Die Ausgrabungen 1990/1991 in Witten-Annen, Ennepe-Ruhr-Kreis
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Thomas Poggel Die Ausgrabungen 1990/1991 in Witten-Annen, Ennepe-Ruhr-Kreis Archäologische Untersuchung eines Außenlagers des KZ Buchenwald Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 15, 2020/2021 Herausgeber LWL-Archäologie für Westfalen, Michael M. Rind Schriftleitung Birgit Münz-Vierboom, Ulrich Lehmann Redaktion und Lektorat Ulrich Lehmann, Kim Marina Moritz Layout Barbara Schulte-Linnemann Satz margo Kommunikationsdesign, Münster Online publiziert 08.05.2020 Inhalt 1 Einleitung 9 2 Forschungsstand 11 3 Erinnerungspolitik und Grabungsanlass 13 4 Historischer Kontext 14 4.1 Rüstungsindustrie: Annener Gußstahlwerk 14 4.2 Außenlager Witten-Annen 15 5 Ausgrabungen 18 5.1 Durchführung 18 5.2 Befunde 20 5.2.1 Gebäude 23 5.2.2 Luftschutz 26 5.2.3 Lagerzaun 27 5.3 Fundspektrum 30 5.3.1 Lagerinventar 31 5.3.2 Persönliche Gegenstände 33 6 Ausblick 37 7 Literatur und Quellen 39 8 Fundkatalog 43 Die Ausgrabungen 1990/1991 in Witten-Annen, Ennepe-Ruhr-Kreis 9 1 Einleitung »Wie nicht anderes [sic!] zu erwarten, reichte die ›Volksmeinung‹ von anerkennender Zustimmung bis hin zu einer totalen Ablehnung.« 1 So resü- mierte 1991 Ministerialrat Heinz Günter Horn, der zuständige Referent für Bodendenkmalpfege im damaligen Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, die Reaktionen auf die mediale Berichterstattung über eine kleine Ausgrabung in Witten-Annen, Enne- pe-Ruhr-Kreis (Abb. 1). Diese Reaktionsspanne war auf den Ort der Gra- bung zurückzuführen: Mit dem Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald war erstmals in Deutschland ein Ort der nationalsozialistischen Ge- waltherrschaft untersucht worden. 2 Während Zeug- nisse des 20. Jahrhunderts bis zu diesem Zeitpunkt eher zufällig bei anderen Grabungen zutage traten 3 und deren archäologische Relevanz selten über die Klassifzierung als »Störung« hinausgingen, war die Anfrage der Stadt Witten an die LWL-Archäolo- Abb. 1 Karte von Nordrhein-Westfalen mit dem markier- gie für Westfalen zu einer archäologischen Unter- ten Fundort (Kartengrundlage: Wikimedia Commons: suchung in einem KZ etwas ganz Besonderes. North Rhine-Westphalia Topography; Grafk: LWL-Archäo- Bis Mitte der 1980er-Jahre war die Existenz logie für Westfalen/T. Poggel). des Außenlagers Witten-Annen vergessen und verschwiegen worden und erst durch Nachfor- sen als auch Funde als Exponate einer möglichen schungen einer Schulklasse wieder in den Fokus Gedenkstätte geborgen werden. 15 der Öfentlichkeit geraten. Unter der Leitung der Seitdem sind die Ausgrabung und auch ihr Zä- Archäologen Markus Sommer und Martin Kroker surcharakter in der archäologischen Fachwelt zwar sollte 1990/1991 sowohl die Lagerexistenz bewie- bisweilen bekannt, 4 doch nur aufgrund zweier Meldungen von Gabriele Isenberg. 5 Eine intensive Auseinandersetzung und ausführliche Veröfentli- 1 Korrespondenz Heinz Günter Horn mit Johannes Cramer, chung fehlt bis heute. damals Büro für Bauarchäologie, Bauforschung und Denk- malpfege (Frankfurt am Main), am 27. September 1991 (Unterschutzstellungsakte AKZ 4510,53 in der Außenstelle Olpe, LWL-Archäologie für Westfalen). 4 Grieger 2005a, 617; für einen inhaltlich ähnlichen Aufsatz sie- 2 he Grieger 2005b; Theune 2014, 6. 12. 39; Zeiler 2017, 263. Theune 2014, 6. 12. 39. 3 Becker/Räder/Steinbring 2015, 26. 5 Isenberg 1994; Isenberg 1995. Westfalen-Lippe in Ausgrabungen und Funde 10 Thomas Poggel Diese Forschungslücke soll zumindest in An- Zustand der Ausgrabung gesehen hat. Demge- sätzen durch die folgenden Ausführungen ge- genüber stehen die Vorteile der Rückschau: Zum schlossen werden. Zudem ging leider ein Teil einen können die Untersuchungsergebnisse mitt- der Grabungsdokumentation im Zuge mehrerer lerweile durch mehr Erkenntnisse seitens der Umzüge verloren. Überliefert sind lediglich Frag- Geschichtswissenschaft ergänzt, überprüft und mente der Aufzeichnungen und ein Teil der ge- kontextualisiert werden. Zum anderen wurden borgenen Funde. Dieses Defzit wird, wie so oft, seitdem vielfach archäologische Untersuchungen dadurch vergrößert, dass zwischen Feldarbeit und an anderen Orten des nationalsozialistischen Un- wissenschaftlicher Bearbeitung eine sehr lange rechtsregimes durchgeführt, wodurch eine dife- Zeitspanne liegt und der Autor die Fläche nie im renziertere Beurteilung ermöglicht wird. 15 Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe in Ausgrabungen und Funde Die Ausgrabungen 1990/1991 in Witten-Annen, Ennepe-Ruhr-Kreis 11 2 Forschungsstand Die Ausgrabungen in Witten-Annen 1990/1991 wa- schichte kristallisiert 10 – ein Aspekt, dem in einer ren die ersten archäologischen Untersuchungen globalisierten und multipolaren Welt mehr und in einem Konzentrationslager. Dabei bestanden mehr Bedeutung zukommt. zunächst große Zweifel, ob die Archäologie mit Dementsprechend stellt die Grabung in Witten- Blick auf vorhandene Archivalien, Zeitzeugenbe- Annen seit den beginnenden 2000er-Jahren kein richte etc. überhaupt die richtige Wissenschaft zur singuläres Phänomen mehr dar, sondern es fn- Erforschung des 20. Jahrhunderts sei. 6 Ausgräber det vermehrt und europaweit eine archäologische Martin Kroker begegnete diesem Novum mit Prag- Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaf- matismus: »Für den Mittelalterarchäologen, der ten der NS-Terrorherrschaft statt. Beispielhaft zu häufg mit Stadtkerngrabungen beschäftigt ist, ist nennen sind die Untersuchungen der Lager Bełżec es nichts Ungewöhnliches, auf neuzeitliche und (Polen), 11 Bergen-Belsen (Niedersachsen), 12 Bu- neueste Spuren (Umbauten bis Störungen durch chenwald (Sachsen-Anhalt), 13 Chełmno (Polen), 14 Wasser/Postkanäle) zu trefen. Die angewandte Flossenbürg (Bayern), 15 Mauthausen (Österreich), 16 Grabungsmethode bleibt daher die Gleiche. Trotz- Ravensbrück (Brandenburg) 17 und Sachsenhausen dem sind gezielte Grabungen zur jüngsten Ver- (Brandenburg) 18 sowie an zahlreichen anderen, gangenheit eher die Ausnahme und Grabungen teils weniger namhaften, aber mit genauso grau- in einem Konzentrationslager etwas ganz Neues, samen Schicksalen verknüpften Orten. 19 was besonders bei der Bestimmung der gefunde- In der Bodendenkmalpfege ist die Ausein- nen Gegenstände zu Schwierigkeiten führte.« 7 andersetzung mit den Relikten der beiden Welt- Bis zur Mitte der 1990er-Jahre fand keine Eta- kriege und dem Kaltem Krieg mittlerweile häufg blierung des 20. Jahrhunderts als Untersuchungs- zu alltäglicher Arbeit avanciert, Objekte besitzen gegenstand der Archäologie statt. 8 Erst in den den gleichen Stellenwert in Unterschutzstellungs- daraufolgenden Jahren hielten diese Epoche im Allgemeinen wie auch die beiden Weltkriege im Besonderen Einzug in eine sich stetig entwickeln- 10 Theune 2014, 12. de zeitgeschichtliche Archäologie, die Raum-Zeit- 11 a Kol 2000. 15 Kategorien weiter ausdehnte und immer interdis- 12 Assendorp 2003. 9 ziplinärer arbeitete; dies auch deshalb, weil sich 13 Hirte 2000. insbesondere an Orten des 20. Jahrhunderts nicht 14 Pawlicka Nowak 2004. nur nationale, sondern vermehrt europäische Ge- 15 Ibel 2003. 16 Artner u. a. 2004; Theune 2009. 17 Antkowiak 2001. 18 Antkowiak/Völker 2001; Müller 2010; Theune 2007; 6 Isenberg 1995, 34. Weishaupt 2005. 7 Kroker Grabungsbericht, 1. 19 Dressler 2016; Drieschner/Schulz 2008; Gileadi/Hai- mi/Mazurek 2009; Kamps/Schulenberg/Schulenberg 8 Isenberg 1994, 45. 2008; Klimesch 2002; Myers 2008; Schute/Wijnen 2010; 9 Theune 2014, 9. Weidner/Zeiler 2019a; Weidner/Zeiler 2019b. Westfalen-Lippe in Ausgrabungen und Funde 12 Thomas Poggel verfahren wie Hinterlassenschaften aus anderen werden auch durch die Archäologie nie in Gän- Epochen. 20 ze beantworten werden können, doch mit jeder Das Außenlager Witten-Annen wurde mehr- Information lässt sich das derzeitige Bild über- fach in den Fokus geschichtswissenschaftlicher prüfen und bereichern. Weiteres Forschungs- Forschungen genommen. 21 Dennoch existieren potenzial liefern zahlreiche weitere Lager unter- noch genügend ofene Fragen, z. B. bezüglich schiedlicher Funktion, Größe und Organisation, verschiedener Nutzungsphasen des Geländes, der die allein im hiesigen Zuständigkeitsbereich der Funktion verschiedener Gebäude oder dem Le- LWL-Archäologie für Westfalen, Außenstelle Olpe, ben der Bewacher und Insassen im Lager. Diese existierten. 22 15 20 Becker/Räder/Steinbring 2015, 27; Theune 2014, 6; Zei- ler 2017. 21 Isenberg 1994, 46; Isenberg 1995, 35; Klein 2015, 103–109; 22 Isenberg 1994, 46; Isenberg 1995, 35; Klein 2015, 103–109; Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe in Ausgrabungen und Funde Kroker Grabungsbericht, 1. Kroker Grabungsbericht, 1. Die Ausgrabungen 1990/1991 in Witten-Annen, Ennepe-Ruhr-Kreis 13 3 Erinnerungspolitik und Grabungsanlass Als 1984 die Klasse 10a des Wittener Albert-Mart- möller-Gymnasiums die KZ-Gedenkstätte Dachau besuchte, entdeckte sie den Namen ihrer Heimat- stadt in einem Verzeichnis aller bekannten Lager. 23 Die Schülerinnen und Schüler recherchierten da- raufhin im Stadtarchiv Witten, befragten Zeitzeu- gen und veröfentlichten ihre Ergebnisse zu dem Außenlager Witten-Annen des KZ Buchenwald ein Jahr später in einer Broschüre. 24 Gleichzeitig kam es zusammen mit der Stadt zur Errichtung ei- nes ersten Gedenksteines östlich der Lagerfäche (Abb. 2). 25 1986 erfolgte die Unterschutzstellung der noch unbebauten Fläche als Bodendenkmal und der Eintrag in die Denkmalliste. 26 Nach knapp 40 Jahre dauerndem »Be- und Abb. 2 Gedenkstein (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/ Verschweigen«, wie es der Historiker Ralph Klein H. Wrede). nannte, 27 hatte die Stadt Witten das Engagement der Heranwachsenden zum Anlass genommen,