Zu Bilanz und Perspektive nach 12 Jahren Biosphärenreservat Rhön

RHÖN IM FLUSS – ein Projekt zur der Rhön. Daher wurden durch ALTMOOS Revitalisierung von Fließge- (1997) als Zielarten auch eine Reihe von Arten der Fließgewässer definiert – und zwar wässern als Repräsentanten für

Eckhard Jedicke • Quellen und Quellfluren: Rhön-Quell- schnecke (Bythinella compressa) und Ge- streifte Quelljungfer (Cordulegaster bi- dentatus); 1. Artenschutz im Biosphärenreservat Rhön • Fließgewässer: Bachforelle (Salmo trutta f. fario), Groppe (Cottus gobio), Bachhaft Unter dem Titel RHÖN IM FLUSS startete die (Osmylus fulvicephalus), Fluss-Schlamm- Zoologische Gesellschaft Frankfurt e.V. (ZGF) fliege (Sialis fuliginosa) und Zweigestreif- am 1. Juni 2003 gemeinsam mit den drei Ver- te Quelljungfer (Cordulegaster boltoni); waltungsstellen des Biosphärenreservats in Bayern, Hessen und Thüringen sowie der län- • Bach-Ufer-Komplexe: Wasseramsel (Cinc- derübergreifenden informellen Arbeitsgemein- lus cinclus), Eisvogel (Alcedo atthis), Feu- schaft Artenschutz im Biosphärenreservat Rhön ersalamander (Salamandra salamandra), ein Projekt zur Revitalisierung von Fließge- Blauflügelige und Gebänderte Prachtlibelle wässern. Die Initiative für das Vorhaben ent- (Calopteryx virgo, C. splendens); stand aus dem Projekt „Artenschutz im Bio- • komplexe Landschaftsausschnitte mit na- sphärenreservat Rhön“, welches die ZGF seit turnahen Quellbach-Abschnitten, Stillge- 1996 fördert. Die Hessische Gesellschaft für wässern, alten Waldbeständen und störungs- Ornithologie und Naturschutz e.V. (HGON) als armen Auen: Schwarzstorch (Ciconia nigra). damalige Trägerin dieses Vorhabens erarbeitete ein zoologisches Zielartenkonzept (ALTMOOS Zur Umsetzung entsprechender Maßnahmen 1997, 1998): Identifiziert wurden 72 Zielarten, zum Schutz und zur Verbesserung der Lebens- anhand derer Anforderungen und Maßnahmen bedingungen dieser Arten als Indikatoren für des Arten- und Biotopschutzes definiert, be- den Zustand der Fließgewässer- und Auen- gründet und Umsetzungserfolge kontrolliert lebensräume insgesamt wurde das Projekt werden können. Dabei handelt es sich um indi- RHÖN IM FLUSS geschaffen (Logo s. Abb. 1). katorisch wichtige und leicht nachweisbare Ar- ten, die komplexe Ansprüche an ihren Lebens- raum stellen (und damit eine größere Zahl wei- terer Arten repräsentieren), eine gewisse Att- raktivität aufweisen und eine realistische Über- lebenschance in der Rhön besitzen. Im Rah- men dieses Projekts wurde die Arbeitsgemein- schaft Artenschutz im Biosphärenreservat Rhön gebildet – eine länderübergreifende Info- rmationsplattform für Behörden, Verbände und interessierte Einzelpersonen in enger Ab- stimmung mit den drei Verwaltungsstellen des Biosphärenreservats. Abb. 1:Wasserblaues Projekt-Logo mit Wasserwellen als Verursacher von Auendynamik und einer Prachtlibelle Fließgewässer von den Quellen über schmale als Symbol biologischer Vielfalt der Fließgewässer Quellbäche bis hin zu kleinen Flüssen sind zu- sammen mit den Auen typische Lebensräume

62 Beiträge RN 1/2004 Eckhard Jedicke, RHÖN IM FLUSS – ein Projekt zur Revitalisierung von Fließgewässern

Die Keimzelle hierzu lag an der Ulster: Aus dem vorbeugenden Hochwasserschutz zu demon- Artenschutzprojekt heraus wurde ein Runder strieren. Besondere Aktualität und Dringlichkeit Tisch gebildet (s. Abschnitt 5) und ein grober erlangt es auch durch regelmäßige Hochwasser- Maßnahmenkatalog als Handlungsleitlinie ver- ereignisse auch im Bearbeitungsgebiet, insb. an abschiedet. Zur wirksamen Umsetzung bedurfte den Unterläufen von Brend und Ulster. es jedoch der Einwerbung weiterer Förder- Das Vorhaben bezweckt die Revitalisierung der mittel, die insbesondere für die erforderlichen drei Gewässersysteme von Ulster, Streu und Personalkapazitäten nun für voraussichtlich drei Brend im Biosphärenreservat Rhön, um das Jahre Laufzeit durch die Deutsche Bundesstift- national überaus bedeutsame Naturerbe mit der ung Umwelt (DBU) bereitgestellt werden. hohen Zahl dort vorkommender Tier- und 2. Ziele des Projekts Pflanzenarten der Fließgewässer und Auen zu erhalten und weiter zu entwickeln. Dazu sind die Mit bis zu 950 m üb. NN Höhe weist die Rhön Umweltbedingungen zu erhalten bzw. wie- einen Jahresniederschlag von bis über 1100 mm derherzustellen, welche überlebensfähige Po- auf. Ein fein verästeltes Netz von Fließgewäs- pulationen in ausreichendem Verbund von Teil- sern durchzieht die Landschaft, gespeist von populationen untereinander ermöglichen – ungezählten Quellen. Viele Fließgewässer – vor primär durch (a) die naturnähere Entwicklung allem die kleinen – befinden sich noch in einem von Gewässer- und Uferstrukturen unter größt- recht naturnahen Zustand. Aber auch deutli- möglicher Ausnutzung preiswerter Eigendy- che Spuren menschlichen Handelns sind vie- namik der Fließgewässer und (b) durch Wie- lerorts erkennbar: Begradigungen und Uferver- derherstellung der Längsdurchgängigkeit. bau, für Fische nicht passierbare Wehre, Fichten an den Quellbächen, Ackernutzung in den Auen. Auf diese Weise soll ein Biotopverbundsystem Somit begründet sich das Vorhaben durch be- geschaffen werden, welches Modellcharakter stehende Konflikte mit gebietsweise intensiver für die integrative Umsetzung der verschiede- Auennutzung, fehlender Dynamik mit dem nen geltenden rechtlichen Normen von EU, Mangel an Laufveränderungen, mangelnder Bund und Ländern im Bereich der Auen besitzt. Durchgängigkeit des Gewässersystems und Die erforderlichen Maßnahmen werden anhand Hochwassergefährdung. von ausgewählten Zielarten beschrieben und hinsichtlich ihres Erfolgs kontrolliert. Zugleich Die natürlicherweise reiche Biodiversität der soll damit ein Baustein zur Reduktion von Rhöner Auensysteme (wobei zahlreiche Arten Hochwassergefährdungen geschaffen sowie mit hoher Bedeutung für das nationale Natur- die Landnutzung in den Auen insgesamt so natur- erbe hier heute noch vorkommen) ist erhalt- und schutzverträglich wie möglich gestaltet werden. wiederherstellbar mit guten Erfolgsaussichten, wenn umgehend gehandelt wird. Entsprechende Folgende Schritte zur Zielerreichung stehen im Maßnahmen werden positive Auswirkungen Vordergrund (Abb. 2): innerhalb größerer Flusseinzugsgebiete zeigen 1. Förderung natürlicher Fließgewässerdyna- (Verbesserung des Wiederbesiedlungspotenzi- mik und der Retentionsleistung der Aue durch als durch Populationen typischer, seltener Ar- Herausnahme einzelner Verbauungen und lokal ten). Vor diesem Hintergrund soll das Vorhaben Einsatz von Totholz nach (wo erforderlich und modellhaft die Erfüllung von bislang in der realisierbar) Schaffung ungenutzter Uferrand- Naturschutzpraxis mehr oder minder vernach- streifen; lässigten spezifischen Anforderungen insbe- sondere aus der europäischen Wasserrahmen- 2. Schaffung einer Längsdurchgängigkeit der richtlinie, der FFH-Richtlinie, zum Biotopver- Fließgewässer durch Rückbau von Querver- bund nach § 3 des neuen Bundesnaturschutz- bauungen oder Bau von Fischwanderhil- gesetzes und nach Wasserhaushaltsgesetz zum fen/Umleitungen;

Beiträge RN 1/2004 63 Zu Bilanz und Perspektive nach 12 Jahren Biosphärenreservat Rhön

3. Entnahme von Fichten im Uferrandbereich insbesondere begangen durch das repräsenta- insbesondere in den Quellbachregionen so- tive Zielarten-System, die Verknüpfung vor- wie von Pappeln auf Feuchtwaldstandorten; handener staatlicher Mittel zu einer höchst- möglichen Förder- effektivität, die An- wendung preis- werter Revitalisie- rungsmethoden als „Hilfe zur Selbst- hilfe“ durch Ent- nahme einzelner Uferbefestigungen an geeigneten Punkten und ge- zieltes Einbringen von Totholz so- wie die Einbin- dung ökomorpho- logischer Gewäs- Abb: 2: Definition von 7 Teilzielen des Projekts Rhön im Fluss serdaten in die Erfolgskontrolle 4. Revitalisierung von Quellen durch Vermeid- L(Strukturgütekart.). ung von Nähr- und Schadstoff-Einträgen, von Entwässerung und nachteiligen Vegetationsver- 3. Naturschutzfachlicher Rahmen änderungen vor allem im land- und forstwirt- Die Rhön wird von zahlreichen Fließgewässern schaftlichen Einflussbereich; entwässert, wobei die Hohe Rhön eine wichtige 5. Verringerung der Ackernutzung in der Aue, Wasserscheide darstellt: Nach Norden in das insbesondere im gewässernahen Bereich, sowie System von Werra und entwässern Uls- – soweit notwendig und möglich – Veränderung ter, , Haune, Felda und Herpf, nach von Nutzungszeitpunkten und -intensitäten im Süden in das Rhein-Main-System Streu, Brend Grünland (Ergänzungen zu Agrarumweltpro- und Sinn. Die meisten Gewässer haben ihren grammen als Modellvorhaben); Ursprung in Quellmulden der Hohen Rhön. Die Quellbäche und Bachoberläufe liegen meist 6. Information der am Projekt beteiligten Ziel- im Wald und besitzen überwiegend naturnahen gruppen und der breiten Öffentlichkeit über Charakter und eine hohe Gewässergüte. Auch Ziele und Wege der Gewässer-Revitalisier- im Mittellauf sind die meisten Bäche naturnah ung (Erlebnispfad, Eröffnungs- und Abschluss- ausgebildet – sie zeigen Mäander, tragen Ge- Kongress, webbasierte interne und externe hölzsäume, und ihre Auen werden überwie- Kommunikation, Printmedien, Vortrags- und gend als Grünland genutzt; nur kurze Ab- Diskussionsveranstaltungen etc.); schnitte sind verbaut. Die Quellgebiete und Bach- oberläufe der Rhön haben als Beispiele für na- 7. Schaffung und Demonstration von Muster- turnahe Fließgewässer außerordentlich hohe Be- lösungen und Umsetzungserfahrungen in Fließ- deutung für den Wasserhaushalt und den Arten- gewässer-Landschaften der Mittelgebirge unter und Biotopschutz (GREBE & BAUERN-SCHMITT vorrangiger Nutzung vorhandener Finanzie- 1995). rungsinstrumente unter den Rahmenbedingun- gen dreier Bundesländer. Eine Erfolgskontrol- Als besonders naturnahe Fließgewässersysteme le ist vorgesehen. Relativ neue Wege werden bezeichnen die v.g. Autoren im Rahmenkon-

64 Beiträge RN 1/2004 Eckhard Jedicke, RHÖN IM FLUSS – ein Projekt zur Revitalisierung von Fließgewässern

zept für das Biosphärenreservat Rhön in Bayern Ulster und einige Nebengewässer besteht bundes- u.a. Streu und Brend, in Hessen die Ulster mit weite Einzigartigkeit in Bezug auf Köcher- Scheppenbach und Brandbach und in Thüringen fliegen (Trichoptera), Steinfliegen (Plecopte- die Ulster (in Teilbereichen) und unter ihren ra), Eintagsfliegen (Ephemeroptera), Zuck- Zuflüssen Kohlbach und Apfelbach. mücken (Simulidae), Schnecken (Gastropoda) u.a. Artengruppen. Dem verbesserten Erhalt Vor diesem Hintergrund wurden drei Projekt- möglichst vollständiger Biozönosen aquatischer gebiete ausgewählt: (a) das Ulster-System in Tiere im Ulstersystem kommt als Wiederbe- Hessen und Thüringen als das größte Fließge- siedlungsquelle für das gesamte Werrasystem wässer im Biosphärenreservat mit Schwer- eine zentrale Rolle zu. Dabei deuten im Laufe punkten an der Ulster und ausgewählten Neben- der letzten 30 Jahre zu beobachtende Veränder- gewässern („Hotspots“ nach ALTMOOS 1998, ungen wie die anhaltende Ausbreitung eury- zusätzlich nach heutigem Kenntnisstand – thermer Wirbelloser ulsteraufwärts (R. WAG- insbesondere limnofaunistisch – wichtige Auen- NER mdl.) auf einen dringenden Handlungs- abschnitte); (b) und (c) Streu und Brend in bedarf hin. Bayern, die Gewässerabschnitte mit Defiziten im Bereich von Uferrandstreifen aufweisen, Die Streu ist mit einer Gesamtlänge von ca. die im Rahmen des Arten- und Biotopschutz- 39,5 km – davon liegen knapp zwei Drittel programms Bayern sowie der Pflegeplanung als (24,7 km = 62,5 %) im Biosphärenreservat – besonders hochwertig erkannt wurden. das zweitlängste Fließgewässer der Rhön. Sie überwindet von ihren Quellen im Streuwald Das gesamte Flusssystem der Ulster wird als nordöstlich von Frankenheim (Thüringen) in besonders schutzwürdiger Bereich gesehen 735 bis 655 m üb. NN bis zur Mündung bei (BOHN 1981, GREBE & BAUERNSCHMITT 1995). Heustreu eine Höhendifferenz von 505 m und Sie überwindet von ihrer Quelle südlich Ehren- umfasst fischereibiologisch die Abfolge von der berg-Wüstensachsen – etwa 25 km östlich von Forellenregion (bzw. der darüber liegenden Fulda – in 815 m üb. NN bis zur Mündung bei „Salamanderregion“) zur Äschenregion mit Philippstal in die Werra eine Höhendifferenz einer noch weitgehend intakten Artenzusam- von 590 m und umfasst fischereibiologisch die mensetzung. Das Gewässer weist einen relativ Abfolge von der Forellenregion (bzw. der dar- naturnahen Charakter auf, mit gut ausgepräg- über liegenden „Salamanderregion“) zur Äschen- ten Ufergehölzen sowie Steilufern, Uferab- region mit einer noch weitgehend intakten Ar- brüchen sowie Schlamm- und Kiesbänken. In tenzusammensetzung (vgl. SPIESS & WATER- kurzen Abschnitten ist es immer wieder in STRAAT 1998). Auf großen Strecken weisen die zwei Fließstrecken geteilt. Bachläufe einen relativ naturnahen Charakter Sowohl die Quellbäche der Streu als auch ihr auf, mit abwechslungsreichen Substraten, Steil- Oberlauf sind von hoher ökologischer Wertig- ufern, Uferabbrüchen, Kies- und Schotterbän- keit. Sie beheimaten aufgrund ihrer guten Was- ken, naturnahen Ufergehölzen und zumindest serqualität Arten oligothropher Bergbäche. Die einzelnen Auengewässern. gesamte Streu wird im Arten- und Biotop- Teilbereiche der Ulster in Thüringen liefern ein schutzprogramm Bayern (ABSP) (Bayer. ausgezeichnetes Beispiel für die Fließgewässer- StMLU 1995) als Lebensraum mit überregiona- dynamik kleiner Flüsse im Tiefland mit Kies- ler Bedeutung eingestuft. Besonders hervorzu- bänken, Prall- und Gleitfern sowie mehr oder heben sind die Nebenbäche Eisgraben und Els- minder mäandrierendem Verlauf – vor allem süd- bach, die beide im Naturschutzgebiet „Lange lich Motzlar, südlich Geisa, nördlich Borsch Rhön“ entspringen und deren Oberläufe – auf- und südlich Pferdsdorf (GREBE & BAUERN- grund ihrer großen Naturnähe und floristischen SCHMITT 1995); die Autoren bescheinigen hier- und faunistischen Ausstattung – als einzige bei der Ulster nationale Bedeutung. Für die Fließgewässer im bayerischen Teil des Bio-

Beiträge RN 1/2004 65 Zu Bilanz und Perspektive nach 12 Jahren Biosphärenreservat Rhön

sphärenreservats im ABSP als landesweit be- • Uferrandstreifen fehlen, d.h. die Nutzung deutsam eingestuft werden. Mit ihrem naturna- reicht vielfach bis unmittelbar an die Ufer- hen Charakter ist die Streu vermutlich ähn- kante heran, so dass die Gewässerunterhal- lich artenreich wie die Ulster, insbesondere in tung zum Schutz des Privateigentums mit den oligotrophen Bergbachabschnitten. Die hohem Aufwand betrieben werden muss aquatische Wirbellosen-Fauna der Streu wurde oder Nutzer in Selbsthilfe immer wieder jedoch bislang nicht untersucht; R. WAGNER entstehende Auskolkungen mit Bauschutt (mdl.) vermutet hier – wie bei genauerer u.Ä. verfüllen; Betrachtung auch im hessischen Bereich der • Ackernutzung reicht in Teilbereichen bis Ulster-Nebengewässer – vor allem in den Quell- unmittelbar an die Ufer heran (insbesondere regionen verschiedene alpine Faunenelemente im thüringischen Teil der Ulster sowie an und endemische Arten. der Streu); Die Brend liegt mit knapp 80 % (23,2 km) ihrer • Querverbauungen (Wehre, Kleinkraftwerke) Gesamtlänge von 29,7 km innerhalb des Bio- verhindern den für den Arterhalt von Fischen sphärenreservats. Sie überwindet von ihrer u.a. Organismen notwendigen Individuen- Quelle im Hangbereich des Simmelsberges austausch im Längsgradienten der Fließ- (Hessen) nördlich von Oberweißenbrunn in gewässer; 740 m üb. NN bis zur ihrer Mündung in Bad • Uferverbauungen an Prallhängen unterbin- Neustadt (220 m üb. NN) eine Höhendifferenz den natürliche Laufveränderungen und damit von 520 m. Ihre fischereibiologische Charak- die Entstehung vielfältiger, für zahlreiche teristik entspricht jener der Streu. Das Gewässer Arten notwendiger Lebensraumstrukturen; besitzt mit gut ausgeprägten Ufergehölzen, • überhöhte Wasserentnahmen durch Klein- teilweise extremen Steilufern an Prallhängen, kraftwerke bewirken bei Niedrigwasser den Uferabbrüchen und Schlamm- und Kiesbänken Verlust der Fließgewässer-Charakteristik insbesondere im Mittellauf einen sehr natur- im eigentlichen Hauptgewässer und damit nahen Charakter. Besonders bemerkenswert sind das lokale Aussterben zahlreicher Arten; auch mehrere kleine, gut ausgebildete Feucht- • zu starke Düngung auf Grün- und Ackerland wiesenkomplexe in der Brendaue. verursacht neben der Artenverarmung in den Auenlebensräumen insbesondere in Die gesamte Brend wird im Arten- und Biotop- Kombination mit fehlenden oder zu schmalen schutzprogramm Bayern (ABSP) (Bayer. StMLU Uferrandstreifen hohe Nährstoffeinträge 1995) als Lebensraum mit überregionaler Be- in die Fließgewässer. deutung eingestuft. Neben dem Oberlauf ist das Gewässer auch in seinem Mittellauf, unter- 4. Methoden und Maßnahmen halb Schönau bis zur Grenze des Biosphären- reservats, sehr naturnah ausgeprägt. Besonders Information und Diskussion mit dem Ziel viel- hervorzuheben ist der Nebenbach „Hasel- fältiger Kooperation zur Erreichung der resultie- bach“, dessen Quellbäche im Bereich des renden Aufgaben der Revitalisierung stehen im Oberen Muschelkalks ausgeprägte Kalksinter- Vordergrund der Projekt-Aktivitäten. Nach- Terrassen bilden. Der Nebenbach „Schwarz- folgend werden nur die in der aktuellen ersten bach“ nimmt nördlich von Bischofsheim das Projektphase wichtigsten Punkte kurz ange- „Moorwasser“ auf, welches das in Hessen sprochen: ge-legene Hochmoor „Rotes Moor“ entwäs- sert. • Maßnahmenplanungen werden in der Regel auf kommunaler Ebene im Zusammenhang Defizite liegen in allen drei Gewässersystemen mit der Planung und Beantragung von Fi- ähnlich, doch gebietsweise in unterschiedli- nanzmitteln detailliert ausgearbeitet. Die er- cher Gewichtung, in folgenden Bereichen: forderlichen Mittel stammen vor allem aus

66 Beiträge RN 1/2004 Eckhard Jedicke, RHÖN IM FLUSS – ein Projekt zur Revitalisierung von Fließgewässern

der Wasserwirtschaft (in Hessen aus dem rung durchgeführt, um den Kenntnisstand zu Landesprogramm Naturnahe Gewässer) Verbreitung und Zustand der Quelllebens- sowie aus der naturschutzrechtlichen Aus- räume, über ihre Fauna, Beeinträchtigung gleichsabgabe. In Bayern sollen zuvor Ge- und Schutzbedürftigkeit zu verbessern. Re- wässerentwicklungspläne in Auftrag gege- sultierende Maßnahmenvorschläge werden ben werden, deren folgende Umsetzung ins- durch das Projekt im Dialog mit den jewei- besondere an der Brend auch die Entste- ligen Akteuren umgesetzt. Gleiches gilt für hung von Hochwasserereignissen reduzie- Untersuchungen zur Fischfauna der Ulster ren helfen sollen. gemeinsam mit den Fischereibehörden und der Hegegemeinschaft Ulster, die insbeson- • Voraussetzung für jede Maßnahme zur Ver- dere im Hinblick der Identifikation und des besserung der natürlichen Dynamik des Ge- anschließenden Rückbaus von Barrieren wässers ist, dass sich die Uferstreifen in öf- angestellt werden sollen. fentlichem Eigentum befinden, um Nut- zungskonflikte von vornherein auszuschlie- • Ein wichtiges Standbein des Projekts bildet ßen. Wo das der Fall ist, können in enger Ab- die Öffentlichkeitsarbeit, die durch eine Stelle stimmung mit der Wasserwirtschaft unmit- für das Freiwillige Ökologische Jahr unter- telbar Initiale für Dynamik durch Heraus- stützt wird. Neben einem Faltblatt, Presse- nehmen einzelner Steine aus Uferbefestigun- arbeit, Internet-Präsenz und einer kleinen gen oder das gezielte Einbringen von Tot- Wanderausstellung zählt hierzu insbesondere holz geschaffen werden. Ansonsten steht das Angebot zur schulischen Umweltbildung zunächst der Ankauf von Flächen in den Au- sowohl im Gelände als auch im Klassen- en im Vordergrund. Wo diese nicht unmit- zimmer. Entlang der Ulster soll ein Gewäs- telbar an das Ufer angrenzen, wird unter ser-Erlebnispfad („Das blaue Band“) ent- Einbeziehung weiterer in öffentlichem stehen, der jeweils für die einzelne Gemeinde Besitz (Biosphärenreservat, Land, Forstäm- ein in sich abgeschlossenes Thema vermit- ter, Landkreis, Kommune, aber auch Natur- telt, aber auch im Ganzen eine Einheit bilden schutzverbände) befindlicher Flächen durch soll – als Fernziel vom Quellbereich bis zur Verfahren der Flurbereinigung oder ggf. Mündung. auch des Landnutzungstauschs ein möglichst zusammenhängender Uferrandstreifen von 5. Formen der Beteiligung in der Regel mindestens 10 bis 15 m Breite Information und Mitsprachemöglichkeit aller in geschaffen. Der Flächenentzug für die Land- der Landschaft tätigen Akteure ist der Schlüssel wirtschaft soll möglichst gering gehalten für Umsetzungserfolge; ein „Verordnungs- werden. Zugleich lassen sich durch einen Naturschutz“ wäre nicht zielführend. Daher wur- veränderten Flächenzuschnitt auch Verbes- de im frühest möglichen Stadium, noch vor dem serungen für die landwirtschaftliche Nutz- Entwurf des Projekts an sich, ein Runder Tisch barkeit erreichen. Ulster-Renaturierung mit Behördenvertretern • Zur Herstellung der Längsdurchgängigkeit überwiegend der mittleren Verwaltungsebene wurden an der Ulster im Bereich Buttlar u.a. aus Wasserwirtschaft, Naturschutz und durch das Staatliche Umweltamt Suhl be- Landwirtschaft Hessens und Thüringens gebil- reits drei Querverbauungen in raue Rampen det, an dem für die Ulster die generelle Zielset- umgewandelt. Weitere ähnliche Maßnahmen zung und mögliche Wege zur Umsetzung be- befinden sich in der Planung. sprochen wurden. • Gemeinsam mit dem Landesverband für Mit Förderung der Stiftung Hessischer Natur- Höhlen- und Karstforschung Hessen und schutz ließ die HGON daraufhin aus vorliegen- weiteren Akteuren wird eine Quellenkartie- den Planungen, Konzepten und Empfehlungen

Beiträge RN 1/2004 67 Zu Bilanz und Perspektive nach 12 Jahren Biosphärenreservat Rhön

ein einfaches Maßnahmenkonzept zusammen- Vertreten sind dabei – jeweils aus Bayern, Hes- stellen, in dem Handlungsschwerpunkte iden- sen und Thüringen – (a) die übergeordneten Be- tifiziert wurden. In den thüringischen Raum hörden der Wasserwirtschaft, des Naturschutzes, wurde dieses durch ehrenamtliche Leistung fort- der Landwirtschaft und der Flurneuordnung, geführt. Der Runde Tisch diskutierte und modi- (b) die Verwaltungsstellen des Biosphären- fizierte die Vorschläge, die schließlich als allge- reservats Rhön sowie (c) Interessensgruppen mein akzeptierte Leitlinie verabschiedet wurde wie Kreisbauernverbände, Naturschutzverbände (JEDICKE 2002a). (überwiegend gebündelt über die AG Arten- schutz) und Hegegemeinschaften der Fischerei. Parallel zu ersten Bemühungen, Aufgaben aus dem Maßnahmenkonzept umzusetzen, wurde Aufgrund des großen Teilnehmerkreises wird bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ein der Runde Tisch durch je einen Projektbeirat Antrag auf Förderung eines Modellprojekts (ebenfalls im Sinne eines Runden Tisches) je im Rahmen des Förderschwerpunktes Hoch- Bundesland ergänzt, wo die jeweils länderspezi- wasserschutz und Naturschutz der DBU einge- fischen und räumlich konkreteren Belange reicht (JEDICKE 2002b). Auch dieser wurde am besprochen werden (unter Beteiligung u.a. der Runden Tisch abgestimmt. Träger sind die Bürgermeister). Bei Bedarf finden auch kleinere Zoologische Gesellschaft Frankfurt, die drei Gesprächsrunden zu spezifischen Fragestellun- Verwaltungsstellen des Biosphärenreservats und gen statt, wie beispielsweise zur Hochwasser- die Arbeitsgemeinschaft Artenschutz. Räum- Problematik an der Brend. lich wurde das Bearbeitungsgebiet der Ulster um Diese Struktur hat sich sehr bewährt und kann die Fließgewässersysteme von Streu und Brend als vorbildhaft für künftige Vorhaben dienen, erweitert. Der Langtitel des Vorhabens RHÖN insbesondere zur Umsetzung der europäischen IM FLUSS umschreibt die Aufgabenstellung: Wasserrahmenrichtlinie. Weitere Verbesserun- „Revitalisierung und Verbund ausgewählter gen des Informationsflusses sind künftig vorge- Rhön-Fließgewässersysteme mit herausragender sehen durch einen Newsletter per E-Mail und Bedeutung für den Erhalt des nationalen Natur- einen passwortgeschützten Kommunikations- erbes – Verknüpfung von Belangen des Natur- bereich für die Akteure auf der Homepage schutzes und des Hochwasserschutzes“. www.rhoen-im-fluss.de. Der Runde Tisch Rhön im Fluss bleibt Dreh- Personell wird das Projekt von einem auf Hono- und Angelpunkt mit folgender Zielsetzung: rarbasis in Teilzeit beschäftigten Projektleiter • Informationsaustausch über Zielsetzungen und einer Vollzeit-Stelle getragen. Das Büro der verschiedenen Akteure in den Auen- konnte freundlicherweise in der hessischen landschaften; Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats auf der Wasserkuppe eingerichtet werden. Die • Diskussion erforderlicher Ziele und Maß- drei Verwaltungsstellen liefern darüber hinaus nahmen und Verabschiedung entsprechender mit ihrem Personalinput einen unbaren Eigen- Handlungskataloge, die dann als allgemein anteil zum Projekt. Durch die DBU-Förderung akzeptierte Arbeitsgrundlage dienen können; wird der anderweitig nicht mögliche, aber für den Umfang und Erfolg des Projekts unab- • bei zwei- bis dreimaliger Tagung pro Jahr dingbare generelle Projektrahmen finanziert: jeweils Informationsaustausch über den aktuellen Projektstand und die weitere • zeitaufwändige personelle Betreuung durch Planung durch die verschiedenen Akteure, Gespräche und Verhandlungen mit Behörden, so dass fortlaufend Akzeptanz geschaffen Kommunen und Interessengruppen, teils Be- bzw. – wo notwendig – Diskussion von antragung erforderlicher Finanzmittel und Ge- unterschiedlichen Standpunkten ermög- nehmigungen, Abwicklung der Finanzierun- licht wird. gen, Informations- und Beratungstätigkeiten;

68 Beiträge RN 1/2004 Eckhard Jedicke, RHÖN IM FLUSS – ein Projekt zur Revitalisierung von Fließgewässern

• Untersuchungen zur Begründung und Präzi- mit der bayerischen Verwaltungsstelle des Bio- sierung der Planungen von Maßnahmen; sphärenreservats Rhön und der ZGF eine Teil- finanzierung der Arbeiten zur Antragstellung • Untersuchungen zur Erfolgskontrolle; und hierzu hilfreicher Akzeptanzförderung bei • Öffentlichkeitsarbeit zur Information und der DBU. Verbreitung der Projektergebnisse An der Finanzierung des Gesamtprojekts – insbesondere für Maßnahmenumsetzungen und 6. Ausblick damit die Erbringung des für die DBU erforder- Zunächst hat die Deutsche Bundesstiftung Um- lichen Eigenanteils – sind zahlreiche Instituti- welt die Förderung einer ersten zehnmonatigen onen aus den Bereichen Wasserwirtschaft, Projektphase bis Ende März 2004 bewilligt. Naturschutz, Fischerei, Flurneuordnung und Nach positiv begutachtetem Projektverlauf im Landwirtschaft aus allen drei Bundesländern Rahmen eines Statuskolloquiums wird RHÖN beteiligt. Ihnen allen sei herzlich ohne indivi- IM FLUSS dann voraussichtlich bis 31. Mai 2006 duelle Namensnennung für ihr Engagement laufen. Angesichts der großen Fließgewässer- gedankt. In diesen Dank eingeschlossen sind Länge unter Einschluss der Nebengewässer ist die drei Verwaltungsstellen des Biosphären- schon jetzt klar, dass bis dahin kein Abschluss reservats für ihre umfangreiche und konstruk- des Vorhabens erreichbar sein wird – dieses tive Unterstützung. wäre erst bei Erzielen des „guten ökologischen Zustands“, wie ihn die europäische Wasser- rahmenrichtlinie bis Dezember 2015 fordert, Literatur der Fall. Projektziel ist vielmehr, in der Land- schaft zahlreiche Exempel zu setzen, um zu ALTMOOS, M., 1997: Ziele und Handlungs- zeigen, was zu tun ist und wie dieses bewerk- rahmen für regionalen zoologischen Arten- stelligt werden kann. Längerfristig soll das Pro- schutz – Modellregion Biosphärenreservat jekt zum „Selbstläufer“ werden. Es bleibt zu Rhön. Hrsg.: Hessische Gesellschaft für Orni- hoffen, dass die „Welle“ der positiven Beispiele thologie und Naturschutz, Echzell, 235 S. auch zu den vielen anderen Fließgewässern in der Rhön schwappt und vielfältige Nachahmung ALTMOOS, M., 1998: Maßnahmenkonzept und erfährt. Praxisanschub für zoologischen Artenschutz im Biosphärenreservat Rhön, Hessischer Teil. 7. Dank Bericht im Auftrag der Stiftung Hessischer Naturschutz, Wiesbaden. Hrsg.: Hessische Für die auf drei Jahre angelegte Förderung des Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz Projekts RHÖN IM FLUSS gebührt der Deutschen (HGON), Echzell. 254 S. und Anhangsbände, Bundesstiftung Umwelt ein ganz besonderer unveröffentl. Dank (Az: 20793). Bayer. StMLU (Bayerisches Staatsministeri- Der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt e.V. um für Landesentwicklung und Umweltfra- wird für ihr langjähriges Förderengagement im gen, Hrsg.), 1995: Arten- und Biotop- Biosphärenreservat Rhön und hierbei insbeson- schutzprogramm, Landkreisband Rhön-Grab- dere für die Förderung des Projekts „Artenschutz feld im Biosphärenreservat Rhön“ (Az. 1210/96) herzlich gedankt, ebenso für die Übernahme BOHN, U., 1981: Vegetationskarte der Bundes- der Trägerschaft für RHÖN IM FLUSS. Für ihre republik Deutschland M 1 : 200 000 – Poten- Förderung des Maßnahmenkatalogs für die hes- tielle natürliche Vegetation – Blatt CC 5518 sische Ulster gilt Dank der Stiftung Hessischer Fulda. Sch.-R. f. Vegetationskde. 15, Bonn-Bad Naturschutz; sie übernahm weiterhin gemeinsam Godesberg

Beiträge RN 1/2004 69 Zu Bilanz und Perspektive nach 12 Jahren Biosphärenreservat Rhön

GREBE, R. / BAUERNSCHMITT, G., 1995: Bio- sphärenreservat Rhön: Rahmenkonzept für Schutz, Pflege und Entwicklung. Neumann, Ra- debeul

JEDICKE, E., 2002a: Umsetzungsorientierter Maßnahmenkatalog zur Ulster-Renaturierung im Biosphärenreservat Rhön, unveröffentl. Bericht im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Arten- schutz im Biosphärenreservat Rhön in Zusam- menarbeit mit der HGON, 39 S. JEDICKE, E., 2002b: Revitalisierung und Ver- bund ausgewählter Rhön-Fließgewässersys- teme – Verknüpfung von Naturschutz und Hochwasserschutz. Antrag bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, im Auftrag der Zoo- logischen Gesellschaft Frankfurt e.V., 80 S. SPIESS, H.-J., WATERSTRAAT, A., 1998: Er- gebnisse ichthyologischer Untersuchungen an der thüringischen Ulster. Landschaftspflege und Naturschutz in Thüringen 35, (2), 49-54

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