart erreicht werden, und das wäre und Politikwissenschaft, Tätigkeiten zwischen Affi rmation und Kritik, das zugleich ein Feld von Domi- Identitätsstiftung, sondern steht in Beziehung zu den Brüchen, die nicht wenig. Um aber das Interesse an beiden Themenfeldern bei in der politischen Jugend- und Er- nanzverhältnissen ist, in dem Lösungsformeln größere Attraktivität kollektive Identitäten durchziehen.4 Erinnerung steht in einer Spannung Jugendlichen (wieder) zu gewinnen, bedarf es einer pädagogischen wachsenenbildung, Lehr- und For- versprechen als die Auseinandersetzung mit Widersprüchen. Schuli- zwischen den »Zäsuren in kollektiven Erfahrungsgeschichten« und Selbstkritik, die sich ihrer Neigung zu einer belehrenden Haltung schungsschwerpunkte: Bildungspro- sche und außerschulische Bildungsarbeit befi nden sich heute in einer dem »Wunsch, ihrer Herr zu werden und sie im kollektiven Gedächtnis bewusst ist. Denn diese Haltung hat maßgeblich zu jener Abwehr zesse in der Migrationsgesellschaft, Bildungslandschaft, in der die Imperative der Innovation, Kreativität, mit Sinn zu erfüllen«.5 In dieser Spannung befi ndet sich auch die auf beigetragen, mit der viele Jugendliche auf die bloße Erwähnung von Zeitgeschichtliche Erinnerungsarbeit, Verantwortung und Partizipation dominieren, die zusammengenommen zeitgeschichtliches Erinnern bezogene Bildungsarbeit. Juden reagieren. Im Zusammenhang der Verbrechensgeschichte ist Kritische Bildungstheorie. Ausdruck einer Kultur des Einverstandenseins sind.1 Folgen die Bil- die Belehrungshaltung bei vielen in Form der moralisierenden Über- dungsarbeiter/innen diesen Aufforderungen widerspruchslos, verlieren Pädagogische Selbstrefl exion und Perspektivenwechsel – wältigung angekommen. Für viele junge Erwachsene und Jugendliche sie ihre kritischen Motive. Sie suspendieren damit den Ausgangspunkt Bewegungen in der historisch-politischen Bildung in der dritten und vierten Generation nach 1945 hierzulande erscheint einer kritischen politischen Bildung, nämlich das Nicht-einverstanden- die pädagogische Erinnerungsarbeit und Geschichtsaufarbeitung vor- Sein mit den gesellschaftlichen Zuständen und den Wunsch, etwas zu Die auf den Nationalsozialismus bezogene Bildungsarbeit bewegt wiegend wie eine etablierte Veranstaltung von überzeugten Päda- verändern. Auch wenn sie dieses Unbehagen zum Ausdruck bringen, sich in zwei Dimensionen der Geschichtsaufarbeitung: Einerseits geht gogen, die ihren Schüler/innen eine übereinstimmende moralische können pädagogisch Handelnde in Feldern politischer Bildung sich es um die Vermittlung von historischen Kenntnissen, andererseits ist Verurteilung der Geschehnisse abverlangen. Die Abwehr gegen die nicht außerhalb der dominierenden affi rmativ-reformierten Bildungs- Belehrung richtet sich dann schnell gegen die Auseinandersetzung mit diskurse verstehen, sie befi nden sich nicht auf einer Insel unverein- dem historischen Gegenstand selbst, der als etwas erscheint, das mit

nahmter aufklärerischer Kritik. Wer heute für Theorie und Praxis po- 2 Vgl. Christine Rabl, »Ist Widerstand gegen die totale Vereinnahmung der Bildung einem selbst wenig zu tun hat. Diese abwehrende Haltung bestätigt litischer Bildung kritische Positionen beansprucht, tut das aus einer denkbar?«, in: Agnieszka Dzierzbicka, Richard Kubac, Elisabeth Sattler (Hrsg.), wiederum die Lehrenden in ihrem Selbstbild, auf der Seite der Auf- tiefen Verunsicherung heraus – und zwar nicht deshalb, weil Kritik Bildung riskiert. Erziehungswissenschaftliche Markierungen, Wien 2005, klärer zu stehen, die gegen Widerstände für die Sache der Erinnerung sich erledigt hätte, sondern weil ihre Ansätze und ihre Vertreter/innen S. 197 – 206 . eintreten. Eine Auseinandersetzung mit der Art und Weise der Vermitt- 3 Vgl. Hermann Kocyba, »Aktivierung«, in: Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann, sich immer wieder als ausgesprochen »anschlussfähig« an dominante Thomas Lemke (Hrsg.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt am Main 2004, S. 17–22. lung fi ndet dann nicht statt. Auf diesem Erfahrungshintergrund wendet 4 Vgl. Astrid Messerschmidt, Bildung als Kritik der Erinnerung. Lernprozesse in Ge- sich das »Konfrontationen«-Konzept des Fritz Bauer Instituts gegen schlechterdiskursen zum Holocaust-Gedächtnis, Frankfurt am Main 2003, S. 36–47. 5 Sven Kramer, »›Wahr sind die Sätze als Impuls …‹. Begriffsarbeit und sprachli- 1 Vgl. Carsten Bünger, Ralf Mayer, Astrid Messerschmidt, Olga Zitzelsberger che Darstellung in Adornos Refl exion auf Auschwitz«, in: ders., Auschwitz im (Hrsg.), Bildung der Kontrollgesellschaft – Analyse und Kritik pädagogischer Widerstreit. Zur Darstellung der Shoah in Film, Philosophie und Literatur, Wies- Vereinnahmungen, Paderborn 2009. baden 1999, S. 67–88, hier: S. 78. 6 Vgl. Faltblatt Pädagogisches Zentrum FFM.

16 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 17 jede Form einer moralisierenden Geschichtsvermittlung, bei der eine Für die Erinnerungsarbeit heißt das, den Umgang mit dem Natio- mit Geschichte auseinandersetzen. Insofern kann es nicht um ein Gesellschaft, die sich darin als eine in sich homogene Ordnung Belehrungshaltung eingenommen wird, die den eigenen Standpunkt nalsozialismus nicht zu einer Angelegenheit nationaler Zugehörigkeit zu Entweder-Oder gehen. Weder eine Ignoranz gegenüber dem Mi- gesicherter Überzeugungen und Übereinstimmungen präsentiert, nicht hinterfragt. Anstatt moralische Ziele vorzugeben, geht es darum, machen. Die Wissensvermittlung über den Holocaust – sein Ausmaß, die grationsaspekt noch dessen identitäre Aufl adung entsprechen den doch mit der Integrationsforderung anzeigt, dass das national homo- einen Perspektivenwechsel einzuüben, um »die eigene Sicht auf ein Art der Durchführung und seine ideologische Begründung – sollte keiner gesellschaftlich-kulturellen Gegebenheiten. Anzustreben sind eher genisierte »Wir« nicht aufrechtzuerhalten ist.18 Um dies aber nicht politisches Ereignis zu thematisieren und in Frage zu stellen«.7 Form der Selbstbestätigung dienen über das eigene moralisch gefestigte eine Kontextualisierung von Migration im Zusammenhang viel- sichtbar werden zu lassen, muss das »Bild des Volkes als Zeichen Horst Rumpf tritt für einen pädagogischen Weg »von der Belehrung Geschichtsbewusstsein oder über einen nationalkollektiven Konsens fältiger Differenzen und Zugehörigkeiten und ein Bezug zu den des nationalen Selbst« herangezogen werden und die »Aufspaltung zur Aufmerksamkeit« ein, auf dem die »Unruheherde des Denkens« der Aufarbeitung. Pädagogische Erinnerungsarbeit, die einem gesell- Erfahrungen in einem gemeinsamen gesellschaftlichen Raum, in in ein affi rmatives Wir und ein verobjektiviertes Sie« erfolgen.19 Für nicht zugeschüttet werden.8 Unruheherde lassen sich nicht kontrollieren, schaftskritischen Anspruch folgt, trägt bei zur Kritik an Gemeinschafts- dem Geschichte repräsentiert wird. die pädagogische Auseinandersetzung mit Integration bedarf es einer und der Anspruch, das Denken in vertretbare Bahnen zu lenken, wird vorstellungen, in denen die Ideologie der Volksgemeinschaft und ihre Dieser Raum verändert sich auch hinsichtlich der einwandern- Refl exion der gesellschaftlichen Spaltungspraktiken, um fragen zu in pädagogischen Handlungszusammenhängen, die immer durch Hie- rassistischen und antisemitischen Begründungen nachwirken. Mit dem den und auswandernden Gruppen. Für die zeitgeschichtlich orientier- können, wo Integration zu einer Maßnahme eines ausgrenzenden rarchien gekennzeichnet sind, eher zu Schweigen und Rückzug führen Programm »Konfrontationen« bietet das Fritz Bauer Institut Materialien te Bildungsarbeit ist es von besonderer Bedeutung, diese Dynamiken Assimilationszwangs wird.20 Für eine zeitgemäße Bildungsarbeit als zu einer Einstellungsänderung. Die Unruhe bleibt aber aus, wenn zur historischen Rekonstruktion und zur gegenwartsbezogenen Refl exion aufzunehmen und dabei immer wieder die eigenen Vorstellungen sind integrationskritische Ansätze zu entwickeln. der Holocaust als Belehrungsgegenstand in ein einheitliches Narrativ der im Nationalsozialismus erfolgten Prozesse der Stigmatisierung, Aus- von Identitäten und Zugehörigkeiten zu refl ektieren. Während gro- Historisch-politische Bildung bietet mit ihrem Ausgangspunkt der gefasst wird, innerhalb dessen diejenigen, die darüber sprechen, sich grenzung und Verfolgung. Bearbeitet werden insbesondere die komplex ße Teile der weißen herkunftsdeutschen Öffentlichkeit und ihrer Geschichtsvermittlung ein Feld für die Analyse und Kritik nationaler selbst als geschichtsbewusst präsentieren können. Der Holocaust wird miteinander verschränkten Aspekte der Vorgeschichte des Holocaust. machtvollen Sprecher immer noch mit der Abwehr der muslimi- Selbstbilder und nationalistischer politischer Praktiken. Das bedeutet, so funktionalisiert für eine Selbstbestätigung moralischer Überlegen- Vertieft werden soll das »Wissen über die Alltagsgeschichte des Natio- schen Einwanderung beschäftigt sind, hat sich ein vielfältiges und dass Bildungskonzepte simple Gleichsetzungen von historischen Ver- heit. Diese Funktionalisierung beobachtet Salomon Korn im deutsch- nalsozialismus und der verfolgten Gruppen«.10 Setzen sich Jugendliche unter keiner gutgemeinten Bindestrich-Identität zu vereindeutigen- folgungspraktiken mit gegenwärtigen Diskriminierungen vermeiden jüdischen Verhältnis in der jungen Bundesrepublik, der die Juden durch und junge Erwachsene damit auseinander, wie die einzelnen Schritte der des multikulturelles Alltagsleben entwickelt.14 Im Integrations- und sollten. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sollte ihre bloße Existenz etwas moralische Glaubwürdigkeit zurückgaben.9 Einführung einer Rassenpolitik erfolgt sind und welche Wirkungen sie im Diversitätskonzept der Stadt Frankfurt am Main ist in diesem Zusam- in pädagogischen Konzepten als eine Angelegenheit aller verstanden Aus einer zutiefst verunsichernden Geschichte konnte so eine Erzählung Alltag entfaltet haben, kann nach Handlungsmöglichkeiten der Subjekte menhang von »Supervielfalt« die Rede.15 Statt Parallelgesellschaften werden, die sich dafür interessieren, und nicht als exklusiv deutsche der Selbstvergewisserung entstehen, ein einheitliches Narrativ wurde gefragt werden. Mit dem Konzept wird versucht, »sich an den Interes- entsteht eine von vielen Differenzen durchzogene Gesellschaft der Thematik. In der Konsequenz historischer Aufklärung liegt damit über die Geschichte des Holocaust gelegt – ein Narrativ, das mehr mit sen heutiger Jugendlicher auszurichten« und dabei von vornherein die »Interkultur«,16 die weder auf Harmonie noch auf Integration ange- auch die Wahrnehmung vielfältiger Formen gesellschaftlicher Zuge- der zweiten Generation der Tätergesellschaft zu tun hat als mit einer Heterogenität von Geschichtsbezügen aufzunehmen. Diese können sich wiesen ist. Demgegenüber ist der pädagogische Diskurs um Migra- hörigkeiten und der Kämpfe um dieselben. Gerade wenn es um die Beziehung zu den Opfern, Überlebenden und deren Nachkommen. sowohl auf unterschiedliche Herkunftshintergründe der Teilnehmenden tion immer noch viel zu sehr von Integrationsvorstellungen besetzt. Geschichte des Nationalsozialismus geht, haben viele Jugendliche mit Der Einwand gegen ein vereinheitlichendes Geschichtsnarrativ beziehen als auch auf »die Gemeinsamkeiten der Gegenwart«.11 Der bundesdeutsche Integrationsdiskurs verlangt ein Bekenntnis migrantischen Hintergründen es als ausgrenzend erlebt, dass diese fordert dazu heraus, Geschichte in Ambivalenzen wahrzunehmen und zu eindeutiger Zugehörigkeit und signalisiert zugleich Nichtzuge- Geschichte häufi g als Nationalgeschichte vermittelt wird. Es wird zu vermitteln. Daher kann es für die historisch-politische Bildung nicht Pädagogische Zugänge zu neuer und alter gesellschaftlicher Vielfalt hörigkeit, indem er Eingewanderte pauschal unter Verdacht stellt.17 eine »fi ktive Einheit hergestellt: die Gemeinschaft derjenigen, die aus darum gehen, dem Verbrechens- und Opfernarrativ ein Lebendigkeits- Obwohl dabei immer nur von den »Migranten« gesprochen wird, dieser Geschichte lernen müssen«.21 Implizit sind damit die »Nach- und Kulturnarrativ entgegenzusetzen. Die Pädagogik würde sich dabei In der pädagogischen Konzeptionsentwicklung historisch-politischer enthält dieser Diskurs implizite Behauptungen über die autochthone kommen der Täter« gemeint, die eine besondere Verantwortung zu wiederum auf eine moralisch unangreifbare Position zurückziehen, da Bildung wird die gesellschaftliche Vielfalt, wie sie insbesondere übernehmen haben.22 Ohne diese Verantwortung zu relativieren und sie mit einem Konsens darüber rechnen kann, lebendiges Judentum in durch Migrationsprozesse breiter und tiefer geworden ist, zu ei- um gleichzeitig diesen exkludierenden Tendenzen entgegenzuwirken, Geschichte und Gegenwart einer jüngeren Generation näherzubringen. nem Anknüpfungspunkt für Theorie und Praxis. Dabei ist es immer sind in der historisch-politischen Bildung Materialien entwickelt wor- 14 Das kulturelle Selbstbild ist mehrheitsgesellschaftlich demgegenüber immer noch Es sind aber gerade die Ambivalenzen dieser Geschichte und Gegen- wieder erforderlich, die Migrationskategorie als Unterscheidungs- einem monokulturellen Identitätskonzept verhaftet. Neuerdings wird dieses ver- den, die vielfältige »Geschichtsbeziehungen« zum Nationalsozialis- 12 23 wart, auf die sich politische Bildung beziehen sollte, will sie nicht dem kriterium zu refl ektieren und auch infrage zu stellen. Zwar bil- mehrt mit der kulturellen Selbstbezeichnung vom »christlich-jüdischen Abend- mus verdeutlichen und zu einer Perspektivenerweiterung beitragen. Trend gesellschaftlicher Selbstbestätigungen folgen. den unterschiedliche Herkunfts- und Familienhintergründe soziale land« ausgedrückt. Das Jüdische wird dabei en passant vereinnahmt, ohne wirk- Ausgangspunkte für die Geschichtserinnerung. Relativiert werden lich gemeint zu sein. Salomon Korn sieht die rhetorische Funktion dieser Bezeichnung in der Abgrenzung gegenüber den »neuen Fremden«, eine Allianz diese Unterschiede aber durch den gemeinsamen gesellschaftlichen solle gebildet werden, die sich insbesondere gegen Muslime richtet (in: Süddeut- 18 Vgl. Kien Nghi Ha, Markus Schmitz, »Der nationalpädagogische Impetus der 13 7 Gottfried Kößler, »Menschenrechtsbildung und historisches Lernen. Erfahrungen Kontext, innerhalb dessen sich Jugendliche (und Erwachsene) sche Zeitung vom 17. Februar 2010). deutschen Integrations(dis)kurse im Spiegel post-/kolonialer Kritik«, in: Paul mit dem Projekt ›Konfrontationen‹«, in: Fritz Bauer Institut (Hrsg.), Völkermord 15 Die Bezeichnung »Supervielfalt« steht für eine zunehmende Vielfalt von Her- Mecheril, Monika Witsch (Hrsg.), Cultural Studies und Pädagogik. Kritische und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am kunftsländern und Migrationspfaden sowie wachsende Verschiedenheiten im Artikulationen, Bielefeld 2006, S. 248. Main, S. 301–312, hier: S. 306. Rechtsstatus und den sozialen Lagen, insbesondere in Großstädten. Vgl. dazu: 19 Ebd., Hervorh. im Original. 8 Vgl. Horst Rumpf, »Von der Belehrung zur Aufmerksamkeit. Zur Leistungsfähig- 10 Gottfried Kößler, »Perspektivenwechsel. Vorschläge für die Unterrichtspraxis zur Regina Römhild, Steven Vertovec, »›Frankfurt vernetzt‹. Vernetzungs- und Viel- 20 Vgl. Astrid Messerschmidt, »Stichwort: Integration«, in: Agnieszka Dzierzbicka, keit des Schulfachs Geschichte«, in: Wolfgang Meseth, Matthias Proske, Frank-Olaf Geschichte und Wirkung des Holocaust«, in: Bernd Fechler, Gottfried Kößler, faltspolitik in Frankfurt am Main«, in: Vielfalt bewegt Frankfurt. Entwurf eines Alfred Schirlbauer (Hrsg.), Pädagogisches Glossar der Gegenwart. Von Autono- Radtke (Hrsg.), Schule und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main u.a. 2004, Till Lieberz-Groß (Hrsg.), »Erziehung nach Auschwitz« in der multikulturellen Integrations- und Diversitätskonzepts für die Stadt Frankfurt am Main, Arbeits- mie bis Wissensmanagement, Wien 2006, S. 154–161. S. 147–157, hier: S. 152 f.: »Es geht dieser Aufmerksamkeit darum, sich verletzbar Gesellschaft. Pädagogische und soziologische Annäherungen, Weinheim u.a. papier des Dezernats für Integration, September 2009, S. 37 ff. 21 Franziska Ehricht, Elke Gryglewski, GeschichteN teilen. Dokumentenkoffer für zu halten für das, was als Geschichte aus Welten der Vergangenheit andrängt und 2000, S. 193–205, hier: S. 199. 16 Mark Terkessidis, Interkultur, Frankfurt am Main 2010. eine interkulturelle Pädagogik zum Nationalsozialismus, hrsg. von »Miphgasch/ was uns den Atem verschlägt, was uns fasziniert, den Kopf schütteln lässt, ratlos 11 Ebd. 17 »Der Begriff Integration ist nach über 30 Jahren wieder in Mode. Sehr sinnvoll Begegnung e.V.« und der »Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonfe- macht – je nachdem, wenn wir es nur nicht vorschnell zu Wissen gerinnen lassen, 12 Vgl. Viola B. Georgi, Rainer Ohliger (Hrsg.), Crossover Geschichte. Historisches ist das nicht. Denn in Deutschland verbergen sich hinter diesem Wort allerlei un- renz«, Berlin 2009, S. 8. Vgl. die Rezension in diesem Heft, S. 68. das unbeteiligt zu häufen und landläufi ger Unterrichtsbearbeitung zuzuführen ist.« Bewusstsein Jugendlicher in der Einwanderungsgesellschaft, 2009. ausgesprochene Vorstellungen darüber, was ›Deutschsein‹ bedeutet, wie Leute 22 Ebd. 9 Georg Diez, »Der verwandte Schmerz. Das jüdische Leben in Deutschland war 13 Die zeitgeschichtlich orientierte Bildungsarbeit hat in den letzten Jahren die Er- sich bei ›uns‹ benehmen müssen und was sie nicht tun sollten, wer die richtigen 23 Zu nennen ist insbesondere die Materialsammlung GeschichteN teilen (siehe lange vor allem gut für die Deutschen. Diese historische Phase geht nun zu Ende. wachsenenbildung weitgehend vernachlässigt, obwohl gerade die Erwachsenen Voraussetzungen hat und wer Defi zite, für wen die Institutionen gemacht sind Fußnote 21). Ebenso trägt ein Projekt aus Neukölln zu einer migrationsgesell- Ein Besuch bei Salomon Korn«, in: Süddeutsche Zeitung vom 17. Februar 2010. maßgeblichen Einfl uss auf die Beschaffenheiten von Geschichtsbildern haben. und wer da eigentlich nur Gast ist« (ebd., S. 7). schaftlichen Perspektivenerweiterung historischer Bildungsarbeit bei: Aktion

18 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 19 Auf dem Hintergrund der verbreiteten Nichtakzeptanz von Integrationserwartungen verabschiedet. Dieses Konzept, das noch beruht der sekundäre Antisemitismus nicht auf der Abwehr der Schuld, mit einer prinzipiellen Ablehnung von Antisemitismus, im Zusam- Migrant/innen in der deutschen Gesellschaft und der lange ge- einer genaueren Ausarbeitung bedarf, geht aus der Geschichte von sondern auf »deren Anerkennung, die Entlastung sucht«.32 Die »neue menhang mit einer »moralischen Verurteilung des Holocaust« auf pflegten Verdrängung der Migrationstatsache entwickelt Paul Kämpfen, von Verfolgung und Vernichtung hervor. Die Verneinungs- gesellschaftliche Übereinkunft«,33 historische Verantwortung nicht sowie mit dem Bekenntnis zu einer »toleranten Haltung gegenüber Mecheril eine Konzeption für eine »Verschiebung dominanter form in der Bezeichnung von (Nicht-)Zugehörigkeit signalisiert die mehr abzuwehren, sondern offensiv anzunehmen, führt dazu, dass Juden als Individuen«.37 Zusammengenommen führen alle diese Zugehörigkeitsordnungen«24 und plädiert für eine »Pädagogik der Beziehung zu einer unabgeschlossenen Geschichte, mit der kein das Auftreten antisemitischer Äußerungen und Praktiken die nationale Phänomene zu einem ausgrenzenden Verhältnis gegenüber Juden, Mehrfachzugehörigkeit«.25 Differenz muss dabei nicht verschwinden Frieden zu machen ist, die verstörend bleibt und auf die mit keinem Identität bedroht und möglichst auf die Außenseite der Gesellschaft die in den genannten Mustern irgendwie schwierig erscheinen und und sich nicht in Übereinstimmung aufl ösen. Dennoch steckt im Be- Versprechen einer besseren Zukunft geantwortet werden kann. verlagert werden muss. Dieses Außen kann auf rechtsextreme Kreise deren Präsenz mit Unbehagen besetzt wird. Wenn Bildungsarbeit griff der Zugehörigkeit ein Spannungsverhältnis zu dem Anspruch, bezogen werden oder auch auf eingewanderte Minderheiten, deren aus diesen Befunden nun die Konsequenz zieht, ein positives Bild verschieden und fremd sein zu können. Zugehörigkeit signalisiert die Diskontinuierliche Geschichte und sekundärer Antisemitismus antisemitische Äußerungsformen als außerhalb einer nationalen Wir- vom Judentum vermitteln zu wollen, dann ist das nachvollziehbar. Macht gesellschaftlicher Anpassungsforderungen. Mit dem Begriff Gemeinschaft angesehen werden.34 Beides ermöglicht der »Mitte der Zugleich wird aber die Auseinandersetzung mit sekundär antisemi- kommt zum Ausdruck, dass Zugehörigkeit erreicht werden muss, um In den Praktiken, das zum Verschwinden zu bringen, was nach 1945 Gesellschaft« ein unproblematisches Selbstbild. tischen Motiven ausgeblendet und die Gelegenheit verschenkt, ein in den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen handlungsfähig am meisten beunruhigt und verstört, zeigen sich Abwehrmuster gegen- Bildungsarbeit, die (Nicht-)Zugehörigkeit refl ektiert, begibt sich komplexes und vielschichtiges Bild deutsch-jüdischer Gegenwart zu zu sein. Zugleich eröffnet das Konzept der Mehrfachzugehörigkei- über einer negativen Geschichte, die nicht zu Ende ist, die aber nicht auf eine Gratwanderung: Einerseits geht es um soziale Beziehungen vermitteln, zu dem sowohl alltägliches Miteinander und Nebeneinan- ten Spielräume sozialer Akzeptanz und wendet sich gegen die Ver- in das Selbstbild aufgeklärter Fortschrittlichkeit passt. Dies kommt in einer Gesellschaft vielfältiger Minderheiten und Differenzen. Dazu der gehören als auch Erfahrungen der Missachtung und Verletzung. eindeutigung von Differenzen. Wie können Beziehungen geknüpft darin zum Ausdruck, dass Antisemitismus vorwiegend als etwas wahr- gehört es, die Alltäglichkeit verschiedener kultureller Praktiken, Le- In einer an (Nicht-)Zugehörigkeit orientierten Bildungsarbeit werden, in denen uneindeutige Zugehörigkeiten möglich sind? genommen wird, was mit der NS-Vergangenheit zusammenhängt und bensformen und Selbstbilder wahrzunehmen. Zugleich sind Minderhei- geht es um eine vielschichtige Refl exion von Erfahrungen in einer Betrachte ich den Anspruch von Zugehörigkeiten auf dem Hin- eben mit dieser auch vergangen ist. Nach Auschwitz ist Antisemitis- ten auf unterschiedliche Weise mit Botschaften der Ausgrenzung und Gesellschaft, die eine demokratische Kultur für sich beansprucht: Die tergrund einer zeitgeschichtlichen Erinnerungsbildung, dann stellen mus insbesondere in der deutschen Öffentlichkeit in jeder Hinsicht mit Diskriminierungen konfrontiert. Zur Struktur des Antisemitismus Dimension der verweigerten Zugehörigkeit bezieht sich auf Erfahrun- sich Fragen nach dem Preis des Dazugehörens. Die Konfrontation mit moralisch diskreditiert. Dieser öffentliche Konsens begünstigt die gehört es, dass er völlig unabhängig von der Präsenz der diskriminier- gen von Diskriminierungen und Ausgrenzungen; die Dimension der den NS-Verbrechen delegitimiert jede Forderung nach Identifi kation Vorstellung, Antisemitismus gehöre in die Vergangenheit bzw. sei ten Gruppe funktioniert und darauf ausgerichtet ist, ein unbeschädigtes beanspruchten Zugehörigkeit bezieht sich auf Kämpfe um das Dazu- mit der deutschen Gesellschaft. Nur eine »kritische Zugehörigkeit« eben ein Problem derer, die nichts aus derselben gelernt haben. Dass Selbstbild zu erzeugen. Das »Gerücht über die Juden«35 bedarf keinerlei gehören, auf gleiche Rechte und Chancen; die Dimension der gebro- erscheint hier angemessen, ohne Identitätsbekenntnisse und Loya- es sich beim Antisemitismus auch um ein Phänomen der Gegenwart Erfahrungen aus Begegnungen mit Juden, um sich selbst zu erhalten. chenen Zugehörigkeit bezieht sich auf die erinnernde Refl exion einer litätsbeteuerungen.26 Auf dem Hintergrund der NS-Verbrechensge- handelt und sich darin zugleich ein abwehrender Umgang mit der Er- Auf der Grundlage der in der älteren Kritischen Theorie entwickelten Geschichte von Verfolgung und Vernichtung und insistiert darauf, dass schichte kann es keine ungebrochene Identifi kation mit der deutschen innerung an den Nationalsozialismus spiegelt, kommt im Begriff des Antisemitismusanalysen kann umgekehrt auch nicht davon ausgegan- aus dieser Geschichte keine Vereinnahmungen vonseiten einer sich Gesellschaft geben. Die Erwartung einer vollständigen Identifi kation sekundären Antisemitismus zum Ausdruck.29 Nach 1990 transformiert gen werden, dass Begegnungen mit Juden antisemitischen Haltungen mit einem unproblematischen Selbstbild ausstattenden Gemeinschaft ignoriert die historischen Gegebenheiten. Solange Bekenntnisse zu sich der bundesdeutsche Erinnerungsdiskurs von der Abwehr der entgegenwirken. Für eine antisemitismuskritische Bildungsarbeit sind erfolgen können. Die dritte Dimension hält an der Diskontinuität von einem ungebrochenen »Deutschsein« verlangt werden, wird sowohl Schuld hin zu ihrer Anerkennung.30 Die gesellschaftlich weitgehend Kenntnisse über Geschichte und Funktionsweisen antisemitischer Ste- Geschichte fest, die nicht in eine reine Gegenwart – »rein« im dop- die innere Heterogenität dieser Gesellschaft verdrängt als auch ein übernommene Verantwortung für die NS-Verbrechen kann aber nicht reotype erforderlich. Aufklärung kann nicht auf diejenigen verlagert pelten Sinne von geschichtslos wie auch gereinigt – übergehen kann. »Wir-Phantasma« etabliert, dem ein »imaginäres ›Nicht-Wir‹« ge- als stabil betrachtet werden, sondern wird immer wieder relativiert werden, gegen die sich antisemitische Diskriminierungen richten. An- Im Selbstverständnis des Fritz Bauer Instituts, sich mit der genübergestellt wird.27 In der migrationspädagogischen Diskussion von der Suche nach Entlastung. Versprechen kann man sich eine Ent- dernfalls würden sie als Repräsentanten einer Gruppe funktionalisiert »Geschichte und Wirkung« des Holocaust auseinanderzusetzen, wird diese Kritik kaum auf den Umgang mit dem Nationalsozia- lastung zum einen durch eine Erlösungsvorstellung, bei der aus der und dabei wiederum als »Andere« gekennzeichnet. kommen die Diskontinuitäten von Vergangenheit und Gegenwart lismus bezogen. Dabei kann gerade auf dem Hintergrund zeitge- Übernahme der historischen Verantwortung ein geläutertes Selbstbild In einer empirisch gestützten Untersuchung zu Artikulations- zum Ausdruck. Es handelt sich um ausgesprochen vielschichtige schichtlicher Erinnerung die Reichweite ungebrochener nationaler hergestellt wird. Zum anderen kann Entlastung durch die »zwanghaf- formen des aktuellen Antisemitismus in heterogenen Jugendszenen und komplexe geschichtliche Zusammenhänge, deren pädagogisch Identitätsvorstellungen refl ektiert werden. Gegenüber einem »Ganz- te Suche nach jüdischen ›Tätern‹ erfolgen«.31 In dieser Perspektive kommen insbesondere drei Stereotype zum Ausdruck: »Differenz- angemessene Vermittlung Zeit und Raum benötigt. Den Anspruch oder-gar-nicht-Prinzip«28 eröffnen Ansätze multiperspektivischer konstruktionen, die Juden als vom jeweiligen ›Wir‹ klar zu unter- an einen weitgefassten Bogen historisch-politischer Bildung bringt Erinnerungsarbeit Möglichkeiten einer zeitgeschichtlich refl ektierten scheidende Gruppe thematisieren; eine problematische Kritik deut- das Pädagogische Zentrum zum Ausdruck, wenn betont wird, dass und gebrochenen (Nicht-)Zugehörigkeit – ein Konzept, das sich von scher Erinnerungspolitik sowie eine Kritik israelischer Politik, in der sowohl die Geschichte und Vorgeschichte von Verfolgung und Ver- 29 »Der sogenannte sekundäre Antisemitismus ist, weit über Deutschland hinaus, zum Teil Juden generalisierend zugeschrieben wird, sie seien dafür nichtung als auch die Geschichte des deutschen Judentums und sei- ein europäisches Phänomen geworden. Gerade die Ressentiments gegenüber Ju- verantwortlich«.36 Zugleich treten diese Stereotype in Verbindung ner Kämpfe um Zugehörigkeit vermittelt werden sollen. Die Spur den als ›privilegierte Opfer‹ sind zum Beispiel in Frankreich sehr stark, was aber Sühnezeichen Friedensdienste e.V. (Hrsg.), Unsere Geschichten – eure Geschich- genauso mit der französischen Geschichte, sprich unaufgearbeiteter Kolonialge- in die Gegenwart wird damit als doppelte Spur erkennbar – im Ge- te? Neuköllner Stadtteilmütter und ihre Auseinandersetzung mit der Geschichte schichte und Zweiter Weltkrieg, wie mit Israelkritik oder Antisemitismus zusam- denken an etwas unwiederbringlich Verlorenes einerseits und in der des Nationalsozialismus, Berlin 2010. menhängt« (Monique Eckmann, »Antisemitismus im Namen der Menschenrech- Wahrnehmung deutsch-jüdischer Gegenwart andererseits. 24 Paul Mecheril, Einführung in die Migrationspädagogik, Weinheim 2004, S.223. te? Migration, europäische Identitäten und die französische Diskussion«, in: 32 Ebd. 25 Ebd., S. 220. Hanno Loewy (Hrsg.), Gerüchte über die Juden. Antisemitismus, Philosemitis- 33 Ebd., S. 164. 26 Vgl. Astrid Messerschmidt, »Kritische Zugehörigkeit als Ausdruck geschichtsbe- mus und aktuelle Verschwörungstheorien, Essen 2005, S. 101–120, hier: S. 107, 34 Vgl. Astrid Messerschmidt, »Flexible Feindbilder. Antisemitismus und der Umgang wusster Integrationsarbeit«, in: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. Hervorh. im Original). mit Minderheiten in der deutschen Einwanderungsgesellschaft«, in: Wolfram Sten- (Hrsg.), Unsere Geschichten – eure Geschichte?, S. 25–30. 30 Vgl. Ilka Quindeau, »Schuldabwehr und nationale Identität – Psychologische der, Guido Follert, Mihri Özdogan (Hrsg.), Konstellationen des Antisemitismus. An- sprüchliche und fragmentarische Formen von Antisemitismus in heterogenen Ju- 27 Olaf Stuve, »Kein Wir, kein Nicht-Wir. Intersektionalität in der politischen Bil- Funktionen des Antisemitismus«, in: Matthias Brosch, Michael Elm, Norman tisemitismusforschung und sozialpädagogische Praxis, Wiesbaden 2010, S. 91–108. gendszenen«, in: Fritz Bauer Institut, Jugendbegegnungsstätte Anne Frank dung«, in: Dirk Lange, Ayca Polat (Hrsg.), Unsere Wirklichkeit ist anders. Migra- Geißler, Brigitta Elisa Simbürger, Oliver von Wrochem (Hrsg.), Exklusive Solidari- 35 Theodor W. Adorno, Minima Moralia. Refl exionen aus dem beschädigten Leben, (Hrsg.), Neue Judenfeindschaft? Zum pädagogischen Umgang mit dem globali- tion und Alltag, 2009, S. 257–269, hier: S. 258. tät. Linker Antisemitismus in Deutschland, Berlin 2007, S. 157–164, hier: S. 162. Frankfurt am Main 1951, S. 141. sierten Antisemitismus, Frankfurt am Main, S. 51–79, hier: S. 58. 28 Ebd. 31 Ebd., S. 163. 36 Barbara Schäuble, Albert Scherr, »›Ich habe nichts gegen Juden, aber …‹. Wider- 37 Ebd.

20 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 21 eine Rolle. Das ist kein Thema wie jedes andere. Es ist mit einem Mehrheitsgesellschaft entstanden. Parallel hat die Erforschung des ungewöhnlichen Grad an öffentlicher Aufmerksamkeit, an medi- Widerstandes in seinen unterschiedlichen Formen reiche Früchte aler Präsenz, an familiengeschichtlicher Belastung aufseiten der getragen.6 Ich möchte drei große Untersuchungen, reduziert auf ihre Lehrkräfte belegt. Auch Lehrkräfte, die sich nicht intensiv mit der didaktische Bedeutung für das Lernen über den Holocaust, vorstellen. historischen oder kulturwissenschaftlichen Forschungsliteratur, den Als durch die Rezeption der Arbeiten Raul Hilbergs der Blick Würde und Scham immer wieder aufkommenden Debatten in Feuilletons und auch in auf die »Zuschauer« der NS-Verbrechen gelenkt wurde, war dies ein den Fachzeitschriften beschäftigen, sind sich dessen bewusst.3 Der Fortschritt im Vergleich zu der bis dahin üblichen Reduktion der Ver- Der Gegenstand des Lernens über den ständig in die Unterrichtskommunikation eingeschriebene Strang antwortlichkeit auf die Führungspersönlichkeiten – gerade auch in moralischer Wertung ist nicht zu vermeiden, wie das empirische pädagogischen Materialien. Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich das Holocaust vor dem Hintergrund der Forschungsprojekt von Meseth und anderen zeigt.4 Diese moralische Interesse der Forschung und der Darstellung noch einmal geändert. Prägung des Unterrichts zum Thema Holocaust gilt es bewusst zu Peter Longerich7 beschreibt zum Beispiel die Geschichte des geschichtswissenschaftlichen Forschung handhaben. Das heißt gerade nicht, sie zu forcieren. Im Gegenteil Nationalsozialismus aus der Sicht der Mehrheitsbevölkerung, und kann diese Tönung der Beschäftigung mit dem Mord an den euro- dabei wird deutlich, welche Konsequenzen die Haltung mit sich von Gottfried Kößler päischen Juden durch eine kritische Beschäftigung mit der Kultur bringt, die Hilberg als »Zuschauen« bezeichnet. Allerdings macht der Erinnerung, mit den Ritualen und Gedenkorten ein Gegenstand die genaue Rezeption alltagshistorischer Quellen deutlich, dass Universalisierung der Aneignung der Geschichte werden. das Mitwissen zu den wesentlichen Kennzeichen einer genozida- In Deutschland, das heute von Migration und Auseinanderset- len Gesellschaft gehört. Die Unterscheidung zwischen Tätern und Die internationale Diskussion über den Sinn zungen um Integration oder Assimilation geprägt ist, ist es proble- Zuschauern, die seit den 1980er Jahren in den didaktischen Über- der Holocaust-Erziehung läuft auf einen ge- matisch geworden, die Ereignisse, die im Alltagssprachlichen unter legungen zum Holocaust prägend war, ist zu einfach. Es gibt hier Gottfried Kößler, geb. 1953, stell- meinsamen Punkt hinaus: Auf der Website der »Task Force for dem Begriff »Holocaust« zusammengefasst werden, allein unter ebenso Grauzonen wie zwischen Zuschauern und Opfern. In Hilbergs vertretender Direktor des Fritz Bauer International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance, nationalhistorischem Gesichtspunkt zu betrachten. Die Perspektive Schema fehlt zudem die Gruppe der Helfer, die gerade dann von Instituts mit dem Schwerpunkt Päda- and Research (ITF)« fi ndet sich eine Aufstellung von Lernzielen der dominanten Mehrheitsgesellschaft ist aber nach wie vor von didaktisch hohem Interesse ist, wenn man sie nicht zu scharf von gogik und Mitarbeiter des Pädagogi- und zentralen Gegenständen der Vermittlung dieses Themas.1 Die einem mehr oder weniger bewusst erfahrenen Fortwirken der Schuld den Zuschauern und den Tätern abgrenzt. Die anhaltende Verwen- schen Zentrums des Fritz Bauer Bedeutung des Themas Holocaust als zentrale Erfahrung des Zweiten an den Massenverbrechen des nationalsozialistischen Deutschland dung des Films Schindlers Liste als Unterrichtsmedium zeigt, wie Instituts und des Jüdischen Museums Weltkriegs bestimmt hier weitgehend die Konzeption der Erzählung geprägt. Die Frage nach der deutschen Schuld, nach ihren Ursachen groß das berechtigte Interesse der Lehrkräfte an dieser Grauzone Frankfurt. Seit 1983 Lehrer für über die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. Maßgeblicher Ge- und ihrem Fortwirken, strukturiert die Curricula.5 ist. Allerdings bedarf gerade dieses Feld einer genauen Kenntnis der Deutsch und Geschichte, genstand des historischen Lernens über das 20. Jahrhundert sollen Fakten und darf nicht bei der fi ktionalen Erzählung stehen bleiben. Abordnungen an das Historische danach nicht diejenigen – jeweils besonderen – Ereignisse sein, die Täter und Volksgemeinschaft Eine andere Veränderung der pädagogischen Perspektiven auf Museum Frankfurt und seit 1994 an das Ringen um nationale Identität bei den einzelnen europäischen die NS-Verbrechen betrifft die Parteilichkeit. Es ist die Frage danach, das Fritz Bauer Institut. Arbeits- Nationen bestimmten. Vielmehr wird mit dem Holocaust ein be- Die geschichtswissenschaftlichen Grundlagen für Alternativen zu wie es in Deutschland möglich ist, ein Gedenken an die Opfer zu schwerpunkte sind neben der Lehrer- sonderer Ereigniskomplex, der allerdings fast alle diese nationalen dieser didaktischen Fassung des historischen Gegenstandes fi nden bewahren, ohne die immer wieder narzisstisch geprägte Schuldthe- bildung das historische Lernen in Geschichten berührt, für alle als verbindlich behandelt. Als ver- sich in einem zentralen Strang der historischen Forschung seit Beginn matik aufzurufen.8 der Migrationsgesellschaft, Gedenk- bindliche Orientierung wird formuliert, dass eine Verletzung der der 1990er Jahre. In der öffentlichen Wahrnehmung mit den Debatten Dafür kann eine Rezeption der Darstellung der Geschichte des stättenpädagogik und Medien- Menschenrechte dieses Ausmaßes sich nicht wiederholen dürfe und um die erste Wehrmachtsausstellung und Daniel Goldhagens Vollstre- Holocaust durch Saul Friedländer 9 und der von ihm verwendeten pädagogik. dass diese Maxime durch ein Eintreten für Demokratie, Toleranz und cker-Buch verbunden, ist eine gründliche Beschäftigung mit Fragen Quellen die Grundlage schaffen. Er nutzt im Kern die gleichen oder Menschlichkeit verfolgt werden müsse. nach Mitläuferschaft, Täterprofi len und den Grauzonen inmitten der ähnliche Quellen wie Longerich oder Michael Wildt,10 aber sein Nicht nur auf den regelmäßigen Foren der Organisation ITF Interesse ist eben die Geschichte der Juden, nicht die Geschichte wird dies kontrovers diskutiert.2 Der didaktische Zugang ist von den jeweiligen nationalen Erinnerungskulturen geprägt. In deut- 3 Vgl. Monique Eckmann, Charles Heimberg, »Die Vermittlung der Shoah im Un- schen Schulen spielt diese Orientierung an der universellen Lehre terricht aus den Erfahrungen und der Sicht der Lehrpersonen«, in: Jan Hodel, aus dem Holocaust vor allem bei der Wahrnehmung des Themas Beatrice Ziegler (Hrsg.), Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 07. Beiträge 6 Vgl. Beate Kosmala, Claudia Schoppmann, Überleben im Untergrund. Hilfe für zur Tagung »geschichtsdidaktik empirisch 07«, Bern 2009, S. 54–64. Juden in Deutschland 1941–1945, Reihe: Solidarität und Hilfe für Juden während 4 Wolfgang Meseth, Matthias Proske, Frank-Olaf Radtke, »Nationalsozialismus der NS-Zeit, Bd. 5, Berlin 2002; verfügbar unter: http://beate-kosmala.de/pdfda- und Holocaust im Geschichtsunterricht. Erste empirische Befunde und theoreti- ten/solidaritaet_und_hilfe_bd5.pdf (Stand: 16.08.2010). sche Schlussfolgerungen«, in: dies., Schule und Nationalsozialismus. Anspruch 7 Peter Longerich, »Davon haben wir nichts gewusst!« Die Deutschen und die Ju- 1 Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance, und Grenzen des Geschichtsunterrichts, Frankfurt am Main u.a. 2004, S. 95–146. denverfolgung 1933–1945, München 2006. and Research (ITF), »Holocaust Education Reports, Guidelines for Teaching«, 5 Vgl. Gottfried Kößler, »Antisemitismus im schulischen Kontext«, in: Fritz Bauer 8 Vgl. den Aufsatz von Astrid Messerschmidt in diesem Heft, S. 16 ff. verfügbar unter: http://www.holocausttaskforce.org/education/guidelines-for- Institut, Jugendbegegnungsstätte Anne Frank (Hrsg.), Neue Judenfeindschaft? 9 Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden, Bd. 1, München 1998, Bd. 2, teaching.html (Stand: 16.08.2010). Perspektiven für den pädagogischen Umgang mit dem globalisierten Antisemitis- München 2008. 2 Ebd., »Holocaust Education Reports«, verfügbar unter: http://www.holocaust- mus, Jahrbuch 2006 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Frankfurt am 10 Michael Wildt, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden taskforce.org/education/holocaust-education-reports.html (Stand: 16.08.2010). Main 2006, S. 172–186. in der deutschen Provinz 1919 bis 1939, Hamburg 2007.

22 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 23 der Deutschen. Im Unterschied dazu richtet Wildt den Blick auf die defi nierten »Wir-Gruppe« funktioniert als Norm. Bleibt man bei den Kontinuitäten der deutschen Mentalitätsgeschichte in Bezug auf durchschnittlichen »Volksgenossen«, so ist das historische Material das Verhältnis zum staatlichen Gewaltmonopol. Ihm geht es um für die pädagogische Beschäftigung mit diesem Thema mit dem oben die Beschreibung der Nähe von grenzensprengender Lust an der beschriebenen identisch. Hier kann an dem Fragenbündel gearbeitet Gewalt und rassistischen oder – in der Terminologie Heitmeyers – werden, das im Unterricht das größte emotionale Gewicht zu haben menschenfeindlichen Weltbildern. Diese Sicht ermöglicht es, den pfl egt: Wie konnte das geschehen, und wer hat mitgemacht? Holocaust als Ergebnis eines jeweils persönlichen Radikalisierungs- Aber das enthebt die pädagogische Beschäftigung mit dem Ho- prozesses der Ablehnung der Grundwerte bürgerlicher Gesellschaft locaust nicht der Aufgabe, die Perspektive zu wechseln: Und wie zu verstehen. Die Quellen, die in dieser Perspektive publiziert wur- ist es den Opfern ergangen? Bei der Frage nach den Opfern geht den, bieten Anschlussmöglichkeiten für didaktische Konzepte einer es nicht im ersten Schritt um Identifi kation oder um Mitgefühl. Es Bezugnahme auf heutige Probleme wie Rassismus, Antisemitismus geht vielmehr, wie Micha Brumlik formuliert, um die Einsicht in die oder andere Aspekte des Syndroms der Menschenfeindlichkeit. Würde des Menschen, also um die Entwicklung eines refl ektierten Im Vergleich dazu ist Götz Alys11 scheinbar provokante Be- Umgangs mit einem der zentralen Begriffe demokratischer Verfas- schreibung der deutschen Mehrheitsgesellschaft als einer Gemein- sung. Diese Einsicht, das betont Brumlik zu Recht, ist nicht allein schaft der Profi teure, die sich am Leid des ganzen europäischen kognitiv über intellektuelle Operationen zu erlangen. »Vielmehr Kontinents bereichert, didaktisch wenig interessant. Räuber sind wurzelt sie in einem moralischen Gefühl«.14 Es sollte dabei allerdings leicht verständliche Personen, an denen es wenig zu entdecken gibt. nicht übersehen werden, dass im Unterricht dieses moralische Gefühl Hingegen ist die Frage nach der Legitimität von Gewaltausübung nicht ohne methodische Fantasie erarbeitet werden kann. Hier liegt und nach der Rechtmäßigkeit des Gewaltmonopols ebenso brisant – wie ebenfalls Brumlik feststellt – ein Paradox vor, indem dieses wie die Beschäftigung mit der Dynamik von Zugehörigkeit, Diffe- moralische Gefühl für den Wechsel der Perspektive hin zu den Op- renz, Ausschluss und Assimilation in der Migrationsgesellschaft. fern zugleich Voraussetzung und Ziel der pädagogischen Arbeit ist. Dieses Feld kann durch eine didaktisch refl ektierte Verwendung In der Migrationsgesellschaft der Gegenwart – die auch dort von Quellen, die Friedländer, Longerich und Wildt erschließen, bei existiert, wo die Bevölkerung autochthon deutsch ist – ist es ein der Beschäftigung mit der Ereignisgeschichte des Holocaust immer zentrales Feld von Verständigung und Auseinandersetzung, Zuge- wieder als Anlass kontroverser Diskussionen angeboten werden. Es hörigkeit und Ausschluss auszuhandeln. Dabei konkurrieren die soll nicht übersehen werden, dass schon seit Jahren autobiografi sche unterschiedlichen Entwürfe von Selbst- und Fremdbildern. Sie Texte, in erster Linie Victor Klemperer,12 reichlich Material für eine untereinander zu vermitteln und zu vergleichen, die Fähigkeit zur solche Beschäftigung mit dem Alltag der Verfolgung und Ermordung Wahrnehmung der anderen Perspektive zu entwickeln, kann eine von Nachbarn und Fremden in NS-Deutschland bieten. der zentralen Aufgaben der Beschäftigung mit der Geschichte des Die Forschung über die Psychologie der Täter eröffnet einen Holocaust sein. Hier ist ein Blick auf die benachbarten Themenfelder anderen Schwerpunkt. Für eine einführende pädagogische Beschäf- Kolonialismus und Rassismus von großer Bedeutung, wie ihn zuletzt tigung mit dem Holocaust ist sie dann von großer Bedeutung, wenn Astrid Messerschmidt vorgeführt hat.15 Eine gemeinsame Refl exion sie die Motivationen des Alltagshandelns untersucht. Das Lernange- darüber, wie die in der eigenen Lebenswelt dominante Erzählung bot sollte sich zunächst auf dessen Grauzonen konzentrieren. Dazu über Geschichte entsteht und was sie jeweils transportiert, hat nicht bieten die Überlegungen und Quellen Material, die Harald Welzer nur ideologiekritischen Wert. in dem Kapitel »Massenmord und Moral« seines Buches über Täter vorstellt.13 Es zeigt sich, dass der moralische Referenzrahmen, den Historisch-politische Bildung der Nationalsozialismus anbot, bereits im alltäglichen Handeln und nicht erst bei der Beteiligung an offenen Mordtaten wirksam war. Das moralische Gefühl – sei es Scham oder Empathie – ist nicht Vor allem die Betonung der unbedingten Bevorzugung der völkisch Ergebnis des kognitiven Lernens, sondern dessen Voraussetzung oder womöglich eine Begleiterscheinung. Die Konzeption von Im Rahmen eines deutsch-israelischen Austauschprojekts besuchen Jugendliche aus Lernprozessen zum Holocaust, die über reine Faktenvermittlung Ramat HaNegev die Ausstellung »Anne Frank. Ein Mädchen aus Deutschland« in der Jugendbegegnungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, 30. Mai 2008. 11 Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Foto: Werner Lott Frankfurt am Main 2005. 12 Für die Schule eignet sich besonders die (leider vergriffene) Auswahl: Victor Klemperer, Das Tagebuch 1933–1945. Eine Auswahl für junge Leser, hrsg. von 14 Micha Brumlik, Aus Katastrophen lernen? Grundlagen zeitgeschichtlicher Harald Roth, Berlin 2005. Bildung in menschenrechtlicher Absicht, Berlin u.a. 2004, S. 131. 13 Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, 15 Astrid Messerschmidt, Weltbilder und Selbstbilder. Bildungsprozesse im Umgang Frankfurt am Main 2005. mit Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte, Frankfurt am Main 2009.

24 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 25 hinauskommen will – nämlich zu einer Erkenntnis über die Werte häufi g erwartet, eine enge Verbindung zwischen Geschichte und Ge- Es liegt nahe, von dieser Erzählung ausgehend andere Erfahrun- herbeigeführt werden. Lehrkräfte und Material sollen Lernchancen demokratischer Verfassung –, muss allerdings als Erstes einen Boden genwart herzustellen. Gleichzeitig werden aber nur sehr selten me- gen mit Gruppenzugehörigkeit und Ausschluss zu thematisieren. Das eröffnen – ob diese genutzt werden, hängt nicht nur von dem Material für die Entwicklung von Gefühlen und für deren Wahrnehmung an- thodische Vorschläge gemacht, wie das gehen soll. Meistens bleiben soll aus meiner Sicht im Unterricht auch geschehen, wenn es sich und den Arbeitsvorschlägen ab, sondern auch von der jeweiligen bieten. Ob das im Kontext schulischer Lernbedingungen möglich ist, die beiden Pole voneinander entfernt. Der dominierende Anspruch, aus dem Gruppengespräch entwickelt. Dann wird über die Reich- Lerngruppe. Die systemtheoretisch beeinfl usste Unterrichtsforschung muss sehr bezweifelt werden. Ergebnisse des Forschungsprojektes dass sie diesen Zusammenhang herstellen und dabei Antirassismus weite der Analogie und über die Unterschiedlichkeit der Situation lehrt uns, dass besonders der Einfl uss der Schule als Institution mit von Meseth und anderen16 zeigen, dass dieser Boden von den meisten als Bildungsziel verfolgen soll, ist für die historisch-politische Bil- im Vergleich zu heutigen Erfahrungen zu sprechen sein. Eine solche ihrer spezifi schen Disziplin, der Notenvergabe und den besonderen Schulklassen nicht betreten wird. Sie verweigern eine Beteiligung dung ein Problem.20 Es spricht einiges für die Erkenntnis, dass er Verständigungsdebatte kann aber nicht erzwungen oder mechanisch sozialen Beziehungen in Lerngruppen nicht unterschätzt werden darf. am Prozess der emotionalen Annäherung und der Entwicklung von – zumindest mit den vorhandenen Materialien und Arbeitsformen Empathie gegenüber den ihnen vorgestellten historischen Personen, – nicht umsetzbar ist. Wenn man zum Beispiel die Demokratie- jedenfalls sobald es um die Konstruktion von Analogien zur eigenen Erziehung als eines der wichtigsten Lernfelder nimmt, dann zeigt Erfahrung geht. Stattdessen wird die Konvention der gesellschaft- die pädagogische Praxis, dass demokratische Verhaltensweisen viel lich erwarteten Rede über den Holocaust erlernt und oft kompetent besser erlernt werden können, wenn sie im eigenen Alltag erprobt praktiziert. Die Unterrichtsforschung ist bislang kaum hinter diese werden. Man muss es Jugendlichen ermöglichen, positive Erfah- Fassade vorgedrungen. Einer der Fälle, die Zülsdorf-Kersting in rungen mit demokratischen Meinungsbildungsprozessen zu ma- seiner qualitativen Studie analysiert, könnte dem entgegenstehen. chen. Diese Herangehensweise ist viel erfolgreicher, als wenn man Eine Schülerin hat nach der Unterrichtseinheit zur Geschichte des die Jugendlichen mit dem historischen Gegenbild zur Demokratie Nationalsozialismus die unkritische Übernahme der Wertung des konfrontiert, wenn sie sich also damit beschäftigen, was geschieht, Nationalsozialismus durch ihren Großvater aufgegeben.17 Sie kann wenn sich eine Gesellschaft nicht mehr demokratisch verhält. Wir diese Meinung nun als historisch gebundene Wertung einordnen und haben dazu viele empirische Belege. Es geht also darum, im ersten sich davon distanzieren. Schritt des politischen Lernens die Vorteile von Demokratie als Volkhard Knigge, einer der prominentesten Repräsentanten der Form des öffentlichen Zusammenlebens erkennen zu können und Gedenkstätten in Deutschland, besteht darauf, dass es die Aufgabe damit positive Erfahrungen zu machen. Die Beschäftigung mit den der KZ-Gedenkstätten sei, das Wissen über die Verbrechen der Ver- negativen Erfahrungen aus der Geschichte ist dann der zweite Schritt. Deutsche und israelische Jugendliche besuchen gangenheit zu tradieren und dabei sachlich korrekt und empathisch Als Beispiel ein Unterrichtskonzept zum Thema NS-Rassismus: den jüdischen Friedhof »Heiliger Sand« in gegenüber den Verfolgten zu arbeiten. Der für die Gedenkstätten und Zunächst werden unterschiedliche Ausformungen des NS-Rassismus Worms, den ältesten erhaltenen jüdischen Friedhof in Europa, 28. Mai 2008. die pädagogische Arbeit zu Nationalsozialismus und Holocaust bis- vorgestellt. Vor diesem Hintergrund kann sich dann von selbst ein Foto: Werner Lott lang prägende Erinnerungsimperativ des »Nie wieder!« sei eine ge- Gespräch über aktuelle Formen entwickeln, ohne dass die Lehrkraft nerationell gebundene Erscheinung gewesen.18 An dieser anspruchs- diese direkt ansprechen müsste. Es führt also nicht zum Ziel, de- Jugendliche in der Gedenkstätte Buchenwald, 1998 vollen Argumentation überrascht, dass die Spannung zwischen dem mokratisches Handeln schätzen zu lernen, wenn die Aufgabe heißt: Foto: Gottfried Kößler Anspruch, sachlich Wissen zu vermitteln, und der Forderung, dass »Jetzt denkt doch auch mal über die Gegenwart nach.« Stattdessen dies in einen Wertehorizont eingebettet werden müsse, nicht aus- zeigt die Erfahrung, dass sich Lerngruppen, ausgehend von den drücklich thematisiert wird. Diese nach dem derzeitigen Stand der Diskussionen über ein klug ausgewähltes historisches Material, von empirischen Forschung und der praktischen Erfahrung der pädago- allein dem heutigen Thema annähern, ohne dabei die geschichtlichen gischen Mitarbeiter/innen in Gedenkstätten kaum lösbare Spannung Erfahrungen zu relativieren. Dieser Weg ist vermutlich deshalb für prägt die pädagogische Arbeit zum Thema Holocaust nicht nur in alle Beteiligten leichter zu gehen, weil die Distanz gewahrt bleibt. Deutschland. In Deutschland, und hier ist Knigges Begriffsbildung Schließlich wäre es ein problematisches Ergebnis, wenn die Ju- klärend, steht die Beschäftigung mit der Geschichte des Holocaust gendlichen sagten: »Das ist ja heute schon wieder so wie damals.« unter dem Leitbild der »negativen Erinnerung«.19 Stattdessen können sie die historische Ebene nutzen, um aktuelle Die pädagogische Vermittlung von Wissen über den Holocaust Themen leichter verhandeln zu können. Wenn also die Erfahrung wird als historisch-politische Bildung bezeichnet. Von ihr wird sehr eines jüdischen Jugendlichen vorgestellt wird, der 1935 von seinem besten Freund verleugnet wird, weil dieser in die Hitlerjugend einge- treten ist, dann geht es zunächst um ein Ereignis, das diese Phase der Veränderung von Denkweise und Weltsicht der Mehrheitsdeutschen 16 Meseth u.a., »Nationalsozialismus und Holocaust«, S. 122–126. 17 Meik Zülsdorf-Kersting, Sechzig Jahre danach: Jugendliche und Holocaust. in der NS-Zeit an einem Beispiel verdeutlicht. Eine Studie zur geschichtskulturellen Sozialisation, Münster 2007, S. 394. 18 Volkhard Knigge, »Statt eines Nachworts: Abschied der Erinnerung. Anmer- kungen zum notwendigen Wandel der Gedenkkultur in Deutschland«, in: ders., Norbert Frei (Hrsg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit 20 Imke Scheurich: »Historisch-politische Bildung in NS-Gedenkstätten und Gesell- Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 423–440, hier: S. 428. schaftskritik«, in: Bettina Lösch, Andreas Thimmel (Hrsg.), Handbuch kritische 19 Ders., Norbert Frei, »Einleitung«, in: dies. (Hrsg.), Verbrechen erinnern, S. XI. politische Bildung, Schwalbach/Ts. 2009.

26 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 27 1988 auf eine Besuchergruppe mittleren Alters ausgerichtet, die zweiten Ausstellungsstrang begleitend zur historischen Ausstellung. um die Verbrechen des Holocaust weiß und vor diesem Hintergrund Dies ist zum Beispiel in Augsburg und Hohenems der Fall. Das Jüdi- sich der Bedeutung der zerstörten jüdischen Kultur und Geschichte sche Museum Berlin dagegen fängt dies in einem eigenen Workshop- vergewissern möchte. Angebot mit dem Titel »Ist das im Islam nicht auch so?« auf. Die nach 1970 und später Geborenen kommen jedoch mit ande- Viele Besucher kommen in jüdische Museen, um etwas über den Museumspädagogik in Jüdischen Museen ren Erfahrungen und Interessen ins Museum. Die Gesellschaften sind Antisemitismus und die Judenverfolgung zu erfahren. Sie wollen mobiler geworden, nationale Bindungen verändern sich und werden wissen, »wie es dazu kam«. Inwiefern jedoch kann dies die Arbeit Neue Perspektiven auf alte Themen nicht mehr als statisch empfunden, und Migration ist zumindest der jüdischen Museen sein? Sollen sie über den Rassismus der sich in den Großstädten ein sichtbares Phänomen. Jüdische Diaspora- als »Volksgemeinschaft« formierenden Deutschen informieren, wo von Katharina Rauschenberger und Migrationserfahrung ist vor diesem Hintergrund nicht mehr sie doch über die Geschichte der Juden erzählen wollten? exklusiv, Vertreibungsgeschichten anderer Gruppen überlagern die Die Museumspädagogen der jüdischen Museen müssen sich da- Erinnerung an Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden zu verhalten. Manche Ausstellungen behandeln das Thema Antisemi- und Elemente der jüdischen Religion fi nden sich in vielen Riten des tismus nur verdeckt wie zum Beispiel das Jüdische Museum Berlin. Islam. Jüdische Geschichte und Kultur im Museum zu vermitteln, ist Dort sind antisemitische Karikaturen in Schubladen verborgen und also in diesen zwanzig Jahren zu einer anderen Aufgabe geworden. müssen von den Besuchern erst geöffnet werden. Das Jüdische Mu- Museumspädagogik hat viele Facetten. Alle Museumspädagogen der jüdischen Museen im deutschspra- seum Augsburg erzählt über die Zeit der Verfolgung ausschließlich Das fängt schon bei der Konzeption von chigen Raum müssen dem Rechnung tragen. In Hohenems wurde mit Dokumenten der Verfolgten selbst. Aus ihrer Perspektive soll Ausstellungen an. Wie leite ich durch die 2007 eine neue Dauerausstellung eröffnet, die die jüdische Diaspora man erfahren, was geschah und wie das Geschehen aufgenommen Ausstellung? Welchen Titel wähle ich für in den Kontext allgemeiner Migrationen im Vorarlberg einreiht. wurde. Im Jüdischen Museum Frankfurt fi ndet man in der Daueraus- Katharina Rauschenberger, sie? Welche Objekte stehen im Zentrum, welche Aussage verbinde Das Jüdische Museum in München, ebenfalls 2007 eröffnet, legt stellung einen Raum über die Stationen der Verfolgung. Kann man Dr. phil., geboren 1962, Studium der ich mit ihnen? In welcher Höhe bringe ich die Schilder an? Welche seinen Schwerpunkt auf die Gegenwart jüdischer Einwanderer in diesen Themenschwerpunkt überhaupt für Führungen anbieten, ohne Mittleren und Neueren Geschichte, Sprache wähle ich? Das sind nur einige von den vielen Fragen, die Deutschland. Das Frankfurter Jüdische Museum zeigte 2010 eine die jüdische Geschichte des 19. Jahrhunderts ebenfalls zu erzählen? Philosophie und Romanistik in Frank- für die didaktische Konzeption relevant sind. In den meisten Fällen Sonderausstellung über die russische Einwanderung nach Deutsch- Was jedoch, wenn Besuchergruppen dezidiert danach fragen? furt am Main, 2001 Promotion an sind diese Fragen jedoch den Kuratoren und Gestaltern überlassen. land. Darüber hinaus entwickelte es gemeinsam mit den anderen Jüdische Museen sind keine Holocaust-Museen. Museumspäd- der Technischen Universität Berlin. Museumspädagogen kommen erst später ins Spiel. Und manchmal historischen Museen und Instituten das Programm »Frankfurt – Stadt agogen haben die Aufgabe, der Erwartungshaltung vieler Besucher Bis 2008 Leiterin des Leo Baeck Pro- vielleicht auch zu spät. der Einwanderer«, das sich an Schulklassen richtet. Diaspora und in diesem Punkt immer wieder kritisch zu begegnen. Der offen- gramms »Jüdisches Leben in Deutsch- Nämlich dann, wenn es darum geht, Ausstellungen nach ihrer Migration ist eines der großen Themen der jüdischen Museen ge- sichtliche Bedarf von Schulen, Vertiefungseinheiten zum Holocaust land – Schule und Fortbildung«. Seit Eröffnung wirksam zu vermitteln, für Besuchergruppen nach deren worden, die Aufgabe für die Museumspädagogik besteht darin, die im Museum zu nutzen, kann jedoch nicht einfach zurückgewiesen 2008 Programmkoordinatorin am jeweiligen Interessen Angebote zu entwickeln und diese durchzu- Migrationserfahrung als allgemeines Phänomen zum Ausgangspunkt werden. Das Jüdische Museum Berlin hat einen Workshop zur Arbeit Fritz Bauer Institut und Lehrbeauf- führen. Oft hat man es dann mit Themen zu tun, die für die Ver- zu nehmen, um dann auf die Besonderheiten, die die jüdische Ge- mit Archivalien und Zeitzeugeninterviews konzipiert. Schüler- und tragte am Historischen Seminar der mittlung sperrig sind, die Sprache ist nicht verständlich genug und schichte der Diaspora und Migration mit sich bringt, einzugehen. Die Jugendlichengruppen sollen über Recherchen zu einzelnen Ver- Goethe-Universität Frankfurt am es fällt schwer, ein persönliches Interesse mit den Ausstellungen Chancen, die dieses Vorgehen bietet, liegen auf der Hand. Besonders folgtenbiografi en nicht nur Wissen vermittelt bekommen, sondern Main. zu verknüpfen. bei Jugendlichen ist es sehr wirkungsvoll, ihre persönliche Erfahrung auch an die historische Arbeit herangeführt werden. Das Jüdische Dieses Problem trifft alle Museen, auch die jüdischen. Das einzubinden und ebenso ernst zu nehmen, wie die Geschichte, die Museum Wien rekonstruiert in seinem Workshop „Kurt und Ilse“ Frankfurter Jüdische Museum ist das älteste in der Bundesrepublik man vermitteln will. Aber es gibt auch Grenzen des Vergleichbaren. das Schicksal zweier in Wien versteckter jüdischer Jugendlicher mit überregionaler Wirkung. Seine historische Dauerausstellung Diese sind schnell erreicht, wenn über allgemeine Migrationserfah- im NS anhand von Briefen und Dokumenten, die nicht im Muse- stammt aus den späten achtziger Jahren. Sie folgt einer klassischen rung hinaus auch die historischen und politischen Bedingungen für umsrundgang zu fi nden sind. Diese Vermittlungsangebote beziehen Chronologie der jüdischen Geschichte von der ausgehenden Antike die Migration gleichgesetzt werden. sich nicht auf die Ausstellungen im Museum. Müsste ein jüdisches bis in das Jahr 1945. Schwerpunkte liegen an den für die Frankfurter Ähnlich verhält es sich im Bereich religiöser Bräuche. Die Ent- Museum dies nicht auch leisten? Die Gründung des Pädagogischen jüdische Geschichte bedeutenden Daten wie der mittelalterlichen deckung von Gemeinsamkeiten im rituellen Bereich kann doch nur Zentrums des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums ist Siedlung, der Einrichtung des Ghettos 1462, dem Fettmilchaufstand der Ausgangspunkt sein für den Blick auf die Unterschiede zwischen eine Reaktion auf die von außen herangetragene Vermischung dieser 1614, der Emanzipationsphase, der Entstehung der Reformgemeinde den Religionen. Damit verbunden ist oftmals überhaupt ein erstes beiden Perspektiven. Seine Arbeit soll dazu beitragen, auch für die im 19. Jahrhundert, den kulturell schöpferischen zwanziger Jahren Nachdenken über die Inhalte der eigenen Religion. Sind jüdische Museen Themen auszuweisen, wo sich die Perspektiven kreuzen. des 20. Jahrhunderts, der Abwehr gegen den Antisemitismus und Museen dazu jedoch der richtige Ort? Inwieweit und aus welcher Zur Aufweichung der festgefügten Täter- und Opferzuschreibungen der Verfolgung und Selbstbehauptung im NS. Darüber hinaus hat Perspektive klären sie über Religion auf, wo sie als kulturgeschicht- könnte es zum Beispiel sinnvoll sein, die NS-Zeit mit dem Material das Frankfurter Jüdische Museum eine große Abteilung, die das liche Einrichtungen doch an historische Fragen heranführen sollen? aus den NS-Strafprozessen darzustellen. In diese Richtung muss religiöse Leben von Juden darstellt, in der Feste und Gebräuche Einige jüdische Museen nehmen den religionspädagogischen Ansatz noch viel nachgedacht werden. erklärt und mit der Religion verbundene Objekte gezeigt werden. auf und behandeln das Thema religiöser Riten in Christentum, Ju- Die Dauerausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt wurde dentum und Islam vergleichend in eigenen Kinder-Vitrinen als einen

28 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 29 der 90er Jahre jahrzehntelange scheinbar erfolglose und maßgeblich Schulbuch als »jüdischer Geldverleiher und seine Frau«2 auftaucht, von ihm selbst geleitete Schulbuchkritik kritisch bilanzierte.1 Diese oder bei der Szene in einer italienischen Bank, einer Miniatur in Verengung der Perspektive auf den Verfolgungsaspekt in präventi- dem Tractatus de septem vitiis des Genueser Kaufmanns Cocharelli ver Absicht führt zu Verzerrungen der historischen Wirklichkeit, (spätes 14. Jh.), die in der Illustrierten Geschichte des Judentums als sie blendet den Kontext einer bis zur Emanzipation gewiss nicht Darstellung jüdischer Bankiers präsentiert wird und wohl von dort Christen, Juden und das Geld gleichberechtigten, aber dennoch gemeinsamen christlich-jüdischen aus dann auch im Schwerpunktheft Europas Juden im Mittelalter Geschichte aus zugunsten einer konfrontativen und schematisierten der Zeitschrift Damals übernommen wurde.3 Die Vorstellung, dass Über die Permanenz eines Vorurteils Täter-Opfer-Geschichte. Und aus dieser Perspektive des mea culpa nur Juden Geldverleiher gewesen sein konnten, hat sich hier so weit in Schulbüchern und im allgemeinen Bewusstsein folgt fast zwangs- verfestigt, dass auf solchen Darstellungen Juden gesehen werden, und seine Wurzeln läufi g ein historischer Fatalismus als Trugschluss, wonach eine »Nor- wo gar keine sind.4 malität«, ein zumindest gewaltfreies Zusammenleben von Juden und Verbunden mit dem Klischee, dass der Geldverleih in jüdischer von Wolfgang Geiger Christen oder Minderheit und Mehrheitsgesellschaft in Europa gar Hand gelegen habe, ist dann auch das weitergehende Vorurteil vom nicht möglich gewesen sei, jedenfalls nicht grundsätzlich, dauerhaft. Wucher und der Verschuldung der Christen bei den Juden. So fasst Dass dies per se nicht möglich sei, war jedoch gerade die These der es der Brockhaus 2004 paradigmatisch zusammen: Antisemiten des 19. und 20. Jahrhunderts, wenn auch mit umge- »Da Juden vom üblichen Berufsfeld des Handwerkers und Ge- Eine angebliche besondere Affi nität der kehrter Schuldzuweisung. So bestehen in den Erklärungsmustern werbetreibenden ausgeschlossen waren, waren sie darauf angewie- Juden zum Geld ist das grundlegendste und für die vermeintliche Verfolgungskontinuität auch heute noch alte sen, ihren Lebensunterhalt durch Geldgeschäfte, vor allem durch allgemeinste aller Vorurteile über Juden. Klischees und Vorurteile fort, und zwar nicht nur in Schulbüchern, den Geldverleih gegen Faustpfänder und Zinsen, zu bestreiten. Die Es lässt sich nahezu bei jeder Gelegenheit, sondern auch in historischen Darstellungen mit wissenschaftlichem hierdurch bewirkte Verschuldung breiter Bevölkerungskreise ver- Dr. Wolfgang Geiger, geb. 1956, zu jedem Thema und historisch rückblickend für jede Epoche ein- Anspruch und nun vor allem auch in dem neuen Medium Internet. schärfte die bereits bestehenden Aversionen, die sich dann von Zeit studierte Französisch und Geschich- setzen und hat sich schon so weit verselbstständigt, dass es längst Ein wesentliches, die Zeiten überdauerndes Vorurteil ist die Vor- zu Zeit in furchtbaren Judenverfolgungen (Pogromen) und -vertrei- te für das Lehramt in Frankfurt am nicht mehr nur in bewusst antisemitischer Absicht auftaucht. Der stellung von einer besonderen Beziehung der Juden zum Geld. Es bungen niederschlugen; dabei dürfte sicher sein, dass innerhalb der Main und promovierte dort 1986. historische Vergleich von Hans-Werner Sinn (»1929 traf es die geht zurück auf das stereotype Bild vom jüdischen Geldverleiher Motive, die zu diesen Untaten führten, die materiellen Beweggründe Deutschlektor an der Universität Juden, heute die Manager« – Tagesspiegel vom 27.10.2008) ist im Mittelalter. der Schuldner eine ganz zentrale Rolle gespielt haben.«5 (Hervorh., Nantes in Frankreich, 1996 zweite ein Beispiel dafür, wie geradezu mit gegenteiliger Absicht das W.G.) Promotion in Germanistik. Seit 1999 damalige Vorurteil erneuert wird, nämlich dass damals »die Juden« 2. Das Vorurteil und seine Folgen in Schulbüchern Von einer »Verschuldung breiter Bevölkerungskreise« kann Lehrer am Gymnasium Dreieichschule an den Schaltstellen der Finanzwirtschaft saßen. Woher kommt jedoch historisch keine Rede sein, hier wird das Vorurteil eins zu in Langen bei Darmstadt. Mitglied dieses Vorurteil, und wie kann man ihm begegnen? Was sagen Dieses Klischee basiert auf der These von den zwei Verboten: (1.) eins übernommen (Verschuldung der Christen = Schuld der Juden) des Arbeitskreises »Deutsch-jüdische Schulgeschichtsbücher dazu? den Christen sei der Geldverleih gegen Zins verboten (kanonisches, und nur vom ursprünglichen Vorurteil der Anklage zum Vorurteil Geschichte« des Geschichtslehrer- das heißt kirchliches Zinsverbot) und (2.) die Juden seien durch die der Erklärung umfunktioniert: Verschuldung > > Befreiung verbandes. Seit September 2009 Mit- 1. Probleme des Anti-Antisemitismus Bildung der Zünfte aus fast allen Berufen ausgeschlossen gewesen; von den Schulden (= »materielle Beweggründe«). Das Dilemma arbeiter am Pädagogischen Zentrum aus beidem folge somit zwangsläufi g, dass die Juden im Geldverleih des Anti-Antisemitismus hier und andernorts ist, dass er die Wer- des Fritz Bauer Instituts und des Jüdi- Antisemitismusprävention setzt klassisch erstens an der Aufklärung ihre hauptsächliche Betätigung gefunden hätten. Die Vorstellung von tungen des Antisemitismus bekämpfen will, aber dessen Prämissen schen Museums Frankfurt. über Vorurteile und Vorurteilsbildung an, also an der Frage nach der der Monopolisierung des Geldverleihs durch die Juden im Mittelalter übernimmt. Entstehung von Antisemitismus; daneben gibt es zweitens den eben- ist ein Topos im allgemeinen Bewusstsein, nicht nur bei Schülern und Dieser Argumentationsstrang wird dann vielerorts weitergeführt, so klassischen Ansatz, der auf die Mahnung hinsichtlich der Folgen Lehrern, Lehrbuch- und anderen Autoren, und kommt in mehr oder wie in diesem Schulbuch text zur Erklärung der »Kammerknecht- des Antisemitismus setzt, die historisch in den Holocaust mündeten. weniger scharf formulierter Form überall vor. Sie führt sogar dazu, schaft«: Antisemitismusprävention heute muss sich jedoch nicht mehr nur dass christliche Geldverleiher auf bildlichen Darstellungen aus dem mit dem Zielobjekt Antisemitismus auseinandersetzen, sondern auch Mittelalter oder der Renaissance fälschlich als jüdische Geldverleiher zunehmend mit sich selbst, mit Problemen und Nebenwirkungen identifi ziert werden, wie auf dem Bild »Le prêteur et sa femme« des Anti-Antisemitismus. Seit nahezu vier Jahrzehnten bemühen (1514) von Quentin Metsys (siehe S. 33, Abb. oben), das in einem 2 Vgl. Rückspiegel 2, Schöningh, Braunschweig 1995, S. 92. Bei Lehrwerken wird sich Lehrbuchautoren verstärkt um die didaktische Aufarbeitung auf die Angabe von Autoren verzichtet und stattdessen der Verlag angegeben. – der deutsch-jüdischen Geschichte, und zwar vorwiegend nach der Zum Thema siehe auch Anm. 4. 3 Vgl. Nicholas de Lange (Hrsg.), Illustrierte Geschichte des Judentums, Frank- zweiten oben genannten Strategie. Mit Auschwitz im Gedächtnis furt am Main 2000, Darmstadt (Lizenzausgabe WBG), S.81. – Damals, H. 12 und als Mahnung schrumpft diese Geschichte jedoch quasi zur Vor- 1 Vgl. Chaim Schatzker, »Juden und Judentum in den Geschichtslehrbüchern der (2004), Schwerpunktheft Europas Juden im Mittelalter, S. 30. – Siehe dazu auch geschichte des Holocaust zusammen. Zwar hat der in den Schul- Bundesrepublik Deutschland«, in: Thomas Lange (Hrsg.), Judentum und jüdische Anm. 4. büchern der jüdischen Geschichte eingeräumte Platz im Laufe der Geschichte im Schulunterricht nach 1945. Bestandsaufnahmen, Erfahrungen 4 Vgl. meine Vorträge auf dem Historikertag in Konstanz 2006 und der Tagung in und Analysen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Israel, Beiheft 1 zu der Moses Mendelssohn Akademie in Halberstadt 2007, dokumentiert auf den Zeit zugenommen, aber nur weitere Verfolgungsgeschichten kamen Aschkenas – Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, Wien u.a. 1994, entsprechenden Seiten von www.juedischegeschichte.de hinzu, wie der israelische Historiker Chaim Schatzker schon Anfang S. 37–47. 5 Brockhaus 2004: »Juden: Stellung im Mittelalter«, zit. nach PC-Bibliothek 3.0.

30 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 31 »Da mit der Kammer das kaiserliche Schatzamt gemeint war, Auch hier dürfte im Leserbewusstsein neben den anderen, hier bedeutete dies, dass Juden als unfreie Finanzobjekte des Reiches weitgehend unvermittelten Motiven vor allem das »Wucher«-Motiv betrachtet wurden, die vor allen Dingen hohe Steuern zahlen muss- für Hass und Verfolgung hängen bleiben, zumal die relativierende ten. Um diese aufbringen zu können wurden die Juden noch mehr Setzung des Begriffs in Anführungszeichen durch die Bestätigung als früher und schließlich gänzlich zu Geldverleihern.«6 (Hervorh., seines Inhaltes (»unchristliche« Zinsen) aufgehoben wird. Die Rand- W.G.) überschrift »Privilegien, Verfolgung, Vertreibung« – suggestiv auf Der Versuch der moralischen Entlastung der Juden durch die eine vom Leser gedanklich schnell ergänzte dritte Konsequenz Erklärung, dass sie nicht freiwillig diesen Weg gingen, bestätigt auch hinweisend, nämlich »Vernichtung« (Pestpogrome/Holocaust) – hier trotzdem das Vorurteil in der Sache: Die Juden wurden »gänzlich evoziert somit die kausale Verkettung Privilegien > Konsequenzen zu Geldverleihern«. Noch ein Stück weiter in dieser Logik geht das und somit Verständnis dafür, wenn der Begriff »Privilegien« nicht Online-Dossier von Arte zur mehrteiligen Fernseh-Dokumentation historisch-kontextuell erklärt wird. Denn »Privileg« steht in unserem Die Juden – Geschichte eines Volkes: modernen Verständnis synonym für moralisch unberechtigtes Vor- »Gleichzeitig wurde den Christen das Zinsnehmen untersagt, so recht. Privilegien waren jedoch im Mittelalter schlicht die übliche dass das Geldgeschäft bald erzwungenermaßen zu einem Gewerbe Form der Förderung wirtschaftlicher Aktivitäten. Wenn Privilegien der Juden wurde. Damit wurden sie – ohnehin schon religiös und und Juden ohne historische Begriffsklärung zusammentreffen, ist sozial isoliert – noch stärker in die Rolle des Sündenbocks und Aus- der Teufelskreis des Vorurteils bereits wieder geschlossen, selbst beuters des Volks gedrängt.«7 (Hervorh., W.G.) wenn er aufgebrochen werden sollte. Man beachte zunächst die Steigerung zu »erzwungenermaßen«; doch damit nicht genug: Das Vorurteil wird hier nicht nur als Desin- 3. Das Vorurteil und seine Wurzeln formation, sondern auch als Wertung in der aufklärerischen Absicht der Sündenbocktheorie aufgenommen, wenn suggeriert wird, die Das Klischee vom jüdischen Geldverleiher basiert auf der fal- Juden hätten »erzwungenermaßen« nicht nur die »Rolle des Sün- schen Vorstellung vom kirchlichen Zinsverbot als einem in der denbocks«, sondern auch die des »Ausbeuters des Volkes« gespielt, Realität befolgten Gebot. Das Zinsverbot gründet auf alt- und das heißt auch wirklich ausgeübt (Sündenbock wird man ohne sein neutestamentarischen Bibelstellen (2. Mose 22, 24; Lukas 6,35) Zutun, Ausbeuter jedoch nicht). sowie deren Interpretation durch die Kirchenväter oder namhafte Ein anderer Zugang zu dem Thema geht über die »Privilegien«. Theologen wie Thomas von Aquin und sollte durch Konzilsbe-

Unter einer Randüberschrift »Privilegien, Verfolgung, Vertreibung« schlüsse umgesetzt werden. »Wucher« (lat. »usura«) bezeichnete Der Goldwäger und seine Frau, von Quentin erläutert der Text eines Oberstufenbuches zum Thema Juden im ursprünglich auch die Zinsen schlechthin; erst mit der Akzeptanz Metsys, 1514 (Musée du Louvre, ). Mittelalter: eines als gerecht empfundenen oder von den weltlichen Autori- Foto: Zenodot Verlagsgesellschaft mbH, GNU »Als sich die christlichen Fernhändler im 11. Jahrhundert zu täten erlaubten Zinssatzes (das »Interesse« am Geldverleih, vgl. Schwurgemeinschaften mit christlichen Riten zusammenschlos- frz./engl. »interêt«/»interest«) verstand man darunter nur noch ei- Holzschnitt von 1531 (oder einem anderen Jahr, die sen, wurde der Spielraum für Juden auch hier immer enger. Da nen diese Grenze überschreitenden Zinssatz. Im Codex Justinianus Angaben zu diesem Klassiker der Illustration eines die Kirche sich gleichzeitig entschiedener gegen das Zinsneh- (6. Jahrhundert), der römisches und kirchliches Recht nebeneinan- jüdischen Geldverleihers differieren stark vonein- ander). Ein Beispiel für die Verselbstständigung der men beim Geldverleih als unchristlich aussprach, eröffneten sich derstellte, wurden übrigens zivilrechtlich Zinssätze bis zu 6 Prozent Ikonografi e. hier Erwerbsmöglichkeiten. Die waren allerdings risikoreich, und das Doppelte bei hohem Risiko (Seefahrt) zugestanden. Wäh- In einem Geschichtsbuch für Hauptschulen (Zeitlupe, weil Geldgeber unbeliebt sind, wenn es ans Zahlen der Schulden rend im Bereich der Ostkirche die alte Regelung weiter bestand und Schroedel, Hannover 2003, S. 105) gab es dazu fol- geht.« Zinsen erlaubt blieben, verhärtete die Westkirche ihre Haltung im gende Bildlegende: »Ein jüdischer Geldhändler sitzt hinter seiner ›Bank‹. Weiteres Geld befi ndet sich wahr- Im ausgehenden Mittelalter versuchten der Kaiser und dann Zuge ihres Radikalisierungsprozesses seit Mitte des 11. Jahrhunderts scheinlich in Säcken im Raum. Überlegt, wie das Bild die Fürsten, »die Juden zu schützen, wenn das Volk und vor allem (Klosterreform, Zölibat, Investiturstreit, Kreuzzüge etc.). Unter Papst auf die Betrachter damals gewirkt hat.« die Zunfthandwerker, die oft bei den jüdischen ›Wucherern‹ Kre- Gratian wurde 1130–1150 das Kirchenrecht überarbeitet und darin dit aufgenommen hatten, mordend und plündernd über sie herfi e- die Auffassung »Zins ist Raub« zum Dogma gemacht.9 Doch Dogma len, weil sie irgendwelcher unsinniger grauenhafter Verbrechen, heißt Lehre – was bedeutete das für die gesellschaftliche Realität? wie Brunnenvergiftung oder Kindermord, bezichtigt wurden«.8

9 Vgl. allgemein Jacques Le Goff, Wucherzins und Höllenqualen. Ökonomie und 6 Wir machen Geschichte 2, Diesterweg, Frankfurt am Main 1997, S. 134. Religion im Mittelalter, Stuttgart 2008, sowie insbesondere darin die Einführung 7 Dossier »Juden im Mittelalter«, www.arte.tv/de/Die-Welt-verstehen/Mittelalter/ von Johannes Fried, »Zins als Wucher. Zu den gesellschaftlichen Rahmenbedin- TV-Programm/2422256.html gungen der Predigt gegen den Wucherzins«, S. 139 f. – Ferner u.a. Diana Wood, 8 Geschichte und Geschehen. Oberstufe A1, Klett, Stuttgart u.a. 2003, S. 169. Medieval Economic Thought, Cambridge 2002, S. 159 ff.

32 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 33 Von der Zeit Papst Gratians an häuften sich Dekrete und Konzils- oder eingedeutscht Kawerschen von sich reden, deren Namen wohl 13. Jahrhundert als eine Art Grenzwert etabliert zu haben, im Jahre in den drei Geschäftspartner involviert waren: der Schuldner als beschlüsse (Lateran II 1139 bis Lateran IV 1215) zu diesem Thema, auf die südfranzösische Stadt Cahors zurückgeht. Alle wollten sich 1311 setzte Philipp IV. in Frankreich nämlich als Erster einen lega- Zahlungsanweiser, der Gläubiger als Zahlungsempfänger sowie doch mit erheblichen Nuancen. Als die Referenz für das Zinsverbot möglichst das Terrain durch Privilegierung von den Fürsten oder len Rahmen für Zinsen bis zu 20 Prozent fest. Als Wucher galt fortan ein Dritter, der die Summe ausbezahlte, weil er selbst bereits bei wird meist das 4. Lateranische Konzil genannt. Schaut man sich den den Städten sichern. Als die Kölner Juden nach einem vorausgegan- nur die Überschreitung dieser Grenze. Der französische König voll- dem Wechselaussteller Schulden hatte (so die ursprüngliche Form Wortlaut der diesbezüglichen Texte jedoch genauer an, so wurde hier genen, weitgehend unbekannten Konfl ikt 1266 wieder in der Stadt zog damit eine Kehrtwende gegenüber seinem Vorgänger Philipp der Verrechnung von Schulden) oder aber in seiner Eigenschaft als gar kein Zinsverbot ausgesprochen, vielmehr beglückwünschte man aufgenommen wurden, wurde ihnen auch das exklusive Privileg III., der unter dem Eindruck des 2. Lyoner Konzils 1274 anordnete, »Bank«, die in vielen Fällen der Geldwechsler auf der Messe mit sich, dass »sich die Christenheit beim Wucher beschränkt«10 (Her- des Geldverleihs unter Ausschluss ihrer Konkurrenten, der Cau- »alle fremden Wucherer, insbesondere Lombarden und Cahorsins, Tisch und Bank (ital. »banco«) darstellte. Aus dem Geldwechsel- vorh., W.G.), und wollte auch den »Wucher der Juden« in diesem vercini, verliehen.13 Von kirchlicher Seite gab es nicht nur immer aus dem Königreich auszuweisen«.18 Das Verdikt besonders from- geschäft entwickelte sich der Geldverleih dadurch, dass der Geld- Sinne begrenzen. Anders als einzelne Päpste mit ihren Dekreten, so wieder Appelle gegen den Geldverleih gegen Zins, sondern auch mer Herrscher traf also nicht nur die »jüdischen Wucherer«, die wechsler seinem Kunden anfangs den Betrag vorstreckte und der Gratian (siehe oben) oder Gregor IX. (Dekretalien, 1234), konnte Anweisungen innerhalb der Kirche, kein Kapital in diesem Sinne 1275/90 aus England und 1394 aus Frankreich – genauer: aus dem Kunde erst am Ende der Messe zahlte (plus anfallende Gebühren sich das Konzil zu keinen radikalen Beschlüssen durchringen – ganz anzulegen, so auf der Trierischen Provinzialsynode vom 1.3.1227: größten Teil Frankreichs – ausgewiesen wurden. In Deutschland gab oder Zinsen). Der Händler erhielt auf diese Weise einen Kredit, im Gegensatz zur heute allgemein verbreiteten Ansicht. »3. Es wird verboten Geld Gewinnes halber bei Cauvercinen oder es noch im 15. Jahrhundert innerhalb der Hanse einen Kampf gegen mit dem er auf der Messe seine Geschäfte erst tätigte. So ersparte Doch selbst zwischen dieser relativ moderaten Haltung zum Juden anzulegen.«14 den von den lombardischen Banken eingeführten »Borgkauf«, was sich der Händler auch den risikoreichen Transport großer Summen. Zins und der Realität lagen noch Welten, denn »die Christenheit Wie die Zinspraktiken italienischer Bankiers im 12. Jahrhun- zur Schließung etlicher Bankfi lialen in Norddeutschland führte, und Dies weitete sich dann von einer Messe auf die andere aus und folgte den kanonischen Geboten nicht. […] Wucher war schlimmste dert aussahen, davon gibt ein Genueser Vertrag von 1161 einen das, obwohl oder gerade weil »der Gebrauch des Kredits […] in der entwickelte sich zum modernen Bankwesen. Sünde, doch kein Verbrechen.«11 Das »kirchliche Zinsverbot« – Eindruck, die älteste erhaltene Quelle ihrer Art,15 sowie eine in der hansischen Welt seit dem 13. Jahrhundert weit verbreitet« war.19 Eine andere Form des kaschierten Kredits entstand nach ara- wenn es denn überhaupt ein solches gab, man sollte vielmehr vom Geschichte einmalige Untersuchung über den Tatbestand des Wu- Wenn also christliche Bankiers das kirchliche Zins- oder Wu- bischem Vorbild 22 in Italien in Form der Commenda. Nach diesem Wucherverbot sprechen – wurde kein weltliches Recht und von chers für den französischen König Philipp IV., die uns die exakten cherverbot bis zu seiner Lockerung nicht respektierten, so führte Modell, das heute noch in islamischen Ländern die offi zielle Form christlichen Händlern kaum befolgt, zu keiner Zeit war es gesell- Zinssätze italienischer Kaufl eute in der französischen Stadt Nîmes es immerhin dazu, dass sie die Zinspraktiken verschleierten. Zwei der Umgehung des Zinskredits ist, trat der Geldgeber als stiller schaftliche Realität, es führte allenfalls dazu, entsprechende Ge- im Jahre 1289 liefert.16 Sie übertrafen noch das, was der britische Standardformeln waren im Mittelalter üblich: Entweder es wurden Teilhaber in ein Geschäft ein, das sein aktiver Geschäftspartner schäfte zu verheimlichen, was die historische Forschung dazu leider Historiker Peter Spufford über die Zinspraxis in der ersten Hälfte des lediglich Schuldscheine – ob für christliche oder für jüdische Kredit- abwickelte. Der Gewinn wurde dann nach einem Schlüssel geteilt, erschwert. Die Waffe der Kirche im Kampf gegen den Wucher, die 13. Jahrhunderts schreibt: »Um 1200 gewährten Bankiers in Genua geber – über die Summe des zurückzuzahlenden Betrages ausgestellt, oft 50:50, allerdings auch das damit verbundene Risiko. Ein solches Exkommunikation, wurde nur selten und wahrscheinlich nur in be- Geschäftskredite zu einem Jahreszinssatz von 20 Prozent, 1211 in ohne Erwähnung der geliehenen Summe; der Zins ergab sich dann Prinzip schwebte auch den Rabbinern auf der Mainzer Synode von sonders gravierenden Fällen angewendet – jedenfalls gibt es auch Florenz zu 22 Prozent, und in Venedig verlieh Pietro Ziani, der Doge aus der nicht benannten Differenz zwischen beiden Größen. Oder 1220 vor: »dass beide Verluste und Gewinne gleichmäßig teilen, dazu nicht viel Quellenmaterial –, und dann blieb es meistens bei von 1205 bis 1229, Geld zu 20 Prozent, genau wie sein Vater vor man legte im Kreditvertrag Zinsen für den Fall des Zahlungsverzugs so wie es von unseren Lehrern beschrieben wurde«,23 doch blieb der Drohung. Verstöße gegen die inkriminierten Finanzpraktiken gab ihm. Geldmittel, die sich in den Händen der frommen Stiftungen fest, was kirchlich erlaubt war, und setzte den Zahlungstermin so eine solche Normalisierung der Geschäftsbeziehungen zwischen es die ganze Zeit über innerhalb der Kirche selbst bis hin zur päpst- angesammelt hatten und an die in der Levante Handel Treibenden an, dass er von vornherein unrealistisch und die Überziehung der Juden und Christen wohl eher ein Wunsch. Die Überlieferungen lichen Kurie. Ein eklatantes Beispiel: Dem in Ungnade gefallenen verliehen wurden, hatten im Venedig des 12. Jahrhunderts eben- Frist einkalkuliert war. Das waren aber schon Formen des etablierten über den jüdischen Geldverleih beschränken sich daher weitgehend Erzbischof Eberhard II. von Salzburg wurde 1246 empfohlen, sich so 20 Prozent Zinsen erzielt.«17 Dies scheint sich in Europa im Kreditwesens und keineswegs die einzigen.20 auf die oben aufgeführten Formen des Kredits, der Zins wurde so durch eine hohe Geldzahlung an den Papst zu rehabilitieren, die ihm Das Bankwesen entstand in Europa aus dem Geldwechselge- lange verschwiegen, bis es offi ziell genehmigte oder zumindest durch einen Kredit zu mindestens 30 Prozent von der Kurie selbst schäft heraus, das auf den überregionalen Messen aufgrund der tolerierte Zinssätze gab. Das Sinken der marktorientierten Zinsen 12 ermöglicht werden sollte. 13 Das Kölner Judenprivileg von 1266 wurde in Stein gemeißelt und befi ndet sich Währungsvielfalt anfi el. In einem Bericht von 1356 über die Ge- im 14. und 15. Jahrhundert bis auf 5 Prozent passte die Realität Grundsätzlich gilt also: Weder waren alle Juden Geldverleiher, noch heute am Kölner Dom, lat. Text in: Leonard Ennen, Quellen zur Geschichte schichte der Champagne-Messen sind die Entstehung des Geld- der moralischen Vorstellung von einem gerechten Zins an, weswe- noch waren alle Geldverleiher Juden. der Stadt Köln, Bd. 2, 1863, Nachdruck Aalen 1970, S. 543; dt. Übersetzung in: verleihs aus dem Wechselgeschäft und die damit verbundenen gen Regierungen und Stadträte oft entsprechende Höchstgrenzen Als Akteure des modernen Finanzwesens traten vor allem itali- Rolf Ballof u.a., Deutsch-jüdische Geschichte. Quellen zur Geschichte und Poli- Praktiken am konkreten Beispiel genau überliefert.21 Aus dem legalisierten.24 Jüdischen Bankiers wurde die Übertretung dieser tik, Stuttgart u.a. 2008, S. 28. Herausgegeben vom Arbeitskreis Deutsch-Jüdische 25 enische Kaufl eute und Bankiers hervor, die sogenannten Lombarden Geschichte des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands. – Zum Thema als Wechselgeschäft entstand der Wechsel als Zahlungsanweisung, Grenzen erlaubt, meistens bis zum Doppelten, eine Quelle für (weil ursprünglich aus der Lombardei stammend), und bis in die Ganzes vgl. Robert-Henry Bautier, Robert Auty, Robert Angermann (Hrsg.), Le- das allgemeine Wucherklischee in der Epoche der Renaissance und Neuzeit hinein waren sie und jüdische Kaufl eute Konkurrenten im xikon des Mittelalters, München 1980–1999, Einträge »Zins«, »Wucher«, »Ju- Reformation. Doch zum Beispiel auf der Frankfurter Börse wurde Geschäft. Daneben machten eine Zeit lang noch die Cauvercini den«, »Lombarden«, »Cauwercini«. 14 Zit. nach Julius Aronius, Regesten zur Geschichte der Juden im Fränkischen und 18 Hans-Jörg Gilomen, »Wucher und Wirtschaft im Mittelalter«, in: Historische Deutschen Reiche bis zum Jahre 1273, Berlin 1902, Nachdr. Hildesheim 1970, Zeitschrift, Bd. 250, H. 2 (1990), S. 284. N° 439, S. 194. Siehe auch www.juedischegeschichte.de >Materialien 2. 19 Philippe Dollinger, Die Hanse, Stuttgart 1976, S. 267. 15 Vgl. Mario Chiaudino, Mattia Moresco (Hrsg.), Il cartolare di Giovanni Scriba, 20 Vgl. hierzu auch die zusammengefasste Darstellung in: Erhard S. Gerstenberger, 22 Siehe dazu meine didaktisierte Darstellung des gesamten Zusammenhangs mit 10 Im Wortlaut unterschiedliche Übersetzungen, vgl. Julius Höxter (Hrsg.), Quellen- Bd. II, Turin 1935, S. 24. – Lat. Original und dt. Übersetzung auf: www.historia- »Das alttestamentliche Zinsverbot – und wie man es umging«, in: Welt und Um- Quellenmaterial: Geiger, »Spezereien und Zahlungsverkehr«. buch zur jüdischen Geschichte und Literatur, III. Teil, Deutschland, Frankreich universalis.de > Mittelalter02. welt der Bibel, Jg. 13, Nr. 1 (2008), »Gott und das Geld«, S. 49–51. 23 »Takkanot der rheinischen Gemeinden Speyer, Worms und Mainz, um 1220«, in: und Italien im Mittelalter, Frankfurt am Main 1927, S. 15. Online auf www.jue- 16 Vgl. Félix Bourquelot, Études sur les foires de Champagne, Bd. 2, Paris 1865, 21 Vgl. hierzu das Cartularium des Michel Caillot, nach 1356, zit. in: Bourquelot, Schoeps, Wallenborn (Hrsg.), Juden in Europa, S. 154. dischegeschichte.de > Mittelalter 1. Vgl. auch Julius H. Schoeps, Hiltrud Wallen- Repr. Brionne [ca. 1970], S. 120. – Auszüge in: Wolfgang Geiger, »Spezereien Études, S. 353. – Auszüge im Original (Altfranzösisch) und in dt. Übersetzung 24 Vgl. Spufford, Handel, S. 34 f.; Edwin S. Hunt, James M. Murray, A History of born (Hrsg.), Juden in Europa. Ihre Geschichte in Quellen, Bd. 1, Von den Anfän- und Zahlungsverkehr aus dem Mittelmeerhandel. Fortschritte des modernen auf: www.historia-universalis.de > Mittelalter02. – Vgl. auch Heinz Thomas, Business in Medieval Europe, 1200–1550, Cambridge u.a. 1999, S. 111, 216 f. gen bis zum späten Mittelalter, Darmstadt 2001, S. 115. Geldwesens durch den Fernhandel im Mittelmeer«, in: Geschichte lernen, 22. Jg., »Die Champagnemessen«, in: Rainer Koch (Hrsg.), Brücke zwischen den Völkern 25 Vgl. Hermann Kellenbenz, »Die Juden in der Wirtschaftsgeschichte des rheini- 11 Fried, »Zins als Wucher«, S. 143, 139. H. 130 (2009), S. 9–17, hier: S. 17. – Zur Geschichte der Frankfurter Messe, Bd. 1: Hans Pohl (Hrsg.), Frankfurt im schen Raumes«, in: Konrad Schilling (Hrsg.), Monumenta Judaica. 2000 Jahre 12 Ob es dann dazu kam, ist unklar, es wirft aber ein Licht auf die damalige Praxis, 17 Peter Spufford, Handel, Macht und Reichtum. Kaufl eute im Mittelalter, Darm- Messenetz Europas – Erträge der Forschung, Frankfurt am Main 1991, S. 13–36, Geschichte und Kultur der Juden am Rhein, Köln 1963, S. 199–241, hier: vgl. ebd., S. 143 f. stadt 2004, S. 34. hier: S. 25–27. S. 226–228.

34 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 35 auch später noch im Wechselgeschäft ein »unchristlicher« Zins in Stoßrichtung als Vorwurf gegen die Juden gemeint, so dient es heu- Im ersten Fall hat Attali somit die Christen beiseitegelassen, im Kapitalismus nach Europa und ermöglichten so die Entstehung der »Wechselgebühren« von 14 Prozent versteckt26 – von christlichen te zur Erklärung dieses Antisemitismus. Das bedeutet aber nichts zweiten Fall deren Bedeutung zumindest minimiert, weil die in der modernen Wirtschaft, ja die Moderne schlechthin. Bankiers, wohlgemerkt. Im Venedig des Shakespeareschen Shylock anderes, als dass sich das Vorurteil durch sich selbst erklärt, es wird Quelle eindeutige Hierarchisierung unter den Tisch gefallen ist (an Hier wird ein Phänomen deutlich, das auch aus der ethnografi - dominierten die Christen das große Kreditgeschäft mit hohen Zinsen ihm lediglich der Anklagecharakter genommen. erster Stelle standen christliche, an zweiter jüdische Geldgeber), und schen und kulturwissenschaftlichen Forschung bekannt ist, nämlich und überließen den Juden das kleine Kreditgeschäft (die Pfandleihe) Die Perpetuierung dieses Vorurteils erfolgt auf breitester Basis, im dritten Fall, wo der pejorative Ausdruck »judaizare« als Beleg dass sich nicht selten Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung mit niedrigen Zinsen.27 auch bei jüdischen Autoren existiert es. So will zum Beispiel Jacques für das allein von Juden ausgeübte Zinsgeschäft herhalten soll, hat durch den Anderen, zugespitzt zu Autostereotyp und Heterostereo- Über das Thema Zins, Wucher, Christen und Juden gibt es seit Attali in seinem Buch Les Juifs, le monde et l’argent (Die Juden, die er die Intention der Originalquelle geradezu auf den Kopf gestellt, typ, überschneiden, obwohl sie sich von der Intention her (positi- fast 150 Jahren eine umfangreiche fachwissenschaftliche Literatur,28 Welt und das Geld, 2002) verständlich machen, »wie der Erfi nder des die sich gegen »noch schlimmere Christen« richtete. ve/negative Wertung) diametral gegenüberstehen. Das Vorurteil, die aber offenbar bislang keine Chancen hatte, in die allgemeine Monotheismus dazu gekommen ist, die Ethik des Kapitalismus zu Neben dem ursprünglichen Vorurteil als Vorwurf durch den das seiner negativen Wertung entledigt ist, bleibt gleichwohl ein Geschichtsschreibung und von da aus in Schulbücher und letzt- begründen, bevor er über einige seiner Söhne dessen erster Bankier Antisemitismus und dem Vorurteil als Erklärung seiner selbst in Vor-Urteil im ursprünglichen Sinn des Wortes. Die Problematik der lich ins allgemeine Geschichtsbewusstsein vorzudringen. Wie sehr und über andere der unerbittlichste seiner Feinde wurde. Es ist auch einem Narrativ des Anti-Antisemitismus fi ndet sich hier nun als anti-antisemitischen Intention dabei ist, dass in den entsprechenden auch heute noch wissenschaftliche historische Untersuchungen vom entscheidend für das jüdische Volk selbst, sich diesem Teil seiner dritte Variante eine positive Aneignung des Vorurteils: Es wird als Darstellungen in Schulbüchern und anderswo diese Vorurteile zwar Vorurteil geprägt sind, hat jüngst der italienische Historiker Todes- Geschichte zu stellen, den es nicht mag und auf den stolz zu sein es solches wiederum bestätigt, soll aber in seiner moralischen Wertung verurteilt, aber in der Sache kaum durch Urteile im Sinne einer chini in dem von Michael Toch herausgegebenen Sammelband zur dennoch allen Grund hätte.«31 umgekehrt werden. Attali will in seinem Buch die historische Leis- adäquaten historischen Beurteilung ersetzt werden. Wirtschaftsgeschichte der mittelalterlichen Juden betont: »It is still Wie Attali dies bewerkstelligt unter Berufung auf zahlreiche tung der Juden nachweisen: Sie brachten das Finanzwesen und den common to read in textbooks or general histories of the in the Publikationen namhafter jüdischer und nichtjüdischer Historiker, Middle Ages that, from the tenth century, usury was the specialized sei hier an drei kleinen Beispielen aus seiner Darstellung zum frü- activity of European Jews. This opinion, recently repeated by Ken- hen Mittelalter gezeigt: Im Abschnitt über »die ersten Bankiers der neth Stow in his book Alienated Minority, is in each case based on Christen« zitiert er eine Begebenheit aus der Geschichte der Franken unsubstantiated historical theories regarding the economic rule of von Gregor von Tours,32 nämlich »die Ermordung eines jüdischen the medieval Jews […].«29 Geldverleihers in seiner Stadt, eines gewissen Armentarius« (im Jahre 584), dann aus dem Liber manualis von Dhuoda, der Gräfi n 4. Das Vorurteil und seine ungewollte Bestätigung von Toulouse, einer Art Testament für ihren Sohn (verfasst ca. 841), worin »sie ihren Sohn daran erinnert, alle Schulden zu bezahlen, Das Vorurteil wird durch das Erklärungsinteresse des Anti-Antise- auch die an die jüdischen Gläubiger«. Und nachdem Attali mehrfach mitismus gestützt, der in den »materiellen Beweggründen« ein ein- verdeutlicht hat, dass den Christen das Zinsnehmen verboten war und faches und scheinbar zeitloses Motiv fi ndet, mit dem auch der große daher »noch niemand anders als Juden das Recht zum Geldverleih« zeitliche Bogen vom Geldverleiher des Mittelalters zum Bankier hatte, legt er dar, dass man »überall nur vom jüdischen Geldverleih« des 19. Jahrhunderts geschlagen werden kann, sozusagen von Shy- sprach und »damals in vielen Sprachen ›judaisieren‹ ein Ausdruck lock zu Rothschild. Die mangelnde Kenntnis der mittelalterlichen für Zins nehmen« war.33 Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte führt über den Mythos30 Tatsächlich war jedoch der von seinen Schuldnern ermordete des kirchlichen Zinsverbots zum Topos des jüdischen Geldverleihs, Armentarius mit zwei christlichen Partnern unterwegs, die eben- »Eine glänzend geschriebene und spannend worüber das Vorurteil, scheinbar durch rationale Argumente erklärt, falls umgebracht wurden; die fränkische Gräfi n Dhuoda schrieb, sich nur wieder erneuert: War das Vorurteil früher mit antisemitischer dass sie »nicht nur von Christen, sondern auch von Juden oft große erzählte Biographie über das faszinierende Geldsummen geliehen habe« (Hervorh., W.G.); und der Begriff des Leben, die vielschichtige Persönlichkeit sowie »Judaisierens« (judaizare) stammt von Bernhard von Clairvaux, der sich damit 1146 jedoch darüber empörte, »dass dort, wo es sie die außerordentlichen Verdienste des Simon 26 Frank Berger, »Kapital«, in: ders. (Hrsg.), Glaube, Macht, Kunst. Antwerpen – nicht gibt [gemeint sind die Juden], wir christliche Geldverleiher Frankfurt um 1600, Frankfurt am Main 2005, S. 70. erdulden, die schlimmer sind als die Juden [wörtlich: ›schlimmer Wiesenthal.« 27 Vgl. Marion Steinbach, »Jüdische Bankiers im Venedig der Renaissance«, in: Jo- Ian Kershaw 34 hannes Heil, Bernd Wacker (Hrsg.), Shylock? Zinsverbot und Geldverleih in jüdi- judaisieren‹]«. scher und christlicher Tradition, München 1997, S. 81–100, hier v.a.: S. 82–84. 28 Siehe die Auswahlbibliografi en auf den einschlägigen Seiten von www.juedisch- egeschichte.de > Themen sowie www.historia-interculturalis.de > Jüdische Ge- schichte. 31 Vgl. den Klappentext von Jacques Attali, Les Juifs, le monde et l’argent. Histoire Tom Segev liest am 28. Oktober 2010 im 29 Giacomo Todeschini, »Christian Perceptions of Jewish Economic Activity in the économique du peuple juif, Paris 2002, 22005 (Taschenbuchausgabe). Übers. Middle Ages«, in: Michael Toch (Hrsg.), Wirtschaftsgeschichte der mittelalterli- W.G. Fritz Bauer Institut, Frankfurt chen Juden, München 2008, S. 1–16, hier: S. 4. Bezugnahme auf: Kenneth Stow, 32 Gregor von Tours (539–594), die Historia Francorum entstand in den Jahren bis Alienated Minority. The Jews of Medieval Latin Europe, Cambridge (Mass.) 591. 1992. 33 Attali, Les Juifs, S. 191, 197, 198 f. 576 Seiten mit Abb. Siedler 30 Mythos als »falsche Klarheit« im Sinne von Max Horkheimer, Theodor W. Ador- 34 Quellenauszüge mit Nachweis und Kommentar auf www.juedischegeschichte.de > e 29,95 [D] www. siedler-verlag.de no, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 1969, S. 4. Mittelalter1 und > Mittelalter2.

36 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 37 herausgegebene Festschrift Jüdische Geschichte als Allgemeine Ge- Historische Vergleiche schichte, was dem Anliegen des Gewürdigten Rechnung trägt. Doch die Bilanz hinsichtlich der Integration der jüdischen Ge- Der historische Vergleich ist gang und gäbe. Historiker verglei- schichte in historische Darstellungen der europäischen oder Weltge- chen beispielsweise Epochen und versuchen, Schlussfolgerungen schichte ist ernüchternd. Michael Brenner konstatierte 2002: »Trotz abzuleiten. Dabei ist es durchaus strittig, ob der Vergleich neben Wie erzählt man jüdische Geschichte? der enormen Forschungsleistung, die in den letzten Jahrzehnten in dem Experiment, der Fallstudie und der statistisch-quantifi zierenden vielen Sprachen erbracht worden ist, zeigten allgemeine Nachschla- Methode ein »striktes Verfahren« darstellt. Unter den Vergleichen Narrative Konzepte jüdischer Geschichte gewerke in der Regel wenig Interesse für irgendwelche inneren gibt es verschiedene Formen: den generalisierenden Vergleich, der Entwicklungslinien der jüdischen Geschichte, und Juden werden Regelwissen anstrebt, und den individualisierenden Vergleich, der in Schulbüchern gewöhnlich erst beim Thema Verfolgung erwähnt.«5 den Unterschied zwischen den Gegenständen betont.7 Wenn dies also in allgemeinen Nachschlagewerken nicht gelang, Auch im schulischen Geschichtsunterricht fi ndet der Vergleich von Martin Liepach wieso sollte es dann in Schulbüchern anders sein? In Lehrplänen und häufi g Anwendung, bis hin zum schriftlichen Landesabitur. Schulbüchern dominiert die Verfolgungsperspektive. Juden werden vorzugsweise als Opfer in der Geschichte dargestellt und dement- a) Diachrone Vergleiche sprechend von Lehrern und Schülern so wahrgenommen. Schaut Schulgeschichtsbücher greifen den Vergleich als methodische Ar- Wie wird jüdische Geschichte heute erzählt? man in derzeitigen Schulgeschichtsbüchern nach dem Widerhall beitsform immer wieder auf. Neben den konkreten Arbeitsauffor- Genauer: Wie erzählen Historiker/innen jü- der Pluralität der Forschungsansätze in der jüdischen Geschichte, derungen, Vergleiche vorzunehmen, existieren in den Schulbüchern dische, insbesondere deutsch-jüdische Ge- so wird man kaum fündig. Auch das Prinzip der Wissenschaftsori- auch explizite Parallelisierungen zwischen zwei Epochen, die mit- schichte? Die Erforschung der jüdischen Ge- entierung, also die Konzeption der Beiträge in den Schulbüchern in unter in Form von Abbildungen daherkommen. Diese sind nicht Martin Liepach, Dr. phil., studierte schichte folgt den allgemeinen Trends in der Geschichtsforschung. Anlehnung an den aktuellen Stand der Wissenschaft, wird zumeist notwendigerweise mit einem Arbeitsauftrag verbunden. Ein Beispiel Geschichte und Mathematik in Frank- Unterdisziplinen wie Geschlechtergeschichte, Mikrogeschichte, All- unzureichend eingelöst. Hinter den meisten vorhandenen Kapiteln fi ndet sich in einem Buch für die Hauptschule. Die nebeneinander- furt am Main. 1994 Promotion an der tagsgeschichte oder der »cultural turn« fi nden in den Veröffentlichun- steht eine pädagogische Überlegung, nämlich der Bildungsanspruch, montierten Bilder stellen eine explizite Parallelisierung zwischen FU Berlin; 1994 Preisträger der Wolf- gen ihren Niederschlag. »Jüngste Debatten über jüdische Geschichte über die Beschäftigung mit jüdischer Geschichte präventiv gegen dem 16. Jahrhundert und der Zeit des Nationalsozialismus her, wie Erich-Kellner-Gedächtnisstiftung; offenbaren denn auch eine Konfrontation zwischen jüngeren Gelehr- Antisemitismus vorzugehen oder diesen aufzulösen. Die hohe Er- auch die Bildunterschrift verdeutlicht. Doch was ist die Botschaft seit 1999 Lehrer an der Liebigschule, ten, die die alten ›Wahrheiten‹ relativieren, und älteren, etablierten wartung an eine Aufklärung durch historisches Wissen spielt dabei der bildlich expliziten Parallelisierung? Ein Arbeitsauftrag zu den Frankfurt am Main; 1999–2009 am Kollegen, die das Meisternarrativ verteidigen.«1 Unterschiedliche eine große Rolle, was als Teil der Nachgeschichte des Holocaust beiden Bildern fehlt. Doch ist davon auszugehen, dass der Schul- Jüdischen Museum Frankfurt für Deutungen und Zugänge zur jüdischen Geschichte machen deutlich, zu interpretieren ist.6 In Verbindung mit der Entkopplung von der buchautor eine bestimmte historische Vorstellung transportieren museumspädagogische Aufgaben und dass es nicht die eine »wahre« Geschichte der Juden gibt. Wissenschaft stellt sich erst recht die Frage nach der Vermittlung: wollte. Die bildliche Gegenüberstellung legt in diesem Fall nicht den Bereich der Lehrerfortbildung zu- Simone Lässig beschrieb vor wenigen Jahren die jüdische Ge- Wie wird jüdische Geschichte in den Schulbüchern erzählt? den individualisierenden Vergleich nahe, also den Vergleich, der ständig; seit 2009 Mitarbeiter am Pä- schichte als Bildungsgeschichte und strich in ihrem Buch die europäi- Worauf beziehen sich derzeitige Narrative in Schulgeschichtsbü- auf Unterschiede abhebt, sondern den generalisierenden Vergleich. dagogischen Zentrum des Fritz Bauer sche Dimension des jüdischen Verbürgerlichungsprozesses heraus.2 Mi- chern, wenn es um das historische Verstehen geht, und was können Judenstern und Judenring sind zunächst auf der bildlichen Ebene, so Instituts und Jüdischen Museums chael Brenner wählte für seine Darstellung Kleine Jüdische Geschichte bzw. sollen Schüler aus der Beschäftigung mit jüdischer Geschichte die implizite Information, als Kennzeichnungsmerkmale das Glei- Frankfurt, Mitglied u.a. in der wissen- das Thema Migration als roten Faden. Jedes Kapitel seiner Darstellung lernen? Die Analyse der Narrative in den Schulbüchern geht daher che. Die Herkunftsgeschichten beider Objekte sind jedoch tatsäch- schaftlichen Arbeitsgemeinschaft des leitete er mit der Geschichte einer Wanderung ein. Da jedoch Juden nicht in erster Linie der Frage nach, an welchen Stellen der Darstel- lich unterschiedlich, der Judenstern lässt sich keineswegs aus dem Leo Baeck Instituts in Deutschland. nicht immer auf Wanderschaft waren, betont er, kann folglich jüdische lung die Wissenschaftsorientierung möglicherweise nicht eingelöst Judenring ableiten. Geschichte nicht als Migrationsgeschichte erzählt werden.3 Kirsten ist und wo Sachverhalte falsch dargestellt werden. Vielmehr geht Die intendierte Bildbotschaft wird durch den neben den Ab- Heinsohn und Stefanie Schüler-Springorum gaben einen Sammelband es um didaktische Konzepte, die Schulbuchautoren explizit oder bildungen stehenden Text mit der Überschrift: »Die Juden werden heraus, der deutsch-jüdische Geschichte als Geschlechtergeschichte implizit anwenden, um deren Vorstellungen von jüdischer Geschich- ausgegrenzt«8 noch einmal verstärkt: »›Wie kommt es, dass Juden erzählt.4 Raphael Gross und Yfaat Weiss betitelten die für Dan Diner te, die in ihren Narrativen zum Tragen kommen, wenn sie sich mit und Christen verschiedene Namen tragen, wenn die Menschen beider jüdischer Geschichte beschäftigen. An ausgewählten Passagen aus Völker dasselbe Aussehen und dieselbe Sprache haben?‹, fragte sich Schulbüchern möchte ich einige Thesen vorstellen. 1215 ein jüdisches Mädchen. Juden und Christen kleideten sich auch gleich. Deshalb mussten 1 Michael Brenner, »Von einer jüdischen Geschichte zu vielen jüdischen Geschich- die Juden seit dem 13. Jahrhundert einen gelben Fleck als Erken- ten«, in: ders., David N. Myers, Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen, München 2002, S. 17–35, hier: S. 25. nungszeichen tragen. 2 Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer 5 Brenner, »Von einer jüdischen Geschichte«, S. 32. Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004. 6 Vgl. Gottfried Kößler, »Antisemitismus als Thema im schulischen Kontext«, in: 3 Michael Brenner, Kleine jüdische Geschichte, München 2008. Fritz Bauer Institut, Jugendbegegnungsstätte Anne Frank (Hrsg.), Neue Juden- 4 Kirsten Heinsohn, Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Deutsch-jüdische Ge- feindschaft? Perspektiven für den pädagogischen Umgang mit dem globalisierten 7 Vgl. Ulrich Mayer, Hans-Jürgen Pandel, Gerhard Schneider, Bernd Schönemann schichte als Geschlechtergeschichte. Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, Göt- Antisemitismus, Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Frankfurt (Hrsg.), Wörterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach 2006, S. 179. tingen 2006. am Main 2006, S. 172–186. 8 Zeitlupe A 1, Schroedel, Braunschweig 2003, S. 102.

38 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 39 Die Kirche und der Kaiser wollten die Juden ausgrenzen. Ihre Aberglaube: Die Juden benutzten angeblich das Blut der Christen. Wohnviertel, die sie nach der Zerstörung wieder aufgebaut hatten, Furcht …« Die Aufgabenstellung ist in der besten Absicht der Of- wurden zu Gettos. Das bedeutete, sie wurden abends abgeschlossen. fenlegung antijüdischer Stereotypen und ihrer irrationalen Wurzeln Keiner durfte sie nachts verlassen. Es war ihnen auch verboten, konzipiert. Mit der Vorgabe des Stichworts »Fremdenhass« jedoch Waffen zu tragen. Sie wurden zu ›Kammerknechten‹ des Kaisers. konstituiert der Autor erst die Wahrnehmung der Juden als Fremde Er stellte ihnen ›Schutzbriefe‹ aus, die sie teuer bezahlen mussten.«9 und negiert die über Jahrhunderte dauernde Siedlungsgeschichte Es soll hier zunächst nicht um die gravierenden Fehler der Dar- der Juden in Deutschland. Was anderes sollen Schüler bei der Be- stellung gehen, beispielsweise die grob fehlerhafte Einordnung der arbeitung dieser Aufgabenstellung notieren, als dass Juden gehasst Existenz von Gettos, in denen Juden leben mussten, in den Kontext wurden, weil sie Fremde waren. des Mittelalters, ein sehr populärer Irrtum, was aber die Angelegen- Auf dieser Schulbuchseite werden in knapper Form drei Zeit- heit nicht besser macht. Vielmehr soll dieser knappe Autorentext auf ebenen (Mittelalter, 16. Jahrhundert, NS-Zeit) angesprochen. Was die ihm innewohnenden didaktischen Konstruktionen untersucht werden Schüler dem entnehmen? Das Bild aus der Zeit des Nati- werden, wirft er doch einige Fragen auf. Warum wird hier ein jüdi- onalsozialismus aktiviert Kenntnisse und »Halbwissen« zu dieser sches Mädchen zitiert, oder besser gesagt, einem jüdischen Mädchen Epoche, die oft im Geschichtsunterricht zu diesem Zeitpunkt noch eine Frage in den Mund gelegt? Eine authentische Quelle, wonach nicht behandelt, aber möglicherweise in anderen Fächern, zum Bei- sich diese Frage belegen lässt, gibt es nicht. Warum wird die Frage spiel im Deutschunterricht, angesprochen wurde.10 Die suggestive gerade in das Jahr 1215 verlegt? Schüler/innen werden sicherlich Parallelisierung kann Schüler nur zu der Schlussfolgerung anleiten, mit dieser Jahreszahl nichts anfangen können. Entsprechende Hin- dass Ausgrenzung zur Permanenz jüdischen Lebens gehörte. Egal, ob weise auf eine frühere Verwendung der Datierung gibt es im Buch im 13. Jahrhundert (siehe Text), im 16. oder 20. Jahrhundert (siehe nicht. Offensichtlich wollte der Autor seine Kenntnisse über das IV. Bilder). Temporalbewusstsein, wie es von der Geschichtsdidaktik als Laterankonzil anbringen und den unterrichtenden Lehrern für die eine grundlegende Dimension des Geschichtsbewusstseins gefordert Geschichtsstunde das entsprechende Stichwort liefern. Dabei wäre wird,11 wird mit der vorliegenden diachronen Analogiebildung nicht es an dieser Stelle sinnvoller gewesen, auf den normativen Charakter gefördert. Ebendies wäre aber im Sinn der intendierten Vermittlung der Vorgabe der Kirche im Hinblick auf die Kleidungsvorschriften eines differenzierten Bildes von jüdischer Geschichte notwendig. einzugehen, deren nicht konsequente Umsetzung in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten von kirchlicher Seite immer wieder b) Minoritätenvergleich beklagt wurde. Der Vergleich zwischen verschiedenen Minderheiten ist eine weitere Auch weitere durch didaktische Absichten motivierte Konst- Möglichkeit, zu einem Verständnis ihrer politischen, sozialen und ruktionen lassen sich in dieser kleinen Sequenz erkennen. Die Aus- ökonomischen Stellung in der Mehrheitsgesellschaft zu gelangen. grenzung durch das Konzil im Jahr 1215 wirft Fragen auf, die auch Als Beispiel für dieses Vorgehen soll ein Autorentext aus einem ein Kind stellen kann. Warum wählt der Autor nun die Figur dieses Schulbuch zur Gesellschaft im Kaiserreich analysiert werden: jüdischen Mädchens? Kein Erwachsener oder gar Gelehrter stellt »Im Deutschen Reich lebten auch eine Reihe von Minderhei- diese Frage. Die Erzeugung von altersbezogener Nähe soll Schü- ten wie Dänen und Polen, die weder politisch mitwirken durften lern den Zugang erleichtern. Theoretisch hätte dies auch ein Junge noch gesellschaftlich Anerkennung fanden. Juden hingegen waren sein können. Spielt es eine Rolle, dass es ein Mädchen ist und dass im Deutschen Reich ab 1871 völlig gleichberechtigt und genos- es jüdisch ist? Hier steckt die implizite Überlegung dahinter, dass sen z.B. als Unternehmer, Bankiers, Anwälte und Ärzte sowie in die Beschäftigung mit der gestellten Frage zu einer empathischen der Wissenschaft und Kultur großes Ansehen. Trotzdem waren sie Nähe mit der Fragestellerin führt. Kinder und Jugendliche stellen immer wieder Neid und Anfeindungen ausgesetzt; man stempelte tatsächlich zu Recht häufi g die Frage nach Ungerechtigkeiten und sie schnell als Sündenböcke bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten Ausgrenzungen. ab. Der Begriff ›Antisemitismus‹ (= Feindschaft gegenüber Juden) Nehmen wir noch die auf der gleichen Schulbuchseite abge- wurde erstmals in der Presse verwendet, ab 1880 entstanden erste druckte Aufgabenstellung als weiteres klassisches Kompositions- antisemitische Parteien.«12 es nicht. Die Intention des Autorentextes ist deutlich: Schülern soll dienen die dänische und polnische Minderheit als Vergleichsfolie. element von Schulbüchern hinzu. Dort heißt es: »Die Judenfeind- Einen ausdrücklichen Arbeitsauftrag zu der Textpassage gibt vermittelt werden, dass Juden unter den Minderheiten im Kaiserreich Aussagen über die soziale und ökonomische Stellung werden aber schaft hat im Mittelalter viele Wurzeln, z.B. Aberglaube, Furcht, keine Paria-Stellung innehatten. Auch wird jüdische Geschichte nur über die Juden getroffen. Eine begründete Vergleichsmöglichkeit Fremdenhass, religiöse Feindschaft, Neid. Suche im Text Beispiele: im Kaiserreich zumindest teilweise als Erfolgsgeschichte charak- zu beiden anderen Gruppen ist daher nicht gegeben. Hinsichtlich der terisiert, auf die sich als Reaktion (»Neid«) der Antisemitismus politischen Mitwirkungsrechte ist anzumerken, dass gerade im Ruhr- 10 Vgl. den Aufsatz von Manfred Levy in diesem Heft, S. 44. entwickelte. Ein durchaus löbliches Unterfangen, da dieser Aspekt gebiet und in Schlesien die Polen eine bedeutsame Wählerklientel 11 Vgl. Hans-Jürgen Pandel, Geschichtsunterricht nach PISA. Kompetenzen, Bil- dungsstandards und Kerncurricula, Schwalbach 2005, S. 10. viel zu selten in Schulbüchern vorkommt. Die Vorgehensweise ist bildeten. Unterstützten die polnischen Wähler in der ersten Phase der 9 Ebd., S. 103. 12 Kennen und Verstehen 3, Oldenbourg, München 2003, S. 31. jedoch nur bedingt elaboriert und historisch haltbar. In dem Beispiel Zuwanderung nahezu ausnahmslos die katholische Zentrumspartei,

40 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 41 so schickte in den Reichstagswahlen 1907 und 1912 die Polnische Epochen der Massenvernichtung, wie etwa zwischen 1914 und 1945, wurde. In einem Realschulbuch lautet die Überschrift: »Mein jüdi- Doppelwahlen Karl IV. und Günther von Schwarzburg jeweils zum Nationaldemokratische Partei (kurz: Polenpartei) eigene Kandidaten fällt es Historikern zwar schwer auf moralische Wertung zu verzich- scher Nachbar ist schuld an …« 20 Diese Überschrift ist eine wort- König gewählt worden. In der folgenden Auseinandersetzung um die ins Rennen, wovon auch fünf bzw. vier in den Reichstag gelangten.13 ten, doch wird der moralische Standpunkt noch immer am besten wörtliche Übernahme der Formulierung aus dem hessischen Rah- Legitimität der Herrschaft stellte sich die Stadt Frankfurt auf die Seite auf historische Weise ausgedrückt.«16 Im konkreten Geschichtsun- menplan für Realschulen.21 Wenngleich die weiteren Ausführungen Karls IV. Jüngere Interpretationen verneinen, dass es des religiösen c) Moralerziehung terricht entstehen durch diese Verquickung von Moralerziehung und auf der Schulbuchseite sehr differenziert und angemessen auf die Fanatismus und der Pest als Auslöser für die Pogrome bedurft habe, Neonazistische und antisemitische Vorfälle in der bundesrepublika- Geschichtslernen immer wieder schwierige Situationen.17 Geschichte der Juden in der Spätantike und im Mittelalter eingehen sondern sehen das entscheidende Moment für die mörderischen Aus- nischen Gesellschaft geben Anlass, die Geschichte dieser menschen- und die Kontinuität jüdischer Siedlungsgeschichte thematisieren, schreitungen in dem Thronkampf zwischen beiden.23 feindlichen Haltungen zum Gegenstand im Unterricht zu machen. Erklärungsmodelle dominiert doch die Aussage der Überschrift das Kapitel. Einen Die Beschäftigung mit dem Antisemitismus stellt für zahlreiche Die Thematisierung von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und An- kohärenten Zusammenhang vermitteln Überschrift, Autorentext, wissenschaftliche Disziplinen eine Herausforderung dar. Dement- tisemitismus erfolgt in den Geschichtsbüchern oft unter Einsatz von Dem Geschichtsunterricht wird als eine grundlegende Aufgabe eine Abbildung und Aufgabenstellung nicht. sprechend vielfältig sind auch die Erklärungsansätze und Zugriffs- historischen Vergleichen. Dazu das Beispiel einer Aufgabenstellung Erklärungsfunktion zugeschrieben. Schüler/innen sollen erfahren, Eine weitere kritische Auseinandersetzung mit der »Sünden- möglichkeiten. Die psychologische Deutung des Antisemitismus hat aus einem Geschichtsbuch: »Auch heute gibt es in unserem Land warum historische Ereignisse oder Veränderungen gerade so stattge- bock-Theorie« in der Schulbuch- und Unterrichtsforschung scheint dazu geführt, dass er als pathologische Erscheinung gilt, die nicht noch antisemitische Einstellungen. Sprecht in der Klasse darüber, funden haben, wie sie dargestellt werden. Sie erfahren recht schnell jedenfalls lohnenswert. So gilt es, der Frage nachzugehen, inwiefern nur in der Psyche individueller Bewohner des Westens, sondern wo die Ursachen und Voraussetzungen dafür liegen. Gibt es Ähn- im Unterricht, dass historische Erklärungen nicht einfach sind. Mo- nicht die Verwendung des Sündenbock-Motivs zur Festschreibung insgesamt im kollektiven »Diskurs« der westlichen Kultur, ja sogar lichkeiten mit dem Antisemitismus des 19. Jahrhunderts?«14 nokausale Erklärungen sind zumeist wenig hilfreich und greifen zu eines Stereotyps beiträgt. In der Unterrichtspraxis und den -mate- der »Moderne« im Allgemeinen verwurzelt ist.24 Die »Sündenbock- Der Arbeitsauftrag entstammt einem Schulbuchabschnitt über kurz. Dennoch sind sie beliebt. rialien wird das Sündenbock-Motiv häufi g und seit vielen Jahren Theorie« folgt im Unterschied dazu einem gruppensoziologischen die Geschichte der Juden im Kaiserreich. Unter der Überschrift als Erklärung herangezogen. So heißt es in einer Sammlung von Ansatz, der einen allgemeinen, von einer bestimmten historischen »Mahnung zur Toleranz« ist ein Auszug aus dem Aufruf, den auch Beispiel: Die »Sündenbock-Theorie« Arbeitstexten für den Unterricht aus dem Jahr 1978: »Hier wird Situation unabhängigen Kern enthält. Historiker hingegen zielen der Historiker Theodor Mommsen und der Arzt Rudolf Virchow »Ursprünglich leitet sich der Ausdruck ›Sündenbock‹ von einem schon deutlich, daß die Juden den gegen sie gerichteten Aggressionen in erster Linie darauf ab, die Ursachen des Antisemitismus in einer unterzeichneten, abgedruckt. Darin beziehen sie kritisch Stellung in Levitikus 16 (3 Mose 16) beschriebenen Ritual ab, wonach der eigentlich nur als Ersatzobjekt dienten, so zeigte die nun folgende jeweils spezifi schen geschichtlichen Situation möglichst umfassend zu den Äußerungen des Historikers Heinrich von Treitschke, der Hohepriester die Sünden des Volkes auf einen Ziegenbock übertrug. Zeit der Verfolgung, zu der die Massaker des ersten Kreuzzugs den und vielschichtig zu erforschen. Die Beschäftigung mit den Formen 1880 eine Debatte lostrat, die unter dem Begriff »Berliner Antise- Mit seiner Vertreibung in die Wüste nahm er die Verfehlungen mit Auftakt und die Pogrome während der europäischen Pestepidemie mittelalterlicher Ausgrenzungen und Verfolgung von Juden bedarf mitismusstreit« öffentlich bekannt wurde. und ließ das Volk gereinigt zurück. Darüber hinaus gibt es weltweit 1348/49 den Höhepunkt, aber auch nicht das Ende bildeten, immer einer differenzierten und ausführlichen Auseinandersetzung mit den Die Aufgabenstellung fordert die Schüler auf, über Analogien zu allen Zeiten spontan auftretende Sündenbock-Reaktionen, die in klarer die allgemeine Sündenbockfunktion der Juden.«22 Motiven und den spezifi schen Hintergründen. Andernfalls ergibt sich zwischen dem 19. Jahrhundert und der Gegenwart nachzudenken. Krisenzeiten entstehen und darin gipfeln, dass einer Minderheit oder Doch gerade die Pogrome von 1348/49 erweisen sich, wenn es für die Schülerinnen und Schüler ein Bild einer überhistorischen Dabei legt die Aufforderung nahe, über die Ähnlichkeiten, nicht über einem Einzelnen die Schuld für einen sozialen Konfl ikt oder eine um Erklärungen und Ursachenforschung geht, als komplexer und wi- Allgegenwart von Judenfeindschaft. Dies fördert eine verhängnis- die Unterschiede nachzudenken. Was kann dabei herauskommen? Katastrophe aufgebürdet wird.«18 Die Übertragung von Sünden und dersprüchlicher als auf den ersten Blick angenommen. Ihre Ursachen volle Bereitschaft, Judenfeindschaft als historische Konstante zu Bereits in der Aufgabenstellung wird die Permanenz antisemitischer entsprechende Reinigungsriten gibt es auch in anderen Kulturen. So auf die Sündenbock-Funktion der jüdischen Minderheit zu reduzieren akzeptieren, eine geradezu ahistorische Sicht. Einstellungen betont. Der gleichfalls auf der Seite abgedruckte Aus- wird beispielsweise bei den Hindus die Schuld nicht einem Bock, reicht nicht aus, das zeigt das Beispiel Frankfurt. Hier offenbart sich Die hier vorgestellten Überlegungen basieren auf ersten Ergeb- zug aus der Schrift des Antisemiten Adolf Stöcker bedient das all- sondern einem »Sündenpferd« auferlegt. In Japan existierte eine ein Gefl echt aus wirtschaftlichen und politischen Interessen. Am nissen der Untersuchung narrativer Strukturen jüdischer Geschichte gegenwärtige Klischee des jüdischen Wuchers.15 Über Ursachen zu Form des Wandertheaters, wo ein Schauspieler, mit dem Übel des 5. Juli 1349 verließ Karl IV. Frankfurt am Main; weniger als drei in Schulgeschichtsbüchern. Diese vom Pädagogischen Zentrum des sprechen sollte auch Wissen über die Entstehung von Vorurteilen Gemeinwesens besudelt, den Ort des Geschehens am Schluss der Wochen danach kam es zur zweiten Vernichtung der Frankfurter jüdi- Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums in Kooperation mit vermitteln. Die notwendige historische Kontextualisierung für das Vorstellung schleunigst verlassen musste, um nicht verprügelt oder schen Gemeinde. Die Frankfurter Juden wurden entweder erschlagen dem Georg Eckert Institut für internationale Schulbuchforschung 19. Jahrhundert liefert die Schulbuchseite allerdings nur bedingt. Dies gar gelyncht zu werden.19 oder verbrannten in ihren Häusern. Noch im Juni 1349 hatte Karl durchgeführte Untersuchung analysiert sowohl quantitativ als auch erschien den Autoren anscheinend nicht notwendig, denn die inhalt- Die Figur des Sündenbocks greifen manche Autoren auf, wenn IV. einen Vertrag mit der Stadt Frankfurt abgeschlossen, in dem er qualitativ die verschiedenen Darstellungselemente aktueller Schul- liche Diskussion wird in den Bereich der Moralerziehung verlagert. es darum geht, judenfeindliche Übergriffe und Ausschreitungen zu ihr die Rechte an den Frankfurter Juden bis zur Wiedereinlösung für bücher: Autorentexte, Text- und Bildquellen, Kapitelüberschriften, Bei derartigen Aufgaben schwingt die Frage der »Erziehung »erklären«. Juden werden für alles Mögliche verantwortlich ge- 15.200 Pfund Heller überließ. Die Verpfändungsurkunde Karls IV. Zwischenüberschriften und Arbeitsaufträge. Die Untersuchung ist nach Auschwitz« mit. Schuld und Verantwortung sind die Begriffe, macht: Explizit sind es häufi g gesellschaftliche Missstände oder öko- traf nicht grundlos Regelungen für den Fall eines . Schon Teil des Forschungsprojekts »Judenbilder in deutschen Schulbü- die in den Diskussionen untrennbar mit der NS-Zeit, aber auch mit nomische Krisen, für die den Juden die Verantwortung zugeschrieben seit Ende 1348 kursierten im Maingebiet Gerüchte über angebliche chern, Bildungsmedien und unterrichtlicher Kommunikation«. der jüdischen Geschichte latent oder offen zu Tage treten. Die Hand- Brunnenvergiftungen der Juden. Durch die großzügige Vergabe von habung oder der Umgang mit Moral in der Geschichtswissenschaft Reichsgut und Reichsrechten hoffte Karl IV. seine noch ungesicher- ist durchaus strittig. Richard Evans meint: »Vor allem in Hinsicht auf te Herrschaft zu sichern. In den Jahren 1347 und 1349 waren in 16 Richard J. Evans, Fakten und Fiktionen. Über die Grundlagen der historischen 23 Vgl. Johannes Heil, »Vorgeschichte und Hintergründe des Frankfurter Pogroms Erkenntnis, Frankfurt am Main u.a. 1999, S. 57. von 1349«, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Jg. 41 (1991), S. 105– 17 Vgl. Matthias Proske, »Moralerziehung im Geschichtsunterricht. Zwischen expli- 151. Zu den politischen und sozialen Konfl iktebenen, die das Leben der Juden im ziter Vermeidung und impliziter Unvermeidlichkeit«, in: Jan Hodel, Béatrice Spätmittelalter prägten, siehe auch: Alfred Haverkamp, »Lebensbedingungen der 13 Vgl. Klaus J. Bade, Pieter C. Emmer, Leo Lucassen, Jochen Oltmer (Hrsg.), En- Ziegle (Hrsg.), Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 07. Beiträge zur Tagung 20 Entdecken und Verstehen 2, Cornelsen, München 2003, S. 114. Juden im spätmittelalterlichen Deutschland«, in: Dirk Blasius, Dan Diner (Hrsg.), zyklopädie. Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Pader- »geschichtsdidaktik empirisch 07«, Bern: hep verlag, 2009, S. 44–53. 21 Lehrplan Geschichte. Bildungsgang Realschule, S. 14. Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in Deutschland, born 2007, S. 876. 18 Eberhard Th. Haas, Das Rätsel des Sündenbocks. Zur Entschlüsselung einer 22 Arbeitstexte für den Unterricht. Vorurteile gegen Minderheiten. Die Anfänge des Frankfurt am Main 1991, S. 11–31, hier: S. 26. 14 Zeit für Geschichte 3, Schroedel, Braunschweig 2001, S. 233. grundlegenden kulturellen Figur, Gießen 2009, S. 17. modernen Antisemitismus am Beispiel Deutschlands, für die Sekundarstufe hrsg. 24 Einen instruktiven Einblick in die Geschichte des Antisemitismus und seiner Er- 15 Siehe dazu auch den Beitrag von Wolfgang Geiger in diesem Heft, S. 30. 19 Vgl. ebd., S. 107. von Hans-Gert Oomen und Hans-Dieter Schmid, Stuttgart 1978, S. 12. klärungsansätze bot jüngst Steven Beller, Antisemitismus, Stuttgart 2009, S. 10.

42 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 43 Gemeinde-Vorsitzender in Berlin, wies darauf hin, dass verbale At- Der Politik-, Geschichts- und Gesellschaftslehreunterricht setzt tacken gegen Juden zunehmend zum Alltag gehören. Er betonte aber sich meist nur mit den historischen Wurzeln und Erscheinungen von auch, dass diese Aggressionen nicht nur von Muslimen ausgingen, Antisemitismus und der Behandlung der NS-Diktatur unter dem Aspekt sondern auch von Schülern anderer Religionszugehörigkeit.2 der Vernichtung der Juden in Europa auseinander. Der Religions- und Viele junge Juden, die keine jüdische Schule besuchen, ziehen Ethikunterricht projektiert zumeist ein Judenbild, dem zufolge die Didaktik zur jüdischen Gegenwart Konsequenzen und verheimlichen ihre Identität und Religion. Mehrheit der Juden sehr religiös ist, die Religion ihren Alltag bestimmt, Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass Fußballspieler von Mak- auch junge Juden ein fundiertes Wissen über ihre Religion haben. In Versuch einer Annäherung an ein Konzept kabi-Vereinen3 mit wüsten antisemitischen Beschimpfungen wie »Wir den Materialien zum Thema Judentum, die im Geschichtsunterricht vergasen euch«, »Wir bauen eine U-Bahn nach Auschwitz« konfrontiert verwendet werden, fi ndet sich immer noch die ganze Bandbreite an von Manfred Levy werden.4 Spruchbänder mit der Aufschrift »Juden« sind besonders in den unteren Spielklassen der Fußballligen keine Seltenheit. Seltener dagegen passiert es, dass Spiele deshalb unterbrochen oder abgebrochen werden und antisemitisches Gebrüll gerichtlich verfolgt wird. Was ist los in den Klassenzimmern, auf den Schulhöfen, den Sportplätzen? Wie gehen Lehrer, Sozialarbeiter, Schiedsrichter und Zu- Alltag an einer beliebigen Schule in Deutsch- schauer mit diesen Vorfällen um? Zumindest im Bereich Sport ist man land 2010: Ein Schüler wird von einer sicht- inzwischen bemüht, Lösungsstrategien zu entwickeln und zu vermitteln. lich empörten Lehrerin zur Schulleitung ge- Ein interessantes Projekt sind die Fortbildungsmodule für Mitarbeiter bracht. Warum? Er hat einen Mitschüler mit in Fanprojekten,5 die von der Koordinationsstelle Fanprojekte und der Manfred Levy, geb. 1954, Studium »Jude« beschimpft. Die engagierte Lehrerin fordert die Schulleitung Deutschen Sportjugend herausgegeben wurden. In der Fortbildungs- der Anglistik und Politik in Mainz. sofort zum Handeln auf, hat aber noch keine Vorstellung, wie das reihe »Rechtsextremismus und Rassismus im Fußballstadion« wurden Von 1985–2000 Lehrer und Schullei- aussehen könnte. Nach einem Gespräch mit dem Schüler bestätigt und werden Mitarbeiter in Fanprojekten im Umgang mit Rassismus ter im Rahmen der erweiterten Schul- sich die Vorahnung. Ihm war nicht klar, was das Wort Jude eigentlich und Antisemitismus in Fußballstadien geschult. Die vier Module wur- leitung an der I.E. Lichtigfeld-Schule bedeutet. Sicher war er sich aber darüber, welche Reaktionen es den in verschiedenen Städten in Deutschland durchgeführt.6 (staatlich anerkannte Privatschule auslösen würde, was ja auch in seiner Absicht lag. Ein Einzelfall? Aus meiner eigenen Erfahrung in der Schule weiß ich, dass der Jüdischen Gemeinde) in Frank- Ein Lehrer, neu an der Schule, forderte Achtklässler auf, Na- Lehrer, wenn judenfeindliche Äußerungen wie »du Jude« oder furt am Main. Aktuell Rektor an der menskarten zu schreiben. Ein Schüler ohne Migrationshintergrund »du Opfer« fallen, meist hilfl os sind und häufi g nicht angemessen Carlo-Mierendorff-Schule (integrierte schrieb »Adolf Hitler« darauf und wartete gespannt auf die Reaktion reagieren können. Also entscheiden sie sich fürs Weghören oder Gesamtschule) in Frankfurt am Main. des Lehrers. Ein Einzelfall? Überreagieren: »Was hast du gerade gesagt? Was willst du damit Seit 2010 mit ganzer Stelle an das Pä- Ein jüdischer Schüler denkt noch mit Grauen an seine Klassen- sagen? Warum sagst du Jude?« Ihnen fällt meist nur die Flucht in dagogische Zentrum des Fritz Bauer fahrt in der 10., als er von einigen Mitschülern mitten in der Nacht schulische Ordnungsmaßnahmen ein, die jedoch nicht auf das Pro- Instituts und des Jüdischen Museums mit der Aufforderung geweckt wurde: »Aufstehen – ab ins Gas!« blem eingehen, sondern Fehlverhalten sanktionieren. Frankfurt abgeordnet. Nach der Klassenfahrt gab es heftige Auseinandersetzungen unter den Wer das Verhalten der Pädagogen verurteilt, macht es sich je- Eltern, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Ein Einzelfall? doch zu einfach. Bisher gibt es kaum Konzepte zur wirkungsvollen Die Erlebnisse einer 14-jährigen Jüdin an einer Oberschule Bekämpfung von Antisemitismus. Worauf sollen die Lehrer zurück- in Berlin-Kreuzberg fanden bundesweit die Aufmerksamkeit der greifen? Welche Unterrichtsmaterialien stehen bei der Vermittlung zur Klischees, Stereotypen, Vorurteilen und ungewollten antisemitischen Medien. Was war passiert? Die Schülerin wurde über neun Mona- Verfügung? Waren die bisherigen didaktischen Konzepte, die Auswahl Darstellungen. In bester Absicht werden die Juden als Opfer darge- te lang von Mitschülern gemobbt und geschlagen, andere, die das der Unterrichtsmaterialien, der Besuch von Gedenkstätten erfolglos? stellt – jüdische Geschichte wird dabei auf Verfolgung, Vertreibung mitbekamen, blieben untätig. Erst nachdem Polizeibeamte in Zivil und Vernichtung reduziert. Sätze wie »Mit den Christen betrieben das Mädchen auf dem Schulweg begleiteten, konnten die Täter ge- die jüdischen Kaufl eute vor allem Geldhandel«7 und »In den Städten fasst werden. Sie alle waren Jugendliche arabischer Abstammung, wohnten die Juden fast überall in besonderen Vierteln, den Gettos. Hier die ihre Wut über die israelische Politik an der jüdischen Schülerin 2 Ebd., S. 1. konnten sie sich wirklich frei fühlen«8 sind nur zwei Beispiele dafür. ausließen.1 Dieser Vorfall führte dazu, dass die Jüdische Gemeinde 3 Jüdische Sportvereine. Welche Bilder und Vorstellungen über Juden setzen sich dadurch 4 Vgl. Nadja Müntsch, »Antisemitismus im Fußball«, 17.1.2007, verfügbar unter: jüdischen Schülerinnen und Schülern riet, die jüdische Schule zu www.bpb.de/themen/1BHXXU,0,Antisemitismus_im_Fußball.html in den Köpfen der Schüler fest? Sie erscheinen als wehrlose Op- besuchen, um solche Angriffe zu vermeiden. Gideon Joffé, damals 5 Die Dokumentation der Fortbildung: Koordinationsstelle Fanprojekte, am Ball fer, gierige Geldverleiher, Menschen, die sich nicht integrieren und bleiben/Deutsche Sportjugend (Hrsg.), Rechtsextremismus und Rassismus im Fußballstadion, Frankfurt am Main u.a. Oktober 2009. 6 Ebenfalls empfehlenswert ist die Broschüre: Interkultureller Rat, Deutsche Sport- 1 Marlies Emmerich, Andreas Kopietz, »Jüdische Schülerin bedroht und geschla- jugend u.a. (Hrsg.), Unsere Kurve – Kein Platz für Rassismus, Frankfurt am Main 7 Zeitreise 2 (Realschule), Klett Verlag, Stuttgart 2006, S. 72. gen«, in: Berliner Zeitung vom 24.11.2006, S. 1. 2009. 8 Ebd. Vgl. den Beitrag von Wolfgang Geiger in diesem Heft, S. 33.

44 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 45 anpassen wollen – eine Minderheit, die anders ist und anders sein will. der Geschichtsdidaktik entspreche. Sie kritisiert das dem Jugendbuch sensibilisiert werden und mehr Einfühlungsvermögen entwickeln, sind. Zum einen fehlen fundierte historische Kenntnisse über den Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Bereits zu Beginn der sechziger zugrunde liegende Geschichtsbild, »das keine Handlungsspielräume dass sich ihr Wissen und ihre Geschichtskenntnisse erweitern. Nahen Osten und über Antisemitismus, zum anderen mangelt es am Jahre haben zwei Israelis, Saul Robinsohn und Chaim Schatzker, zulässt, ein aktives Eingreifen von handelnden Personen unmöglich Kommt es bei dem Besuch nicht zu der erwarteten Betroffenheit, nötigen Verständnis für die Problemlage. analysiert, in welcher Weise deutsche Geschichtsbücher auf jüdische erscheinen lässt und daher auch die Frage nach Verantwortung und reagieren Pädagogen mit Wut und Hilfl osigkeit. Authentische Er- In den vergangenen Jahren haben Lehrer, wenn sie die Möglich- Geschichte eingehen.9 Auch die Ergebnisse der Deutsch-israelischen Unterlassung nicht stellt«.13 Auch aus meiner Sicht ist Richters Buch fahrungsberichte können der heutigen Schülergeneration nicht mehr keit dazu hatten, Zeitzeugen in den Unterricht eingeladen. So wurden Schulbuchempfehlungen10 zeigten in den achtziger Jahren, dass die kein geeignetes Unterrichtsmaterial mehr zum Thema Judentum/Sho- anschaulich machen, wie sich die Maßnahmen des Nationalsozia- Schüler mit der NS-Geschichte direkt konfrontiert und emotional an- Darstellung jüdischer Geschichte in deutschen Geschichtsbüchern ah. Der Aspekt der Ausgrenzung dominiert, die Schüler geraten bei der lismus auf das Leben der Einzelnen auswirkten. In einer Studie der gesprochen. Da die Zahl der Überlebenden abnimmt, in vielen Orten auf wenige Schwerpunkte beschränkt war: das biblische Israel, Ver- Interpretation in eine Einbahnstraße, da der hauptsächlich deskriptive Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit berichten keine Jüdische Gemeinde existiert und es somit auch kein jüdisches folgungen im Mittelalter, Emanzipation, Nationalsozialismus und der Erzählstil des Romans die politischen Ereignisse unkommentiert und Pädagogen, dass sie ihre Schüler mit den für den Unterricht bereit- Alltagsleben in der Nachbarschaft gibt, ist es wichtig, Medien ein- moderne Staat Israel. Daran hat sich fast nichts geändert. unrefl ektiert belässt, so dass es dem jugendlichen Leser schwerfallen gestellten Materialien nicht für das Thema interessieren können.18 zusetzen, die das jüdische Leben in Deutschland mit seinen Facetten Es fehlen die jüdische Perspektive, die Einbettung in die europäi- dürfte, die Ursachen des Nationalsozialismus und die des Holocaust im Es geht hier nicht darum, den Besuch von Gedenkstätten infrage realistisch, aber auch spannend wiedergeben. Ein Themenheft der sche Geschichte und der Blick auf die jüdische Gegenwart. Mit solch Ganzen zu erfassen. Auch die im Buch vermittelten Darstellungen jüdi- zu stellen. Eine solche Unternehmung muss allerdings pädagogisch Amadeu-Antonio-Stiftung22 und die entsprechenden Filme aus den mangelhaften Informationsangeboten werden Schüler kaum verste- schen Lebens bzw. der Juden sind voller Klischees. »Eines aber müssen neu vor- und nachbereitet werden. Bei der Planung ist die Tatsache drei Gattungen Drama, Dokumentation und Projektfi lm bieten dazu hen, was Juden sind, inwiefern sie sich von Nicht-Juden unterschei- selbst die ärgsten Judenfeinde zugeben: Die Juden sind tüchtig.«14 zu berücksichtigen, dass inzwischen – je nach Schultyp und Region – wertvolle Hilfen. Alle Filme beschäftigen sich ihrem Genre entspre- den, inwieweit sie ihnen gleichen. Was an diesen Unterschieden ist Auch sind die Deutschen entweder Nazis (wenige) oder Mitläufer (alle jeder dritte bis fünfte Jugendliche einen Mig- künstlich, was ist Propaganda? So unzureichend informiert, werden anderen). Die Gefahr besteht, dass die Lektüre eher antisemitische rationshintergrund hat.19 Viele wissen wenig sie nie verstehen, warum die Mehrheit sich in der Geschichte immer Vorurteile bestätigt als sie abbaut. So fragt man sich, was lernen die über den Nationalsozialismus. Der politische wieder gegen die Minderheit der Juden stellte. So stellt sich bei Schü- Schüler aus Richters Buch? Vor dem Hintergrund, dass sie in diesem Israel-Palästina-Konfl ikt bringt zudem neue lern immer wieder die Vermutung ein: »Vielleicht waren sie ja selbst Alter über höchstens rudimentäre Geschichtskenntnisse verfügen, ist Probleme der perspektivischen Betrachtung an ihrem Schicksal schuld?« In ihren Schulbüchern erfahren sie we- der Schluss besonders problematisch. Im Gegensatz zu Friedrich, der mit sich. »In Großbritannien, Frankreich und nig oder nichts über modernes jüdisches Leben, jüdische Gemeinden durch einen Bombenangriff der Alliierten ums Leben kommt, wurden den Niederlanden«, so Robert Sigel, Histo- und jüdischen Alltag. Das Leo Baeck Institut veröffentlichte 2003 die die meisten Juden Europas in Konzentrationslagern ermordet. Diese riker, Pädagoge und wissenschaftlicher Mit- Handreichung Deutsch-jüdische Geschichte im Unterricht, mit wich- wichtige Information deutet Richter nur mit der Aussage des Hausbe- arbeiter der Bayerischen Landeszentrale für tigen Themenvorschlägen für die Unterrichtsarbeit.11 Sie wurde von sitzers Resch an: »Sein Glück, dass er so umgekommen ist.«15 politische Bildungsarbeit, »weigern sich be- der Kultusministerkonferenz im Herbst 2003 als wichtige Grundlage Eine von mehreren geeigneten Lektüren für den Einstieg in das reits Lehrer, das NS-Reich durchzunehmen, der Behandlung jüdischer Geschichte empfohlen. Inwieweit diese Thema Judentum/Shoah ist Karen Levines Hanas Koffer.16 Das Buch weil sie sofort von den muslimischen Schü- Empfehlungen ihren Weg in die neueren Geschichtsbücher gefunden beruht auf einer wahren Geschichte, die auf drei Kontinenten spielt lern bedroht oder beschimpft werden. Selbst haben, wird zurzeit in einem Forschungsprojekt untersucht.12 und eine Zeitspanne von fast siebzig Jahren umfasst. Ein Koffer, der in Deutschland gerieten Lehrer zwischen die Auch im Deutschunterricht scheint die Zeit stehen geblieben zu eine bewegende Geschichte erzählt: das Leben des jüdischen Mäd- Fronten, wenn die deutschen Kinder den sein – zumindest, was die Wahl themenbezogener Lektüre betrifft. chens Hana (1931–1945), nachgezeichnet und begreifbar gemacht türkischstämmigen vorwarfen: ›Ihr bringt Fast refl exartig greifen Fachlehrer ab Klasse 5 noch immer zu Da- im Jahr 2001 von der Kuratorin des Holocaust-Museums in Tokio. die Kurden um, das ist das Gleiche!‹«20 In diesem Zusammenhang chend mit jüdischem Leben in Deutschland nach 1945 und eignen mals war es Friedrich von Hans Peter Richter. Das Buch, das 1961 Ein wichtiger Bestandteil der Bildungsarbeit war und ist der Be- werden dann auch unweigerlich Parallelen gezogen zwischen dem sich für den Einsatz im Unterricht sowohl in Sekundarstufe I als auch erschienen ist, gilt als Einstiegsklassiker zum Thema Nationalsozialis- such einer Gedenkstätte oder eines ehemaligen Konzentrationslagers. Umgang der Israelis mit den Palästinensern und der Nazis mit den in Sekundarstufe II. Zu jedem Film gibt es Beobachtungsaufträge mus. Ulrike Schrader, Leiterin der Begegnungsstätte »Alte Synagoge In meiner schulischen Praxis stelle ich jedoch fest, dass dieses Juden. Der Nahostkonfl ikt dient vielen Jugendlichen als Projekti- für die Arbeit in Kleingruppen sowie weitere Links mit Materialien Wuppertal«, merkte bereits 2005 an, dass die Lektüre zwar einst ein altbewährte Rezept als Reaktion auf antisemitische Grundeinstel- onsfl äche, um ihren Zorn über das Geschehen im Nahen Osten mit und Informationen zu den Filmen. guter Einstieg in das Thema Judenverfolgung in der NS-Zeit gewesen lungen bei Schülern heute meist nicht zu dem gewünschten päda- ihren persönlichen Erfahrungen mit Rassismus und Ausgrenzung zu Sehr gute Materialien zur Vermittlung jüdischer Geschichte hat sei, heute aber weder dem Stand der Zeitgeschichtserforschung noch gogischen Ergebnis führt.17 verbinden.21 Diese Problematik ist für Pädagogen ein schwieriger Ba- der Verein Centropa entwickelt. Der Schwerpunkt ist das 20. Jahr- Viele Lehrer erhoffen sich von einem solchen Besuch, dass lanceakt. Der Schulalltag zeigt, dass Lehrer damit häufi g überfordert hundert, das mit Hilfe von Zeitzeugenberichten nähergebracht wird. sich grundlegende negative Einstellungen ändern, dass die Schüler Interviews und digitalisierte Familienbilder dokumentieren jüdische

9 Saul B. Robinsohn, Chaim Schatzker, Jüdische Geschichte in deutschen Ge- Lebensgeschichten aus ganz Europa. Fotos und erzählte Geschichte schichtslehrwerken, Braunschweig 1963. werden miteinander vernetzt. Die Filme können auf der Webseite23 10 Deutsch-israelische Schulbuchempfehlungen, Zur Darstellung der jüdischen Ge- 18 Vgl. Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Einsichten und angesehen werden. Alternativ sind sie auch als DVD bestellbar. Das schichte sowie der Geschichte und Geographie Israels in Schulbüchern der Bun- 13 Ulrike Schrader, »Immer wieder Friedrich. Anmerkungen zu dem Schulbuchklas- Perspektiven, Themenheft 1/08. Material kann ab Klasse 8 eingesetzt werden. desrepublik Deutschland. Zur Darstellung der deutschen Geschichte und der siker von Hans Peter Richter«, in: Praxis Deutsch, Friedrich Verlag, Seelze 2005, 19 Vgl. Elke Gryglewski, »Kleingruppenarbeit in Gedenkstätten«, Tagung Pädago- Geographie der Bundesrepublik Deutschland in israelischen Geschichtsbüchern, S. 57–58, hier: S. 57. gik in Gedenkstätten, verfügbar unter: www.ghwk.de/deut/tagung/gryglewski. Bei allen beschriebenen Problemen sollte nicht vergessen Braunschweig 1985. 14 Hans Peter Richter, Damals war es Friedrich, 49. Aufl ., München 2003, S. 78. htm (Stand 26.6.2010). werden, dass die Themen Judentum, Nahostkonfl ikt, Shoah und 11 Siehe Leo Baeck Institut (Hrsg.), Deutsch-jüdische Geschichte im Unterricht, 15 Ebd., S. 159. 20 Petra Thorbrietz, »Holocaust im Unterricht, Interview mit Robert Sigel«, Bad Homburg 2003. 16 Karen Levine, Hanas Koffer, Ravensburg 2003. 8.1.2008, verfügbar unter: www.focus.de/schule/schule/unterricht/interview_ 12 Es gibt seit 2009 ein Forschungsprojekt des Pädagogischen Zentrums in Frank- 17 Auf der Internetseite: www.gedenkstaettenforum.de fi nden sich interessante Bei- aid_229997.html (Stand: 22.5.2010). furt am Main in Zusammenarbeit mit dem Georg Eckert Institut für Schulbuch- träge u.a. von Verena Haug, Gottfried Kößler und Volkhard Knigge zum Thema 21 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, Jugendkultur, Religion und Demokratie. 22 www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/fi les/pdfs/sehendeutenhandeln2.pdf forschung in Braunschweig. Gedenkstättenbesuche. Politische Bildung mit jungen Muslimen, Themenheft Nr. 9/3, Dezember 2008, S. 3. 23 www.centropa.org

46 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 47 Antisemitismus – wenn überhaupt – nur ein kleines Lernfeld in den dürfen. Schon bietet sich der Vergleich von halal mit koscher an. Wenn Motive für die verbalen Entgleisungen herauszufi nden. Meist sind die es unabdingbar, nicht nur Führungen anzubieten, sondern vor al- Curricula der öffentlichen Schulen darstellen. Auf wissenschaftlicher der Ramadan kommt, kann man sich in Gesprächen über den Sinn von Schüler nicht in der Lage, sich zu ihren Beweggründen zu äußern. Sie lem Workshops und Studientage. Sie sind tragender Bestandteil des Ebene hat man darauf reagiert. Es gibt etliche Studien, Analysen, Fastentagen und das Fasten in verschiedenen Religionen austauschen. erkennen den historischen Kontext ihrer Äußerungen gar nicht. Ich Konzepts des Pädagogischen Zentrums des Jüdischen Museums und empirische Untersuchungen und Doktorarbeiten, die wertvolle Er- Damit diese Vermittlung nicht willkürlich oder zufällig bleibt, gibt reagiere mit Aufl agen: Sie haben ein Referat zum Thema Judentum zu des Fritz Bauer Instituts (PZ)28. Seine Angebote richten sich sowohl kenntnisse und auch Empfehlungen für die Arbeit in der Schule es an unserer Schule feste Themen, die zu einer Beschäftigung mit schreiben. Entweder zur Geschichte oder zur Religion, in Verbindung an alle Schulen als auch an Institutionen der Erwachsenenbildung, liefern können. Aber kommen diese Ergebnisse in den Schulen an? dem Judentum führen. Ein Anlass dafür ist die Projektprüfung für mit dem Besuch einer jüdischen Institution in Frankfurt oder einem der Lehreraus- und -fortbildung und an Studenten. Das zentrale An- Werden sie dort umgesetzt? Sind die Lehrer mit der Problematik den Hauptschulabschluss in Klasse 9 oder auch die Präsentation einer Besuch im Museum. Das Referat muss vor der Klasse präsentiert liegen der pädagogischen Arbeit liegt darin, den Schwerpunkt von überfordert? Gibt es neben Ideen und Anregungen auch Materialien Hausarbeit während der Realschulprüfung in Klasse 10. Inzwischen werden. In den meisten Fällen ist dieses Vorgehen erfolgreich. Es Verfolgung und Antisemitismus auf eine tiefer gehende Behandlung und Medien, die konkret im Unterricht eingesetzt werden können? sind Themen wie »Beerdigungsrituale der Weltreligionen« oder »Die soll aber nicht verschwiegen werden, dass es auch schon heftige der jüdischen Gegenwart zu verlegen, auf Geschichte und Religion, Auf keinen Fall darf der Lehrer oder die Lehrerin antisemitische Jüdische Gemeinde Frankfurt« bei den Schülern sehr beliebt. Gerade Auseinandersetzungen mit Eltern gab, die Sprüche überhören. Aber wer unterstützt sie bei der Auseinanderset- beim Thema Beerdigungsrituale bietet sich eine intensive Beschäf- meine Maßnahmen völlig abgelehnt haben. zung mit dem Thema? Gibt es im Schulprogramm der betroffenen tigung mit dem Judentum im Vergleich zu anderen Religionen wie Ein gutes Beispiel für eine beherzte Schule eine konkrete Position dazu? Oder fi ndet sich das nur in Islam, Christentum und Buddhismus an. So vereinbaren die Schüler und pädagogisch sinnvolle Auseinander- allgemeinen Leitbildern zur Demokratieerziehung wieder? Termine mit dem Verwalter des Jüdischen Friedhofs und recherchieren setzung mit dem Problem der antisemiti- Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, alle Initiativen dann mehrmals vor Ort, um sich zu informieren. Gleiches gilt für die schen Schimpfwörter in der Schule ist das und Organisationen aufzuzählen oder zu beschreiben, die auf diese Friedhöfe der anderen Religionen. Bei uns sind es meist muslimische Schreiben des Leiters einer Gesamtschule Problembehandlung reagieren.24 Schüler und Schülerinnen, die diesen Themenbereich wählen. Am im Kreis Offenbach. Er schrieb einen Brief Daher gehe ich im Folgenden nur auf einige Ideen und Vorschlä- Ende des Projektes wird die Arbeit vor dem Prüfungsausschuss prä- an die Schulgemeinde und entfachte damit ge ein, die ich in meiner eigenen Unterrichtspraxis, in Fortbildungs- sentiert. In diesem Jahr kam sogar Majer Szanckower, der Verwalter eine Diskussion bei Kollegium, Schülern veranstaltungen und Vorträgen erprobt beziehungsweise eingesetzt des Jüdischen Friedhofes, als Gast in die Prüfung, um das Ergebnis und Eltern: »Jugendliche suchen immer habe. Die wichtigste Erfahrung, die ich als jüdischer Lehrer an einer seiner Bemühungen zu sehen. Er war begeistert von der Offenheit, mit mal wieder nach neuen Ausdrücken, um öffentlichen Schule, in diesem Falle an einer alle Schulformen reprä- der die Schüler das Thema bearbeitet und präsentiert haben. Sie lernten sich gegenseitig zu reizen oder auch zu sentierenden Integrierten Gesamtschule, gemacht habe: Die Schüler, viel über das Judentum und stellten auch Gemeinsamkeiten mit dem beschimpfen. Wiederholt ist mir berichtet gleich welcher Religion sie angehören, haben heute fast kein Wissen Islam fest. So zum Beispiel bei dem Gebot der Wohltätigkeit, das auch worden, dass zurzeit offenbar der Begriff über das Judentum. Sie verbinden Judentum mit dem Holocaust bei Beerdigungen in beiden Religionen befolgt wird.25 Es zeigt sich ›Jude‹ hierfür gebraucht wird. [...] Gerade und Israel und sind überrascht, wenn ich ihnen sage, dass ich Jude immer wieder, dass die Schüler einen Ansprechpartner brauchen, der in Deutschland verbietet sich dieser Begriff, bin. Dieses Erstaunen äußert sich dann in Klischees: »Sie sehen ja ihnen hilft, ihre Schwellenangst beim ersten Besuch eines jüdischen um andere zu reizen oder zu beleidigen! gar nicht aus wie ein Jude! Sind Sie denn kein Deutscher? Warum Friedhofes oder bei der Jüdischen Gemeinde zu überwinden. Vor etwas mehr als 60 Jahren wurden hier leben Sie nicht in Israel? Finden Sie es etwa gut, was die Israelis Dies bedeutet auch, dass die Jüdischen Gemeinden in Deutsch- Menschen jüdischer Abstammung nicht nur mit den Palästinensern machen?« Die Schüler sind interessiert, offen land sich ihrer Verantwortung stärker bewusst werden müssen und ausgegrenzt, sondern entrechtet und in Ver- und bereit zu kommunizieren. Das bedeutet nicht, dass bestehende sich auch für nichtjüdische Gruppen mehr öffnen sollten. Es ist nichtungslagern millionenfach ermordet. Vorurteile bereits an dieser Stelle abgebaut werden. wichtig für das gegenseitige Verstehen, dass sie Einblicke geben in Wer dies weiß und etwas nachdenkt, wird Meine Empfehlung an Religions- oder Ethiklehrer ist daher, die ihre Institutionen wie Schule, Friedhof, Synagoge, Jugendzentrum, den Begriff ›Jude‹ unter keinen Umständen, Vielfältigkeit jüdischen Lebens aufzuzeigen, über den modernen jü- Sozialabteilung usw. Warum sollten andersgläubige Jugendliche auch nicht im Spaß, als beleidigende Anre- dischen Alltag zu informieren. Ich zeige Bilder von religiösen Juden, nicht einmal am Religionsunterricht teilnehmen? Gleiches gilt für de für Mitmenschen gebrauchen. [...] Macht aber auch von bekannten jüdischen Schauspielern, Musikern oder islamische Organisationen und Gemeinschaften. Trotz aller politi- diejenigen, die diesen oder ähnliche Begriffe als Schimpfwörter ge- NS-Rassismus und Holocaust, Nachgeschichte des Holocaust und Entertainern. Dabei geht es mir zuerst einmal nur um die Erkenntnis, schen Differenzen ist es für die Zukunft unabdingbar, in einen Dialog brauchen, darauf aufmerksam, dass ihr das nicht in Ordnung fi ndet.«27 Menschenfeindlichkeit heute. Dazu gehören Antisemitismus, Rechts- dass nicht alle Juden religiös sind. Auch Juden, die nicht nach den oder Trialog einzutreten.26 Auch die Vorbereitung auf einen Museumsbesuch muss ver- extremismus, Rassismus und andere Formen der Ausgrenzung von Regeln der Thora leben, sind Juden. Auch während meiner Tätigkeit in der Schule passiert es, dass ändert werden. Oft dient beispielsweise der Besuch im Frankfurter Minderheiten in Europa. Oft ergeben sich im Schulalltag Gemeinsamkeiten zwischen den Schüler zu mir gebracht werden, weil sie antisemitische Ausdrücke Jüdischen Museum nur als Lückenbüßer vor dem Beginn der Ferien. Ferner gibt es Fortbildungsangebote zu aktuellen Ausstellungen Religionen. Zum Beispiel bei der Planung einer Klassenfahrt. Die benutzen, um andere zu beleidigen. Oder weil sie Pamphlete schrei- Lehrer und Schüler kommen immer wieder unvorbereitet ins Muse- des Jüdischen Museums. Das PZ konzentriert sich auf deren Nut- muslimischen Schüler mahnen an, dass sie weder Schweinefl eisch ben, die die NS-Zeit verherrlichen. Im Gespräch versuche ich, die um und erwarten, dass die Mitarbeiter, die die Führung anbieten, die zung im Unterricht. Dazu werden pädagogisch-didaktische Unter- in der Jugendherberge noch die Gummibärchen der Mitschüler essen pädagogische Arbeit übernehmen. Der Museumstag ist thematisch richtshilfen entwickelt. Welch großen Stellenwert diese Arbeit in der nicht in den Unterricht eingebettet. Weder gibt es eine Vorbereitung hessischen Bildungspolitik hat, zeigt die personelle Unterstützung auf den Besuch noch eine Nachbereitung des Erlebten. Deshalb ist des Zentrums durch das Hessische Kultusministerium. 25 Interessant ist auch die Wortverwandtschaft: Wohltätigkeit, Almosen: hebr. Zeda- 24 Ein sehr interessantes Beispiel ist publiziert in: Aktion Sühnezeichen Friedens- kah, arab. Sadaka. dienste e.V. (Hrsg.), Unsere Geschichten – eure Geschichte? Neuköllner Stadt- 26 Die Herbert Quandt-Stiftung, die 1996 den Trialog der Kulturen ins Leben rief, teilmütter und ihre Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialis- hat dazu ein Buch herausgegeben: Clauß Peter Sajak (Hrsg.), Trialogisch lernen. 27 Brief von Michael Weis an die Schulgemeinde, Hermann-Hesse-Schule, Oberts- mus, Berlin 2010. Bausteine für interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit, Seelze-Velber 2010. hausen, 29.11.2007. 28 www.pz-ffm.de

48 Einsicht 04 Herbst 2010 49 oder – überspitzt ausgedrückt – Bestandteile von Leichenbergen. kennenlernen. Die Erzählung ist im Deutschland der Gegenwart Erinnert sei an den Witz aus den dreißiger Jahren: Zwei Personen angesiedelt und beschreibt vor allem in Begegnungen Monas mit treffen sich. Der eine sagt: »Die Juden und die Radfahrer werden der Familie des Mannes, insbesondere dessen Enkel David, diverse verfolgt!« Fragt der andere: »Versteh ich nicht. Warum denn die Aspekte jüdischen und christlichen Lebens. Ein solcher Zugang zum Radfahrer?« jüdischen Leben lässt sich für Kinder auf der historischen Ebene Mit Kindern nicht nur Kinder sollten gegenwärtiges jüdisches Leben kennenlernen sehr gut verbinden mit dem lokalhistorischen Zugang zum jüdischen oder eine Vorstellung davon bekommen. Der Besuch eines Gottes- Leben vor dem Holocaust. über den Holocaust sprechen … dienstes in der Synagoge oder eines jüdischen Gotteshauses kann Für diesen lokal- bzw. regionalhistorischen Ansatz sind auch eine wichtige Erfahrung sein, um eine Vorstellung von einem Ort Elemente eines biografi schen Zugangs wesentlich: Kinder hören von Notwendiger Perspektivwechsel auch religiösen jüdischen Lebens zu haben. Wenn es dann noch jüdische den Lebensgeschichten jüdischer Menschen, deren Heimat dort war, Gesprächspartner gibt, die von »ich« oder »wir« sprechen können wo sie selbst heute leben. Diese Geschichten vom Alltagsleben im zur Thematisierung jüdischen Lebens anstelle eines Dozierens über Juden von nichtjüdischer Seite, ist Miteinander jüdischer und nichtjüdischer Deutscher in der Schule, im das für Kinder eine wichtige Möglichkeit zur direkten Begegnung. Verein, in der Freizeit oder im öffentlichen Leben sollten erst einmal in Geschichte und Gegenwart Dies ist ein anderer Zugang, als nur über solche Synagogen ausführlich und anschaulich erzählt werden und nicht reduziert als zu hören, die während der Novemberpogrome zerstört wurden, so »Vorgeschichte« im Hinblick auf die ab 1933 beginnende national- von Monica Kingreen dass Kinder sich dann Synagogen ausschließlich als zerstörte Ge- sozialistische Verfolgung. Der Kinder-Stadtführer Als die Kinder in bäude vorstellen müssen. Auch der Besuch restaurierter ehemaliger Langen samstags zur Synagoge gingen setzt diesen Ansatz in seinem »Wie kann ich am besten mit meinem Kind Synagogengebäude, die oft nur leere Räume für Ausstellungen und Stadtrundgang hervorragend um.2 oder mit meinen jüngeren Schülern über den Veranstaltungen sind, führt als Erstpräsentation leicht in die falsche Wenn diese Normalität des Alltagslebens für Kinder nicht aus- Holocaust sprechen?« Mit dieser Frage und Richtung. reichend deutlich wird, kann die in einem getrennten Lernschritt der Bitte um Antworten und Hinweise sind Im Erleben eines heute genutzten jüdischen Gotteshauses ist erfolgende Thematisierung der systematischen Ausgrenzung aus der Monica Kingreen, geb. 1952, Studi- die Pädagogen im Fritz Bauer Institut seit seinem Bestehen immer auch die Möglichkeit enthalten, sich für die Zeit vor dem Holo- NS-Gesellschaft – etwa »Erst mittendrin – dann außen vor« – über- um der Erziehungswissenschaften und wieder konfrontiert. Für die Beratungsarbeit für Erwachsene, die caust eine Vorstellung von einem jüdischen Tempel als Zentrum haupt nicht erkennbar werden. Mit Kindern dann die Verfolgung der Studium für das Lehramt an Grund- mit Kindern im Alter von neun bis zwölf Jahren den Holocaust the- des religiösen Lebens einer Gemeinde zu machen. Die Vermittlung jüdischen Deutschen und die Ermordung der europäischen Juden zu und Hauptschulen in Bonn und in matisieren wollen, haben sich einige Grundsätze herauskristallisiert, einiger Grundkenntnisse jüdischen religiösen Lebens, die Teil der thematisieren ist nicht leicht und erfordert von Erwachsenen hohe Dortmund. Von 1976 bis 2003 Tätig- die auch in das Konzept des Pädagogischen Zentrums eingegangen Allgemeinbildung des vermittelnden Erwachsenen sein sollten, er- Sensibilität und eine klare eigene Refl exion. keit als Lehrerin an Grundschulen und sind. Einige dieser grundsätzlichen Hinweise, verbunden auch mit geben sich so: »Stellen Sie sich ein Kind vor, das Sie ganz besonders lieb ha- an Haupt- und Realschulen. Diverse den Warnungen vor »Fettnäpfchen«, werden hier erläutert. › Bedeutung und Aussehen der Thora und des Thora-Schmucks ben, bevor Sie anfangen zu überlegen, was Sie diesem Kind über Veröffentlichungen zur Geschichte »Was sind das eigentlich – Juden?« An der Beantwortung dieser › die hebräische Schrift als von rechts nach links zu schreiben und den Holocaust erzählen wollen.«3 Diesen essentiellen Ratschlag der jüdischen Lebens in Hessen, zur na- Frage wird in der einen oder anderen Weise kein Erwachsener vor- zu lesen israelischen Pädagogin Alisa Badmor, frühere Mitarbeiterin des is- tionalsozialistischen Verfolgung und beikommen, der mit Kindern den Holocaust thematisieren möchte › der Aufbau einer Synagoge raelischen Kindermuseums zum Holocaust »Yad Layeled«, sollten zur antijüdischen Politik in Hessen. – sei es im familiären Rahmen oder in der Schule. In den Antworten › einige jüdische Fest- und Feiertage im Jahreslauf und im persö- sich Erwachsene immer wieder zu Herzen nehmen, wenn sie mit Seit 2003 pädagogische Mitarbeiterin wird häufi g entweder auf eine »schon immer verfolgte Minderheit« lichen Leben Kindern über den Holocaust sprechen. des Fritz Bauer Instituts. oder auf den Antisemitismus hingewiesen. Der Blick auf Juden in › die Speisegesetze Wichtigster Grundsatz für die pädagogische Arbeit mit Kindern ihrer vermeintlich permanenten Opferrolle und als Objekte verschie- › die Spezifi k eines jüdischen Friedhofes ab neun Jahren zu diesem sensiblen Thema muss sein, dass die ver- denartiger Verfolgungen setzt diese in der Regel in den Rahmen der › die religiösen Unterschiede von jüdischen Gemeinden antwortlichen Erwachsenen sich selbst – auch emotional – damit Thematisierung des Holocaust. Für die Vermittlung sind Kenntnisse über das religiöse Leben auseinandergesetzt und sich selbst einen moralischen Standpunkt Der einfache Verweis auf den jüdischen Nachbarn, den jüdi- jüdischer Menschen nötig, und zwar nicht als lexikalisch abzuarbei- erarbeitet haben, was gerade nicht bedeutet, in der pädagogischen schen Klassenkameraden oder die jüdische Freundin ist heute trotz tendes Faktenwissen, sondern angebunden an konkrete Menschen. Vermittlung moralisierend wirken zu müssen. Diese selbstkritische der gewachsenen Anzahl von Juden in Deutschland kaum üblich. Über jüdisches Leben im Land Israel zu Jesu Zeiten zu sprechen ist Beschäftigung sollte auch eine Refl exion der eigenen Klischees und Kindern sollte ein anderer, sinnvollerer Zugang ermöglicht wer- damit nicht gemeint. Stereotypen über Juden einschließen. den. Die Kenntnis einiger Basics zum jüdischen Leben in der Ver- Hierzu gibt es ein gelungenes Kinderbuch, Mona und der al- gangenheit und in der deutschen Gegenwart ist allerdings für den te Mann,1 das in einer didaktisch konstruierten Situation von der

vermittelnden Erwachsenen vonnöten, um die in der öffentlichen Freundschaft eines christlichen Mädchens, Mona, mit einem al- 2 Marion Imperatori, Als die Kinder in Langen samstags zur Synagoge gingen. Eine Wahrnehmung dominierende Fixierung auf die eher abschreckend ten jüdischen Mann erzählt, die sich zufällig auf einem Spielplatz Zeitreise in die Vergangenheit. Kinder-Stadtführer zum Jüdischen Leben und zur wirkenden anonymen Opfermassen und entsprechende unvorstell- NS-Verfolgung. Materialien für die pädagogische Arbeit in der 4. bis 6. Klasse. bare Millionen-Zahlen an der Rampe von Auschwitz nicht zu ver- Frankfurt am Main 2009. Für 5 Euro zu bestellen bei info@karl-marx-buchhand- lung.de stärken. Es gilt, bewusst und gezielt zu vermeiden, dass bei Kindern 1 Noemi Staszewski, Mona und der alte Mann. Ein Kinderbuch zum Judentum, 3 Alisa Badmor auf der Tagung »Der Holocaust – ein Thema für Kindergarten und die Vorstellung entsteht, Juden seien per se im Fokus von Verfolgung Düsseldorf 2007. Grundschule?« im Juni 1997 in Hamburg.

50 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 51 Für das Gespräch mit Kindern im familiären oder privaten Rah- »Hitler und seine Freunde, die das deutsche Volk verführten«. Die möglichst aus Deutschland und nicht aus einem der besetzten Länder Gemeinsames Erarbeiten in vertrauensvoller Atmosphäre mit men sind Vertrauen, Ruhe und Zeit vonnöten, um sie zu begleiten. Personifi zierung des Nationalsozialismus auf Hitler ist für Kinder stehen. Über das Alltagsleben der Familie vor der NS-Verfolgung der Lehrkraft in der Schule oder dem Erwachsenen in der privaten Sich Zeit für Gespräche mit den Kindern zu nehmen ist außerordent- erfahrungsgemäß leichter als eine soziologische Sicht. Doch sollte sollte ausführlichst gesprochen werden, vielerlei Anknüpfungs- und Situation sollte im Mittelpunkt stehen. Die Haltung des innerlich lich wichtig. Gerade bei diesem Thema sollten Kinder nicht allein- der Erwachsene immer auch die zentrale Bedeutung der Zuschauer Zugangsmöglichkeiten sind so für die Kinder aufgrund ihrer eigenen beteiligten und empfi ndenden Erwachsenen wird dem Kind prägend gelassen werden, sie benötigen den Erwachsenen als begleitende und der Mitläufer benennen. Lebenserfahrungen möglich. Hier könnten auch Aspekte religiösen sein, was Gefühle und moralische Überlegungen mit einschließt. Stütze in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch, dass den Kindern Lebens anklingen. In der Schule ist dies bei bestimmten Unterrichtskonzepten nicht seinen Menschheitsverbrechen. vermittelt wird, dass nicht alle Deutschen Nazis wurden, dass es viele Für Kinder ist es als Faktor der eigenen inneren Stabilisierung gewährleistet: beispielsweise bei autonomer Stationenarbeit, in der Das Kind muss stets im Mittelpunkt bleiben. Eine Einstellung (leider insgesamt zu wenige) gab, die sich äußerlich und innerlich notwendig, dass das im Mittelpunkt stehende Kind mit seiner oder die Kinder durchgehend eigenständig arbeiten und der Lehrer sich Erwachsener, die sich äußert in Statements wie »Da müssen die heu- dem Nationalsozialismus entgegenstellten, ihre Mit-Menschlichkeit seinen familiären Bezugspersonen überlebt. Wohl wissend, dass dies »überfl üssig« macht, und auch nicht in der Abarbeitung von Arbeits- tigen Kinder durch, das müssen sie wissen, in der NS-Zeit mussten beibehielten und Verfolgten zur Seite standen, ihre Beziehungen historisch die Ausnahmesituation ist, wird diese Position hier aus blättern mit oder ohne Lückentexten. jüdische Kinder so viel erleiden«, verlässt diesen Grundsatz massiv. und Freundschaften aufrechterhielten. Auch hier ist der biografi sche pädagogischen Gründen vertreten. Folglich ist die Geschichte von Gespräche zum Thema – sei es in der Familie oder in der Schule Auch ist es für Kinder bedeutsam, die weite zeitliche Distanz Ansatz der pädagogisch angemessene Weg. Er zeigt den Kindern Anne Frank kein geeignetes Thema für den Unterricht mit Kindern. – sollten dann aber auch wieder beschließend abgerundet werden. von heute zu der nationalsozialistischen Vergangenheit zu betonen. deutlich Handlungsentscheidungen auf und bietet positive Orientie- Für die Beschäftigung mit Anne Frank und ihrem Tagebuch ist die Für das Kind ist es – gestützt durch den Erwachsenen – notwendig, Wichtig sollte es hier sein, zwischen Nazi-Deutschland (Vergangen- rungsmöglichkeiten, Personen kennenzulernen, die sich in der NS- Altersgruppe der 14- bis 16-Jährigen bei weitem geeigneter. innerlich wieder in der Gegenwart anzukommen. Kinder benöti- heit) und Deutschland (Gegenwart) immer wieder auch sprachlich Zeit ihre Menschlichkeit und ihre Empathie gegenüber verfolgten Zu empfehlen ist nach wie vor – auch unter den Aspekten der gen durch den vertrauten Erwachsenen die gefühlte und gelebte deutlich zu trennen. Nachbarn, Freunden und Mitschülern bewahrt haben und sich nicht Förderung eines kritischen Geschichtsbewusstseins – das Buch Ich Stabilität, dass sie heute in einer anderen Zeit leben und in einer In der Schule ist die pädagogische Arbeit mit Kindern zu dieser von der NS-Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen und der bin ein Stern von Inge Auerbacher,5 das Erwachsene sich selbst starken demokratischen Gesellschaft, die mit aller Kraft bestrebt Thematik nur dann sinnvoll, wenn in der Gruppe grundsätzlich eine Konstruktion von »Übermenschen« und »Untermenschen« beein- erarbeitet haben sollten, bevor sie die Geschichte von Inge Auerba- ist, die Gleichheit von Menschen zu garantieren. Dies gilt auch, Atmosphäre des Respekts und des Vertrauens zwischen Lehrkräften fl ussen ließen. Das Kinderbuch Papa Weidt von Inge Deutschkron, cher mit Kindern besprechen. Sie wurde Ende des Jahres 1934 in wenn Erwachsene aktuell die eine oder andere gesellschaftliche und Schülern und damit auch zwischen den Schülern untereinander in dem sie aus eigenem Erleben über Otto Weidt und seine Hilfe für Süddeutschland geboren, wo ihre Familie seit Jahrhunderten ansässig Schwachstelle sehen. Die Verurteilung von Unrecht und die damit selbstverständlich ist. Falls diese Charakterisierung einer Klasse Verfolgte erzählt, empfi ehlt sich hier.4 war. Das Buch enthält zahlreiche Familienfotos. Sie wurde 1942 mit verbundene Wiederherstellung eines Rechtszustandes und auch von nicht zutrifft, sollte eine Lehrkraft besser auf die Bearbeitung dieses Nur wenn klar wird, wie brutal dieses normale Leben jüdischer ihren Eltern in das Ghetto Theresienstadt verschleppt und erlebte Eigentumsverhältnissen ist ebenso wie Erinnern und Gedenken an Themas verzichten und sich stattdessen mit der Möglichkeit beschäf- Deutscher durch die Zertrümmerung einer demokratischen Gesell- 1945 gemeinsam mit ihnen die Befreiung. Dem Erwachsenen sei die Geschehnisse der NS-Vergangenheit als bewusste Aktivität heu- tigen, wie die Grundsätze einer respektvollen Kommunikation, bei- schaft ab 1933 zerstört wurde, können Kinder diesen absoluten der Mut zum Kürzen und zum Weglassen empfohlen, aber gleich- tiger Erwachsener und als Handlungsoption für Kinder zu sehen. spielsweise die Prinzipien der »Gewaltfreien Kommunikation« nach Lebensbruch in seinen weiteren Verfolgungsphasen von Diskrimi- zeitig auch der Mut zur Ausführung einiger Aspekte wie das Leben Kinder sollten also nicht überstrapaziert werden mit allen mög- Marshall Rosenberg, Eingang in den Klassenalltag fi nden können. nierung, Ausgrenzung, Flucht bzw. Verschleppung und Ermordung der Familie Auerbacher vor der NS-Zeit oder die angesprochenen lichen Informationen und Details, über die der Erwachsene unter Um es noch deutlicher zu sagen: Die angesprochenen Themen sind verstehen. religiösen Gesichtspunkte. Eine gemeinsame Gesprächs-Lektüre Umständen verfügt (insbesondere bezogen auf das Mordgeschehen). in keiner Weise geeignet, um in einer Klasse aktuelle Konfl ikte von Ein wesentlicher Aspekt der Vermittlung dieser Geschich- dieses Buches bietet sich mit Kindern an. Weniger kann häufi g mehr sein. Das Thema sollte sich keinesfalls Diskriminierung oder Mobbing mit dem Verweis auf die NS-Zeit te ist bereits im Gebrauch der Sprache enthalten. Eine deutliche Die Thematisierung der angesprochenen Aspekte bietet Kin- zu einem »Dauerbrenner« entwickeln. Es geht für die Kinder um zu thematisieren. Abgrenzung vom NS-Sprachgebrauch und dessen Brechung sind dern zahlreiche Möglichkeiten, sich auf verschiedene Art und Weise eine erste Orientierung, verbunden mit einer erzählbaren Struktur, Der Holocaust kann nicht losgelöst vom Nationalsozialismus notwendig. Begriffe wie »die Partei« oder »der Führer« sind inter- anzunähern. Erwachsene sind gefordert, sensibel die Reaktionen ausgehend von einer Familie und ihrem Alltag und dessen Verän- betrachtet werden. Seine auf der Ungleichheit des Wertes der Men- ner NS-Sprachgebrauch, die Partei der NSDAP oder Adolf Hitler der Kinder zu beobachten und auf ihre Fragen zu achten. Im schu- derung durch das NS-Regime. schen beruhende Ideologie muss vom diametral entgegengesetzten hingegen sind beschreibend. Die NS-Konstruktion von »Deutschen lischen Kontext ist eine enge kommunikative Gesprächssituation Wichtig ist für Erwachsene, immer wieder zu bedenken, von Menschenbild einer demokratischen Gesellschaft von der Gleichwer- und Juden« sollte unbedingt vermieden werden. Von nichtjüdischen unerlässlich auch im Austausch über Zeichnungen der Kinder, ihre Juden nicht nur im Imperfekt als in der NS-Zeit Verfolgten zu spre- tigkeit aller Menschen deutlich unterschieden werden. Die Gewalt- und jüdischen Deutschen oder von Juden und Nichtjuden zu spre- Erzählungen und Texte. chen, sondern auch jüdisches Leben in Deutschland in der Gegenwart tätigkeit des Nationalsozialismus gegenüber Andersdenkenden, die chen wäre angemessen. Von jüdischen Häusern oder Geschäften Wenn die Kinder ausreichend Gelegenheit haben, Bilder zu dem im Bewusstsein zu haben und zu thematisieren. Die Frage »Was Zertrümmerung der Demokratie und die Machtansprüche anderen zu sprechen machte auch nur wirklich Sinn, wenn man von katho- Erfahrenen zu malen, frei darüber zu schreiben und zu reden, was sind denn eigentlich Juden?« benötigt einen erweiterten pädago- Ländern gegenüber müssen in der zeitlichen Entwicklung ansatz- lischen oder evangelischen Häusern oder Geschäften spräche statt die damals verfolgten Personen sagen und fühlen, was ihre eigenen gischen Zugang zur Thematisierung nicht nur des Holocaust, der weise deutlich werden. von Stein- oder Fachwerkhäusern bzw. von Textil- oder Lebens- Gedanken und Gefühle sind, können Erwachsene sich bemühen, einen Perspektivwechsel hin zur Einbeziehung jüdischen Lebens Wenn sich bei den Kindern der Eindruck ergibt, dass der Nati- mittelgeschäften. wahrzunehmen, was sie beschäftigt, und entsprechend sensibel da- in Vergangenheit und Gegenwart beinhaltet. onalsozialismus lediglich ein Problem jüdischer Deutscher oder der Im Zentrum der Vermittlung sollte neben einigen Grundsatzin- rauf reagieren. Juden in anderen europäischen Ländern sei, dann ist auch hier etwas formationen einführend und als Ankerpunkt für mitfühlende Emo- Für den die Kinder begleitenden Erwachsenen gilt es auch, falsch betrachtet worden. Die Verfolgung jüdischer Deutscher in tionen die Geschichte eines jüdischen Kindes und einer Familie sensibel darauf zu achten, ob hinter möglichen Fragen nach Details den ersten Jahren der NS-Zeit ist eben nicht der »Höhepunkt« einer nicht die Frage steht: Kann mir das auch passieren, meiner Mutter, angeblich permanenten jahrhundertelangen Verfolgung von Juden, meinem Vater, meinen Geschwistern etc.? sondern ist als Folge der zu schwach entwickelten deutschen De- mokratie und des Versagens des zivilen Gemeinwesens anzusehen. 4 Inge Deutschkron, Papa Weidt. Er bot den Nazis die Stirn, Kevelaer 1999. Als Zusatzlektüre für Erwachsene ist unbedingt noch zu empfehlen das zahlreiche Gegenüber Kindern gilt es, eine ausschließliche Konzentra- Fotos und Dokumente enthaltende Buch von Inge Deutschkron, Blindenwerkstatt tion auf die Person Hitler zu vermeiden, eventuell erweitert auf Otto Weidt. Ein Ort der Menschlichkeit im Dritten Reich, Kevelaer 2008. 5 Inge Auerbacher, Ich bin ein Stern, Weinheim 2008.

52 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 53 Einsicht Kommentare

Generalbundesanwalt Max Güde seit 1965 im Rechtsausschuss der das NS-Unrecht mitgetragen hat, Jahre später in Bonn als füh- des Bundestages um eine Amnestierung von sogenannten »klei- render Strafrechtsreformer an der versteckten Amnestierung von nen NS-Tätern«. Eine parlamentarische Mehrheit ließ sich hierfür NS-Straftaten aktiv mitwirkte. nicht gewinnen, nicht zuletzt aus außenpolitischen Erwägungen. Um den Ansprüchen eines modernen Strafrechts gerecht zu Deshalb suchten die Lobbyisten nun nach Möglichkeiten, eine Art werden, wollten die Reformer die Gleichstellung von Tätern und Amnestie von NS-Gehilfen »versteckte Amnestie« herbeizuführen. Tatgehilfen aufheben. Sie verfolgten eine obligatorische Strafmilde- Eine solche These entwickelt der Historiker Ulrich Herbert in rung des Gehilfen, um eine seiner individuellen Schuld angemessene Die Novellierung des § 50 Abs. 2 StGB seiner 1996 erschienenen Werner-Best-Biografi e.3 Best, ehemaliger Bestrafung zu ermöglichen. Im Blickpunkt der Strafrechtsreform war Polizeichef und SS-Obergruppenführer, war Mitarbeiter der auf die auch die Entkriminalisierung von Rechtsverletzungen von geringerer und dessen Auswirkungen auf die Verteidigung von hohen SS-Chargen spezialisierten Kanzlei des Bedeutung, die bis dahin mit den Normen des Strafgesetzbuches FDP-Abgeordneten Ernst Achenbach. Achenbach war seit 1937 geahndet wurden. Solche Vergehen sollten künftig nicht mehr als NS-Strafverfolgung NSDAP-Mitglied und hat als Leiter der politischen Abteilung der Straftaten, sondern als Ordnungswidrigkeiten im Rahmen eines ei- Deutschen Botschaft in Frankreich an den Judendeportationen mitge- genen Gesetzes geregelt werden. von Michael Greve wirkt. Er verfügte über ein weitverzweigtes Netzwerk in Politik und Die Amnestie für NS-Gehilfen wurde nun dadurch herbeige- Wirtschaft, während Best im Hintergrund Verteidigungsstrategien führt, indem die Bestimmung über die obligatorische Strafmilderung Die Novellierung des § 50 Abs. 2 StGB (im für NS-Täter entwickelte und koordinierte. aus dem Strafgesetzbuch herausgelöst und an unscheinbarer Stel- Folgenden zitiert als § 50, 2) und dessen Gegen den von der Kanzlei Achenbach vertretenen Personen- le in das EGOWiG eingefügt wurde. Der § 50, 2 besaß folgenden Einführung 1968 an unscheinbarer Stelle kreis zählten auch sogenannte Schreibtischtäter aus dem Reichssi- Wortlaut: im Rahmen des Einführungsgesetzes zum cherheitshauptamt der SS (RSHA), gegen die seit 1963 systema- »Fehlen besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Michael Greve, Dr. phil., Studi- Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG) kurz nach dem Tode tisch ermittelt wurde. Die Ermittlungen hatten 1964 bereits einen Umstände (besondere persönliche Merkmale), welche die Strafbar- um der Geschichte und Politischen von Fritz Bauer ist posthum als eine der gravierendsten Fehlleistun- erheblichen Umfang erreicht.4 Vor dem Hintergrund, dass in den keit des Täters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach Wissenschaft in Hannover. Promo- gen der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Umgang mit dem nächsten Jahren mit zahlreichen Anklageerhebungen zu rechnen den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs zu mildern.«7 tion über den rechtspolitischen und NS-Unrecht anzusehen. Die Gesetzesnovelle führte zur Straffreiheit war, erscheint es nicht abwegig, dass in der Folgezeit ein kleiner, Im Hinblick auf Mord besagt der § 50, 2, dass der Gehilfe im strafrechtlichen Umgang mit den von sogenannten NS-Gehilfen, obwohl der Gesetzgeber mit dem hoch spezialisierter Kreis von Eingeweihten um Achenbach darum Unterschied zum Täter nicht mehr die Höchststrafe erhalten konnte, NS-Gewaltverbrechen in den 1960er EGOWiG Bagatellvergehen wie Verkehrsdelikte zu entkriminali- bemüht war, einer Amnestieregelung auf subtile Weise den Weg in sondern zwangsläufi g das niedrigere Strafmaß, welches maximal Jahren, 2000–2002 Projekt über Tä- sieren beabsichtigte. die Legislative zu eröffnen.5 eine zeitige Freiheitsstrafe von höchstens 15 Jahren bedeutete. Der terbiografi en der Wewelsburg und des Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie der § 50, 2 Ein- Für ein solches Vorhaben schien Eduard Dreher der geeignete ausschlaggebende Unterschied zur Fassung des alten Paragrafen KZ Niederhagen, seit 2002 Insolvenz- gang in die Gesetzgebung fi nden konnte und welche Auswirkungen Mann. Dreher war Leiter der Strafrechtsabteilung im Bundesjus- lag darin, dass die Strafe des Gehilfen zu mildern war, wenn bei verwaltung und Zwangsverwaltung, er auf die Strafverfolgung von denjenigen NS-Gewaltverbrechern tizministerium und Spiritus Mentor einer seit Mitte der fünfziger ihm besondere persönliche Merkmale wie niedrige Beweggründe Betreiber der Website über die Straf- besaß, deren Tatbeteiligung die Gerichte in Abgrenzung zur Täter- Jahre mit der Reformierung weiter Teile des veralteten Strafrechts selbst nicht vorlagen. Zuvor konnte der Gehilfe allein schon dann verfolgung von NS-Gewaltverbrechen schaft als Beihilfe qualifi zierten. Als Gehilfe galt derjenige, der ohne befassten Großen Strafrechtskommission. Damit verfügte er sowohl zu lebenslanger Haft verurteilt werden, wenn die strafbegründenden (www.ns-verbrechen.de). eigenen Willen und ohne Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale über die Kompetenz als auch über die Autorität, einer versteckten persönlichen Merkmale beim Täter vorlagen, nach der neuen Fas- des Mordes (z.B. Grausamkeit, Heimtücke, niedrige Beweggründe) Amnestie Eingang in die Gesetzgebung zu verschaffen. Auch sei- sung musste der Gehilfe die Merkmale selbst erfüllen. Damit ging Redaktionelle Vorbemerkung gehandelt hatte.1 ne politische Gesinnung und nicht zuletzt seine NS-Vergangenheit es im Kern um die innere Einstellung und Motivation des Gehilfen, Der Tod Fritz Bauers ist bis zum heu- Der rechtspolitische Umgang mit den NS-Gewaltverbrechen prädestinierten ihn für diese Aufgabe. Dreher war vor 1945 als nicht um die Straftat selbst. tigen Tage Anlass für Vermutungen. war wesentlich durch Forderungen nach gesetzlich geregelten Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck tätig und hatte selbst bei Die obligatorische Strafminderung führte automatisch zu einer In dem Film FRITZ BAUER – TOD AUF Amnestien für NS-Täter geprägt. Solche Amnestiebestrebungen geringfügigen Vergehen wie Lebensmitteldiebstahl Todesstrafen Veränderung der Verjährungsfristen auf maximal 15 Jahre. Damit RATEN von Ilona Ziok äußern Protago- schlugen sich zunächst in den Straffreiheitsgesetzen von 1949 und beantragt und auch mit Vehemenz durchgesetzt.6 Ein Persilschein konnten künftig diejenigen NS-Gehilfen strafrechtlich nicht mehr nisten die Auffassung, Bauer habe die 1954 nieder und wurden später im Rahmen der Verjährungsdebat- des österreichischen Generalstaatsanwalts Grünewald ermöglichte belangt werden, deren Verjährungsfrist nicht vor dem 8. Mai 1960 Auswirkungen der Novellierung des ten von 1965 und 1969 diskutiert.2 So bemühte sich eine Grup- nach 1945 Drehers Rückkehr in den Staatsdienst. Somit ist es nicht durch richterliche Handlungen unterbrochen worden war. Da die § 50 Abs. 2 Strafgesetzbuch bereits im pierung innerhalb der CDU/CSU-Fraktion um den ehemaligen abwegig, dass ein ehemals am Sondergericht tätiger Staatsanwalt, systematische Aufklärung und Strafverfolgung erst im November Frühsommer 1968 erkannt und sei un- 1958 durch die Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustiz- ter anderem darüber verstorben. Die verwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen

Redaktion Einsicht hat Michael Greve 3 Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung in Ludwigsburg begonnen hatte, lassen sich die Auswirkungen der – vorzüglicher Kenner der Geschichte 1 Zu der sogenannten Gehilfenrechtsprechung siehe Michael Greve, Der justitielle und Vernunft. 1903–1989, Bonn 1996, S. 495 ff. Gesetzesänderung erahnen, zumal der Schuldspruch »Beihilfe zum der justitiellen Aufarbeitung der NS- und rechtspolitische Umgang mit den NS-Gewaltverbrechen in den sechziger 4 Im Mai 1968 liefen allein 35 Ermittlungsverfahren gegen 730 frühere Angehörige Verbrechen – gebeten, zur Geschichte Jahren, Frankfurt am Main u.a. 2001, S. 145 ff. des RSHA bzw. der Staatspolizeileitstelle Berlin. 2 Siehe hierzu z.B. Marc von Miquel, Ahnden oder amnestieren, Westdeutsche Ju- 5 Herbert, Best, S. 507 ff., vgl. auch von Miquel, Ahnden, S. 220 ff. der folgenreichen Gesetzesnovelle stiz und Vergangenheitspolitik in den sechziger Jahren, Göttingen 2004, sowie 6 Eduard Rabofsky, Gerhard Oberkofl er, Verborgene Wurzeln der NS-Justiz. Straf- einen Beitrag zu schreiben. Greve, Umgang. rechtliche Rüstung für zwei Weltkriege, Wien u.a. 1985, S. 75 ff. 7 BGBl. 1965 I, S. 506.

54 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 55 Mord aus niedrigen Beweggründen« am häufi gsten in NS-Verfahren Dieses änderte sich im Laufe einer Abteilungsleiterbesprechung Reaktionen auf die Novelle Die Auswirkungen des § 50, 2 in der Rechtsprechung ausgesprochen wurde. im Bundesjustizministerium am 15., 27. oder 30. Juli 1964, an der Es stellt sich die Frage, wie ein Paragraf mit solch weitreichen- auch Dreher teilnahm. Auf einer dieser drei Sitzungen erhielt der Die Auswirkungen des am 1. Oktober 1968 in Kraft tretenden § 50, 2 Zahlreiche Staatsanwaltschaften und Schwurgerichte begannen den Konsequenzen unbemerkt aus dem Strafgesetzbuch herausge- Paragraf seinen endgültigen Wortlaut und wurde als § 50, 2 in das begannen in der bundesdeutschen Öffentlichkeit erst Ende des Jahres unmittelbar nach dem BGH-Urteil, Verfahren unter Berufung auf trennt und in das EGOWiG eingeführt werden konnte. EGOWiG eingefl ochten. Die Frage, welcher der Referenten hierbei 1968 durchzusickern. Die Bild am Sonntag berichtete im Dezember die Vorschrift des § 50, 2 einzustellen. Die Berliner Staatsanwalt- federführend war, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.12 erstmals über die möglichen Auswirkungen des Paragrafen auf die schaft musste im Juni 1969 zerknirscht die Verfahrenseinstellung Der Gesetzgebungsweg des § 50, 2 Der Entwurf zum EGOWiG wurde den Landesjustizverwal- Verjährungsbestimmungen von NS-Straftaten und warf dem Gesetz- gegen acht Schreibtischtäter aus dem Schutzhaftreferat des RSHA tungen, dem BGH sowie dem Generalbundesanwalt im Juni 1965 geber gleichzeitig vor, bei dieser Regelung »die braune Vergangen- beantragen.21 Nach jahrelangen umfangreichen Ermittlungen endete Die Novellierung des § 50, 2 nahm ihren Ausgangspunkt im Rahmen zur Prüfung übergeben.13 Die substantielle Neufassung des § 50, 2 heit« übersehen zu haben. Dieser Umstand war für das Bundesjustiz- dieser Prozess kurz nach Verfahrenseröffnung, was den zuständigen der Großen Strafrechtsreform, die zwischen 1969 und 1975 in Kraft kursierte daraufhin in verschiedenen politischen und juristischen ministerium zu diesem Zeitpunkt kein Novum mehr. Am Rande des Staatsanwalt Hans-Dietrich Nagel dazu veranlasste, dem Gesetzge- trat. Zu den geplanten Änderungen gehörte schon 1955 ein Paragraf, Gremien, ohne dass jemand die möglichen Auswirkungen des Pa- 47. Deutschen Juristentags im September 1968 machte Bundesrichter ber eine »verschleierte Amnestie« vorzuwerfen.22 der sinngemäß die Bestimmungen des späteren § 50, 2 enthielt. Diese ragrafen auf die Strafverjährung von NS-Gehilfen zur Sprache Rudolf Schmitt vom 5. Strafsenat wenige Tage vor Inkrafttreten des Das Kalkül der Amnestielobby hingegen war aufgegangen. Das Vorschrift wurde dann im Regierungsentwurf E 1962 als § 33 I einge- gebracht hatte. Niemandem schien aufzufallen, dass sich mit der EGOWiG darauf aufmerksam, dass die Novelle womöglich Konse- BGH-Urteil soll bei Staatsanwälten und Schwurgerichten überwie- bracht und entsprach schon fast dem späteren Wortlaut des § 50, 2.8 neuen Fassung des § 50, 2 ohne die Schutzvorschrift des § 127 quenzen für die Verjährung von NS-Gewaltverbrechen haben könne.16 gend auf positive Resonanz gestoßen sein, sahen sie doch in der Eine Gefahr konnte von dieser Vorschrift noch nicht ausgehen, Abs. 3 StGB NS-Gewaltverbrechen amnestieren ließen. Der Ge- Erst zu Beginn des Jahres 1969 folgte dann eine gezielte Auf- Neufassung des § 50, 2 »ein – behutsam benutztes – Instrument der da in den amtlichen Gesetzentwürfen zur Strafrechtsreform auch setzentwurf wurde am 20. Januar 1967 dem zugeleitet, klärungskampagne des Spiegel. Das Bundesjustizministerium unter Justiz-Ökonomie«.23 § 127 Abs. 3 (E 1962) enthalten war. Nach dieser Vorschrift sollten der ihn am 10. Mai 1968 einstimmig und ohne weitere Beratungen bemühte sich umgehend um Schadensbegren- Der Verfasser hat feststellen können, dass von der Novelle aber Strafmilderungen und -schärfungen an der Bemessung der Verjäh- verabschiedete. Das EGOWiG trat dann am 1. Oktober 1968 in zung. Um der Neufassung des § 50, 2 die Sprengkraft zu nehmen, keineswegs nur Schreibtischtäter profi tierten.24 Die Gesetzesände- rungsfristen nichts ändern.9 Wären die §§ 50, 2 u. 127 Abs. 3 StGB im Kraft.14 versuchte das Ministerium etwas hilfl os die Auswirkungen des rung entpuppte sich ebenso als Amnestie für untere Chargen wie Rahmen der Strafrechtsreform gemeinsam eingeführt worden, hätte Es sprechen im Nachhinein starke Indizien dafür, dass die An- § 50, 2 auf die NS-Strafverfolgung zu relativieren, indem es »be- Angehörige von Polizeibataillonen und der Sicherheitspolizei, die dies keine Auswirkungen auf die Strafverfolgung von NS-Gehilfen passung des § 50, 2 auf eine Amnestieinitiative aus dem Dunstkreis sondere persönliche Merkmale« als tatbezogen und nicht als täter- vor Ort die Erschießungen ausführten. Sind sie dabei nicht heimtü- gehabt. Anders verhielt es sich, wenn der § 50, 2 aus dem Kontext der Kanzlei Achenbach zurückzuführen ist. Die These vom gesetz- bezogen interpretierte.17 ckisch oder grausam vorgegangen und haben sie ihre Aufgaben auf der Strafrechtsreform herausgelöst und im Rahmen eines anderen geberischen Versehen überzeugt indes nicht, wenn man bedenkt, Auch Dreher betrieb nach außen Schadensbegrenzung mit dem Befehl ohne ersichtlichen Eifer und innerlich widerstrebend erfüllt, Gesetzes verabschiedet oder aber wenn der § 127 Abs. 3 StGB aus den dass Dreher in seiner Eigenschaft als Leiter der Strafrechtsreform gleichen Argument, seine wahren politischen Interessen spiegel- konnten sie darauf hoffen, als Gehilfen von der weiteren Strafver- Entwürfen der Strafrechtsreform ersatzlos gestrichen worden wäre. die Hauptverantwortung für die Novelle zuzuschreiben war. Die ten dieses nicht wider. Als Dreher 1969 angesichts der drohenden folgung verschont zu bleiben. Für Dreher, der dem Referentenstab zum EGOWiG bislang Konsequenzen der Neufassung lagen nicht gänzlich im Dunkeln, wie Aufhebung der Verjährungsfristen für Mord beauftragt wurde, ein Gegen eine solche rechtliche Beurteilung hat sich Fritz Bauer nicht angehört hatte, bot sich 1960 die Möglichkeit, Einfl uss auf den im Nachhinein gerne behauptet. In der Neuen Juristischen Wochen- Amnestiegesetz zu konzipieren, schlug er mit einem gewissen Ur- stets heftig gewehrt, ihm dürften aber die fatalen Auswirkungen der weiteren Gesetzgebungsweg zu nehmen. Der zuständige Referent schrift (NJW) erschien zu Beginn des Jahre 1964 ein Aufsatz des heberstolz eine analoge Fassung »seines« § 50, 2 vor.18 Dreher ging Gesetzesnovelle auf die NS-Gewaltverbrechen nicht mehr bewusst des EGOWiG wies Dreher im Laufe des Jahres 1960 darauf hin, Düsseldorfer Rechtsanwalts Anton Roesen, in dem er auf mögliche sogar noch einen Schritt weiter, indem er sich eine weiterreichende geworden sein. Vorstehend ist dargelegt, dass die Amnestiebestre- dass es Überschneidungen zwischen den Entwürfen zum EGOWiG Auswirkungen des zu novellierenden § 50, 2 auf die weitere Straf- Amnestieregelung hinsichtlich aller Mordmerkmale wie Heimtücke bungen von einem kleinen Kreis Eingeweihter betrieben wurde, und des Regierungsentwurfs E 1962 zur Großen Strafrechtsreform verfolgung von NS-Gehilfen ausdrücklich hinwies.15 Nun war es von und Grausamkeit wünschte.19 der tunlichst darauf achtete, dass Bauer und anderen engagierten gebe. Diese Differenzen erforderten eine Anpassung diverser Straf- den zuständigen Referenten im Bundesjustizministerium durchaus Mit der vom Bundesjustizministerium aufgeworfenen Rechts- Strafverfolgern solche Pläne verborgen blieben. Zwar war die Neu- rechtsnormen an den Allgemeinen Teil des EGOWiG. Zu diesen zu erwarten, dass sie solche Stellungnahmen in einer der führenden frage befasste sich dann der 5. Strafsenat des BGH im Mai 1969. fassung zum Zeitpunkt von Bauers Tode am 1. Juli 1968 bereits vom Vorschriften zählte auch § 50, 2, der mit § 9 EGOWiG konkurrierte juristischen Fachzeitschriften wahrnahmen und in ihre Überlegungen Der BGH erfüllte die Hoffnungen Bonns nicht und entschied, dass Bundestag verabschiedet, ein interner Exkurs über die Auswirkungen und deshalb zu modifi zieren war.10 Dreher wirkte fortan maßgeblich mit einbezogen. Es ist nicht auszuschließen, dass Dreher den Aufsatz »besondere persönliche Merkmale« wie niedrige Beweggründe als des novellierten § 50, 2 auf die NS-Strafverfolgung hat aber erst im an der weiteren Ausgestaltung und Anpassung des Paragrafen an die tatsächlich aufmerksam gelesen und ihn dann für seine Zwecke ge- täterbezogen und nicht als tatbezogen zu würdigen sind, wodurch der September 1968 begonnen. Vorschriften des EGOWiG mit. Die für die spätere Straffreistellung nutzt hat, indem er die Einfügung und Verabschiedung des § 50, 2 Amnestierung zahlreicher NS-Gehilfen endgültig der Weg geebnet verantwortliche Vorschrift der verpfl ichtenden Strafmilderung fehlte im Rahmen des EGOWiG lancierte. war.20 Der Strafsenat beließ es bei einem Tadel der Gesetzesnovelle, den Entwürfen hingegen noch.11 sah sich selbst aber nicht in der Pfl icht, in die Legislative korrigie- rend einzugreifen.

12 Vermerk MR Göhler (BMJ), 6.6.1969, S. 2 f., BA Dahlwitz-Hoppegarten, 8 »Fehlen besondere persönliche Merkmale (§ 14 Abs. I), welche die Strafbarkeit B 141/403654. Der Verf. hat die Unterlagen zu den Abteilungsleiterbesprechun- des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe), so ist dessen gen in den einschlägigen Akten des BMJ zum EGOWiG im BA Koblenz und im 16 Vermerk Sturm (BMJ), 10.6.1969, BA Dahlwitz-Hoppegarten B141/403654. Strafe nach § 64 Abs. 1 zu mildern.« BT-Drs. IV/650, 4.10.1962, S. 15 u. 150 f. PA Bonn nicht aufgefunden. Die Akten wurden vermutlich gesäubert. 17 Dem widersprach allerdings allein schon die amtliche Begründung. Besondere 9 BT-Drs. IV/650, 4.10.1962, S. 33. Diese Bestimmung wurde später vom Bundes- 13 Vermerk MR Göhler (BMJ), Mai 1969 u. Vermerk BMJ, 2.6.1969, BA Dahlwitz- persönliche Gesinnungsmerkmale müssten immer beim jeweiligen Teilnehmer 21 LG Berlin (500) 1 Ks 1169 (RSHA) (26/69), 2.6.1969, S. 4 f. tag im Mai 1969 als § 78 Abs. 4, 2. StrRG verabschiedet. Hoppegarten B 141/403654. vorliegen und sind damit täterbezogen (BT-Drs. IV/650, 4.10.1962, S. 152 u. BT- 22 Zit. n. Bulletin des Comitè International de Champs, 6.6.1969, S. 6. 10 Vermerk Lackner (BMJ) zum Referentenentwurf zum EGOWiG, 10.1.1964, Bun- 14 BT-Drs. V/2889; BT-Berichte, 5. WP, 173. Sitzung, 10.5.1968, S. 9249 f. u. Drs. V/1319, 20.1.1967, S. 61). 23 Bericht des Mannheimer Staatsanwalts Lambert auf einer Arbeitstagung der mit desarchiv (BA) Koblenz B 141/17494, Bl. 19. BGBl. 1965 I, 506. 18 Von Miquel, Ahnden, S. 334 f. der Strafverfolgung von NS-Verbrechen befassten Staatsanwälte im April 1970, 11 Referentenentwurf zum EGOWiG, 15.1.1964, S. 3, BA Koblenz, B 141/17494, 15 Anton Roesen, »Rechtsfragen der -Prozesse«, in: NJW, Jg. 17 19 Ebd., S. 334. BA Koblenz, B 162/13, S. 135. Bl. 28. (1964), H. 4, S. 136. 20 BGH 5 StR 658/68, 20.5.1969, NJW 1969, S. 1.182. 24 Greve, Umgang, S. 386 ff.

56 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 57 noch recht günstigen Biers in den zahlreichen Kellerkneipen wegen herkommen. Die meisten führt ihr Weg auch nach Kazimierz, und sie wollen gerade über die jüdische Geschichte der alten Königsstadt etwas erfahren. Jahrhundertealt ist diese Geschichte, und sie ist in der Tat vor allem mit Kazimierz verbunden. Die meisten Besucher Die Leere im Getto möchten aber auch etwas über die jüdische Bevölkerung Krakaus unter deutscher Besatzung erfahren. Sie kommen voller Interesse und Wie SCHINDLERS LISTE die Erinnerung sie haben Bilder im Kopf. Vor allem Bilder aus SCHINDLERS LISTE. Nicht lange, nachdem der Film, der auf dem gleichnamigen Roman in Krakau formt von Thomas Keneally (1982) beruht, ein solcher Erfolg geworden war, konnte man in Kazimierz bereits Touren »Auf den Spuren von von Andrea Löw und Markus Roth Schindlers Liste« buchen. Nicht die Geschichte des Gettos und seiner Bewohner, nicht die Stätten von Leid und Verfolgung oder die Orte von Widerstand und Selbstbehauptung werden gesucht, sondern die Spuren eines Films in realer Umgebung. Mit Sicherheit brachte Bilder formen Erinnerung, bewegte Bilder diese Marketingidee den gut informierten Stadtführern eine Menge allzumal. Wohl nur in ganz wenigen Fällen zusätzlichen Verdienst ein. ist dies so offenkundig wie bei dem über- Schindler oder vielmehr das Bild, das Spielberg von ihm mit aus erfolgreichen Film SCHINDLERS LISTE aus Liam Neeson in der Titelrolle gezeichnet hat, ist längst zu einer in- Dr. Andrea Löw, wissenschaftliche dem Jahr 1993. Steven Spielberg hat diesen Film über den Industriel- ternationalen Identifi kationsfi gur, zu einer Werbemarke geworden, Mitarbeiterin am Institut für Zeit- len Oskar Schindler, der im besetzten Krakau eine Emailwarenfabrik die reale Geschichte und reale Erinnerungsorte verdeckt. Und das geschichte München – Berlin im betrieb und zum Retter Hunderter Juden wurde, in weiten Teilen am wirkt, gut 15 Jahre nach dem Film, immer noch nach. Eine polni- Editionsprojekt »Judenverfolgung Originalschauplatz gedreht. Fast: Er hat die Szenen, die im Getto sche Historikerin erzählt uns, dass es immer wieder passiert, dass 1933–1945«, zuvor wissenschaftli- spielen, hauptsächlich in Kazimierz gedreht, dem einst, vor dem die Teilnehmer ihr bei Führungen nicht glauben, dass in Kazimierz che Mitarbeiterin der Arbeitsstelle Krieg, mehrheitlich von Juden bewohnten Stadtviertel Krakaus. Nur nicht das Getto war. Spätestens an einer Treppe in einem Hinterhof Holocaustliteratur an der Justus- befand sich in Kazimierz das Getto nicht. erkennt jeder die Szenerie: Hier hat sich im Film auf Ratschlag des Liebig-Universität Gießen, Veröf- Das Getto Krakau lag auf der anderen Seite der Weichsel im kleinen Jungen eine Frau versteckt, während der Razzia. Hier muss fentlichungen u.a.: Juden im Getto Stadtteil Podgórze. Dorthin mussten die Krakauer Juden im März also das Getto gewesen sein. Dagegen richten auch die Hinweise Litzmannstadt. Lebensbedingungen, 1941 umziehen, waren gezwungen, innerhalb von nur zwei Wochen der kundigen Stadtführer nichts aus. Selbstwahrnehmung, Verhalten, Göt- eine neue Bleibe in dem viel zu knapp bemessenen Viertel zu fi nden. Und so ist es voll in Kazimierz, eigentlich fast immer. In zahl- tingen 2006. 320 Häuser gab es hier, vor dem Krieg lebten in dem herunterge- reichen Restaurants kann man traditionelle jüdische Gerichte essen kommenen Stadtteil nur etwa 3.000 Menschen, nach der Errichtung und Klezmerkonzerte hören. Es ist schön, idyllisch und irgendwie Dr. Markus Roth, stellvertretender des Gettos waren es 15.000, später sogar noch mehr. Der von den immer auch ein bisschen verkitscht. Geht man aber die etwa zehn Leiter der Arbeitsstelle Holocaustlite- Deutschen eingesetzte Judenrat bemühte sich, alle unterzubringen, Minuten zu Fuß über die Brücke auf die andere Seite der Weichsel, ratur an der Justus-Liebig-Universität versuchte in der Folge, das Leben im »Jüdischen Wohnbezirk«, wie nach Podgórze, ist es eher leer. Hier gibt es noch einige wenige Orte, Gießen und wissenschaftlicher Mit- auf Jiddisch auf einem der Tore an der Grenze des Gettos geschrieben zu denen die sehr interessierten und sehr informierten Touristen oder arbeiter am Herder-Institut Marburg, stand, zu organisieren. Im Juni und Oktober 1942 deportierten die Schüler- und Studentengruppen gehen: An den Plac Zgody, der heute Veröffentlichungen u.a.: Herrenmen- deutschen Besatzer Tausende Juden aus dem Krakauer Getto in das »Plac Bohetarów Getta«, also »Platz der Helden des Gettos« heißt, schen. Die deutschen Kreishauptleute Vernichtungslager Bełżec und ermordeten sie dort. Im März 1943 und dort in ein kleines Eckhaus: Hier war während des Krieges die im besetzten Polen – Karrierewege, lösten sie das Getto dann ganz auf, erschossen zahlreiche Juden an Apotheke des Polen Tadeusz Pankiewicz, der von der Gedenkstätte Herrschaftspraxis und Nachgeschich- Ort und Stelle, deportierten viele nach Auschwitz und verbrachten Yad Vashem als »Gerechter unter den Völkern« geehrt wurde. Wäh- te, Göttingen 2009; Theater nach die übrigen ins nahe gelegene Konzentrationslager Płaszów. rend der gesamten Dauer des Gettos bekam er eine Sondergeneh- Auschwitz. George Taboris Die Kan- Die meisten Häuser auf dem ehemaligen Gettogelände stehen migung, seine Apotheke weiter innerhalb des Gettos zu betreiben, nibalen im Kontext der Holocaust- noch, die Straßen sind fast unverändert. Hier bekommt man rasch obwohl er kein Jude war. So konnte er zahlreichen verfolgten Juden Debatten, Frankfurt am Main 2003. einen Eindruck davon, wie eng es im übervölkerten Getto zwischen Im Frühjahr 2011 erscheint im Wall- 1941 und 1943 gewesen sein muss, in wenigen Minuten ist das Abb. oben: Der frühere Sitz des Judenrats in Krakau stein Verlag von Andrea Löw und Areal der Länge nach durchlaufen. Es ist ein Erinnerungsort, den Abb. Mitte: Mahnmal des ehemaligen Arbeits- und Konzentrationslagers Płaszów Markus Roth Juden in Krakau unter fast niemand besucht. Dabei ist Krakau beliebt und zwar nicht nur Abb. unten: Reste der Gettomauer in Krakau deutscher Besatzung 1939 bis 1945. bei denjenigen Touristen, die der schönen Altstadt oder des immer Fotos: Andrea Löw und Markus Roth

58 Einsicht Einsicht 04 Herbst 2010 59 mmm$\_iY^[hl[hbW][$Z[

helfen und sie mit Medikamenten versorgen.1 Heute ist hier ein zu überleben, mussten Menschen im Getto eine Arbeit haben, nur kleines Museum zur Geschichte der Apotheke, ihres Besitzers und so konnten sie sich ernähren, nur Arbeitsbescheinigungen retteten DI#CehWb0:_[m[]m[_i[dZ[ allgemein des Gettos untergebracht. Seit 2005 steht auf dem Platz später – zumindest vorübergehend – vor den Deportationen. Eine eine Installation von etwa 70 Stühlen, die an die Hinterlassenschaft Gedenktafel befi ndet sich durchaus am Haus, die erinnert jedoch an der deportierten Juden und damit auch an die dramatischen Ereig- Prof. Bronisław Rutkowski (1898–1964), einen Musikkritiker und :Whij[bbkd][_d[i nisse an diesem Ort, von dem aus die Menschen zu den Todeszügen Komponisten, der nach dem Krieg in Krakau lehrte. getrieben wurden, erinnern sollen. Ergänzt werden sie durch einen In der Nr. 18, einem prächtigen Gebäude, hatte die Jüdische Raum, in dem man Kerzen für die Ermordeten aufstellen kann. Es Soziale Selbsthilfe ihren Sitz, die unter ihrem Vorsitzenden Michał X_ibWd]kd][iY^h_[X[d[d ist ein Ort stillen Gedenkens, nicht der konkreten Erinnerung. Weichert Hilfsleistungen für Juden fast im ganzen besetzten Po- Nicht weit entfernt in der ul. Lipowa 4 steht ein Gebäude, das len organisierte. Hier ist heute wie vor dem Krieg eine Bank. An jeder aus dem Film kennt, denn hier hat Spielberg in der Tat am keinem der Häuser, in denen zeitweise das Waisenheim oder nach AWf_j[biZ[kjiY^[h Originalschauplatz gedreht: Hier befand sich Schindlers Fabrik, den Deportationen in die Vernichtung ein Tagesheim für Kinder hier lebten zeitweise seine Arbeiterinnen und Arbeiter in einem untergebracht waren, erinnert etwas daran, wie die Kinder bei der Außenlager von Płaszów. In diesem Jahr wurde hier eine große Aufl ösung des Gettos ermordet wurden. Nicht einmal am Haus, in Ausstellung über Krakau unter deutscher Besatzung eröffnet. Hier dem der Regisseur Roman Polanski als kleiner Junge im Getto leben C[djWb_jji][iY^_Y^j[ werden Erinnerung, historisches Lernen und die Bilder aus dem Film musste, fi ndet sich ein Hinweis auf seinen heute weltberühmten gleichsam an einem authentischen Ort zusammengeführt. Manche ehemaligen Bewohner. Kein Hinweis an dem Haus, in dem die jü- € Touristen sehen sich auch noch die beiden verbliebenen Reste der dische Widerstandsbewegung zusammenkam, von dem aus sie ihre (..I[_j[d"][XkdZ[d" : '/"/+ Gettomauern an, die so perfi de in Form von Grabsteinen gemauert spektakulären Anschläge und Überfälle jenseits der Gettogrenzen wurden. An einer der beiden Stellen befi ndet sich heute direkt vor organisierte. Die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. den Mauerresten ein kleiner Kinderspielplatz. Am anderen erhalte- Die allermeisten Gebäude stehen noch, die Orte sind da. Nur nen Teil gibt es eine polnisch- und jiddischsprachige Gedenktafel bleibt die Erinnerung gewissermaßen auf der anderen Seite der sowie eine, die auf Englisch und teilweise auf Polnisch auf die Mauer Weichsel, in Kazimierz, stehen. Die authentischen Erinnerungsorte und deren Renovierung im Jahre 2002 durch die Mosberg Family sind – zum Teil wenigstens – von fi ktiven verdrängt worden. Reale Foundation hinweist. Die sehr Interessierten gehen noch weiter zum Erinnerungsorte funktionieren dort, wo sie einen direkten Bezug zum Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Płaszów. Hier gibt fi ktiven Erinnerungsraum SCHINDLERS LISTE haben wie seine ehema- Mit Begriffen wie Ehre, es ein großes Mahnmal und Gedenksteine, und hier steht noch die lige Fabrik. Das kollektive Gedächtnis verfügt im Fall des Gettos Treue, Schande oder Villa, in der Lagerkommandant Amon Göth gewohnt hat, im Film Krakau fast ausschließlich über einen ganz begrenzten Bestand an Kameradschaft haben die verkörpert von Ralph Fiennes. Bildern – und das sind vor allem die Bilder, die Steven Spielberg National sozialisten Kaum ein Besucher verirrt sich in einen anderen Winkel des gemacht hat. Die realen Orte der Geschichte des Krakauer Gettos ehemaligen Gettogebiets, und trotz des Erinnerungsbooms in Kra- und der Menschen, die dort leben mussten, kommen dagegen nicht versucht, ein System von kau – so viel Erinnerung ist wohl sonst in keiner polnischen Stadt an und werden nur wenig wahrgenommen. gegenseitig eingeforderten – kümmert sich anscheinend auch niemand richtig darum. Das Ge- moralischen Gefühlen und bäude, in dem der Judenrat seinen Sitz hatte beispielsweise: Das Tugenden zu etablieren. ist das Rathaus von Podgórze, und wir werden fündig, es gibt eine kleine Tafel, die in deutscher und englischer Sprache über die Ge- Raphael Gross zeigt, wie schichte des Gebäudes informiert. Wir lernen, dass sich in diesem diese Begriffe funktioniert Gebäude im 19. Jahrhundert der Magistrat von Podgórze befand. haben und wie sie bis Der Judenrat? Fehlanzeige. So geht es an all den anderen Gebäu- hinein in unsere den weiter. In der ul. Józefi ńska befi nden sich zahlreiche Häuser, Gegenwart wirken. die zur Zeit des Gettos eine zentrale Rolle gespielt haben. In der Nr. 10 war das Arbeitsamt untergebracht. Hier ist heute eine Musik- schule. Wir hören Flöte und Klavier, fi nden jedoch keinen Hinweis darauf, mit wie vielen Hoffnungen und Enttäuschungen für Arbeit suchende Menschen im Getto dieses Gebäude verbunden war: Um

1 Vgl. Tadeusz Pankiewicz, Die Apotheke im Krakauer Ghetto. Aus dem Poln. von Manuela Freudenfeld, Essen: Bettendorfsche Verl.-Anst., 1995.

60 Einsicht Einsicht 04 ;_d8kY^led Herbst 2010 61 I$;H Rezensionen Buch- und Filmkritiken

70 Matthias Schwerendt: »Trau keinem Fuchs auf grüner Nikolaus Hirsch, Wolfgang Lorch, Andrea Wandel (Eds.): Heid, und keinem Jud bei seinem Eid«. Gleis 17/Track 17 Antisemitismus in nationalsozialistischen Schulbüchern von Kurt Schilde, -Geisweid und Unterrichtsmaterialien von Wolfgang Geiger, Pädagogisches Zentrum Frankfurt 84 Marc Buggeln: Arbeit & Gewalt. www.klett-cotta.de Das Außenlagersystem des KZ Neuengamme 72 Benjamin Ortmeyer: Mythos und Pathos statt Logos von Jörg Skriebeleit, Weiden und Ethos. Zu den Publikationen führender Erziehungs- »Das Buch verdient wissenschaftler in der NS-Zeit: Eduard Spranger, Herman 86 Anne Allex, Dietrich Kalkan (Hrsg.): Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen ausgesteuert – ausgegrenzt … angeblich asozial eine intensive Diskussion.« von Werner Konitzer, Fritz Bauer Institut von Christoph Schneider, Frankfurt am Main Richard Klein, Die Zeit 73 Daniel Baranowski (Hrsg.): »Ich bin die Stimme der sechs 88 Sonja Endres: Zwangssterilisation in Köln 1934–1945 Millionen«. Das Videoarchiv im Ort der Information von Christoph Schneider, Frankfurt am Main von Gottfried Kößler, Pädagogisches Zentrum Frankfurt 89 Ulrike Jureit, Christian Schneider: Gefühlte Opfer. 74 Lilo Günzler: Endlich reden Illusionen der Vergangenheitsbewältigung von Ursula Ernst, Frankfurt am Main von Werner Konitzer, Fritz Bauer Institut und Gottfried Kößler, Pädagogisches Zentrum Frankfurt Rezensionsverzeichnis 90 Wanja Hargens: Der Müll, die Stadt und der Tod. Liste der besprochenen Bücher und Filme 75 Susanne Heim (bearb.): Die Verfolgung und Ermordung Rainer Werner Fassbinder und ein Stück deutscher der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Zeitgeschichte Deutschland 1933–1945, von Matthias Naumann, Berlin 64 Wolfram Stender, Guido Follert, Mihri Özdogan (Hrsg.): Bd. 2: Deutsches Reich 1938–August 1939 Konstellationen des Antisemitismus. Antisemitismus- von Jörg Osterloh, Fritz Bauer Institut 91 Daniela Bode-Jarsumbeck: Die literarischen forschung und sozialpädagogische Praxis Reportagen Hanna Kralls. Gedächtnis an die von Stephan Bundschuh, Düsseldorf 76 Christian Hartmann, Johannes Hürter, Peter Lieb, ostjüdische Lebenswelt und die Shoah Dieter Pohl: Der deutsche Krieg im Osten 1941–1944. von Karol Sauerland, Warschau 65 Astrid Messerschmidt: Weltbilder und Selbstbilder. Facetten einer Grenzüberschreitung Ulrike Jureit / Christian Schneider Bildungsprozesse im Umgang mit Globalisierung, von Christian Streit, Heidelberg 92 Manfred Gerstenfeld (Ed.): The Abuse of Holocaust Gefühlte Opfer Migration und Zeitgeschichte Memory. Distortions and Responses Illusionen der Vergangenheitsbewältigung 253 Seiten, € 21,95 (D) von Christian Geißler, Berlin 78 José Brunner, Shai Lavi (Hrsg.): Juden und Muslime in von Elisabeth Kübler, London Deutschland. Recht, Religion, Identität Seit Jahrzehnten empfinden sich die Deutschen als 66 Viola B. Georgi, Rainer Ohliger (Hrsg.): Crossover von Wolfgang Geiger, Pädagogisches Zentrum Frankfurt 94 Iris Wachsmuth: NS-Vergangenheit in Ost und West. gefühlte Opfer und vertrauen seit der Rede Richard von Geschichte. Historisches Bewusstsein Jugendlicher in der Tradierungsweisen in drei Generationen Einwanderungsgesellschaft 79 Robert S. Wistrich: A Lethal Obsession. Anti-Semitism von Constanze Jaiser, Berlin Weizsäckers 1985 dem Versprechen, Erinnerung führe von Manfred Levy, Pädagogisches Zentrum Frankfurt from Antiquity to the Global Jihad zu »Erlösung«. Diese Erinnerungsmoral untersuchen von Mathias Schütz, Bonn 95 Catrin Corell: Der Holocaust als Herausforderung Ulrike Jureit und Christian Schneider historisch, 68 Franziska Ehricht, Elke Gryglewski: GeschichteN teilen. für den Film. Formen des fi lmischen Umgangs mit geistesgeschichtlich und psychoanalytisch. Ihr Fazit: Dokumentenkoffer für eine interkulturelle Pädagogik zum 80 Tom Segev: Simon Wiesenthal. Die Biographie der Shoah seit 1945. Eine Wirkungstypologie Eine vollkommene »Vergangenheitsbewältigung» bleibt Nationalsozialismus von Willi Winkler, Hamburg von Ingolf Seidel, Berlin von Ingolf Seidel, Berlin eine Illusion. 81 Frank Caestecker, Bob Moore: Refugees from Nazi 96 Yoav Shamir: DEFAMATION 69 Ludi Boeken: UNTER BAUERN. RETTER IN DER NACHT and the Liberal European States von Michael Elm, Beer-Sheva, Israel Marga Spiegel: Retter in der Nacht. Wie eine jüdische von Anne Klein, Köln Familie in einem münsterländischen Versteck überlebte Marga Spiegel: Bauern als Retter. Wie eine jüdische 83 Andreas Engwert, Susanne Kill (Hrsg.): Sonderzüge in Familie überlebte den Tod. Die Deportationen mit der Deutschen Reichsbahn. von Monica Kingreen, Pädagogisches Zentrum Frankfurt Eine Dokumentation der Deutschen Bahn AG

62 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 63 Antisemitismus: Aktuelle Diagnosen Typus vielfältig sei. Dantschke entwickelt in ihrem knappen Text die Wir und die Anderen – ihren Einstellungen und/oder ihrem Verhalten stellt diese Gruppe ein und pädagogische Ansätze These, dass unter Muslimen kein religiöser, sondern ein politischer, Wie das »Verstrickt-Sein« Bildungs- Problem dar. Deshalb muss diese Gruppe beforscht und aufgeklärt, islamistischer Antisemitismus anzutreffen sei. Dieser sei, so Michael prozesse über den Nationasozialismus umerzogen und angepasst werden. Dies geschieht zum Beispiel Kiefer und Klaus Holz, in muslimischen Ländern »in allen wesentli- mittels historischen Lernens in der Schule, durch Aufklärungskam- chen Aspekten ein Import aus Europa« (S. 109). Den Reimport dieser in der Einwanderungsgesellschaft prägt pagnen in der Öffentlichkeit, die Arbeit staatlich alimentierter NGOs Wolfram Stender, Guido Follert, Ideologie nach Europa schreiben sie insbesondere den Medien zu. oder in den Vorbereitungskursen auf (die mit Geschichtsfragen ver- Mihri Özdogan (Hrsg.) Der zweite Teil widmet sich der pädagogischen Bildungsarbeit sehenen) Einbürgerungstests. Konstellationen des Antisemitismus. in Auseinandersetzung mit aktuellen antisemitischen Formen unter Über die Gruppe der weißen, mehrheitlich christlichen oder Antisemitismusforschung und Jugendlichen. Zentrale Problemfelder sind die Thematisierung des Nah- Astrid Messerschmidt atheistischen Deutschen wird dabei nichts gesagt und trotzdem eine sozialpädagogische Praxis ostkonfl ikts und die Rolle der PädagogInnen. Bariel Fréville, Susanna Weltbilder und Selbstbilder. Bildungs- Menge festgestellt. Dieser Gruppe wird zugeschrieben, sie habe aus Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen- Harms und Serhat Karakayali folgern aus Umfragen in Jugendclubs und prozesse im Umgang mit Globalisierung, den Verbrechen im Nationalsozialismus gelernt – sie sei refl ektiert, schaften, 2010, 288 S., € 34,95 Migranten-Organisationen, dass der Nahostkonfl ikt »den wichtigsten Migration und Zeitgeschichte verantwortungsbewusst und aufgeklärt. Holocaust und National- thematischen Kontext für antisemitische Äußerungen der Jugendli- Frankfurt am Main: Brandes & Apsel, sozialismus werden so – ungewollt – zu Themen, mit denen der Dieses Buch dokumentiert die sich zunehmend chen« (S. 189) darstellt. Diesem Urteil schließt sich Mirko Niehoff in 2009, 280 S., € 29,90 Geschichtsunterricht eine Restauration nationaler Identität betreibt. differenzierende Forschung zu aktuellen anti- seiner Studie über Antisemitismus »im globalisierten Klassenzimmer« Dass sich im aktuellen erinnerungspolitischen Selbstbild der semitischen Erscheinungsformen im soziologischen und pädagogischen (S. 243) an und erläutert Möglichkeiten der Irritation antisemitischer Die Erziehungswissenschaftlerin Astrid Mes- weißen Deutschen – zivilisiert und aufgeklärt – das koloniale Selbst- Feld. Die meisten Autoren stimmen darin überein, dass wir es nicht mit Positionen mittels einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Nahost- serschmidt hat bildungstheoretische Überle- bild wiederholt, ist nicht zufällig. Bleibt doch die Geschichte der einem »neuen« Antisemitismus zu tun haben, sondern mit neuen Er- konfl ikt. Dies setzt allerdings refl ektierte PädagogInnen voraus. Heike gungen vorgelegt, die sich mit den Voraussetzungen des historischen Kolonialverbrechen in Deutschland weiterhin zumeist unrefl ektiert, scheinungsformen einer ihrer ideologischen Struktur nach zumindest seit Radvan beobachtete bei Mitarbeitenden in der offenen Jugendarbeit Lernens zum Nationalsozialismus in der Einwanderungsgesellschaft was das Weiterleben kolonialrassistischer Bilder von den Fremden dem 19. Jahrhundert konstanten antisemitischen Themensammlung. Jede drei Typen von Umgangsweisen mit jugendlichem Antisemitismus. der Bundesrepublik beschäftigen. In einer gegenstandsüberschrei- im aktuellen Rassismus ermöglicht. Offener Antisemitismus gilt in Variante aber, so Wolfram Stender in seiner Einleitung, müsse in ihrer Während die stereotypisierende Beobachtungsform durch Ausblen- tenden Perspektive nimmt sie dabei sowohl Bildungsprozesse in den Deutschland als illegitim – rassistische Formulierungen über soge- spezifi schen Genese erforscht werden. Zentrale Theoreme seiner Anti- dung des jugendlichen Gegenübers und die immanente durch zu großes Blick, die Zeitgeschichte thematisieren, als auch solche, die sich den nannte Ausländer, die »uns nutzen oder ausnützen«, sind es nicht. Für semitismus-Interpretation sind: Adornos Diktum vom Antisemitismus Verständnis gegenüber antisemitischen Äußerungen scheitern würden, Themen Migration und globale Gerechtigkeit nähern. Messerschmidt als »Gerücht über die Juden« zur Beschreibung des Alltagsglaubens von ermögliche die rekonstruktive Beobachtungsform, »alltagsweltliches beschreibt Gemeinsamkeiten dieser Felder auf der Ebene der gesell- Nichtjuden über Juden; die nähere Bestimmung des Antisemitismus nach Erleben« (S. 173) der Jugendlichen mit ihren antisemitischen Auffas- schaftlichen Funktion ihrer pädagogischen Formen. Sowohl Einwan- Auschwitz als eines sekundären Antisemitismus ohne Juden und ohne sungen zu kontrastieren. Guido Follert und Wolfram Stender stellen in derungsgesellschaft bzw. Migration und Globalisierung als auch die Antisemiten, der heute mit primär antisemitischen Argumentationen einer Auswertung von Schulinterviews Unterschiede in der Wahrneh- Erinnerung an den Nationalsozialismus werden durch pädagogische und israelfeindlichen Positionen angereichert und dadurch modifi ziert mung von Antisemitismus zwischen Lehrern und Schulsozialarbeitern Formate nicht nur vermittelt. Die Vermittlung gestaltet die Felder Geschichte verstehen wird; die Erläuterung der antisemitischen Konstruktion des Judentums einerseits sowie Schülern andererseits fest und konstatieren, »dass wir auch, »sie ist beteiligt an den Wahrnehmungen von Migration und Mit thematischen Unterrichtseinheiten als grundsätzlichen Widerspruch zum modernen Ordnungssystem unter den Darstellungen der Experten und Expertinnen aus der pädagogischen MigrantInnen sowie an den gesellschaftlichen Platzzuweisungen, Rekurs auf die von Klaus Holz explizierte Figur des Dritten. Praxis misstrauen sollten, wenn es um Antisemitismus geht. Sie sind die daraus erfolgen; und sie trägt bei zu zeitgeschichtlich bedingten Die im ersten Teil der Publikation versammelten Aufsätze folgen Teil des Problems«. (S. 222) Dieser Diagnose schließen sich David Welt- und Selbstbildern« (S. 9). Mit dieser Gestaltung einher geht mit ihren theoretischen Ansätzen zur Erklärung von Antisemitismus Begrich und Jan Raabe in ihrer Studie über Antisemitismus in rechts- die Verstrickung der Lernenden und Lehrenden in die Einwande- Standardbasiert und und seinen gegenwärtigen Erscheinungsformen Stenders theoretischer extremen jugendkulturellen Szenen an, indem sie schildern, wie Lehrer rungsgesellschaft und ihre Erinnerungskultur(en). Niemand kann kompetenzorientiert: Skizze. Während Rolf Pohl den Antisemitismus als Massenpsychose bei der Interpretation von Rechtsrock-Songs den antikapitalistischen sich diesen Themen widmen, ohne dass die eigene soziale Position Lehrmaterial, das diagnostiziert, die für die antisemitischen Individuen eine norma- Parolen zustimmen, aber die darin enthaltenen antisemitischen Codes als (Nicht-)Weiße, (Nicht-)Deutscher, (Nicht-)Staatsbürgerin, Teil Geschichte intensiv lisierende Funktion habe, untersucht Jan Weyand die intrinsische nicht entziffern können. Abschließend entwickeln Michal Kümper und der ersten, zweiten oder dritten Nachkriegsgeneration etc. diese und einprägsam vermittelt. Verbindung der antisemitischen Semantik mit der Struktur moderner Susanna Harms einen pädagogischen Handlungsleitfaden für jüdisch- Annäherung prägen würde. Mit dem Lernen über Zeitgeschichte,

Gesellschaften und zieht den Schluss, dass »der moderne Antise- nichtjüdische Begegnungen zum Abbau von Vorurteilen. Migration und Globalisierung werden also Bildungsprozesse in Der Nationalsozialismus mitismus wenigstens als Semantik bestehen bleibt, solange sich die Für einen Einblick in den aktuellen Stand der Diskussion bietet den Blick genommen »in denen keine Distanz zu ihrem Gegenstand Handreichungen für den gesellschaftliche Struktur nicht fundamental verändert« (S. 86). Die diese Aufsatzsammlung eine gute Mischung aus bestätigtem Wissen vorausgesetzt werden kann« (S. 9). Unterricht mit Kopiervorlagen aktuelle Diskussion über antisemitische Tendenzen in migrantischen und neuen Forschungsfragen, Kenner der Materie werden einige neue Konsequenterweise zeichnet die Autorin nach, was sich aus den 978-3-06-065122-1 2 7 14,95 € bzw. muslimischen Communities in Deutschland greifen Astrid Forschungsansätze und erste Systematisierungen der Diskussion fi nden. Positionierungen von Lehrenden und Lernenden in Macht- und Herr- Weitere Informationen fi nden Sie unter www.cornelsen.de Messerschmidt, Claudia Dantschke und Nikola Tietze auf. Wäh- Die Publikation zeigt aber auch, dass die interdisziplinäre Verzahnung schaftsstrukturen ergibt. Im Fokus stehen Prozesse des Othering – Willkommen in der Welt des Lernens rend Messerschmidt für eine »antisemitismuskritische Perspektive« von soziologischer und pädagogischer Forschung sowie ihre Refl exion der Konstruktion einer Wir-Gruppe, der die Anderen entgegengestellt (S. 106) plädiert, bei der sich alle Akteure bewusst sind, selbst in anti- in der pädagogischen Praxis bei diesem Thema noch am Anfang stehen. werden. Sie lassen sich zum Beispiel an der aktuell hoch im Kurs semitische Diskurse verstrickt zu sein, entwickelt Tietze sechs Typen stehenden Beschäftigung mit dem Antisemitismus bei muslimischen von Zugehörigkeitskonstruktionen unter Muslimen bzw. Palästinen- Stephan Bundschuh Jugendlichen nachvollziehen. Diese enthält folgende Setzungen: Es sern, deren Thematisierung von Juden und Israel mit Ausnahme eines Düsseldorf gibt eine über das Merkmal »Religion« defi nierbare Gruppe. Mit

64 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 65 eine pädagogisch wirksame Rassismusanalyse, so Messerschmidt, Geschichtsarbeit mit jungen Migranten den Erfahrungen junger Migranten mit der NS-Geschichte und dem für die zukünftige Vermittlung der Themen Shoa, Nahostkonfl ikt und ist deshalb die Betrachtung völkisch-rassistischer Kolonialpolitik Holocaust dar. Antisemitismus bei SchülerInnen arabisch-palästinensischer Herkunft. unabdingbar. Das führt auch zu Fragen der Nachgeschichte des Na- Im zweiten Teil kommen junge Menschen mit Migrationshinter- Eine wichtige Voraussetzung zum adäquaten Umgang damit ist, dass tionalsozialismus, zum Beispiel weil antisemitische Motive, wie das grund zu Worte. Sergey Lagondinsky, Basil Kerski und vier Preisträ- Lehrkräfte mit der Lebenssituation der Jugendlichen vertraut sind. Die- des Gegensatzes von auf ehrliche Weise akkumuliertem deutschen Viola B. Georgi, Rainer Ohliger (Hrsg.) ger des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten erzählen und se pädagogisch oder didaktisch gesehen nicht gerade neue Erkenntnis Kapital vs. auf Kosten anderer erworbenem jüdischen Kapital, die Crossover Geschichte. Historisches refl ektieren ihre Biografi en, eingebettet in die jeweiligen politischen, bekommt aber vor dem Hintergrund einer Einwanderungsgesellschaft, Funktion haben können, die Wahrnehmung deutscher Kolonialver- Bewusstsein Jugendlicher in der historischen und kulturellen Hintergründe und Sozialisationen: Die We- wie sie in Deutschland besteht, eine neue Dimension. Die Autorin Elke brechen abzuwehren. Einwanderungsgesellschaft ge einer jüdischen Familie nach und in Deutschland; der Lebensweg Gryglewski hält es daher für sehr wichtig, den Jugendlichen ein positi- Astrid Messerschmidts »Suchbewegungen« nach den Voraus- Hamburg: edition Körber Stiftung, 2009, eines Sohnes mit polnischer Mutter und irakischem Vater im Kontext ves Selbstbewusstsein bezüglich ihrer eigenen Kultur und Sprache zu setzungen und Möglichkeiten einer kritischen Bildungspraxis sind 253 S., € 16,– deutscher Geschichte. In allen Beiträgen werden zentrale Fragen der vermitteln. Dies ist nicht nur eine Aufgabe von Erziehungsinstitutio- für alle diejenigen Pädagoginnen und Pädagogen hilfreich, die ein eigenen Geschichte im Zusammenhang mit der deutschen Geschichte nen, sondern richtet sich an die Mehrheitsgesellschaft. Erst dann, das möglichst inklusives und identitätskritisches historisches Lernen Ein Begriff hat sich in unserem Alltag etabliert: und besonders dem Nationalsozialismus erörtert und bewertet. Migrati- hat das Projekt gezeigt, entsteht die Grundlage für einen Dialog, der ermöglichen wollen. Dabei bietet sie keinen Leitfaden für die Ge- Crossover. Gemeint ist die Verschmelzung onserfahrungen, Integration, kulturelle und nationale Identität, all diese kulturelle und politische Empathie entwickelt und Feindbilder abbaut. staltung von Unterricht oder Seminaren, sondern behandelt die auf- oder Vermischung verschiedener Elemente zu einem Neuen – bekannt zentralen Aspekte werden durch persönliche Erfahrungen und sensible Crossover Geschichte ist eine wertvolle Sammlung von Einzel- geworfenen Fragen differenziert, ohne abschließende Antworten zu aus den Bereichen Medien, Musik, Essen oder Computer. Jedoch Cross- Wahrnehmungen von individueller Realität anschaulich dargestellt. In- beiträgen über Geschichtsverständnis und dessen Rolle bei der Identi- geben. Deutlich wird ihre Sympathie für eine Suche, die nicht im over in der Geschichte? Was vermischt sich, was kommt dabei heraus? wieweit die Biografi en repräsentativ für die verschiedenen Einwanderer- tätsbildung – ein Thema, das unsere Einwanderungsgesellschaft wohl »Besser-Wissen« oder in festgelegten Zielbestimmungen mündet. In der Einwanderungsgesellschaft bestimmt Vielfalt unser Zu- gruppen sind, müssen weitere empirische Untersuchungen feststellen. auch in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Darüber hinaus fi nden Sie fordert dazu auf, die Legitimität des eigenen Sprechens und sammenleben und wirkt sich immer stärker auf unseren Umgang Der dritte Teil enthält Beiträge aus der Praxis der Geschichtsver- sich viele interessante biografi sche Beiträge, die sicherlich ein wich- Handelns infrage zu stellen, immer wieder danach zu fragen, wer mit Geschichte aus. Die Gesellschaft teilt nicht die eine nationale mittlung an ganz unterschiedlichen Lernorten: Ufuk Topkara schildert tiger Baustein der interkulturellen Geschichtsvermittlung sein wird. mit wem aus welcher Position wie über wen bzw. was spricht. Dies Erinnerung, sondern beruft sich – je nach Herkunft – auf unter- seine Erfahrungen als erster türkischsprachiger, muslimischer Führer im fordert die Lesenden – in einem produktiven Sinne. schiedliche Geschichtsbilder, die miteinander in Beziehung treten, Jüdischen Museum Berlin; Martin Liepach aus Frankfurt beschreibt ein Manfred Levy Für die Refl exion des eigenen pädagogischen Handelns bietet sich verändern und neue Verbindungen eingehen können. Wie ver- Schulprojekt zum Thema Migration und Stadtgeschichte, bei dem mehrere Pädagogisches Zentrum Frankfurt der Band eine Vielzahl von Anregungen, welche die Autorin überzeu- ändert Migration die Ausprägung des historischen Bewusstseins der Museen kooperierten und das ein beispielhaftes Modell für interkulturelles gend mit bildungstheoretischen Bezügen auf die Kritische Theorie Jugend? Wie lässt sich Geschichte an Jugendliche unterschiedlicher Lernen ist. Gottfried Kößler vom Frankfurter Fritz Bauer Institut stellt das Theodor W. Adornos sowie die kritische Bildungstheorie Gernot Herkunft vermitteln? Der Sammelband Crossover Geschichte bietet Projekt »Konfrontationen: Bausteine für die pädagogische Annäherung Koneffkes und Heinz-Joachim Heydorns begründet. Astrid Mes- Befunde und Analysen zur Geschichtsarbeit in der Einwanderungs- an Geschichte und Wirkung des Holocaust« vor. Dieses Konzept lässt serschmidt plädiert für eine stetige Beunruhigung – über (nationale gesellschaft, stellt praktische Erfahrungen aus der Gedenkstätten- sich sowohl in der schulischen als auch in der außerschulischen Bildung Christlich-jüdischer Dialog und globale) gesellschaftliche Verhältnisse einerseits und die eigene und Museumspädagogik vor und lässt Jugendliche mit Migrations- umsetzen. Ein reichhaltiger Materialpool, Beratungs- und Fortbildungs- Medien - Materialien - Informationen Verortung in diesen Verhältnissen sowie den eigenen Anteil an deren hintergrund zu Worte kommen, die der Bedeutung von Geschichte angebote in Schulen und Gedenkstätten machen das Konzept zu einem ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis Aufrechterhaltung andererseits. Eine kritische Bildungsarbeit kann und historischer Erinnerung aus ihrer Perspektive nachgehen. wichtigen Modul bei der Vermittlung des Themas Holocaust. für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau www.ImDialog.org Lernenden diese Beunruhigung als Beitrag zur Selbstaufklärung Der Sammelband gliedert sich in drei Teile: »theoretische Zu- Die abschließenden Beiträge stammen von Karoline Georg, Mirko anbieten. Sie darf sich jedoch nicht der Illusion hingeben, damit gänge«, einen biografi schen Teil, in dem Menschen mit Migrati- Niehoff und Ayacan Demirel von der Kreuzberger Initiative gegen Anti- geradewegs zu Mündigkeit und Befreiung zu verhelfen. Trägt doch onshintergrund zu Worte kommen, und Praxiserfahrungen aus der semitismus (KigA), die seit mehreren Jahren in der offenen Jugendarbeit BlickPunkt.e pädagogisches Handeln immer auch zur Unterwerfung unter gesell- Geschichtsarbeit mit jungen Migranten. In 14 Beiträgen beschrei- aktiv ist, vor allem in Schulen zu den Themenfeldern Antisemitismus, MATERIALIEN ZU CHRISTENTUM, JUDENTUM, ISRAEL UND NAHOST schaftliche Verhältnisse bei. Messerschmidt verweist damit auf den ben Autoren aus verschiedenen Arbeitsfeldern wie Museums- und Nahostkonfl ikt und Islamismus Stellung bezieht. Dazu hat sie konkrete doppelten Widerspruch von »Befreiung und Herrschaft« sowie von Gedenkstättenpädagogik, Erziehungswissenschaft, Unterricht und Unterrichtseinheiten entwickelt, die sich vor allem an Jugendliche aus Gottesdienst in Israels Gegenwart »Gleichheit und Herrschaft«, welcher kritischen Bildungsprozessen Sozialarbeit ihre zum Teil sehr unterschiedlichen Erfahrungen aus Familien mit muslimisch geprägtem Migrationshintergrund richten. MATERIALHEFTE ZUR GOTTESDIENSTGESTALTUNG inhärent ist. Nicht zuletzt deshalb ist es unabdingbar, dass Lehrende der praktischen Arbeit mit Jugendlichen. Neben der konkreten Beschreibung dieser Bildungsarbeit liefert der die eigene Verstrickung kritisch thematisieren, wenn sie historische Neben der Einleitung von Bodo von Borries, der sich für in- Beitrag auch grundlegende Überlegungen zu der Problematik von An- Schriftenreihe und aktuelle Macht- und Herrschaftsverhältnisse in den Blick und terkulturelles Geschichtslernen starkmacht, und Rainer Ohligers tisemitismus. Er stellt konkrete Forderungen an die Pädagogik zum THEMEN ZU THEOLOGIE, GESCHICHTE UND POLITIK zum Lerngegenstand machen. Kritische Bildungsarbeit wird so zu Betrachtung zur multiperspektivischen Geschichtsvermittlung stellt Umgang mit Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft. einer Praxis der Verunsicherung – einer Verunsicherung über die Carlos Kölbl den Begriff »Migrationshintergrund« infrage und dis- Der abschließende Beitrag von Elke Gryglewski beschreibt ein Ausstellungen zu verleihen Legitimität des eigenen Denkens, Sprechens und Handelns sowie kutiert die Bedeutung von kollektiver Vergangenheit in einer Ein- mutiges und innovatives Geschichtsprojekt zu Shoa und Nahostkon- JÜDISCHE FESTE UND RITEN • ANTIJUDAISMUS • deren Voraussetzungen. wanderungsgesellschaft. Die erste qualitative Studie von Nevim Çil fl ikt mit 16 Jugendlichen aus dem arabischen Jugendclub Karame in HOLOCAUST UND RASSISMUS • DIE BIBEL analysiert, wie die zweite Generation der Türken die Wiederverei- Berlin-Moabit. Das Kooperationsprojekt zwischen der Gedenk- und

Christian Geißler nigung erfahren hat und sich dies auf die Zugehörigkeit zur deut- Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und dem Jugendclub ImDialog • Robert-Schneider-Str. 13a • 64289 Darmstadt Berlin schen Mehrheitsgesellschaft auswirkte. Johannes Meyer-Hamme mündete in eine gemeinsame Fahrt von zwölf Jugendlichen palästinen- Tel. 06151- 423900 • Fax 06151 - 424111 beschreibt Fallstudien über historische Identitäten und Geschichts- sischer und libanesischer Herkunft nach Israel und in die Palästinen- Email [email protected] • Internet www.imdialog.org unterricht. Viola B. Georgi stellt Ergebnisse ihrer Untersuchung zu sischen Autonomiegebiete. Das Projekt ergab wichtige Erkenntnisse

66 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 67 Ein Paket voller Geschichtsbezüge › »Hauptsache, dass jemand aus der Familie gerettet wird.« Eine Geschichte einer Rettung in Deutschland Karin wurde während des Novemberpogroms in seiner Wohnung Flucht um die halbe Welt. überfallen und misshandelt. Aus ihrer Heimatstadt Ahlen wurden Der Dokumentenkoffer GeschichteN teilen ist eine Zusammen- sie mit allen jüdischen Bürgern im Herbst 1939 vertrieben. Sie leb- stellung von Praktikerinnen für die Praxis. So wurde das Material ten in Dortmund, wo Menne Spiegel Zwangsarbeit leisten musste. Franziska Ehricht, Elke Gryglewski in Seminaren mit Schulklassen durch den Verein Miphgasch/Be- Ludi Boeken Auswanderungspläne hatten nicht realisiert werden können. GeschichteN teilen. Dokumentenkoffer gegnung e.V. sowie in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der UNTER BAUERN. RETTER IN DER NACHT Mit dem Beginn der Massendeportationen im Herbst 1941, als für eine interkulturelle Pädagogik zum Wannsee-Konferenz ausführlich angewendet und evaluiert. Die bei- Film, D 2009, 97 Min. auch Verwandte verschleppt wurden, begann Spiegel zu überlegen, Nationalsozialismus den Autorinnen sind langjährige Mitarbeiterinnen in den jeweiligen Regie: Ludi Boeken, DVD € 12,99 der Aufforderung der zur »Evakuierung nach dem Osten« Berlin: Gedenk- und Bildungsstätte Haus Institutionen, die das Projekt als Kooperation und in Verantwortung nicht zu folgen. Befreundete und ihm vertraute katholische Bauern, der Wannsee-Konferenz, 2009, € 20,– von Miphgasch/Begegnung e.V. durchgeführt haben. Finanziert wur- Marga Spiegel die im südlichen Münsterland seine Handelspartner gewesen waren, de die Publikation durch die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung Retter in der Nacht. fragte er, ob sie ihn, wenn es so weit sein sollte, unterstützen würden. Die Materialsammlung GeschichteN teilen und Zukunft«. Wie eine jüdische Familie in einem Nach vielen Absagen sagten die Bäuerin Aschoff und der Bauer bietet Archivmaterial und didaktische An- Die hier vorgestellte Veröffentlichung ist gleichermaßen ge- münsterländischen Versteck überlebte Pentrup zu, ihn bzw. seine Frau und seine Tochter zu beherbergen. regungen zum Nationalsozialismus in einer Perspektive, die den eignet für die außerschulische, historisch-politische Bildung wie Hrsg. und komm. von Diethard Aschoff Der Bauer Pentrup hatte von den Morden an Juden im Osten gehört. heutigen Gegebenheiten eines multikulturell zusammengesetzten auch für den Schul- und Projektunterricht. Vielleicht mögen man- Berlin: LIT-Verlag, 2009, 5. Aufl . [1999], Ende Februar 1943 beschloss Menne Spiegel, der Aufforderung Klassenzimmers gerecht werden will. Die Publikation macht es che Lehrkräfte ein ausgearbeitetes Curriculum oder vorgefertigte 218 S., € 16,80 zur angeblichen Prüfung seiner Papiere nicht zu folgen. Ehefrau Marga sich zum Anliegen, die unterschiedlichen Geschichtsbezüge der Arbeitsblätter mit Fragestellungen vermissen. Für einen auf den und die Tochter begaben sich zur Familie Aschoff und lebten unter ei- Schülerschaft zu berücksichtigen. Dies folgt einer »Pädagogik der Kompetenzerwerb ausgerichteten Unterricht mit Schülerinnen und Marga Spiegel ner nichtjüdischen Identität auf dem Hof. Die fünfjährige Tochter Karin Anerkennung«, welche von den beiden Autorinnen Franziska Ehricht Schülern unterschiedlichster Lernniveaus ab Klassenstufe 9 sind Bauern als Retter. war wochenlang von ihrem Vater auf die neue Identität und die neue und Elke Gryglewski im Hinblick auf das globalisierte Klassenzim- jedoch gerade die allgemeinen didaktischen Anregungen und Vor- Wie eine jüdische Familie überlebte Familiengeschichte trainiert worden. Ihre Eltern erfanden schützende mer in einer Einwanderungsgesellschaft gefordert wird. schläge sinnvoll. Die Anregungen zur Gruppenarbeit sind hilfreich: Mit einem Vorwort von Veronica Ferres Geschichten für sie, um den Verbleib des Vaters erklären zu können. Die Sammlung umfasst eine Handreichung für Pädagoginnen Die Hinweise auf Bezugnahmen zu den Lebenserfahrungen von Berlin: LIT-Verlag, 2009, 177 S., € 19,90 Menne Spiegel konnte sich bei Bauer Pentrup verstecken. Er lebte und Pädagogen, eine CD mit ergänzenden Materialien (Abschriften Jugendlichen oder zum Umgang mit NS-Terminologie bieten den in einer Dachkammer, wurde »auf Klopfzeichen« mit Lebensmitteln von Dokumenten, Plakate, Zeitungsartikel und andere Quellen), eine Anwenderinnen und Anwendern Möglichkeiten zur Refl exion des versorgt und konnte sich nur im Dunkeln herauswagen. Wegen diverser interaktive Weltkarte mit Informationen zur Situation und Stellung eigenen pädagogischen Handelns an. Das Material will einen allge- Einem Millionenpublikum wurde im Herbst Gefährdungen waren sowohl Menne als auch Marga und die Tochter der Staaten der Welt im Zweiten Weltkrieg, verschiedene Landkarten meinen Unterricht zur Ereignisgeschichte des Nationalsozialismus 2009 die dramatische Rettungsgeschich- des Öfteren gezwungen, ihren Unterschlupf zu verlassen und neue (Besatzung in Osteuropa, Lage von Ghettos, jüdische Bevölkerung nicht ersetzen. Es will allerdings Bezüge für Jugendliche schaffen, te der jüdischen Familie Spiegel bei der hilfsbereite Menschen zu fi nden. So waren insgesamt fünf Ehepaare etc.), vier Audiodokumente und Handreichungen (Literatur, Glossar). deren Eltern nicht die mehrheitsdeutschen Verstrickungen in die Fernseh-Show »Wetten dass …« und auch beteiligt. Nach vielen Glücksfällen gelang es der Familie Spiegel, Das Kernstück bilden zehn thematische Mappen mit Dokumenten Geschichte teilen und dafür andere Blickwinkel einbringen. Dieses von Reinhold Beckmann in seiner Talkshow Ostern 1945 die Befreiung zu erleben. Die drei waren die einzigen und Materialien zu folgenden Themen: Vorhaben ist mehr als nur gut gelungen. bewegend präsentiert. Die eindrucksvolle Überlebenden ihrer großen Familien, 37 ihrer Angehörigen wurden › »Seit Monaten hat unsere gut deutsche Stadt einen orientalischen Mit 20 Euro (plus Versandkosten) ist der Anschaffungspreis sehr 97-jährige Marga Spiegel berichtete in diesen im Holocaust ermordet. Nach Kriegsende zog die Familie wieder nach Einschlag bekommen.« Rassenideologie im NS. niedrig. Es ist zu hoffen, dass die herausgebenden Institutionen das Sendungen über ihre Rettung und die ihres Mannes und ihrer Tochter. Ahlen, wo Menne Spiegel seinen Pferdehandel wieder aufbaute. › »Der deutsche Staatsangehörige A. A. ist unfruchtbar zu machen.« Feld der interkulturellen Pädagogik zum Nationalsozialismus wei- Fünf katholische Bauernfamilien im Münsterland hatten in den letzten 1965 hatte Marga Spiegel ihre Erinnerungen an die Verfolgung Die Zwangssterilisation der Rheinlandkinder. terverfolgen und zudem in die Lage versetzt werden, Fortbildungen beiden Kriegsjahren die Rettung dieser drei Menschen vor Verschlep- ab 1938 und an die Rettung ihrer Familie niedergeschrieben zur › »Der Zeitpunkt seiner Entlassung ist unbestimmt.« B. Mohamed in diesem Bereich anzubieten. pung und Ermordung mit Gefahren und Hindernissen bewerkstelligen Veröffentlichung in mehreren Folgen der Zeitschrift des Bistums Husen – Leben als Schwarzer im NS-Staat. Der Dokumentenkoffer GeschichteN teilen kann über die Gedenk- können. Die Schauspielerin Veronica Ferres trat an der Seite von Münster. Ihren Rettern und all deren Helfern setzte sie damit ein › »Türkische Regierung hat Interesse an Zurückziehung von nur und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz bezogen werden: Marga Spiegel auf. Sie spielt die bedrohte Marga Spiegel in dem zu würdigendes Denkmal. Zuvor hatte Marga sich bereits an die is- 9 Juden …« Türkische Juden und der Holocaust. Am Großen Wannsee 56–58, 14109 Berlin, [email protected], dieser Zeit gerade in den Kinos anlaufenden Film UNTER BAUERN. Die raelische Gedenkstätte Yad Vashem gewandt, damit ihre Retter als › »Arbeitsfähige männliche Juden zu Arbeitsbataillonen zusam- www.ghwk.de; Miphgasch/Begegnung e.V.: www.miphgasch.de rein äußerliche Ähnlichkeit der beiden Frauen war auffällig. »Gerechte unter den Völkern« geehrt werden könnten: »Die Bauern mengefasst.« Die Juden Tunesiens unter deutscher Besatzung. Zur Geschichte der Rettung der Familie Spiegel: Der Pferde- haben allesamt ihr Leben riskiert, hatten 7 bzw. 8 Kinder … weil › »Ich weiß, dass er persönlich für die Rettung meiner Familie ver- Ingolf Seidel händler »Menne« Siegmund Spiegel – aus einer alteingesessenen sie von der guten Sache überzeugt waren und fest daran glaubten, antwortlich ist.« Selahattin Ülkümen und die Rettung türkischer Berlin westfälisch-jüdischen Familie stammend – und seine Frau Marga dass ein solcher Unrechtsstaat nicht bestehen bleiben könne.« Fünf Juden auf der Insel Rhodos. hatten kurz nach ihrer Hochzeit durch die nationalsozialistische Bauernehepaare wurden ausgezeichnet. › »Ein Araber, der Juden rettet.« Khaled Abdelwahhab und die Verfolgung ihre Existenz im westfälischen Ahlen verloren. Marga Der Röderberg-Verlag veröffentlichte Marga Spiegels Text Rettung einer jüdischen Familie in Tunesien. stammte aus dem nordhessischen Oberaula. Dort war die Existenz 1969/1987 mit Textänderungen. 1999 konnte im LIT-Verlag eine › »Wir Muslime in Israel sind sehr stolz auf Sie.« Muslimische ihrer Eltern bereits systematisch vernichtet worden, ihre Mutter erweiterte Ausgabe von Marga Spiegels Text unter dem Titel Retter in Helfer in Sarajewo. war 1937 aus Verzweifl ung gestorben, und der Vater wurde im Juni der Nacht erscheinen. Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugendjahre › »Die Truppe hielt sich mehrere Stunden in dem Ort auf, ohne dass 1938 bei der »Aktion Arbeitsscheu Reich« erfasst und im KZ Sach- in Hessen ergänzen ihren früheren Text, der nun von Diethard Aschoff Feindeinwirkung erfolgte.« Das Massaker von Distomo/Griechenland. senhausen ermordet. Das junge Ehepaar Spiegel mit der Tochter von der Universität Münster wissenschaftlich kommentiert und auch

68 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 69 in der »Erstversion« gedruckt wurde. Die Änderungen in den Aus- Akteure deutlich werden lässt. Im Abspann treten auch die wirkliche eines, in dem explizit rassenideologische Items auftauchen. In den in der Forderung nach einer »angewandten Biologie« eine »gewisse gaben des Röderberg-Verlags sind im Anmerkungsapparat kenntlich Marga Spiegel und die Tochter des Retterehepaares, Anni Aschoff, meisten Geschichtsbüchern nach 1933 ist dies jedoch nicht der Fall, Kontinuität zu vorangegangenen schulischen Epochen« und ordnet gemacht und geben hin und wieder Anlass zum Schmunzeln, wenn auf und lenken den Blick des Zuschauers als Authentifi zierung auf obwohl Geschichte neben der als Grundlagenfach verstandenen »die nationalsozialistischen Schulerlasse« in »ein Kontinuum deut- etwa Marga Spiegels Hinweise religiöser Art oder auf Goethe und die beiden alten Damen. Im Begleitmaterial befi nden sich noch wei- Biologie das wichtigste Fach zur Verbreitung des Antisemitismus scher Schulgeschichte« ein, das sich durch »Gesinnungsbildung Heine weggelassen wurden. Auch zeitliche Einordnungen werden tere Szenen dieses Zusammentreffens. Neben den Interviews mit in Schulen darstellte. Nicht von ungefähr geschah dies jedoch auf durch Unterricht« auszeichne (S. 99). zurechtgerückt. Er gibt Erläuterungen zu den im Text genannten Schauspielern und dem Regisseur Ludi Boeken wünschte man sich einer breiteren propagandistischen Basis, von einer politischen Ideo- Die detaillierte statistische Durchforstung der Lehrwerke, Kern- Personen und deren Schicksal und nennt spätere Aussagen der Retter. ein längeres Gespräch der beiden alten Freundinnen Marga Spiegel logie mit den klassischen Verschwörungstheorien (»Weltherrschafts- punkt der durch verschachtelte Vorüberlegungen und Einleitungen Diethard Aschoffs kommentierte Ausgabe nimmt auch noch und Anni Aschoff zur Bedeutung, die der Film für sie hat. UNTER streben«, »Unterwanderung«) über einen kulturalistischen Diskurs aller Art zu kurz gekommenen Schulbuchanalyse, liefert einen Ein- »Nachgedanken« auf als spätere Refl exionen von Marga Spiegel, eben- BAUERN ist ein berührender, gelungener Film, der dem unprätentiösen mit etablierten Vorurteilen (»Händler- und Schachermentalität«, blick in Typen antisemitischer Items, ihre Häufi gkeit und Verbrei- so von Imo Moskowitz, der auch aus Ahlen stammt und den Holocaust Mut der Retter und den der Verfolgten deutlich werden lässt. »Geschäftemacherei«, »Profi teure, Ausbeuter«) bis zu einem all- tung, und leistet hiermit den eigentlichen Beitrag zur Forschung. Sie überlebte. Der bekannte Regisseur drängte seit vielen Jahren schon Die Lektüre der Erinnerungen von Marga Spiegel ist gerade gemeinen Fremdheitstopos, der, wie Schwerendt richtig analysiert vermittelt aber nicht den Prozess der Veränderung der Lehrbücher darauf, die Geschichte der Rettung der Familie Spiegel zu verfi lmen. nach dem Anschauen des Films bereichernd. Für eine pädagogische (vgl. S. 231), psychologisch gerade den breitesten Adressatenkreis durch die entsprechenden politischen Vorgaben seit spätestens 1935. Im Anhang fi ndet sich Material zu diversen wichtigen Themen wie: Auseinandersetzung liegen in der Kombination von Film und den ansprechen konnte. Hierzu hätten die Bücher präziser mit ihren Vorläufern vor 1933 › Hinweise zu der mehrere Jahrhunderte umfassenden Geschichte beiden Büchern vielfältige Möglichkeiten für die Diskussion der Handelt es sich hier nun aber um eine »Arbeitsteilung in der verglichen werden müssen, zumal angesichts der Lehrwerkkontinu- der Familien von Menne und Marga Spiegel im Münsterland und Themen Verfolgung und Mut zur Hilfe für Verfolgte, aber auch für Vermittlung antisemitischer Inhalte zwischen dem Biologie- und ität im Fach Geschichte, und die Epoche des NS hätte in die Phase in Hessen; die Nachgeschichte des Holocaust. Sie sei deshalb nachhaltig ins- dem Geschichtsunterricht« (S. 212), oder fehlte es an entsprechen- vor und nach 1938 unterteilt werden müssen. Zum Beispiel ist es › zur juristischen Ahndung der Ausschreitungen während des No- besondere für Projektarbeiten aller Schulstufen empfohlen. den geschichtsphilosophischen Referenzwerken in der Wissenschaft von erheblicher Bedeutung, ob Luthers Aufruf zur Verbrennung der vemberpogroms unter anderem gegen Familie Spiegel und der Ergänzend sei auch noch hingewiesen auf die anschauliche (S. 101), Grund für »eine schleppend verlaufende Produktion von Synagogen (vgl. S. 224) vor oder nach der Pogromnacht Eingang damit verbundenen Problematik; Präsentation von Barbara Greve »Marga Spiegel – geboren 1912 in eindeutig nationalsozialistischen Schulbüchern insbesondere für den in Schulbücher fand. › antisemitische Aktivitäten gegen die Familie Spiegel im Jahr 1966; Oberaula – gerettet von Bauern im Münsterland« unter: Geschichtsunterricht« (S. 235)? Waren die Geschichtsbücher aus Zur Frage nach dem spezifi sch Neuen hätte auch eine genaue- › zu den lokalen Verdrängungsleistungen in Oberaula, dem früheren http://www.hassia-judaica.de/Lebenswege/Deutsch/Spiegel_Marga/ der Weimarer Zeit bereits ausreichend nationalistisch, damit etliche re Nachforschung zu Lehrbuchautoren und Verlagen gehört, doch Heimatdorf von Marga Spiegel im Kreis Ziegenhain. index.html#seite1.html. davon immerhin bis 1939 weiterverwendet wurden (vgl. S. 102)1, lediglich zwei Ideologen, Dobers und Dittrich, treten mit ihren In diesem Kreis wählten schon 1930 weit mehr als doppelt so oder kann »das Fehlen offi zieller NS-Lehrbücher für den Geschichts- Lehrerhandreichungen in den Vordergrund, gefolgt von einem drit- viele Wähler die NSDAP wie im Reichsdurchschnitt. Die Darstel- Monica Kingreen unterricht eher als das Eingeständnis des umfassenden Scheiterns ten, Brohmer, Autor eines »Schülerheftes« (siehe unten). In diesem lung der Judenverfolgung in der örtlichen Chronik Oberaulas ana- Pädagogisches Zentrum Frankfurt einer eindeutig nationalsozialistisch orientierten Schulbuchpolitik Zusammenhang stellt sich auch die Frage danach, was eigentlich lysiert Diethard Aschoff pointiert. »Oberaula war mithin, glaubt und derjenigen Schulbuchautoren interpretiert werden, überzeugende unter »Schulbuch« zu verstehen ist, denn eingehende semantische man der Chronik, eine von der Nachwelt verkannte Hochburg des und mehrheitlich akzeptierte Lehrwerke für eine Geschichte auf Analysen liefert Schwerendt nur im Hinblick auf die genannten inneren Widerstandes gegen ein fremdes aufgezwungenes Regime.« ›rassischer Grundlage‹ zu bieten« (ebd.)? Lehrerhandreichungen sowie auf drei Publikationen, von denen man (S. 167) Er wertet sie als »geradezu schulbuchreifes Kapitel über All diese unterschiedlichen Erklärungsmuster bleiben nebenei- zwei, wie Schwerendt selbst sagt, »nur schwer einer Schulbuchsorte Vergangenheitsverdrängung und Selbstrechtfertigung« (S. 194). Von Antisemitismus in nander stehen, da die Suche nach dem »eindeutig nationalsozialis- zuordnen« kann (S. 282, vgl. S. 301), da es sich um fabrizierte lite- besonderem Wert sind in diesem Buch Fotos und Dokumente der Fa- nationalsozialistischen Schulbüchern tischen Schulbuch« ins Leere laufen muss, denn angesichts dessen, rarische Texte mit antisemitischem Inhalt handelt. Der dritte Text ist milie der Verfolgten und der Retter, auch aus der Zeit der Illegalität. dass fast alle Ingredienzen der NS-Ideologie vornazistischer Herkunft das biologisch-rassenkundliche »Schülerheft« von Brohmer, dessen Parallel zur Premiere des Kinofi lms UNTER BAUERN erschien waren, wie Schwerendt selbst in einer fünfzigseitigen Einführung Relevanz und Verbreitung in der Schule unklar ist. im Herbst 2009 Bauern als Retter als »Buch zum Film«, der erwei- zur Geschichte der Rassentheorien und des Antisemitismus erörtert, So stehen sich in der vorliegenden Untersuchung die Zielsetzung terte Text von Marga Spiegel mit sehr vielen weiteren persönlichen Matthias Schwerendt kann gar keine klare defi nitorische Eingrenzung des NS-Schulbuches der Erfassung der Gesamtheit bzw. eines repräsentativen Spektrums Fotos der Akteure und zahlreichen Fotos aus dem Film. Das Buch »Trau keinem Fuchs auf grüner Heid, gezogen werden. Und Schwerendts lange Einführung in das Grund- der damals gültigen Schulbücher und die detaillierte Untersuchung präsentiert die Arbeitsergebnisse von Schülern eines Münsteraner und keinem Jud bei seinem Eid«. problem von Rassismus und Rassentheorien generell und speziell gezielt ausgewählter, als »eindeutig nationalsozialistisch« identi- Gymnasiums. Sie wandten sich den Persönlichkeiten der Retter und Antisemitismus in nationalsozialistischen in Deutschland2 ist geradezu ein Kontrapunkt zur anschließenden fi zierter Texte gegenüber. Es ist zu hoffen, dass das vorliegende ihren Familien zu, führten Gespräche mit den Kindern und Enkeln Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien Suche nach dem nationalsozialistischen Spezifi kum, folgt der Autor Buch einen Impuls zur Schließung der genannten Lücken durch die über den »Rettermut« der Bauern. Die Persönlichkeiten der Retter Berlin: Metropol-Verlag, 2009, 392 S., doch deutlich der Kontinuitätsthese à la Goldhagen mit problemati- weitere Forschung liefert. werden so noch deutlicher in ihrer gewährten Hilfe beleuchtet. Ins- € 24,– schen, weil apodiktischen Aussagen wie der, in der wilhelminischen gesamt ist dieses Buch auch mit seiner Kombination der historischen Ära habe es eine »endemische Ausbreitung des Antisemitismus im Wolfgang Geiger und der Filmfotos eine wichtige Ergänzung zu dem anderen Band. »Welche Art und wie viel Antisemitismus öffentlichen Leben« (S. 77) gegeben. Auch konstatiert Schwerendt Pädagogisches Zentrum Frankfurt Der Film UNTER BAUERN wurde 2008 auch an Originalschau- steckten in nationalsozialistischen Schulbü- plätzen im Münsterland gedreht, Marga Spiegel konnte den Entste- chern?« (S. 97) ist eine Frage, die bislang von der Forschung relativ hungsprozess mitbegleiten. Der Film orientiert sich stark an ihren vernachlässigt wurde. Mit seiner erziehungswissenschaftlichen Dis- Aufzeichnungen aus dem Jahr 1965. Natürlich führt er als Spielfi lm sertation im Rahmen eines DFG-Forschungsprojekts ist Schwerendt 1 Hier stellt sich die Frage, ob diese Lehrwerke unverändert blieben. 2 50 Seiten allgemein zu Antisemitismus, Rassendiskurs und Nationalstaatsbil- Figuren zusammen und bündelt Handlungsstränge. Es ist ein sehr diesem offenbar zu unspektakulären Thema nachgegangen. Doch dung, weitere 100 Seiten speziell zu Deutschland und den diesbezüglichen sensibler Film gelungen, der eine klare Erzählstruktur hat und die was ist ein »nationalsozialistisches Schulbuch«? Für Schwerendt (pseudo-)wissenschaftlichen Referenzen der NS-Ideologie.

70 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 71 Pädagogisches Engagement die Werke und Handlungen anderer, vergleichbar konservativer Wis- Ein Bündnis für die Zeugenschaft von Videozeugnissen erreicht wird. Sprachwissenschaftliche, ethno- senschaftler wie Theodor Litt gegenüber. Um klarzumachen, dass logische oder psychologische Analysen der Quellen machen deutlich, ihre rassistischen und völkischen Stellungnahmen schon damals als wie konkret und vielgestaltig die Überlebenden ihre Erinnerung, aber offene und tatkräftige Stellungnahme für den NS wahrgenommen auch den Prozess ihres Erinnerns vermittelt haben. Benjamin Ortmeyer wurden, verweist er auf die zeitgenössische Rezeption durch Opfer. Daniel Baranowski (Hrsg.) Für die pädagogische Arbeit mit den »Geschichten vom Leben Mythos und Pathos statt Logos und Ethos. Um zu zeigen, dass es sich nicht um eine vorübergehende Anpassung »Ich bin die Stimme der sechs Millionen«. – umgeben vom Tod« bedeutet diese Erkenntnis eine hochgesteckte Zu den Publikationen führender Erzie- handelte, sondern dass es um Kontinuitäten in dem Werk der vier Er- Das Videoarchiv im Ort der Information Anforderung. Erzählungen in ihrer Vielschichtigkeit mit den Wahr- hungswissenschaftler in der NS-Zeit: ziehungswissenschaftler geht, stellt er eine übergreifende Darstellung Berlin: Stiftung Denkmal für die nehmungsweisen und dem Weltverständnis von Lernenden in Bezug Eduard Spranger, Herman Nohl, Erich der Werke der vier voran. Um gleichwohl deutlich zu machen, dass ermordeten Juden Europas, 2009, 246 S., zu setzen, ohne aus dem Blick zu verlieren, was Geoffrey Hartman Weniger und Peter Petersen sie im Spektrum des NS eine besondere Position einnahmen, stellt er Schutzgebühr: € 5,–; Bezug über die uns aufgibt: »Lassen Sie uns die Stimme dieser Klage, Rachels Stim- Weinheim und Basel: Beltz-Verlag, 2009, ihnen andere, unmittelbar in der NSDAP engagierte Autoren gegen- Stiftung Denkmal für die ermordeten me, respektieren, lassen Sie uns ihrer eingedenk bleiben.« (S. 26) 606 S., € 68,– über: so in einem kurzen Text über Werk und Biografi e Ernst Kriecks. Juden Europas: [email protected] Über die praktische Umsetzung der Arbeit mit dem Videoarchiv Den Kern des Buches bildet die ausführliche Darstellung und Kom- informiert der Beitrag von Daniel Baranowski und Constanze Jaiser Erich Weniger, Eduard Spranger, Herman mentierung der Artikel und Werke der vier Erziehungswissenschaftler Es sind »Geschichten vom Leben – um- in diesem Heft (S. 104 f., Zeitzeugeninterviews). Nohl und Peter Petersen waren Erziehungs- aus dem NS. Da zu allen Erziehungswissenschaftlern schon umfassende geben vom Tod«. Diese Bezeichnung für wissenschaftler. Durch ihr Werk und die akademische Stellung, die biografi sche Darstellungen vorliegen, konzentriert Ortmeyer sich auf die Zeugnisse der Überlebenden des Holocaust möchte Geoffrey Gottfried Kößler sie im Laufe der Jahre errungen haben, galten sie früh als maßgeb- die Texte und geht auf die biografi schen Zusammenhänge nur so weit Hartman verwendet wissen. Sein Beitrag zu diesem Aufsatzband, Pädagogisches Zentrum Frankfurt liche Vertreter dieser Wissenschaft. Diese Geltung entfaltete sich wie möglich ein. Dabei folgt er einmal einer chronologischen Gliede- der zugleich die Tagung zur öffentlichen Präsentation des Video- verhältnismäßig kontinuierlich; bei Petersen, Nohl und Weniger in rung, dann aber auch einer Gliederung nach Textgattungen bzw. Un- archivs der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas der Weimarer Republik, im Falle Sprangers bereits vor dem Ersten terscheidungen von veröffentlichten und nicht veröffentlichten Texten. dokumentiert, hat programmatischen Charakter. Hartman wird sei- Weltkrieg und dauerte während der Herrschaft des Nationalsozialis- Das führt auf der einen Seite zu einer Aufsplitterung der Darstellung und ner Rolle als Gründerfi gur der Archivierung von Videozeugnissen mus wie auch in der neu gegründeten Bundesrepublik fort. manchen Wiederholungen. Es bewirkt auf der anderen Seite, dass die des Holocaust gerecht und gibt die Themen und die Schlussfolge- Alle vier Pädagogen waren bereits in der Weimarer Republik deut- Texte in ihrer ganzen Breite zur Sprache kommen und sowohl positive rungen vor. Aus seinem Bericht über die Geschichte des Fortunoff sche Nationalisten. Inwieweit man sie wegen ihrer Einstellungen, Ver- wie distanzierende Bezüge zum NS in einer eingehenden Auseinan- Archive leitet er vor allem eine These ab, die sowohl politisch als öffentlichungen und Stellungnahmen in der Zeit des »Dritten Reiches« dersetzung mit möglichen anderen Beurteilungen bewertet werden. auch für die Forschung und nicht zuletzt die Pädagogik leitend auch als Nationalsozialisten bezeichnen kann, ist dagegen bis heute um- Waren diese Pädagogen nun Nationalsozialisten? Wie weit waren sein sollte: Die Zeugnisse der Überlebenden sind Ergebnis eines stritten geblieben, obwohl es viele Belege für ihr nationalsozialistisches sie es? In welcher Hinsicht? Der Hauptakzent der Äußerungen und »Bündnisses für die Zeugenschaft« (S. 19). Es sind nicht einfach ien Studienreisen in die g Engagement gibt. Dass man sie dennoch nicht als solche bezeichnen Stellungnahmen der vier Pädagogen im Sinne des NS liegt an der Berichte, keine nackten Informationen, und sie entstehen aus einer interessantere Hälfte Europas wollte, liegt nicht nur daran, dass ihre akademischen Schüler sie zu recht- Schnittstelle zwischen Militarismus und Nationalismus. Sie äußern Kooperation auf der Grundlage einer Vereinbarung. Die Zuhörer Geschichte, Politik, Literatur, Jüdisches Leben fertigen versuchten. Der wesentliche Grund ist, dass sie prominente Ver- sich im Sinne eines völkischen Nationalismus, führen die Kategorien versprechen denjenigen, die Zeugnis ablegen, dass hier die Grund- treter der zunächst deutschnational orientierten Bildungsschicht waren, des Dienens, die Bejahung von Befehl und Gehorsam in die Päda- lage der Tradierung ihres Überlebensberichtes geschaffen wird, der Armenien • Georgien • Aserbaidschan deren Bündnis mit dem Nationalsozialismus die nationalsozialistische gogik ein. Das wird ergänzt durch ein Engagement für rassistisch- Weitergabe nicht zuletzt der Trauer um die Toten des Holocaust. Rumänien • Sofia-Plovdiv • Chiúinău Herrschaft erst ermöglichte, ohne dass sich ihre Angehörigen vollständig eugenische Konzepte, durch die Idee der Aufzucht als Vorbedingung In dem Aufsatz von Joanne Weiner Rudof wird die Entwicklung Lemberg • Czernowitz • Kiew • Odessa • Krim mit dem Nationalsozialismus identifi zierten. Bei aller Begeisterung und und Ergänzung von Pädagogik. Schließlich lassen sich bei allen Pä- und Konzeption des Fortunoff Video Archive for Holocaust Tes- Galizien-Transkarpatien • Podolien-Wolhynien Königsberg-Kurische Nehrung • St. Petersburg Emphase blieben bei ihnen – in unterschiedlicher Form – Vorbehalte, dagogen antisemitische Stellungnahmen fi nden, ohne dass der Anti- timonies anschaulich dargestellt, so erhält die eher konzeptionelle • Tallinn-Tartu • Wilna-Kurische Nehrung bis hin auch zu deutlichen Stellungnahmen gegen nationalsozialistische semitismus den Kern ihrer Werke bildet. Wie weit distanzierten sie Sicht Hartmans eine praktische Basis, und die Leser(innen) können Foto: Hafen in Batumi, Geor Minsk • Krakau • Danzig • Lublin-ZamoĞü Politik, wie etwa noch 1933 bei Spranger. Die Frage, welche Bedeutung sich vom Nationalsozialismus, und wie schlug sich die Distanzierung sich eine erste Vorstellung vom Material machen, das nun auch Sarajevo-Mostar • Belgrad-Novi Sad • Israel • man dem Werk und den Tätigkeiten dieser Erziehungswissenschaftler in ihren Werken nieder? Auch hier gibt Ortmeyer ein differenziertes im Archiv des Denkmals zur Verfügung steht. Die Beiträge von New York – Osteuropäisch, Jüdisch, Literarisch heute noch beimessen will, hängt mit der Frage zusammen, welche Bild, so differenziert, dass zuweilen die Einzelheiten zu sehr gegen Gerda Klingenböck und Alexander von Plato stellen diese spezielle Haltung man zur Pädagogik im Nationalsozialismus einnimmt; auch mit die strukturelle Darstellung heraustreten. Alle üben auch Kritik am Sammlung in den Zusammenhang der Geschichte der Interviews der weiterreichenden Frage, was die enge Verbindung von deutschem Nationalsozialismus, wobei sie einen schlechten Teil als Hitlerismus mit Überlebenden der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Nationalismus und Nationalsozialismus in der NS-Zeit für nationalis- von einem guten zu unterscheiden versuchen. Die besondere Bindung Dokumentation seit 1945. tische Positionen in Deutschland heute bedeuten kann. an das »deutsche Volk« als ein übergeordnetes Prinzip halten sie auf- Die weiteren Beiträge des Bandes führen diese grundsätzliche Ortmeyers Arbeit ist bereits in ihrer Gliederung darauf angelegt, recht; das wird nicht zuletzt daran deutlich, dass sie die Maßnahmen Überlegung aus bzw. praktizieren ihre Übersetzung in wissenschaft- Katalog kostenlos von allen apologetischen Versuchen möglichst weitgehend den Weg zu der Entnazifi zierung oft als stärkeres Unrecht zu empfi nden schienen liche oder pädagogische Praxis. Beides wird von Daniel Baranowski Ex Oriente Lux Reisen verstellen: Um dem Argument, die rassistischen, antisemitischen, völ- als die im NS von Deutschen verübten Verbrechen. und Constanze Jaiser in ihren Aufsätzen hier im Folgenden präsen- Neue Grünstr. 38, 10179 Berlin Tel 030-62 90 82 05 kischen und imperialistischen Texte der Pädagogen gingen auf unbe- tiert. Fax 030-62 90 82 09 www.eol-reisen.de wusste Anpassung an den Zeitgeist zurück, von vornherein entgegen- Werner Konitzer Hervorzuheben ist die Anschaulichkeit, die durch die unter- [email protected] zutreten, stellt er den Äußerungen dieser Erziehungswissenschaftler Fritz Bauer Institut schiedlichen fachwissenschaftlichen Zugänge der Interpretationen

72 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 73 Ein Bericht aus einer deutschen Familie Waisenhaus, entging aber nach Lilo Günzlers Erinnerung durch die Radikalisierung im Vorfeld des (S. 35). Daher waren erst Ende 1938 die wichtigsten Reichsgesetze direkte Intervention des Vaters zunächst der Deportation und kam Zweiten Weltkrieges auch in Österreich in Kraft, und die Rechtsangleichung erfolgte erst zur Familie zurück. Er bleibt in der Familie. Erst seine Deportation im Frühjahr 1939. In einigen Punkten unterblieb sie freilich ganz: gemeinsam mit der Mutter am 14. Februar 1945 reißt sie auseinander. So behielt die Israelitische Kultusgemeinde Wien ihren Status einer Lilo Günzler Ein Abschiedsfoto zeigt die Familie am Abend zuvor, eine der hilf- Körperschaft öffentlichen Rechts, da sonst die Hilfsgelder ausländi- Endlich reden reichen Nachbarinnen hat es aufgenommen. Auf dem Bild ist auch Die Verfolgung und Ermordung der euro- scher jüdischer Organisationen ausgeblieben wären. Frankfurt am Main: Henrich Druck + die kleine Schwester zu sehen, die im Sommer 1944 geboren wurde. päischen Juden durch das nationalsozia- Die Gewalt gegen Juden im »Schicksalsjahr 1938« (Avraham Medien GmbH, 2009, 226 S., € 14,80 Die Kindheitserinnerungen der Erzählerin sind reich an trau- listische Deutschland 1933–1945, Bd. 2: Barkai) fand ihren Höhepunkt in den Novemberpogromen: Wenigs- matischen Situationen. Zwei sollen herausgegriffen werden, weil Deutsches Reich 1938–August 1939 tens 91 Juden wurden ermordet, 36 schwer verletzt, rund 1.000 Syna- sie die Stimmung des Berichtes deutlich machen. Bearbeitet von Susanne Heim. München: gogen in Brand gesetzt bzw. verwüstet, mehr als 7.000 Geschäfte von Nach der Deportation der Mutter und des Bruders lebt Lilo mit Oldenbourg Verlag, 2009, 864 S., € 59,80 Juden geplündert oder zerstört und mehr als 25.000 jüdische Männer Die Autorin ist ein Frankfurter Kind, gebo- dem Vater allein in einer Wohnung. Als der Vater zum Volkssturm in die Konzentrationslager verschleppt, wo Hunderte ums Leben ren 1933. Aus der Sicht eines Kindes erzählt eingezogen wird, bleibt die Zwölfjährige völlig allein zurück. Sie Fünf der geplanten 16 Bände der Editions- kamen. Expansionspolitik, Pogrome und »Arisierung« verwandelten sie vom Alltagsleben in der Zeit des Nationalsozialismus, wobei verkriecht sich im Luftschutzkeller. Erst die Begegnung mit ei- reihe Verfolgung und Ermordung der euro- die Zwangsemigration in eine chaotische Fluchtbewegung – bis der die politischen Entwicklungen und die politischen Verhältnisse zur nem amerikanischen Soldaten, der an der Tür klopft, beendet diese päischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland sollen Kriegsbeginn für viele ein Entkommen unmöglich machte. Heim Zeit ihrer Kindheit nicht im Vordergrund der Erzählung stehen. Nur bedrohliche Situation. Der Bericht endet mit der Rückkehr aller das Schicksal der jüdischen Bevölkerung in Deutschland, Österreich unterstreicht, dass die Annexion Österreichs und der Tschechoslo- insofern, als die kindliche Welt durch wirtschaftliche und politische Familienmitglieder, mit Einblicken in die frühe Unterstützung der und der Tschechoslowakei widerspiegeln. Der von Wolf Gruner wakei für Hitler der erste Schritt auf dem Weg zur Weltmachtstellung Veränderungen beeinfl usst wird, kommen diese in den Horizont der Überlebenden durch Hilfsorganisationen. bearbeitete erste Band widmet sich der Judenverfolgung im Deut- Deutschlands war. Erzählung. Im Mittelpunkt stehen die Lebensumstände in der Frank- Die zweite Situation liegt weiter zurück. Lilo war sechs Jahre alt, schen Reich von der Machtübernahme der Nationalsozialisten im 329 Dokumente spiegeln diese Entwicklung in den 20 Vor- furter Altstadt, das Zusammenleben auf engem Raum und die dürfti- hielt stolz die Schultüte im Arm, als die Mutter ihr einprägte: »Wenn Januar 1933 bis zum Jahresende 1937.1 Für den nun vorliegenden kriegsmonaten vor allem aus Sicht der Täter und der Opfer wider. gen hygienischen Verhältnisse, die nachbarschaftlichen Beziehungen. Du in der Schule gefragt wirst, was Du bist, musst Du sagen, ich Band 2, der die Entwicklung zwischen Januar 1938 und dem deut- Ein Schreiben von Amalie Malsch aus Düsseldorf vom 1. Januar Vor allem die Probleme einer Familie, deren wirtschaftliche Situation bin Geltungsjude oder Mischling ersten Grades.« Und: »Du musst schen Überfall auf Polen am 1. September 1939 beschreibt (die Er- 1938 macht den Auftakt, in dem sie ihrem Sohn Wilhelm in den von langjähriger Arbeitslosigkeit des Vaters und den Gelegenheits- mir versprechen, immer brav zu sein, nicht aufzufallen. Antworte eignisse im Mitte März 1939 gegründeten »Protektorat Böhmen und USA das Warten auf eine Auswanderungsmöglichkeit schildert. arbeiten der Mutter geprägt ist, werden anschaulich beschrieben. nur, wenn Du gefragt wirst, und sei nie vorlaut.« Sie spürt die Angst Mähren« werden später an anderer Stelle dokumentiert), zeichnet mit Heim hat in ihre Quellenauswahl aber auch einschneidende Ver- Der dramatische Höhepunkt der Erzählung ist das Erlebnis der der Mutter, versteht jedoch nicht, warum sie »Geltungsjude« oder Susanne Heim wiederum eine ausgewiesene Kennerin und zugleich ordnungen mit aufgenommen, wie etwa jene vom 17. August 1938, Bombardierungen Frankfurts und des Untergangs der Altstadt im Feu- »Mischling ersten Grades« ist. Dieses Gebot hat Lilo Günzler ein- Mitherausgeberin der Gesamtreihe verantwortlich. die Juden verpfl ichtete, die Zwangsvornamen »Sara« und »Israel« ersturm. Auch hier ist die kindliche Perspektive ungebrochen, wenn gehalten. Sie hat 60 Jahre geschwiegen. Weder ihr Mann noch ihre Ende 1937 hatten von den ursprünglich rund 530.000 Juden anzunehmen (Dok. 84). Während diese freilich bereits mehrfach pu- auch die Informationen über die Ereignisse vermutlich aus der Literatur Kinder wussten von ihren Ängsten, ihrer Trauer, von den schreckli- noch etwa 400.000 in Deutschland gelebt, 140.000 von ihnen in bliziert wurden,2 liegen rund drei Viertel der von Heim präsentierten über dieses Geschehen übernommen wurden. Der Bericht über die chen Erlebnissen, die ihre Kindheit geprägt haben. Diese Erlebnisse Berlin. Mit dem »Anschluss« Österreichs im März 1938 gerieten Dokumente erstmals vor. Dies trifft auch auf die meisten Berichte Schulklasse im Luftschutzkeller, über das Erstaunen, an diesem Tag sollten das Glück und den Frieden der eigenen Familie nicht stören. weitere bis zu 200.000 Juden in den Machtbereich des NS-Regimes, ausländischer Beobachter, etwa von Diplomaten, Korrespondenten keine Hausaufgaben zu bekommen, spiegelt diese Wahrnehmung der Am 8. Mai 2005, mit 72 Jahren, hat sie zum ersten Mal öffentlich allein in Wien wenigstens 165.000. Einleitend skizziert Heim, wie und Vertretern von Hilfsorganisationen, zu. Am 22. Juni 1938 sandte Umwelt ebenso wie die Beschreibung der vielen Stationen, an denen über ihre Kindheit im Nationalsozialismus gesprochen. Seitdem das NS-Regime in den Monaten vom »Anschluss« Österreichs bis beispielsweise der amerikanische Botschafter in Berlin, Hugh R. die ausgebombte Familie dann Unterschlupf fi ndet. Es gibt wenige so erzählt sie ihre Geschichte in Schulklassen, spricht mit jungen Men- zum Überfall auf Polen »den Ausnahmezustand über die deutschen Wilson, dem Außenminister in Washington ein Telegramm, in dem detailreiche Zeitzeugenerzählungen über den Bombenkrieg, die frei schen und vermittelt die Zeit des Nationalsozialismus auf besonders Juden« verhängte (S. 13). Die »Judenpolitik« mit ihren Berufsver- er die antijüdischen Demonstrationen und Verhaftungen von Juden von Refl exionen über die Legitimation der Angriffe bleiben. Es gibt einprägsame Weise. Bei diesen Gesprächen haben Jugendliche sie boten, Boykotten, alltäglichen Demütigungen wie auch die allge- in Berlin schilderte (Dok. 47). Der Dokumententeil endet mit einer nur den Bericht, eigenartig nah am Geschehen und zugleich distanziert. immer wieder gebeten und ermutigt, alles aufzuschreiben. genwärtige physische Gewalt gegen Juden verfolgte in dieser Zeit, Notiz von Walter Tausk, der Ende August 1939 seine Auswande- Diese besondere Erzählhaltung erklärt sich nicht nur aus der Das Buch ist eine schriftliche Dokumentation der Erzählung Lilo so Heim, grundsätzlich drei Ziele: »Erstens erlaubte sie die sofortige rungspläne durch den für ihn offenkundig bevorstehenden Krieg Zusammenarbeit Lilo Günzlers (geb. Wessinger) mit der Ko-Autorin Günzlers. Es bleibt nah am mündlichen Bericht und seiner Eindring- oder künftige Enteignung zugunsten des deutschen Staates, zweitens bedroht sah (Dok. 329). Tausk, dessen Breslauer Tagebuch eine Agnes Rummeleit. In erster Linie ist dieser zugleich nahe und dis- lichkeit, besonders für Menschen, die heute in Frankfurt am Main leben. beschränkte sie im Interesse ›arischer‹ Mittelständler und Kleinge- eindrucksvolle und an anderer Stelle umfassend publizierte Quel- tanzierte Blick eine der Spuren des Dramas der Familie Wessinger, Einige Ungenauigkeiten in der Recherche der historischen Ereignisse werbetreibender deren jüdische Konkurrenz; drittens sollte Isolation, le ist,3 hatte recht mit seinen Befürchtungen. Ende 1941 wurde er das Motiv und eigentlicher Gegenstand dieses Berichtes ist. Lilo machen einen wissenschaftlichen Kommentar wünschenswert, gerade Erniedrigung und Ausgrenzung den Juden in Deutschland das Leben deportiert und kurz darauf vermutlich im Ghetto Kowno ermordet. Günzlers Mutter war Jüdin, und ihr Bruder ist ein Kind aus einer weil die Erzählung für die Verwendung in der Schule gut geeignet ist. unerträglich machen und sie in die Emigration treiben« (S. 20). Sie vorehelichen Beziehung der Mutter mit einem jüdischen Mann. Der Vor allem aber ist dieses Buch ein Erinnerungszeichen für das unterstreicht, dass »die diskriminierenden Maßnahmen und Gesetze, Held des Lebensberichtes ist Lilos nichtjüdischer Vater, der eigent- Elternpaar Wessinger, das durch sein einfaches gemeinsames Leben die im Altreich bereits galten«, in Österreich »nicht einfach übernom- lich kein starker Typ zu sein scheint, schafft er es doch erst mit fast und sein Festhalten am Zusammenhalt der Familie die antisemitische men, sondern wie es gerade zu passen schien, abgewandelt« wurden 2 Bruno Blau, Das Ausnahmerecht für Juden in Deutschland 1933–1945, 2. Aufl ., 44 Jahren, wie die Erzählerin ausdrücklich vermerkt, eine feste Ar- und menschenfeindliche Weltsicht durch ein Gegenbild überstrahlt. Düsseldorf 1954, S. 49 f.; Joseph Walk (Hrsg.), Das Sonderrecht für die Juden im beit zu bekommen. Aber er hat zu seiner Frau und seinem Adop- NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Heidelberg 1981, S. 237. tivsohn gehalten, selbst in der Zeit der aggressivsten Verfolgung. Ursula Ernst Gottfried Kößler 3 Walter Tausk, Breslauer Tagebuch 1933–1940, hrsg. von Ryszard Kincel, Berlin Helmut, Lilo Günzlers Halbbruder, war zeitweise im jüdischen Frankfurt am Main Pädagogisches Zentrum Frankfurt 1 Siehe hierzu die Rezension von Monica Kingreen, in: Newsletter, Nr. 33, S. 63–64. (West) 1988.

74 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 75 Mit ihrer Quellenauswahl füllt Susanne Heim auch Lücken – Schwerpunkt seiner Argumentation ist, dass die große Mehrheit der Johannes Hürter betont in seiner Studie über die Besatzungs- Läuse laufen überall herum, ebenso schreckliche Juden mit David- etwa durch den Abdruck einiger Berichte zum Verlauf der Novem- Soldaten unmittelbar an der Front eingesetzt war, dass die größten politik der 18. Armee vor Leningrad die Handlungsspielräume der stern am Ärmel«, notierte er 1941 im besetzten Polen (S. 235). Die berpogrome in Ostdeutschland, die bislang verhältnismäßig schlecht Verbrechen aber im Hinterland geschahen, wo vergleichsweise we- Armeeführung. Er zeigt, dass die grauenhafte Hungerpolitik, der die unbestattete Leiche eines Rotarmisten diente ihm mehrere Wochen dokumentiert sind. Zugleich betont sie aber, wie unzureichend noch nig Soldaten standen. Armee Zehntausende sowjetische Zivilisten und Kriegsgefangene als Ziel seiner Spaziergänge – traditionelle soldatische Werte galten immer der Kenntnisstand selbst bei zentralen Fragen ist. So ist bei- Mit seiner Argumentation trägt Hartmann zweifellos sehr viel unterwarf, ebenso wie die Ermordung von geistig Behinderten nicht ihm im Ostkrieg nichts. spielsweise bis heute nicht bekannt, wie viele Menschen tatsächlich zu einer differenzierteren Betrachtung des Problems bei. Es bleibt primär durch nationalsozialistische Überzeugungen, sondern durch Das »höchst seltene Beispiel der klaren und wiederholten Op- während der Novemberpogrome ermordet wurden. aber die Frage, ob besonders für die erste Phase des Krieges diese »eine[n] fast schrankenlosen militärischen Utilitarismus« (S. 151) position […] gegen alle großen Verbrechenskomplexe des Vernich- Der Band besticht durch seine konzise Einleitung und die um- Trennung zwischen Front und Hinterland haltbar ist. Dieter Pohl motiviert war. tungskrieges« schildert Hürter anhand der Berichte des Vertreters sichtige Kommentierung der Dokumente. Susanne Heim und Wolf sieht dies in seinen beiden Beiträgen skeptischer. Er stellt zu Recht In einem zweiten Beitrag gelingt Hürter auf der Basis des Nach- des Auswärtigen Amts bei der 11. Armee, Werner Otto von Hentig. Gruner haben somit die Standards gesetzt, an denen sich die weiteren fest, dass »eine Eskalation der Gewalt […] in der Logik der deut- lasses von Generaloberst Heinrici ein sehr aufschlussreicher Einblick Diese Berichte, in denen Hentig immer wieder die Einhaltung des Bände des Editionsprojekts werden messen lassen müssen. schen Kriegsführung« lag (S. 79). Die militärische Führung habe in die Mentalität eines Armeebefehlshabers, der nicht zu den beken- Kriegsvölkerrechts forderte, blieben »Dokumente der Ohnmacht« früh ein Mordprogramm akzeptiert, das die Tötung bestimmter nenden Nazis zu zählen ist. An seinem Beispiel wird deutlich, welche (S. 391) – der Oberbefehlshaber der 11. Armee, Erich von Manstein, Jörg Osterloh Gefangenengruppen durch die Truppe, die Beseitigung der sow- Werte und Kontinuitäten im hohen Offi zierkorps die Integration in ignorierte sie ebenso wie das Auswärtige Amt. Fritz Bauer Institut jetischen Funktionseliten, besonders der Juden unter ihnen, durch die NS-Vernichtungspolitik ermöglichten. Für den jungen Offi zier SS und Polizei, und die Niederschlagung jeglicher Widerstandsre- war schon 1917 die Ausbeutung der Nahrungsressourcen im besetz- Christian Streit gungen durch Massenexekutionen beinhaltete. Dieses Programm ten Rumänien zugunsten Deutschlands »wertvoller, als wenn einige Heidelberg wurde im Herbst 1941 radikalisiert, als einerseits Entscheidungen Frauen und Kinder in Rumänien verkommen« (S. 206). »Wanzen u. fi elen, die bis Frühjahr 1942 zum Tod von etwa zwei Millionen sowjetischer Kriegsgefangener führten, und andererseits das Mor- den von SS und Polizei mit Unterstützung der Militärverwaltung Deutsche Kriegsführung und und der Armeebefehlshaber auf jüdische Frauen und Kinder, also Besatzungspolitik in der Sowjetunion zum Genozid, ausgeweitet wurde. Die Militärverwaltung habe »gleichsam den Schirm [gebildet], unter dem die Entrechtung und Ermordung der Juden bis Oktober 1941 […] ablief« (S. 195). Christian Hartmann, Johannes Hürter, Pohl sieht mit guten Gründen im Übergang zum Völkermord einen Peter Lieb, Dieter Pohl Prozess, der »nicht durch zentrale Weisungen, sondern auch durch Der deutsche Krieg im Osten 1941–1944. Einzelverhandlungen zwischen dem SS-Polizeiapparat und der Mi- Facetten einer Grenzüberschreitung litärverwaltung vorangetrieben wurde« (S. 165). Ein wesentlicher Was wussten die Täter, München: Oldenbourg Verlag, 2009, IX, Faktor dabei war, dass durch das Scheitern des Blitzfeldzuges die 404 S., € 29,80 Hungerstrategie, mit der die Ernährungsprobleme Deutschlands was ahnten die Opfer? gelöst werden sollten, nicht zum Tragen kommen konnte und dass deswegen die Militärverwaltung die »Beseitigung eines Teils z.T. Die neun Beiträge, im Rahmen des Projekts überfl üssiger Esser in den Städten« – so die Rüstungsinspektion »Wehrmacht in der NS-Diktatur« des In- Ukraine (S. 166) – akzeptierte. Eine größere Bereitschaft, verbre- stituts für Zeitgeschichte entstanden, wurden bereits an anderen cherische Befehle auszuführen, ergab sich auch daraus, »dass die Stellen publiziert. Es ist zu begrüßen, dass sie nun in einem Band Wehrmacht Mitte 1941 bereits deutliche Zeichen der Nazifi zierung Ahlrich Meyer behandelt erstmals die Judenverfolgung in allen drei wäh- zusammengefasst wurden, da sie den Forschungsstand zur Rolle der trug« (S. 78). Dies ist zu unterstreichen: Die Zahl der Offi ziere rend des Zweiten Weltkriegs besetzten westlichen europäischen Ländern Wehrmacht bei den Verbrechen im Osten erheblich erweitern. Leider stieg von 3.700 (1932) auf 174.000 (1944); die jungen Offi ziere und geht der Frage nach, was die deutschen Täter wie die Opfer über den ist es nicht möglich, im Folgenden auf alle Beiträge einzugehen. waren zum guten Teil durch Schule und HJ weltanschaulich ge- Christian Hartmanns Artikel »Verbrecherischer Krieg – verbre- prägt, ein nicht unbedeutender Teil auch der älteren Offi ziere war tatsächlichen Zweck der Deportationen in die Vernichtungslager wussten. cherische Wehrmacht?« entstand als Reaktion auf die im Kontext Mitglied der NSDAP – das vielzitierte Wehrgesetz verbot nicht, 2010. 238 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag der ersten Wehrmachtausstellung verbreitete These, 60 bis 80 Pro- wie früher behauptet, jegliche Parteimitgliedschaft, sondern er- € 29,90/sFr 43,90 zent der Soldaten des Ostheeres seien an den Verbrechen beteiligt laubte das Ruhen einer beim Eintritt in die Wehrmacht bestehenden ISBN 978-3-506-77023-3 gewesen. Wie auch die anderen Autoren unterstreicht er die Schuld Mitgliedschaft. der Institution Wehrmacht und besonders die Verantwortung der Pohl relativiert auch die traditionelle Sicht, die die Hauptver- Heeresgruppen- und Armeeoberbefehlshaber. Ihn bewegt aber die antwortung bei der SS sieht. Die Zivilverwaltung habe mit den Frage, wie weit die Masse der Soldaten schuldig geworden ist. Da Spitzenmilitärs übereingestimmt, dass die Juden »wegmüssten«, die Quellenlage jegliche Quantifi zierung verbietet, versucht er eine die Ordnungspolizei habe »das personelle Rückgrat der ›Judenak- Annäherung über eine Untersuchung der Strukturen des Krieges. tionen‹« (S. 195) gebildet.

76 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 77 Juden und Muslime in Deutschland Bandbreite von Ultraorthodoxie bis Assimilation aufsplitterte. Heute Eine antisemitische Welt hinausstrebe und somit nicht weniger als die gesamte Welt bedrohe. bringt die jüdische Einwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion Ob die jeweiligen ideologischen Adjektive dieses Bildes sich nun eine neue und andere Identitätsproblematik mit sich, bei der es jedoch auf den antiimperialistischen Kampf, auf Blut und Boden oder auf auch um den Stellenwert der Religion geht und die von Karen Körber Koran und Sunna beziehen, ist nebensächlich, insbesondere für die José Brunner, Shai Lavi (Hrsg.) in dem Jahrbuch detailliert analysiert wird. Robert S. Wistrich Antisemiten selbst, solange sie sich im gemeinsamen Kampf mit Juden und Muslime in Deutschland. Recht, Mehrere Beiträge des Jahrbuchs gehen auf die Fragestellung ein, A Lethal Obsession. Anti-Semitism from An- dem jüdischen Staat wähnen. Selbst in den Verlautbarungen von bis Religion, Identität wie in der jüdischen bzw. muslimischen Gemeinschaft Konzeptionen tiquity to the Global Jihad aufs Blut verfeindeten Ideologen wie russischen Nationalisten und Tel Aviver Jahrbuch für deutsche entwickelt wurden bzw. werden, beides – Identität und Integration – New York: Random House, 2010, 1.185 S., tschetschenischen Djihadisten fi nden sich identische Formeln, die Geschichte, Bd. 37, Göttingen: Wallstein miteinander in einen sinnvollen Einklang zu bringen. Drei Beiträge be- € 29,95 den Kampf gegen den jüdisch-zionistisch-freimaurerischen Welt- Verlag, 2009, 311 S., € 36,– fassen sich dabei mit der fast unbekannten Geschichte der muslimischen feind propagieren. Minderheit in Deutschland vor 1945 (bzw. vor 1933), die zwar extrem Wistrich widmet sich besonders intensiv dem islamischen Anti- Wie sieht Deutschland seine Minderheiten und klein war (höchste Zahl in Berlin: ca. 3.000 Personen) und sozial aus »Sixty-four years after Auschwitz, the po- semitismus, der zwar durch nazistische und sowjetische Propaganda wie sehen sie Deutschland und sich selbst? einem gehobenen Milieu ihrer Herkunftsländer stammte (Diplomaten, litics of genocidal anti-Semitism and the inspiriert, aber doch genuin islamisch begründet ist. Im teilwei- Vergleiche zwischen Juden und Muslimen geraten meist in eine fatale Geschäftsleute, Studenten …), sich aber hinsichtlich der genannten indifference that made it possible are still with us.« (S. 927) Mit se kosmologisch anmutenden Kampf islamischer und arabischer Schiefl age des Vergleichs zwischen damals und heute. »Are Muslims kulturellen Herausforderung in einer durchaus vergleichbaren Situation diesen warnenden Worten schließt das letzte Kapitel einer neuen Gruppierungen und Staaten gegen Israel und die Juden sieht der in Germany today facing the same challenges that Jews as a religious mit dem jüdischen Bürgertum befand. In dieser muslimischen Gemeinde Gesamtdarstellung des Antisemitismus seit dem Holocaust. Robert Autor nicht nur die Rückkehr eines apokalyptischen, NS-gleichen minority confronted a century ago?« (S. 164), fragt so Shai Lavi. entwickelte sich eine starke Tendenz zu einer Verbürgerlichung als sozia- Wistrich, Direktor des Vidal Sassoon International Center for the Antisemitismus im Nahen Osten, sondern ebenso die Rückkehr der Das aktuelle Schlagwort der »Parallelgesellschaft« scheint seinem le Anpassung bei Beibehaltung der kulturell-religiösen Identität, in deren Study of Antisemitism an der Hebräischen Universität Jerusalem, angestammten Rolle des Antisemitismus in Europa durch die mus- Pendant im damaligen Vorwurf an die Juden vom »Staat im Staate« Mittelpunkt die 1925 gegründete Berliner Moschee, heute Wilmersdorfer hat mit dem Buch sein opus magnum vorgelegt, in welchem zwanzig limische Diaspora im Verbund mit parteiübergreifenden antiisraeli- zu entsprechen. Der Ansatz dieses Tel Aviver Jahrbuchs vermeidet Moschee, rückte (David Motadel, »Islamische Bürgerlichkeit«). Jahre intensiver Forschung kulminieren. Auf fast 1.200 Seiten ver- schen Ressentiments, welche vorranging in der Linken anzutreffen jedoch in seinen 13 Beiträgen zu diesem Themenschwerpunkt die Eine interessante Vergleichsebene stellt Shai Lavi mit dem Thema sucht er ein Bild des schieren Ausmaßes zu zeichnen, welches der sind – Wistrich spricht von einer »rot-grünen Achse«. So kommt anachronistische Schiefl age des oberfl ächlichen Vergleichs und der rituellen Schlachtung zwischen den Juden im Kaiserreich und den Antisemitismus seit dem Zweiten Weltkrieg und der Staatsgründung es, dass heute Israel ganz offen mit seiner Vernichtung gedroht und zieht vielmehr adäquate Vergleichsebenen in der diachronen und Muslimen in der Bundesrepublik seit 1960 her. In beiden Fällen wurde Israels angenommen hat. gleichzeitig selbstbewusstes jüdisches Leben in Europa erneut un- synchronen Perspektive, die Parallelen und Unterschiede unter Be- das fast identische religiöse Schächtgebot als Lackmustest für die Inte- Zwar wird auf die bis heute wirksamen Prägekräfte des christ- möglich gemacht wird. rücksichtigung der jeweiligen Zeitumstände verdeutlichen. grationswilligkeit und -möglichkeit betrachtet, in beiden Fällen betraf lichen und des modernen Antisemitismus in Europa eingegangen. Das Buch ist bei Weitem nicht frei von problematischen For- Hinsichtlich der Nationalstaatsbildung seit der Französischen Re- es aber auch eine religiöse Gemeinschaft, die mehrheitlich gar nicht Doch Wistrichs Fokus liegt auf dem Transformationsprozess der mulierungen: So fallen immer wieder durchaus widersprüchliche volution geht es um das Problem von Universalismus und Partikularis- streng religiös daran festhielt. Verdienstvoll ist dabei bereits Lavis letzten 65 Jahre: der scheinbaren Ablösung des Antisemitismus durch und in sich inkohärente Begriffe wie »Fundamentalismus«, »Ni- mus, Liberalismus und Nationalismus. S. N. Eisenstadt und Shulamit Hinweis darauf, dass die muslimische Gemeinde in Deutschland an- einen globalisierten Antizionismus, der meist nicht mehr ist als eine hilismus« und »Islamofaschismus«, um ein und dieselbe Sache zu Volkov weisen auf die Idealisierung des französischen republikanischen ders als in anderen europäischen Ländern von sich aus außergewöhn- vorgeblich politische Fassade, hinter der sich nur allzu bekannte benennen. Oder es wird von »Eurabia« gesprochen, wodurch ein Prinzips des ius solis gegenüber dem stets inkriminierten deutschen ius lich liberal bzw. laizistisch orientiert ist dank des hohen Anteils der Ressentiments verbergen. Wistrich beginnt seine Reise durch eine ideologisch-soziales Problem – die Islamisierung und Abschottung sanguinis hin, in Wirklichkeit stellten sich nämlich durchaus vergleich- Migranten aus der kemalistischen Türkei. In der Auseinandersetzung antisemitische Welt nicht umsonst in Russland, weil hier sowohl von bestimmten Einwanderergruppen in Europa – als ein ethnisches bare Probleme bei der staatsrechtlichen Gleichstellung der Juden, da bekommen dadurch jeweils die Orthodoxen innerhalb der Minderheit die Wiege der Protokolle der Weisen von Zion liegt als auch die erscheint. Auch stellt Wistrich jüdische Antizionisten in die Tradition in beiden Ländern vor unterschiedlichem politisch-gesellschaftlichem einen höheren Stellenwert als ihnen real entspricht. Der Unterschied des Arsenals des Antizionismus, also der Propagierung eines ras- der Conversos, die im Spanien der Reconquista als Kronzeugen des Hintergrund die Emanzipation dem Individuum galt und nicht der kultu- zwischen beiden Situationen besteht dann allerdings darin, dass es sistischen, faschistischen, massenmörderischen und schlichtweg christlichen Antisemitismus auftraten. Aber das Buch will auch nicht rell-religiösen Gemeinschaft, deren Weiterbestehen als suspekt betrach- damals um den geforderten kulturellen Nachvollzug einer erfolgten menschenfeindlichen Wesens des Zionismus. In der Sowjetunion unproblematisch und allgemeinverträglich sein, sonst hätte es sein tet wurde. Sowohl der republikanische Einheitsgedanke in Frankreich rechtlichen Integration ging, später jedoch um Vorbedingungen für verschwammen diese durchaus unterschiedlich motivierten Wahn- Ziel verfehlt: A Lethal Obsession ist eine ungeheure Materialsamm- als auch der nationalliberale Einheitswunsch in Deutschland, der sich eine Integration bzw. um deren grundsätzliche Infragestellung post vorstellungen zu einem einzigen Bild, welches die stets behauptete lung und eine ungeheure Anklage. Wistrich prangert eine Welt an, bereits mit dem christlichen konfessionellen Antagonismus ausein- quem oder ante quem. Trotz der Parallelität defi nieren sich »Innen« Unterscheidung von Juden und Zionisten zu einer Farce werden ließ. die nicht nur weiterhin Antisemitismus hervorbringt, sondern sich andersetzen musste, lehnten partikulare Identitäten ab. Juden sollten und »Außen« in beiden Situationen vollkommen anders. Transzendierte der Antisemitismus seit dem 19. Jahrhundert das genauso beharrlich weigert, sich diesem unsäglichen Zustand zu »richtige« Franzosen oder Deutsche werden. Seitenverkehrt stellte Gilad Margalit bringt dann noch einen interessanten Querbezug rassistische Bild des Anderen, so hat er sich nun fast vollständig stellen – etwa in Gestalt einer empirischen Antisemitismusforschung, sich dasselbe Problem für das jüdische Selbstverständnis im Zuge des des Verhältnisses der (türkisch-)muslimischen Minderheit heute zum vom Rassismus gelöst. Dadurch hat er jedoch nicht an Virulenz die krampfhaft an überholten Kategorien festhält. Diese Weigerung Emanzipationsprozesses. Wie viel sollten und durften sie von ihren Holocaust und seiner Vorgeschichte zur Sprache. Hier werden nicht nur oder Gewalttätigkeit verloren. Wistrich zeigt, dass die gegenwärtig projiziert letztlich den Antisemitismus zurück auf die Juden, macht Traditionen für Gleichberechtigung und Integration aufgeben? Welchen von deutsch-türkischen Intellektuellen Vergleiche und daraus Schluss- heftigste Ausprägung von Judenhass, der antisemitische Antizio- ihn zu einem rein jüdischen – bzw. zionistischen – Problem. Indem Stellenwert sollte und durfte die Religion behalten? Inwiefern konnte folgerungen gezogen wie, dass die deutsche Bitte nach Assimilation nismus, ein Amalgam verschiedenster antijüdischer Traditionen, sie meint, sich des Problems zu entledigen, verschärft sie es nur sie reformiert und angepasst werden? Haskala oder Halacha – diese nicht ernst gemeint sei oder dass es besser sei, seinen türkischen Pass sozusagen der gemeinsame Nenner islamischer, rechter und linker, noch. Denn, wie Wistrich immer wieder betont: »What begins with bis auf Mendelssohn zurückgehende Frage nahm an Brisanz zu seit behalten zu haben, um damit im Notfall das Land verlassen zu können. nationalistischer wie universalistischer Feinde Israels ist. Israel ins- the Jews never ends with them.« dem Moment, in dem die Forderungen an die Mehrheitsgesellschaft titutionalisiere in deren Augen die zersetzende Gefahr schlechthin, erfüllt waren und nun umgekehrt eine Gegenleistung von der Minderheit Wolfgang Geiger einen künstlich und gewaltsam aufgepfropften Fremdkörper, der Mathias Schütz erwartet wurde, die sich auf diese Herausforderung hin in eine große Pädagogisches Zentrum Frankfurt über sein ohnehin schon unrechtmäßig angeeignetes Territorium Bonn

78 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 79 Fehler und Güte Das erforderte Zugeständnisse und führte zu seltsamen Partei- Die Flüchtlingskrise 1933–1939 dem Russischen Reich errichtet. Pogrome gegen Juden, aber auch nahmen. Wiesenthal musste zu Hans Globke schweigen, der 1936 und ihre Folgen politische Verfolgung im Vorfeld der Revolution hatten große Be- den Kommentar zu den »Nürnberger Gesetzen« mitverfasst hatte und völkerungstransfers und Fluchtbewegungen ausgelöst, ähnlich wie sich jetzt als Konrad Adenauers Staatssekretär um die Wiedergutma- der Genozid an den Armeniern, der eine Begleiterscheinung des tür- Tom Segev chungszahlungen an Israel kümmerte. Als Kurt Waldheim österrei- kischen Nationalstaatenbildungsprozesses war.3 Protektionistische Simon Wiesenthal. Die Biographie chischer Bundespräsident werden wollte und wegen seiner Karriere Frank Caestecker, Bob Moore Bestrebungen, die bereits in den Nationalstaatsbildungsprozessen am Aus dem Hebräischen von Markus Lemke im »Dritten Reich« angegriffen wurde, sprang ihm Wiesenthal bei. Refugees from and the Ende des 19. Jahrhunderts deutlich geworden waren, sollten helfen, München: Siedler Verlag, 2010, 576 S., € 29,95 Nach , der sich 1945 in nächster Nähe aufgehalten Liberal European States den Schutz nationaler Arbeitskraft zu garantieren und Arbeitslosigkeit hatte, suchte er seit 1947. Wenigstens ein Informant beobachtete für New York, Oxford: Berghahn Books, 2010, über die Steuerung der Migration zu regulieren. Hinzu kam im Zuge ihn die in Alt-Aussee verbliebene Ehefrau des untergetauchten Ober- 346 S., € 87,99 des Ersten Weltkriegs ein verstärktes Sicherheitsinteresse des Staates. Der britische Schauspieler Ben Kingsley hat sturmbannführers, während Wiesenthal versuchte, Geld für weitere Eine liberale Haltung gegenüber »Minderheiten«, offene Migration einmal davon berichtet, wie ihn Simon Wie- Recherchen aufzutreiben. Die Informationen, die er ans israelische Obwohl Hannah Arendt auf das sogenannte oder gar permanente Inklusionen konnten sich trotz der Demokrati- senthal mit einer einzigen Geste zu beein- Außenministerium und an den Präsidenten des Jüdischen Weltkongres- Staatenlosenproblem als dem zentralen Phäno- sierung in den 1920er Jahren gegen die anhaltenden Polizeikontrollen, drucken verstand: Er fuhr sich mit der Hand ses lieferte, fanden kein Interesse, sondern wurden einfach abgeheftet. men in der Nationalstaatenbildung nach dem Armutsgängelungen und Terrorismuswarnungen nicht entwickeln. Die ganz langsam über die Augen und dann über die Stirn. »Zwischen Selbst in Israel spielte in den 1950er Jahren der Holocaust nur eine Ersten Weltkrieg hingewiesen hat,1 ist diese gewaltsamen Maßnahmen der nationalsozialistischen Machtübernah- uns übertrug sich etwas, ein Austausch fand statt, ein Band entstand.« »marginale Rolle« (S. 182). Während Wiesenthals Ruhm wuchs und er Sichtweise bislang kaum in der Geschichtsschreibung des nachfol- me lösten 1933 erneut eine ungeahnt große Flüchtlingsbewegung aus. Kingsley, der Gandhi gespielt hatte und später den Buchhalter Itzhak in den USA bereits gefeiert wurde, erlebte er zu Hause in Österreich den genden nationalsozialistischen Regimes und dessen Expansionspolitik Der zur Besprechung vorliegende Sammelband fokussiert auf ver- Stern in SCHINDLERS LISTE, stellte in dem Fernsehfi lm RECHT, NICHT größten Widerstand. Bruno Kreisky, selber Jude, aber Bundeskanzler in Europa zur Anwendung gekommen. Dabei erscheint es durchaus schiedene Facetten dieser Flüchtlingskrise bis September 1939. In der RACHE (1989) Wiesenthal mit dieser unendlich traurigen Geste als in einer Regierung, der auch ehemalige Nazis angehörten, bezichtigte naheliegend, die durch die Verfolgungs- und Vertreibungspolitik des den Mann dar, der unnennbares Leid erduldet hatte und dennoch in ihn mehrfach und ohne Beweis, er habe mit der Gestapo kollaboriert. Nationalsozialismus hervorgerufene Flüchtlingskrise im Kontext der der Lage war, Großmut zu zeigen und zu verzeihen. Am seltsamsten ist aber die Freundschaft, die Wiesenthal mit fragilen Situation der Nationalstaaten in West-, Mittel- und Osteuropa zu 3 Vgl. Michael R. Marrus, Die Unerwünschten/The Unwanted. Europäische Zum Ende seines Lebens – Wiesenthal starb 2005 mit 96 Jahren dem freigelassenen Kriegsverbrecher Albert Speer pfl egte. Segev betrachten. Der von Frank Caestecker und Bob Moore herausgegebene Flüchtlinge im 20. Jahrhundert, Berlin, Göttingen 1999. – wurde er mit Ehrungen überhäuft, und beinahe wäre ihm sogar der kann aus einem schier unglaublichen Briefwechsel zitieren. Der ehe- Sammelband Refugees from Nazi Germany and the Liberal European Friedensnobelpreis zuerkannt worden. Während er in Deutschland malige Rüstungsminister wandte sich 1975 an Wiesenthal, lobte höf- States bemüht sich erstmalig um eine geografi sche und chronologische und in seinem Heimatland Österreich bei nicht wenigen als »Nazi- lich dessen Erzählung »Die Sonnenblume«, in der das Thema Schuld Zusammenschau der Entwicklung in Westeuropa. Dieser fl üchtlingspo- Jäger« verhasst war, feierten ihn eifrige Hagiografen als den Mann, und Vergebung abgehandelt wird, um sich dann selber die Absolution litische Zugang zu der Zeit zwischen 1933 und 1939 konfrontiert auch der Adolf Eichmann zur Strecke brachte. In Tom Segevs umfassender erteilen zu lassen. Speer wusste seine Worte wohl zu wählen, als er die Holocaustforschung mit neuen Fragen und knüpft an die ebenfalls Adélaïde Hautval Biografi e büßt Wiesenthal einiges von dem Nimbus ein, den ihm Wiesenthals »Nachsicht, Menschlichkeit und Güte« (S. 484) rühmte, von Hannah Arendt geäußerte Feststellung an, dass Antisemitismus und nicht zuletzt Filme wie RECHT, NICHT RACHE verschafft haben. So denn die soll jetzt auch ihm gelten. Mit einer Schamlosigkeit, wie Flüchtlingsfrage im Vorfeld der Shoah eine enge Verbindung eingegan- Medizin gegen die Menschlichkeit hat er die Zahl der Konzentrationslager übertrieben, in denen er ge- sie allenfalls ein durch öffentliche Zerknirschung zum Star aufge- gen sind. Der Antisemitismus richtete sich in den westlichen Ländern Die Weigerung einer nach Auschwitz deportierten Ärztin, schunden wurde, er hat zwar einige NS-Verbrecher aufgespürt, aber stiegener Nazi fertigbrachte, schwärmte er von Wiesenthals Augen, zunächst gegen die undokumentierten jüdischen Flüchtlinge, dann gegen an medizinischen Experimenten teilzunehmen keineswegs Hunderte oder Dutzende, und auch seinen Anteil an der »Augen, in denen sich all die Ermordeten spiegelten«. Statt ihm die die jüdischen Migranten, die vielfach interniert und ausgewiesen wur- Hrsg. von Florence Hervé und Hermann Unterhinninghofen Ergreifung Eichmanns hat er maßlos übertrieben. Gleichwohl ließ er Tür zu weisen, empfängt Wiesenthal diesen Zerknirschungsgauner, den, bevor man schließlich auch die eigenen jüdischen Staatsbürger in 144 Seiten, Broschur, 9,90 Euro, ISBN 978-3-320-02154-2 sich feiern als der Mann, vor dem die untergetauchten Nazis zitterten. und Speer weiß ihm Dank dafür: »Es ist Gottes Gnade, die mich die nationalsozialistischen Vernichtungslager deportieren ließ. Kaum hatten amerikanische Truppen das Konzentrationslager berührt hat, durch Sie.« (alle Zitate auf S. 484) Leichtgläubig, vertrau- Tatsächlich spielten die nationalsozialistischen Machthaber Mauthausen und damit auch den Häftling Wiesenthal befreit, begann ensselig, auch eitel wie er war wegen dieser seltsamen Freundschaft, perfekt auf der Klaviatur der »ambivalenten Moderne« (Zygmunt der damit, Daten über die Exekutoren der »Endlösung« zu sammeln. entschuldete Wiesenthal den Mann, der Hitlers Kriegsmaschine nicht Bauman). Nicht nur der Massenmord war bürokratisch organisiert, Adélaïde Hautval war keine Widerstands- 2 kämpferin im gängigen Sinne. Sie übte Zunächst wollte er mit seiner Frau in die USA, später in den neuen zuletzt durch den Einsatz von Tausenden von Zwangsarbeitern am wie die Studien von Raul Hilberg gezeigt haben , sondern auch seine weder Sabotage gegen die Besatzer noch Staat Israel auswandern, blieb dann aber doch in Österreich und Laufen gehalten hatte, mit der freundlichen Floskel: »Wir alle haben Vorgeschichte. Der Aufbau von strikten Grenzregimen und die Kont- beteiligte sie sich am bewaffneten Kampf. auch noch in Linz, das sich Hitler einst als Altersruhesitz ausgesucht in unserer Jugend Fehler gemacht.« (S. 485) rolle von Identitätspapieren wie Personalausweisen und Reisepässen Doch die elsässische Ärztin passte sich hatte. Mit seiner »Schwäche für Geheimniskrämereien und Trick- In seinem Resümee wagt Segev die Hypothese, dass Wiesenthal stellten seit Beginn des 20. Jahrhunderts in den westlichen Staaten nicht dem Antisemitismus und Rassismus sereien« (S. 132) war es für Wiesenthal selbstverständlich, mit dem das Gewissen plagte, weil er weniger gelitten habe als andere Juden ein zentrales Element des Regierens dar. Die Mauern gegen Flücht- des Vichy-Regimes an, sondern zeigte: Auch unter menschenunwürdigen amerikanischen, später auch mit dem israelischen Geheimdienst und mit dem Leben davongekommen sei. »Die Jagd nach Kriegsver- linge und Migranten wurden hauptsächlich gegenüber Osteuropa und Be dingungen war und ist es möglich, zusammenzuarbeiten. Er tauschte Informationen aus, machte sich brechern erscheint daher wie eine Strafe, die er sich selbst auferlegte, »Nein« zu sagen, sich nicht zu fügen gern auch wichtig, vor allem aber etablierte er dabei seine Doku- und auch wie ein Versuch, Sühne zu tun.« (S. 497 f.) Der Holocaust und den aufrechten Gang zu bewahren. mentationsstelle für nationalsozialistische Verbrechen. So wurde er habe ihn womöglich mehr verfolgt als er die Täter. der Herr der Zettel, ein unermüdlicher Datensammler, der zu einem 1 Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Münster, Zürich 1986 [1955], S. 422 ff. Zeitpunkt tätig wurde, als sich weder die Justiz noch die Presse für Willi Winkler 2 Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden. 3 Bde., Frankfurt am www.dietzberlin.de dietz berlin eine Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen interessierte. Hamburg Main 1990 (amerik. Originalausgabe 1961).

80 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 81 Einleitung lassen die beiden Herausgeber die Geschichtsschreibung Diese staatliche Initiative ist vor allem dem Widerstand politischer »Judentransporte« mit Sonderzügen Nach einem Überblick über die Nazifi zierung des zunächst zur Flüchtlingsfrage Revue passieren, angefangen von den ersten Flüchtlinge zu verdanken, von denen die meisten nach Paris gefl o- der Reichsbahn noch privaten Transportunternehmens wird die reibungslose Zu- amerikanischen Studien in den 1930er Jahren über die Schweizer hen waren und die dort angesichts der Offenheit der Linksregierung sammenarbeit von Reichssicherheitshauptamt (RSHA), der SS und Debatte über die »J«-gestempelten Pässe in den 1950er Jahren bis zur erfolgreich auf sich aufmerksam machen konnten. Zusammengefasst des Reichsverkehrsministerium – in welches die Bahn 1937 einge- deutschen und österreichischen Exilforschung in den 1970er Jahren. betonen Caestecker und Moore in ihrer politikwissenschaftlichen gliedert wurde – und die Organisation der Sonderzüge dargestellt. Insbesondere seit 1989 seien im Zuge des globalen Bewusstseins über Analyse der »geschlossenen Grenzen« die Wirksamkeit von drei Andreas Engwert, Susanne Kill (Hrsg.) Abgebildet werden die Männer, die mit der Planung der Deporta- Fragen von Flucht, Asyl und Migration entsprechende Fragen an die zentralen Faktoren: Erstens wird auf die Gestaltungskraft von »key Sonderzüge in den Tod. Die Deportationen tionen befasst waren: Auf der Täterseite sind dies, angefangen beim Geschichte zu beobachten, so die Verfasser, ohne dass diese Studien individuals« in der Verwaltung aufmerksam gemacht; insbesonde- mit der Deutschen Reichsbahn. Eine Reichsführer SS , die Chefs des RSHA Reinhard bislang systematisiert worden seien. Dies soll im Grunde der Sammel- re der Staatssekretäre, die zunehmend konservative Männer einer Dokumentation der Deutschen Bahn AG Heydrich und der Geheimen Staatspolizei Heinrich Müller sowie band nachholen. Die Präsentation der Beiträge ist in zwei große Teile technokratisch staatswissenschaftlich ausgebildeten Elite waren. Sie Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, 2009, die direkt mit der Organisation der Deportationen befassten Refe- untergliedert. Hinzu kommen Materialien: Statistiken, Abkürzungs- hatten viel Macht, da sie sowohl die subalterne Beamtenschaft an- 162 S., € 16,90 ratsleiter Adolf Eichmann und Franz Novak. Die Verantwortlichen verzeichnis, ein Anhang mit vier Grafi ken, AutorInnenverzeichnis und wiesen wie auch Politikberatung betrieben. Zweitens gab es vor Ort im Reichsverkehrsministerium sind der Minister Julius Dorpmüller eine ausgewählte Bibliografi e. Im ersten Teil werden in acht Beiträgen Handlungsspielräume, die in der Verantwortung jedes einzelnen Be- Nikolaus Hirsch, Wolfgang Lorch, und dessen Staatssekretär Wilhelm Kleinmann sowie der Leiter der »National and International Analyses of Policies towards the Refugees amten lagen. Drittens spielte auch die Entscheidungs-, Gestaltungs- Andrea Wandel (Hrsg./Eds.) Betriebsabteilung der Reichsbahn Max Leibrand und der für Mas- from Nazi Germany« vorgestellt (S. 17–189). Nach einem einleiten- und Widerstandskraft der Flüchtlinge eine zentrale Rolle (S. 322 f.). Gleis 17/Track 17 senbeförderungen zuständige Paul Schnell sowie – allerdings ohne den Überblicksbeitrag von Susanne Heim geht es exemplarisch um die Der Sammelband gibt einen fundierten Überblick über ein lange Berlin: Sternberg Press, 2009, 216 S., € 19,– Bild – der Bearbeiter für »Sonderzüge« Otto Stange. Situation in Dänemark, Frankreich und der Schweiz. Alle drei Länder Zeit eher marginal behandeltes Thema nationalsozialistischer Herr- Ab dem Kapitel »… fährt täglich ein Zug mit je 5.000 Juden« grenzten direkt an Deutschland; die Schwerpunktsetzungen der Bei- schaft, die Flüchtlingskrise und ihre Folgen vor allem in Europa. wird konkret und beispielhaft auf die Organisation der Deportations- träge sind ansonsten verschieden. Während für Dänemark unter dem Insofern muss die Arbeit der Herausgeber als längst überfällig und Im Januar 2008 wurde die Wanderausstellung transporte und das Zusammenspiel der zahlreichen an den Abfahrts- Oberbegriff »Rassenschande« die Beziehungen von Staatsbürgerinnen äußerst verdienstvoll gelobt werden. Dennoch möchte ich mit zwei »Sonderzüge in den Tod – die Deportationen bahnhöfen beteiligten Institutionen eingegangen. Die zahlreichen zu Flüchtlingen fokussiert werden, stehen bezüglich der Situation in kritischen Anmerkungen die Besprechung beschließen. 1. Der Arbeit mit der Deutschen Reichsbahn« im Berliner Fotografi en der Verschleppungen zeigen, dass sie vor aller Augen Frankreich die undokumentierte Migration im Mittelpunkt und be- und dem Engagement von Flüchtlingshilfsorganisationen wird in der Bahnhof Potsdamer Platz eröffnet. Sie wird stattgefunden haben. Anschließend wird kurz auf die Zielorte der De- züglich der Schweiz Fragen von Asylgewährung bzw. -verweigerung. politikwissenschaftlichen Konzeption des Sammelbandes leider kein begleitet von einer »Dokumentation der Deut- portationen – wie Litzmannstadt (Łódź), Warschau, Theresienstadt, In den nächsten vier Beiträgen geht es um außereuropäische Länder gesonderter Stellenwert eingeräumt. 2. Dass der Antisemitismus als schen Bahn AG«, die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Tech- Auschwitz u.a. – eingegangen und mit biografi schen Skizzen (Henry und Regionen; Lateinamerika, Schanghai, die Vereinigten Staaten und Fluchtgrund keine spezielle Beachtung in den Flüchtlingspolitiken nikmuseum Berlin und der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Friedlander, Else Ury, Gertrud Kolmar) ergänzt. Die Zeugenaussa- das damals unter britischem Mandat stehende Palästina. Der zuletzt erfuhr, wird von Caestecker und Moore zwar erwähnt (S. 317), dieser Judaicum entstanden ist. Diese Ausstellung und das bereits 1998 vor- gen aus dem Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1964 von einem genannte Beitrag ist mit knapp 30 Seiten der längste der vier Artikel, Tatsache wird aber keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei gestellte Mahnmal »Gleis 17« am Berliner Bahnhof Grunewald – zu ehemaligen Häftling (Rudolf Vrba) über das »Aufräumungskom- was auf den zentralen Zusammenhang zwischen Antisemitismus, würde es sich aufgrund von mindestens zwei Beobachtungen auf in- dem es gleichfalls eine Publikation gibt – sind sehr späte Ergebnisse mando« in Auschwitz und eines Reichsbahners der Güterabfertigung Zionismus und die meist klandestine Immigration im Vorfeld der ternationaler Ebene sicher lohnen, diese eklatante Nichtbeachtung des langwieriger Auseinandersetzungen über die Mitwirkung der Deut- in Auschwitz bilden informative und erschütternde Ergänzungen. Gründung des Staates Israel verweist. Mit der Frage nach der privi- Antisemitismus einer genaueren Analyse zu unterziehen. Zum einen schen Reichsbahn bei der Ermordung von in der NS-Zeit als Juden Leider bleiben die Aussagen dieses Eisenbahners eine Ausnahme. legierten Aufnahme von Kinderfl üchtlingen in den liberalen Staaten der Rücktritt von James G. Macdonald als Hoher Kommissar für die und »Zigeuner« verfolgten Menschen. Für diese Erinnerungsprojekte Es wäre wünschenswert gewesen, wenn weitere Aussagen von den Europas schließt der erste Teil des Sammelbandes ab. Flüchtlinge aus Deutschland beim Völkerbund 1935, verbunden mit brauchte die Deutsche Bahn über sechs Jahrzehnte seit dem Ende des zahlreichen mit den Deportationen befassten Eisenbahnern doku- Der zweite Teil mit dem Titel »A Comparative Analysis of Im- einer von ihm verfassten, auch veröffentlichten Stellungnahme gegen NS-Regimes und mehr als drei Jahrzehnte nach Raul Hilbergs Studie mentiert worden wären. Dadurch bleiben sie weiter im Dunkeln. migration Policies of Liberal States in Western Europe and the Flight die sogenannten Nürnberger Gesetze, zum anderen die Nichtanhö- The Role of German Railroads in the Destruction of the Jews (1976) Am Beispiel des mitten in der Stadt Berlin gelegenen Bahn- from Nazi Germany« umfasst vier Beiträge von Frank Caestecker rung der Flüchtlingshilfsorganisationen auf der Evian-Konferenz mit – die deutsche Fassung Sonderzüge nach Auschwitz erschien 1981. hofs Grunewald, von dem 1941/42 von einem Sonderzuggleis die und Bob Moore, die in chronologischer Folge die Flüchtlingspolitik ihren Forderungen, insbesondere den jüdischen Flüchtlingen Schutz Der Band zur Ausstellung ist populärwissenschaftlich und mit ersten Massendeportationstransporte abgingen, wird auf die erin- bis zum August 1939 nachzeichnen (S. 193–324). Dabei werden zwei zu gewähren. Hannah Arendt hatte ja für die Zeit zwischen den beiden Fotografi en und Dokumentenfaksimiles reichhaltig illustriert. Zunächst nerungskulturellen Anstrengungen eingegangen. Diese führten erst sich gegenseitig beeinfl ussende bzw. sogar bedingende Entwick- Kriegen festgestellt, dass »die Judenfrage die Schwierigkeiten des wird in der Einleitung an die initiierende Funktion von Serge und Beate 1998 zur Installation des von Nikolaus Hirsch, Wolfgang Lorch und lungslinien festgestellt: zum einen die zunehmend restriktive Homo- Minderheiten- wie des Staatenlosenproblems in sich vereinigte und Klarsfeld und die von ihnen gegründete Organisation »Söhne und Töch- Andrea Wandel konstruierten Denkmals »Gleis 17«. Das von ihnen genisierung der nationalen Flüchtlingspolitiken in den potenziellen exemplarisch repräsentierte«.4 Spannend wäre es zu wissen, wie eine ter der deportierten Juden Frankreichs« erinnert. Es folgen ein kurzer herausgegebene deutsch-englischsprachige Buch besteht aus drei Aufnahmeländern, was seinen offensichtlichen Ausdruck auf der Evi- politikwissenschaftliche Analyse der Flüchtlingspolitik zwischen 1933 Überblick über die Schwierigkeiten bei den Forschungen sowie einige Teilen – zwischen je drei Essays und historischen Darstellungen an-Konferenz im Juli 1938 fand, zum anderen die zunehmende antijü- und 1939 diesen Gedanken aufgreifen und weiterentwickeln würde. Forschungsergebnisse. Eingeleitet wird die Dokumentation durch kurze sind Fotografi en des Denkmals abgebildet: Auf den beiden Seiten dische Verfolgung in Europa insbesondere im Laufe des Jahres 1938. Passagen aus Interviews mit drei überlebenden Konzentrationslager- des Gleises befi nden sich Stahlplatten als symbolische Bahnsteige, Durch die Annexion Österreichs im März 1938 sowie in Deutschland Anne Klein häftlingen und abgeschlossen mit an Zeitzeugen und Zeitzeuginnen an deren Rand die Deportationstransporte mit Datum, Anzahl der durch antijüdische Besitzenteignung und Pogrome wurden immer Köln orientierten Darstellungen von Deportationen aus Mannheim, Berlin, Verschleppten, Abgangs- und Zielort aufgelistet sind. mehr Menschen zu Flüchtlingen. Asylgewährung war vor allem als Frankfurt am Main, Dresden, Halle, Köln, Münster und München. In Der Kulturwissenschaftler Harald Welzer verdeutlicht, dass symbolische Stellungnahme gegen den zunehmenden Faschismus in den dazwischen platzierten Kapiteln werden Aspekte der Geschichte »man sich von der Vorstellung frei machen muss, dass es bei Ge- Europa zu verstehen, wie die fl üchtlingsfreundlichen Maßnahmen der Eisenbahn im nationalsozialistischen Deutschland und insbesondere waltverbrechen auf der einen Seite Täter gibt, die Verbrechen planen, der Volksfront-Regierung zwischen 1936 und 1938 zeigen (S. 315). 4 Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 451. die Tatbeteiligung der Reichsbahn bei den Deportationen behandelt. vorbereiten und ausführen, und auf der anderen Seite Unbeteiligte

82 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 83 und Zuschauer, die einen tief greifenden Gesellschafts- und Werte- Wegweisende Studie zum praxeologische Rahmung seiner Studie. Auf dem kulturtheoreti- zwischen den Bau- und den Produktionsaußenlagern marginal. Auch wandel lediglich indifferent zur Kenntnis nehmen« (S. 15). Jorge KZ-Komplex Neuengamme schen Konzept von Pierre Bourdieu basierend, verknüpft er die Un- war die Todesrate westeuropäischer Gefangener in einigen Lagern Otero-Pailos ist Architekturtheoretiker und Dozent für Denkmal- tersuchung individueller Handlungen mit den diese umgebenden weitaus höher als die osteuropäischer Gefangener. Der Autor vermag pfl ege (Columbia University in New York) und refl ektiert die Fra- strukturellen Handlungsbedingungen. Mit der Anwendung dieses diese Auffälligkeiten anhand einer hermeneutischen Darstellung der ge Erinnerungswert und Denkmalpfl ege, und die Architekten des Konzeptes auf die empirische KZ-Forschung ist Buggeln eine Pio- Verhältnisse in den einzelnen Lagern durchweg schlüssig und für Denkmals diskutieren »Permanenz und Sukzession«. Marc Buggeln nierleistung gelungen. Er nimmt mit diesem Ansatz die Komplexi- den Leser erkenntnisfördernd zu deuten. So beschreibt er etwa die Die historischen Beiträge gehen auf die Geschichte des Denk- Arbeit & Gewalt. Das Außenlagersystem tät und Heterogenität von Handlungsmöglichkeiten und -strategien Abhängigkeit der Überlebenschancen von der Beschaffenheit der mals (Susanne Kill) und Geschichte der Deportationstransporte ein. des KZ Neuengamme sowohl von Tätern als auch Häftlingen gleichzeitig in den Blick. Unterkünfte, von den Möglichkeiten des partiellen Kontrollentzugs, Diana Schulle gibt einen sehr informativen Überblick, der über »Die Göttingen: Wallstein Verlag, 2009, 750 S., Damit leistet der Autor einen neuen Beitrag zur Täter- und Gewalt- vom Datum des Eintritts der Gefangenen in den KZ-Kosmos wie Daten des Mahnmals in Grunewald« weit hinausreicht. Die Mitau- € 77,90 forschung, die Wolfgang Sofskys Theorem struktureller Gewalt in auch von der Solidarisierungsmöglichkeit bzw. -fähigkeit einzel- torin der kommentierten Chronologie über Die »Judendeportatio- Form von »absoluter Macht« ernst nimmt, aber gleichsam empirisch ner Häftlingsgruppen. Auch die signifi kant niedrigere Sterberate nen« aus dem Deutschen Reich 1941–1945« (Wiesbaden 2005) und gegen den Strich bürstet und differenziert.2 weiblicher Häftlinge in den Außenlagern – sowohl im Vergleich zu anderer wichtiger NS-Forschungsarbeiten beschreibt fundiert die Bevor der Autor zu den Verhältnissen in den Neuengammer Au- Außenlagern mit männlichen Häftlingen als auch im Vergleich zum Geschichte der Recherchen für das Gedenkbuch Opfer der Verfol- ßenlagern vordringt, referiert er souverän die strukturgeschichtlichen KZ-Hauptlager Ravensbrück oder dem Frauenlager in Auschwitz- gung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Marc Buggeln hat sich einiges vorgenom- Rahmenbedingungen ihrer Gründung und Existenz. Er arbeitet die Birkenau – vermag Buggeln aus der Wechselwirkung von spezifi - in Deutschland 1933–1945 (Koblenz 1986, 2., erw. Aufl age, Koblenz men. Sein Forschungsthema ist ebenso um- Bedeutung der Sklavenarbeit von KZ-Häftlingen für die deutsche scher Bewachungs- und Gewaltintensität sowie gruppen- und ge- 2006) seit 1960 sowie das Gedenkbuch der jüdischen Opfer fangreich wie sein wissenschaftlicher Ansatz. In seiner Dissertation Kriegswirtschaft heraus und relativiert ganz entschieden den ver- schlechtsspezifi scher Merkmale überzeugend zu deuten. des Nationalsozialismus (Berlin 1995) und die damit zusammenhän- will der Historiker nicht nur das System der 86 Außenlager des KZ meintlichen Primat der rassistischen Ideologie vor der ökonomischen Die praxeologisch-hermeneutische Interpretation des For- genden Probleme bei der Datenerfassung. Sie geht auf die Chrono- Neuengamme strukturgeschichtlich vollständig rekonstruieren. Er Ausbeutung. Buggeln unterfüttert diese These mit einer luziden schungsfeldes kann aber, dies zeigt die Schlussbetrachtung des logie der Erhebung der Deportationstransporte, die Datenherkunft untersucht sein Forschungsthema vielmehr mit einem »praxeologi- Beschreibung der Kooperationen zwischen SS, Unternehmen, Büro- Buches deutlich, sich mitunter selbst ein Fallstrick sein. Dort, wo für das Mahnmal am Bahnhof Grunewald, die übrigen Deportati- schen Ansatz« kulturgeschichtlich und hermeneutisch – und dies in kratie und Wehrmacht beim Arbeitseinsatz der Häftlinge. Es gelingt Phänomene jeweils als Einzelfälle schlüssig erklärt sind, verlieren onsbahnhöfe und die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Zahlen der analytischen Multiperspektivität mehrerer Fachdisziplinen. Das ihm nachzuweisen, dass die Verantwortlichkeit für die Gründung sie auch ihre Generalisierbarkeit, fehlt manchmal eine Vergleichbar- der deportierten Juden und Jüdinnen ein. Zukünftige Forschungen Ergebnis dieses anspruchsvollen Unterfangens liegt nun als in jeder von Außenlagern und die Lebensverhältnisse in diesen ganz über- keit über den konkreten Einzelfall hinaus. Wenn sich alles schlüssig fi nden in dem Beitrag eine Fülle von Informationen einschließlich Hinsicht gewichtige Monografi e vor. Um es gleich vorwegzuneh- wiegend nicht bei der SS lag, sondern beim Rüstungsministerium, aufgrund »lokaler Dynamiken« erklären lässt, bleibt es letztlich der ernüchternden Feststellung: »Eine annähernd feststehende Zahl men: Auf 750 Seiten setzt Buggeln in jedem seiner insgesamt zehn den ausführenden Stäben, städtischen Behörden sowie vor allem doch wieder ein lokalhistorischer Einzelfall. Es ist Buggeln hoch deportierter Personen wird jedoch nie existieren.« (S. 143) Kapitel Maßstäbe. bei den Rüstungsbetrieben, der Wehrmacht und der Reichsbahn. anzurechnen, dass er diese Fußangel klar vor Augen hat und sie mit Der Verkehrshistoriker Alfred Gottwaldt hat mit Schulle die er- Die Geschichtswissenschaft hat das weitverzweigte Netz von Diese Arbeitsteiligkeit führt der Autor im folgenden Kapitel über einer konsequenten Kontextualisierung zu umgehen versucht. Und es wähnte Chronologie der Deportationen verfasst und informiert in KZ-Außenlagern lange Zeit fast völlig ignoriert. Erst seit den 1980er Verwaltungsaufbau und Versorgungsstrukturen der Neuengammer ist mitnichten sein Versäumnis, dass vergleichbare Untersuchungen seinem Beitrag über die Topografi e der Orte der »Judendeportation«: Jahren entstanden zahlreiche meist lokalhistorisch motivierte Stu- KZ-Außenlager weiter aus. zu den anderen KZ-Komplexen bisher fehlen. Diese werden sich die Standorte des polizeilichen Verfolgungsapparates in Berlin – vom dien zu einzelnen Lagern. Trotz – oder gerade wegen – der oftmals Bereits in diesen einleitenden Kapiteln zeigt sich das erkennt- sämtlich an der wegweisenden Studie von Marc Buggeln messen Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße und dem Eich- detailreichen Einzeldarstellungen wurde die Notwendigkeit einord- nistheoretische Potenzial einer »praxeologischen« Analyse, da sie lassen müssen.3 mann-Referat in der Kurfürstenstraße bis zum Polizeipräsidium – und nender und systematisierender Studien zum System der in sich sehr das Forschungsfeld breit auffächert. Es ist Buggelns überaus große die Zentren der Eisenbahnverwaltung. Er informiert, wo die jüdischen unterschiedlichen Außenlager immer virulenter. Inzwischen liegt mit Leistung, diese Perspektive in den Kapiteln fünf bis sieben, dem Jörg Skriebeleit Verwaltungsorgane ihren Sitz hatten und wo sich die Sammellager für den Bänden der Reihe »Der Ort des Terrors« die erste Gesamtdar- eigentlichen Kern der Studie, konsequent durchzudeklinieren. An- Weiden die Deportationen und die Ausgangsbahnhöfe befunden haben, darunter stellung der nationalsozialistischen Konzentrationslager vor, in der hand seines zentralen Vergleichsmaßstabes, den Sterblichkeitsraten der Bahnhof Grunewald. Da die Quellengrundlagen nicht immer befrie- auch die mehr als 1.200 Außenlager ausführlich behandelt werden.1 von Häftlingen in den 86 Neuengammer Außenlagern, versucht er, digend sind, werden manche Angaben mit Fragezeichen versehen. Aus- Dennoch leiden die Gesamtdarstellungen der jeweiligen Lagerkom- Faktoren zu defi nieren, welche die Überlebenschancen von Häft- schnitte aus dem Berliner Stadtplan erleichtern das Auffi nden der Orte. plexe unter der Heterogenität ihrer Autoren. Nicht selten verharren lingen entscheidend beeinfl ussten. Er setzt die äußeren Rahmenbe- Wer sich über die Geschichte der Deportationen informieren diese in einem lokalistischen und kontextlosen Tunnelblick, der den dingungen der Außenlager, den Charakter des Arbeitseinsatzes und will, kann zu beiden Publikationen greifen, die sich durchaus ergän- systematischen Erkenntnisgewinn nicht zwingend befördert. der jeweiligen Lagertopografi e in Bezug zu den kollektiven und zen: Als populärer Überblick ist Sonderzüge in den Tod mit seinen An dieser Stelle setzt Marc Buggeln an, auch er bis dato Autor individuellen Überlebensstrategien von Häftlingen. Diese vergleicht zahlreichen Abbildungen und der Wiedergabe von Dokumenten gut zahlreicher Einzelstudien zu Außenlagern des KZ Neuengamme. er wiederum mit den unterschiedlichen, in den jeweiligen Lagern geeignet. Die Dokumentation zum Mahnmal am Berliner Bahnhof Die Multiperspektivität, die er nun in seiner Dissertation zum Ana- agierenden Tätergruppen. Dabei kommt Buggeln zu überraschenden Grunewald verdeutlicht das mit den Deportationen zusammenhän- lyse- und Darstellungsprinzip erhebt, schlägt sich in der Gliederung Befunden. So blieben im System Neuengamme, anders als in Maut- gende Geschehen am Beispiel eines Ortes und den damit verbun- der Arbeit konsequent nieder. In der Einleitung begründet er die hausen oder Flossenbürg, die Unterschiede in den Sterblichkeitsraten denen geschichtspolitischen Entwicklungen.

3 Gegenwärtig entstehen zwei Dissertationen am Zentrum für Antisemitismusfor- Kurt Schilde 1 Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.), Der Ort des Terrors, 9 Bände, München 2 Wolfgang Sofsky, Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager, Frankfurt schung der TU Berlin: Andrea Rudorff zu den Außenlagern des KZ Groß-Rosen, Siegen-Geisweid 2003–2010. am Main 1993. Ulrich Fritz zu denen des KZ Flossenbürg.

84 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 85 Feindbild vom unnützen Menschen (formuliert von Paul Werner, nach dem Krieg unter anderem Staats- der gesetzlichen Legitimierung und der praktischen Ausgestaltung Motiven der Vernichtungspolitik noch der Dynamik der gegenwär- sekretär des Innern in Baden-Württemberg) diente als Grundlage für von erzwungenen Arbeitseinsätzen« (S. 244). Damit ist zugleich tigen Sozialpolitik wird man gerecht, macht man die Kapitallogik zwei Verhaftungswellen, bei denen im April und Juni 1938 reichsweit gesagt, dass die Kontinuitäten spätestens mit dem Jahr 1937 enden: zum historischen Akteur – sie betreibt weder KZs noch Jobcenter. Anne Allex, Dietrich Kalkan (Hrsg.) 11.000 sogenannte Asoziale verhaftet und in KZs deportiert wurden, Arbeitshaus-Internierung und Lagerhaft haben in den heutigen Ihre Beschreibung genügt nicht, um einen konkreten historischen ausgesteuert – ausgegrenzt sodass sie in Sachsenhausen und Ravensbrück einige Zeit die größte Zwangssystemen keine Entsprechung. Das ist ein ebenso mar- Zusammenhang zu entschlüsseln. Gleichwohl bleibt die Frage bri- … angeblich asozial Opfergruppe bildeten. Wenige Wochen nach den Massenverhaf- kanter Unterschied wie die nebenbei erwähnte Tatsache, dass sich sant, wieso heute das »Feindbild vom ›unnützen‹ Menschen« (Allex, Neu-Ulm: AG SPAK, 2009, 351 S., tungen »waren Meldungen zum Verhängen von Vorbeugungshaft Beschäftigungsgesellschaften heute eine goldene Nase verdienen, S. 295) wieder präsent ist und in brachialer Terminologie – Bezeich- € 28,– gegen ›Asoziale‹ in das normale, routinemäßige Verwaltungshan- während damals der Nutzen allein Staat und Volksgemeinschaft nungen wie »Abzocker« oder »Sozialleistungsschnorrer« tauchten deln vieler Kommunen integriert. Wohlfahrtsbehörden drängten die zugutekommen sollte. etwa in einem Report des Bundesministeriums für Wirtschaft und Kriminalpolizeibehörden geradezu zur KZ-Verbringung von ›Aso- Für Wolfgang Ratzel liegt Kontinuität darin, dass auch heute Arbeit 2005 auf (vgl. S. 288) – Raum gewinnt. Auch wenn heute zialen‹« (Ayas, S. 26). Die NS-Maßnahmepolitik wurde von den »der Mensch nach dem Grad der Verwertbarkeit seiner Arbeitskraft allenfalls der Tod Einzelner »in Kauf genommen wird« (S. 296), liegt KZ-Haft erlitten zu haben garantiert nicht normenstaatlichen Institutionen aufgenommen und zu praktischer beurteilt« (S. 134) wird. Nur sei der Bezugsrahmen, der Zwangs- in der sozialpolitisch organisierten Abwertung von Erwerbslosen die Anerkennung als NS-Opfer. Den soge- Wirksamkeit gebracht: Fürsorge, Arbeitsverwaltung und Polizei maßnahmen zu rechtfertigen habe, nicht mehr Rasse und Volks- und Hartz-IV-Beziehern das Potenzial einer noch bedrohlicheren nannten Asozialen wurde die Anteilnahme, die gemeinhin unschul- arbeiteten reibungslos zusammen. körper, sondern der Standort. Die »Methoden der ›Auslese‹ und Gangart. Die Frage der Kontinuität wäre gerade deshalb präziser dig Verfolgten zukommt, vielfach verweigert. In der Hierarchie der Die Bezeichnung »asozial« (synonym: »gemeinschaftsfremd«) ›Ausmerze‹« hätten sich von Zwecksetzungen, »die außerhalb der zu erörtern, als das in diesem Buch geschieht. Ihm kommt jedoch Lagergesellschaft weit unten angesiedelt, wurde ihre massenhafte ist denunziatorisch. Mit ihr geht die Behauptung einher, es gebe reinen Kapitalakkumulation lagen« (S. 136), emanzipiert. Der Drang das Verdienst zu, die Kritik der Erinnerungspolitik mit der der So- Inhaftierung 1938 von den politischen KZ-Häftlingen als Mittel eine abgrenzbare Gruppe von Menschen, die ein Merkmal bzw. zur Intensivierung des Verwertungsprozesses sei quasi als nackte zialpolitik zu verbinden. zum Zweck ihrer – der Politischen – Diskreditierung betrachtet. Im bestimmte Attribute teilen. Übergangen wird dabei, dass gerade im Kapitallogik wieder aufgetaucht. Offen bleibt bei dieser Szene ei- Bundesentschädigungsgesetz nicht erwähnt, vom Gedenkstättenbe- Bereich von Arbeits- und Lebensformen wie auch von sexueller nes vom Ballast weltanschaulicher Bilder befreiten Kapitalismus, Christoph Schneider trieb nur gestreift, gibt es kaum eine Opfergruppe, die weniger im Orientierung das Nichtkonforme mit Zuschreibungen bedacht wird wie man sich Gesellschaft vorzustellen hat. Weder den historischen Frankfurt am Main öffentlichen Gedächtnis verankert ist. Stellt man in Rechnung, dass – die Grenze zwischen Fakt und Fiktion ist fl ießend. Im NS richtete die unter der genannten Bezeichnung subsumierten Wohnsitzlo- sich die Repression sowohl gegen den Kreis der Fürsorgeempfänger sen, Bettler und Tagelöhner, Prostituierten, Fürsorgeempfänger und wie gegen Personen, die die Arbeits- und Sozialordnung unterlie- Vorbestraften vor wie nach dem NS von der Mehrheitsgesellschaft fen. Aber weder wurde abweichendes Verhalten jeder Art verfolgt misstrauisch beäugt, behördlich erfasst und strafrechtlich verfolgt noch waren alle Verfolgten Fürsorgeempfänger oder eines Delikts wurden, dann erscheint es angemessen, die historische Forschungs- schuldig – wieder einmal gilt, dass erst die Stigmatisierungs- und Initiative 9. November Barbara Thimm BBarbaraarbara TThimmhimm arbeit mit einem gegenwartspolitischen Einsatz zu verbinden. Verfolgungsmaßnahmen die Verfolgten zur Gruppe homogenisie- Gottfried Kößler GGottfriedottfried KKößlerößler Erinnerung SSusanneusanne UlrichUlrich (Hrsg.)(Hrsg.) Der Arbeitskreis »Marginalisierte gestern und heute« hat einen ren. Anders aber als bei den Bezeichnungen schwul oder Nigger Susanne Ulrich (Hrsg.) braucht VVerunsicherndeerunsichernde Band publiziert, dem Veranstaltungen der Jahre 2008 und 2009 zu- ist bei der Vokabel asozial eine Gegenbesetzung und umwertende Zukunft Verunsichernde Orte OOrterte grunde liegen. Beiträge zur Verfolgung von Bettlern und sozialen Aneignung offensichtlich chancenlos. Christa Schikorra, die über SSelbstverständniselbstverständnis Joachim Carlos Martini Der Ort der uundnd WWeiterbildungeiterbildung Joachim Carlos Martini zerstörten Synagoge Selbstverständnis iinn dderer Gedenk-Gedenk- Außenseitern im NS, zu den Strafgefangenen der Emslandlager und die mit dem Stigma behafteten Frauen von Ravensbrück geforscht sstättenpädagogiktättenpädagogik Musik Musik an der Friedberger und Weiterbildung zum Jugendkonzentrationslager Uckermark stehen neben Reden hat, vermied in der Kontaktaufnahme den Begriff (vgl. S. 196). als Form Widerstandes Anlage in Frankfurt in der Gedenkstätten- geistigen Jüdische Musikerinnen am Main pädagogik über die »Aktion Arbeitsscheu« und die Beteiligung der Polizei Im Band fi nden sich verstreut einige Thesen, die den Zusam- und Musiker 1933-1945 Das Beispiel Widerstandes Frankfurt am Main daran. Analysen der NS-Arbeitseinsatzpolitik treffen auf Zeitzeu- menhang zwischen der Verfolgung und Ermordung von »Asozi- Texte, Bilder, Dokumente Jüdische 208 S., Großformat genberichte und Porträts von Überlebenden. Sex-Zwangsarbeit in alen« im Rahmen nazistischer Rasse- und Sozialpolitik und den Musikerinnen und BBrandesrandes & ApselApsel 268 S., Frz. Br., € 19,90 Pb., zahlr. Abb., € 19,90 Musiker 1933-1945 Lagerbordellen wird ebenso thematisiert wie der Zusammenhang aktuellen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Repressalien zu fas- Brandes & Apsel ISBN 978-3-86099-630-0 Das Beispiel ISBN 978-3-86099-627-0 von erbbiologischen und sozialen Diagnosen. Die Transkription einer sen versuchen. Prekäre Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit und zeitlich Frankfurt am Main Die Adresse Friedberger Anlage 5-6 steht für Podiumsdiskussion über Rehabilitierung und Entschädigung, ein befristete Arbeitsverhältnisse sind heute vielfach an die Stelle einer Zwei Generationen nach dem Ende des National- Bd. 1 Texte, Bilder, Dokumente die Vielfalt jüdischen Lebens in Frankfurt am sozialismus ist die Gedenkstättenpädagogik ein Grußwort, ein Aufruf zur Schaffung eines Ortes des Erinnerns und existenzsichernden Erwerbsarbeit getreten. Diesen Wandel durch- 308 S., geb. mit Fotos, € 29,90 Main als auch für dessen Zerstörung. Hier Arbeitsfeld, das sich etabliert hat. Die Profession- des Nachdenkens – das Spektrum der Texte reicht von der Geschichte zusetzen bedurfte es – so Harald Rein – des »staatlich organisierten ISBN 978-386099620-1 fanden Brandstiftung und Vernichtung der alisierung und der Abschied von den Zeitzeugen Synagoge unter den Augen der Bevölkerung statt. der Arbeitshäuser und Asylvereine über die NS-»Asozialen«-Ver- Arbeits- und Unterwerfungszwangs in Form von erzwungenen Bd. 2 Quellen, 492 S., geb., € 29,90 lenken die Aufmerksamkeit auf die vielfältigen ISBN 978-3-86099-621-8 Ausgerechnet hier erfolgte 1942/43 die Errichtung pädagogischen und psychologischen Fragen, die folgung bis zu den Aspekten gegenwärtiger Sozialpolitik und bildet Arbeitseinsätzen zur Niedriglohnarbeit bzw. zu Arbeiten mit Mehr- Beide Bde. zus. ISBN 978-3-86099-622-5, € 54,90 eines Schutzbunkers als Zufluchtsort vor dem die Mitarbeitervon Gedenkstätten bei ihrer Arbeit Bombenkrieg. Seit Jahrzehnten wird die zukünf- zu berücksichtigen haben und die bisher nicht die Bandbreite des Engagements des Arbeitskreises ab. aufwandsentschädigung (Ein-Euro-Jobs)« (S. 243). Die vom Job- Eine reich illustrierte, zweibändige Dokumentation tige Gestaltung und Nutzung dieses besonderen zusammengefasst worden sind. Infolge der Kriegsvorbereitung war die Arbeitslosigkeit zwi- center Abhängigen bekämen im Falle der Verweigerung der Arbeit der Verfolgung aber auch des Widerstandes jü- Frankfurter Ortes intensiv diskutiert. schen 1936 und 1938 einem Arbeitskräftemangel gewichen. Die die Existenzgrundlage entzogen, in den Arbeitsbehörden regiere discher Musiker und Musikerinnen in Frankfurt am Themen des Buches sind die Frankfurter Ein Praxisteil mit Übungen zur Selbstreflexion zeigt Main, neben Berlin das Zentrum jüdischen Musikle- Gedenk- und Erinnerungspolitik, die Geschichte auf, wie Qualifizierung und Weiterbildung in diesem Organisatoren der Vierjahresplanbehörde erwogen, die unter den die »Verfolgungsbetreuung« (S. 247), zugleich unterliege der Be- bens in Deutschland, unter der Naziherrschaft. der Israelitischen Religionsgesellschaft, Arbeitsfeld aussehen kann. Wohnungslosen und Wanderern vermutete Arbeitskräftereserve in treffende »Stigmatisierungsmechanismen« (S. 243). Kontinuitäten »Es sind die Einzelschicksale (…) die berühren, die das Arbeitskonzept und die Nutzungs- und den Produktionsprozess einzubinden. Ein Erlass über die »vorbeu- »zur Weimarer Republik und den Anfängen des Nationalsozialis- Biografien und Werke, die Martini dem Vergessen Gestaltungsideen für den Bunker am Ort der entreißt – den Terror sichtbar macht.« (hr online) ehemaligen Synagoge. www.brandesapselverlag.de gende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei« vom 14.12.1937 mus« gebe es daher im Bereich »des Begründungszusammenhangs,

86 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 87 Soziale Zielrichtung Fürsorgestelle organisierte zudem Transporte von Anstaltsinsassen Identifi kation mit den Opfern Sie motivierten den »Versuch«, die Toten »zu vergessen«, und die in die ausführende Klinik. »Tendenz, ihre Rache durch nachträgliche Eingemeindung und Hei- Die Studie ergänzt solche strukturellen Aspekte mit der Unter- ligsprechung abzuwehren« (S. 187). Durch die »geliehene Identität« suchung der Rolle einzelner Akteure, wie dem Leiter des Gesund- (S. 29), die über die Trauer konstituiert wurde, wollte sich die zweite Sonja Endres heitsamts Carl Coerper, dem Leiter der »Beratungsstelle für Erb- und Ulrike Jureit, Christian Schneider Generation nach dem Holocaust von ihren Eltern, den unmittelbaren Zwangssterilisation in Köln 1934–1945 Rassenpfl ege« Walter Auer oder dem Vorsitzenden Richters des Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangen- Tätern, distanzieren. Dem lag der unbewusste und unrefl ektierte Köln: Hermann-Josef Emons Verlag, 2010, Erbgesundheitsgerichts Köln Peter Nesseler. »Wie die Ergebnisse heitsbewältigung Wunsch zugrunde, den Massenmord an den europäischen Juden 271 S., € 22,50 der bisher vorliegenden Lokal- und Regionalstudien zu den natio- Stuttgart: Klett-Cotta Verlag, 2010, 254 S., ungeschehen zu machen. Dieser ist jedoch unerfüllbar. Schneider nalsozialistischen Zwangssterilisationen zeigen, gab es teilweise € 21,95 stellt ihm als die »höchste« Möglichkeit des Umganges mit der recht große Unterschiede im Hinblick auf die Art und die Intensität Vergangenheit die Maxime Hannah Arendts entgegen, »zu wissen der Durchführung, was nicht zuletzt auf die verantwortlich han- und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist« (S. 137). Das Nürnberger Militärtribunal hat das »Ge- delnden Personen zurückzuführen ist.« (S. 82) Deutlich wird, wie Den Essay von Ulrike Jureit »Opferidentifi kation und Erlösungs- setz zur Verhütung erbkranken Nachwuch- die drei Genannten dem Gesetz spezifi sches Leben einhauchten. Eine umfassende Kritik der gegenwärtigen hoffnung« kann man als Versuch verstehen, Schneiders Kritik auf die ses« (GzVeN) nicht in die Reihe der Rassengesetze eingeordnet. Ihnen, ebenso wie dem Psychiater und Gefängnisarzt Franz Kapp Erinnerungskultur – das ist die Zielsetzung Erinnerungskultur in Deutschland, ja global zu verallgemeinern. Das Zwar war durch die Aufl ösung der »Erbgesundheitsgerichte« die und dem Gynäkologen Friedrich August Wahl, widmet die Autorin des Buches Gefühlte Opfer von Ulrike Jureit und Christian Schnei- Problematische der gegenwärtigen Erinnerungskultur, so Jureit, liege Zwangssterilisationspraxis de facto beendet, aber das nationalsozia- Unterkapitel, die auch den jeweiligen Werdegang nach dem Krieg der. Es besteht aus einer von den Autoren zusammen verantworteten in der Verknüpfung eines unbegründeten Erinnerungsgebots mit einer listische Sterilisationsgesetz wurde nur in einigen Regionen formell nicht aussparen. (Markant ist das faksimilierte Leumundszeugnis, Einleitung und zwei individuell verfassten Essays. Deren gemein- ebenso unbegründeten Hoffnung auf Versöhnung bzw. Erlösung. Die außer Kraft gesetzt. In der Folgezeit bezogen sich Mediziner, Juristen das Auer 1946 der britischen Militärregierung vorlegte und das er samer Ausgangspunkt ist die Annahme, dass dieser Kultur ein ein- Rede Richard von Weizsäckers vom 8. Mai 1985 habe zu einer Sak- und Politiker positiv auf Maßnahmen der Eugenik, insbesondere von – ausgerechnet – Nesseler erhalten hatte.) heitliches, begriffl ich fassbares »Dispositiv« zugrunde liege. Es sei ralisierung von Erinnerung geführt; das jüdische Erinnerungsgebot auf die Sterilisation. Nicht zuletzt deswegen erscheinen heute – erst Die weitere Rekonstruktion der Kölner Verhältnisse bezieht mit der Studentenbewegung der 1960er Jahre entstanden und habe sei aus der religiösen Sphäre in den säkularen Bereich transformiert heute, noch heute – Studien zur Praxis der NS-Zwangssterilisation. die Untersuchung der Anzeigensteller mit ein und erörtert den Ab- zunehmend die politische und kulturelle Öffentlichkeit geprägt. Eta- worden. Auch die Gedächtnistheorien Aleida und Jan Assmanns, die Für den Raum Köln hat (bevor das Stadtarchiv in den U-Bahn- lauf der Gerichtsverfahren. Häufi g setzt die Autorin die Ergebnisse bliert worden sei es von der zweiten Generation nach dem Holocaust: die Erinnerungskultur mit prägten, seien von diesem unbegründeten Schacht stürzte) Sonja Endres die umfangreichen Aktenbestände in Beziehung zu anderen Kommunal- und Regionalstudien. Den den Achtundsechzigern und den folgenden Protestgenerationen. Erinnerungsgebot getragen. Mit der Etablierung dieses Dispositivs des »Erbgesundheitsgerichts« Köln in einer Studie ausgewertet. Ein Gutachtern wegen verschiedentlich zutage tretender Ressentiments Beide Essays wenden sich gegen das in der Einleitung vorge- eines opferidentifi zierten Gedächtnisses in Deutschland und schließ- ungewöhnlich gut ausgestatteter, mit großformatigen Faksimileab- mangelnde Sachlichkeit anzukreiden fällt allerdings hinter die Er- stellte Dispositiv. Christian Schneiders Aufsatz »Grundlagen der lich Europa habe sich die ganz spezifi sche Bewusstseinslage einer drucken und Fotografi en bedachter Band ist dabei herausgekommen. kenntnis zurück, dass diesen Verfahren eine politische Zielsetzung Vergangenheitspolitik« analysiert seinen affektiven Kern. Um ihn Generation in einer Art »erinnerungspolitischer Selbstermächtigung« Die Vorgeschichte einbeziehend weist die Autorin auf die Be- vorgeordnet war, die sich in der »Weise der Untersuchung und Be- zum Ausdruck zu bringen, erzählt er die Geschichte des Gedenkens zum allgemeinen und alleingültigen Konzept gemacht. deutung der kommunalen Beratungs- und Fürsorgestellen hin. Sie fragung« allenfalls einmal mehr ausdrückte, von dieser jedoch kaum an die nationalsozialistischen Verbrechen in Deutschland ausge- Der Ausdruck »sich mit einer Sache oder einer Person identi- verschafften der Rassenhygiene wachsenden Einfl uss und akzen- mehr »entlarvt« (S. 145) werden kann. Der Freibrief zu Aggres- hend von der Remigration von Max Horkheimer und Theodor W. fi zieren« ist mehrdeutig. Er kann bedeuten: sich mit dieser Person tuierten die Idee der Gesundheitsfürsorge in spezifi scher Weise. sion, Willkür und Selbstherrlichkeit war eine der Gratifi kationen Adorno. Die »hohe« Sprecherposition der beiden »Entronnenen« gleichsetzen; wer sich mit einer Person in diesem Sinne identifi - Lange vor der »Machtergreifung« wurden bestimmte Personenkreise für die Akteure eines bevölkerungspolitischen Projekts, das in der wurde, wie Schneider schreibt, von ihren nichtjüdischen Schülern ziert, instrumentalisiert sie. Er kann aber auch bedeuten: sich für erfasst und kontrolliert. Von besonderer Bedeutung in Köln war – sozialsanitären Feinderklärung empirische Daten mit verbreiteten übernommen und für den »Opferdiskurs« der Angehörigen dieser die berechtigten Interessen einer Person einsetzen, ihre Perspektive neben der »Beratungsstelle für Erbgesundheitsfragen« – die bereits Projektionen mischte. Generation »stilbildend«. Indem diese sich mit den Opfern des Ho- zu berücksichtigen, dann, wenn ihr Ungerechtigkeit widerfährt, für 1922 gegründete »Fürsorgestelle für Nervöse«. Zu ihrer Klientel Der operativen Durchführung der Sterilisationen ist ein eigenes locaust identifi zierten, erfüllten sie sich den »zentralen Wunsch […] sie Partei zu ergreifen. Der Unterschied zwischen beiden Verhal- zählten keineswegs in erster Linie psychisch erkrankte Personen, Kapitel gewidmet, ebenso wie »Beschwerden und Widerstand« der unschuldig zu sein und den Schrecken, der aus ihrer Genealogie nicht tensweisen ist ohne Hinzunahme normativer Überlegungen nicht sondern in großer Zahl sozial auffällige und schwer erziehbare Kin- Opfer. Für die Behauptung, nicht an einer Erbkrankheit zu leiden, lag zu tilgen war, ungeschehen zu machen« (S. 122). Die Bedeutung, angemessen beschreibbar. der, »verwahrloste Jugendliche« sowie andere Personen, »die den die Beweislast bei den Verfolgten. Der Forderung, exogene Ursachen die der Affekt der Trauer für die Erinnerungskultur bekommen hat, Die These, dass die gegenwärtige Erinnerungskultur auch von bürgerlich geprägten gesellschaftlichen Normvorstellungen nicht nachzuweisen, war allerdings kaum zu entsprechen, daher begleiteten ist laut Schneider in diesem Kontext zu verstehen. Unter »Unfä- einer falschen Identifi zierung mit den Opfern geprägt ist, ist richtig. entsprachen« (S. 63). In der Fürsorgestelle wurden Informationen eher Formen des Protests und des Verzögerns die Verfahren. Abge- higkeit zu trauern« wurde von Anfang an – gegen Margarete und Sie zum Schlüssel der Erklärung für die gegenwärtige Erinnerungs- zusammengetragen und die familiäre Situation ausgeforscht. Entlas- schlossen wird die durchweg detaillierte und quellennahe Untersu- Alexander Mitscherlichs ausgedrückte Intention – eine quasimo- kultur insgesamt zu machen reicht zu weit: Nicht nur unterschlägt sungen aus der Psychiatrie wie aus der »Hilfsschule« sollten hierher chung durch ein Kapitel über den häufi g vergeblichen Kampf der ralische Forderung nach Mitgefühl mit den Opfern des Holocaust man damit deskriptiv die Bedeutung der Opfer als Akteure und der gemeldet werden, Justizstellen sowie Schulärzte konnten Personen Zwangssterilisierten um Anerkennung und Entschädigung: Der über- verstanden. Trauer aber ist, wie Schneider zutreffend schreibt »[…] verschiedenen Formen von Weltöffentlichkeit. Man verwischt auch überweisen. Das Ineinander von Versorgung, Erfassung, Kontrolle wiegende Teil der Wiederaufnahmeanträge wurde zurückgewiesen, kein moralischer, sondern […] ein spontaner […] Akt« (S. 131). das, was für die normative Unterscheidung von richtiger und falscher und Disziplinierung ließ sich unter veränderten wirtschaftlichen erst 1980 wurde eine Härtefallregelung geschaffen, ohne dass damit Die Generation der Täterkinder stand zu den Opfern nicht in einem Identifi zierung grundlegend ist: den Unterschied zwischen dem, was Verhältnissen und mit einem neuen Leiter rasch zu einem Stütz- eine formale Anerkennung als NS-Opfer einherging, und erst 1998 solchen Verhältnis, dass Trauern das angemessene Gefühl gewesen für eine besondere Gruppe als Verhalten angemessen erscheinen pfeiler der angewandten Eugenik ausbauen. Innerhalb der drei Mo- hob der Bundestag die Beschlüsse der Erbgesundheitsgerichte auf. wäre; denn Trauer hat man um »seine« Toten, Menschen, die einem mag, und dem, was es im Hinblick auf alle Beteiligten tatsächlich ist. nate, die dem Inkrafttreten des GzVeN folgten, »wurden von der nahestanden. Tatsächlich spielten andere Gefühle gegenüber den Fürsorgestelle 93 Sterilisationsanträge gestellt« (S. 66) und zahl- Christoph Schneider Ermordeten auch eine Rolle: eine »stetige untergründige Furcht Werner Konitzer reiche Gutachten zur »Erbgesundheit« der Klienten verfasst. Die Frankfurt am Main vor ihrer Rückkehr« und »die Angst vor Rache und Vergeltung«. Fritz Bauer Institut

88 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 89 Ein Stück deutscher Identitätsdebatte in der Bundesrepublik: »Der verhinderte Premierenabend hatte etwas Über Hannah Krall als Verfasserin die sich bereitwillig abschlachten ließen, und die Ghetto-Kämpfer Neues hervorgebracht: Eine jüdische Gemeinde hatte sich mit zivilem literarischer Reportagen nicht mehr als die großen Helden, die gezeigt hatten, wie die Juden Ungehorsam zur Wehr gesetzt. Juden hatten erstmals seit den 1950er in ihrer großen Masse den Tätern gegenüber sich hätten verhalten Jahren in der Bundesrepublik mit großem Selbstbewusstsein und auf müssen. So verstarb Mordechai Anielewicz, der Kommandeur des Wanja Hargens große Wirkung abzielend den Weg in die Öffentlichkeit gesucht.« Ghettoaufstandes nicht im Kampf, sondern ist nach Edelman durch Der Müll, die Stadt und der Tod. (S. 116) Besonders an der Debatte um die verhinderte Frankfurter Daniela Bode-Jarsumbeck Selbstmord aus dem Leben geschieden (S. 34). Insgesamt werden Rainer Werner Fassbinder und ein Stück Aufführung 1985 macht Hargens deutlich – was aber für die gesamte Die literarischen Reportagen Hanna die verschiedenen Formen des Todes thematisiert: der Hungertod, deutscher Zeitgeschichte Rezeptionsgeschichte des Stückes gelte –, dass Fassbinders Stück Kralls. Gedächtnis an die ostjüdische der aufrechte Gang zur Rampe, der Selbstmord aus Verzweifl ung Berlin: Metropol-Verlag, 2010, 277 S., € 19,– selbst »mehr Anlass als Gegenstand« (S. 96) gewesen sei. Kaum ei- Lebenswelt und die Shoah (wobei Edelman den Selbstmord des Vorsitzenden des Judenrates, ner der Debattierenden habe das Stück gelesen. Viel mehr als um den Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2009, Adam Czerniaków, verständlicherweise verurteilt, denn dieser hätte Antisemitismus in Fassbinders Stück, die unwidersprochenen antise- 177 S., € 38,– ein öffentliches Zeugnis über die wahren Absichten der Deutschen Als im Oktober 2009 Roberto Ciullis Auf- mitischen Äußerungen mehrerer Figuren sowie die Gestaltung und hinterlassen müssen; so war es nur ein privater Tod), der Tod im führung von Fassbinders oft und heftig Benennung der Figur »Der Reiche Jude« selbst sei es in den Debatten Bis heute ist Hanna Krall vor allem durch ihr Kampf gegen die Deutschen und ihre Helfershelfer im Warschauer umstrittenen Stück Der Müll, die Stadt und um jüdische Identität im Nachkriegs-Westdeutschland gegangen. Und Buch Zdążyć przed Panem Bogiem (1976) Ghettoaufstand im April und Mai 1943. Bode-Jarsumbeck meint, der Tod am Theater an der Ruhr herauskam, es ging um deutsche Identität und ihr Verhältnis zum Antisemitismus, bekannt, das in der Bundesrepublik 1979 unter dem Titel Schneller dass dieses Buch zu einer neuen Form der Erinnerung an die Shoah rief dies nur verhaltene Reaktionen in der Presse hervor. Ciullis um die in deutschen Identitätsdebatten so häufi g ersehnte »Normalität«. als der liebe Gott mit einem Vorwort von erschien. beigetragen hat: »Hanna Kralls literarisches Interview«, konstatiert Regie selbst schien, glaubt man den Rezensionen zum Beispiel auf In den von Hargens reichlich vorgebrachten Zitaten aus Debat- In der DDR lautete dagegen der Titel Dem Herrgott zuvorkommen. sie, »stellt 30 Jahre nach der Niederschlagung des Aufstands im War- www.nachtkritik.de, an einer Entschärfung des Stückes bis zur Lan- tenbeiträgen lassen sich rhetorische Figuren zur Bemäntelung antise- Ein Tatsachenbericht. Auch diese Übersetzung kam im Jahre 1979 schauer Ghetto einen literarischen Gegenentwurf zu dem bis dahin in geweile gelegen zu haben, die weitgehend Konfl iktfreiheit herstellte. mitischer Ressentiments sowie offen oder latent antisemitische For- heraus. Für Daniela Bode-Jarsumbeck handelt es sich dabei um Polen und im Ausland vorherrschenden kollektiven Gedächtnis der Doch liegt es allein an der Inszenierung, dass dieses Stück im Jahr mulierungen an vielen Stellen fi nden, jedoch ohne dass diese näher eine literarische Reportage, das heißt um eine Literaturgattung, jüdischen und polnischen Bevölkerung dar« (S. 40). In einer Fußnote 2009 nicht dieselben Auseinandersetzungen provoziert wie in den untersucht und auf ihre Formen und Funktionen hin befragt würden. die dem Dokument sehr nahe kommt. Tatsächlich interessiert sich hierzu fügt sie jedoch einschränkend hinzu, dass es »durchaus noch 1970er und 1980er Jahren? Sind die Einstellungen zum Antisemitis- Hier zeigt sich eine grundlegende Schwäche der Arbeit, der es an ei- Bode-Jarsumbeck mehr für den dokumentarischen Gehalt als für andere Gegenentwürfe von Künstlern und Literaten zu dem kollekti- mus in der Bundesrepublik Deutschland gelassener geworden, haben ner begriffl ichen Klärung von Antisemitismus mangelt, von dem doch die literarische Konstruktion, die für Kralls Buch so überaus cha- ven jüdischen Gedächtnis in Polen« gab. »Es würde hier allerdings sich die Auseinandersetzungsfelder über Antisemitismus verschoben die ganze Zeit gesprochen wird. Im Hinblick auf den literarischen rakteristisch ist. Die Erzählfi gur, unter der wir uns die Reporterin zu weit führen, auf diese einzugehen.« Diese Zurückhaltung ist be- oder ist er gar als Teil »deutscher Normalität« akzeptiert? Text wird dies deutlich, wenn Hargens die Figur »Der Reiche Jude« Hanna Krall vorstellen, befragt im Gespräch den Protagonisten Ma- dauernswert. Die Autorin hätte wenigstens durch einige Hinweise Wanja Hargens hat mit seiner Studie Der Müll, die Stadt und der in die Tradition westdeutscher philosemitischer Nachkriegsliteratur rek Edelman, den überlebenden stellvertretenden Kommandanten zeigen können, an welche Gegenentwürfe sie denkt. Zu Recht hatte Tod. Rainer Werner Fassbinder und ein Stück deutscher Zeitgeschichte stellt, da sie die positivste Figur unter den Negativfi guren des Stücks der Aufstandsgruppierung ŻOB (Żydowska Organizacja Bojowa sie an anderer Stelle bemerkt, dass gleich nach dem Krieg eine Reihe eine genaue Nachzeichnung der Debatten um Fassbinders »Skandal- sei, und dies als »literarischen Philosemitismus« (S. 154) bezeichnet. – Jüdische Kampforganisation), in seiner doppelten Rolle: als je- interessanter literarischer Werke über die Shoah in Polen entstanden stück« vorgelegt. Ausgehend von einer recht kurzen Untersuchung des Dies tritt als Gegenentwurf zum schwierig zu fassenden Begriff des nen, der 1943 einzelne Personen aus den Reihen der Todgeweihten waren, aber es bleibt bei sehr bescheidenen Andeutungen.1 Stücktextes und einer Einordnung von Fassbinders Figur »Der Reiche literarischen Antisemitismus auf, wie er zum Beispiel von Mark herausholte, um sie für den Widerstandskampf im Ghetto zu retten, Eine große Zahl von Reportagen, die Krall in den 1980er und Jude« in die Darstellung von Juden in der bundesdeutschen Nach- H. Gelber1 vorgeschlagen wurde, doch werden solche vorliegenden und als den, der nach dem Krieg als Herzchirurg um das Leben 1990er Jahren verfasste, nennt die Autorin »Schtetl-Reportagen«. kriegsliteratur widmet sich Hargens der Entstehungsgeschichte und vor Arbeiten zum literarischen Antisemitismus von Hargens nicht zur eines jeden Einzelnen kämpft. Dieser Unterschied, mit dem Leben Mit dem Begriff Schtetl assoziiert man sofort die ostjüdische Welt allem der Wirkungsgeschichte des Textes bis hin zur Mülheimer Auf- Analyse von Fassbinders Text auf dessen antisemitischen Gehalt umzugehen, verleiht dem Buch eine besondere Tiefe. Hanna Krall des 19. Jahrhunderts, wie man sie vor allem in Galizien vorfand führung 2009. Sehr erhellend ist die Darstellung der Genese des Stücks hin genutzt. Die äußerst materialreiche und genaue Nachzeichnung weiß das Einerseits und Andererseits besonders gut gegeneinander bzw. vorzufi nden glaubte. Die Autorin scheint die Wandlungen in und ihre Verortung in der Arbeitsweise und den internen Konfl ikten der Konfl ikte um Fassbinders Theaterstück erschöpft sich so in der zu gewichten. Der Arzt ist Lebensretter, der Kommandant darf sich den jüdischen Gemeinden während der Zweiten Republik, die sich des Theaters am Turm (Frankfurt am Main) Mitte der 1970er Jahre, bei historischen Darstellung, die eine vertiefende Analyse der Erschei- für die Todgeweihten nicht besonders interessieren, sondern hat nur unter anderem in einem zunehmenden Selbstbewusstsein mani- der Hargens mit einigen Mythen aufräumt. Es folgen Ausführungen nungsformen von Antisemitismus in den Fassbinder-Debatten und auf diejenigen zu schauen, die durch ihre körperliche Konstitution festierte, nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Man denke nur an zu den Konfl ikten um die Bebauung des Frankfurter Westends in den ihrer Funktion für die verhandelten deutschen Identitätskonstrukti- und ihren soeben erlernten Umgang mit Waffen hervorstechen und die vielen Zeitungen, Zeitschriften und Bücher in Jiddisch. Da in 1960er und 1970er Jahren, die den Hintergrund des Stücks lieferten. onen vermissen lässt. Dennoch bietet das Buch eine gelungene und daher der Selektion durch List und Bestechung entzogen werden Kralls Erzählungen alte jüdische Bräuche oft mit Ironie dargestellt In chronologischer Reihenfolge behandelt der längste Teil die Wir- notwendige Darstellung, die von einem umfangreichen Anmerkungs- müssen. Der Ghettokämpfer Edelman erscheint damit als Herr über werden, entsteht tatsächlich vielfach der Eindruck, es handle sich um kungsgeschichte, also vor allem die Kontroversen um die Veröffent- apparat sowie Anhängen zu Aufführungsdaten und Textfassungen von Leben und Tod. Von Zehntausenden (im Buch lässt Krall 400.000 das romantisch gefärbte Schtetl-Bild, an das sich die Überlebenden lichung durch den Suhrkamp Verlag 1976, die geplanten Frankfurter Der Müll, die Stadt und der Tod abgerundet wird. an Edelman vorbeigehen!), die zur Rampe gedrängt werden, kann in den Erzählungen von Zeit zu Zeit erinnern, aber es wäre falsch, Inszenierungen 1984 und 1985 sowie spätere Inszenierungsversuche er nur einige vor dem Tod im Vernichtungslager Treblinka retten. diese Erinnerungsfetzen für bare Münze zu nehmen bzw. sie als in Deutschland und Inszenierungen im Ausland. Einen Schwerpunkt Matthias Naumann Dieser Konstruktion verdankt das Buch sicherlich seinen unerhörten bildet der Sache gemäß die Darstellung der geplanten Aufführung Berlin Erfolg und dass es bis heute trotz zunehmender Literatur zu diesem 1985 durch das Schauspiel Frankfurt unter der Leitung von Günther Thema lesenswert geblieben ist. Bode-Jarsumbeck liegt allerdings Rühle, die zur Bühnenbesetzung durch Mitglieder der Frankfurter mehr daran zu betonen, dass Kralls Buch dem breiten Publikum 1 Etwas ausführlicher habe ich darüber im sechsten Kapitel meines Buches Polen und Juden zwischen 1939 und 1968. Jedwabne und die Folgen, Berlin 2004, Jüdischen Gemeinde am Premierenabend führte. Hargens bewertet 1 Vgl. Mark H. Gelber, »What Is Literary Antisemitism?«, in: Jewish Social Studies, eine andere als die bis dahin übliche Sichtweise der Shoah vermit- berichtet. Ich hatte mich allerdings vor allem auf Werke beschränkt, die dieses Ereignis als politisches Coming-out der jüdischen Gemeinde Vol. 47, No. 1 (1985), S. 1–20. telt hat. Die Juden erschienen nun nicht mehr als die »Lämmer«, deutschen Lesern bekannt waren.

90 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 91 Widerspiegelung der jüdischen Welt vor der Shoah zu interpretieren. rücken periodisch die Leugnung der Shoah im Iran sowie Anfang Bedeutung bei und widerspricht mithin Yehuda Bauer, der diese als Holocausterinnerung zur Durchsetzung von gegen Juden sowie den Man darf nicht vergessen, dass Krall Schriftstellerin ist. Ihr geht 2009 der Skandal um die päpstliche Rücknahme der Exkommu- wohlfeil kritisiert. Gerstenfeld ist sich zudem der unterschiedlichen sich selbst als demokratisch und jüdisch defi nierenden Staat Israel es, wie sie immer wieder betont, um die Schilderung von Einzel- nizierung von Richard Williamson in den medialen Fokus. Hinter Auffassungen bezüglich strafrechtlicher Ahndung von Holocaust- gerichteten Ideologien und Politiken. Die von Gerstenfeld vorge- schicksalen und nicht um die Schaffung eines Panoramas dessen, diesen Speerspitzen des offenen Negationismus bleibt jedoch das leugnung – Kontinentaleuropa grosso modo dafür, die nordischen stellten Gegenstrategien regen zum Nachdenken darüber an, wie was war und was durch die Shoah daraus wurde. Hierbei spielen Phänomen der Relativierung und Trivialisierung des Holocaust viel- Länder, Großbritannien und die USA mehr oder minder strikt da- jenen Formen der Holocausttrivialisierung entgegengetreten werden immer wieder die polnisch-jüdischen Antagonismen eine Rolle, dass fach unerforscht. gegen – bewusst. Daher schlägt er zum langfristigen Bewusstseins- kann, die nicht vor Gericht verhandelbar sind, sondern politischer zum Beispiel die Geretteten den Rettern gegenüber nicht genügend Der von Manfred Gerstenfeld edierte Band unternimmt eine Sys- wandel ein Bündel an Gegenmaßnahmen wie Holocaust Education, und gesellschaftlicher Antworten bedürfen. Gerade weil Gersten- Dankbarkeit zeigen, dass das Judentum zum Fluch für Einzelne wird, tematisierung missbräuchlicher Verzerrungen von Holocausterinne- Forschung und Dokumentation, Gedenkinitiativen sowie literarische felds Text einen breiten, auch nicht fachwissenschaftlichen Leser- insbesondere wenn die Erzählfi gur erst sehr spät erfährt, jüdischer rung und wartet mit einer Fülle an globalen Beispielen auf. Diese und künstlerische Auseinandersetzungen vor. Susanne Y. Urbans kreis verdient, muss Kritik an der gestalterischen Aufmachung geübt und nicht katholisch-polnischer Herkunft zu sein etc. Diesem Aspekt wird durch Fallstudien anderer AutorInnen (z.B. Mikael Tossavainen Einwurf, demzufolge der Holocaust Education in Deutschland das werden. Die Vielzahl an Langzitaten und abrupten Zwischenüber- schenkt die Autorin der vorliegenden Dissertation nur wenig Auf- zu arabischen Gesellschaften, Ivan Ceresnjes zum wenig beachte- Erzeugen von Empathie für die Opfer bei gleichzeitiger Entwicklung schriften erschwert nicht nur die fl üssige Lektüre, sondern verdeckt merksamkeit. Sie lässt sich zu sehr von den gängigen Gedächtnis- ten post-jugoslawischen Raum) vertieft. Grundsätzlich berührt The gegenwärtiger Handlungsstrategien nach wie vor nicht befriedigend bedauerlicherweise oft Gerstenfelds originäre Argumentationslinie. theorien leiten, als würde Krall ihre Erzählungen verfasst haben, um Abuse of Holocaust Memory die Themenstränge Verzerrungen von gelänge, verdeutlicht, dass die Diskussion tiefer gehen muss als der Somit stellt The Abuse of Holocaust Memory eine inhaltlich äußerst dem Vergessen entgegenzuwirken. Irritierend ist, dass die Autorin Holocausterinnerung, die Rolle öffentlicher Entschuldigungen für Appell nach scheinbaren Patentlösungen wie ein Mehr an schuli- beeindruckende Studie dar, der einzig in editorischer Hinsicht mehr alle Zitate aus Kralls Erzählungen in Polnisch anführt, sodass der Täterschaft und Kollaboration im Zweiten Weltkrieg und mögliche scher Bildung zum Holocaust. Feinschliff gutgetan hätte. Leserkreis stark eingeschränkt wird. Immerhin gibt es recht gute Gegenmaßnahmen zur – oft gegen jüdische Individuen und Kollektive Das vorliegende Buch bietet einen fundiert recherchierten Übersetzungen ins Deutsche. Die Autorin hätte zumindest in Fuß- gerichteten – Entstellung von Holocausterinnerung. und gleichzeitig kompakten Überblick zu gegenwärtigen Ausprä- Elisabeth Kübler noten die deutsche Übersetzung anführen können. Unverständlich ist Eine Typologie von acht Kategorien soll das Verständnis des gungen des – meist antisemitisch motivierten – Missbrauchs von London es auch insofern, als die Autorin kaum Interpretationen durchführt, Missbrauchs von Holocausterinnerung erleichtern: Rechtfertigung die sich auf einzelne Worte oder überraschende Formulierungen des Holocaust und Förderung einer zweiten Shoah gegen Juden und beziehen, um Kralls recht einmalige Schreibart zu charakterisieren. den Staat Israel, Leugnung der NS-Verbrechen an Juden oder zumin- Dort, wo Bode-Jarsumbeck auf die Erzählweise eingeht, geht es ihr dest das Herunterspielen von Kollaboration, das Verschweigen des in erster Linie darum zu zeigen, wie die Autorin Vergangenheit auf- Jüdischseins der Shoah-Opfer (Stichwort: Anne-Frank-Rezeption), die scheinen lässt. Trotz alledem ist es begrüßenswert, dass endlich eine Gleichsetzung mit anderen verbrecherischen Regimen, der Vorwurf, Arbeit über einen Teil des Schaffens dieser so wichtigen polnischen Israel würde die Palästinenser ähnlich behandeln wie Nazi-Deutsch- Schriftstellerin in deutscher Sprache erschienen ist. land die Juden, Trivialisierung durch Vergleiche mit Umweltkata- strophen, Schwangerschaftsabbruch und Massentierhaltung sowie Karol Sauerland schließlich Schändung von Gedenkstätten und die Beschuldigung, Warschau Juden würden das Shoah-Gedenken für handfeste eigene Vorteile ,ICHTIG6ERLAG betreiben. In einem Interview ergänzt Shmuel Trigano, dass das durch christliche Vorstellungswelten geprägte Europa heute zwar um tote WWWLICHTIG VERLAGDE Juden/Jüdinnen trauern würde, für lebende jüdische Individuen und INFO LICHTIG VERLAGDE Gemeinden aufgrund europäischer Identitätskonfl ikte in Abgrenzung FAX   zu den USA und durch die Einwanderung von Muslimen aber wieder Umdeutungen des Holocaust 3”MTLICHE"«CHERSIND zu einem unsicheren Ort würde. Mit Blick auf das antiimperialistische und die Verzerrung des Gedenkens AUCHDIREKT«BERDEN Spektrum in Großbritannien erläutert Dave Rich die Uminterpretation ,ICHTIG6ERLAG des Holocaust als von Zionisten unterstütztes Verbrechen, weshalb ZUBEZIEHEN Israel als staatliche Manifestation des Zionismus ebenso wie (Neo-) Manfred Gerstenfeld (Ed.) Nazismus zu bekämpfen wäre. Hrsg. von Nea Weissberg-Bob Hrsg. von Nea Weissberg-Bob Hrsg. von Nea Weissberg-Bob Berlin: Lichtig Verlag, 2010, 14,90 € Berlin: Lichtig Verlag, 2009, 21,50 € Berlin: Lichtig Verlag, 2009, 21,50 € The Abuse of Holocaust Memory. Gerstenfeld verharrt nicht bei der Beschreibung von Ereignissen, ISBN: 3-929905-24-8 ISBN: 3-929905-22-1 ISBN: 3-929905-21-3 Distortions and Responses sondern liefert auch knappe Begründungen für ihr Entstehen. Neben Vom Zauber des Schabbats Die Hand der Miriam Das Glück hat mich umarmt Jerusalem: Jerusalem Center for Public Antisemitismus und Israelhass nennt er Schuldabwehr, politische Nea Weissberg-Bob schildert märchenhaft „Mit dem deutsch-englischen bibliophilen Band „Im Mittelpunkt des Romans steht die Pers- und beschwingt einen Schabbatabend, er- legt Nea Weissberg-Bob ein modernes jüdi- pektive von Nejusch, einer Tochter von polni- Affairs, 2009, 243 S., $ 29,– Profi lierung in der muslimischen Welt, das Erheischen von Aufmerk- zählt von traditionsreichen Hintergründen, sches Märchen für Erwachsene vor, in dessen schen Überlebenden der Shoa. Nejusch tritt in samkeit durch den Gebrauch von Schlagworten wie Klima-Holocaust erklärt Rituale. Mittelpunkt ein phantastischer Traum steht: Der einen Dialog mit einem nichtjüdischen deut- Beide Erzählungen sind eine Hommage an Traum einer Mutter über ihre Gefühle, die sie schen Brieffreund, einem imaginären Vertreter oder simple Provokation durch die vermeintliche Enttabuisierung der das zerstörte ostjüdische Alltagsleben und für ihre autistisch behinderte Tochter empfindet. der anderen Seite. Sie versucht das Schweigen und die Sprach- Die Namen von Holocaustleugnern wie Auseinandersetzung mit der Shoah. Auf der Ebene von Reaktionen der Rückkehr der mystischen Allgegenwart Gefühle, die sich in bedeutungsstarken Bildern des Schabbats gewidmet. ausdrücken, wie in einem „griesgrämigen Geist“ losigkeit der Nachkommen beider Seiten zu David Irving, Roger Garaudy, Robert Fau- gegen die Relativierung der Vernichtung der europäischen Juden misst und einem Wunderrabbi. durchbrechen.“ Michael Kühntopf, Deutscher Publizist, ,ICHTIG6ERLAG risson und Ernst Zündel tauchen regelmäßig in publizistischen De- Gerstenfeld offi ziösen Entschuldigungen von Regierungen, Kirchen Journalist, Historiker, lebt in der Schweiz Thomas Irmer, Historiker, Politologe, Publizist Gesine Strempel, Journalistin, rbb, Zeitpunkte batten und wissenschaftlichen Abhandlungen auf. In jüngerer Zeit und beispielsweise der niederländischen Eisenbahngesellschaft große

92 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 93 Wieso Opas und Omas nicht heroisiert Handlungsmuster der Enkelgeneration überzeugend in Beziehung zu Mechanismen von Stereotypen, Antisemitismus und Rassismus ge- NACHT UND NEBEL (F 1955) von Alain Resnais fi ndet. Nur ist auch hier werden und Juden noch immer keinen setzen zu den von ihr herausgearbeiteten manifesten Familiengeschich- radezu die Chance zu einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit das Ausbleiben der erhofften Rezeption nicht ausschließlich den kaum ten: Diese sind verheimlicht, tabuisiert, (scheinbar) bedeutungslos, und Überwindung von tradierten Mustern: »Sich den persönlichen erträglichen Bildern geschuldet. Es bleibt das Geheimnis der Verfas- Platz im Familiengedächtnis fi nden widerständig oder konfessionell eingebunden. Die fehlende offene Verantwortlichkeiten zu stellen bedeutet auch, sich aus bestimmten serin, warum sie im selben Zusammenhang der Kollektivschuldthese Kommunikation verhindere die Verbindung von kognitiven und emoti- familialen Loyalitäten zu lösen und die historisch-politische Bedeut- Raum gibt. Die Annahme einer umstandslos gleichen Verstrickung der

onalen Bezügen. Spezifi sche Loyalitätsstrukturen in der Familie seien, samkeit der eigenen Familiendynamik zu erkennen, um als selbst- deutschen Bevölkerung war keine offi zielle Politik der Alliierten. So Iris Wachsmuth so der Befund, sehr stark von der ersten Generation und ihrer auffälli- bestimmtes Subjekt die Zukunft produktiv mitzugestalten.« (S. 300) sind die Nürnberger Prozesse ein Ausdruck dafür, wie von alliierter NS-Vergangenheit in Ost und West. gen Unfähigkeit, politische Lernerfahrungen weiterzugeben, geprägt. Es ist kein leichtes Unterfangen, die Lektüre einer 300-seitigen Seite die individuelle Ahndung der Schuld betrieben wurde. Tradierungsweisen in drei Generationen Verschärfend spiele hierbei der Geschlechteraspekt eine Rolle, Studie als lohnenswert zu empfehlen, die sich eben nicht so griffi g Mit Claude Lanzmanns SHOAH (F 1985) wird ein Dokumentarfi lm Berlin: Metropol Verlag, 2008, 300 S., insofern die interviewten Großmütter, in der Selbst- oder/und in der auf das Ergebnis zurückführen lässt »Opa war kein Nazi«. Doch in den Blick genommen, der 40 Jahre später die Zeugen in den Mittel- € 21,– Fremdwahrnehmung, eher das Bild von passiven, unpolitischen, liegt genau hier auch ihre Überzeugungskraft. punkt stellt. Lanzmann beteiligt die Zuschauenden mittels seiner Insze- ja naiven Mädchen festschreiben, unabhängig vom tatsächlich er- nierungen direkt am Prozess der Zeugenschaft. Zu Recht kritisiert die wachsenen Status, unabhängig von den über Beruf oder Familie Constanze Jaiser Autorin die Schaffung von Bildikonen, von Schienensträngen und das vorhandenen Berührungen mit Völkermord und Vernichtungskrieg. Berlin »effekthascherische Heranzoomen an den Zeugen« (S. 144) in SHOAH. Die Anzeige für diese auf Interviews basie- Sowohl die Kategorie Geschlecht als auch die Überlagerung der Deutlich zeigen sich aber die Grenzen der rezeptionsästhetischen Her- rende Studie war bewusst neutral gehalten: NS-Zeit durch Erfahrungen in der DDR scheinen auf struktureller angehensweise der Arbeit, wenn Corell dafür eintritt, dass Lanzmanns »Suche Interviewpartner für Doktorarbeit: Familienmitglieder dreier Ebene die intergenerative Tradierung manifester Familiengeschichte Film in einer 120-Minuten-Fassung »erträglicher« gewesen wäre. Generationen (Jahrgang 1905–1975) in Ost und West zum Thema: der NS-Zeit zu entpolitisieren und latent wirksame Loyalitätsstruktu- Mit AUF WIEDERSEHEN KINDER von Louis Malle (F 1987) liegt der Lebensgeschichten in Deutschland. Tel.: […]« ren zu festigen. Wachsmuth behält beide Kategorien bei ihren Analy- Erfahrbarkeit durch Individualisierung Studie zufolge ein Film vor, der weniger ein spezifi sches Vorwissen über Die Soziologin und qualitative Sozialforscherin Iris Wachsmuth sen im Blick, ohne sie jedoch in typologische Aussagen engzuführen. den Zweiten Weltkrieg voraussetzt, sondern der »die Tragweite dieser war interessiert an der Frage, welche Bedeutung der Nationalsozi- Das Besondere dieser Mehrgenerationenstudie besteht jedoch in Zeit erfahrbar« mache (S. 181). Erfahrbarkeit als Alternative zu einer alismus und familiale NS-Vergangenheit in autobiografi schen Nar- folgendem Umstand: Obwohl gerade nicht die Zeit des Nationalsozia- bewussten erzieherischen Absicht sowie die Herstellung von Empathie rationen einnimmt, und zwar in Familien, in denen gerade nicht lismus im Mittelpunkt des erklärten Interesses stand, kann sie in allen Catrin Corell mittels Individualisierung sind Corells Leitlinien, mit denen sie in einer offen über die Familiengeschichte der NS-Zeit kommuniziert wird.1 Interviews als zentraler Bezugspunkt sichtbar gemacht werden. Aus Der Holocaust als Herausforderung nicht unmittelbar pädagogisch angelegten Arbeit didaktische Prinzipien 35 Personen meldeten sich bei der Autorin, die drei Generationen den Interviews mit der ersten Generation wird das ganze Panorama der für den Film. Formen des fi lmischen heranzieht. In diesem Ansatz liegt auch der große Wert der Arbeit, trotz einzeln befragte. Mit sorgfältigen Fallrekonstruktionen zu insgesamt Verstrickung und (Mit-)Täterschaft sichtbar. Was dabei in allen Fami- Umgangs mit der Shoah seit 1945. mancher Zwiespältigkeit, die man bei der Lektüre empfi ndet. Der Aus- fünf ausgewählten Familien zeichnet die Autorin nach, wie groß der lien auffällt: Der Massenmord an den Juden wie überhaupt die Juden Eine Wirkungstypologie führung, dass insbesondere »das Anknüpfen an das Alltagswissen und Zusammenhang ist zwischen Familiengeschichte und Delegationen, die als größte Opfergruppe des rassistischen Vernichtungswahns rücken so Bielefeld: transcript-Verlag, 2009, 516 S., alltägliche Lebenserfahrung […] der Überbrückung der historischen unbewusst ausagiert werden. Die Analysekategorie »Familiengedächt- gut wie gar nicht ins Blickfeld. In den Narrationen der nachfolgenden € 39,80 Distanz« diene, kann uneingeschränkt zugestimmt werden. nis«, die das Team um Welzer benutzt, sei, so Wachsmuth, unbrauchbar Generationen zeigt sich bis heute die emotionale Kluft »zwischen Das Leitmotiv der Teilnahme und Teilhabe des Zuschauers am für ihre Analyse, und aus der weitgehend fehlenden intergenerationellen einem ›Wir‹ und den ›Anderen‹, die der Nationalsozialismus bis zur Die Dissertation von Catrin Corell, die als Film ermöglicht eine differenzierte Beschreibung der möglichen Re- Kommunikation ergebe sich auch der logische Schluss, dass Großeltern Legitimierung und Durchführung des Massenmords vorantrieb«. Band der Schriftenreihe des Fritz Bauer In- zeption der Holocaustfi lme. Filme erhalten ihre Wirkung erst in der von den Enkeln gar nicht heroisiert werden müssten (S. 15 ff.). (S. 290) Der Umstand, dass die Großeltern auf Kosten der Verfolgung stituts erschienen ist, untersucht sieben Filme über den Holocaust, Betrachtung, also in der Rezeption durch die Zuschauenden, die zum Erst im Studium der Fallrekonstruktionen erschließen sich die anderer gelebt haben, dass sie die zu Juden gestempelten Verfolg- die beispielhaft für eine Geschichte der cineastischen Auseinander- Teil abweichend von der Absicht der FilmemacherInnen sein kann. Funktionsweisen einer Tradierung, in die weitere Familien- und Ta- ten und massenhaft Ermordeten nicht mehr als Freunde, Nachbarn, setzung mit dem Holocaust stehen sollen. Corell geht so weit, eine mögliche kollektiv übereinstimmende Re- buthemen verschränkt sind oder überlagernd wirken, so zum Beispiel Mitschüler, Kollegen wahrnehmen, verursacht familiengeschicht- Die Auseinandersetzung mit der Dokumentation DIE TODESMÜHLEN zeption der Filme anzunehmen, während doch Filmerfahrung stark die »Unehelichkeit eines Kindes, sexuelle[n] Gewalterfahrungen liche Leerstellen. An die Leerstelle treten verschiedene manifeste (USA 1945) von Hanuš Burger steht am Beginn der chronologisch und subjektiv geprägt ist. Gerade der je konkrete soziale und historische oder unausgetragene[n] Konfl ikte[n] zwischen Kindern und Eltern, Familiengeschichten, die mit einem emotionalen Gehalt gedeutet inhaltlich geordneten Analysen. Der Film stand unter dem Vorhaben der Rahmen der Betrachtenden prägt jedoch deren Zugang zum Film. die ebenfalls von Scham oder Schuld besetzt sind« (S. 20). und tradiert werden. »Die moralischen Dilemmata verschieben sich Reeducation der deutschen Bevölkerung durch die Alliierten unter der Indirekt stellt die Studie Spielfi lme über den Holocaust als Die Fallanalyse jedes Familienmitglieds wird in einer Zusammen- somit auf eine andere Ebene. Annäherung(en) an die Anderen sucht Devise einer Schockpädagogik, die, wie Corell schreibt, mit dem Bild Weiterentwicklungen den dokumentarischen Arbeiten gegenüber. schau vergleichend ausgewertet. Am Ende gelingt es Wachsmuth, die die Enkelgeneration über die Auseinandersetzung mit Überlebenden, des Unmenschlichen die Deutschen aufrütteln wollte (vgl. S. 49). Nicht Spielfi lme wie der von Louis Malle, oder SCHINDLERS LISTE (USA über Israel oder über Bücher zu den Verbrechen.« (S. 290) gänzlich folgen muss man Corell in ihrer Einschätzung, die Bildpolitik 1993) von Steven Spielberg ermöglichen nach Corell ein »intensives Wachsmuth hält die emphatische Nähe zu ihren Studienobjekten, der Alliierten im Zusammenhang mit den Bemühungen um Reeducation Miterleben und Nachvollziehen des Holocaust durch Identifi kation« durch zahlreiche längere Zitate lässt sie den Interviewten ihren eigenen seien »kontraproduktiv« (S. 55) gewesen. Die Abwehrmechanismen und schaffen einen »Authentizitätseindruck durch realistische Insze- 1 Anders dagegen die Untersuchungen von Harald Welzer, Sabine Moller, Karoline Tschuggnall, »Opa war kein Nazi«. Nationalsozialismus und Holocaust im Fami- Raum und schafft gleichzeitig Transparenz, ihre eigenen Interpretationen der deutschen Bevölkerung aus dem Motiv einer Schuldabwehr heraus nierungsweise« (S. 169). Ähnliches gilt nach Ansicht der Autorin liengedächtnis, Frankfurt am Main 2002, und auch von Gabriele Rosenthal, Der betreffend. Das hindert sie nicht, das Gesagte (noch im Interview) zu werden von der Autorin hier schlicht übersehen. Leider stellt sie an für Filme wie Radu Mihaileanus ZUG DES LEBENS (F/BEL/ROM/ Holocaust im Leben von drei Generationen. Familien von Überlebenden der hinterfragen und mit zahlreichen historischen Recherchen abzugleichen. dieser Stelle nicht die Frage nach der Abwesenheit eines moralischen NL 1998) und Roberto Benignis DAS LEBEN IST SCHÖN (I 1997), Shoah und von Nazi-Tätern, Gießen 2007, die sich auf Familien beziehen, in de- Man muss ihr nach der Lektüre des Buches zustimmen: Die En- Sinns (Sofsky) in der deutschen Bevölkerung. Dies soll nicht als Plä- die anstelle einer »überfordernden Schockästhetik« ein »respekt- nen über die nationalsozialistische Vergangenheit gesprochen wird und mit denen auch Familiengespräche durchgeführt wurden. kelgeneration verpasst über das Ausblenden der familiär wirksamen doyer für eine Schockästhetik gelesen werden, wie sie sich auch in volles Umgehen mit dem Zuschauer« bieten und ihn statt »mit den

94 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 95 historischen Fakten direkt zu konfrontieren« (S. 315) eher einlüden, Seine wichtigsten Etappen dabei sind eine Bildungsreise israelischer Der größere Themenkomplex der Dokumentation ist aber der Lobby- und Identitätspolitik wie John J. Mearsheimer und Stephen sich zwanglos einem schwierigen Thema zu öffnen. Ob allerdings ein Schülerinnen und Schüler zu verschiedenen Gedenkstätten in Polen, Arbeit der Anti-Defamation-League und ihres Vorsitzenden Abe Fox- M. Walt, aber auch den viel polemischeren Norman Finkelstein zu zwangloses Entdecken und eine vermeintlich erzeugte Authentizität die er begleitet, um herauszufi nden, welcher Umgang israelischen man gewidmet. Shamir lässt sich von den in New York ansässigen Wort kommen. Gerade bei Letzterem geht Shamirs Interviewstrate- sowohl dem Thema als auch dem Medium immer gerecht werden, ist Jugendlichen im Umgang mit der Shoah nahegelegt wird, sowie Vertretern der ADL einen antisemitischen Vorfall zur Nachverfolgung gie voll auf. Nachdem Finkelstein seine in einzelnen Punkten sicher zweifelhaft. Vielmehr scheint sich hier eine Rationalisierung durch der Besuch der ADL (Anti-Defamation-League) in New York, die vorschlagen. Nach einigen eher lapidar wirkenden Vorkommnissen berechtige Kritik vorgetragen hat, verfällt er selbst in wütende Ho- Emotionalisierung fortzuschreiben, für die wohl die Serie HOLOCAUST als größte jüdische Organisation weltweit mit der Beobachtung und begibt er sich nach Crown Heights in Brooklyn, wo afroamerika- locaustvergleiche und diskreditiert damit seinen Deutungsanspruch. beispielhaft stehen kann. Die auftauchende Zuschreibung von Sinn- Abwehr von Antisemitismus befasst ist. nische Kinder oder Jugendliche die Scheiben eines Lubawitscher Indem keine der im Film zu Wort kommenden Parteien das letzte haftigkeit – Corell schreibt im Zusammenhang mit BIRKENAU UND Shamir hat bislang drei Dokumentationen vorgelegt, die sich Schulbusses eingeworfen hatten. Dabei wurde durch Zufall keines Wort über die Thematik für sich beanspruchen kann und Shamirs ROSENFELD (F/D/ Pol 2003) von der »Aufdeckung von Sinnpoten- einerseits mit der Normalität der Grenzkontrollen an der Westbank der im Bus befi ndlichen Kinder verletzt. Crown Heights war Anfang dokumentarische Erzählung gewollt subjektivistisch bleibt, wird ein tialen« (S. 425) – spiegelt eine heutige Sicht wider. Der Erfahrung und nach Gaza befassen (CHECKPOINT, 2003, online auf YouTube ab- der 1990er Jahre durch mehrtägige Unruhen zwischen den Minori- Diskussionsraum eröffnet, der einen gehaltvollen Anstoß liefern kann, der Überlebenden entspricht vielmehr vollendete Sinnlosigkeit der rufbar), der unter der Scharon-Regierung durchgeführten Räumung tätengruppen in die Schlagzeilen geraten. Shamir befragt hier den das vielschichtige Verhältnis von Antisemitismus, Israelkritik und Vernichtung, und ebendies bildet einen Teil der Präzedenzlosigkeit einer jüdischen Siedlung im Grenzgebiet des Gazastreifens (5 DAYS, Berichterstatter einer jüdischen Zeitung ebenso wie afroamerika- jüdischer Identität zu überdenken. Das ist vor dem Hintergrund des- des historischen Faktums. Für das Filmische wiederum eröffnet 2005) und den alljährlich von der Mehrheit der dienstentlassenen nische Passanten auf der Straße. Während der Reporter die Juden sen, dass der moderne Antisemitismus seine gegenwärtig vermutlich gerade das Verfremdende »einen genrespezifi schen Zugang zur israelischen Soldaten vollzogenen Reise nach Indien (FLIPPING OUT, als »soft targets« für Überfälle und Ähnliches darstellt, sehen die bedeutendste Gestalt in Form einer Feindschaft gegenüber Israel an- Thematik« (Elm) und zur Inszenierung von Geschichte. Jenseits man- 2008), die sich nicht selten zwischen Ekstase und Depression be- schwarzen Passanten des Viertels die Sache entschieden anders und genommen hat, das eigentliche Verdienst der Dokumentation. Dabei cher wesentlicher Kritik bietet die Studie einen wichtigen und zum wegen. Die vermeintliche Naivität, mit der Shamir seine fi lmische können zunächst auch recht überzeugende Argumente dafür anführen. kommt die von Befürwortern des Zionismus mitunter instrumentell in Widerspruch herausfordernden Beitrag zur Debatte darum, wie der Untersuchung zum Thema Antisemitismus durchführt, wirkt vor dem Bemerkenswert ist im weiteren Verlauf des Interviews allerdings das Anspruch genommene Vergangenheit des Holocaust oder eine strate- Holocaust sich in das kollektive Gedächtnis einschreibt und welchen Hintergrund seiner Expertise nicht immer glaubhaft, da er sowohl Hinübergleiten in einen manifesten Antisemitismus, bei dem man gische Verwendung des Antisemitismusvorwurfes ebenso zur Sprache zentralen Stellenwert darin ein kulturindustrielles Medium einnimmt. den Umgang mit den historischen Lektionen des Antisemitismus wie die Protokolle der Weisen von Zion als den letzten Stand in Sachen wie die Realität des Antisemitismus selbst. Die Dokumentation führt (Diese Rezension ist auch erschienen auf dem Internetportal die auch in Israel umstrittene Politik der ADL vermutlich recht genau Aufklärung über die Verhältnisse in der Welt angeboten bekommt. vor, dass der Themenkomplex keiner einfachen Aufl ösung zugänglich www.Lernen-aus-der-Geschichte.de) kennen dürfte. Allerdings benutzt er die naive Gesprächshaltung Shamirs weitere, noch zahlreiche Stationen umfassende Erkundun- ist. Die selbstgewissen Urteile der Protagonisten sind immer schon der ohnehin mehr als Interviewstrategie, die auf die Selbstentlarvung gen in Sachen ADL und Diaspora-Judentum münden letztlich in den Ausweis für falsche Vereinfachungen. Ein Film, bei dem sich alle über Ingolf Seidel der Protagonisten zielt, was ihm auch weitgehend gelingt. Durch die soziologisch-anthropologischen Befund, dass die Auseinanderset- etwas anderes wundern oder ärgern werden. Unbedingt anschauen. Berlin Themenwahl geraten sowohl die israelische Selbstwahrnehmung, die zung mit Antisemitismus häufi g von säkularen Juden betrieben wird, israelisch-amerikanischen Beziehungen und das Diaspora-Judentum die damit nicht zuletzt ihre eigene jüdische Identität bekräftigen. Im Michael Elm in den Blickpunkt, was die Diskussionen auf das Verhältnis von Anschluss daran lässt er die amerikanischen Kritiker einer jüdischen Beer-Sheva, Israel Zionismus und Antisemitismus lenkt. Damit sind sicher nicht alle relevanten Erscheinungsformen des gegenwärtigen Antisemitismus Antisemitismus – eine israelische Perspektive abgedeckt, aber doch wichtige Bereiche umrissen, in die die Doku- mentation äußerst interessante Einblicke vermitteln kann. Einigermaßen erschreckend nimmt sich etwa die zu beobachten- de Holocaust Education aus, bei der israelischen Teenagern beige- Einsicht Yoav Shamir bracht wird, dass die Welt außerhalb Israels und hier insbesondere in Bulletin des DEFAMATION (Originaltitel: HASHMATSA) Polen nahezu ausschließlich von Leuten bevölkert ist, die den Juden Fritz Bauer Instituts Israel, Dänemark, USA, Österreich 2009, Böses wollen. Der Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung sei Hier könnte 35 mm, 93 min, englisch/deutsch UT. entsprechend zu vermeiden, wie die Lehrerin in einer Vorbereitungs- Ihre Anzeige stehen! Mit Uri Avneri, Norman Finkelstein, stunde zur Polenreise erklärt. Die solchermaßen instruierten Teenager Abraham Foxman, John Mearsheimer u. a. entwickeln zwar das von den Veranstaltern erwünschte israelische Anzeigenformate und Preise Wir-Gefühl, erweisen sich aber in einer Szene als unfähig, bei der Umschlagseite U 4 230 x 295 mm + Beschnitt € 950,– Was ist Antisemitismus? Mit dieser Frage an Begegnung mit ein paar alten Männern deren Äußerungen einzu- Umschlagseite U 2 / U 3 230 x 295 mm + Beschnitt € 850,– den Fahrer eines Pkws, über dessen Herkunft schätzen. Das Erlernen einer maßvollen Realitätseinschätzung, die Ganzseitige Anzeige 230 x 295 mm + Beschnitt € 680,– wir nichts weiter erfahren, lässt der israelische Dokumentarfi lmer zwischen zweifellos vorhandenen Bedrohungen und eher harmlosen 1/2-seitige Anzeige vertikal 93 x 217 mm € 380,– Yoav Shamir seine Erkundung über die moderne Form der Juden- bis freundlichen Äußerungen unterscheidet, wird so eher erschwert.1 1/2-seitige Anzeige horizontal 192 x 105,5 mm € 380,– feindlichkeit beginnen. Der Fahrer antwortet, wie es sich für einen 1/3-seitige Anzeige vertikal 60 x 217 mm € 300,– Antisemiten gehört, Judenhass sei unmöglich, »weil die Juden ja die 1/4-seitige Anzeige vertikal 93 x 105,5 mm € 250,– Welt kontrollieren«. Shamir konzipiert seine Dokumentation als eine Aufl age: 5.500 Exemplare zzgl. gesetzl. MwSt. Art biografi sches Roadmovie, bei der er als in Israel aufgewachse- 1 Vgl. zu den Polenreisen israelischer Jugendlicher auch das Buch von Jackie Feld- man, Above the death pits, beneath the fl ag. Youth voyages to Poland and the per- Kontakt: Dorothee Becker, Tel.: 069.798 322-37, [email protected] ner und daher von direktem Antisemitismus unbehelligter jüdischer formance of Israel national identity, bzw. die Besprechung des Buches von Me- Zeitgenosse die Gegenwart der Judenfeindschaft erforschen will. ron Mendel in Einsicht 02, S. 78–79.

96 Rezensionen Einsicht 04 Herbst 2010 97 Pädagogisches Zentrum Frankfurt am Main

Angebote Angebote Teamer-Anzahl und nach der Entfernung von Frankfurt am Main. Für hessische Studientage Beratungsangebote Schulen fi nden Beratungen und schulinterne Fortbildungen kostenfrei statt. Studientage bieten Einführung oder Vertie- › Beratung bei der Auswahl von Unterrichts- Migration, fung in Themen aus dem gesamten Spekt- material, vor Fahrten zu Gedenkstätten, Geschichte, rum der jüdischen Geschichte und Gegen- bei der Planung von Unterricht, bei Re- wart einerseits und des Nationalsozialismus cherchen zur Regionalgeschichte und in Identität andererseits. Sie können von Schulklassen der Vorbereitung von Projekttagen Tagungsbericht Auseinandersetzung mit und außerschulischen Bildungsträgern ge- › Unterstützung bei der Thematisierung von Geschichte als Teil sozialer nutzt werden. Konfl iktfeldern im Bereich des Rechts- Beruf Gedenkstätten- Selbstver ortung: extremismus und des Antisemitismus im pädagoge/-pädagogin Eine bildungs- und geschichts- Es gibt die Studientage in drei Formaten: Unterricht – Selbstverständnis und politische Herausforderung › Einführung in das Thema (2 Stunden, › Kontaktvermittlung von Zeitzeugen, Hil- auch als Besuch im Unterricht). Ein(e) festellung bei der Gesprächsvorbereitung Weiterbildung Pädagogisches Zentrum Mitarbeiter(in) des PZ referiert mit an- › Bereitstellung eigener Unterrichtsmateri- des Fritz Bauer Instituts und schaulichen Quellen zum Schwerpunkt- alien und Zeitzeugen-Videos Als Abschluss des Bundesmodellprojektes des Jüdischen Museums Frankfurt thema. Ziel ist die Vermittlung von Ori- › Nutzung der Bibliotheken des Fritz Bauer »Gedenkstättenpädagogik und Gegenwarts- entierungswissen und die Motivation Instituts und des Jüdischen Museums bezug – Selbstverständigung und Konzept- zur intensiveren Beschäftigung mit dem Details zu den Beratungsangeboten fi nden entwicklung« (2007–2010) fand am 28. und Seit einem Jahr gibt es nun ischen Kontext und jüdische Gegenwart Thema. sich unter: www.pz-ffm.de 29. August 2010 in der Akademie Schönbrunn das Pädagogische Zentrum mit der Geschichte und Nachgeschichte des › Workshop (4 Stunden an einem außerschu- eine Fachtagung mit 100 Teilnehmenden aus des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Holocaust. Dazu bietet es Lehrerfortbildun- lischen Lernort). Nach einer Einführung Deutschland, Österreich und Israel statt. Museums Frankfurt am Main (PZ). Es hat gen und Veranstaltungen an der Frankfurter werden im Museum, im Archiv, dem IG Auf der Tagung wurde das im Rahmen bereits ein breit gefächertes Programm ent- Goethe-Universität an, Workshops und Stu- Farben-Haus, dem Bunker an der Fried- des Bundesmodellprojektes entwickelte glcons.de wickelt, und die Beratungstätigkeit nimmt dientage an Schulen sowie für Institutionen berger Anlage oder einem anderen thema- Angebote »Berufsbild Gedenkstättenpädagogik« zur zu. Grundsätzliche Überlegungen zu einigen der Jugend- und Erwachsenenbildung. Be- tisch passenden Ort in Kleingruppenarbeit Diskussion gestellt. Gedenkstättenpädago- Arbeitsschwerpunkten fi nden sich ab Seite gleitend zu den aktuellen Ausstellungen des Objekte und Quellen erschlossen. Ziel ist Lehrer(fort)bildungs- ginnen aus 12 Gedenkstätten haben unter der 14 in diesem Heft. Jüdischen Museums gibt es Fortbildungen neben einem Überblickswissen ein Erst- veranstaltungen Leitung von Barbara Thimm (Max Mann- Im Oktober 2010 konnten die vorläufi - mit Perspektiven für den Unterricht. Unter- kontakt mit Originalen und Ausstellungen. heimer Studienzentrum), Gottfried Kößler gen Räume des PZ in der Seckbächer Gasse 5 richtsmaterialien und Beratung zu einzelnen › Projektorientierter Workshop (6 Stunden Sie fi nden das breit gefächerte Angebot an (Fritz Bauer Institut) und Susanne Ulrich Viola B. Georgi/Rainer Ohliger (Hrsg.) in Frankfurt am Main bezogen werden. Nun Themen sind weitere Angebote. an einem außerschulischen Lernort). An Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte (C.A.P) in einer Projektgruppe an der Ent- Crossover Geschichte Historisches Bewusstsein Jugendlicher kann die Zusammenarbeit zwischen den bei- Die Angebote zu allen Feldern werden einem außerschulischen Lernort wird in auf der Website des PZ: www.pz-ffm.de. Sie wicklung dieses Modells mitgewirkt, das auf in der Einwanderungsgesellschaft den Arbeitsschwerpunkten verstärkt werden. weiter ausgebaut. Zugleich ist das PZ mit Kleingruppen mit Ausstellungen, Archiv- können auch in je spezieller Absprache in der Tagung angeregt diskutiert wurde. Für Durch die räumliche Nähe zum Jüdischen der pädagogischen Begleitung der Ausstel- gut, Video-Interviews usw. gearbeitet. den Schulen durchgeführt werden. die Praxis von unmittelbarem Interesse ist 256 Seiten|Softcover ISBN 978-3-89684-336-4 Museum, aber auch zu anderen stadthistori- lungen des Jüdischen Museums Frankfurt Ziel sind neben einem Überblickswissen Das Pädagogische Zentrum ist beim das Fortbildungsangebot für pädagogische Euro 16,– (D) schen Einrichtungen können mehr Angebote befasst. Das Angebot an »Studientagen« die Vermittlung von Kompetenzen zum Hessischen Institut für Qualitätsentwicklung Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Ge- vor Ort realisiert werden. wird kontinuierlich erweitert, wobei die Erschließen von Zusammenhängen zwi- als Anbieter für Fortbildungs- und Qualifi - denkstätten, das ebenfalls in enger Zusam- Analysen, Befunde und Praxis berichte Ohne die großzügige Unterstützung der unterschiedlichen Schwerpunkte beachtet schen unterschiedlichen Materialien und zierungsmaßnahmen akkreditiert. Es ist als menarbeit mit der Projektgruppe entwickelt von Bodo von Borries, Nevim Çil, Stadt Frankfurt am Main, die Räume und Inf- werden. die Präsentation am Objekt oder in der Träger der Arbeitnehmerweiterbildung nach wurde. Zum Projekt ist in der Schriftenrei- Elke Gryglewski, Basil Kerski, rastruktur zur Verfügung stellt, und des Hessi- Ausstellung. dem HBUG anerkannt. he des Fritz Bauer Instituts ein Handbuch Carlos Kölbl, Gottfried Kößler, schen Kultusministeriums, das die Abordnung Kontakt erschienen, das theoretische Beiträge und Johannes Meyer-Hamme u. v. a. von Lehrkräften sogar erhöht hat, wäre die Pädagogisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts Die genaue Planung erfolgt in Zusammenar- Das Pädagogische Zentrum ist täglich zwi- praktische Übungen enthält (siehe S. 10). Arbeit des PZ nicht denkbar. Seit August 2010 und des Jüdischen Museums Frankfurt beit zwischen der Lehrkraft bzw. pädagogi- schen 10.00 und 16.00 Uhr erreichbar. Für Einleitend skizzierte Wolf Kaiser (Ge- Seckbächer Gasse 14 (Ecke Weißfrauenstraße) arbeitet Manfred Levy auf einer Vollzeitstelle Postanschrift: Untermainkai 14/15 schen Fachkraft und dem/der Mitarbeiter/-in längere Beratungsgespräche können Termi- denk- und Bildungsstätte Haus der Wann- am PZ, er ist vor allem Experte für die Ver- 60311 Frankfurt am Main des PZ. ne vereinbart werden. Schulinterne Fortbil- seekonferenz) den aktuellen Stand der Erhältlich im Buchhandel mittlung jüdischen Lebens in der Gegenwart. [email protected] Ein Überblick zu den Themen fi ndet dungen können ebenfalls individuell ver- Gedenkstättenpädagogik, nachdem das oder über Das PZ verbindet die Themenfelder www.pz-ffm.de sich auf der Website des PZ: einbart und geplant werden. Die Kosten für »generationelle Projekt« der Etablierung www.edition-koerber-stiftung.de deutsch-jüdische Geschichte im europä- www.pz-ffm.de Lehrgänge richten sich nach Gruppengröße, der Gedenkstätten abgeschlossen ist. Die

98 Pädagogisches Zentrum Einsicht 04 Herbst 2010 99 »Und ich begriff, dass ich ein Buch schreiben musste, Professionalisierung der pädagogischen Pra- Führungen und Studientage Form. Auf einer gemeinsamen Webseite xis wird auf verschiedensten Feldern erkenn- für alle Stichworte werden bibliografi sche bar – von der Vermittlung der Geschichte Norbert Wollheim Memorial Hinweise und Internetlinks gesammelt. um einem denkenden Menschen zu vermitteln, der Orte bis hin zur Menschenrechtsbildung. Die Reihe wurde im Oktober 2010 mit dem Monique Eckmann (Fachhochschule Genf) Das Norbert Wollheim Memorial auf dem Stichwort »Geld, Geldverleiher« eröffnet. rekonstruierte aus der Sicht der wissen- Campus Westend der Goethe-Universität was ich in Auschwitz erlebt hatte.« schaftlichen Begleitung den Arbeitsprozess Frankfurt, dem ehemaligen Verwaltungssitz des Projektes als Handlungsforschung. Sie des IG Farben-Konzerns, ist ein Denkmal sieht als wesentliche Leistung, dass mit dem für die Verfolgten, Ermordeten und Überle- »Berufsbild« eine Fokussierung auf die benden des KZ Buna/Monowitz am Ort der Recherche Selbstrefl exion der Mitarbeiter/-innen mit Täter. Es steht für die Auseinandersetzung pädagogischem Auftrag erfolgt. Das Fortbil- der Überlebenden mit den Tätern, für ihren Fotos gesucht dungsangebot mit den in der Projektgruppe Kampf um Entschädigung als ausgebeutete Ich kann nicht vergeben. abgestimmten Übungen empfi ehlt sie als Zwangs- bzw. Sklavenarbeiter in der Bun- Vor dem Holocaust – Kernstück, um das Konzept des »refl exiven desrepublik Deutschland. Jüdisches Alltagsleben in Hessen Meine Flucht aus Auschwitz Praktikers« für die Gedenkstättenpädagogen Die Führungen und Studientage richten Als ein neuer pädagogischer Zugang zur jü- ist ein einmaliges Erinne- zu realisieren. Wolfgang Meseth (Universi- sich an Schulen, Studierende und Erwachsene. dischen Geschichte für Lehrkräfte und Schü- tät Frankfurt) stellte die Präsentation eines ler wird im Fritz Bauer Institut eine Website rungsdokument. Es erzählt, »Berufsbildes Gedenkstättenpädagogik« in Öffentliche Führungen »Vor dem Holocaust – Jüdisches Alltagsleben In der Regel an jedem 3. Samstag im Monat, Treff- wie ein erst Siebzehnjähriger den Zusammenhang der auf vielen Ebenen punkt 15.00 Uhr am Norbert Wollheim-Pavillon auf in Hessen« entwickelt. Das Alltagsleben jüdi- laufenden Debatte um »Standards« im Bil- dem Gelände vor dem IG Farben-Haus, Grüneburg- scher Menschen in ihren hessischen Heimat- Auschwitz überlebte und wie dungswesen, der sich niemand – ob haupt- platz 1, Zugang Fürstenberger Straße orten »vor dem Holocaust«, in der Familie, oder ehrenamtlich tätig – entziehen kann. in Schule und Beruf, in der Freizeit, im reli- er es als einer der wenigen Information Die Ergebnisse des Projektes konkretisieren www.wollheim-memorial.de (Menüpunkt: › Memorial giösen wie im öffentlichen Leben, steht – im schaffte, zusammen mit die Fragen nach dem »Lernort Gedenkstätte« › Pädagogisches Angebot und Führungen am Memorial) Spiegel von Fotos – dabei im Mittelpunkt. und bieten Grundlagen für eine pädagogi- www.pz-ffm.de (Menüpunkt: › Bildungsangebote › Die Fotos werden auch über eine Hessen- einem Freund dieser Hölle sche Qualifi zierung der Mitarbeiter/-innen. Studientage/Workshops) Karte zu erschließen sein. Wir suchen Fotos zu entfl iehen. Die Diskussion zeigte einen großen Be- Anmeldung aus allen hessischen Ortschaften, in denen darf an Fortbildungsangeboten bei den haupt- Gottfried Kößler Juden vor der NS-Zeit ihre Heimat hatten. und ehrenamtlichen Mitarbeiter/-innen mit Tel.: 069.798 322-32, Fax: -41 Bitte stellen Sie uns Scans von Fotos mit pädagogischem Auftrag an Gedenkstätten. [email protected] Hinweis auf das Copyright zur Verfügung. Der Institutionalisierung der Gedenkstätten muss die Professionalisierung ihrer pädagogi- Hessische jüdische Kinder und Jugend- schen Mitarbeiter/-innen folgen. Die Diskus- liche – Opfer des Holocaust sion ist eröffnet, und diese Tagung hat gezeigt, Website Das Fritz Bauer Institut erarbeitet ein päda- Mit einem Vorwort von Beate Klarsfeld wie konstruktiv sie geführt werden kann. gogisches Gedenkprojekt für die etwa 3.500 Herausgegeben, mit Anmerkungen Das Bundesmodellprojekt wurde getra- Stichworte zur hessischen jüdischen Kinder und Jugendli- und einem Nachwort gen von: Max Mannheimer Studienzentrum/ jüdischen Geschichte chen, die deportiert und ermordet wurden, von Dagi Knellessen und Werner Renz Internationales Jugendgästehaus Dachau, die Verschleppung überlebt haben oder in Aus dem Englischen Fritz Bauer Institut Frankfurt, Centrum In monatlichen Abständen wird auf der Web- der Illegalität überleben konnten. Auf einer von Sigrid Ruschmeier und Brigitte Walitzek für angewandte Politikforschung (C.A.P) site des Pädagogischen Zentrums (www. Website werden Biografi en der Kinder und 528 Seiten. Gebunden. Lesebändchen € München; gefördert im Rahmen des Bun- pz-ffm.de) ein Stichwort zur jüdischen Jugendlichen (1921 und später geboren) zu Mit 32-seitigem Bildteil. 28,00 desprogramms »VIELFALT TUT GUT. Ju- Geschichte erläutert und erklärt. Es geht lesen sein. Wir suchen dazu Fotos der Kin- isbn 978-3-89561-416-3 gend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie« dabei um zentrale Themen der jüdischen der und Jugendlichen mit ihren Familien und (BMFSFJ) und der Stiftung »Erinnerung, Geschichte im europäischen Kontext, die anderen Spuren ihres Lebens. Verantwortung und Zukunft« Berlin. auch häufi g noch von Missverständnissen Das Fortbildungsangebot finden Sie oder sogar Vorurteilen belastet sind. Kontakt unter: www.weiterbildung-gedenkstaetten- Das Stichwort besteht aus einer knapp Monica Kingreen, Fritz Bauer Institut Tel.: 069.798 322-31, Fax: -41 paedagogik.de gefassten Darstellung in enzyklopädischer [email protected] ing.de 100 Pädagogisches Zentrum Schöffling & Co. www.schoeffl Nachrichten und Berichte Information und Kommunikation

Aus dem Förderverein Aus Kultur und Wissenschaft was die Geschichte der NS-Zeit für heutige jüdischer und christlicher Apokalyptik im Jugendliche in Deutschland bedeuten kann, Deutschland des 16. Jahrhunderts summa Mitteilungen Neue Leitung begründet ihre Arbeit. Im Vordergrund ste- cum laude promoviert. Anschließend forsch- Bericht des Jugendbegegnungsstätte hen Angebote zur Begegnung und Verstän- te sie als Postdoc an der Bar Ilan University Vereinsvorstands Anne Frank e.V. digung in einer zunehmend heterogenen in Israel sowie in den USA an der Harvard Stadtgesellschaft. »Jugendliche«, so Meron und der Columbia University. Bevor sie ihre Mendel, »sollen dazu angeregt werden, sich Tätigkeit in Frankfurt aufnahm, lehrte sie Ein zentrales Thema, mit Zum 1. Oktober 2010 über- für Toleranz und Menschenrechte einzuset- jüdische Geschichte an der New School in dem sich der Vorstand des nahm Dr. Meron Mendel zen.« New York. Fördervereines seit seinem letzten Bericht die Leitung der Frankfurter Jugendbegeg- Das Angebot der Jugendbegegnungs- Für ihre Arbeit hat Voß zahlreiche befasst hat, ist das Pädagogische Zentrum nungsstätte Anne Frank. Mendel hat damit stätte umfasst Projekttage, Seminare und Stipendien und Auszeichnungen erhalten, des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen die Verantwortung für sieben Angestellte, Trainings – vor allem für Jugendliche, aber unter anderem den drupa-Preis 2008 der Museums Frankfurt (PZ). Das PZ, welches mehr als zwanzig freie MitarbeiterInnen auch für MultiplikatorInnen und andere in- Messe Düsseldorf für eine herausragende im Rahmen der Kooperation mit dem Jüdi- und das jährliche Budget von 330.000 Eu- teressierte Erwachsene. Themen sind unter geisteswissenschaftliche Dissertation und schen Museum Frankfurt am Main gegrün- ro. Die Einrichtung ist dem Gedenken an anderem Rechtsextremismus, Antisemitis- den Harry Starr Fellowship in Judaica der Aus dem Institut Ziel der Neukonzeption war es, dass det wurde, ist an seinen neuen Standort in Anne Frank (1929–1945) gewidmet und mus und Zivilcourage. Die Begegnungsstät- Harvard University. die Gestaltung der Website mit der Aufma- die Seckbächer Gasse 14 umgezogen und vermittelt jungen Menschen universelle te wird von einem Trägerverein betrieben Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in Relaunch chung anderer Publikationen des Instituts kann seinen Aufgaben nun im vollen Um- Werte der Demokratie, Zivilcourage und und von der Stadt Frankfurt am Main maß- der jüdischen Kultur-, Geistes- und Religi- Neue Websites des Instituts, (Bulletin, Jahrbuch, Wissenschaftliche Rei- fang nachkommen. Menschenrechte. geblich fi nanziert. onsgeschichte im Europa der Frühneuzeit des Jüdischen Museums und he etc.) korrespondiert. Auch sollten durch Der Vorstand konnte bereits mit Monica »Ich freue mich sehr auf diese verant- und Neuzeit. Das besondere Interesse gilt eine aufeinander abgestimmte Gestaltung Kingreen und Manfred Levy vom PZ über wortungsvolle Aufgabe«, betont Dr. Men- Kontakt den vielfältigen Beziehungen von Juden und des Pädagogischen Zentrums der Websites die Bezüge zwischen den dessen Konzeption und Aufgabenstellung del. »In einer Zeit, in der fremdenfeindli- Jugendbegegnungsstätte Anne Frank e.V. Judentum zu der umgebenden Gesellschaft, kooperierenden Institutionen Fritz Bauer sowie derzeit laufende pädagogische Pro- che Stimmen in die Mitte der Gesellschaft Hansaallee 150 Religion und Kultur und der gegenseitigen 60320 Frankfurt am Main Seit Anfang Juli ist die neue Institut, Jüdisches Museum Frankfurt und jekte sprechen. Im Anschluss an die nächs- rücken – wie die Sarrazin-Debatte erneut Tel.: 069.56000-20 Wahrnehmung von Juden und Christen. Ihre Website des Fritz Bauer In- Pädagogisches Zentrum deutlich gemacht te Mitgliederversammlung sollen auch die zeigt –, sehen wir uns in unserer Zielsetzung [email protected] aktuellen Forschungsprojekte beschäftigen stituts online. Sie löst die bereits Anfang werden, ohne deren Eigenständigkeit zu Vereinsmitglieder Gelegenheit erhalten, sich bestätigt, allen Formen von Vorurteilen und sich unter anderem mit jüdisch-christlichem 1999 entwickelte bisherige Website ab. verwischen. über die Angebote des PZ zu informieren. Intoleranz entgegenzuwirken. Wir wollen Legendengut, folkloristischen Motiven im Neben dem Institut haben auch das Jüdi- Gemeinsam mit Surface – Gesellschaft Vertreter des Zentrums werden die in Zukunft verstärkt den interreligiösen Diasporadiskurs und jüdischen Reaktionen sche Museum Frankfurt und das Museum für Gestaltung wurde das neue grafi sche und unterschiedlichen Schwerpunkte ihrer Be- und interkulturellen Dialog zwischen Men- auf den Pietismus. Mit ihrer interdisziplinär Judengasse ihre Website runderneuert, und strukturelle Konzept erarbeitet, das von Ju- ratungs- und Bildungsangebote erläutern, schen mit und ohne Migrationshintergrund Aus Kultur und Wissenschaft ausgerichteten Forschung und Lehre stärkt das Pädagogische Zentrum Frankfurt ist belwerk – Büro für digitale Medien tech- Zielgruppen benennen, über aktuelle und in Frankfurt fördern.« Voß das Fach Judaistik im Bereich der jü- erstmals im Internet präsent. nisch umgesetzt wurde. geplante Projekte berichten und Fragen Meron Mendel wurde 1976 in Tel dischen Geschichte. Sie will außerdem die beantworten. Wir hoffen, dass wir den Aviv (Israel) geboren und lebt seit sieben Neu berufen Kooperation mit den verschiedenen Frank- Mitgliedern damit einen Einblick in die Jahren in Frankfurt. Derzeit lehrt der Er- Rebekka Voß, furter Institutionen zur Erforschung jüdi- Kontakt pädagogische Arbeit des Institutes geben ziehungswissenschaftler und Historiker an scher Geschichte weiter ausbauen. Website des Fritz Bauer Instituts Seminar für Judaistik Werner Lott können, das sie mit ihrem Mitgliedsbeitrag der Goethe-Universität. Seine Lehr- und [email protected] unterstützen. Forschungsschwerpunkte sind Migrations- Kontakt www.fritz-bauer-institut.de Die Mitgliederversammlung fi ndet statt pädagogik, Menschenrechtsbildung und die Rebekka Voß ist seit Januar Prof. Dr. Rebekka Voß am Samstag, 29. Januar 2011, 13.00 Uhr, im Geschichte der Juden in der Bundesrepublik 2010 Juniorprofessorin für Goethe-Uni versität – Seminar für Judaistik Website des Jüdischen Museums Frankfurt Mertonstraße 17 und des Museums Judengasse IG Farben-Haus auf dem Campus Westend Deutschland. In den Jahren 2003 bis 2007 Geschichte des deutschen und europäischen 60054 Frankfurt am Main Michael Lenarz der Goethe-Universität Frankfurt am Main, war Meron Mendel Bundesleiter der Zionis- Judentums am Seminar für Judaistik im Tel.: 069.798-22796 [email protected] Grüneburgplatz 1. tischen Jugend in Deutschland e.V. Fachbereich 9 (Sprach- und Kulturwissen- Fax: 069.798-23351 www.juedischesmuseum.de Im Namen des Vorstandes und des Fritz Die Jugendbegegnungsstätte Anne schaften) der Goethe-Universität Frankfurt [email protected] www.juedischesmuseum.de/museumjudengasse.html www.judaistik.uni-frankfurt.de Bauer Institutes möchte ich mich ganz herz- Frank informiert mit ihrer multimedialen, am Main. Sie studierte Judaistik/Jüdische Website des Pädagogischen Zentrums Frankfurt lich bei unseren Mitgliedern und Spendern für interaktiven Ausstellung »Anne Frank. Ein Studien, Geschichte und Jiddische Kultur, Dr. Wolfgang Geiger und Manfred Levy die Unterstützung unserer Arbeit bedanken. Mädchen aus Deutschland« über Leben und Sprache und Literatur in Köln, Duisburg, [email protected] Tagebuch der Anne Frank. Die Jugendbe- Düsseldorf und an der Columbia Univer- www.pz-ffm.de Brigitte Tilmann (Vorsitzende) gegnungsstätte orientiert sich an Anne sity in New York. 2007 wurde sie in Düs- links: Startseite der Website des Fritz Bauer Instituts Für den Vorstand Franks Gedanken und Werten. Die Frage, seldorf mit einer Arbeit zur Beziehung von

102 Nachrichten und Berichte Einsicht 04 Herbst 2010 103 Aus Kultur und Wissenschaft Ehren des 100. Geburtstages von Rosl Arns- Aus Kultur und Wissenschaft richtung des Videoarchivs, in dem die Zeug- Ereignissen, die im Leben des Interviewten berg am 2. Juni 2008 erstmalig ausgelobt. nisse in voller Länge, in originalsprachlicher große Auswirkung und Bedeutung hatten. Rosl Arnsberg verstarb am 1. Juni 2010, un- Transkription und deutscher Übersetzung, Die Zeugnisse selber wollen immer Auszeichnung mittelbar vor ihrem 102. Geburtstag. Rosl Zeitzeugeninterviews verschlagwortet, mit Lebensläufen und er- schon Dokumentation und Erinnerung zu- Rosl und Paul Arnsberg- und Dr. Paul Arnsberg stehen als jüdische Interviews mit Zeitzeugen läuternden Zusammenfassungen versehen, gleich sein. Deshalb ist darüber hinaus die Preis 2010 Bürger Frankfurts für ein Lebenswerk im und deren pädagogische zugänglich sind, ermöglicht eine einzigar- Zielsetzung immer auch, Jugendliche in Dienste der Aufarbeitung und Bewusstma- tige pädagogische Nutzung. den Prozess aktiver Erinnerungsarbeit ein- chung des historischen Erbes der jüdischen Nutzung am Holocaust- Das pädagogische Konzept zum Vi- zubinden. Dabei geht es zum einen darum, Die Stiftung Polytechnische Bürger Frankfurts. Zur diesjährigen Preis- denkmal Berlin deoarchiv geht davon aus, dass ein Gleich- das Gedenken an all diejenigen, die nicht Gesellschaft hat zum zwei- verleihung war ihr Sohn Gad aus Israel an- gewicht gefunden werden muss zwischen überlebt haben, in den Blick zu bekommen. ten Mal den Rosl und Paul Arnsberg-Preis gereist. Das Videozeugnis von Über- dem Ort, an dem das Zeugnis gezeigt wird, Zum anderen soll begreifbar werden, dass vergeben. Der Preis zeichnet herausragende Die erste Verleihung des Rosl und Paul lebenden des Holocaust ist der Person, die Zeugnis ablegt und den Er- Erinnerungsarbeit eine Begegnung mit der wissenschaftliche Arbeiten zur Geschichte Arnsberg-Preises fand im Januar letzten Jah- eine komplexe historische Quelle. Die zu- eignissen, über die berichtet wird und die Person, die sich (natürlich immer persön- der jüdischen Bürger Frankfurts aus. Für die res im Beisein von Rosl Arnsberg statt. Die grunde liegenden historischen Ereignisse eingeordnet werden müssen. Alle am Lern- lich) erinnert, voraussetzt. Die Vermittlung Auswahl wurden sowohl bereits publizierte Preisträger 2009 waren Dr. Helga Krohn für herauszuarbeiten, dabei jedoch die indivi- prozess beteiligten Personen (einschließlich dieser Begegnung wiederum erfordert ein Arbeiten als auch Recherchevorhaben be- ihr Recherche- und Publikationsvorhaben duellen Lebensgeschichten im Mittelpunkt der Interviewten) sollen als Subjekte in Er- »gerüttelt Maß« an historischem Wissen. rücksichtigt, die neue Erkenntnisse erwarten »Juden in Frankfurt am Main 1945 bis in zu halten und den konkreten und gegenwär- scheinung treten. Die pädagogische Begleiterin dieses lassen. Neben Eigenbewerbungen konnten die Gegenwart« und André Griemert zur tigen Akt der Erzählung der Zeugen inklu- Das Konzept setzt zunächst über eine Projekttages hat die Rolle, diese Zielsetzun- auch Kandidaten von Dritten vorgeschlagen Förderung der Publikation seiner Staatsar- sive aller chronologischen und inhaltlichen Erinnerungsübung an den Biografi en der gen immer wieder neu auszubalancieren und werden. Der Preis ist mit insgesamt 10.000 beit zum Thema »›Bürgerliche Verbesserung Brüche, Sprünge oder Wiederholungen zu Jugendlichen an und ähnelt im Laufe des das Lernen der Jugendlichen zu moderieren Euro dotiert und wurde am 18. August 2010 der Juden‹ durch Schule und Bildung? Das würdigen – ja, genau solche Passagen als viereinhalbstündigen Projekttages mehr und – das heißt auch zu verzichten auf Rollen im Eisenhower-Saal der Goethe-Universität Frankfurter Philanthropin in der Kontrover- eigenständige Qualität der Videointerviews mehr einem Archivbesuch. Die Langsam- wie Geschichtsexpertin oder moralische Frankfurt verliehen. se um die jüdische Emanzipation bis 1816«. anzuerkennen und herauszuarbeiten –, er- keit in der Annäherung, die Sensibilisierung Instanz zugunsten eines aufmerksamen Be- Der Preis wurde von der Jury in einen In einer sehr persönlich gehaltenen Re- fordert einen behutsamen und refl ektierten für den Mut, den es bedeutet, Schmerzhaftes gleitens des interaktiven Lernens, bei dem Haupt- und einen Förderpreis geteilt. Den de zur Preisverleihung erzählte Stadträtin Umgang mit der Quelle. Die Präsentation in zu erinnern, sowie die betonte Freiwilligkeit alle Beteiligten sichtbar werden. Hauptpreis in Höhe von 8.000 Euro sprach und Sozialdezernentin Prof. Dr. Daniela Bir- einem eigenen Raum innerhalb der Dauer- bei der Auswahl etablieren eine motivieren- Das Videoarchiv ist für die Ausstel- sie Prof. Dr. Andreas Gotzmann (Universi- kenfeld von ihrem letzten Besuch bei Rosl ausstellung, die beständig durch neue Inter- de und respektvolle Lernumgebung. Es ist lungsbesucher immer sonntags von 10.00– tät Erfurt) für seine Arbeit »Jüdische Au- Arnsberg in der Senioren Wohnanlage der views, die die Stiftung Denkmal für die er- den Schülern/-innen ausdrücklich erlaubt, 20.00 Uhr zugänglich, ansonsten nach tonomie in der Frühen Neuzeit: Recht und Henry und Emma Budge-Stiftung in Frank- mordeten Juden Europas selbst durchführt, nach dem Anhören einer längeren Inter- Absprache. Gebucht werden kann der Pro- Gemeinschaft im deutschen Judentum« aus. furt am Main. Sie habe ihr den Wunsch von ergänzt wird, fokussiert deswegen nicht viewsequenz (12 bis 17 Minuten) selber zu jekttag gegen eine Gebühr von 100 Euro (für Benno Nietzel (Universität zu Köln) erhielt den Augen ablesen können, ihr Werk fortzu- nur die historischen Hintergründe der Le- regulieren, was und wie viel sie erfahren Schüler/-innen aus Berlin kostenlos). den Förderpreis in Höhe von 2.000 Euro für setzen. So soll es geschehen: Der Rosl und bensgeschichten, sondern orientiert sich an wollen. seine Arbeit zum Thema »Jüdische Unter- Paul Arnsberg-Preis wird für 2012 erneut literaturwissenschaftlichen und textanalyti- Die Spurensuche wird im Laufe des Kontakt nehmer aus Frankfurt am Main 1924–1964: ausgeschrieben. schen Lesarten, die von zwei methodischen Projekttages mehr und mehr an die Jugend- Denkmal für die ermordeten Juden Europas Ausgrenzung, Selbstbehauptung, Vernich- Zugängen getragen werden. Zum einen lichen delegiert, die in Gruppenarbeit eines Dr. Daniel Baranowski, Dr. Constanze Jaiser Cora-Berliner-Straße 1 tung, Bewältigung«. Kontakt geht es um den hermeneutischen Prozess der insgesamt acht angebotenen Interviews 10117 Berlin Die Auswahl unter den Bewerbern Stiftung Polytechnische Gesellschaft der deutenden Auslegung einer Narration: mit den Möglichkeiten des Videoarchivs Mo.–Do. 10.00–16.00 Uhr, Fr. 10.00–13.00 Uhr traf eine Jury, der Prof. Dr. Raphael Gross Schaumainkai 91 In den Findhilfsmitteln der Videoarchiv- durchforsten, um später den anderen – ein- Tel.: 030.263 943-66, Fax: -22 60596 Frankfurt am Main (Direktor des Fritz Bauer Instituts und des präsentation wird keine objektivierte oder gedenk der Perspektive ihres/r Interviewten [email protected] Tel.: 069.838 306 0 www.holocaust-mahnmal.de Jüdischen Museums Frankfurt am Main), Fax: 069.838 306 19 gar verabsolutierende Schematisierung der – über deren Schicksal und das einzelner Dr. Evelyn Brockhoff (Direktorin des In- [email protected] Lebensgeschichte, sondern eine detaillierte ermordeter Familienmitglieder Auskunft stituts für Stadtgeschichte) und Prof. Dr. www.sptg.de und am tatsächlichen Verlauf der Erzählung zu geben. Damit wird etwas begreifbar, Klaus Ring und Dr. Roland Kaehlbrandt interessierte Interviewchronologie vorge- was das Überlebthaben problematisiert und als Vertreter der Stiftung Polytechnische stellt. Zum anderen eröffnet die Sichtbar- was einen wesentlichen Sinn des Zeugnis- Gesellschaft angehörten. Den Ehrenvorsitz machung von Pausen, von Unvollständigem ablegens ausmacht. Gleichzeitig ist es von der Jury führte Dr. Arno Lustiger. und Abgebrochenem, von Randständigem zentraler Bedeutung, dass die Jugendlichen Die Stiftung Polytechnische Gesell- und Fragilem innerhalb der Zeugenrede Nä- sich selbst, mit ihren Gedanken, Gefühlen, schaft hatte diesen Preis zur Erforschung he zu Verfahren der Dekonstruktion. Diese Meinungen, in Beziehung setzen zur inter- jüdischen Lebens in Frankfurt am Main zu hier nur angedeutete wissenschaftliche Aus- viewten Person resp. zu den geschichtlichen

104 Nachrichten und Berichte Einsicht 04 Herbst 2010 105 Aus Kultur und Wissenschaft bezüge herzustellen, und gleichzeitig eine Denkmal für die im Nationalsozialismus Gedenkens« gewonnen. Das Projekt wird werden: Münchner Stadtmuseum, Jüdi- übe eine Fuge von Johann Sebastian Bach‹, Lernmotivation schaffen, sich der Auseinan- verfolgten Homosexuellen sowie zukünf- vom Kulturreferat München/Freie Kunst im sches Museum München, Museum Villa antwortete ich. ›Was ist eine Fuge?‹ Ich dersetzung mit Quellen und der Refl exion ih- tig das Denkmal für die im Nationalsozia- öffentlichen Raum in Zusammenarbeit mit Stuck, Museumsshop des Lenbachhauses erklärte es, so gut es ging, mit einfachen »Du bist anders«? rer Bedeutung zu widmen. Schon zu Beginn lismus ermordeten Sinti und Roma – eine dem Bayerischen Rundfunk/Hörspiel und im Ruffi nihaus, im geplanten Infopoint des Worten. Er zog einen Zettel aus der Jacken- Verfolgung von Jugendli- wird das Interesse über ein Bild und einen Belebung und Verankerung in der deutschen Medienkunst realisiert. »Memory Loops« NS-Dokumentationszentrums. tasche und legte ihn vor mich hin. ›Todes- chen im Nationalsozialismus Einstiegssatz geweckt. So verbirgt sich hinter Gesellschaft. Der Raum des Internets kann ist als Audiokunstwerk konzipiert, das auf Alle 300 Tonspuren sind auf einer vir- fuge von Paul Celan‹. ›Was ist daran eine dem Bild einer Tischkreissäge und dem Ein- als »biografi sches Archiv«, aber auch als historischen Originaltönen von NS-Opfern tuellen Stadtkarte der Website verortet. Mit Fuge?‹ Ich schaute auf das Blatt, überfl og stiegssatz: »Friedrich träumte davon, Schrei- »Erinnerungsort« kreativ gestaltet werden und Zeitzeugen basiert: Zeugnisse von Dis- wenigen Klicks kann eine eigene Tracklis- das Gedicht und war überwältigt. Ohnehin Die Stiftung Denkmal für die ner zu werden. Doch seine Lehrer glaubten und bietet einen gleichberechtigten Zugang kriminierung, Verfolgung, Ausgrenzung, de- te – auch für unterwegs – gestaltet und für hatte ich außerhalb meiner Schulzeit kaum ermordeten Juden Europas nicht an ihn …« die Verfolgungsgeschichte zu Bildung und zur Beteiligung an einer eu- nen Menschen während des NS-Regimes in einen Rundgang in München genutzt wer- Erfahrung mit Lyrik gemacht, aber dieses in Berlin plant ein Online-Portal vor allem für eines geistig behinderten Jungen, der in Gra- ropäischen Erinnerungskultur. München ausgesetzt waren. Die Auswahl der den. Ob auf ein Mobiltelefon oder auf einen Gedicht überforderte mich. Bei allem Un- junge Menschen, das sich mit den während feneck ermordet wurde. Ein zeitgenössischer Originaltöne umfasst sowohl die von bekann- mp3-Player überspielt: Jede(r) Interessierte verständnis brannten sich einige Zeilen in der NS-Herrschaft europaweit ausgegrenz- Kapuzenpullover mit dem Aufdruck »Sprich Spendenkonto ten Persönlichkeiten als auch die von bislang kann so einer selbst gewählten Erinnerungs- mein Herz: ›Schwarze Milch der Frühe‹ … ten, verfolgten und ermordeten Jugendlichen Deutsch!« wird verknüpft mit der Biogra- Berliner Sparkasse kaum gehörten Zeitzeugen. 300 deutsche und schleife durch die Stadt folgen. Im öffent- ›der Tod ist ein Meister aus Deutschland‹«. befasst. Hierfür werden zunächst 25 bis 30 fi e eines Jungen, der in Kärnten zur slowe- Verwendungszweck »Jugendwebseite« 175 englische Tonspuren sind auf der Web- lichen Stadtraum von München fi nden sich (aus: Thomas-Friedrich Kirchhoff, »Warum BLZ: 100 500 00, Konto: 660 000 766 2 Biografi en präsentiert, die ein breites Spekt- nischen Minderheit gehörte und ins Visier site abrufbar. Jede Spur ist eine Collage aus Schilder mit Telefonnummern: Hier kann diese Website?«) rum von Verfolgungsgründen umfassen. Das der Nationalsozialisten geriet (»Wer hat das Kontakt Stimme(n) und Sound, die thematisch einem man zum Ortstarif Tonspuren anhören, die Diese erste »Celan-Begegnung« im verbindende Element ist neben dem jugend- Recht, mir vorzuschreiben, welche Sprache Denkmal für die ermordeten Juden Europas Ort innerhalb der ehemaligen »Hauptstadt der sich auf den jeweiligen Standort beziehen. Jahr 1982 stand am Anfang eines Prozesses lichen Alter das Thema »Selbstbehauptung ich zu sprechen habe?«). Dr. Constanze Jaiser Bewegung« zugeordnet ist. zu der in privater Initiative entstandenen [email protected] und Widerstand«. Wie wurden Handlungs- Auf eine Einteilung nach herkömmli- www.stiftung-denkmal.de Alle Zeitzeugenberichte und Interviews Kontakt Website »Orte Paul Celans: Wege – Stati- spielräume genutzt? Wo lässt sich ein aktives chen Opferkategorien wird verzichtet. Die wurden transkribiert und von Schauspielern Kulturreferat der Landeshauptstadt München onen – Biographisches« (www.orte-paul- Eintreten für sich und andere aufzeigen? NS-Kategorien lassen wenig Spielraum für und Schauspielerinnen unterschiedlicher Abteilung 1/Team Bildende Kunst celans.de). Auf ihr stellt Thomas-Friedrich Burgstraße 4, 80331 München, Tel.: 089.233 260 87 Selbstbehauptung und Widerstand fan- die zahlreichen Grenzfälle respektive Mehr- Generationen sowie von Kindern gespro- [email protected] Kirchhoff Auszüge aus Gedichten Celans, den in der Regel innerhalb eines Beziehungs- fachgründe einer Verfolgung. Durch den chen. Durch diese Verfremdung gewinnt Bayerischer Rundfunk Fotografi en von Orten gegenüber, die mit gefl echts statt, zu dem Familie, Freunde, Verzicht darauf lassen sich Aspekte in den Aus Kultur und Wissenschaft auch Archivmaterial eine zeitlose Aktualität. Redaktion Hörspiel und Medienkunst den Inhalten der Texte korrespondieren und Gleichgesinnte ebenso zählen können wie Biografi en weitaus besser hervorheben, die Alle Stimmen sind eingebettet in Musik, die Rundfunkplatz 1, 80335 München sie atmosphärisch einrahmen. Dabei eröffnet Tel.: 089.590 022 52, [email protected] helfende Fremde oder gar vereinzelt Ver- diese Zuschreibungen von außen unterlau- in ihrem gleichmäßigen Strömen die Text- Jüdisches Museum München der teils naheliegende, oft auch verrätselte folger. Der porträtierte Jugendliche ist nicht fen. Die Lebensgeschichte eines polnischen Memory Loops passagen verbindet. Als Ausgangsmaterial Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Bezug zwischen Bild und Text neue Zugän- wegen seines Verfolgtenschicksals per se Jugendlichen, dessen Familie zu Beginn des 300 Tonspuren zu Orten für die Komposition wurden Fragmente his- St.-Jakobs-Platz 16, 80331 München ge zum Verständnis der anspruchsvollen Ly- ein anderer Mensch als die Jugendlichen der 20. Jahrhunderts nach Frankreich immi- torischer Aufnahmen mit Werken von Karl Tel.: 089.233 258 47, Fax: 089.233 989 258 47 rik. Ergänzt wird die ansprechend gestaltete des NS-Terrors in München [email protected], www.memoryloops.net Zielgruppe. Sein Handeln wird jedoch durch grierte, kann beispielsweise zahlreiche An- Amadeus Hartmann, Felix Mendelssohn- Website durch biografi sche Notizen zu Ce- die Verfolger in einen Rahmen gedrängt, der knüpfungspunkte für Jugendliche bieten, die 1933–1945 Bartholdy, Kurt Weill und Coco Schumann lans Leben und Werk. die Lebenswelt in »Herrenrasse« und »Un- selbst einen Migrationshintergrund haben. verwendet und zu einem fragilen, ambienten Auf den Spuren Celans hat Thomas- termenschen« aufteilt. Was es bedeutet, die Perspektivisch soll die Online-Aus- München realisiert mit »Me- Sound verwebt. Das musikalische Instru- Friedrich Kirchhoff Orte verschiedener Menschenwürde zu achten, an der Meinungs- stellung zu einem virtuellen Knotenpunkt mory Loops« ein virtuelles mentarium besteht aus Klavier, Violoncello, Lebensstationen Paul Celans besucht und freiheit festzuhalten, trotz ohnmächtig ma- werden, der Aktivitäten auszulösen und zu Denkmal für die Opfer des Nationalsozia- Gitarre, Flöte, Metallophon und Glashar- Aus Kultur und Wissenschaft fotografi ert. Orte aus der frühen Lebenspha- chender Verhältnisse zu handeln, sah 1941 im bündeln vermag: Zum einen sollen einzelne lismus. Das Audiokunstwerk von Michaela monium. se, wie Czernowitz, die Hauptstadt der Bu- Ghetto Wilna anders aus als 1942 im Versteck »biografi sche Stelen« als Wanderausstellung Melián bietet 300 Collagen aus Stimmen Fünf Tonspuren sind als einstündige kowina in Nordrumänien (heute Ukraine), in Berlin oder 1944 in Auschwitz. in die Bundesrepublik getragen werden, um und Sound, die thematisch Orten im Münch- Erinnerungsschleifen konzipiert. Sie legen »Was ist eine Fuge?« wo Celan am 23. November 1920 als Paul Abwertungs- und Ausgrenzungsmecha- daran zu diskutieren, was an Projektarbeit ner Stadtraum zugeordnet sind. Sie basie- sich über den ganzen Stadtraum und zeugen Website zu Paul Celan: Antschel und einziger Sohn einer deutsch- nismen wirken bis heute, und sie wirken auch mit der Jugendwebsite vor Ort möglich ist. ren auf Transkriptionen historischer und von den vielen Schicksalen der Verfolgung Wege – Stationen – sprachigen jüdischen Familie geboren wur- innerhalb unserer Zielgruppe. Es gilt also, Zum anderen können Schülergruppen ihre aktueller Originaltöne von NS-Opfern und und Vernichtung innerhalb Münchens wäh- de und wo er nach seiner Befreiung aus ru- am historischen Beispiel eine Auseinander- Ergebnisse, für die sie in einem »Biografi - Zeitzeugen. Seit dem 23. September 2010 rend der NS-Diktatur. Sie sind als mp3-Da- Biographisches mänischen Zwangsarbeitslagern durch die setzung über den Sinn von Selbstbehauptung schen Forum« im Ort der Information pro- sind alle Tonspuren auf der Website www. teien auf der Website abrufbar und werden Rote Armee im August 1944 für drei Jahre und Widerstand zu führen und gleichzeitig fessionelle Anleitung erhalten und die mög- memoryloops.net zu fi nden. vom 26. September bis 26. Oktober 2010 »›Was spielen Sie da?‹ frag- lebte. Die Übergangstationen Bukarest und kritisch Bezug auf diejenigen zu nehmen, die lichst regionale Bezüge aufgreifen, in die Mit »Memory Loops« hat Michaela auf Bayern 2 (sonntags, 15.00 Uhr und te mich der Mann mit tiefer Wien, von wo aus er 1948 nach Frankreich Ausgrenzung und Mord verursachten. Jugendwebsite integrieren. Damit erfahren Melián den Kunstwettbewerb der Landes- montags, 20.30 Uhr) gesendet. Außerdem sonorer Stimme. Etwas überrascht schaute siedelte. Die kurzen Aufenthalte in Stutt- Die Art der biografi schen Narration soll die von der Stiftung verwalteten Denkmä- hauptstadt München »Opfer des Nationalso- können mp3-Player mit diesen Loops bei ich vom Griffbrett meiner Gitarre auf und gart, Tübingen, Freiburg und Köln und die Jugendlichen dabei helfen, Gegenwarts- ler in Berlin – das Holocaustdenkmal, das zialismus – Neue Formen des Erinnerns und folgenden Stellen kostenlos ausgeliehen sah in die Augen eines älteren Herrn. ›Ich Stationen seiner letzten großen Israel-Reise.

106 Nachrichten und Berichte Einsicht 04 Herbst 2010 107 Ausstellungsangebote Wanderausstellungen des Fritz Bauer Instituts

Schließlich Paris, den Ort seines Schaffens hüllte das neue Straßenschild. Der Straßen- Dem israelischen Geheimdienst Mossad und Scheiterns: sein Apartment in der Ave- name ist neu, die Straße ist es nicht. Seit dem gab Bauer den entscheidenden Hinweis auf nue Émile Zola, in dem er die letzten sechs Jahr 1937 war sie nach dem Historiker und den Aufenthaltsort Adolf Eichmanns, was Monate seines Lebens verbrachte, den Pont Publizisten Heinrich von Treitschke (1834– 1960 zu dessen Ergreifung in Argentinien Mirabeau, von dem er sich wahrscheinlich 1896) benannt, der als Vordenker des Anti- und seiner Verbringung nach Israel führte. in der Nacht vom 19. auf den 20. April 1970 semitismus gilt. Das nationalsozialistische Damit hatte Bauer wesentlichen Anteil am in den Tod stürzte, und das karge Grab auf Hetzblatt Der Stürmer hatte den Treitschke- Zustandekommen des 1961 in Jerusalem dem Pariser Vorstadtfriedhof Cimetière pa- Satz »Die Juden sind unser Unglück« 1927 durchgeführten Eichmann-Prozesses. Am risien de Thiais. als Schlagzeile auf das Titelblatt gehoben. 28. August 1961 war Bauer Mitglied der Die Website soll weiter ergänzt werden. Nachdem im Auftrag der Stadt die Vergan- Gründungsversammlung der Bürgerrechts- Auch »imaginäre Orte«, denen sich Celan genheit Treitschkes durchleuchtet worden organisation Humanistische Union. In seiner Legalisierter Raub aus verschiedenen Gründen nahe fühlte, war, wurde im März 2010 vom Verwaltungs- Funktion als hessischer Generalstaatsanwalt Der Fiskus und die Ausplünderung zum Beispiel Prag (Kafka), oder denen er ausschuss des Gemeinderats der Stadt Stutt- war Bauer maßgeblicher Initiator der Frank- der Juden in Hessen 1933–1945 schicksalhaft ausgeliefert war, wie das La- gart einstimmig beschlossen, der Straße am furter Auschwitz-Prozesse (1963 bis 1965). ger in Michailowka in der Ukraine, in dem Silberwald einen neuen Namen zu geben, Fritz Bauer verstand die NS-Verfahren als wahrscheinlich seine Eltern ermordet wur- was – mit Ausnahme der FDP-Vertreter – Selbstaufklärung der deutschen Gesellschaft Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Rundfunks, den, sollen aufgenommen werden. auch im Bezirksbeirat Sillenbuch Zustim- in den Bahnen des Rechts. 1965 eröffnete mit Unterstützung der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen Kaum ein anderes dichterisches Werk mung fand. Die Wahl für die Neubenennung Fritz Bauer die Voruntersuchung für einen und des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst ist so verknüpft mit bestimmten Orten und fi el auf den früheren hessischen General- weiteren Prozess, der sich gegen die Teil- Lebensdaten wie das Celans. »Ich habe nie staatsanwalt Fritz Bauer. nehmer einer reichsweiten Justizkonferenz eine Zeile geschrieben, die nicht mit mei- Fritz Bauers Biografi e vereint mehrere von 1941, die juristischen Erfüllungsgehil- Die Ausstellung gibt einen habe. Vor diesem Hintergrund zeichnet das ner Existenz zu tun gehabt hätte«, so Celan Aspekte der deutsch-jüdischen Geschichte fen der »Euthanasie«-Morde, richten sollte. Einblick in die Geschichte 2. Kapitel die Stufen der Ausplünderung und in einem Brief aus dem Jahr 1962 an Erich des 20. Jahrhunderts. Bauer wurde als Kind Bauer plante damit einen exemplarischen 12. März bis 22. Oktober 2010 des legalisierten Raubes, in die Biografi en die Rolle der Finanzbehörden in den Jahren Einhorn. Die gelungene Gegenüberstellung einer jüdischen Familie aus Schwaben am Prozess gegen die in die Verbrechen ver- Studienzentrum der von Tätern und Opfern. Die einleitenden Ta- von 1933 bis 1941 nach. Im nachgebauten seiner Texte mit fotografi schen Interpreta- 16. Juli 1903 in Stuttgart geboren. Nach strickte NS-Justiz. In der Nacht vom 30. Ju- Finanzverwaltung und Justiz feln stellen Franz Soetbeer, Walter Mahr, Zimmer eines Finanzbeamten können die Aus- tionen biografi scher Wegmarken entspricht seinem Studium der Rechts- und Volks- ni auf den 1. Juli 1968 starb Fritz Bauer in Rotenburg an der Fulda Artur Lauinger, Paul Graupe, Alexander stellungsbesucher in Aktenordnern blättern: dieser tiefen Beziehung zwischen Celans wirtschaftslehre trat er 1930 in seiner Hei- seiner Wohnung in Frankfurt am Main. Der Fiorino, Fritz Reinhardt, Martin Buber, Sie enthalten unter anderem Faksimiles jener Lyrik und Sein. matstadt mit 26 Jahren seine Aufgabe als noch in der Vorbereitungsphase stehende 8. November 2010 bis 27. März 2011 Waldemar Kämmerling sowie die Familien Vermögenslisten, die Juden vor der Deporta- jüngster Amtsrichter Deutschlands an. 1933 große Prozess gegen die Schreibtischtäter Wolfgang-Bonhage-Museum Korbach Guthmann, Cahn, Grünebaum, Reinhardt, tion ausfüllen mussten, um den Finanzbehör- Kontakt wurde der Sozialdemokrat Bauer aus dem der »Euthanasie« fand nie statt. Pacyna und Goldmann mit ihren Lebensge- den die »Verwaltung und Verwertung« ihrer Prof. Thomas-Friedrich Kirchhoff Amt entlassen und wegen antinazistischer Aus Anlass des 100. Geburtstags von Öffnungszeiten, Führungen, Begleitprogramm schichten bis zum Jahr 1933 vor. zurückgelassenen Habseligkeiten zu erleich- Oestricher Straße 39b, 58638 Iserlohn Tätigkeiten für einige Monate im Konzent- Fritz Bauer war bereits im Jahr 2003 der Ausführliche Informationen zur Ausstellung Ihnen allen begegnet der Ausstellungs- tern. Weitere Tafeln beschäftigen sich mit den [email protected] fi nden Sie auf unserer Website: www.orte-paul-celans.de rationslager Heuberg inhaftiert. 1935 fl üch- Fritz-Bauer-Weg in Stuttgart benannt wor- www.fritz-bauer-institut.de/legalisierter-raub.html besucher im Hauptteil wieder, der – aus- kooperierenden Interessengruppen in Politik tete Bauer zunächst nach Dänemark, dann den. Da nach den städtischen Richtlinien gehend von den Biografi en und zu ihnen und Wirtschaft, aber auch mit dem »deut- nach Schweden, wo er den Krieg überlebte. Straßennamen nur einmal im Stadtgebiet zu Bisherige Ausstellungsstationen zurückkehrend – auf Tafeln und in Vitrinen schen Volksgenossen« als Profi teur. Schließ- 1949 kehrte Bauer mit Unterstützung Kurt vergeben sind, erhält der Weg am Stuttgarter Limburg (2008) erzählt, wie sich die Ausplünderung der jü- lich wird nach der sogenannten Wiedergutma- Felsberg/Schwalm-Eder-Kreis (2007) Schumachers nach Deutschland zurück, um Bopser jetzt ebenfalls einen neuen Namen: Hanau, Groß-Gerau, Friedberg (2006) dischen Bevölkerung vollzog, was sie für die chung gefragt: Wie ging die Rückerstattung in Aus Kultur und Wissenschaft beim Aufbau eines demokratischen Justiz- Carola-Blume-Weg. Carola Blume war Berlin, Offenbach am Main (2005) Opfer bedeutete und wer die Täter waren. Hessen und Berlin vor sich, wie erfolgreich wesens mitzuwirken – und um die NS-Ver- die Gründerin der Frauenakademie an der Wiesbaden, Wetzlar, Kassel, Fulda (2004) Die Tafeln im Hauptteil der Ausstellung konnte sie angesichts der gesetzlichen Aus- brechen vor Gericht zu bringen. Wenige Wo- Volkshochschule Stuttgart. 1933 fl oh die Jü- Darmstadt, Gießen (2003) entwickeln die Geschichte der Tätergesell- gangslage und der weitgehend ablehnenden Frankfurt am Main, Marburg (2002) Straßenumbenennung chen vor Gründung der Bundesrepublik und din vor dem nationalsozialistischen Terror in schaft, die mit einem Rückblick auf die Zeit Haltung der Bevölkerungsmehrheit sein? Fritz-Bauer-Straße in der Verabschiedung des Grundgesetzes kam die USA, wo sie am 18. August 1987 in San Weitere Ausstellungsstationen vor 1933 beginnt: Die Forderung nach einer Im Zentrum der Ausstellung stehen Bauer im niedersächsischen Braunschweig Diego verstarb. Voraussichtlich ab September 2011 wird die Enteignung der Juden gab es nicht erst seit der Vitrinen, die die Geschichten der Opfer er- Stuttgart-Sillenbuch Ausstellung in Gelnhausen zu sehen sein, an, wo er zunächst zum Landgerichtsdirek- Machtübernahme der Nationalsozialisten. Sie zählen: von Erich Ochs aus Hanau, von Frie- ab Januar 2012 wird sie in Eschwege gezeigt. tor und 1959 zum Generalstaatsanwalt am Kontakt konnten vielmehr auf weitverbreitete antise- da, Julius, Leopold und Johanna Kahn aus Am Dienstag, 1. Juni 2010, Braunschweiger Oberlandesgericht ernannt Landeshauptstadt Stuttgart mitische Klischees zurückgreifen, insbeson- Groß-Gerau, von Familie Popper aus Kassel, wurde die Fritz-Bauer- wurde. 1956 berief ihn der hessische Mi- Rathaus, Marktplatz 1, 70173 Stuttgart dere auf das Bild vom »mächtigen und rei- von Familie Grünebaum aus Espa und vie- Tel.: 0711.216-0, Fax: -4773 Straße in Stuttgart-Sillenbuch eingeweiht. nisterpräsident auf das [email protected] chen Juden«, der sein Vermögen mit List und len anderen. Manche Vitrinen zeigen neben Bürgermeister Klaus-Peter Murawski ent- Amt des hessischen Generalstaatsanwalts. www.stuttgart.de/sillenbuch zum Schaden des deutschen Volkes erworben Dokumenten und Fotografi en kleine Objekte

108 Nachrichten und Berichte Einsicht 04 Herbst 2010 109 wie etwa den Klavierauszug, der Gertrud Die IG Farben und das Ein Leben aufs neu Landsberg gehört hat. Sie sind durch Zufälle, KZ Buna/Monowitz Das Robinson-Album dramatische und gelegentlich wundersame Wirtschaft und Politik DP-Lager: Juden auf deut- Umstände erhalten geblieben oder auch Jahrzehnte später wiedergefunden worden. im Nationalsozialismus schem Boden 1945–1948 Die Ausstellung wandert sehr erfolgreich durch Hessen. Da für jeden Präsentationsort Das Konzentrationslager Die Ausstellung porträtiert neue regionale Vitrinen entstehen, die sich mit der IG Farbenindustrie AG das tägliche Leben und die der Geschichte des legalisierten Raubes im in Auschwitz ist bis heute ein Symbol für die Arbeit der Selbstverwaltung eines Lagers Ausstellungsort beschäftigen, »wächst« die Kooperation zwischen Wirtschaft und Poli- für jüdische Displaced Persons in der ame- Ausstellung. Waren es bei der Erstpräsentation tik im Nationalsozialismus bis hinein in die rikanischen Besatzungszone: das DP-Lager 15 Vitrinen, die die Geschichten der Opfer er- Vernichtungslager. Die komplexe Geschichte Frankfurt-Zeilsheim. Der Fotograf Ephraim zählten, sind es heute weit über 60. Sie entste- dieser Kooperation, ihre Widersprüche, ihre Robinson, der selbst als DP in Zeilsheim hen auf der Basis weiterer Recherchen und an Entwicklung und ihre Wirkung auf die Nach- war, fertigte nach seiner Einwanderung in manchen Orten in Zusammenarbeit mit Schü- kriegszeit (die Prozesse und der bis in die Ge- die USA ein Album an. Über das vertraut lerinnen und Schülern. Für die Präsentation genwart währende Streit um die IG Farben in scheinende Medium des Albums führt die im Deutschen Historischen Museum in Berlin Liquidation), wird aus unterschiedlichen Per- Ausstellung in ein den meisten Menschen un- wurden neben dem neuen regionalen Vitri- spektiven dokumentiert. Strukturiert wird die bekanntes und von vielen verdrängtes Kapitel nen-Schwerpunkt auch Ausstellungstafeln zu Ausstellung durch Zitate aus der Literatur der der deutschen und jüdischen Nachkriegsge- ,!$)3,!53Ö,²" den Berliner Finanzämtern sowie zum Thema Ausstellungsstation Berlin: 12. Mai bis 11. September 2005 im Deutschen Historischen Museum. Überlebenden, die zu den einzelnen Themen schichte ein: Fotografi en von Familienfesten Eingang zur Ausstellungshalle von I.M. Pei. Foto: Werner Lott »Wiedergutmachung« hinzugefügt. die Funktion der einführenden Texte überneh- und Schulunterricht, Arbeit in den Werkstät- '%3#(Ã&4%Ö-)4Ö men. Als Bilder werden Reproduktionen der ten, Sporttourneen, Zeitungen und Theater, Fotografi en verwendet, die von der SS anläss- Manifestationen eines »lebn afs nay«, das $%-Ö4%5&%, lich des Besuchs von Heinrich Himmler in den Schrecken nicht vergessen macht. $)%Ö42!'²$)%Ö$%3Ö*5$%. Ausstellungsausleihe der Druckwerkstatt Fernwald, Hauptstraße 26, Ausstellungskonzept Auschwitz am 17. und 18. Juli 1942 ange- Ein gemeinsames Projekt des Fritz 2%44%23Ö2%:3&Ö+!3:4.%2Ö Die Ausstellung kann weiter ausgeliehen werden. Sie 35463 Fernwald, [email protected], Dr. Bettina Leder-Hindemith (Hessischer Rundfunk), fertigt wurden. Die Bildebene erzählt also Bauer Instituts und dem Jüdischen Museum "%2)#(4Ö%).%3Ö­"%2 besteht aus circa 60 Rahmen (Format: 100 x 70 cm), www.druckwerkstatt-fernwald.de Dr. Susanne Meinl, Katharina Stengel und durchgängig die Tätergeschichte, der Blick München (Maximilianstr. 36, 1989–1998). ,%"%.$%. 15 Vitrinen, 6 Einspielstationen, 2 Installationen und Die Materialmappe kann von Schulen unentgeltlich Stephan Wirtz (Fritz Bauer Institut) auf die Fabrik und damit die Technik stehen Zur Ausstellung erschienen: Jacqueli- »Was Ladislaus Löbs klar und ein- Lesemappen zu ausgesuchten Einzelfällen. angefordert werden: Ernst-Ludwig Chambré-Stif- im Vordergrund. Die Text ebene hingegen ne Giere, Rachel Salamander (Hrsg.), Ein Für jede Ausstellungsstation besteht die Möglichkeit, tung, c/o Dr. Klaus Konrad-Leder, Birkenstraße 37, Pädagogische Begleitung wird durch die Erzählung der Überlebenden Leben aufs neu. Das Robinson-Album. dringlich geschriebenes, mit feinem interessante Fälle aus der Region in das Konzept zu 35428 Langgöns, [email protected] Gottfried Kößler und Katharina Stengel bestimmt, wenn auch häufi g ein Thema aus DP-Lager: Juden auf deutschem Boden Sarkasmus glänzendes Buch aus- übernehmen.Weitere Informationen für Leihnehmer › Susanne Meinl, Jutta Zwilling: Legalisierter Raub. (Fritz Bauer Institut) der Sicht von Überlebenden und Tätern be- 1945–1948. Schriftenreihe des Fritz Bauer zeichnet, ist ein spürbar persönliches fi nden Sie auf unserem Infoblatt: Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialis- handelt wird. Die gesamte Ausstellung ist als Instituts, Band 8, Verlag Christian Brand- Motiv: Seine Rehabilitierung Kas- www.fritz-bauer-institut.de/fi leadmin/downloads/ mus durch die Reichsfi nanzverwaltung in Hessen. Kontakt Montage im fi lmischen Sinn angelegt. Der stätter, Wien 1995, 128 S., 133 Abb. (leider ztners […] geht mit der Selbstver- info-leihnehmer.pdf Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Fritz Bauer Institut Betrachter sucht sich die Erzählung selbst vergriffen). ge wisserung einher, dass der Mann, Band 10, Frankfurt am Main, New York: Campus Katharina Stengel aus den Einzelstücken zusammen. Um die- dem er sein Leben verdankt, kein Publikationen zur Ausstellung Verlag, 2004, 748 S., € 44,90 Tel.: 069.798 322-40 se Suche zu unterstützen, werden in Heftern Verräter und auch kein Schurke war.« › Legalisierter Raub – Katalog zur Ausstellung › Katharina Stengel (Hrsg.): Vor der Vernichtung. Fax: 069.798 322-41 Quellentexte angeboten, die eine vertiefen- Neue Zürcher Zeitung Reihe selecta der Sparkassen-Kulturstiftung Hes- Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalso- [email protected] de Lektüre ermöglichen. Daneben bietet das sen-Thüringen, Heft 8, 3. Aufl . 2008, 72 S., € 5,–. zialismus. Wissenschaftliche Reihe des Fritz Fritz Bauer Institut einen Reader zur Vorbe- Ausstellungsausleihe »Höchste Zeit, dass Rezs Kasztners Unsere Wanderausstellungen können gegen Gebühr Der Katalog kann in der Ausstellung erworben Bauer Instituts, Band 15, Frankfurt am Main, Hessischer Rundfunk reitung der Ausstellung an. Leistung endlich anerkannt wird.« ausgeliehen werden. Das Institut berät bei der Organi- werden. New York: Campus Verlag, 2007, 336 S., € 24,90 Dr. Bettina Leder-Hindemith Die Ausstellung besteht aus 57 Rahmen sation des Begleitprogramms und bei der Suche nach ZDF aspekte › Legalisierter Raub – Materialmappe zur Vor- und › D ER GROSSE RAUB. WIE IN HESSEN DIE JUDEN Tel.: 069.155-40 38 (Format: 42 x 42 cm) sowie einem Lageplan geeigneten Referenten. Gerne senden wir Ihnen weite- ÖÖ3Ö'"Ö-)4Ö35ÖÖ8ÖÖ--ÖÖ Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs. AUSGEPLÜNDERT WURDEN. Ein Film von Henning [email protected] des Lagers Buna/Monowitz und der Stadt re Informationen und ein Ausstellungs angebot zu. ÕÖ Ö;$=Ö\Ö Ö;!= Hrsg. von der Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung zu Burk und Dietrich Wagner, Hessischer Rundfunk, Auschwitz/Oświęcim. )3".Ö     Lich und dem Fritz Bauer Institut. Gießen: Book- 2002. DVD, Laufzeit: 45 Min., € 14,99 Weitere Informationen Konzeption: Gottfried Kößler, Recher- Kontakt Fritz Bauer Institut xpress-Verlag der Druckwerkstatt Fernwald, 2002, Der Film ist in der Ausstellung und über den www.fritz-bauer-institut.de/legalisierter-raub.html che: Werner Renz, Gestaltung: Werner Lott. Dr. Katharina Rauschenberger 777"/%(,!5 6%2,!'#/- € 8,50. Einzelexemplare können (zzgl. € 1,30 hr-Shop im Hessischen Rundfunk erhältlich: www.legalisierter-raub.hr-online.de Unterstützt von: Conference on Jewish Ma- Tel.: 069.798 322-26, Fax: 069.798 322-41 Versand) bezogen werden über: Bookxpress-Verlag www.hr-shop.de terial Claims Against Germany, New York. [email protected]

110 Ausstellungsangebote Einsicht 04 Herbst 2010 111 Impressum Fördern Sie mit uns das Nachdenken

Kontakt: über den Fritz Bauer Institut Grüneburgplatz 1 Holocaust D-60323 Frankfurt am Main Telefon: +49 (0)69.798 322-40 Telefax: +49 (0)69.798 322-41 [email protected] www.fritz-bauer-institut.de

Bankverbindung: Frankfurter Sparkasse Generalstaatsanwalt Fritz Bauer BLZ: 500 502 01, Konto: 321 901 Foto: Schindler-Foto-Report IBAN DE91 5005 0201 0000 3219 01 BIC/SWIFT Code: HELADEF1822 Steuernummer: 45 250 814 5 5 Einsicht 04 Finanzamt Frankfurt am Main III Bulletin des Fünfzig Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ist am 13. Vorstand des Fördervereins Direktor: Raphael Gross (V.i.S.d.P.) Januar 1995 in Frankfurt am Main die Stiftung »Fritz Bauer Institut, Brigitte Tilmann (Vorsitzende), Gundi Mohr (stellvertretende Vor- Fritz Bauer Instituts Redaktion: Werner Konitzer, Werner Lott, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung sitzende und Schatzmeisterin), Dr. Diether Hoffmann (Schriftführer), Jörg Osterloh, Katharina Rauschenberger, des Holocaust« gegründet worden – ein Ort der Ausein-andersetzung Prof. Dr. Eike Hennig, Dr. Rachel Heuberger, Herbert Mai, Klaus Herbst 2010 Werner Renz unserer Gesellschaft mit der Geschichte des Holocaust und seinen Schilling, David Schnell 2. Jahrgang Redaktion für den Pädagogik-Schwerpunkt: Auswirkungen bis in die Gegenwart. Das Institut trägt den Namen ISSN 1868-4211 Wolfgang Geiger, Monica Kingreen, Fritz Bauers, des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts und Fördern Sie mit uns das Nachdenken über den Holocaust Gottfried Kößler, Manfred Levy, Initiators des Auschwitz-Prozesses 1963 bis 1965 in Frankfurt am Der Förderverein ist eine tragende Säule des Fritz Bauer Instituts. Titelbild: Martin Liepach Main. Ein mitgliederstarker Förderverein setzt ein deutliches Signal bürger- Besuch deutscher und israelischer Jugend- Anzeigenredaktion: Dorothee Becker, schaftlichen Engagements, gewinnt an politischem Gewicht im Stif- licher am 5. September 2008 am Mahnmal Manuela Ritzheim Aufgaben des Fördervereins tungsrat und kann die Interessen des Instituts wirkungsvoll vertreten. »Gleis 17« in Berlin-Grunewald, das dem Lektorat: Gerd Fischer, Regine Strotbek Der Förderverein ist im Januar 1993 in Frankfurt am Main gegrün- Zu den zahlreichen Mitgliedern aus dem In- und Ausland gehören Gedenken an die 50.000 Juden Berlins Gestaltung/Layout: Werner Lott det worden. Er unterstützt die wissenschaftliche, pädagogische und engagierte Bürgerinnen und Bürger, bekannte Persönlichkeiten des gewidmet ist, die zwischen Oktober 1941 Grafi sches Konzept: Surface – dokumentarische Arbeit des Fritz Bauer Instituts und hat durch das öffentlichen Lebens, aber auch Verbände, Vereine, Institutionen und und Februar 1945 vom Güterbahnhof Gesellschaft für Gestaltung mbH ideelle und fi nanzielle Engagement seiner Mitglieder und zahlrei- Unternehmen sowie zahlreiche Landkreise, Städte und Gemeinden. Grunewald aus in die Konzentrations- Herstellung: Druckerei Otto Lembeck cher Spender wesentlich zur Gründung der Stiftung beigetragen. und Vernichtungslager deportiert wurden. GmbH & Co. KG, Frankfurt am Main Er sammelt Spenden für die laufende Arbeit des Instituts und die Werden Sie Mitglied! Auf den ehemaligen Verladebahnsteigen Erscheinungsweise: zweimal jährlich Erweiterung des Stiftungsvermögens. Er vermittelt einer breiten Jährlicher Mindestbeitrag: € 60,– / ermäßigt: € 30,– rechts und links des Gleiskörpers werden (April/Oktober) Öffentlichkeit die Ideen, Diskussionsangebote und Projekte des In- Unterstützen Sie unsere Arbeit durch eine Spende! auf aneinandergereihten Metallplatten Aufl age: 5.500 stituts, schafft neue Kontakte und sorgt für eine kritische Begleitung Frankfurter Sparkasse, BLZ: 500 502 01, Konto: 319 467 – auf denen Datum, Anzahl der deportier- der Institutsaktivitäten. Für die Zukunft gilt es – gerade auch bei Werben Sie neue Mitglieder! ten Juden und Bestimmungsort eingeprägt Manuskriptangebote: zunehmend knapper werdenden öffentlichen Mitteln –, die Arbeit Informieren Sie Ihre Bekannten, Freunde und Kollegen über die sind – die Deportationszüge der Deutschen Textangebote zur Veröffentlichung in und den Ausbau des Fritz Bauer Instituts weiter zu fördern, seinen Möglichkeit, sich im Förderverein zu engagieren. Reichsbahn dokumentiert. Einsicht. Bulletin des Fritz Bauer Instituts Bestand langfristig zu sichern und seine Unabhängigkeit zu wahren. Foto: Werner Lott bitte an die Redaktion. Die Annahme Gerne senden wir Ihnen weitere Unterlagen mit Informationsmaterial von Beiträgen erfolgt auf der Basis einer Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust zur Fördermitgliedschaft und zur Arbeit des Fritz Bauer Instituts zu. Copyright: Begutachtung durch die Redaktion. Für Seit 1996 erscheint das vom Fritz Bauer Institut herausgegebene © Fritz Bauer Institut unverlangt eingereichte Manuskripte, Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust im Campus Stiftung bürgerlichen Rechts Fotos und Dokumente übernimmt das Verlag. In ihm werden herausragende Forschungsergebnisse, Reden Förderverein Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur Fritz Bauer Institut keine Haftung. und Kongressbeiträge zur Geschichte und Wirkungsgeschichte des Fritz Bauer Institut e.V. mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Holocaust versammelt, welche die internationale Diskussion über Einsicht erscheint mit Unterstützung des Ursachen und Folgen der nationalsozialistischen Massenverbrechen Grüneburgplatz 1 Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. refl ektieren und bereichern sollen. 60323 Frankfurt am Main Vorzugsabonnement: Mitglieder des Fördervereins können das ak- Telefon: +49 (0)69.798 322-39 tuelle Jahrbuch zum Preis von € 23,90 (inkl. Versandkosten) im Telefax: +49 (0)69.798 322-41 112 Impressum Abonnement beziehen. Der Ladenpreis beträgt € 29,90. [email protected] 113 Dirk Riedel Andreas Weigelt Ralf Schäfer Ordnungshüter und Massenmörder im Dienst Judenmord im Reichsgebiet Militarismus, Nationalismus, der „Volksgemeinschaft“: Lieberose: Außenlager des KZ Sachsenhausen Antisemitismus: Der KZ-Kommandant Carl Diem und die Politisierung des bürgerlichen Sports im Kaiserreich Hans Loritz -ARTIN5LMER !NTISEMITISMUS IN3TUTTGART¯ 3TUDIENZUM yFFENTLICHEN $ISKURSUND!LLTAG

Geschichte der Konzentrationslager 1933–1945 · Band 12

dirk riedel andreas weigelt ralf schäfer martin ulmer Ordnungshüter und Massenmörder im Judenmord im Reichsgebiet Militarismus, Nationalismus, Antisemitis- Antisemitismus in Stuttgart 1871–1933 Dienst der „Volksgemeinschaft“: Lieberose: Außenlager des mus: Carl Diem und die Politisierung Studien zum öffentlichen Diskurs und Alltag Der KZ-Kommandant Hans Loritz des bürgerlichen Sports im Kaiserreich KZ Sachsenhausen ISBN: 978-3-940938-82-4 ISBN: 978-3-940938-63-3 ISBN: 978-3-940938-69-5 ISBN: 978-3-940938-67-1 ca. 500 Seiten · 28,– € 424 Seiten · 24,– € ca. 500 Seiten · 24,– € ca. 600 Seiten · 29,90 € Antisemitische Massenkrawalle, Diskrimi- Acht Jahre stand der Augsburger Ex-Polizist Berichte und Zeugenaussagen von Opfern, Die sportpolitische Karriere Carl Diems nierungen und Übergriffe prägten bereits Hans Loritz an der Spitze der Konzentra- Tätern und Zuschauern bilden die Grund- (1882–1962), des Organisators der Olym- vor der NS-Machtübernahme das öffent- tionslager Esterwegen, Dachau und Sachsen- lage der Studie über das von der Waffen-SS pischen Spiele von 1936 in Berlin, reichte liche Leben Stuttgarts. An diese Strukturen hausen. Als dienstältester KZ-Kommandant 1943 gegründete Außenlager des KZ Sach- vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik. konnten die Stuttgarter Nationalsozialisten verfügte er über weitreichende Handlungs- senhausen. Lieberose (Jamlitz) war eines der Die biografische Arbeit nimmt zugleich anknüpfen. Orte wie der Marktplatz vor spielräume und übte starken Einfluss auf die größten jüdischen Häftlingslager in Deutsch- das Milieu des organisierten Sports in den dem Rathaus waren Stätten antisemitischer SS-Karrieren anderer Täter aus. Der korrupte land. Nur wenige hundert Häftlinge erlebten Blick. Im wilhelminischen Reich entwickel- Gewalt und Treffpunkte der Judenfeinde. Lagerkommandant trieb im Dienst der „Volks- die Befreiung. Die Geschichte des Lagers als te „der Vater des deutschen Sports“ Einstel- Die Stuttgarter Befunde leisten einen Bei- gemeinschaft“ die Eskalation der Gewalt bis Ort des Judenmordes wird erstmals umfas- lun gen, die ihm die Mitarbeit im NS-Re- trag für die Bedingungen und Formen des hin zum Massenmord zielstrebig voran. send dargestellt. gime gestatteten. Antisemitismus in Deutschland vor 1933.

Katrin Reichelt Verena Buser -IRKO7ETZELÀ*ANA*ELITZKI

Lettland unter Überleben von Kindern und Jugendlichen eBER4iTERUND in den Konzentrationslagern 4iTERINNENSPRECHEN deutscher Besatzung Sachsenhausen, Auschwitz und Bergen-Belsen Oliver von Wrochem (Hrsg.) $IE$ARSTELLUNGNATIONALSOZIALISTISCHER4iTERSCHAFTIN 1941–194 4 DERPiDAGOGISCHEN!RBEITVON+: 'EDENKSTiTTEN Der lettische Anteil am Holocaust Das KZ Neuengamme und seine Außenlager

Geschichte, Nachgeschichte, Erinnerung, Bildung

Herausgegeben im Auftrag der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

katrin reichelt verena buser oliver von wrochem (hrsg.) mirko wetzel · jana jelitzki Lettland unter deutscher Besatzung Überleben von Kindern und Jugendlichen in Das KZ Neuengamme und seine Außenlager Über Täter und Täterinnen sprechen 1941–1944 den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Geschichte, Nachgeschichte, Erinnerung, Bildung Die Darstellung nationalsozialistischer Täterschaft Der lettische Anteil am Holocaust Auschwitz und Bergen-Belsen Herausgegeben im Auftrag der KZ-Gedenk- in der pädagogischen Arbeit von KZ-Gedenkstätten ISBN: 978-3-940938-84-8 ISBN: 978-3-940938-83-1 stätte Neuengamme ISBN: 978-3-940938-48-0 ca. 450 Seiten · 24,– € ca. 240 Seiten · 19,– € ISBN: 978-3-940938-87-9 292 Seiten · 19,– € Die Studie untersucht das Zusammenwirken Mit der Errichtung großer KZ-Komplexe wie ca. 380 Seiten · 24,– € Gedenkstättenpädagogische Konzepte zur der deutschen Besatzer mit Einheimischen Sachsenhausen oder Auschwitz wurden auch Die Neuengammer Kolloquien präsentieren Auseinandersetzung mit Täterschaft im Na- bei der Ausbeutung, Entrechtung, Terrori- viele Minderjährige in die Lager deportiert. aktuelle Forschungen zu Themen, die mit tionalsozialismus stehen im Mittelpunkt der sierung und Ermordung der jüdischen Be- Unter allen Häftlingsgruppen und zu allen dem ehemaligen Konzentrationslager Neu- Studie. Gefragt wird nach der Darstellung völkerung Lettlands. Diskutiert werden die Zeiten der Existenz der KZ Sachsenhausen, engamme, seiner Nachgeschichte sowie mit von Täterinnen und Tätern und der Bedeu- Ursachen der lettischen Kollaboration vor Auschwitz und Bergen-Belsen befanden sich Fragen von Bildung und Erinnerung ver- tung anderer Aspekte für die Vermittlung dem Hintergrund der deutschen Okkupa tion Kinder und Jugendliche. Der Schwerpunkt bunden sind. Dabei werden die Erfahrungen pädagogischer Gesichtspunkte. Grundlage und der vorangegangenen traumatischen Er- der Arbeit liegt auf der Alltagsgeschichte. anderer Gedenkorte mit einbezogen. Der bilden Interviews mit Gedenkstättenpäda- fahrung durch die sowjetische Besatzung. Untersucht wird, mit welchen Strategien Sammelband bündelt aktuelle Forschungs- gogen sowie die Analyse zweier Expositionen Täterprofile geben Aufschluss über die Mo- Kinder und Jugendliche das Leben unter KZ- arbeiten sowie Beiträge, die übergreifende aus den KZ-Gedenkstätten Neuengamme tive der Beteiligten. Bedingungen bewältigen konnten. Perspektiven ermöglichen. und Ravensbrück.

Ansbacher Straße 70 D–10777 Berlin Metropol Verlag Telefon (030) 23 00 46 23 Telefax (030) 2 65 05 18 www.metropol-verlag.de [email protected]