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Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 141

Bestandsentwicklung der Brutvögel an Bodenentnahme- Gewässern im Biosphärenreservat Niedersächsische 1986-2012

Wilhelm Meier-Peithmann

MEIER-PEITHMANN, W. (2013): Bestandsentwicklung der Brutvögel an Bodenentnahme-Gewäs- sern im Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue 1986-2012. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43: 141-192.

In der mitteleuropäischen Kulturlandschaft sind vielerorts durch Bodenabbau künstliche Ge- wässer entstanden, die auch Vögeln als Lebensraum dienen. Im Biosphärenreservat Nieder- sächsische Elbtalaue boten seit Mitte der 1980er Jahre neu errichtete Bodenentnahme-Teiche Gelegenheit, die Brutvogelbestände von Anfang an über ein Vierteljahrhundert lang zu erfassen. Die dynamische Entwicklung der Vogelwelt dieser Gewässer ging einher mit der Ab- folge sich z. T. überschneidender Vegetationsstadien, die gekennzeichnet waren durch 1. kahlen Bodengrund, 2. Pionierpflanzen, 3. Röhricht, 4. Nieder-Gebüsch, 5. Hochsträucher und 6. Übergang von Strauch- in Baumstruktur. Vermehrter Eintrag von Nährstoffen, insbe- sondere von Stickstoff, in das umgebende, intensiv genutzte Acker- und Grünland, hat die Vegetationssukzession gegenüber früheren Jahrzehnten offenbar stark beschleunigt. Die un- tersuchten Teiche unterscheiden sich z. T. in Größe, Form, Wasser-Land-Anteilen, übernom- menen Lebensraumstrukturen, Umgebung, Entfernung zur , naturschutzfachlicher Aus- gestaltung, Randbepflanzung und Nutzung. Von 1986-1992 bis 2012 wurden an sechs der jeweils 5-8 ha großen Bodenentnahme-Gewässer insgesamt 93 Vogelarten festgestellt. Mit Ausnahme des Teiches Kamerun, der in eine alte Stromnebenrinne mit Röhricht, Gebüsch und Baumbestand hinein gebaut wurde, nahm die jährliche Artenzahl in den von Beginn an untersuchten Gebieten bis zuletzt zu. Die Anzahlen neuer Arten je Jahr stiegen besonders vom 3. bis 7. Jahr im Zuge der raschen Vegetationsentwicklung an; so wurden am Teich Barnitz in den ersten 5 Jahren 57 % und im ersten Jahrzehnt 80 % aller je an diesem Gewässer brütenden Arten nachgewiesen. Danach sank die jährliche Anzahl neu hinzu kom- mender Arten auf jeweils 0-2. Insgesamt wurden 8.040 Reviere bzw. Brutpaare ermittelt. Davon stellte die Rohrammer (wissenschaftliche Namen s. Tab. 5 im Anhang) 8,8 %; es folgten Teichrohrsänger mit 8,7 %, Blässhuhn mit 7,2 %, Fitis mit 4,6 %, Mönchsgrasmücke mit 4,3 %, Amsel mit 4,3 %, Gartengrasmücke mit 4,2 %, Goldammer mit 4,0 %, Feldlerche mit 3,8 % und Buchfink mit 3,6 %. Auch die Anzahl der Reviere bzw. Brutpaare nahm im Laufe der Teichentwicklung von zumeist wenigen Paaren im ersten Jahr auf je nach Größe und Ausgestaltung der Gewässer 65 am Teich Wulfsahl bis 133 Reviere am Teich Kamerun zu.

31,2 % der Arten gehörten der Roten Liste an; bei den Brut- und Revierpaaren waren es 14,5 %. Nach raschem Anstieg der Anteile in den ersten etwa 5 Jahren - am Beispiel-Teich Kacherien wurde das Maximum der Rote-Liste-Reviere von 60 % bereits im dritten Jahr erreicht - setzte ein zu Beginn starker, bis zuletzt anhaltender Rückgang ein; der stand vor allem im Zusammenhang mit der Ausbreitung von Büschen und Sträuchern und betraf be- sonders anfangs Frühsiedler wie Kiebitz, Zwergtaucher, Feldlerche und Wiesenschafstelze. Am Teich Kacherien kam nach 15 Jahren keine Rote-Liste-Art mehr hinzu.

Die Entwicklung der Vogelbestände zeichnete sich über den gesamten Zeitraum an allen Teichen durch Zunahme der Diversität aus, bis auf das Gewässer Kamerun auch statistisch hoch signifikant. Der höchste Regressions-Koeffizient der jährlichen Diversitäts-Indizes wurde für Barnitz ermittelt, ein Teich mit ausgedehnter Wasser- und Röhricht-Fläche sowie einer ringförmigen Insel.

Die Mehrzahl der Vogelarten kann bestimmten Typen der Bestandsentwicklung zugeordnet werden, die im Zusammenhang stehen mit den Vegetationsstrukturen in der Teichentwicklung. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 142

142 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

Beispiele für absolute Abnahme sind früh siedelnde Arten des offenen Lebensraumes, wie u. a. Flussregenpfeifer, Kiebitz, Austernfischer, Feldlerche und Wiesenpieper. Röhricht-Vögel, wie Teichrohrsänger und Rohrammer, und bestimmte Wasservögel, wie Schnatterente und Reiherente, hatten Bestandskurven mit einem Maximum in der ersten Hälfte der Untersu- chungszeit; zu den Vertretern mit Maxima in der zweiten Hälfte zählten Arten, die an Busch- bzw. frühe Strauchstrukturen gebunden sind, wie u. a. Fitis, Gartengrasmücke und Goldam- mer. Ringeltaube, Zilpzalp, Mönchsgrasmücke, Amsel, Buchfink u. a. nahmen bis zum Ende der Bestandsaufnahmen zu. Der Bluthänfling erwies sich als ein typischer Phasensiedler, der z. B. am Teich Kacherien nur im Buschstadium vom 5. bis 15. Jahr anwesend war. Viele für Teiche bezeichnende Arten wie Zwergtaucher, Blässhuhn, Teichrohrsänger und Rohrammer zeigten je nach Gestalt und Entwicklung einzelner Gewässer unterschiedliche Bestandsverläufe.

Die Zunahme der Graugans zwischen 1995 und 2012 von einem auf mindestens neun Brut- paare ging einher mit dem Anwachsen des regionalen Brutbestandes in der Mittelelbe- Region. Tauchende Arten, wie Reiherente und Zwergtaucher, zogen Nutzen aus offenbar rei- chem submersen Angebot animalischer Nahrung in der Frühphase der Teiche, erlitten infolge Wassertrübung durch Algen jedoch zwischenzeitliche Bestandseinbrüche. Der Kranich siedelte sich frühestens nach 15 Jahren an, wenn sich neben Schilf Phragmites australis auch Wei- denbüsche Salix spec. auf Inseln und Ufern ausgebreitet hatten. Solange die Ringinsel im Barnitzer Teich noch kahl bzw. mit niedrigen Pionierpflanzen bewachsen war, brüteten an dem Gewässer neben Kiebitz und Austernfischer bis zu sieben Paare Flussregenpfeifer 1993. Für den Drosselrohrsänger stellten die jungen Röhrichte der neuen Bodenentnahme-Teiche mit maximal zehn Revieren 1997 Ersatz für Lebensraumeinbußen durch nährstoffgeschädigte Schilfbestände an Altwassern in der Dannenberger Elbaue dar.

Einmalige Gehölz-Teilrückschnitte als Naturschutz-Maßnahmen zur Offenhaltung einzelner Gewässer zeigten nicht die angestrebten Wirkungen. Im fortgeschrittenen Strauch-Stadium vorgenommen, hinterließen sie kahle Uferstämme. Nach Kürzungen im frühen Strauch-Sta- dium liefen Weiden sofort wieder aus; die Maßnahme blieb ohne messbaren Einfluss auf die Vogelwelt. Anderenorts im Elbtal war früh einsetzende und dauerhafte Beweidung eine er- folgreiche Methode, einer Verbuschung entgegenzuwirken.

Naturteiche wiesen gegenüber Angelteichen die 2,5-fache Anzahl von Vogelrevieren auf; auch die Zahl der Reviere von Rote-Liste-Arten war mehr als doppelt so hoch. Graugans, En- ten-Arten, Zwergtaucher, Teichhuhn, Kranich u. a. siedelten nur an Naturteichen. Eine mit einer Ringinsel gestaltete, an Waldrand grenzende Hälfte eines langgestreckten Gewässers hatte mehr als doppelt so viele Reviere und eine 1,5mal so hohe Diversität wie die nur mit geschwungener Uferlinie gestaltete Teichhälfte.

Je mehr die Teiche mit Buchten, Halbinseln, Inseln, Tiefen-Untiefen, Randzonen-Pflanzungen u. a. ausgestattet wurden, umso höher waren in der Regel Arten- und Revierzahl, Anteile von Rote-Liste-Arten, Abundanz und Diversität. Um eine schnelle Vegetationsentwicklung hinauszuzögern und damit die Vogelwelt halboffener Teiche zu erhalten, wird empfohlen, Bodenentnahme-Gewässer mit ausgedehnten Wasserflächen und tiefen Abschnitten zu ver- sehen sowie Weiden-Pflanzungen einzuschränken.

Gleichbleibende und teilweise abnehmende Diversitäts-Indizes 2010-2012 an einzelnen Ge- wässern können ein Hinweis darauf sein, dass nach einem Vierteljahrhundert Teichentwicklung die Kennzahlen der Vogelbestände zum Stillstand kommen.

Bodenentnahme-Teiche bereichern die von intensiver Landbewirtschaftung geprägte einge- deichte Elbmarsch. Sie ersetzen und ergänzen die einst von der dynamischen Elbe bis weit in das heutige Deichhinterland gebildeten ehemaligen und verbliebenen Auen-Gewässer, wie z. B. Altarme, Flutrinnen, Qualmwässer und Deichbruchteiche. Die für die ursprüngliche Stromlandschaft charakteristische Artenvielfalt unterschiedlicher Sukzessionsstadien kann er- reicht und erhalten werden, wenn man in Abständen neue Teiche anlegt.

W. M.-P., Am Taterberg 36, D-29468 , [email protected] vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 143

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1 Einleitung lungen benannt. Das jeweils erfasste Gebiet er- In der mitteleuropäischen Kulturlandschaft entstehen streckte sich auf alle zum Zwecke der Teicherrichtung durch Menschen immer wieder neue Lebensräume. aus der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung So sind durch Bodenentnahmen für Deiche, Straßen genommenen Flächen, sowohl auf das Wasser mit und Bauwerke seit Mitte des vorigen Jahrhunderts Inseln als auch auf Randstreifen und andere nicht vielerorts künstliche Gewässer unterschiedlicher abgebaute Teile. Die Standorte unterscheiden sich Größe und Gestalt angelegt worden. Im nieder- u. a. nach der Entfernung zum Stromdeich und sächsischen Abschnitt der Mittelelbe veranlasste damit nach der Dynamik des Wasserstandes sowie das bedrohliche sogenannte Weihnachtshochwasser nach bereits vorhandenen Lebensraumstrukturen 1974 die zuständigen Landesbehörden, den ge- wie Brachen, Grünland, Rieder, Röhrichte, Büsche, samten Stromdeich zu erneuern und zu verstärken. Sträucher und Bäume. Die Herrichtungszeit dauerte Für den Deichmantel benötigte man Kleiboden, je nach Bodenbedarf bzw. Gewässergröße von der im Nahbereich der Marsch zur Verfügung weniger als einem Jahr (Teiche Kacherien und stand. In den von der Elbmündung etwa 200 km Wulfsahl) bis mehr als zwei Jahre (Teiche Barnitz entfernt gelegenen beiden Dannenberger Elbbögen und Kamerun). wurden dafür insgesamt zehn Abbaustellen ein- gerichtet. Die naturschutzfachliche Ausgestaltung der ent- stehenden Gewässer sowie die Bepflanzung der Die neu entstandenen Bodenentnahme-Teiche boten Randzonen erfolgte durch den damaligen Kreisna- Gelegenheit, die Ansiedlung von Vögeln und die turschutzbeauftragen E. SEEBASS, z. T. allerdings langfristige Entwicklung von Vogelpopulationen erst während der Bauzeit. Abb. 2 zeigt beispielhaft sowie Auswirkungen von Gestaltungen und Nut- eine Handskizze aus dem Jahre 1984 für die na- zungen der Gewässer auf die Vogelwelt zu unter- turbelassene südöstliche Flanke der Teiche in der suchen. Für die sechs älteren der 5-8 ha großen Gemarkung Langendorf mit Vorschlägen zur Ge- Teiche (Abb. 1) ermittelte ich von 1986-1992 bis staltung: Uferstrukturen, Buchten, Dämme, Inseln, 2012 alljährlich die Brutvogelbestände. Dabei stellten Untiefen, Einbindung vorhandener Baumgruppen sich mir im Einzelnen folgende Fragen: und Heckenzüge sowie Neupflanzungen – für die Studie gewissermaßen ein historisches Dokument. Welche Vogelarten siedelten sich in welchen Phasen der Vegetationssukzession in welcher Häufigkeit Je nach zur Verfügung stehender Fläche, Boden- an? Welchen Verlauf nahmen die Populationen struktur, Randvegetation u. a. wurden die Gewässer der einzelnen Arten in der Teichentwicklung? Wel- nach Ausdehnung, Form und Tiefe unterschiedlich chen Einfluss hatten Ausgangsstruktur und Ge- gestaltet (Tab. 1). Teilabschnitte der mindestens wässergestaltung auf die Entwicklung von Kenn- 5 m, oft mehr als 10 m breiten Randstreifen sowie daten des Vogelbestandes wie Arten- und Revierzahl, nicht benötigte Restflächen bepflanzte man teilweise Diversität, Dominanz, Abundanz und Rote-Liste? drei- bis fünfreihig mit standortgerechten Sträuchern In welcher Phase der Vegetationssukzession wurde (Tab. 2). der höchste Anteil von Rote-Liste-Arten erreicht? Welche Unterschiede in der Vogelbesiedlung be- Trotz verschiedener gewässerspezifischer Vorgaben standen zwischen ungenutzten Gewässern und und Gestaltungen (Tab. 1) verlief die Vegetations- Teichen mit regelmäßigem Angelbetrieb? Welche entwicklung im Ufer- und Inselbereich weitgehend dauerhaften Lebensraumangebote stellen die Ge- in gleichen Stadien (Tab. 3). Doch diese waren an wässer für die Elbmarsch dar? Welche Erkenntnisse den verschiedenen Standorten z. T. von unter- für die Gestaltung zukünftiger Gewässer liefern schiedlicher Dauer und durch fließende Übergänge die langfristigen Bestandsstudien? gekennzeichnet; sie fielen im Extremfall entweder fast ganz aus oder reichten weiter in die folgenden Stufen hinein, wie das Röhricht-Stadium an den 2 Bodenentnahme-Gewässer in der Dan- Teichen Kacherien bzw. Barnitz. Tab. 3 stellt den nenberger Elbaue Versuch dar, die Vegetationsentwicklung nach den Die untersuchten Teiche (Fotos 1-6) wurden nach für die Brutvögel maßgeblichen Strukturen in Stufen den zugehörigen Fluren oder benachbarten Sied- grob zu kennzeichnen. Dabei wurde das Strauch- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 144

144 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern C - 5 2 C - 5 2 – Pond C - 5 1 C - 5 1 L a n g e n d o r f L a n g e n d o r f Elbbögen 2008/09. Elbbögen C - 5 1 C - 5 1 C - 5 1 C - 5 1 K a c h e r i e n K a c h e r i e n C - 0 1 C - 0 1 C - 5 0 C - 5 0 C - 4 9 C - 4 9 Meter Abb. 1: Bodenentnahme-Gewässer in den Dannenberger Dannenberger den in Bodenentnahme-Gewässer 1: Abb. Quelle: Biosphärenreservatsverwaltung Niedersächsische Elbtalaue. at a former excavation site in the Dannenberger Elbbögen Elbbögen 2008/09. in site Dannenberger at a former excavation the W u l f s a h l W u l f s a h l K a m e r u n K a m e r u n C - 6 3 C - 6 3 0 1.000 2.000500 C - 4 8 C - 4 8 C - 4 7 - V C - 4 7 - V C - 1 8 C - 1 8 D a m n a t z D a m n a t z C - 4 7 C - 4 7 C - 4 8 C - 4 8 1:24.000 C - 0 1 C - 0 1 C - 6 2 C - 6 2 C - 4 8 C - 4 8 B a r n i t z B a r n i t z

C - 6 1 C - 6 1 C - 6 0 C - 6 0 im Biosphärenreservatim NiedersächsischeElbtalaue Bodenentnahmestellen C - 5 7 C - 5 7 messungs- und Katasterverwaltung, © 2012 messungs- und Katasterverwaltung,2012 © - 5 8 - 0 1 - 5 9 - 5 8 - 0 1 - 5 9 elle: Auszug aus den Geobasisdaten der Niedersächsischen elle:aus den GeobasisdatenAuszug Niedersächsischen der C - 4 7 C - 4 7 vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 145

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 145 Foto Nr. Foto 101, 7, 2 113, 8, 4 12, 9, 5, 19 18, 13 6, 21 20, Bepflanzungs - Bepflanzungs flächen (Ost- Nordrand hälfte) u. Ostrand Flächen Dämme, im und Südwesten Nordosten Mittel- Süd- und Ostrand, abschnitt Nordwestteil Ostrand Süd-und ganzrandig fast Nordost-Ränder, Lücken zwischen Teichrändern Randstrukturen. diesen wurden Büsche und tiefe Zweige diesen wurden und Bucht reich ausgestattete Osthälfte und und reich Bucht ders an Wochenenden dieTei- beunruhigten Angler Wochenenden an ders ußenrand Wasserfläche mitRohrkolbenhorsten. ußenrand Wasserfläche Übernommene Strukturen (Ost) Waldrand Nordwestrand: Hälfte und alte Stieleichen Pappeln - u. mit a. Tümpel Schilf Rand- röhricht, Weiden, pappeln zum Stieleichen-Allee Elbdeich Eichenweg, Erlenbach von Gruppen Alteichen Umgebung Ost: West: Eichen, sonst Grünbrache, Acker Straße, Weg, Acker, Hausgrundstück, Viehweide Gra- Weg, Acker, ben, Misch- Knick, wald Weg Acker, Grünland, Acker, Wege zwi- Weg Acker, schen Teichreihen Grünland mit Eichenhain eutlich durch ein größeres Kontingent Kontingent übernommenerundBinnen- ein größeres durch eutlich ewässern. Von den 6 Einzelteichen dienten 2 der Angelfischerei. An dienten dender 2Einzelteichen 6 Angelfischerei. ewässern.Von hilf bewachsene Untiefe unterteilt in hilfUntiefeWaldrand bewachsene eine mit Ringinsel, ilfröhricht konnte sich hier nur teilweise frei entfalten. Besonentfalten. nurkonnte sichhier frei ilfröhricht teilweise nd Untiefen nur ein Schilfröhricht-Horst am nordwestlichen A Schilfröhricht-Horst nd ein am Untiefen nur nordwestlichen – Overview excavation of sites. Gestalt(ung) - Ringinsel (0,7 mit Ostbecken ha), West (0,4 mit undHalbinsel becken ha) Untie- Tiefefen, 3bis m Dämme, durch getrennt Teilgewässer 3 Tiefe kleine Inseln/Untiefen, 4 2,5 bis m kleine Inseln, Senke, vorhandene in Einbau Tiefe bis m 2,5 zum im Schmalinsel Trenndamm Süden, Norden im Flachwasser Mitte, in Bucht Nordwest- in Untiefe/Insel ecke, Tiefe m bis 2 Dämme in Reihen, je2 3 durch Teiche 6 mit Buchten, Teiche östliche getrennt, Insel/Untiefe, Südwesten mit im Teich Tiefe m bis 2 Trenndamm zwischen Nord- und und Südteil, Nord- zwischen Trenndamm (ha) 5,1 / 2 5,2 / 2 5,25 / 2 7,6 / 7,6 5,5 5,25 /5,25 2,25 7,75 / 4,75 Gesamtfläche (ha)/ offene Wasserfläche offene 4) 3) 2) 1) eine weniger Westhälfte. eine gestaltete d Teichanlagen Das sichKamerun: Gewässer anderen unterscheidet allen von Barnitz: Das rechteckförmige Gewässer wird durch eine schmale, mit eineschmale, mit Sc durch Gewässerwird Barnitz:Dasrechteckförmige Kacherien: Teich mit ausgeprägter Verbuschung der Ufer, Inseln u Inseln der Ufer, Verbuschung mit ausgeprägter Teich Kacherien: von Sträuchern und Bäumen regelmäßig zurückgeschnitten. Auch zurückgeschnitten.Auch Sch Sträuchernvon Bäumenregelmäßig und Langendorf: Die Teichanlage bestehtaus ungenutztenG und genutzten Die Langendorf: Teichanlage che. 2) Name Name der [Jahr Fertigstellung] Barnitz [1992] [1985] Kamerun [1986(1987)] Wulfsahl [1986] Kacherien [1988] Langendorf [1984] 1) 3) 4) Tab. 1: Die Bodenentnahme-Gewässer imÜberblick. 1: Die Bodenentnahme-Gewässer Tab. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 146

146 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

Bodenentnahmestelle - BARNITZ 0 40 80 160 im Gebietsteil C-61 des Biosphärenreservats Gemarkung Damnatz 1:2.000 Quelle: Auszug aus den Geobasisdaten der Niedersächsischen Niedersächsische Elbtalaue Flur 8 - 35/0 u.33/1 Vermessungs-Meter und Katasterverwaltung, © 2012

C-61

Foto 1: Luftbild des Bodenentnahme-Gewässers Barnitz 2012. Foto: Biosphärenreservatsverwaltung Niedersächsische Elbtalaue. – Aerial photograph of pond Barnitz 2012.

Bodenentnahmestelle - DAMNATZ im Biosphärenreservat Gemarkung Damnatz 0 20 40 80 1:1.500 Niedersächsische Elbtalaue Flur 5 - 43/11 Meter

C-48

Quelle: Auszug aus den Geobasisdaten der Niedersächsischen Vermessungs- und Katasterverwaltung, © 2012

Foto 2: Luftbild des Bodenentnahme-Gewässers Damnatz 2012. Foto: Biosphärenreservatsverwaltung Niedersächsische Elbtalaue. – Aerial photograph of pond Damnatz 2012. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 147

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 147

Bodenentnahme - Kamerun 0 40 80 160 im Gebietsteil C-49 des Biosphärenreservats 1:2.000 Niedersächsische Elbtalaue Meter

CC-50-50

C-49

Quelle: Auszug aus den Geobasisdaten der Niedersächsischen Vermessungs- und Katasterverwaltung, © 2012

Foto 3: Luftbild des Bodenentnahme-Gewässers Kamerun 2012. Foto: Biosphärenreservatsverwaltung Niedersächsische Elbtalaue. – Aerial photograph of pond Kamerun 2012.

Bodenentnahme - Wulfsahl 0 30 60 120 im Gebietsteil C-49 des Biosphärenreservats 1:1.500 Niedersächsische Elbtalaue Meter C-50

C-49

Quelle: Auszug aus den Geobasisdaten der Niedersächsischen Vermessungs- und Katasterverwaltung, © 2012

Foto 4: Luftbild des Bodenentnahme-Gewässers Wulfsahl 2012. Foto: Biosphärenreservatsverwaltung Niedersächsische Elbtalaue. – Aerial photograph of pond Wulfsahl 2012. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 148

148 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

Bodenentnahme - Kacherien 0 30 60 120 im Gebietsteil C-51 des Biosphärenreservats 1:1.500 Niedersächsische Elbtalaue Meter

C-51

Quelle: Auszug aus den Geobasisdaten der Niedersächsischen Vermessungs- und Katasterverwaltung, © 2012

Foto 5: Luftbild des Bodenentnahme-Gewässers Kacherien 2012. Foto: Biosphärenreservatsverwaltung Niedersächsische Elbtalaue. – Aerial photograph of pond Kacherien 2012.

Bodenentnahme - Langendorf 0 40 80 160 im Gebietsteil C-51 des Biosphärenreservats 1:2.000 Niedersächsische Elbtalaue Meter

C-51

C-51

Quelle: Auszug aus den Geobasisdaten der Niedersächsischen Vermessungs- und Katasterverwaltung, © 2012

Foto 6: Luftbild des Bodenentnahme-Gewässers Langendorf 2012. Foto: Biosphärenreservatsverwaltung Niedersäch- sische Elbtalaue. – Aerial photograph of pond Langendorf 2012. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 149

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 149 – – Sketch of the south-eastern side of the ponds of Lan- . . EEBASS 9.09.1984 von E. S gendorf. Abb. Abb. 2: Langendorf Gestaltungsentwurf vom für 1 die Südostflanke der Teichanlage vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 150

150 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

Tab. 2: Artenkatalog für die Bepflanzung von Rändern und Nebenflächen der Bodenentnahme-Stellen. – Catalogue of species for the planting of the edges and surrounding areas of excavations sites.

Initialpflanzung Strauchpflanzung Flächenbepflanzung Rohrkolben Typha spec. Pfaffenhut Euonymus europaea Stieleiche Quercus robur Schilfrohr Phragmites australis Hartriegel Cornus sanguinea Esche Fraxinus excelsior Seggen Carex spec. Hasel Corylus avellana Feldulme Ulmus carpinifolia Eingriffeliger Weißdorn Crataegus monogyna Flatterulme Ulmus laevis Strauchweidengruppen Zweigriffeliger Weißdorn Crataegus oxyacantha Feldahorn Acer campestre Öhrchenweide Salix aurita Schlehe Prunus spinosa Schwarzerle Alnus glutinosa Aschweide Salix cinerea Hundsrose Rosa canina Moorbirke Betula pubescens Korbweide Salix viminalis Aspe Populus tremula Salweide Salix caprea Silberweide Salix alba Mandelweide Salix tiandra Knackweide Salix fragilis Purpurweide Salix purpurea Eberesche Sorbus aucuparia

Tab. 3: Vegetationsstadien in der Teichentwicklung. – Vegetation stages in the development of ponds. Stadium Kennzeichnung (Ufer, Inseln) Jahre 1 (Fast) bewuchsloser Bodengrund (Schlick, Sand) 1 (-2) 2 Pionierpflanzen, geschlossene Pflanzendecke mit Horsten u. a. von Flatterbinse, (1)2-4 (-5) Rohrkolben und Schilfrohr, teilweise mit Weidenschösslingen 3 (Schilf-)Röhricht, teilweise mit Weidengebüsch ca. 4-10 (u. >) 4 (Nieder-)Gebüsch mit Weiden (und Erlen), weitere Ausdehnung von Schilfröhricht ca. 7-15 (u. >) 5 (Landseitig Hoch-)Sträucher, (wasserseitig) Rohrkolbenröhricht u. a. zu Lasten von ca. ab 12 Schilfröhricht 6 Übergang von Strauch- zu Baumstruktur, z. T. weitere Ausdehnung von Rohrkol- ca. ab 20 benröhricht

Stadium unterteilt: am und im Röhricht Tab. 4: Entwicklung von Unterflächen nach Luftfotos an dem bis 1992 bot dichtes (Nieder-)Gebüsch anderen errichteten Barnitzer Bodenentnahme-Teich in ha. – Development of Arten Lebensraum (z. B. Sumpfrohrsänger sub-sites according to aerial photographs at pond Barnitz, build in 1992. und Fitis) als (Hoch-)Sträucher (z. B. Zilp- zalp und Mönchsgrasmücke). Aufnahmejahr 2000 2004 2008 2012 Offenes Wasser 3,71 3,23 3,06 2,81 Wasserstand Schilf- u. Rohrkolbenröhricht 1,77 1,47 1,69 1,98 Weidengebüsch, teilw. mit Erlen 0,16 0,59 0,89 1,27 Je näher die Teiche zur Elbe liegen, umso stärker wird der aktuelle Wasserstand Strauchpflanzungen 0,05 0,05 0,2 vom Strom beeinflusst. Der Abstand zum Gras- u. Staudenflur 2,05 2,3 1,94 1,66 Deich beträgt bei den Gewässern Wulf- sahl, Kamerun und Damnatz jeweils zwi- schen 150 und 200 m sowie bei Kacherien und Langendorf um 350 und 750 m. Für den einzi- bis „teilweise trockengefallen“. Die absolute Schwan- gen mit einem Pegel ausgestatteten Bodenentnah- kungsbreite zwischen Ende April und Mitte Juni me-Teich Barnitz ist die Entfernung 1,5 km; dennoch lag bei 71 cm. Das Mittel der jährlichen Amplituden erreichte hier die Amplitude 1,18 m – von „randvoll“ betrug in der Brutzeit 22 (5-43) cm. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 151

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Foto 7: Die Ringinsel im Ostbecken des Teiches Barnitz Foto 8: Vegetationsstrukturen in der Entwicklung von 1994, Brutplatz von Flussregenpfeifer, Austernfischer und Bodenentnahme-Gewässern. Stadium 1: Teich Kamerun Kiebitz, in späteren Jahren von Graugans, Stockente, 1988, 2. Jahr, kahle Inseln, im Hintergrund vor dem Ab- Haubentaucher, Rohrweihe, Wasserralle, Blässhuhn, Teich- bau vorhandene Randstrukturen: Schilfröhricht, Büsche, huhn, Kranich, Drosselrohrsänger, Teichrohrsänger, Fitis Sträucher und Bäume. Foto: Wilhelm Meier-Peithmann. und Rohrammer. Foto: Wilhelm Meier-Peithmann. – The – Structures of vegetation during the development of ring-shaped island in the eastern corner of the pond of ponds at excavation sites. Phase 1 at pond Kamerun 1988, Barnitz 1994, breeding site of Little Ringed Plover, Eurasian 2nd year: bare islands, in the background structures of Oystercatcher, and Northern Lapwing, and in later years reeds, bushes, shrubs and trees at the water’s edge. of Greylag Goose, Mallard, Great Crested Grebe, Western Marsh Harrier, Water Rail, Coot, Common Moorhen, Com- mon Crane, Great Reed Warbler, Eurasian Reed Warbler, Willow Warbler and Common Reed Bunting.

Foto 9: Vegetationsstrukturen in der Entwicklung von Foto 10: Vegetationsstrukturen in der Entwicklung von Bodenentnahme-Gewässern. Stadium 2: Teich Kacherien Bodenentnahme-Gewässern. Stadium 3: Teich Barnitz 1991, 4. Jahr, Inseln mit Primärvegetation, Horste von 1997, 7. Jahr, Schilfröhricht am Ufer und auf dem Trenn- Rohrkolben, Schilf und Flatterbinse Juncus effusus sowie damm zwischen dem Ost- und Westbecken. Foto: Wil- Wasserhahnenfuß Ranunculus aquatilis. Foto: Wilhelm helm Meier-Peithmann. – Structures of vegetation during Meier-Peithmann. – Structures of vegetation during the the development of ponds at excavation sites. Phase 3 at development of ponds at excavation sites. Phase 2 at pond pond Barnitz 1997, 7th year: reeds on the bank and on Kacherien 1991, 4th year: islands with primary vegetation, the dam between the eastern and western part. common cattail, common reed, common rush and com- mon water-crowfoot. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 152

152 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

Foto 11: Vegetationsstrukturen in der Entwicklung von Foto 12: Vegetationsstrukturen in der Entwicklung von Bodenentnahme-Gewässern. Stadium 4: Teich Kamerun Bodenentnahme-Gewässern. Stadium 5: Teich Kacherien 1999, 14. Jahr, Buschstruktur mit Weiden und Erlen, 2004, 17. Jahr, Strauchstruktur mit Weiden und Erlen, Schilfröhricht. Foto: Wilhelm Meier-Peithmann. – Structu- Rohrkolben. Foto: Wilhelm Meier-Peithmann. – Structures res of vegetation during the development of ponds at ex- of vegetation during the development of ponds at excava- cavation sites. Phase 4 at pond Kamerun 1999, 14th year: tion sites. Phase 5 at pond Kacherien 2004, 17th year: bush structures with willow trees and alder trees, reeds. bush structures with willow trees and alder trees, common cattail.

3 Material und Methoden

3.1 Datenerhebung

Für die Teiche Kamerun, Wulfsahl, Kacherien und Barnitz wurden die Vogelbestände jeweils vom ersten Frühjahr nach Beendigung des Bodenabbaus, also ab 1986, 1988 bzw. 1992 bis zum Jahre 2012 erfasst. Mit den Vogelbestandsaufnahmen an den Mitte der 1980er Jahre fertig gestellten Gewässern Langendorf und Damnatz wurde 1993 bzw. 1995 angefangen.

Insgesamt führte ich 957 Bestandsaufnahmen von jeweils ein bis 2,5 (im Mittel 1,5) Std. Dauer durch. Foto 13: Vegetationsstrukturen in der Entwicklung von Sie lagen überwiegend in der frühen Morgenzeit. Bodenentnahme-Gewässern. Stadium 6: Teich Kacherien Auf ein Gewässer entfielen pro Jahr gewöhnlich 2011, 24. Jahr, Übergang von Strauch- zu Baumstruktur; 5-9 (im Mittel 7) Erfassungen. Sie verteilten sich Weiden, Erlen, Rohrkolben. Foto: Wilhelm Meier-Peith- prozentual wie folgt auf die Monate: März 1,9, mann. – Structures of vegetation during the development April 16,5, Mai 22,9, Juni 21,1, Juli 25,3, August of ponds at excavation sites. Phase 6 at pond Kacherien 12,0 und September 0,3. Die vergleichsweise zahl- 2011, 24th year: transition from bushes and shrubs to tree reichen Kontrollen in den Hoch- und Spätsommer- structure; willow trees, alder trees, common cattail. wochen dienten u. a. der Ermittlung von Bruter- folgsdaten der Wasservögel. Kartenblättern sind z. T. seitenlange, vor Ort erstellte Textprotokolle hinzugefügt. Außer Teilsiedlern, wie Die Ergebnisse der Erfassungen trug ich in Tages- Mäusebussard, Buntspecht, Pirol und Rabenkrähe, karten ein, für die ich Flurkarten grafisch umgestaltete wurden auf benachbarten Flächen brütende Arten, bzw. neu zeichnete und mit zusätzlichen Informa- deren Reviere an die Untersuchungsgebiete grenzten, tionen zur Vegetationsentwicklung versah. Vielen jeweils mit in die Revierzahl einbezogen; dazu ge- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 153

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 153

hörten u. a. Kiebitz, Feldlerche, Wiesenschafstelze herangezogen. Um u. a. die von der Existenzdauer und Rohrammer. Als zumeist regelmäßige Nah- der Einzelgewässer unabhängige Entwicklung von rungsgäste zählen sie zum Gesamtbestand der Bo- Beständen im gesamten Erfassungszeitraum auf- denentnahme-Teiche. Im Übrigen richtete ich mich zuzeigen, berücksichtigte ich die Ergebnisse aller nach den Empfehlungen für siedlungsbiologische sechs Teiche. Sommervogel-Bestandsaufnahmen (OELKE 1974) und den Methodenstandards zur Erfassung der Die Besiedlung durch neue Arten ist ein wesentliches Brutvögel Deutschlands (SÜDBECK et al. 2005). Kennzeichen der Avizönose-Entwicklung. Anzahlen bzw. Anteile von Rote-Liste-Arten zeigen die Be- 3.2 Datenauswertung und Statistik deutung eines Gewässers auf. Beide Parameter wurden für alle Teiche und Jahre in Säulendia- Die lückenlosen Aufnahmen der Brutbestände aller grammen dargestellt. Gewässer über einen Zeitraum von mehr als zwei- einhalb Jahrzehnten vermittelten ins Einzelne ge- Dem Vergleich der verschiedenen Typen von Be- hende Kenntnisse über Ansiedlung, Revierstandorte standsentwicklungen der Vogelarten am Beispiel und Bestandsschwankungen. Diese wurden zur des Teiches Kacherien dienen Schemadarstellun- Festlegung eines Reviers vor allem bei den Passeri- gen. formes wie folgt berücksichtigt: Sind nach SÜDBECK et al. (2005) für die meisten Arten zwei Feststel- Als Kenngrößen der Teich-Avizönosen wurden lungen singender Männchen im Abstand von min- Abundanz- und Dominanzwerte sowie Diversitäts- destens sieben Tagen erforderlich, so reichte hier indizes verwandt. u. U. (z. B. wenn nur 1-2 Erfassungen innerhalb des Erfassungs-Zeitraumes durchgeführt werden Die auf die jeweiligen Gesamtflächen bezogenen konnten) eine Registrierung aus, wenn bereits in Abundanz-Werte (Revierpaare/ha) berücksichtigen den Vorjahren bzw. auch danach entsprechende auch die z. T. hohen Anteile von Teilsiedlern im Be- Reviere ermittelt wurden. Nichtsingvögel, vor allem reich der vergleichsweise kleinen Bearbeitungsflächen Limikolen und Wasservögel, wurden in der Regel und der auf den direkt angrenzenden Nachbar- nur nach direkten Brutnachweisen zum Bestand parzellen brütenden Vögel. Mit Ausnahme eines gerechnet. Gewässers habe ich von Abundanz-Berechnungen für Teilflächen als Bezugsgrößen abgesehen, da Eine Reihe der von SÜDBECK et al. (2005) für „Brut- Vegetationszonen an den Bodenentnahme-Teichen verdacht“ als maßgebend angeführten Kriterien sehr vielgestaltig und kleingekammert sowie die wurden aufgrund anderer Erfahrungen für das Grenzen etwa zwischen Schilf-/Rohrkolbenröhricht eigene Vorgehen angepasst. Beispiel Reiherente: und Buschzone oft wenig trennscharf waren. So Die zweimalige Beobachtung eines Paares im werden lediglich für den Teich Barnitz, der ver- Abstand von mindestens sieben Tagen rechtfertigte gleichsweise große, zusammenhängende Teilflächen nicht immer Brutverdacht. Beispiel Rohrammer: Der aufweist, Häufigkeitsveränderungen charakteristi- Erfassungszeitraum wurde über die erste Junidekade scher Vogelarten für Strukturen der Vegetation hinaus bis Ende Juni und die Wertungsgrenze von wie Röhricht und Gebüsch-/Strauchbestand dar- Ende Juni bis Ende der ersten Julidekade erweitert. gestellt. Die Flächengrößen wurden auf Luftfotos mit Hilfe eines Geografischen Informations-Systems Für Vogelarten mit einem Anteil (Dominanzwert) (GIS) ermittelt. von mehr als 1,5 % am Gesamtbestand aller Ge- wässer sind die Bestandsentwicklungen in Säulen- Dominanzwerte kennzeichnen die Bedeutung von diagrammen dargestellt. Dies gilt auch für Arten Arten innerhalb der Vogelbestände der einzelnen mit charakteristischen Veränderungen im Verlauf Teiche, etwa von Pionieren und Frühsiedlern, in der Teichgenese. den Anfangsjahren der Gewässerentwicklung.

Zur Darstellung von Bestandsentwicklungen nach Der Diversitäts-Index wurde nach der Formel von dem Alter der Bodenentnahme-Gewässer wurden SHANNON und WIENER ermittelt (WASHINGTON 1984; Daten der vier von Beginn an untersuchten Teiche vgl. www.kartieren.de/Mapper/Divers.htm). In ihm vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 154

154 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

kommt sowohl die Vielfalt der Arten als auch die baumläufer, Schwarzkehlchen, Sprosser, Haussper- Häufigkeit von Brutpaaren zum Ausdruck. Um die ling, Kernbeißer und Gimpel; ihr Anteil an der Ge- Entwicklung an jedem Teich als auch die Unter- samtzahl der Reviere betrug zusammen 0,3 %. schiede zwischen den Teichen aufzuzeigen, wurde er für jedes Gewässer in jedem Jahr berechnet. An allen von Beginn an untersuchten Teichen nahm die Anzahl der Reviere/Brutpaare im Laufe der Ge- Für die Entwicklung von Brutbeständen an einzelnen wässerentwicklung statistisch hoch signifikant zu Teichen bzw. für Gesamtpopulationen an allen (Abb. 3a-d). Unterschiede zeigten sich vor allem Gewässern sowie von avifaunistischen Kenngrößen im Ausmaß der Schwankungen jährlicher Revier- wurden, soweit sich lineare Abhängigkeiten an- zahlen. Sie waren umso größer, je näher die Ge- deuteten, Regressionen mit Irrtums-Wahrschein- wässer zum Elbdeich standen (Beispiele Kamerun lichkeiten nach parametrischem Verfahren (NIEMEYER und Wulfsahl; Abb. 3c, d). An Teichen im Hinterland 1974) berechnet. des Stromes blieben diese gering (Beispiele Barnitz und Kacherien; Abb. 3a, b). Brutzeithochwässer Dem Vergleich der Vogelpopulationen von Teichen mit Überflutung von Rieden, Gebüsch-, Strauch- mit und ohne Nutzung durch Angelfischerei sowie und Baumbeständen ließen Paarzahlen von nicht von unterschiedlich gestalteten Gewässerabschnitten an Wasser und Röhricht gebundenen Arten vorü- diente der T-Test zur Prüfung verbundener Stich- bergehend z. T. erheblich sinken, z. B. in den proben (SACHS 1974). Jahren 2000 und 2003 für Fitis (Abb. 37), Mönchs- grasmücke (Abb. 46), Amsel (Abb. 49) und Gold- Hinweise auf den Erfassungsgrad und die Voll- ammer (Abb. 55). ständigkeit der Erhebungen gaben Vergleichsstudien vom Teich Kamerun 1991-1994, die in jährlich 12- Mit Ausnahme eines Gewässers stieg über den 18 Begehungen ermittelt wurden (eig. unveröff. gesamten Zeitraum auch die Artenzahl (Abb. 3a, Daten). Diese Ergebnisse zeigten im Vergleich zu 3b, 3d, 3e). Lediglich für den Teich Kamerun mit der sonst üblichen Anzahl von 6 bis 9 Begehungen, ausgeprägten Vorstrukturen wurde eine geringe dass hierbei im Mittel 92,3 % bei den Arten und Abnahme ermittelt, die allerdings statistisch nicht 91,0 % bei den Revieren kartiert werden konnten. gesichert ist (Abb.3c). Auch die Ergebnisse von Daher werden die hier diskutierten Ergebnisse als der Teichanlage Langendorf deuten seit etwa 2000 repräsentativ für die Entwicklung der Teich-Avizö- auf stabile Artenzahlen hin; auch hier war der An- nosen beurteilt. stieg der Arten- und Revierzahl zwischen 1992 und 2012 statistisch nicht signifikant (Abb. 3e). 4 Ergebnisse 4.1.2 Verhältnis der Arten- zur Revierzahl 4.1 Trends avifaunistischer Kenngrößen Der Vergleich der Arten- und Revierpaarzahlen an 4.1.1 Arten- und Revierzahlen den Gewässern Kacherien und Kamerun belegt eine enge Abhängigkeit beider Parameter; das be- Ein Verzeichnis aller an den sechs Teichen ermittelten deutet, dass mit zunehmender Artenzahl auch die mutmaßlichen Brutvogelarten mit gebietsspezifischen Revierpaarzahl entsprechend zunahm und umge- Höchstzahlen und Gesamtsummen sowie arith- kehrt (Abb. 4a, b). metischen Mitteln der Brutreviere (bzw. -paare) ist im Anhang beigefügt (Tab. 5). Von 1986 bzw. Für das Gewässer Kamerun mit den zahlreichen 1992 bis zum Jahre 2012 wurden insgesamt 8.040 Strukturen, die bereits vor der Anlage des Gewässers Reviere bzw. Brutpaare von 93 Arten erfasst. Davon vorhanden waren, und stärker schwankenden Was- waren 42 Arten (mutmaßliche) Brutvögel an allen serständen zeigt sich, dass insgesamt eine höhere Teichen; sie stellten mehr als 90 % der Reviere. Arten- und Revierzahl kennzeichnend ist (kürzere und breiter gestreute Punktwolke im rechten oberen 12 Arten besetzten Reviere an jeweils nur einem Feld bezeichnend; Abb. 4b). Das erklärt sich aus Gewässer: Schellente, Rothalstaucher, Uferschnepfe, den erheblich höheren Vogelbeständen in den An- Wendehals, Raubwürger, Uferschwalbe, Garten- fangsjahren im Vergleich zu anderen Gewässern. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 155

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100 Barnitz 1992-2012 80 Kacherien 1988-2012 90 Arten 70 Arten 80 Reviere Reviere 60 70 50 60 50 40

40 30

30 Arten/Reviere Anzahl

Anzahl Arten/Reviere Anzahl 20 20 10 10 0 0 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

160 Kamerun 1988-2012 80 Wulfsahl 1986-2012 140 Arten 70 Arten Reviere Reviere 120 60

100 50

80 40

60 30 Anzahl Arten/Reviere Anzahl Anzahl Arten/Reviere Anzahl 40 20

20 10

0 0 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

120 Langendorf 1992-2012 Arten Abb. 3a-e: Arten- und Revierzahlen an Bodenentnahme- 100 Reviere Gewässern: Barnitz (Reviere: n = 1.408, r = 0,81, p <

80 0,001; Arten: n = 565, r = 0,87, p < 0,001), Kacherien (Reviere: n = 1.086, r = 0,86, p < 0,001; Arten: n = 534, r 60 = 0,85, p < 0,001), Kamerun (Reviere: n = 2.424, r = 0,54, p < 0,01; Arten: n = 878), Wulfsahl (Reviere: n = 1.175, r 40

Anzahl Arten/Reviere Anzahl = 0,61, p < 0,001; Arten: n = 626, r = 0,71, p < 0,001) 20 und Langendorf (Reviere: n = 1.239; Arten: n = 549). – Numbers of species and territories at the ponds of former 0 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 excavation sites.

40 Kacherien 1988-2012 50 Kamerun 1988-2012 35 40 30

25 30 20

15 20 Anzahl Arten Anzahl Anzahl Arten Anzahl 10 10 5

0 0 020406080 0306090120150 Anzahl Reviere Anzahl Reviere

Abb. 4a-b: Verhältnis Artenzahl (x-Achse) zur Revierzahl (y-Achse) an den Bodenentnahme-Gewässern Kacherien (66 Arten/1.086 Reviere, r = 0,98, p < 0,001) und Kamerun (83 Arten/2.441 Reviere, r = 0,57, p < 0,01). – Proportion of number of species (x-axis) and territories (y-axis) at the ponds of Kacherien and Kamerun. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 156

156 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

Aus demselben Grund änderte sich insbesondere der hier insgesamt nachgewiesenen 67 Arten an; die Artenzahl im Verlauf der Jahre nur wenig, wäh- in den ersten fünf Jahren waren es bereits 57 % rend die Revierzahlen stark anstiegen (Abb. 3c). (Abb. 6a).

4.1.3 Entwicklung der Artenzahlen Nach raschem Anstieg der Anzahlen neuer Arten in den ersten 3-7 Jahren - nur an dem von Beginn an Abb. 5 informiert über die Anfangshöhe und die reich ausgestatteten Teich Kamerun (Abb. 6b) wurde jährliche Zunahme der absoluten Artenzahl an den bereits im 1. Jahr der Höchstwert erreicht - nahmen vier von Beginn an untersuchten Gewässern. Die die Werte an allen Gewässern bis 2012 statistisch Kurven zeigen auffällige Parallelen: Jeweils im hoch signifikant auf 0-2 neue Arten je Jahr ab. Die ersten Jahrzehnt fand eine starke Zunahme der Sukzessionsstadien in den weiteren Jahren mit Artenzahlen statt, dem ein deutlicher Knick zu Strauchstruktur und Übergang in Baumstruktur einer Phase schwächeren Anstiegs folgte. Nur der zogen deutlich weniger neue Arten an; dazu gehörten vorstrukturreichere und großflächigere Teich Ka- z. B. am Teich Kacherien (Abb. 6d) u. a. Buntspecht, merun weicht mit einem höheren Anfangsbestand Grünspecht, Hohltaube, Rotkehlchen, Zaunkönig, und einer insgesamt größeren Artenzahl ab. Nach Heckenbraunelle, Weiden- und Sumpfmeise. zweieinhalb Jahrzehnten Gewässerentwicklung ist noch keine grundlegende Änderung in dieser Ten- Die deichnahen Gewässer Kamerun (Abb. 6b) und denz erkennbar. Wulfsahl (Abb. 6c) mit stärker wechselnden Was- serständen waren besonders im ersten Jahrzehnt 4.1.4 Besiedlung durch ‘neue’ Arten durch beträchtliche jährliche Schwankungen der Zahlen neuer Arten gekennzeichnet. Ansiedlungen neuer Arten im Verlauf der Gewäs- serentwicklung spiegeln die Dynamik des Lebens- Die Ansiedlung von Rote-Liste-Arten (SÜDBECK et raumwandels wider (Abb. 6a-6d). Diese war be- al. 2007, KRÜGER & OLTMANNS 2007) erfolgte ganz sonders stark im ersten Jahrzehnt mit der raschen überwiegend in der Frühphase der Teichentwicklung; Folge des Auftretens von Pionierpflanzen, der Aus- so waren es am Teich Kacherien (Abb. 6d) in den bildung von Röhrichten und der einsetzenden Ufer- ersten fünf Jahren 9 der 14 Arten: Zwergtaucher, verbuschung ausgeprägt. So siedelten sich in Kiebitz, Bekassine, Rotschenkel, Turteltaube, Feld- diesem Zeitraum am Teich Barnitz nahezu 80 % lerche, Braunkehlchen, Wiesenschafstelze und Blut- hänfling. Nach 15 Jahren kam hier keine neue Rote- 90 Liste-Art mehr hinzu. 80 70 4.1.5 Rote-Liste-Arten

60 Von den an allen sechs Tei- 50 chen ermittelten 93 Arten 40 gehören 29, d. h. 31,2 %, Wulfsahl der Roten Liste an. Von den 30 Anzahl Arten Anzahl Kacherien 8.040 Brut- bzw. Revierpaa- ren waren es 14,5 %; an 20 Kamerun den einzelnen Gewässern 10 Barnitz lagen die Anteile zwischen 0 9,1 % am Teich Damnatz 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 und 17,8 % auf dem Teich- Jahre gelände Langendorf.

Abb. 5: Aufsummierte Artenzahlen an den Bodenentnahme-Teichen Wulfsahl, Ka- Im Zuge der Verbuschung cherien, Kamerun und Barnitz. – Numbers of species at the ponds of Wulfsahl, Ka- von Ufern und Inseln nahm cherien, Kamerun and Barnitz (numbers summed up). die Anzahl der Rote-Liste- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 157

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 157

10 10 Barnitz Kamerun 9 9 8 8 7 7 6 6 5 5 4 4 Anzahl Arten Anzahl Anzahl Arten Anzahl 3 3 2 2 1 1 0 0 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011

12 12 Wulfsahl Kacherien 10 10

8 8

6 6

Anzahl Arten Anzahl 4 Arten Anzahl 4

2 2

0 0 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 1988 91 94 97 2000 03 06 09 12

Abb. 6a-d: Besiedlung durch neue Arten an den Gewässern Barnitz (n = 67, r = -0,81, p < 0,001), Kamerun (n = 47, r = -0,53, p < 0,01), Wulfsahl (n = 65, r = -0,53, p < 0,01) und Kacherien (n = 80, r = -0,58, p < 0,01; rote Säulen - anteile = Rote-Liste-Arten). – Settlement by new species at the ponds of Barnitz, Kamerun, Wulfsahl and Kacherien.

Reviere an allen Gewässern ab, an dem von Anfang Am deichnahen Teich Wulfsahl, der bis zum Ende an schon mit Sträuchern, Bäumen und Röhricht- der Erfassungen eine große Freiwasserfläche und Horsten ausgestatteten Teich Kamerun (Abb. 7a) Röhricht-Horste aufwies, schwankten die Anteile und an dem inzwischen stark verbuschten Teich Ka- der Rote-Liste-Arten stark; eine Abnahme war aber cherien (Abb. 7c) auch statistisch signifikant. Am nicht gesichert (Abb. 7d). Gewässer Kamerun ging ebenso die Anzahl der Rote-Liste-Arten zurück. Am Teich Barnitz (Abb. 7b) 4.1.6 Artenpräsenz mit bis zum Erfassungsende verbliebenen großen Wasser- und Röhricht-Flächen kam es zu einer ge- Abb. 8 zeigt Präsenzleisten zur Anwesenheit aus- genläufigen Entwicklung von geringer Abnahme gewählter, nach Ansiedlungsjahren geordneter der Rote-Liste-Reviere und leichter Zunahme der Arten am Beispiel des Gewässers Kacherien. Den Rote-Liste-Arten. Pionieren wie Flussregenpfeifer und Kiebitz folgten im Laufe der Teichentwicklung Dauerbewohner Für die Gewässer Kacherien und Wulfsahl wird die wie Blässhuhn und Zwergtaucher, kurzzeitige Siedler Entwicklung von Rote-Liste-Revieren mit relativen wie Bluthänfling und Grünfink sowie Langzeitsiedler Werten dargestellt. Der Teich Kacherien (Abb. 7c) wie Feldschwirl und Gartengrasmücke; erst zum erreichte das Maximum mit 60 % im dritten Jahr. Ende schlossen sich im Bestand stark zunehmende Dann folgte vom 4. bis 8. Jahr ein starker Rückgang, Arten wie Zilpzalp und Mönchsgrasmücke sowie der vor allem Arten früher Sukzessionsstadien Spätsiedler wie Singdrossel und Rotkehlchen an. betraf. Die Abnahme setzte sich fort mit der Aus- breitung von Büschen und Sträuchern, die u. a. 4.1.7 Bestandsentwicklungen - schematisch Grasmücken und Laubsänger – hier keine Rote- Liste-Arten – begünstigen. Für die Teichentwicklung waren neben der Dynamik vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 158

158 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

25 25 Kamerun 1988-2012 Barnitz 1993-2012 RL-Arten RL-Arten 20 RL-Reviere 20 RL-Reviere

15 15

10 10 Anzahl Arten Anzahl Anzahl Arten Anzahl

5 5

0 0 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 1990 1995 2000 2005 2010 2015

70 40 Kacherien 1988-2012 Wulfsahl 1987-2012 60 35 30 50 25 40 20 30 15 20 Anteil RL-Arten [%] RL-Arten Anteil Anteil RL-Arten [%] RL-Arten Anteil 10

10 5

0 0 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Abb. 7a-d: Rote Liste-Arten (Anzahlen und Revierzahlen bzw. Anteile)) für die Gewässer Kamerun (Arten: n = 155, r = - 0,48, p < 0,05; Reviere: n = 225, r = -0,60, p < 0,01), Barnitz (Arten: n = 117; Reviere: n = 246), Kacherien (n = 162 von 1.086 Revieren, r = -0,52, p < 0,01) und Wulfsahl (n = 207 von 1.175 Revieren). – Red-data species (numbers and territories, percentage respectively) at the ponds of Kamerun, Barnitz, Kacherien and Wulfsahl.

des Artenbestandes auch Auf- und Abwärtsbewe- 4.1.8 Abundanz gungen der Populationen einzelner Arten bezeich- nend. Abb. 9a stellt am Beispiel des Gewässers Im Mittel der Jahre 2010 bis 2012 betrug die Ge- Kacherien verschiedene Entwicklungstypen sche- samtzahl der Reviere einschließlich der Teilsiedler matisch dar. Für absolute Abnahme und Zunahme auf allen sechs Teichen 464; das entspricht einer standen Kiebitz bzw. Zilpzalp, für Maxima in der Revierdichte von 12,8 Revieren/ha. Der hohe Wert ersten und in der zweiten Hälfte der Untersu- erklärt sich auch aus der großen Randwirkung der chungszeit Teichrohrsänger bzw. Goldammer; eine Einzelgewässer. Mit 16,9 Revieren/ha erreichte der gleichbleibende Brutpaarzahl über die gesamte vielgestaltige Teich Kamerun den Höchstwert unter Zeit kennzeichnete den Zwergtaucher. den Untersuchungsgebieten. Es folgten die Teiche mit vergleichsweise kleinen Wasserflächen: Kacherien Viele der an den Bodenentnahme-Teichen häufigeren mit 13,3/ha und Langendorf mit 12,9/ha. Die Arten erreichten im Laufe der Gewässergenese in Teiche mit höherer Wasser-/Landflächen-Relation ihrer Bestandsentwicklung zwischenzeitliche Höchst- hatten niedrigere Vogeldichten: Barnitz 11,2 Re- werte. Abb. 9b zeigt ein Maximum-Schema für viere/ha sowie Damnatz und Wulfsahl je 10,7 Re- den Teich Wulfsahl mit den Beispielarten Rohrammer, viere/ha. Teichrohrsänger, Blässhuhn, Kiebitz, Fitis, Goldammer und Reiherente. Ihre Maximalbestände sind je nach Auf dem Barnitzer Bodenentnahme-Gewässer er- dem für die Art optimalen Stand der Vegetations- reichte der Teichrohrsänger im Röhricht 2000 eine entwicklung unterschiedlich hoch und/oder spät Revierdichte von 7,3/ha. Nach Abnahme des Schilf- positioniert. Anteils und deutlicher Ausweitung des Rohrkol- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 159

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 159

10 Teichrohrsänger Goldammer 9 Kiebitz Zilpzalp Zwergtaucher 8 7 6 5 4 3 2 Anzahl Brutpaare/Reviere Anzahl 1 0 1988 1991 1994 1997 2000 2003 2006 2009 2012

30 Rohrammer Teichrohrsänger Blässhuhn Kiebitz 25 Fitis Goldammer Reiherente 20

15

10

Anzahl Brutpaare/Reviere Anzahl 5

0 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013

Abb. 9a, b: Typen- und Maximum-Schema für Vogelbe- standsentwicklungen an den Gewässern Kacherien (oben) und Wulfsahl (unten). – Scheme of types and maxima of Abb. 8: Besiedlungsphasen und Artenpräsenzleisten von the development of bird populations at the ponds of Ka- Vogelarten für das Gewässer Kacherien. – Settling phases cherien (above) and Wulfsahl (below). and survey of the presence of species at the pond of Ka- cherien. bis 2012 war der Anstieg der Diversität. Sieht man vom Teich Kamerun ab (Abb. 10a), so erhöhten ben-Anteils (s. Tab. 4) nahm die Dichte bis 2012 sich die Diversitäts-Indizes an allen von Beginn an auf 5,1 Reviere/ha ab. Bei der Rohrammer sanken untersuchten Gewässern statistisch hoch signifikant. die Werte in denselben Jahren von 7,3 auf 4,0. Für den Drosselrohrsänger wurden im Schilf- und Rohr- An den deichnahen Gewässern Kamerun und kolben-Röhricht Revierdichten bis 2,0/ha (2004) Wulfsahl (Abb. 10a, 10b) mit häufiger wechselnden und 1,5/ha (2012) ermittelt. brutzeitlichen Wasserständen streuten die Werte stärker als an Teichen im Deichhinterland, Kacherien Auf den Unterflächen „Weidengebüsch“ und (Abb. 10c) und Barnitz (Abb. 10d). Die höchste „Strauchpflanzungen“ betrugen die höchsten Re- Steigerungsrate der jährlichen Diversitäts-Indizes vierdichten beim Fitis 3,1/ha (2004), beim Zilpzalp wurde für den Teich Barnitz ermittelt, der mit einer 1,4 (2012) und bei der Gartengrasmücke 2,1 großer Wasserfläche, ausgedehnten Röhrichten (2008). Die Mönchsgrasmücke erreichte einschließ- und einer Ringinsel ausgestattet ist. Hier wurde lich der Teilsiedler entlang des östlich angrenzenden somit mit zunehmender Habitatausgestaltung die Laubwaldes 3,4 Reviere/ha im Jahre 2012 Avizönose zunehmend vielgestaltiger.

4.1.9 Diversität Eine Ausnahme bildet auch hier das schon vorher mit verschiedenen Lebensraumelementen wie Was- Ein generelles Kennzeichen für die Entwicklung ser, Ried, Röhricht, Sträucher und Randbäume aus- der Vogelbestände an den Bodenentnahme-Teichen gestattete Teichgelände Kamerun (Abb. 10a). Für vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 160

160 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

4,0 Kamerun 4,0 Wulfsahl 3,5 3,5 3,0 3,0 2,5 2,5 2,0

Diversitätsindex 2,0 Diversitätsindex 1,5 1,5 1,0 1988 1991 1994 1997 2000 2003 2006 2009 2012 1,0 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011

4,0 4,0 Kacherien Barnitz

3,5 3,5

3,0 3,0

2,5 2,5

2,0 2,0 Diversitätsindex Diversitätsindex

1,5 1,5

1,0 1,0 1988 1991 1994 1997 2000 2003 2006 2009 2012 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010

Abb. 10a-d: Entwicklung der Diversität des Vogelbestandes gem. SHANNON-WIENER an den Gewässern Kamerun (1988- 2012, n = 2.424 Reviere), Wulfsahl (1987-2012, n = 1.175 Reviere, r = 0,69, p < 0,001), Kacherien (1988-2012, n = 1.086 Reviere, r = 0,62, p < 0,01) und Barnitz (1992-2012, n = 1.408 Reviere, r = 0,85, p < 0,001). – Development of di- versity (according to SHANNON-WIENER) of the bird populations at the ponds of Kamerun (1988-2012), Wulfsahl (1987-2012), Kacherien (1988-2012) and Barnitz (1992-2012).

dieses Gewässer war eine Zunahme der Diversität Strauch- und Baumstrukturen beeinträchtigte diese statistisch nicht gesichert. Entwicklung nicht. An einzelnen Gewässern, z. B. am Teich Barnitz (Abb. 12), schwankte der jährliche 4.2. Bestandsentwicklungen ausgewählter Brutbestand deutlich. Arten 4.2.2 Schnatterente 4.2.1 Graugans Bereits ab dem zweiten Jahr erschien die Schnat- Mit bis jeweils 1 bis 3 erfolgreichen Paaren brütete terente als Brutvogel an den Bodenentnahme-Tei- die Graugans an allen sechs Teichen. Das Jahres- chen (Abb. 13). Sie besiedelte vier der sechs Ge- summendiagramm aller Brutpaare (Abb.11) stellt wässer. Mit der Ausdehnung von Rieden und Röh- ein gegenläufiges Modell der Bestandsentwicklung richten folgte im ersten Jahrzehnt eine fortlaufende zu dem von Pionierarten wie Flussregenpfeifer und Bestandszunahme auf bis zu zwei Paare pro Teich; Kiebitz dar: diese mit sofortiger starker Ansiedlung anschließend trat sie nunmehr unregelmäßig auf. und rascher Abnahme, die Graugans mit verzögerter In den späteren Sukzessionsstadien mit dichten Ansiedlung und dann fortlaufender Zunahme. Weiden-Beständen wurden die Gewässer dann ge- mieden. Der Anstieg ging einher mit der Entfaltung der Ve- getation, insbesondere von Schilfröhricht und Wei- dengebüsch; der weitere Übergang in höhere vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 161

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 161

10 5 Brutpaare Dominanz [%] 9

8 4 7

6 3 5

4 2 3 Anzahl BrutpaareAnzahl 2 1 1

0 0 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

Abb. 11: Graugans: Summen der Brutpaare an 6 Teichen Abb. 12: Graugans am Teich Barnitz 1992-2012: Brut- 1986-2012 (n = 80, r = 0,82, p < 0,001). – Greylag paare und Dominanz in % (Brutpaare: n = 25, r = 0,61, Goose: sums of breeding pairs at 6 ponds, 1986-2012. p < 0,01). – Greylag Goose at the pond of Barnitz 1992- 2012: breeding pairs and dominance in %.

6 12

5 10

4 8

3 6

2 4 Anzahl BrutpaareAnzahl Anzahl BrutpaareAnzahl

1 2

0 0 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 Jahre Jahre

Abb. 13: Schnatterente: Jährliche Summen der Bruten Abb. 14: Reiherente: Jährliche Summen der Bruten an an vier Teichen in Abhängigkeit vom Alter der Bodenent- vier Teichen in Abhängigkeit vom Alter der Bodenent- nahme-Gewässer 1986-2012 (n = 25). – Gadwall: annual nahme-Gewässer 1986-2012 (n = 55, r = -0,76, p < sums of broods at four ponds depending on the age of 0,001). – Tufted Duck: annual sums of broods at four the ponds, 1986-2012. ponds depending on the age of the ponds, 1986-2012.

12 Brutpaare Dominanz [%] 4.2.3 Reiherente 10 Rascher Bestandsaufbau und allmählicher Abbau 8 kennzeichnen die Populationsentwicklung der Rei- herente (Abb. 14), die an allen Teichen brütete. 6 Die Zunahme-Phase fiel in das frühe Ausbreitungs- stadium der Röhrichte von Teichbinse Scirpus 4 lacustris und Schilf. So erreichte die Art z. B. am 2 Teich Barnitz im zweiten und dritten Jahr Domi- nanzwerte von mehr als 10 % (Abb. 15). Mit wei- 0 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 terer Ausdehnung der Bestände von Rohrkolben und Schilf sowie der immer mehr dominierenden Abb. 15: Reiherente am Teich Barnitz 1992-2012: Brut- Weiden nahm die Anzahl der Brutpaare dann be- paare und Dominanz in % (Brutpaare: n = 20, r = -0,69, ständig ab. Am Gewässer Wulfsahl blieb die Art p < 0,001). – Tufted Duck at the pond of Barnitz 1992- zwischenzeitlich aus (Abb. 16). 2012: breeding pairs and dominance in %. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 162

162 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

4 12

10 3 8

2 6

4 Anzahl BrutpaareAnzahl BrutpaareAnzahl 1 2

0 0 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

Abb. 16: Reiherente: Anzahl der Brutpaare am Teich Wulf- Abb. 18: Zwergtaucher: Summen der Brutpaare an sechs sahl 1986-2012 (n = 11, r = -0,48, p < 0,05). – Tufted Teichen 1986-2012 (n = 124, r = -0,41, p < 0 ,05). – Little Duck: number of breeding pairs at the pond of Wulfsahl Grebe: sums of breeding pairs at six ponds 1986-2012. 1986-1012.

6 10 9 5 8 4 7 6 3 5 2 4 Anzahl BrutpaareAnzahl

Anzahl BrutpaareAnzahl 3 1 2 0 1 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 0 Jahre 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

Abb. 17: Tafelente: Jährliche Summen der Bruten an vier Abb. 19: Zwergtaucher: Brutpaare am Teich Kamerun Teichen in Abhängigkeit vom Alter der Bodenentnahme- 1986-2012 (n = 31, r = -0,53, p < 0,001). – Little Grebe: Gewässer 1986-2012 (n = 30). – Common Pochard: an- breeding pairs at the pond of Kamerun 1986-2012. nual sums of broods at four ponds depending on the age of the ponds, 1986-2012.

12 Brutpaare Dominanz [%] 4.2.4 Tafelente 10

Obwohl die Tafelente (Abb. 17) ebenso Brutvogel 8 an allen Teichen war, wich die Entwicklung der Po- pulation deutlich von der der Reiherente (Abb. 14) 6

ab: Es fanden nur etwa die Hälfte der Bruten statt, 4 dabei war die Art als Brutvogel dauerhaft anwesend, ohne eine statistisch signifikante Abnahme zu 2 zeigen. Damit war sie toleranter gegenüber dem 0 Wandel in der Vegetation, wies aber starke Be- 1988 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 standsschwankungen auf. Abb. 20: Zwergtaucher am Teich Kacherien 1988-2012: 4.2.5 Zwergtaucher Brutpaare und Dominanz in % (Brutpaare: n = 43, r = 0,49, p < 0,05; Dominanz: r = -0,41, p < 0,05). – Little Der Zwergtaucher war mit 1,5 % am Gesamtbe- Grebe at the pond of Kacherien 1988-2012: breeding pairs stand der Brutpaare aller sechs Teiche beteiligt. and dominance in %. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 163

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 163

Foto 14: Die Graugans Anser anser war Brut- vogel an allen Bodenentnahme-Teichen ab dem 4. Jahr. Bodenentnahme-Gewässer Wil- kenstorf, Amt Neuhaus, 23. 03. 2012. Foto: Wilhelm Meier-Peithmann. – The Greylag Goose was breeding bird at all ponds from the 4th year onwards.

Foto 15: Der Flussregenpfeifer Charadrius dubius stellte sich gewöhnlich als erste Vo- gelart auf den neuen Gewässern ein. Boden- entnahme-Gewässer Dambeck NE Dannen- berg, 25. 06. 2010. Foto: Wilhelm Meier-Peithmann. – The Little Ringed Plover normally was the first species at the new ponds. Pond Dambeck NE .

Die Summengrafik 1986-2012 kennzeichnet eine Beispiel 2: Teich Kacherien (Abb. 20). Trotz der an Entwicklung mit geringen, teilweise durch niedrige diesem Teich in dieser Zeit raschen Vegetations- Wasserstände verursachten Schwankungen sowie entwicklung bis hin zu einem nahezu geschlossenen mit schwacher, aber statistisch gesicherter Abnahme Strauch- und Baumbestand auf den Inseln und an (Abb. 18). Doch dahinter verbergen sich je nach den Ufern gab es beständig zwei erfolgreiche Brut- Teichstruktur ganz unterschiedliche Bestandsverläufe, paare. die nur darin übereinstimmen, dass die Art fast ve- getationsfreie Gewässer in den ersten beiden Jahren 4.2.6 Haubentaucher mied. Nur drei der sechs Gewässer dienten dem Hau- Beispiel 1: Teich Kamerun (Abb. 19). Bis zum vierten bentaucher als Brutplätze: die mit weitem, offenem Jahr wuchs der Bestand zu einer Kolonie mit neun Wasser und Uferpartien aus Schilfröhricht ausge- Brutpaaren im Bereich der neuen kleinen Inseln mit statteten Teiche Kamerun, Wulfsahl und Barnitz. schütterer Vegetation im Schutz des bereits vor- Als nach einem Jahrzehnt auf dem Kameruner handenen Schilfröhrichts. Der folgende fortlaufende Teich trotz der ausgedehnten Freiwasserfläche am Bestandsrückgang dauerte sieben Jahre. Ufer fast nur noch Sträucher, v. a. Weiden, wuchsen, vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 164

164 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

wurde er aufgegeben. Über den gesamten Unter- 6 suchungszeitraum war die Zunahme an den Teichen

5 (Abb. 21) statistisch nicht gesichert

4 4.2.7 Kranich 3 Frühestens nach zwölf Jahren erschien der Kranich 2 Anzahl BrutpaareAnzahl zumeist als unregelmäßiger Brutvogel an den Bo- 1 denentnahme-Gewässern, wenn sich auf Inseln und Ufern neben Röhricht auch Weiden ausgebreitet 0 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 hatten (Abb. 22). Er brütete an fünf der sechs Teiche. Bevorzugtes Gewässer mit etwa 60 % der Abb. 21: Haubentaucher: Jährliche Summen der Bruten Bruten war der an Schilfröhricht und Rohrkolben- an vier Teichen in Abhängigkeit vom Alter der Bodenent- röhricht reiche Barnitzer Teich. nahme-Gewässer 1986-2012 (n = 44). – Great Crested Grebe: sums per year of broods at four ponds depending 4.2.8 Teichhuhn on the age of the ponds, 1986-2012. Ab dem zehnten Jahr siedelte sich das Teichhuhn

4 auf Bodenentnahme-Teichen an (Abb. 23). Es brütete eher unregelmäßig mit ein bis zwei Paaren an fünf der sechs Gewässer. 3 4.2.9 Blässhuhn 2 Mit 7,2 % aller Brutpaare/Brutreviere stand das Anzahl BrutpaareAnzahl 1 Blässhuhn an dritter Stelle in der Dominanzfolge der Bodenentnahme-Teiche. Schaut man sich die Populationen der einzelnen Teiche näher an, so 0 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 stößt man je nach Gewässerstruktur auf ganz un- terschiedliche Brutbestandsentwicklungen. Abb. 22: Kranich: Summen der Brutpaare an sechs Tei- chen 1986-2012 (n = 17, r = 0,75, p < 0,001). – Common Kacherien (Abb. 24): Ansiedlung im zweiten Jahr. Crane: sums of breeding pairs at six ponds 1986-2012. Trotz totalen Lebensraumwandels vom offenen Schlickgewässer zum dicht und hoch mit Sträuchern

7 35 Brutpaare Dominanz [%]

6 30

5 25

4 20

3 15

Anzahl BrutpaareAnzahl 2 10

1 5

0 0 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 1988 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

Abb. 23: Teichhuhn: Summen der Brutpaare an sechs Abb. 24: Blässhuhn am Teich Kacherien 1988-2012: Brut- Teichen 1986-2012 (n = 32, r = 0,68, p < 0,001). – Com- paare und Dominanz in % (Brutpaare: n = 101; Dominanz: mon Moorhen: sums of breeding pairs at six ponds 1986- r = -0,6, p < 0,001). – Common Coot at the pond of Ka- 2012. cherien 1988-2012: breeding pairs and dominance in %. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 165

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 165

Foto 16: Beutelmeise Remiz pendulinus in Nestnähe. Bodenentnahme-Gewässer Lan- gendorf, 06. 05. 2010. Foto: Wilhelm Meier- Peithmann. – Eurasian Penduline Tit near nest. Pond at Langendorf.

Foto 17: Der Bluthänfling Carduelis canna- bina war an den Bodenentnahme-Gewässern typischer Phasensiedler im Buschstadium. Penkefitzer See N Dannenberg, 10. 06. 2011. Foto: Wilhelm Meier-Peithmann. – The Com- mon Linnet was a typical phase settler during the bush stage of the ponds.

und Bäumen bewachsenen Teich brüteten durch- eine stabile Phase mit jährlich sechs bis acht Paaren. gehend drei bis sechs Paare. Nur die Dominanz Es schloss sich ein fortlaufender Rückgang über 18 nahm statistisch hoch signifikant ab. Bei zunächst Jahre im Zusammenhang mit zunehmender Verbu- etwa gleichbleibender Wasserfläche, aber wech- schung und fast vollständiger Zurückdrängung von selndem Vegetationsangebot von nacheinander und Flatterbinse und Schilfröhricht an. nebeneinander Flatterbinse, Schilf und zuletzt zum Wasser sich ausbreitendem Rohrkolben als Leitarten, Wulfsahl (Abb. 25b): Eine fast waagerechte Kurve hat sich die Kapazitätsgrenze für die Anzahl von kennzeichnet die Bestandsentwicklung des Bläss- Blässhuhn-Paaren wohl kaum verändert. huhns am Teich Wulfsahl. Sieht man von einem deutlichen Ausschlag auf sechs Brutpaare mit Kamerun (Abb. 25a): Das Gewässer, welches schon kurzer Zu- und längerer Abnahme-Phase um das vor dem Bodenabbau als Rinne vorhanden und auch neunte Jahr ab, brüteten regelmäßig zwei Paare. bereits von Schilfröhricht bewachsen war, wurde Diese Beständigkeit trotz ausgeprägter Ufer- und gleich im ersten Jahr besiedelt, bzw. es blieb besiedelt. Insel-Verbuschung ist sicher auf die große kompakte Dem raschen Anwachsen der Population innerhalb Wasserfläche mit verbliebenen Uferschilfpartien von drei Jahren folgte über ein knappes Jahrzehnt zurückzuführen. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 166

166 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

9 Kamerun 7 Wulfsahl 8 6 7 5 6 5 4

4 3 3 Anzahl BrutpaareAnzahl BrutpaareAnzahl 2 2 1 1 0 0 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

9 Langendorf 8 7 6 5 4 Abb. 25a-c: Blässhuhn: Brutpaare an den Teichen Kame- 3 run 1986-2012 (n = 107, r = -0,44, p < 0,05), Wulfsahl Anzahl BrutpaareAnzahl 1988-2012 (n = 66) und Langendorf 1993-2012 (n = 75, 2 r = -0,71, p < 0,001). – Common Coot: breeding pairs at 1 the pond of Kamerun 1986-2012, Wulfsahl 1988-2012 0 1993 95 97 99 2001 03 05 07 09 11 and Langendorf 1993-2012.

Langendorf (Abb. 25c): Die statistische hoch signi- 4 fikante Abnahme auf dem Teichgelände Langendorf ging einher mit der Ausbreitung von Weidenbüschen 3 u. a. auf Kosten des Uferröhrichts und der ver- gleichsweise kleinen Wasserflächen auf den sechs 2 Teilgewässern dieser Teichanlage. Anzahl BrutpaareAnzahl 4.2.10 Austernfischer 1

Auf allen vier frisch ausgehobenen Gewässern 0 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 stellte sich der Austernfischer für ein bis fünf Jahre Jahre als Brutvogel mit jeweils einem Paar ein (Abb. 26). Größte Anziehungskraft mit fünfjähriger Anwe- Abb. 26: Austernfischer: Jährliche Summen der Bruten senheit übte auf ihn der nach drei Seiten offene an vier Teichen in Abhängigkeit vom Alter der Bodenent- Teich Barnitz mit der Ringinsel aus. Auch auf den nahme-Gewässer 1986-2012 (n = 14, r = -0,65, p < 0,01). anderen Gewässern waren nicht brütende Einzel- – Eurasian Oystercatcher: annual sums of broods at four vögel oder Paare teilweise für ein bis zwei Jahre ponds depending on the age of the ponds 1986 -2012. vor und nach Brutjahren anwesend. Die Einzelbruten im 14. und 16. Jahr erfolgten auf direkt angren- därpionier“ meistens erst im zweiten oder dritten zenden Ackerpartien am deichnahen Teich Kame- Jahr, wenn eine schüttere Vegetationsdecke die run. rohen Schlickpartien überzogen hatte. Sobald die Pflanzenhöhe keine Rundumsicht mehr zuließ, 4.2.11 Kiebitz verließ er Inseln und Ufer wieder.

Abb. 27 weist den Kiebitz als regelmäßigen Siedler Auf dem Barnitzer Teich erschien der Kiebitz gleich an den Bodenentnahme-Gewässern im ersten Jahr- im zweiten Jahr mit vier Brutpaaren (Abb. 28). Am zehnt aus. Doch bezog er die Teiche als „Sekun- deichnahen Gewässer Wulfsahl brüteten während vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 167

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 167

12 10

10 8 8 6 6 4 4 Anzahl BrutpaareAnzahl Anzahl BrutpaareAnzahl 2 2

0 0 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 Jahre Jahre

Abb. 27: Kiebitz: Jährliche Summen der Bruten an vier Abb. 30: Flussregenpfeifer: Jährliche Summen der Bruten Teichen in Abhängigkeit vom Alter der Bodenentnahme- an vier Teichen in Abhängigkeit vom Alter der Bodenent- Gewässer 1986-2012 (n = 90, r = -0,65, p < 0,01). – nahme-Gewässer 1986-2012 (n = 38, r = -0,76, p < 0,001). Northern Lapwing: broods per year at four ponds depending – Little Ringed Plover: annual sums of broods at four ponds on the age of the ponds 1986-2012. depending on the age of the ponds, 1986-2012.

12 Brutpaare Dominanz [%] 30 Brutpaare Dominanz [%]

10 25

8 20

6 15

4 10

2 5

0 0 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

Abb. 28 : Kiebitz am Teich Barnitz 1992-2012: Brutpaare Abb. 31: Flussregenpfeifer am Teich Barnitz 1992-2012: und Dominanz in % (Brutpaare: n = 13, r = -0,62, p < Brutpaare und Dominanz in % (Brutpaare: n = 22, r = 0,01). – Northern Lapwing at the pond of Barnitz 1992- -0,72, p < 0,001). – Little Ringed Plover at the pond of Bar- 2012: breeding pairs and dominance in %. nitz 1992-2012: breeding pairs and dominance in %.

6 der gesamten Untersuchungszeit auf dicht be- nachbarten Maisäckern oder Wintergetreide-Feldern 5 unregelmäßig einzelne Paare (Abb. 29).

4 4.2.12 Flussregenpfeifer 3 Meistens gleich nach Beendigung, teilweise schon 2 Anzahl BrutpaareAnzahl während des Gewässerbaus stellte sich der Fluss- 1 regenpfeifer gewöhnlich als erste Vogelart ein und besiedelte die noch kahlen Schlickufer und Inseln. 0 Die Jahressummen der Bruten an allen vier von 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 Anfang an untersuchten Teichen zeigen eine Ab- Abb. 29: Kiebitz: Brutpaare am Teich Wulfsahl 1986-2012 stufung etwa in Dreijahresschritten, die mit der (n = 38). – Northern Lapwing: breeding pairs at the pond Ausbildung einer Pflanzendecke einher ging (Abb. of Wulfsahl 1986-2012. 30): pro Gewässer von im Schnitt zwei Paaren in vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 168

168 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

14 Brutpaare Dominanz [%] der ersten über mehr als ein Paar in der zweiten auf weniger als ein Paar in der dritten Stufe. Nach 12 sechs Jahren, als sich Schilf, Rohrkolben und Weiden 10 ausbreiteten, verschwand die Art ganz von den 8 Teichen.

6 Am Teich Barnitz brüteten im zweiten Jahr sieben 4 Paare – davon fünf kolonieartig auf der Ringinsel –, 2 die größte Teilpopulation von allen Gewässern (Abb. 31). An dem anfangs strukturarmen Teich 0 1988 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 erreichte der Flussregenpfeifer in den ersten beiden Jahren Dominanzwerte um 25 und 20 %. Nachdem Abb. 32: Ringeltaube am Teich Kacherien 1988-2012: Brut- er das direkte Teichgelände infolge dichter und paare und Dominanz in % (Brutpaare: n = 71, r = 0,84, hoher Bodenvegetation aufgegeben hatte, brütete p < 0,001). – Common Wood Pigeon at the pond of Kache- noch 1997 ein Paar zwischen Steinen auf einem rien 1988-2012: breeding pairs and dominance in %. benachbarten Wiesenweg.

4.2.13 Ringeltaube 6

5 Zu den Arten, die sich im Laufe der späteren Teich- entwicklung ansiedelten und teilweise bis zum 4 letzten Untersuchungsjahr im Bestand zugenommen

3 haben, zählt die Ringeltaube. So gab es am Teich Kacherien (Abb. 32) erst ab dem sechsten Jahr ver- 2

Anzahl BrutpaareAnzahl einzelte Bruten. Vom zwölften Jahr an erfolgte dann mit der Ausbildung der Busch- und Strauch- 1 strukturen insbesondere von Weiden und Erlen. für 0 ein Jahrzehnt ein fortlaufender Zuwachs des Be- 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 standes. Ähnliche Bestandsentwicklungen an diesem Abb. 33: Beutelmeise: Summen der Brutpaare an sechs Gewässer nahmen u. a. Amsel und Buchfink. Teichen 1986-2012 (n = 57). – Eurasian Penduline Tit: sums of breeding pairs at six ponds 1986-2012. 4.2.14 Beutelmeise

Die Beutelmeise war Brutvogel in allen sechs Un- 7 tersuchungsgebieten (Abb. 33). Doch mehr als ein

6 Drittel der Bruten fand an nur einem Teich statt: Kamerun, das Gewässer mit vorher bestehenden 5 Strukturen von „alten Weiden über Schilfröhricht“. 4 Die Zunahme der gesamten Beutelmeisen-Population 3 von 1986 bis 2012 war durch starke Schwankungen

Anzahl BrutpaareAnzahl 2 gekennzeichnet und auf dem Fünf-Prozent-Niveau statistisch nicht gesichert. 1

0 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 4.2.15 Kohlmeise Jahre Die Kohlmeise besiedelte die Uferzonen von Bo- Abb. 34: Kohlmeise: Jährliche Summen der Reviere an vier denentnahme-Teichen regelmäßig ab dem 15. Jahr Teichen in Abhängigkeit vom Alter der Bodenentnahme- im fortgeschrittenen Strauchstadium, u. a. von Gewässer 1986-2012 (n = 33, r = 0,93, p < 0,001). – Weiden und Erlen. In dem Jahrzehnt zuvor gab es Great Tit: annual sums of territories at four ponds depending unregelmäßig Einzelbruten an Gewässern mit Vor- on the age of the ponds, 1986-2012. strukturen und in Waldrandnähe (Abb. 34). vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 169

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 169

4.2.16 Feldlerche 16 Reviere Dominanz [%] 14 Die Entwicklung der Feldlerchen-Population am 12 Teich Barnitz (Abb. 35) ist bezeichnend für die Bo- denentnahme-Gewässer: Die Ansiedlung erfolgte 10 im (zweiten oder) dritten Jahr, wenn sich Ufer und 8 Inseln begrünt hatten; danach hielt sich ein stabiler 6

Bestand über mehr als ein Jahrfünft, dem ein all- 4

mählicher Rückgang mit Unterbrechungen folgte. 2 Zuletzt wurden die verbliebenen Paare auf nicht 0 verbuschte, an Getreideschläge grenzende Grün- 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 landpartien gedrängt. Für den gesamten Zeitraum ist die Abnahme auf dem Fünf-Prozent-Niveau sta- Abb. 35: Feldlerche am Teich Barnitz 1992-2012: Reviere tistisch aber nicht signifikant. und Dominanz in % (n = 86). – Skylark at the pond of Bar- nitz 1992-2012: territories and dominance in %. 4.2.17 Zilpzalp

Am Beispiel des Gewässers Kacherien werden die Unterschiede in Besiedlung und Bestandsentwicklung 6

zwischen den Zwillingsarten Zilpzalp und Fitis den 5 voneinander abweichenden artspezifischen Habitat- Ansprüchen gemäß deutlich. Der an höhere und 4

mehr im Verbund stehende Sträucher sowie auch 3 stärker an Bäume gebundene Zilpzalp erschien im 11. bzw. 14. Jahr als Brutvogel und erzielte im 21. Reviere Anzahl 2 bzw. 24. Jahr die Höchstzahl an Revieren (Abb. 36). 1

4.2.18 Fitis 0 1988 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

Der mehr an niedrigere bzw. unterbrochene Busch- Abb. 36: Zilpzalp: Reviere am Teich Kacherien 1988-2012 strukturen angepasste Fitis besiedelte Ufer und (n = 41, r = 0,90, p < 0,001). – Common Chiffchaff: terri- Inseln des Gewässers Kacherien im neunten Jahr tories at the pond of Kacherien 1988-2012. und erreichte im Teichalter von 17 Jahren das Be- stands-Maximum, um dann – mit Unterbrechungen – im Bestand abzunehmen (Abb. 37). 6

4.2.19 Feldschwirl 5

4 Mit insgesamt 290 Revieren war der Feldschwirl die elfthäufigste Brutvogelart an den Bodenent- 3 nahme-Teichen und recht gleichmäßig auf die Ge- Anzahl Reviere Anzahl 2 wässer verteilt. Einen typischen Entwicklungsgang zeigt das Beispiel des Teiches Barnitz (Abb. 38): 1 Die Ansiedlung erfolgte gewöhnlich nach fünf Jah- 0 ren, wenn ausreichend Bodenvegetation mit Sing- 1988 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 warten vorhanden war. Danach gab es eine statis- tisch hoch signifikante Bestandszunahme. Die Ver- Abb. 37: Fitis: Reviere am Teich Kacherien 1988-2012 (n = drängung von Revieren auf buschnahe Randflächen 42, r = 0,67, p < 0,001). – Willow Warbler: territories at am Ende der Erfassungszeit zeigte an, dass das the pond of Kacherien 1988-2012. Bestandsmaximum wohl erreicht war. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 170

170 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

12 Reviere Dominanz [%] 4.2.20 Teichrohrsänger

10 Die Grafik über Reviersummen von allen sechs Tei- 8 chen des Teichrohrsängers bezieht sich auf fast 700 Sänger (Abb. 39). Mit einem Anteil von 8,7 % 6 ist die Art damit nach der Rohrammer am zweit-

4 häufigsten.

2 Für die Bestandsentwicklung war kennzeichnend, dass erste Reviere nach zwei bis vier Jahren be- 0 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 gründet wurden, danach erfolgte ein rascher Anstieg zu einem Maximum um das zehnte Jahr – Abb. 38: Feldschwirl am Teich Barnitz 1992-2012: Reviere einhergehend mit der gewöhnlich größten Aus- und Dominanz in % (Reviere: n = 54, r = 0,91, p < 0,001). dehnung des Schilfröhrichts. Dem schloss sich eine – Common Grasshopper Warbler at the pond of Barnitz gleichmäßige, stufenförmige Abnahme an, vor 1992-2012: territories and dominance in %). allem wenn Weidengebüsch vom Ufer her domi- nierte und sich Rohrkolben-Röhricht von der Was-

70 serseite her stärker ausbreitete. Für den gesamten Zeitraum ist eine Zunahme auf dem Fünf-Prozent- 60 Niveau gesichert. 50 Gewässerspezifische Unterschiede: Der Bestands- 40 rückgang fiel – ähnlich wie bei der Rohrammer - 30 umso geringer aus, je länger zusammenhängende Anzahl Reviere Anzahl 20 Schilfbestände die Ufer säumten. Als Beispiele kann einerseits der anhaltend an Röhricht reiche Teich 10 Barnitz angeführt werden, an dem eine Abnahme 0 von etwa 20 auf 10 Reviere ermittelt wurde (Abb. 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 40). Demgegenüber sank am Teich Wulfsahl mit Abb. 39: Teichrohrsänger: Summen der Reviere an sechs starken Flächeneinbußen des Schilfröhrichts die Teichen 1986-2012 (n = 696, r = 0,42, p < 0,05). – Eurasian Anzahl der Reviere von 12 auf 1 (Abb. 41a). Auch Reed Warbler: sums of territories at six ponds 1986-2012. auf den Teichanlagen Langendorf (Rückgang von 14 auf 3 Reviere; Abb. 41b) und Damnatz (von 14 auf 0-1; Abb. 41c) bestimmte vor allem die Größe 30 Reviere Dominanz [%] der dem Ausbreitungsdruck insbesondere von Weiden

25 standhaltenden Schilfröhricht-Reste die Anzahl der verbliebenen Teichrohrsänger-Reviere. 20 4.2.21 Drosselrohrsänger 15

10 Gewöhnlich um das achte Jahr, wenn sich kräftiges, hohes Schilfröhricht mit uferseitiger Weiden-Ab- 5 schirmung ausgebildet hatte, siedelten sich die

0 ersten Brutpaare des Drosselrohrsängers an. In den 1992 94 96 98 2000 2 4 6 8 10 12 letzten zwei Jahrzehnten war die Zunahme trotz periodischer Bestandseinbußen nach jeweils zwei Abb. 40: Teichrohrsänger am Teich Barnitz 1992-2012: bis vier Jahren statistisch signifikant (Abb. 42). Reviere und Dominanz in % (Reviere: n = 217, r = 0,58, p < 0,01). – Eurasian Reed Warbler at the pond of Barnitz Nahezu 42 % der insgesamt 86 Reviere wurden 1992-2012: territories and dominance in % . am Teich Barnitz mit dem ausgedehntesten Röhricht ermittelt (Abb. 43). Trotz der hohen Toleranz des vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 171

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 171

14 12 Wulfsahl

12 10

10 8 8 6 6

Anzahl Reviere Anzahl Reviere Anzahl 4 4

2 2

0 0 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

16 Abb. 42: Drosselrohrsänger: Summen der Reviere an sechs Langendorf 14 Teichen 1986-2012 (n = 86, r = 0,51, p < 0,05). – Great Reed Warbler: sums of territories at six ponds 1986-2012. 12

10

8 12 6 Reviere Dominanz [%] Anzahl Reviere Anzahl 4 10

2 8 0 1993 95 97 99 01 03 05 07 09 11 6

16 4 Damnatz

14 2 12 0 10 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

8 Abb. 43: Drosselrohrsänger am Teich Barnitz 1992-2012: 6 Anzahl Reviere Anzahl Reviere und Dominanz in % (Reviere: n = 36, r = 0,82, p 4 < 0,001). – Great Reed Warbler at the pond of Barnitz 2 1992-2012: territories and dominance in %. 0 1995 97 99 01 03 05 07 09 11

Abb. 41a-c: Teichrohrsänger: Reviere an den Teichen Wulf- 8 sahl 1986-2012 (n = 95), Langendorf 1993-2012 (n = 140, r = -0,53, p < 0,05) und Damnatz 1995-2012 (n = 7 87, r = -0,61, p < 0,01). – Eurasian Reed Warbler: territories 6 at the ponds of Wulfsahl 1986-2012, Langendorf 1993- 5

2012 and Damnatz 1995-2012. 4

3 Anzahl Reviere Anzahl Drosselrohrsängers gegenüber dem sich ausbrei- 2 tenden Rohrkolbenröhricht und Weidenbestand 1 war die Anzahl der Reviere nach 2006 hier leicht rückläufig. 0 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

Mit knapp 40 % der Reviere folgt die Langendorfer Abb. 44: Drosselrohrsänger: Reviere am Teich Langendorf Teichanlage an zweiter Stelle (Abb. 44). Nachdem 1993-2012 (n = 34). – Great Reed Warbler: territories at insbesondere auf den naturbelassenen Gewässern the pond of Langendorf 1993-2012. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 172

172 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

50 und Bäumen ausgestattetem Gewässer erschien 45 die Mönchsgrasmücke bereits im sechsten Jahr 40 (Abb. 47a). 35 30 Ein Beispiel für eine eher „normale“ Ansiedlung 25 ist das Gewässer Kacherien (Abb. 46); ab dem 9. 20 Jahr hielt sich unregelmäßig ein Paar im Gebiet Anzahl Reviere Anzahl 15 auf, erst ab dem 14. Jahr erfolgte ein kontinuierlicher 10 Bestandsaufbau. 5 0 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 Für alle Gewässer war die Bestandszunahme der Mönchsgrasmücke statistisch hoch gesichert. Ge- Abb. 45: Mönchsgrasmücke: Summen der Reviere an sechs wöhnlich wurde etwa 15 Jahre nach der Ansiedlung Teichen 1986-2012 (n = 345, r = 0,93, p < 0,001). – Eura- das Bestands-Maximum erreicht (s. Teiche Kacherien sian Blackcap: sums of territories at six ponds 1986-2012. und Langendorf; Abb. 46, 47b). Die anhaltende Verdichtung in den Strauch- und Baumhorizonten

16 Reviere Dominanz [%] ließ danach die Bestände wieder sinken. Am viel- 14 gestaltigen Kameruner Gewässer mit Hecken, Baumreihen und Strauchgruppen setzte erst nach 12 zwei Jahrzehnten ein kaum merkbarer Rückgang 10 ein (Abb. 47a). 8

6 16 4 Kamerun 14 2 12 0 1988 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 10

8 Abb. 46: Mönchsgrasmücke am Teich Kacherien 1988- 6 2012: Reviere und Dominanz in % (Reviere: n = 58, Reviere Anzahl r = 0,86, p < 0,001). – Eurasian Blackcap at the pond of 4 Kacherien 1988-2012: territories and dominance in %. 2 0 Weiden das Schilfröhricht bis auf schmale Reste 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

zurückgedrängt hatten, fehlte der Drosselrohrsänger 9 Langendorf von 2008 bis 2011 ganz. 8 7 4.2.22 Mönchsgrasmücke 6 5 Mit 345 Revieren und einem Anteil von 4,3 % 4 nahm die Mönchsgrasmücke den fünften Platz

Anzahl Reviere Anzahl 3 unter den häufigsten Vogelarten an den Boden- entnahme-Gewässern ein. Fortlaufende Zunahme 2 im Laufe von anderthalb Jahrzehnten kennzeichnet 1 0 die Bestandsentwicklung (Abb. 45); sie steht im 1993 95 97 99 2001 03 05 07 09 11 Zusammenhang mit dem Übergang von niedrigen Busch- in höhere Strauch- und Baumstrukturen Abb. 47a, b: Mönchsgrasmücke Reviere an den Teichen auf Uferpartien und Inseln. Kamerun 1986-2012 (n = 131, r = 0,79, p < 0,001) und Langendorf 1993-2012 (n = 34, r = 0,74, p < 00,1). – Etwa 38 % der Reviere wurden am Teich Kamerun Eurasian Blackcap: territories at the ponds of Kamerun ermittelt. An diesem mit vorgefundenen Sträuchern 1986-2012 and Langendorf 1993-2012. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 173

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 173

4.2.23 Gartengrasmücke 12

Die an Busch- und frühe Strauchstadien gebundene 10

Gartengrasmücke erschien als beständiger Brutvogel 8 – nicht nur am Beispiel-Teich Kamerun (Abb. 48) - mit etwa fünf Jahren deutlich früher als die Mönchs- 6 grasmücke und erreichte nach fortlaufender Zu- Anzahl Reviere Anzahl 4 nahme ebenfalls nach etwa 15 Jahren das Be- standsmaximum. Die Ausbildung hoher, geschlos- 2 sener Strauchstrukturen führte zu einem steilen 0 Abfall der Bestandsgröße, 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

12 Abb. 49: Amsel: Reviere am Teich Kamerun 1986-2012 (n = 163, r = 0,87, p < 0,001). – Common Blackbird: ter- 10 ritories at the pond of Kamerun 1986-2012.

8

6 9 8 Anzahl Reviere Anzahl 4 7 2 6 5 0 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 4 Anzahl Reviere Anzahl 3 Abb. 48 : Gartengrasmücke: Reviere am Teich Kamerun 2 1986-2012 (n = 119) – Garden Warbler: territories at the 1 pond of Kamerun 1986-2012). 0 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 Jahre 4.2.24 Amsel Abb. 50: Nachtigall: Summen der Reviere an vier Teichen in Abhängigkeit vom Alter der Bodenentnahme-Gewässer Den Beispiel-Teich Kamerun besiedelte die Amsel 1986-2012 (n = 89). – Common Nightingale: sums of ter- im dritten Jahr. Nach 15 Jahren wurde die Be- ritories at four ponds depending on the age of the ponds. standshöhe von acht bis elf Revierpaaren erreicht, die dann zwölf Jahre bis zum Ende der Erfassungen mit Schwankungen bestehen blieb (Abb. 49). An

den übrigen Gewässern ohne ältere Busch- und 12 Reviere Dominanz [%] Baumstrukturen erschien die Art fünf bis acht Jahre später; an allen Teichen nahmen die Popula- 10

tionen statistisch hoch signifikant zu. 8

4.2.25 Nachtigall 6

4 An den von Beginn untersuchten vier Teichen war die Nachtigall ab dem fünften Jahr regelmäßiger 2 Brutvogel (Abb. 50). Anfangs lagen die Reviere im 0 Bereich angrenzender Strauch- und Baumreihen 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 sowie an Waldrändern. Das Bestandsmaximum mit neun Revieren erreichte sie im zwölften Jahr, Abb. 51: Wiesenschafstelze am Teich Barnitz 1992-2012: bevor sich die Büsche zu stark verdichteten. Über Reviere und Dominanz in % (n = 37). – Western Yellow den gesamten Erfassungszeitraum war die Zunahme Wagtail at the pond of Barnitz 1992-2012: breeding pairs statistisch nicht gesichert. and dominance in %. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 174

174 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

4.2.26 Wiesenschafstelze 10 Reviere Dominanz [%] 9 Am Beispielteich Barnitz (Abb. 51) entfielen von den 8 1992 bis 2012 ermittelten 37 Revieren knapp die 7 Hälfte auf das zweite Jahrfünft der Teichentwicklung. 6 Nach Ausbildung von Busch- und Baumbeständen 5 auf den Randstreifen brütete die Wiesenschafstelze 4 unregelmäßig auf dem westlich angrenzenden Grün- 3 landgürtel. Über den gesamten Zeitraum war die 2 1 Abnahme statistisch nicht gesichert. 0 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 4.2.27 Buchfink Abb. 53: Bluthänfling am Teich Kacherien 1988-2012: Gewöhnlich war der Buchfink an den Bodenent- Reviere und Dominanz in % in Abhängigkeit vom Ge- nahme-Gewässern erst im 12. bis 15. Jahr Brutvogel. wässeralter (Reviere: n = 18). – Common Linnet at the An dem u. a. mit Büschen, Sträuchern und Bäumen pond of Kacherien 1988-2012: breeding pairs and domi- vorstrukturreichen Teich Kamerun erschien er da- nance in % depending on the age of the ponds (territories: gegen bereits im dritten Jahr (Abb. 52); er zeichnete n = 18). sich durch eine zweieinhalb Jahrzehnte, bis zum Erfassungs-Ende andauernde, statistisch hoch sig- 4,5 nifikante Bestandszunahme aus. 4 3,5 12 3 10 2,5 2 8

Anzahl Reviere Anzahl 1,5 6 1 0,5

Anzahl Reviere Anzahl 4 0 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 2

0 Abb. 54: Bluthänfling: Reviere am Teich Kamerun 1986- 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 2012 (n = 35, r = -0,41, p < 0,05). – Common Linnet: ter- ritories at the pond of Kacherien 1988-2012. Abb. 52: Buchfink: Reviere am Teich Kamerun 1986-2012 (n = 125, r = 0,82, p < 0,001). – Common Chaffinch: ter- ritories at the pond of Kamerun. merun mit älterem, buschähnlichem Randbewuchs nahm der schon vorhandene Bestand im Zuge der Weiterentwicklung in Strauch- und Baumstrukturen 4.2.28 Bluthänfling langsam aber fortlaufend ab (Abb. 54).

Ein typischer Phasensiedler in der Teichentwicklung 4.2.29 Goldammer war der Bluthänfling. Am Teich Kacherien dauerte seine Anwesenheit als Brutvogel vom 5. bis zum An allen Gewässern stieg die Zahl der Goldam- 15. Jahr (Abb. 53) – die Phase der Vegetationssuk- mer-Reviere langsam, aber statistisch hochsignifikant zession, in der auf höheren Uferpartien dichte, an, wie das Beispiel Wulfsahl demonstriert (Abb. niedrige Büsche angeboten wurden. Sobald diese 55). Die Ansiedlung erfolgte hier im achten Jahr, in das Stadium von Hochsträuchern übergingen, nachdem sich erste Büsche gebildet hatten. Die verschwand der Bluthänfling wieder. Dieses „Pha- ausgeprägten Bestandsschwankungen standen senmodell“ galt aber nur für Teiche mit „jungfräu- (auch) im Zusammenhang mit wechselnden Brut- licher“ Vegetationsentwicklung. Am Gewässer Ka- zeit-Wasserständen. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 175

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 175

7 30 Reviere Dominanz [%]

6 25

5 20 4 15 3

Anzahl Reviere Anzahl 10 2

5 1

0 0 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25

Abb. 55: Goldammer: Reviere am Teich Wulfsahl 1986- Abb. 56: Rohrammer am Teich Kacherien 1988-2012: 2012 (n = 55, r = 0,66, p < 0,001). – Yellowhammer: ter- Reviere und Dominanz in % nach dem Gewässeralter ritories at the pond of Wulfsahl 1986-2012. (Reviere: n = 50). – Common Reed Bunting at the pond of Kacherien 1988-2012: territories and dominance in % ac- 4.2.30 Rohrammer cording to the age of the pond.

Mit 707 Revieren und einem Anteil von 8,8 % Rohrkolben von der Wasserseite her bis zum Ende aller Vogelarten war die Rohrammer an den sechs der Erfassungen teilweise als breite, teilweise als Gewässern die häufigste Brutvogelart. Die Säulen- schmale Fläche erhalten. Auf eine ein knappes diagramme für die Bestandsentwicklung an den Jahrzehnt andauernde Phase des Anstiegs bis auf einzelnen Teichen stimmen – mit Ausnahme des 16 Reviere folgte ein nur allmählicher Rückgang Gewässers Barnitz – im Verlauf mit ausgeprägtem bis zuletzt auf etwa 50 %. Die für den gesamten Maximum und einer langen Phase der Abnahme Erfassungszeitraum errechnete Bestandszunahme auf 0 bis 2 Reviere überein. ist statistisch nicht gesichert.

Am Teich Kacherien (Abb. 56) ließen einerseits die 4.2.31 Weitere Arten rasche Ansiedlung von Flatterbinse und Rohrkolben in Horsten und die bei der hier geringen Ausbildung Der Höckerschwan erschien im zweiten oder dritten von Schilfröhricht frühe Verbuschung andererseits Jahr als Brutvogel. War er auf dem ausgedehnten, den Bestand im Laufe von vier Jahren erst schnell röhrichtreichen Teich Barnitz stets mit ein bis zwei ansteigen und dann bis zum Status „Unregelmäßiger Paaren vertreten, so brütete er auf kleineren, Brutvogel“ stark absinken. stärker verbuschten Gewässern wie Kacherien nur unregelmäßig. Dauerte der Rückgang von 22 Revieren auf nur mehr eines am Gewässer Kamerun mit den teilweise Die Entwicklung der Population der Stockente bis zum Erfassungsende erhaltenen Vorstrukturen verlief deutlich nach dem „Maximum-Modell“. Sie an Schilfröhricht zwei volle Jahrzehnte (Abb. 57a), brütete gewöhnlich vom vierten bis sechsten Jahr so sanken an den Teichen Wulfsahl (Abb. 57b), an regelmäßig, auf dem vorstrukturreichen Teich Langendorf (Abb. 57c) und Damnatz (Abb. 57d) Kamerun bereits im ersten Jahr. Knapp ein Viertel die aus jeweils 6 bis 20 Revieren bestehenden Be- der 62 Bruten an den von Beginn untersuchten stände innerhalb von 13 bis 14 Jahren gleichfalls vier Gewässern entfielen auf das siebte und achte auf das niedrigste Niveau. Jahr, davon fünf im siebten Jahr (1992) am Teich Kamerun. Nach starker Uferverbuschung zeigte Am großflächigen Bodenentnahme-Gewässer Barnitz sie sich ab dem 15. Jahr nur noch unregelmäßig. (Abb. 58) zog die Rohrammer Nutzen aus dem im Vergleich zu den anderen Teichen ausgedehnten Die ersten Bruten der Rohrweihe wurden in Barnitz Schilfröhricht an allen Uferabschnitten. Es entwickelte und Wulfsahl im Teichalter von sechs und neun sich zwar erst langsam, blieb dann aber trotz der Jahren festgestellt. Lediglich am Gewässer Kamerun Bedrängung durch Weiden von der Uferseite und brütete sie von Anfang an in den bereits beste- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 176

176 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

25 25 Kamerun WulfsahlWulfsahl

20 20

15 15

10 10 Anzahl Reviere Anzahl Anzahl Reviere Anzahl

5 5

0 0 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 1986 88 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

14 7 LangendorfLangendorf DamnatzDamnatz 12 6

10 5

8 4

6 3 Anzahl Reviere Anzahl Reviere Anzahl 4 2

2 1

0 0 1993 95 97 99 2001 03 05 07 09 11 1995 97 99 2001 03 05 07 09 11

Abb. 57a-57d: Rohrammer: Reviere an den Teichen Kamerun 1986-2012 (n = 190, r = -0,44, p < 0,05) , Wulfsahl 1986-2012 (n = 128), Langendorf 1993-2012 (n = 103, r = -0,76, p < 0,001) und Damnatz 1995-2012 (n = 44). – Common Reed Bunting: territories at the ponds of Kamerun, Wulfsahl, Langendorf and Damnatz.

henden, von Weidenbüschen umgebenen Röh- siebten Jahr an den Teichen. Die Gesamtzahl jähr- richt-Horsten, kehrte aber nach zwölf Jahren nur licher Bruten nahm ständig zu: Waren es in den noch gelegentlich zurück; hier wurden 42 % aller 1990er Jahren noch ein bis drei, stieg sie nach der 38 Bruten nachgewiesen. Jahrtausendwende auf vier bis sechs.

Soweit Horstbäume bereits vorhanden waren, brü- Die Wasserralle stellte sich ab dem vierten und tete der Mäusebussard ab dem sechsten und fünften Jahr auf den Bodenentnahme-Teichen ein. 8 von insgesamt 14 Revieren wurden am Gewässer Kamerun ermittelt. 25 Reviere Dominanz [%]

20 Am Kameruner Teich bezog der Kuckuck bereits im dritten Jahr ein Revier; an anderen Gewässern 15 erschien er ab dem achten Jahr (Wulfsahl). Die Gesamtzahl der Reviere an den sechs Teichen stieg 10 von einem in den 1980er über zwei bis drei in den 1990er Jahren auf drei bis vier in der ersten Hälfte 5 und fünf bis sechs in der zweiten Hälfte des fol- genden Jahrzehnts an; 2010 waren es sogar neun. 0 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 Diese Zunahme verlief ungeachtet der Bestands- abnahme des Teichrohrsängers auf etwa die Hälfte Abb. 58: Rohrammer am Teich Barnitz 1992-2012: Reviere in den letzten 15 Jahren (Abb. 39) – nach eigenen und Dominanz in % (Reviere: n = 192). – Common Reed Beobachtungen hier Hauptwirt des Kuckucks. Bunting at the pond of Barnitz 1992-2012: territories and dominance in %). Je nach Vorhandensein von Vor- und Randstrukturen vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 177

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besiedelte die Rabenkrähe nach vier (Barnitz, Ka- zessionsstadien sowie im Randbereich siedelten: merun) bis neun Jahren (Wulfsahl) die Teiche. Die Gartenbaumläufer, Neuntöter, Schwarzkehlchen, Gesamtpopulation wuchs fortlaufend von jährlich Turmfalke, Kolkrabe u. a. einem Paar 1989 bis1992 über zwei bis vier Paare 1993 bis 1998 und fünf bis sieben Paare 1999 bis Einzelne Bruten etlicher aufgrund von Habitatmangel 2006 auf acht bis neun Paare 2007 bis 2012. gefährdeter Arten standen offenbar im Zusam- menhang mit Brutvorkommen in unmittelbarer Während die Blaumeise an den Teichen Barnitz, Ka- Nachbarschaft, etwa bei Uferschnepfe, Rotschenkel cherien und Wulfsahl erst mit 7-10 Jahren als unre- und Bekassine in der Frühphase der Gewässer; gelmäßiger Brutvogel auftrat, zeigte sie sich am Rebhuhn, Braunkehlchen, Sperbergrasmücke u. a. Gewässer Kamerun erstmals schon im dritten Jahr. wählten Reviere auf Randstreifen.

Sieht man von Bruten der Weidenmeise am Teich Als 1993 am Rande des Teiches Barnitz Bodenaushub Kamerun vom dritten Jahr an ab, so erschienen zwischengelagert wurde, gründeten zehn Paare die ersten Brutpaare von Sumpfmeise und Wei- Uferschwalben für ein Jahr eine Brutkolonie in der denmeise an den Gewässern erst nach mehr als dem Wasser zugewandten Steilwand. 15 Jahren. Je ein Paar Eisvögel brütete 2000 und 2001 in Der Pirol war Brutvogel nur an Gewässern mit mäßig bewachsenen Uferwänden der Teiche Dam- direkt benachbarten Baumbeständen, am Teich natz und Langendorf. Als nach zunehmender Ver- Kamerun ab dem dritten und am Gewässer Barnitz buschung ein freier Anflug nicht mehr möglich ab dem zehnten Jahr. war, wurden die Brutplätze aufgegeben.

Der Sumpfrohrsänger bezog die Ufer der ursprüng- Der von Beginn an reich ausgestattete Teich lich kahlen Gewässer ab dem siebten Jahr, so in Kamerun zog im Laufe seiner Entwicklung Arten Kacherien. Da er außerdem an Seitengräben, Busch - mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen an. Gleich rändern, Wegsäumen und bereits vorhandenen im ersten Jahr 1986 besetzte ein Schellentenweib- Tümpeln Reviere gründete, zeichnete sich an den chen bis in den Juli hinein eine (Brut?)-Höhle am Teichen mit insgesamt jährlich 5-12 Revieren keine Fuße einer meterhohen Steilufer-Wand. Im siebten Zu- oder Abnahme ab. Jahr 1992 brütete ein Rothalstaucherpaar in einem Schilfröhricht-Streifen auf dem Schlickdamm zwi- Etwa 40 % der zusammen 103 Reviere der Klap- schen Nord- und Südbecken. In den Jahren 2002, pergrasmücke fielen auf das Gelände des Kameruner 2008 und 2009 befand sich je ein Sprosser-Revier Teiches mit den vielgestaltigen Randstrukturen. Im in einer wasserseitig mit Weidenbüschen und land- Zuge der Ausbildung lichter Busch- und Strauch- seitig mit dornenbewehrten Sträuchern bestandenen bestände stieg die Zahl der Revierpaare an den Uferpartie. Ein Raubwürger-Paar brütete 1992 er- Gewässern bis zur Jahrtausendwende auf insgesamt folgreich in einer Altpappel, jagte aber stets über fünf bis sechs und danach mehrfach auf acht an. dem noch offenen Ufergelände.

Die Dorngrasmücke mit zusammen 121 Revieren zog Nutzen aus den Pflanzungen von Sträuchern 5 Diskussion auf Randstreifen. Waren es in den 1980er Jahren noch jeweils ein bis drei Revierpaare, erhöhte sich 5.1 Vegetationssukzession und Vogelbestands- die Anzahl in den folgenden beiden Jahrzehnten entwicklung auf jährlich fünf bis acht; 2011 waren es 14. Für viele Vogelarten war eine mehr oder weniger Eine Vielzahl von Vögeln trat im Laufe der Teich- starke Bindung an bestimmte Vegetationsstrukturen entwicklung vereinzelt bis unregelmäßig als Brutvögel in der Teichentwicklung bezeichnend. So deckten auf (Tab. 5). Dazu gehörten solche verbreiteten sich die Maxima z. B. von Teichrohrsänger (Abb. Arten, zu deren Habitaten nicht ausdrücklich Ge- 39-41) und Rohrammer (Abb. 56-58) weitgehend wässer zählen, die aber vor allem in späteren Suk- mit der größten Ausdehnung des Schilfröhrichts; vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 178

178 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

der Bluthänfling (Abb.53) besiedelte Teiche in der Verfärbung des Wassers durch Algen nach hohen Phase mit hohem Anteil von dichten Büschen; Fitis Nährstoffeinträgen führten in einzelnen Jahren (Abb. 37) und Gartengrasmücke (Abb. 48) erreichten dazu, dass Nahrungstiere nicht verfügbar und er- die höchsten Revierzahlen während des frühen reichbar waren; so blieben bestimmte Gewässer, Strauchstadiums. z. B. Wulfsahl (Abb. 16), vorübergehend verwaist.

Die Zeitdauer für die aufeinanderfolgenden Phasen Das Anwachsen der Zwergtaucherkolonie auf neun der Vegetationsstruktur nahm im Laufe der Teich- Brutpaare am Teich Kamerun im vierten Jahr (Abb. entwicklung von Stufe zu Stufe deutlich zu (Tab. 3). 19) ist sicher auch auf die deutliche Zunahme von Entsprechend verlängerten sich auch die Präsenz- Nahrungstieren, insbesondere von Großinsekten- zeiten der an diese Strukturen besonders gebun- larven, zurückzuführen. Der folgende rasche Be- denen Vogelarten. Verschwanden die den kahlen standseinbruch ging einher mit einer starken Al- bzw. kurz bewachsenen Bodengrund bevorzugen- genblüte, die den Tauchern den Beuteerwerb er- den Pioniere wie Flussregenpfeifer (Abb. 30, 31) schwerte, sowie mit der Ansiedlung des Rothals- und Austernfischer (Abb. 26) schon nach wenigen tauchers und dann vor allem des Haubentauchers Jahren, so hielt sich der eine eher schüttere Pflan- im Zuge der Ausbildung von Röhricht. Am kleineren zendecke liebende „Sekundärpionier“ Kiebitz (Abb. Teich Kacherien mit der fast über zweieinhalb Jahr- 27-29) bis zu einem ganzen Jahrzehnt. Bestände zehnte gleich bleibenden Anzahl von zwei Brutpaaren der (Schilf-)Röhricht und Gebüsch bewohnenden des Zwergtauchers (Abb. 20) veränderten sich das Arten waren durch jeweils längere Perioden von Angebot und die Erreichbarkeit von Nahrung im Zu- und Abnahmephasen gekennzeichnet, wie u. verbliebenen offenen Wasser mit einem ausrei- a. bei Teichrohrsänger (Abb. 39-41), Drosselrohr- chenden Rohrkolbenbestand trotz eines zuneh- sänger (Abb. 42-44), Rohrammer (Abb. 56-58) menden Strauch- und Baumbewuchses auf den sowie Fitis (Abb. 37) zu erkennen. Siedler von Inseln und an den Ufern offenbar kaum. Zudem Strauch- und Baumstadien, wie z. B. Ringeltaube fehlten andere Taucherarten als Konkurrenten. (Abb. 32), Mönchsgrasmücke (Abb. 45-47) und Buchfink (Abb. 52), nahmen bis zum Ende der Er- Das Ausbleiben des Teichhuhns im ersten Jahrzehnt fassungen im Bestand zu. nach Schaffung der Gewässer (Abb. 23) kann auch im Zusammenhang mit einem anfangs hohen Bläss- Die folgenden Artenbeispiele zeigen, dass vielfach huhn-Bestand (Abb. 24-25) und der bei spärlicher besondere, auch von der Teichentwicklung unab- Vegetation auf den vergleichsweise kleinen Was- hängige Einflüsse auf die Entwicklung von Vogel- serflächen mangelnden Möglichkeit, dieser Art Populationen einwirkten. So stand das Anwachsen auszuweichen, stehen. Ein Drittel aller Brutpaare des Graugans-Bestandes an den untersuchten wurde auf dem an Altstrukturen und Winkeln rei- Teichen (Abb. 11) offenbar auch im Zusammenhang chen Teich Kamerun ermittelt. Die weitere Be- mit dem allgemeinen Anstieg der Mittelelbe-Popu- standzunahme verlief gegenläufig zum Einbrechen lation in dieser Zeit (MEIER-PEITHMANN 2009), obwohl der Blässhuhn-Population. in manchen Jahren besonders an waldrandnahen Gewässern der Waschbär Procyon lotor der Graugans Insgesamt fällt die gegenüber vergleichbaren Ge- spürbare Verluste zufügte, wie etwa am Teich wässern besonders in früheren Jahrzehnten (MEIER- Barnitz (Abb. 12). PEITHMANN 1977, REETZ 2006, SCHUMACHER 2012 u. a.) schnelle Entwicklung des Vogelbestandes mit Dass die Schnatterente die noch kahlen Teiche rascher Folge des Auftretens (und Verschwindens) bereits ab dem zweiten Jahr besiedelte (Abb. 13), vieler Arten auf, was als Folge einer beschleunigten hängt mit ihrer Nistweise zusammen: Die Gelege Vegetationssukzession interpretiert werden kann. stehen gewöhnlich bis mehrere Meter von der Was- Die ist offenbar zurückzuführen auf einen vermehrten serlinie entfernt auf hohem, bewachsenem Ufer. Eintrag von Nährstoffen, vor allem von Stickstoff. Alle Teiche liegen inmitten der landwirtschaftlich Die Zunahme von Reiherenten-Bruten (Abb. 14) intensiv genutzten Dannenberger Marsch und sind war offensichtlich die Folge reichen Angebotes direkt umgeben von Feldern und Grünland mit re- submerser animalischer Nahrung. Trübung und gelmäßiger starker Düngung. Auch wenn bisher vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 179

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keine Messdaten an den betroffenen Teichen sich im ersten Vierteljahrhundert durch die schwung- erhoben wurden, so weisen eindrückliche Anzeichen volle Vogelbestandsentwicklung stark gewandelt. auf hohe Belastungen hin: regelmäßige Wasserver- Sieht man den Anteil von Arten der Roten Liste als färbungen durch Algen (Wulfsahl, Kamerun, Barnitz), entscheidendes Bewertungskriterium, so erlangten Gülleschlammdecke auf der Wasseroberfläche (Bar- die Gewässer im ersten Jahrzehnt der Teichent- nitz, Damnatz u. a.) und „Verbrennungen“ von wicklung ihre höchste Bedeutung. Es kam zu einer Ried und Röhricht (Langendorf); Messergebnisse schnellen Zunahme, der eine langsame, aber be- vom direkt benachbarten Penkefitzer See bekräftigen ständige Abnahme folgte. diese Annahme (BIOSPHÄRENRESERVATSVERWALTUNG NIE- DERSÄCHSISCHE ELBTALAUE, pers. Mitt.). Auch an diesem Betrachtet man die Diversität als vorrangig, so alten Elbarm im Deichhinterland hat in den zurück- nahm die Bedeutung über den gesamten Erfas- liegenden beiden Jahrzehnten die Verbuschung sungszeitraum zu. Doch deuten die Daten an den großer Teile von Ufer und Röhricht die Vogelwelt von Beginn untersuchten Teichen darauf hin, dass stark verändert (MEIER-PEITHMANN i. Vorb.). nach mehr als 25 Jahren Gewässerentwicklung der Höhepunkt erreicht wurde. Die Diversitäts- Die Entwicklung vor allem der Population des Dros- Indizes an einzelnen Gewässern stiegen nicht weiter selrohrsängers in der Dannenberger Elbtalaue (Abb. an, schwankten oder sanken (2010)2011-2012 42) wurde offenbar maßgeblich von der Nähr- (Abb. 10). Dieser vorläufige Befund bedarf noch stofffracht beeinflusst. Nach dem Zusammenbruch der Bestätigung in den kommenden Jahren. der Population dieses auf dicke, starke Halme an- gewiesenen Rohrsängers (GLUTZ VON BLOTZHEIM & So sind Bodenentnahme-Gewässer kleine Vogel- BAUER 1992) infolge Vitalitätseinbußen nährstoff- paradiese, die vor allem im ersten Jahrzehnt be- geschädigter alter Röhrichte in Alt- und Nebenge- standsgefährdete Arten fördern und auf Dauer die wässern der Elbe (PLINZ 1992, MEIER-PEITHMANN Diversität der Vogelgemeinschaft erhöhen. Sie bieten 1969-2002, MEIER-PEITHMANN & ZANG 2005), boten vielen der 30 häufigsten Arten der Agrarlandschaft die jungen Röhricht-Bestände der neuen Teiche vorübergehend oder dauerhaft Lebensraum, deren mit zunächst stabilen Halmen geeigneten Habitat- Bestandstrends nach FLADE et al. (2012) für 1991- Ersatz. Er begnügte sich auch mit nährstoffresis- 2010 deutlich abwärts gerichtet sind, wie u. a. tenteren Rohrkolben-Beständen, die sich auf diesen Bluthänfling, Kiebitz, Feldschwirl, Goldammer, Ku- Gewässern teilweise neben und anstatt von Schilf- ckuck, Feldlerche und Sumpfrohrsänger. In einer röhricht ausbreiteten. Zeit, in der „die Ziele des Biodiversitätsschutzes zu- nehmend zwischen der hektischen Klima-, Ener- 5.2 Bedeutung der Bodenentnahme-Gewässer gie- und Agrarpolitik zerrieben werden“ (FLADE als Vogellebensräume 2012), bilden Bodenentnahme-Gewässer Oasen der Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Die Bodenentnahme-Teiche sind „im Hinblick auf die anthropogene Überformung ihrer Entstehung 5.3 Vogelbestandsentwicklungen im Vergleich den so genannten Bracks vergleichbar, die sich beim Bruch der von Menschen errichteten Deiche 5.3.1 Gehölz-Rückschnitte vor z. T. langer Zeit bildeten. Sie stellen wertvollen Lebensraum dar, deren ‘künstlichen’ Ursprung Die stürmische Entfaltung insbesondere von Wei- heute niemand mehr vermutet“ (WILKENS 2006). den-Arten im Zuge der Vegetationssukzession, also die Ufer- und Insel-Verbuschung, wirkte sich auf Die vogelreichen, anfangs zumeist offenen Was- die Entwicklung der Brutvogelbestände an den serblänken werden inzwischen als „(Hoch-)Wald- neuen Gewässern maßgeblich aus. Damit ging vor inseln“ in der durch Mais- und Rapsanbau stre- allem ein Austausch von Vogelarten der Roten ckenweise eintönigen und artenarmen Marsch- Liste durch häufigere Waldvogelarten einher. An landschaft wahrgenommen. zwei Teichen versuchte man, diesen Prozess mit Gehölz-Rückschnitten zu unterbrechen. Die Bedeutung der seit Mitte der 1980er Jahre in der Dannenberger Elbaue geschaffenen Teiche hat So wurden im Winter 2009 am Gewässer Kacherien vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 180

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Foto 18: Südwestwinkel des Kacheriener Tei- ches 2012, drei Jahre nach dem Freischnitt von wasserseitigen Sträuchern und Ästen. Foto: Wilhelm Meier-Peithmann. – Southwest corner of pond Kacherien 2012, three years after cutting bushes and branches on the wa- ter side.

Foto 19: Naturbelassener Nordwestabschnitt des Kacheriener Teiches 2012. Foto: Wilhelm Meier-Peithmann. – Natural north-western part of the pond of Kacherien 2012.

im Ostabschnitt und im südwestlichen Teil ufernahe brüteten und Junge führten, weitgehend gemieden. und im Wasser stehende Sträucher sowie auf den So zeigten die Eingriffe in diesem fortgeschrittenen Teich ragende Äste und Zweige u. a. von Silberweiden Stadium der Teichentwicklung mindestens bislang und Schwarzerlen entfernt. Ziel war, die Sonnenein- nicht die erhoffte Wirkung. strahlung zu verbessern, u. a. um die hier rückläufige Population der Rotbauchunke Bombina bombina Im Winter 2010 wurden am Teich Barnitz die bis wieder anzuheben. Foto 18 zeigt den freigeschlagenen zu 10 m hoch gewachsenen Weiden auf der Ring- Südwestwinkel des Gewässers nach drei Jahren und insel und auf dem Mittelabschnitt des Südufers Foto 19 den naturbelassenen Nordwestabschnitt im komplett zurück geschnitten, um Röhricht-Bewoh- Vergleich: Der Eingriff hinterließ eine kahle, de- nern Lebensraum zurückzugeben. Doch schon bis ckungslose Wasserfläche zwischen verbliebenen 2012 waren die offenbar mit einem breiten Wur- Hochstämmen ohne nennenswert nachgewachsene zelgeflecht ausgestatteten Weiden wieder auf 2-3 Ufervegetation. Dieser Bereich wurde, mindestens m Höhe ausgelaufen. Die Maßnahme blieb in den bis 2012, sowohl von Lurchen als auch von Graugans, folgenden Jahren ohne bedeutsame Auswirkungen Stockente, Tafelente, Reiherente, Zwergtaucher, Bläss- auf die Populationsgrößen einzelner Vogelarten huhn und Teichhuhn, die in den Jahren davor hier und avifaunistische Kenngrößen. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 181

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Foto 20: Teichanlage Langendorf. Angelteich mit regelmäßig zurückgeschnittenen Weiden sowie zerteiltem und begrenztem Schilfröh- richt 2012. Foto: Wilhelm Meier- Peithmann. – Ponds at Langendorf. Fishpond with regularly cut willow trees and divided and controlled reeds, 2012.

Foto 21: Teichanlage Langendorf. Naturteich mit Schilfröhricht und Weiden sowie Weißer Seerose Nymphaea alba und Wasser-Hah- nenfuß 2006. Foto: Wilhelm Meier-Peith- mann. – Natural pond with reeds, willow trees, European white waterlily and common water-crowfoot 2006.

5.3.2 Naturteiche – Angelteiche Ein ähnliches Verhältnis boten die Rote-Liste-Arten: Die Zahl der Reviere pro Teilgewässer betrug im Auf der Mitte der 1980er Jahre errichteten Lan- Mittel an den Naturteichen 2,3 und an den Angel- gendorfer Teichanlage wurden von 1993 bis 2012 teichen nur 1,0 (t = 14,81; p < 0,001, n = 20). An Unterschiede in der Entwicklung der Vogelbestände beiden Gewässern kam es zur Abnahme der Re- auf Teilflächen, die der Angelfischerei dienten, hier vierzahlen, die sich jedoch nur für die naturbelas- kurz Angelteiche genannt (Foto 20), im Vergleich senen Gewässer als statistisch gesichert erwies zu naturbelassenen Teichen (Foto 21) ermittelt. (Abb. 60). Während hier eine starke Verbuschung Mit durchschnittlich 12,8 gegenüber 5,4 Vogelre- von Ufern und Inseln durch Weiden und Erlen die vieren pro Gewässer war der Brutbestand an den Zahlen sinken ließ, blieb sie bei den Angelteichen Naturteichen deutlich mehr als doppelt so hoch auf niedrigem Niveau annähernd gleich. Ausschlag- wie an den im Durchschnitt ähnlich großen Angel- gebend dafür war die Rote-Liste-Art Drosselrohr- teichen. In den zwei Jahrzehnten nahm die Revierzahl sänger, dem die verbliebenen Horste von Schilf- statistisch nicht gesichert an den naturbelassenen röhricht und Reste von Weidenbüschen mit der Gewässern zu und an den Angelteichen ab (Abb. offen gehaltenen Wasserfläche augenscheinlich 59). ausreichten. Die durchschnittliche Revierzahl des vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 182

182 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

25 Naturteiche Angelteiche betrug 0,70 bzw. 0,18 Reviere (Abb. 63). Für das Blässhuhn wurden je Naturteich 0,76 und je An- 20 gelteich 0,35 Brutpaare ermittelt (Abb. 64).

15 Graugans, Enten-Arten, Zwergtaucher, Kranich, Teichhuhn u. a. fehlten an den genutzten Teichen 10 ganz. Insgesamt ließ der Angelbetrieb die Diversität Anzahl Reviere Anzahl des Vogelbestandes deutlich sinken. 5 5.3.3 Unterschiedlich gestaltete Teilgewässer 0 1993 95 97 99 2001 03 05 07 09 11 Am Bodenentnahme-Teich Barnitz unterschieden Abb. 59: Teichanlage Langendorf: Durchschnittliche jährli- sich die Vogelbestände der beiden unterschiedlich che Revierzahlen pro Teich für Naturteiche und für Angel- gestalteten Gewässerhälften erheblich. Der wald- teiche 1993-2012 (Naturteiche: n = 1.026; Angelteiche: n randnahe, die Ringinsel einschließende Ostteil (Foto 7) = 213). – Ponds at Langen dorf: average annual numbers of wies mit durchschnittlich 45,6 Rev./a mehr als doppelt territories 1993-2012, per natural pond and per fishpond. so viele Reviere wie die offene Westhälfte mit im Durchschnitt 21,5 Rev./a auf (t = 11,50; p < 0,001,

5 Naturteiche Angelteiche n=21). Für beide Abschnitte wurden statistisch hoch gesicherte Zunahmen ermittelt (Abb. 65), vor 4 allem für die Wasser-, Wat- und Röhrichtvögel. Ab etwa 2010 begannen die Werte zu sinken, was u. a. 3 mit der der Ausbreitung von Rohrkolben zu Lasten von Schilfröhricht und dem Übergang von Strauch- 2 in Baumstadien im Zusammenhang stehen könnte. Anzahl Reviere Anzahl Im Verlauf der Gewässerentwicklung wurde die Dif- 1 ferenz zwischen den Revierzahlen Ost und West sta- tistisch hoch gesichert immer größer (Abb. 66). 0 1993 95 97 99 2001 03 05 07 09 11 Offenbar wurde das im Laufe der Gewässerent- Abb. 60: Teichanlage Langendorf: Durchschnittliche jähr- wicklung mögliche Potential für Reviere dieser liche Revierzahlen von Arten der Roten Liste pro Teich für Teichbewohner besonders im westlichen Abschnitt Naturteiche 1993-2012 (n = 221, r = -0,50, p < 0,05) und für Angelteiche (n = 40). – Ponds at Langendorf: ave- 1,4 rage annual numbers of territories of red-data species, per Naturteiche Angelteiche natural pond and per fishpond 1993-2012. 1,2 1

Drosselrohrsängers war je Angelteich mit 0,38 0,8 durchschnittlich höher war als je Naturteich mit 0,23, der Unterschied ist jedoch nicht gesichert 0,6 Anzahl Reviere Anzahl (Abb. 61). 0,4

0,2 Der Teichrohrsänger reagierte dagegen auf die 0 Zersplitterung und Begrenzung von Schilfröhricht 1993 95 97 99 2001 03 05 07 09 11 und Weidengebüsch am Ufer der Angelteiche mit geringerem und abnehmendem Bestand: Die Anzahl Abb. 61: Drosselrohrsänger an der Teichanlage Langen- der Reviere lag im Mittel je Naturteich bei 1,31 dorf: Durchschnittliche jährliche Revierzahlen pro Teich und je Angelteich 0,85 (Abb. 62). Auch die Gar- für Naturteiche (n = 19) und für Angelteiche (n = 15) tengrasmücke brütete an den Angelteichen nur 1993-2012. – Great Reed Warbler at the ponds of Lan- noch unregelmäßig. Das Verhältnis der durch- gendorf: average annual numbers of territories per natural schnittlichen Revierzahl je Natur- bzw. Angelteich pond and per fishpond 1993-2012. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 183

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3,5 1,8 Naturteiche Angelteiche Naturteiche Angelteiche 1,6 3 1,4 2,5 1,2 2 1

1,5 0,8

Anzahl Reviere Anzahl Reviere Anzahl 0,6 1 0,4 0,5 0,2 0 0 1993 95 97 99 2001 03 05 07 09 11 1993 95 97 99 2001 03 05 07 09 11

Abb. 62: Teichrohrsänger an der Teichanlage Langendorf: Abb. 63: Gartengrasmücke an der Teichanlage Langen- Durchschnittliche jährliche Revierzahlen pro Teich für Na- dorf: Durchschnittliche jährliche Revierzahlen pro Teich turteiche (n = 105) und für Angelteiche (n = 35) 1993- für Naturteiche (n = 56) und für Angelteiche (n = 7) 2012. – Eurasian Reed Warbler at the ponds of Langendorf: 1993-2012. – Garden Warbler at the ponds of Langendorf: average annual numbers of territories per natural pond average annual numbers of territories per natural pond and per fishpond 1993-2012. and per fishpond 1993-2012.

1,8 80 Halbgewässer "ohne" Gestaltung (West) Naturteiche Angelteiche Halbgewässer mit Ringinsel (Ost) 1,6 70

1,4 60 1,2 50 1 40 0,8 30

0,6 Reviere Anzahl Anzahl BrutpaareAnzahl 0,4 20 0,2 10 0 0 1993 95 97 99 2001 03 05 07 09 11 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

Abb. 64: Blässhuhn an der Teichanlage Langendorf: Abb. 65: Teich Barnitz: Jährliche Anzahlen der Vogelre- Durchschnittliche jährliche Brutpaarzahlen pro Teich für viere in der Osthälfte (n = 958, r = 0,81, p < 0,001) bzw. Naturteiche (n = 61) und für Angelteiche (n = 14) 1993- der Westhälfte (n = 450, r = 0,80, p < 0,001) 1992- 2012. – Common Coot at the ponds of Langendorf: ave- 2012. – Pond Barnitz: annual numbers of territories in the rage annual numbers of breeding pairs per natural pond eastern and the western part 1992-2012. and per fishpond 1993-2012.

des Gewässers mit ausgedehnter Wasserfläche stieg (Abb. 67). Als Erklärung kann angeführt wer- noch nicht ausgeschöpft. Im Durchschnitt der Jahre den, dass unter den Pionieren und Frühsiedlern, 1992 bis 2012 siedelten in der Osthälfte fast die vor allem die kahle Ringinsel und die anfangs doppelt so viele Revierpaare der Wasser-, Wat- schütter bewachsene Zone zwischen Ufer und und Röhricht-Vögel wie in der Westhälfte (27,9 Waldrand im Ostteil bezogen hatten, viele gefährdete bzw. 15,0 Rev./a). Arten, wie Kiebitz, Bekassine, Braunkehlchen, Wie- senschafstelze, Schilfrohrsänger u. a., waren, die Die Unterschiede waren bei den Rote-Liste-Arten nach Ausbreitung von Schilf- und Rohrkolbenröhricht kaum erkennbar: Im Mittel gab es in der Osthälfte hier wieder verschwanden. Andererseits bot die 5,8 und in der Westhälfte 5,6 Reviere je Jahr. Im Westhälfte mit der offenen Wasserfläche besonders gesamten Untersuchungszeitraum nahm die Anzahl dem Drosselrohrsänger weiterhin Lebensraum, und von Revieren der Rote-Liste-Arten im Ostteil leicht zudem erwies sich die Grünbrache hinter dem ab, während sie im Westabschnitt sogar etwas an- Westufer u. a. für Wiesenpieper, Braunkehlchen, vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 184

184 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

45 18 West Ost 40 16 35 14 30 12 25 10 20 8

Anzahl Reviere Anzahl 15 Reviere Anzahl 6 10 4 5 2 0 0 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 1992 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12

Abb. 66: Teich Barnitz: Differenzen zwischen den jährlichen Abb. 67: Teich Barnitz: Jährliche Anzahlen der Reviere Anzahlen der Vogelreviere in der Osthälfte bzw. der West- von Rote-Liste-Arten in der Osthälfte (n= 122) bzw. der hälfte 1992-2012 (n = 508, r = 0,71, p < 0,001). – Pond Westhälfte (n=118) 1992-2012. – Pond Barnitz: annual Barnitz: differences between the annual numbers of terri- numbers of territories of red-data species in the eastern tories in the eastern and the western part 1992-2012. (n=122) and the western part (n=118), 1992-2012.

Feldlerche und Wiesenschafstelze als regelmäßiger Die Gewässer-Verbuschung sowohl im Vorland als Brutplatz. auch im Deichhinterland der Mittleren Elbe hat in- zwischen so hohes Ausmaß angenommen, dass Das arithmetische Mittel der jährlichen Diversitäts- gemeinhin von einer Salix-Revolution im Elbtal ge- Indizes war in der vielgestaltigen Osthälfte 1,5- sprochen wird. Sie ist die Folge eines hohen Nähr- mal so hoch wie in der Westhälfte. Für beide Ge- stoffeintrages in die Umwelt. wässerteile nahm die Diversität über den gesamten Erfassungszeitraum statistisch hoch signifikant zu Bei der Gestaltung von Bodenentnahme-Gewässern (Abb. 68). Im Ostteil vergrößerte sich der Abstand können Vorkehrungen getroffen werden, die eine durch steileren Anstieg bis zum Schluss. durch Nährstofffracht beschleunigte Vegetations- entwicklung hinauszögern. Dazu sind möglichst Die Gewässer-Gestaltungen am Teich Barnitz wirkten große Anlagen mit ausgedehnter Wasserfläche sich dauerhaft weniger auf die Zahl der Rote-Liste- und tiefen Partien erforderlich. Bepflanzungen, Arten als vielmehr auf die Höhe der Diversität aus.

5 Halbgewässer "ohne" Gestaltung (West) 5.4 Gestaltung und „Pflege“ von Bodenent- Halbgewässer mit Ringinsel (Ost) nahme-Teichen 4

Die Gestaltung von Bodenentnahme-Teichen sollte 3 sich an naturnahe Gewässerstrukturen des dyna- mischen Elbstroms wie Altwässer, Flutrinnen, Deich- 2 bruchteiche, Qualmwässer usw. orientieren. Je Diversitätsindex stärker die Teiche mit Inseln, Halbinseln, Buchten, 1 wechselnden Wassertiefen, Randbepflanzungen 0 usw. ausgestattet wurden, umso höher erwiesen 1990 1995 2000 2005 2010 2015 sich die Diversität und der Anteil von Rote-Liste- Arten. Im Zuge der weiteren Vegetationssukzession Abb. 68: Teich Barnitz: Jährliche Diversitäts-Indizes für zog sich die Annäherung der Avizönose der Bo- die Vogelwelt in der Osthälfte (n = 958 Reviere; r = 0,85, denentnahme-Gewässer an eine Waldavizönose p < 0,001) bzw. der Westhälfte (n = 450 Reviere, r = um so länger hin, je mehr Gewässerfläche zur Ver- 0,76, p < 0,001) 1992-2012. – Pond Barnitz: annual di- fügung stand und je mehr Lebensraum gestaltet versity indices of the avifauna in the eastern and western wurde. part 1992-2012. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 185

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insbesondere von Weiden-Arten in Ufernähe, sind 7 Summary – Population Trends of Bree- auf ihre Sinnhaftigkeit und Folgen zu prüfen. ding Birds at Ponds on former Excavation Sites in the Elbe River Biosphere Reserve Maßnahmen zur Gewässer-„Pflege“ können das in . Ziel haben, Vegetations-Stadien für eine gewisse Zeit zu erhalten oder das Gewässer auf frühere In the Central European man-made landscape, nu- Phasen, im Extremfall auf den Primärzustand, zu- merous artificial bodies of water providing bird rückzuführen. Ein Zwischenstadium in der Abfolge habitats were created on former excavation sites. von Ufervegetation und Grünland zu Waldgesell- In the Elbe River Biosphere Reserve in Lower Saxony schaften beizubehalten, gelang anderenorts an such ponds, created since the middle of the 1980s, künstlichen Gewässern im Tal der mittleren Elbe enabled a more than 25-year-long survey of the durch eine gleich einsetzende, dauerhafte, ganz- settlement of breeding birds from its very beginning. flächige Beweidung (WILKENS 2006). Rückschnitte The dynamic development of the avifauna followed erwiesen sich nur dann als sinnvoll, wenn sie im the partly overlapping stages of re-vegetation: frühen Buschstadium einsetzten und regelmäßig bare soil (1) – pioneer plants (2) – reeds (3) - low fortgesetzt wurden. Noch höheren Aufwand und bushes (4) - high shrubs (6) - transition from shrubs Kosten verursacht die Rückführung auf den Aus- to woodland (7). Compared to earlier decades, gangzustand mit Hilfe schweren Gerätes. the accumulation of nutrients, especially of nitrogen, in the surrounding arable land and grassland, ob- Bodenentnahme-Gewässer mit freier Entfaltung viously accelerated the succession of vegetation. der Biozönose bereichern das von intensiver Land- The surveyed ponds partly differed in size, form, bewirtschaftung geprägte, weithin offene Stromtal water and land proportion, surviving older habitat der mittleren Elbe. Sie sind in der eingedeichten structures, surroundings, distance to the river Elbe, Marsch Inseln einer natürlichen Auenentwicklung. conservation state, vegetation at the water’s edge Einst hat die dynamische Elbe bis weit in das and use of the ponds. heutige Hinterland der Deiche die Landschaft fort- laufend gestaltet, in der Sukzessionsprozesse immer From 1986-1992 to 2012, a total of 93 species wieder neu einsetzten. Heute kann man Artenvielfalt was counted at six of the 5 to 10 ha large ponds. unterschiedlicher Sukzessionsstadien erreichen und With the exception of the pond of Kamerun in an erhalten, wenn in Abständen neue Gewässer ge- old side channel with reeds, bushes and trees, the schaffen werden. annual number of species increased in the areas surveyed up to 2012. The numbers of new species per year rose especially from the 3rd to the 7th year, 6 Dank following the fast development of vegetation: at Frau M.-L. Ebeling von der Biosphärenreservats- the pond of Barnitz, 57 % of all the species that verwaltung Niedersächsische Elbtalaue in ever bred there were observed in the first five bereitete Karte und Luftbilder auf und ermittelte years, and 80 % in the first decade. Afterwards the Teilflächengrößen für das Gewässer Barnitz. annual number of new species dropped to 0-2. E. Seebaß, Lüchow, stellte seine Gestaltungunter- lagen für die Errichtung der Bodenentnahme-Teiche All in all 8,040 territories or breeding pairs were zur Verfügung. C. Meier-Peithmann, Bergen an counted. The Common Reed Bunting Emberiza der Dumme, fertigte alle Grafiken an, H. Butz die schoeniclus was the most frequent species (8.8 %), englischsprachigen Textteile. P. Südbeck, Oldenburg, followed by Eurasian Reed Warbler Acrocephalus danke ich für umfassende redaktionelle Beratung. scirpaceus (8.7 %), Common Coot Fulica atra (7.2 %), Willow Warbler Philloscopus trochilus (4.6 %), Eurasian Blackcap Sylvia atricapilla (4.3 %), Common Blackbird Turdus merula (4.3 %), Garden Warbler Sylvia borin (4.2 %), Yellowhammer Emberiza ci- trinella (4.0 %), Skylark Alauda arvensis (3.8 %), and Chaffinch Fringilla coelebs (3.6 %). Also the number of territories or breeding pairs rose quickly vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 186

186 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern 1 2 2 1 1 2 38 80 27 93 36 73 15 28 13 48 38 12 64 17 14 32 15 103 379 124 575 Summe 0,61 0,28 0,06 0,39 0,44 0,11 1,28 0,17 0,33 0,22 2,28 Mittel Damnatz Damnatz 1 1 1 1 2 1 3 1 1 1 4 1995-2012 Max. ,75 0,70 0,25 0,65 0,05 0,25 0,50 0,20 0,10 0,15 0,75 0,05 0,10 0,30 0,80 0,05 0,05 0,35 0,05 0,50 Mittel 2 3 2 1 1 3 2 1 2 2 1 1 1 1 1 1 2 8 1 3 1993-2012 Langendorf Max. 0,95 1,19 0,43 0,57 0,05 0,71 0,95 0,19 0,19 0,19 0,95 0,48 0,19 0,05 0,38 0,48 0,24 0,14 8,81 0,24 0,62 1,05 Mittel Barnitz 2 2 1 2 3 1 2 1 2 5 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1 4 7 1992-2012 12 Max. 0,36 0,88 0,08 0,80 0,28 0,12 0,08 0,08 0,08 1,72 0,04 0,56 0,04 0,32 4,04 0,04 0,80 0,20 Mittel 1 1 3 1 2 2 1 1 1 1 3 1 1 1 2 6 1 3 2 Kacherien 1988-2012 Max. 0,44 0,26 0,11 0,41 0,19 0,41 0,15 0,33 0,11 0,30 0,67 0,26 0,04 0,19 0,11 2,44 0,19 1,81 0,15 0,04 Mittel Wulfsahl 1 1 2 1 1 2 3 1 1 1 1 2 1 1 1 1 6 1 6 1 1 1986-2012 Max. – Territories (breeding pairs) (breeding of sites. at ponds excavation former Territories – 8 8 0,48 0,52 1,19 0,07 0,04 0,11 0,78 0,04 0,04 0,33 0,19 1,15 0,33 0,04 0,59 0,04 0,56 0,07 0,30 0,37 3,96 0,19 0,81 0,26 Mittel Kamerun 1 1 2 2 5 1 1 1 6 1 1 2 1 9 2 1 1 1 1 1 1 2 8 1 3 2 1986-2012 Max. Charadrius dubius Charadrius Podiceps Podiceps cristatus Podiceps grisegena Podiceps Cygnus Cygnus olor Haematopus ostralegus Haematopus Buteo buteo Buteo Anas strepera Tachybaptus ruficollis Tachybaptus Milvus migrans Limosa limosaLimosa Rallus aquaticus Circus aeruginosus Aythya fuligula Aythya Gallinula Gallinula chloropus Bucephala Bucephala clangula Fulica atra Anas Anas clypeata Phasianus colchicusPhasianus Anas platyrhynchos Anser anser Anser Anas querquedula Perdix perdix Perdix Aythya ferina Aythya Milvus milvus Coturnix coturnix Grus grus Grus Vanellus vanellus Vanellus Art Höckerschwan Graugans Schnatterente Stockente Knäkente Löffelente Tafelente Reiherente Schellente Wachtel Jagdfasan Rebhuhn Zwergtaucher Haubentaucher Rothalstaucher Rohrweihe Rotmilan Schwarzmilan Mäusebussard Kranich Wasserralle Teichhuhn Blässhuhn Austernfischer Kiebitz Flussregenpfeifer Uferschnepfe Tab. 5: Brutreviere (-paare) an den Bodenentnahme-Teichen. denan Bodenentnahme-Teichen. (-paare) 5: Brutreviere Tab. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 187

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 187 5 2 5 4 1 7 3 1 3 5 9 4 27 83 28 50 27 30 35 57 48 10 277 113 113 304 370 Summe 1,17 1,44 0,06 0,50 0,11 0,28 0,26 0,06 0,44 0,06 0,33 0,06 0,72 0,39 0,83 0,44 0,11 0,06 3,78 Mittel Damnatz Damnatz 1 4 1 2 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1 2 2 1 1 1995-2012 10 Max. 2,85 0,10 1,00 0,10 0,25 0,60 0,35 0,35 0,35 1,15 0,40 0,85 0,55 0,05 3,05 1,80 Mittel 6 1 2 1 1 1 2 1 1 2 1 2 2 1 6 5 1993-2012 Langendorf Max. 0,67 0,05 0,05 0,09 4,10 0,05 0,09 1,05 0,52 0,05 0,33 0,29 0,10 0,19 0,57 0,57 0,52 0,48 0,95 1,24 Mittel Barnitz 1 1 1 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 3 2 1 7 1 4 1992-2012 10 Max. 0,05 0,05 2,84 0,12 0,24 0,05 0,05 0,20 0,16 0,36 0,24 1,00 0,08 0,68 0,20 0,12 0,12 1,36 1,68 Mittel 1 1 1 8 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1 2 1 1 1 4 5 Kacherien 1988-2012 Max. 0,04 0,04 0,89 0,04 0,63 0,04 0,22 0,22 0,07 0,19 0,52 0,30 0,30 0,19 2,78 1,78 Mittel Wulfsahl 1 1 3 1 2 1 1 1 1 1 1 2 2 1 5 6 1986-2012 Max. 0,07 2,85 0,22 0,74 0,04 0,04 0,48 0,04 0,48 0,30 0,04 0,15 0,44 0,96 0,07 0,74 1,67 0,63 0,04 0,15 1,74 0,11 5,56 Mittel Kamerun 2 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 1 2 5 2 1 1 5 1 1986-2012 10 13 Max. Aegithalos caudatus Riparia riparia Parus montanus Parus Lanius excubitor Parus palustris Parus Tringa totanus Tringa Remiz pendulinus Columba Columba palumbus Corvus corone Picus viridis Dryobates minor glandarius Garrulus Streptopelia turtur Streptopelia Dendrocopos major Dendrocopos Jynx torquilla Columba oenas Columba Parus major Parus Lanius collurio Parus caeruleus Parus Alauda arvensisAlauda Gallinago gallinago Gallinago Corvus corax Cuculus canorus Alcedo atthis Pica pica Pica Oriolus oriolus Phylloscopus Phylloscopus trochilus Art Bekassine Rotschenkel Hohltaube Ringeltaube Turteltaube Kuckuck Eisvogel Wendehals Grünspecht Buntspecht Kleinspecht Pirol Neuntöter Raubwürger Elster Eichelhäher Rabenkrähe Kolkrabe Beutelmeise Kohlmeise Blaumeise Sumpfmeise Weidenmeise Feldlerche Uferschwalbe Schwanzmeise Fitis Tab 5: Fortsetzung. Tab vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 188

188 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern 3 1 9 7 1 3 2 10 86 79 30 44 59 28 22 15 29 261 290 170 696 345 335 103 121 342 146 Summe 1,78 1,22 0,28 7,83 0,11 0,22 2,72 1,67 0,28 0,44 0,20 0,17 0,11 1,56 0,22 0,06 0,61 0,11 0,11 0,06 Mittel Damnatz Damnatz 5 5 5 1 1 2 7 4 2 2 2 1 1 4 1 1 2 1 1 1 1995-2012 14 Max. 1,90 2,35 0,75 7,00 1,70 0,75 1,70 3,15 0,65 0,40 0,30 0,60 2,35 0,15 0,15 0,30 0,10 0,60 0,60 Mittel 5 5 4 7 3 8 6 2 1 3 3 7 2 1 2 1 3 2 1993-2012 14 Langendorf Max. 0,71 2,57 0,05 0,43 0,33 1,71 0,10 1,67 0,95 0,24 0,76 0,19 1,10 0,38 0,29 0,24 0,57 Mittel Barnitz 2 2 1 2 5 1 4 2 2 4 2 3 1 2 1 2 1992-2012 20 Max. 1,64 1,72 1,04 0,96 0,40 2,32 2,24 0,88 0,68 0,08 0,36 0,08 2,00 0,36 0,28 0,04 0,20 0,44 0,08 0,48 Mittel 5 5 5 5 6 3 9 6 3 3 1 2 1 5 1 2 1 2 2 1 4 Kacherien 1988-2012 Max. 1,41 1,56 0,19 1,74 3,52 0,26 0,44 1,41 1,74 0,04 0,59 1,11 0,04 0,04 1,15 0,44 0,22 0,04 1,11 1,11 0,04 Mittel Wulfsahl 5 5 7 2 6 1 1 6 6 1 2 4 1 1 5 1 2 1 3 1 1 1986-2012 15 Max. 3,59 3,04 0,15 2,52 4,93 0,26 1,33 4,85 4,41 0,07 1,56 1,56 0,52 0,59 0,19 6,04 0,15 0,85 0,48 0,30 0,11 2,59 0,30 0,11 Mittel Kamerun 9 9 6 2 9 2 3 1 4 5 4 3 1 1 2 1 2 1 6 2 2 1986-2012 11 14 11 10 Max. Sylvia atricapilla Sylvia Sylvia nisoria Sylvia currucaSylvia Certhia brachydactyla Certhia Acrocephalus arundinaceus Sylvia borin Sylvia Turdus pilaris Turdus Saxicola torquata Saxicola Acrocephalus Acrocephalus palustris Prunella modularis Prunella Acrocephalus schoenobaenus Acrocephalus Sylvia communisSylvia Acrocephalus Acrocephalus scirpaceus Saxicola rubetra Saxicola Turdus viscivorus Turdus Passer domesticusPasser Erithacus rubecula Passer montanus Passer Hippolais icterinaHippolais Turdus philomelos Turdus Locustella naevia Troglodytes troglodytes Troglodytes Luscinia megarhynchos Luscinia luscinia Phylloscopus collybitaPhylloscopus Turdus merula Turdus Sturnus vulgaris Art Zilpzalp Feldschwirl Schilfrohrsänger Sumpfrohrsänger Teichrohrsänger Drosselrohrsänger Gelbspötter Mönchsgrasmücke Gartengrasmücke Sperbergrasmücke Klappergrasmücke Dorngrasmücke Gartenbaumläufer Zaunkönig Star Misteldrossel Amsel Wacholderdrossel Singdrossel Braunkehlchen Schwarzkehlchen Rotkehlchen Sprosser Nachtigall Heckenbraunelle Haussperling Feldsperling Tab 5: Fortsetzung. 5: Tab vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 189

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 189 6 1 1 13 29 51 16 91 119 291 324 707 8.040 Summe 0,06 0,17 0,28 1,50 0,28 0,06 0,67 2,44 Mittel Damnatz Damnatz 1 1 2 1 3 1 1 4 6 1995-2012 Max. 1,05 0,20 2,35 0,40 0,10 0,50 3,30 5,15 Mittel 3 1 6 3 1 3 7 1993-2012 13 Langendorf Max. 0,10 0,19 1,86 0,19 1,52 0,58 1,10 9,14 Mittel Barnitz 1 1 6 1 3 2 5 1992-2012 16 Max. 0,08 0,12 0,04 1,08 0,64 0,16 0,72 2,24 2,00 Mittel 1 1 2 1 4 4 1 4 6 Kacherien 1988-2012 11 Max. 0,89 0,19 1,22 0,19 0,19 0,56 2,04 4,74 Mittel Wulfsahl 3 3 1 4 2 1 2 8 1986-2012 22 Max. 0,37 1,07 0,37 4,63 0,04 0,04 0,77 0,19 1,30 4,15 7,04 Mittel Kamerun 1 1 3 2 9 1 1 2 1 4 1986-2012 10 22 Max. Motacilla Motacilla flava Anthus pratensis Anthus Carduelis cannabinaCarduelis Anthus trivialis Emberiza citrinella Emberiza Emberiza Emberiza schoeniclus Coccothraustes coccothraustes Motacilla alba Motacilla Carduelis chloris Carduelis Fringilla coelebs Carduelis carduelis Carduelis Pyrrhula pyrrhula Pyrrhula Art Baumpieper Wiesenpieper Wiesenschafstelze Bachstelze Buchfink Kernbeißer Gimpel Grünfink Stieglitz Bluthänfling Goldammer Rohrammer (-paare) Summe aller Brutreviere Tab 5: Fortsetzung. 5: Tab vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 190

190 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

in the first years, for example from only few a typical phase settler. At the pond of Kacherien, breeding pairs in the first year to 65 at the pond of for example, it was only present during the bush Wulfsahl and to 133 at the pond of Kamerun, the phase from the 5th to the 15th year. Many typical numbers depending on the size and development pond species like Little Grebe, Common Coot, Eu- of the ponds. rasian Reed Warbler and Common Reed Bunting showed different population trends depending on 31.2 % of all species and 14.5 % of all breeding the various forms and developments of the ponds. pairs were red-data species. After a fast increase in red-data territories in the first five years approxi- The increase in the population of Greylag Goose mately (at the pond of Kacherien the maximum of Anser anser from one to at least nine breeding 60 % was already reached in the third year), num- pairs paralleled the growing breeding population bers began to drop continuously, at first very in the region of the Middle Elbe. Diving species quickly. This development must be seen in con- like Tufted Duck and Little Grebe obviously profited nection with the expansion of bushes and shrubs. from rich submersed animal nutrition in the early In the beginning, it especially affected early settling phase of the ponds, but temporarily suffered sharp species such as Northern Lapwing Vanellus vanellus, declines because of algae clouding the water. The Little Grebe Podiceps ruficollis, Skylark and Western Common Crane Grus grus first settled after 15 Yellow Wagtail Motacilla flava. After 15 years no years, when besides reed Phragmites australis also further red-data species were observed at the willow shrubs Salix spec. had spread on the islands pond of Kacherien. and at the water’s edge. As long as the island in the pond of Barnitz was still bare and afterwards The population development at all ponds was cha- merely covered by low pioneer plants, up to seven racterized by an increase in diversity, which – Little Ringed Plover pairs bred there besides Northern except for the pond of Kamerun – was statistically Lapwing and Eurasian Oystercatcher in 1993. The highly significant. The highest regression coefficient loss of habitat of Great Reed Warbler Acrocephalus of the annual diversity indices was determined for arundinaceus in the Elbe river meadows of Dan- Barnitz, a pond with vast stretches of water and nenberg, due to reeds damaged by nutrients, was reeds and a ring-shaped island. compensated for by the young reeds of the new ponds, and ten territories were counted in 1997. The majority of bird species could be assigned to particular types of population trends closely con- Conservation measures, such as partially cutting nected with the different vegetation stages during shrubs and bushes in order to keep particular the development of the ponds. Examples of absolute ponds open, did not have the intended effect. decrease were early settling species of open land- Carried out during advanced stages of development, scape such as Little Ringed Plover Charadrius cutting left bare trunks on the banks. After cutting dubius, Northern Lapwing, Eurasian Oystercatcher at an early stage, however, willows immediately Haematopus ostralegus, Skylark and Meadow Pipit began to shoot anew. These measures remained Anthus pratensis. Reed birds such as Eurasian Reed without any measurable effects on the avifauna. Warbler and Common Reed Bunting and certain In other areas of the Elbe valley, constant grazing, water birds such as Gadwall Anas strepera and which started early, was a successful method to Tufted Duck Aythya fuligula showed trend curves stop the expansion of bushes. with a maximum in the first half of the period of survey. Representatives of species with maxima in Compared to fishponds, natural ponds held 2.5 the second half were species dependent on bush times more territories. Also the number of red- and early shrub structures such as Willow Warbler, data breeding birds was more than twice as high. Garden Warbler and Yellowhammer. The numbers Greylag Goose, duck species, Little Grebe, Common of Common Wood Pigeon Columba palumbus, Coot, Common Crane and others only settled at Common Chiffchaff Phylloscopus collybita, Eurasian natural ponds. One half of an extended pond with Blackcap, Common Blackbird, Common Chaffinch a ring-shaped island, bordering on the edge of a and others rose up to the end of the survey. The wood, had twice as many territories and a diversity Common Linnet Carduelis cannabina proved to be 1.5 times higher than the other half, which was vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 191

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simply provided with a sweeping shore line. berger ornithol. Jber. 1-16. MEIER-PEITHMANN, W. (1991): Das Vogeljahr der Elbe. Lü- The more bays, peninsulas, islands, depths and chow. shallows, and vegetation at its edge a pond had, MEIER-PEITHMANN, W. (1997): Vogelleben in der Elbaue. Lü- the higher were in general the numbers of territories, chow. the proportion of red-data species, abundance MEIER-PEITHMANN, W. (1977): Die Brutvögel des Naturschutz- and diversity. In order to prevent a rapid development gebietes „Bracks bei Predöhlsau“. Jh. Heimatk. Ar- of vegetation and thus sustain the avifauna of beitskr. Lüchow-Dannenberg 6: 55-67. half-open ponds, it is advisable to endow such ar- MEIER-PEITHMANN, W., W. PLINZ & H.-J. KELM (2002): Vogel- tificial ponds with extended water surfaces and kundlicher Bericht 1994-2001 für den Landkreis Lü- deep parts and to reduce willow plantations. chow-Dannenberg. Lüchow-Dannenberger ornithol. Jber. 15/16: 9-398. Constant and in some cases diminishing diversity MEIER-PEITHMANN, W., & H. ZANG (2005): Drosselrohrsänger indices at single ponds from 2010 to 2012 may in- – Acrocephalus arundinaceus. In: ZANG, H., H. HECKEN- dicate that after the development of a quarter of a ROTH & P. SÜDBECK (2005): Die Vögel Niedersachsens, century the numbers of bird populations will not Drosseln, Grasmücken, Fliegenschnäpper. Nat.schutz rise any more. Landsch.pfl. Niedersachs. B, H. 2.9. MEIER-PEITHMANN, W. (2009): Grauganskinder in Höcker- Ponds as products of excavation measures enrich schwanfamilien (Anser anser, Cygnus olor). Beitr. Natkd. the Elbe marsh, which is flanked by dykes and Niedersachs. 62: 57-63. characterized by intensive agriculture. They replace NIEMEYER, H. (1974): Statistische Auswertungsmethoden. the former bodies of water and supplement the In: BERTHOLD, P., E. BEZZEL & G. THIELCKE (Hrsg.): Praktische remaining ones, which were once formed by the Vogelkunde. S. 68-108. Greven. dynamic river Elbe in today’s dyke hinterland. The OELKE, H. (1974): Siedlungsdichte. In: BERTHOLD, P., E. BEZZEL characteristic biodiversity of different stages of & G. THIELCKE (Hrsg.): Praktische Vogelkunde. S. 33-44. succession of a river landscape can be obtained or Greven. preserved by creating new ponds at intervals. PLINZ, W. (1992): Der Drosselrohrsänger (Acrocephalus arun- dinaceus) im Kreis Lüchow-Dannenberg. Lüchow-Dan- nenberger ornithol. Jber. 13: 28-52. 8 Literaturverzeichnis PLINZ, W. (2006): 30 Jahre Vogelschutz in den Pevestorfer Wiesen – eine Bilanz. In: NATURSCHUTZBUND DEUTSCHLAND, BARTHEL, P. H., & A. J. HELBIG (2005): Artenliste der Vögel LANDESVERBAND HAMBURG (Hrsg.): Naturschutz in der Elb- Deutschlands. Limicola 19: 89-111. talaue: 64-79. Hamburg. FLADE, M. (2012): Von der Energiewende zum Biodiversi- PUFFAHRT, O. (1985): Deichbau im Dannenberger Deichver- täts-Desaster – zur Lage des Vogelschutzes in Deutsch- band 1975-1985. Wasserwirtschaftsamt Lüneburg. land. Vogelwelt 133: 149-158. REETZ M. (2006): Lebensraumverbesserung durch Biotop- FLADE, M., J. SCHWARZ & S. TRAUTMANN (2012): Bestandsent- gestaltung und -management. In: NATURSCHUTZBUND wicklung häufiger deutscher Brutvögel 1991-2010. Vo- DEUTSCHLAND, LANDESVERBAND HAMBURG (Hrsg.): Natur- gelwarte 50: 307-309. schutz in der Elbtalaue: 44-59. Hamburg. GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N., & K. M. BAUER (1992): Handbuch SACHS, L. (1974): Angewandte Statistik. 4. Aufl., Berlin. der Vögel Mitteleuropas. Bd. 12/1: Passeriformes (3. SCHUMACHER, H.-U. (2012): Die Brutvögel der Kleientnah- Teil). Wiesbaden. mestelle in der Winsener Marsch – Ergebnisse einer HERRMANN, S., K. KÜHNE & A. HOCH (2011): Bestandsent- Brutbestandsaufnahme von 2000 bis 2011. Hamburger wicklung des Weißsternigen Blaukehlchens Luscinia avifaunist. Beitr. 40: 119-148. svecica cyanecula in der Kiesgrube Katharinenried. Apus SÜDBECK, P., H. ANDRETZKE, S. FISCHER, K. GEDEON, T. SCHIKORE, 16: 47-54. K. SCHRÖDER & C. SUDFELDT (Hrsg.; 2005): Methoden- KRÜGER, T., & B. OLTMANNS (2007): Rote Liste der in Nieder- standards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands. sachsen und Bremen gefährdeten Brutvögel - 7. Fas- Radolfzell. sung, Stand 2007. Inform. d. Nat.schutz Niedersachs. SÜDBECK, P., H.-G. BAUER, M. BOSCHERT, P. BOYE & W. KNIEF 27: 131-175. (2007): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands. 4. Fas- MEIER-PEITHMANN, W. (Hrsg.; 1969-2002): Lüchow-Dannen- sung. Ber. Vogelschutz 44: 23-81. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 192

192 MEIER-PEITHMANN: Brutvögel an Bodenentnahmegewässern

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Vogelmonitoring im Venner Moor (Landkreis Osnabrück): 32-jährige Untersuchungen (1980-2011)

Gerhard Kooiker

KOOIKER, G. (2013): Vogelmonitoring im Venner Moor (Landkreis Osnabrück): 32-jährige Un- tersuchungen (1980-2011). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43: 193-208.

Zwischen 1980 und 2011 wurden die Brutvögel eines stark abgetorften und teilweise be- waldeten Hochmoores, dem Venner Moor, in zehn Untersuchungsjahren untersucht. Auf 76 Kontrollgängen entlang der 3,16 km langen Taxierungsstrecke wurden insgesamt 66 Brutvo- gelarten registriert. Über diesen Zeitraum hat die Artenzahl der Brutvögel signifikant zuge- nommen und zwar von 32 (1980) über 40 (1997) auf 47 (2011) Vogelarten. Von der Vernäs- sung des Gebietes profitierten Wasservögel (Blässhuhn, Brand-, Grau-, Kanada-, Nilgans, Teichhuhn) sowie Vögel der Feucht- und Heidegebiete (Blaukehlchen, Flussregenpfeifer, Großer Brachvogel, Kiebitz, Schwarzkehlchen, Wiesenschafstelze), von denen die meisten Arten das NSG Venner Moor erst in den letzten 10 Jahren besiedelt haben. Die Feldlerche ist die einzige Vogelart, die das Gebiet in diesem Zeitraum verlassen hat.

Die dominierende Vogelart entlang der Zählstrecke im NSG Venner Moor war in allen Jahren der Fitis, gefolgt von Rotkehlchen, Buchfink, Zaunkönig und Zilpzalp. Zu den häufigen Arten mit zum Teil jährlich wechselnden Rangfolgen gehörten auch Baumpieper, Amsel, Mönchs- und Gartengrasmücke sowie Ringeltaube. Die Trendanalyse der Brutbestandsentwicklung ergab, dass über den gesamten Untersuchungszeitraum bei den 25 ausgewerteten Vogelarten die Abnahmen überwogen: Für 10 Arten wurden positive Trends (4 signifikant: Dorngrasmü- cke, Gartenrotschwanz, Mönchsgrasmücke, Pirol) und für 15 Arten negative (7 signifikant: Amsel, Goldammer, Heckenbraunelle, Rotkehlchen, Singdrossel, Turteltaube, Weidenmeise) berechnet. Die Bestände von Kuckuck (-11 %), Baumpieper (-13 %) und Fitis (-15 %) haben sich über den 32-jährigen Zeitraum nur unwesentlich verändert. Für das letzte Jahrzehnt überwogen dagegen positive Entwicklungen der Bestände (12 von 23 Arten). Insbesondere bei Baumpieper, Fitis, Gartengrasmücke und Rohrammer gab es erfreulicherweise mindestens seit 2005 eine Trendumkehr.

G. K., Alfred-Delp-Str. 107, D-49080 Osnabrück

Einleitung Sammelberichten, Gutachten und Veröffentlichun- gen vor (u. a. WEBER 1977, SCHREIBER 1990, SCHU- Hoch- und Niedermoore waren einstmals für Nie- MACHER 1999, KOOIKER 2000a, 2000b, BLÜML 2007, dersachsen typisch. Sie sind inzwischen auf spärliche BLÜML & TIEMEYER 2008). Erst in jüngster Zeit legte Reste zusammengeschrumpft und gehören zu den BLÜML (2011) eine flächendeckende Kartierung der Lebensräumen mit negativer Vogelbilanz (ZANG Brutvögel vor. 2003). Avifaunistische Daten aus solchen Lebens- räumen (auch Abtorfungs- und Wiedervernäs- Im Venner Moor besteht seit 1980 ein Monito- sungsflächen, sekundäre Moorwälder) sind daher ring-Programm, in dem der Brutvogelbestand in sehr wertvoll, um Veränderungen in der Vogelwelt unregelmäßigen Abständen mit Hilfe der Linientax - zu dokumentieren. Das Venner Moor als Teil des ierung untersucht wird. In dieser Arbeit werden zwischen Hunteburg und Vörden gelegenen Großen die bereits bei KOOIKER (1981, 1992, 2000a) nie- Moores gehört inzwischen zu den am besten avi- dergelegten Ergebnisse der Venner-Moor-Studie faunistisch untersuchten Hochmooren Niedersach- fortgeschrieben, um den aktuellen Stand wieder- sens. Über das Moor liegen zahlreiche Daten in zugeben. Nach der letzten Erfassung im Jahre vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 194

194 KOOIKER: Vogelmonitoring im Venner Moor

2011 liegen nunmehr aus einem Zeitraum von 32 Pflanzendecke, wie Moos- (Vaccinium oxycoccus) Jahren Daten vor, so dass eine Auswertung lang- und Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea), Rosmari- fristiger Veränderungen einiger Vogelarten sinnvoll en- (Andromeda polifolia), Glocken- (Erica tertralix) erscheint. Die vorliegende Auswertung konzentriert und Heidekraut (Calluna vulgaris), daneben Rund- sich auf 25 Vogelarten, für die eine ausreichende blättriger Sonnentau (Drosera rotundifolia) und Datenlage eine Ermittlung von Bestandstrends verschiedene Torfmoosarten (Sphagnum spp.). Zwi- möglich macht. Über weitere langfristige Erhebungen schen den Birkenbruchwäldern liegen kleine ver- an Brutvögeln in Hochmooren und Folgelandschaf- buschte oder mit Pfeifengras (Molinia caerulea) ten über einen ähnlich langen Zeitraum ist mir bestandene nasse Wiesenbrachen. nichts bekannt. Das Offenland ist ein sehr dynamisches Gebilde und zeigt Jahr für Jahr ein anderes Gesicht, da Untersuchungsgebiet große Bereiche nach wie vor abgetorft werden. Das Venner Moor ist ca. 500 ha groß und bildet Die maschinell abgetorften Moorböden sind je den Südteil des überwiegend abgetorften, ehemals nach Abtorfungszeitpunkt braun und vegetationslos 42 km² umfassenden Großen Moores. Es liegt 25 (mit und ohne Torfhaufen) oder überflutete mit km nördlich von Osnabrück und 4 km nördlich Wollgräsern (Eriophorum angustifolium, E. vagi- vom Mittellandkanal zwischen Vörden und Hunte- natum) bestandene und mit Entwässerungsgräben burg (MTB 3515/3, Hunteburg; Koordinaten: 52° durchzogene Pfeifengraswiesen, z. T. mit Schwing- 27' N / 08° 08' E.; s. auch BLÜML 2011 ). Rund 220 rasen. Wieder andere Flächen sind mit jungem ha des Venner Moores wurden im Jahre 1983 als Gehölzaufwuchs bestanden. Je nach Abtorfungsgrad Naturschutzgebiet (NSG) ausgewiesen (vgl. KOOIKER und Niederschlagsmenge stehen größere Flächen 1981, SCHREIBER 1990, BLÜML 2011). Das NSG besitzt unter Wasser, die aber meist im Laufe des Sommers die Form eines langgestreckten Rechtecks (Länge trocken fallen. 4 km, durchschnittliche Breite 550 m, max. Breite 700 m). Seit 1987 werden große Bereiche des NSG Venner Moores unter der Koordinierung des NABU Osna- Das Venner Moor ist ein geschädigtes, vorentwäs- brück überwiegend durch ehrenamtliche Helfer sertes und zum größten Teil abgetorftes Hochmoor. renaturiert (BLÜML 2007). Dabei wurde im westlichen Restbestände von typischen Hochmoorarten halten Teil eine 11 ha große Moorwaldfläche gerodet sich nur noch an wenigen Standorten. Im Bereich und im östlichen Teil ein 10 ha großer Birkenbestand der alten Handtorfstiche und der entwässerten überstaut, so dass die Bäume abstarben. Im Zuge Randzone dominieren mit Kiefern (Pinus sylvestris) dieser Aktionen entstanden ab Mitte der 1990er durchsetzte Birkenbruchwälder (Betula pubescens). Jahre im östlichen Teil in den ehemaligen Hand- Hier wachsen auch vereinzelt größere, etwa 100- torfstichen mehrere ökologisch wertvolle Moorge- jährige Altkiefern. Nur an wenigen Stellen beherbergt wässer mit ganzjährig offenen Wasserflächen. Der das Moor noch spärliche Reste der ursprünglichen Waldanteil hat sich von 58 % (1980), über 45 %

Tab. 1: Flächenanteile im NSG Venner Moor (220 ha) von 1980 bis 2011. – Habitat composition in the „Venner Moor“ (220 ha) from 1980 to 2011.

1980 1990 1999 2011 Biotoptyp (ha) (%) (ha) (%) (ha) (%) (ha) (%) Birkenbruchwald 127 58 98 45 98 45 76 35 Torfabbaufläche 71 32 82 37 78 35 25 11 Grünland 20 9 14 6 6 3 6 3 Grünlandbrache * 0 0 4 2 10 4 5 2 Regenerationsflächen ** 2 1 22 10 28 13 108 49

* Pfeifengraswiesen, z.T. verbuscht, ** Hochmoor, Heide, Kahlschlag, Pfeifengras, Wasserflächen vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 195

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(1990, 2000) auf 35 % (2011) deutlich verringert. (alter Kiefern-/Birkenbruchwald, junger Birkenauf- Im gleichen Zeitraum nahm der Offenlandanteil wuchs, Heide- und Pfeifengrasmoor, Torfabbauflä- (Heide, Pfeifengrasmoor, Torfabbau-, Wiederver- chen) des Venner Moores, um ein breites Spektrum nässungs-, Kahlschlag- u. Wasserflächen) von 42 % der „Moor-Avifauna“ abzudecken. Im Jahre 2011 (1980) auf 65 % (2001) zu (vgl. auch Tab. 1). Der führte die Route zu 57,1 % durch Offenland (ein- Gehölzaufwuchs auf den rund 20 ha großen seitig angrenzend Wald) und zu 42,9 % durch Flächen muss jedoch ständig durch Pflegeeinsätze Wald. entfernt werden. Die heutige Situation des Venner Moores hat sich durch diese Maßnahmen gegenüber Die Daten der Brutvögel wurden von Ende März der der 1980er Jahre deutlich verbessert. Mehr In- bis Mitte Juni jeweils auf sieben bis neun Kontroll- formationen über die Vegetationsverhältnisse liefern gängen pro Saison erhoben. Mit Ausnahme von WEBER (1977), KOOIKER (1981, 2000a), SCHUMACHER zwei Begehungen in der Abenddämmerung be- (1999) und BLÜML (2007, 2011). Die wichtigsten gannen sie bei Sonnenaufgang und dauerten 90 Flächentypen des NSG Venner Moores und ihre Minuten (Durchgangszeit: 30 min/km). Alle Beob- prozentualen Änderungen über den Zeitraum 1980 achtungen von Vögeln mit Revier anzeigenden bis 2011 sind Tab. 1 zu entnehmen. Merkmalen (s. auch OELKE 1980) wurden beiderseits des Linientransektes ohne Erfassungsgrenzen pro- Nach vogelkundlichen Gesichtspunkten lässt sich tokolliert. Der größte Teil der Feststellungen erfolgte das Venner Moor grob in vier Avizönosen einteilen akustisch. Das Ergebnis einer Kartiersaison ist die und diese mit fünf dominanten Vogelarten nach Zahl der Paare bzw. Reviere für jede Vogelart. Le- Häufigkeit charakterisieren: diglich beim Eichelhäher bezog ich mich auf Indi- viduen. a) alter Kiefern-/Birkenwald: Fitis, Rotkehlchen, Buchfink, Zaunkönig, Zilpzalp, Von den insgesamt 66 entlang dieser Zählstrecke erfassten Brutvogelarten (Tab. 2) wurden 25 Vo- b) junger Birkenbruchwald (mit Randbereichen): gelarten ausgewählt, deren Bestände hoch genug Fitis, Zilpzalp, Baumpieper, Gartengrasmücke, waren, um sie sinnvoll auszuwerten (Tab. 3-5). Bluthänfling, Einige Arten mit sehr geringen Abundanzen und/oder unregelmäßigem Vorkommen sowie sol- c) Heide, Pfeifengrasmoor, Wiedervernässungsflä- che, die mit der angewandten Methodik nur un- chen (mit Randbereichen): Baumpieper, Gold- zureichend erfasst werden können, in einzelnen ammer, Wiesenpieper, Rohrammer, Wiesen- Jahren auch fehlend, wurden nicht zu einer Beur- schafstelze, teilung (Trendanalyse) herangezogen (u. a. Gelb- spötter, Grauschnäpper, Haubenmeise, Klapper- d) junge Torfabbauflächen (z. T. mit Torfhaufen grasmücke, Misteldrossel, Trauerschnäpper, Sumpf- und temporär überflutet): Bachstelze, Wiesen- und Tannenmeise), ebenfalls einige naturschutzre- pieper, Kiebitz, Steinschmätzer, Flussregenpfei- levante Arten mit ansprechenden Bestandsgrößen fer. (u. a. Bachstelze, Bluthänfling, Kiebitz, Steinschmät- zer, Wiesenpieper, Wiesenschafstelze). Die letzt- genannten Arten konnten entlang der Route mit Material und Methode dieser Methode nur unzureichend erfasst werden Das NSG Venner Moor wird von mir seit 1979 avi- und wurden daher gesondert kartiert (weitere Ein- faunistisch bearbeitet. Zwischen 1980 und 2011 zelheiten s. KOOIKER 1992, 2000a). führte ich in den Jahren 1980, 1982, 1990, 1994, 1997, 1999, 2004, 2005, 2009 und 2011 insgesamt Für die 25 betrachteten Vogelarten wurden für zehn Untersuchungen mit der Methode der Lini- jede Kartiersaison die Mittelwerte errechnet. Diese entaxierung durch (vgl. REICHHOLF & SCHAACK 1986, setzten sich aus den auf allen Kontrollgängen er- BIBBY et al. 1995, BAUER & MITSCHKE 2005, KOOIKER fassten und summierten Revieren einer Art dividiert 2007). Route und Startpunkt wurden über alle durch die Zahl der „gültigen Kontrollen“ zusammen. Jahre hinweg konstant gehalten. Die Wegstrecke Die Zahl der „gültigen Kontrollen“ ist die Zahl, bei (3.160 m) berührte alle bedeutenden Lebensräume denen ein Vogel einer gegebenen Art potentiell vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 196

196 KOOIKER: Vogelmonitoring im Venner Moor

Tab. 2: Die Brutvögel des Venner Moores (1980-2011), ermittelt auf 76 Kontrollgängen entlang der Taxierungsstrecke (3,16 km). – Breeding birds recorded in the „Venner Moor” from 1980 to 2011 on a line transect of 3,16 km.

Art 1980 1982 1990 1994 1997 1999 2004 2005 2009 2011 Amsel Turdus merula x x x x x x x x x x Bachstelze Motacilla alba x x x x x x x x x x Baumpieper Anthus trivialis x x x x x x x x x x Baumfalke Falco subbuteo ? x ? ? x ? Blässhuhn Fulica atra x ? x x Blaukehlchen Luscinia svecica x x x Blaumeise Parus caeruleus x x x x x x x x x x Bluthänfling Carduelis cannabina x x x x x x x x x x Brandente Tadorna tadorna x x x Buchfink Fringilla coelebs x x x x x x x x x x Buntspecht Dendrocopos major x x x x x x x x x Dorngrasmücke Sylvia communis x x x x x x x x Eichelhäher Garrulus glandarius x x x x x x x x x x Fasan Phasianus colchicus x x x Feldlerche Alauda arvensis x x x x x x Fitis Phylloscopus trochilus x x x x x x x x x x Flussregenpfeifer Charadrius dubius x x x x x x Gartenbaumläufer Certhia brachydactyla x x x Gartengrasmücke Sylvia borin x x x x x x x x x x Gartenrotschwanz Phoenicurus phoenicurus x x x x x x x Gelbspötter Hippolais icterina x x x x Goldammer Emberiza citrinella x x x x x x x x x x Graugans Anser anser x Grauschnäpper Muscicapa striata x x x x x x x Großer Brachvogel Numenius arquata x x x x Habicht Accipiter gentilis x x x x x x x x ? Haubenmeise Parus cristatus x ? ? x x Heckenbraunelle Prunella modularis x x x x x x Kanadagans Branta canadensis x x x x Kernbeißer Coccothraustes coccothraustes x Kiebitz Vanellus vanellus x x x x Klappergrasmücke Sylvia curruca x Kleiber Sitta europaea x x Kleinspecht Dryobates minor ? x x x Kohlmeise Parus major x x x x x x x x x x Krickente Anas crecca x x x x x x x x x Kuckuck Cuculus canorus x x x x x x x x x x Mäusebussard Buteo buteo ? x x x x x x x x x Misteldrossel Turdus viscivorus x x x x x x Mönchsgrasmücke Sylvia atricapilla x x x x x x x x x x Nilgans Alopochen aegyptiaca x x x x Pirol Oriolus oriolus x x x x x x Rabenkrähe Corvus corone x x x x x x x x x x Ringeltaube Columba palumbus x x x x x x x x x x Rohrammer Emberiza schoeniclus x x x x x x x x x x vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 197

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Tab. 2: Fortsetzung.

Art 1980 1982 1990 1994 1997 1999 2004 2005 2009 2011 Rotkehlchen Erithacus rubecula x x x x x x x x x x Schwanzmeise Aegithalos caudatus x x x x x x x x Schwarzkehlchen Saxicola rubicola x x x Schwarzspecht Dryocopus martius ? x Singdrossel Turdus philomelos x x x x x x x x x x Sperber Accipiter nisus x x ? x x ? ? Steinschmätzer Oenanthe oenanthe x x x x x x x x x x Stockente Anas platyrhynchos x x x x x x x x x x Sumpfmeise Parus palustris x x x ? x Tannenmeise Parus ater x x x ? Teichralle Gallinula chloropus x x x x Trauerschnäpper Ficedula hypoleuca x x x Turmfalke Falco tinnunculus ? x x ? ? x ? ? Turteltaube Streptopelia turtur x x x x x x x Wacholderdrossel Turdus pilaris x x ? ? x Weidenmeise Parus montanus x x x x x x x x x x Wiesenpieper Anthus pratensis x x x x x x x x x x Wiesenschafstelze Motacilla flava x x x x x x Wintergoldhähnchen Regulus regulus x Zaunkönig Troglodytes troglodytes x x x x x x x x x x Zilpzalp Phylloscopus collybita x x x x x x x x x x Summe (Arten) 32 35 38 37 40 41 51 52 52 47

beobachtet werden konnte. Dies ist besonders bei Ergebnisse Lang- und Mittelstreckenziehern wichtig. Hierbei a) Artendynamik und Dominanz: blieben auch die Kontrollgänge unberücksichtigt, die auf einen Zeitpunkt fielen, an dem erst wenige Zwischen 1980 und 2011 wurden in zehn Unter- Vögel einer Art eingetroffen waren, sich also der suchungsjahren auf insgesamt 76 Kontrollgängen Brutbestand einer Zugvogelart noch in der Auf- 66 Brutvogelarten entlang der 3,16 km langen Ta- bauphase befand – wie es oft bei Fitis, Zilpzalp, xierungsstrecke registriert (Tab. 2). Über diesen Baumpieper, Mönchs- und Gartengrasmücke der Zeitraum hat die Artenzahl der Brutvögel signifikant Fall war. (p < 0,05, r = 0,910) zugenommen und zwar von 32 (1980) über 40 (1997) auf 47 (2011) Vogelarten Zur Analyse der Bestandstrends wurden die Daten (Tab. 2). Von der Vernässung des Gebietes profi- mithilfe der linearen Regressionsanalyse ausgewertet. tierten überwiegend Wasservögel (Blässhuhn, Brand- Die Revierzahlen aller Jahre wurden nach dem , Grau-, Kanada-, Nilgans, Teichhuhn) sowie Vögel Kolmogorov-Smirnov-Test auf Normalverteilung ge- der Feucht- und Heidegebiete (Blaukehlchen, Fluss- testet. Der Korrelationskoeffizient r wurde auf Sig- regenpfeifer, Großer Brachvogel, Kiebitz, Schwarz- nifikanz gegen Null zweiseitig (p < 0,05) geprüft kehlchen, Wiesenschafstelze), von denen die meisten (Freiheitsgrade = n - 2). Da eine Normalverteilung Arten das NSG Venner Moor erst in den letzten gegeben ist, wurde die (etwas strengere) Pearson- zehn Jahren besiedelt haben. Unregelmäßig (nicht Korrelation verwendet (vgl. SACHS 1997). jedes Jahr) wurden Fasan, Gartenbaumläufer, Gelb- spötter, Haubenmeise, Kleinspecht, Misteldrossel, Sumpfmeise, Trauerschnäpper und Wacholderdrossel vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 198

198 KOOIKER: Vogelmonitoring im Venner Moor

Tab. 3: Die auf allen Kontrollgängen (n = 76) von 1980 bis 2011 auf der Linientaxierung erfassten Reviere von 25 Brut- vogelarten. Lesebeispiel Fitis: Auf allen 76 Kontrollgängen wurde ein Mittelwert von 41,3 Revieren errechnet, der niedrigste Jahresmittelwert betrug 31 (2009) und der höchste 61 (1999) Reviere. Am 24.04.1999 wurde mit 75 Revieren (singenden Männchen) der höchste Wert aller Kontrollgänge ermittelt. – Total of recorded territories of 25 breeding bird species on a total of 76 line transect counts from 1980 to 2011. Example Willow Warbler: On all 76 counts an average of 41.3 territories was calculated. The lowest mean was 31 (2009) and the highest 61 (1999). On 24.4.1999 the highest count ever revealed 75 territories.

Art Mittelwert (a) niedrigster Wert (b) höchster Wert (c) absolut höchster Wert (d) Fitis 41,3 31 (2009) 61 (1999) 75 (24.04.1999) Rotkehlchen 17,5 11 (2004) 23 (1980) 42 (27.05.1980) Buchfink 15,1 10 (1982) 19 (1999) 30 (27.03.1994) Zaunkönig 11,6 4 (1997/2011) 18 (1994) 22 (08.05.1994) Zilpzalp 11,4 3 (1982) 19 (1987) 32 (21.03.1997) Baumpieper 8,6 6 (1997) 11 (1990) 15 (30.04.1990) Amsel 7,8 5 (2011) 11 (1980) 20 (27.05.1980) Gartengrasmücke 7,5 3 (2004) 12 (1990/94) 16 (15.05.1990) Ringeltaube 6,5 3 (1982) 10 (2005) 13 (22.05.2005) Kohlmeise 6,0 3 (1990) 10 (1994) 13 (27.03.1982) Goldammer 5,6 3 (2005/2011) 10 (1980) 13 (01.05.1980) Mönchsgrasmücke 5,2 2 (1982) 10 (2011) 13 (08.05.2011) Kuckuck 3,3 2,6 (1997) 4,0 (1994) 5 (16.05.1994) Singdrossel 3,2 1,0 (2011) 6,4 (1990) 13 (15.06.1990) Eichelhäher (Ind.) 3,0 1,6 (2011) 4,7 (1994) 10 (30.04.1994) Gartenrotschwanz 2,9 0 (1980/82/90) 5,7 (2011) 7 (08.05.2011) Pirol 2,3 0 (1980/82/90/94) 4,2 (2009) 5 (16.05.2009) Buntspecht 1,6 0 (1980) 2,8 (1999) 6 (21.04.1990) Weidenmeise 1,4 0,4 (2009) 2,1 (1994) 7 (27.03.1994) Blaumeise 1,1 0,4 (1982) 2,3 (1999) 4 (29.05.1999) Turteltaube 1,1 0 (1997/99) 3,5 (1982) 5 (03.06.1982) Dorngrasmücke 0,9 0 (1990) 1,8 (2009) 4 (01.06.2009) Heckenbraunelle 0,9 0 (1997/99/04/11) 3,5 (1982) 5 (27.03.1982) Rohrammer 0,8 0,3 (2004) 1,6 (1982) 3 (30.04.1994) Schwanzmeise 0,7 0 (2004/11) 1,7 (1990) 5 (27.03.1982)

(a) = über alle Jahre und Kontrollgänge; (b) = gemittelter Jahres-Tiefstwert (s. Abb. 3); (c) = gemittelter Jahres-Höchstwert (s. Abb. 3); (d) = höchste Revieranzahl aller Kontrollgänge.

angetroffen und nur in einem Jahr oder in zwei kalisiert werden (siehe Fragezeichen in Tab. 2). Die Jahren Kernbeißer, Klappergrasmücke, Kleiber, Feldlerche ist die einzige Vogelart, die das Gebiet Schwarzspecht und Wintergoldhähnchen. Die Greif- in diesem Zeitraum verlassen hat. vögel Baumfalke, Sperber und Turmfalke zeigten sich oft jagend im Gebiet. Da sie große Reviere be- Die weitaus häufigste Vogelart entlang der Zähl- sitzen, konnten ihre Brutplätze nicht jedes Jahr lo- strecke war in allen Jahren der Fitis, gefolgt von vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 199

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 199

Rotkehlchen, Buchfink, Zaunkönig und Zilpzalp. Bestände von Kuckuck (-11 %), Baumpieper (-13 Zu den häufigen Arten des Venner Moores mit %) und Fitis (-15 %) haben sich über den 32- zum Teil jährlich wechselnden Rangfolgen gehörten jährigen Zeitraum nur unwesentlich verändert (Tab. auch Baumpieper, Amsel, Mönchs- und Garten- 4, Abb. 1) und sind bei leichten Schwankungen im grasmücke sowie Ringeltaube (weitere Arten in Wesentlichen stabil geblieben (Änderungen um abnehmender Reihenfolge in Tab. 3). In Tab. 3 weniger als 20 %). sind die Reviere von 25 Arten bei 76 Kontrollgängen aufgelistet, mit Mittelwerten (a), gemittelten Jah- Zu den tendenziell zunehmenden Arten gehörten resminimal- (b) und Jahresmaximalwerten (c) sowie auch typische Vögel der Siedlungen, wie Blaumeise, den absolut höchsten Revierwerten (d). Buchfink, Buntspecht, Kohlmeise und Ringeltaube, die vom Dickenzuwachs der Bäume profitierten. b) Bestandsentwicklung nach der Für die häufige Gartengrasmücke wurde ein nega- Linientaxierung: tiver Trend berechnet. Gleiches gilt für die mäßig häufigen Arten Eichelhäher, Rohrammer und Die Entwicklung der Brutvogelbestände von 25 Schwanzmeise, die bei geringem Stichprobenumfang ausgewählten Arten über den 32-jährigen Zeitraum und stark schwankenden Werten zwischen 42 und ist in Abb. 1 dargestellt. Die Trendanalysen unter 56 % (n. s.) abgenommen haben. Der Einfluss der Verwendung der gemittelten Jahreswerte (Tab. 4) strengen Winter 1995/96, 2009/10 und 2010/11 ergaben in der Gesamtheit aller 25 Vogelarten, lässt sich nur auf die Bestandsentwicklung der dass die Abnahmen überwogen: Für zehn Arten Ringeltaube und des Zaunkönigs nachweisen Bei wurden Zunahmen (vier signifikant: Dorngrasmücke, der Schwanzmeise deutet er sich für die Winter Gartenrotschwanz, Mönchsgrasmücke, Pirol) und 2009/10 und 2010/11 allenfalls schwach an. Nach für 15 Arten Abnahmen (sieben signifikant: Amsel, dem Winter 1995/96 nahm in den Folgejahren so- Goldammer, Heckenbraunelle, Rotkehlchen, Sing- wohl der Zaunkönig- als auch der Ringeltauben- drossel, Turteltaube, Weidenmeise) festgestellt. Die bestand wieder zu, was auch für die kommenden

12 15 Amsel Baumpieper

10 12

8 9 Reviere Reviere

6 6

3 4 2005 2008 2011 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011

3 22 Blaumeise Buchfink 18 2 14 Reviere Reviere 1 10

6 0 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011

Abb. 1: Bestandsentwicklung (Mittelwerte der Revierzahlen) von 25 Brutvogelarten im Venner Moor von 1980 bis 2011 – Population trends (average number of territories) of 25 breeding bird species in the „Venner Moor“from 1980 to 2011. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 200

200 KOOIKER: Vogelmonitoring im Venner Moor

4 2 Buntspecht Dorngrasmücke

3

2 1 Reviere Reviere

1

0 0 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011

6 70 Eichelhäher Fitis 5 60 4 50 3

2 Reviere 40 Individuen 1 30 0 20 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011

14 6 Gartengrasmücke Gartenrotschwanz 12 5

10 4

8 3 Reviere Reviere 6 2

4 1

2 0 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 1978 1981 1984 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011

Abb. 1: Fortsetzung.

Jahre (nach den harten Wintern 2009/10 und lation aufgebaut (2011: 10-14 Paare). Der Pirol 2010/11) zu erwarten ist. brütete hier erstmals zwischen 1994 und 1997. Die kleine Population von derzeit 2-5 Paaren scheint c) signifikant zunehmende Arten: stabil zu sein. Bei der Dorngrasmücke siedelten nur wenige Paare entlang der Zählstrecke (meist Betrachtet man die einzelnen Vogelarten, deren 1-4 Paare). Im gesamten NSG Venner Moor sind Bestände sich signifikant positiv verändert haben, es rund 20 Paare. Die starke Zunahme, insbesondere so springen die hohen Zuwachsraten von Garten- 2009, basiert allerdings auf einer sehr kleinen rotschwanz, Pirol, Dorn- und Mönchsgrasmücke Stichprobe. Die Mönchsgrasmücke ist aktuell ge- ins Auge. Bis auf die Dorngrasmücke sind es Mit- meinsam mit der Gartengrasmücke die häufigste glieder aus den Nestgilden der Baum- und Höh- Grasmücke im NSG Venner Moor. Über den ge- lenbrüter, die an der normalen Waldentwicklung samten Berichtszeitraum hat ihr Bestand – mit partizipiert haben: Der Gartenrotschwanz hat das Ausnahme eines Zwischentiefes im Jahr 2005 – Venner Moor zwischen 1991 und 1994 besiedelt kontinuierlich um 290 % zugenommen. und seitdem kontinuierlich eine erfreuliche Popu- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 201

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 201

12 4 Goldammer Heckenbraunelle 10 3 8

6 2 Reviere Reviere 4 1 2

0 0 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011

12 5 Kohlmeise Kuckuck 10 4 8

6 3 Reviere 4 2 2 singende Männchensingende 0 1 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011

12 5 Mönchsgrasmücke Pirol 10 4 8 3 6 Reviere Reviere 2 4

2 1

0 0 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 1978 1981 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011

Abb. 1: Fortsetzung.

d) signifikant abnehmende Arten: In den letzten 20 Jahren wurden nur noch gele- gentlich einzelne Reviere ermittelt, in manchen Zu den signifikant abnehmenden Arten gehörten Jahren (1997, 1999, 2011) auch keine. auch häufige Brutvögel der „Normallandschaft“ wie Rotkehlchen (-40 %), Amsel (-53 %), Singdrossel Die Turteltaube hat seit 1980 um rund 94 % (-65 %) und Heckenbraunelle (-98 %). Bei Amsel entlang der Taxierungsstrecke abgenommen. 1980 und Rotkehlchen wurde eine leichte, aber stetige und 1982 besiedelte sie noch mit 0,7-0,8 Rev./10 Abnahme über den Beobachtungszeitraum proto- ha das Venner Moor, anschließend brach der kolliert (Abb. 3). Der Singdrosselbestand hat sich Bestand ein. In den Jahren 1994, 2009 und 2011 nach einem Bestandseinbruch in den 1990er Jahren wurden nur vereinzelt singende Männchen registriert, auf niedrigem Niveau stabilisiert. Die Heckenbrau- 1997 und 1999 überhaupt keine. Mit dem Erlöschen nelle wies nur in den ersten Jahren der Untersuchung des Turteltaubenbestandes dürfte demnächst zu (1980, 1982) einen schwachen Bestand von 1,8 rechnen sein. Auch bei den zwei ökologisch stark Rev./10 ha auf und hat dann bis auf einzelne divergierenden Singvogelarten Goldammer (Feld- Paare das NSG Venner Moor weitgehend verlassen. vogel, Bodenbrüter) und Weidenmeise (Waldvogel, vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 202

202 KOOIKER: Vogelmonitoring im Venner Moor

12 2 Ringeltaube Rohrammer 10

8

6 1 Reviere Reviere 4

2

0 0 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011

25 2 Rotkehlchen Schwanzmeise 20

15 1 Reviere

10 Reviere

5

0 0 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011

8 4 Singdrossel Turteltaube

6 3

4 2 Reviere Reviere

2 1

0 0 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 2011 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008

Abb. 1: Fortsetzung.

Höhlenbrüter) ist die Bestandsentwicklung seit von 25 Arten (24 %) und zwischen 2004 und 1980 mit leichten Schwankungen anhaltend negativ. 2011 sogar 12 von 23 Arten (52 %). Insbesondere Auch hier ist in naher Zukunft bei gleichbleibendem bei Baumpieper, Fitis, Gartengrasmücke und Rohr- Trend ein Erlöschen beider Populationen zu be- ammer gab es mindestens seit 2005 eine erfreuliche fürchten. Trendumkehr.

e) Bestandsveränderungen in einzelnen Zeit- Diskussion räumen: Langjährig angelegte avifaunistische Monitoring- Die Entwicklung der Brutvogelarten für die Zeiträume studien haben sich inzwischen in Deutschland fest 1980-2011, 1990-2011 und 2004-2011 ist in Tab. etabliert. So findet beispielsweise bereits seit 1989 5 dargestellt. Demnach hat sich im letzten Jahrzehnt das „DDA-Monitoring häufiger Brutvogelarten“ die Anzahl der Arten mit positivem Bestandstrend (FLADE & SCHWARZ 2004) und seit 2003 das “Moni- erhöht: Zwischen 1980 und 2011 waren es 7 von toring häufiger Brutvögel in der Normallandschaft 23 Arten (30 %), zwischen 1990 und 2011 nur 6 von Niedersachsen und Bremen“ (MITSCHKE & LUDWIG vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 203

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 203

3 denn Teile des Moorbirkenwaldes sind inzwischen Weidenmeise 32 Jahre älter geworden. Andererseits sind kleine Grünlandbrachen, ältere Abtorfungs- und Kahl- 2 schlagflächen verbuscht oder inzwischen mit bis zu 20-jährigen Birken und Kiefern zugewachsen. Reviere 1 Überdies hängen einige nicht anders erklärbare Trends mit dem geringen Stichprobenumfang einiger Arten oder mit anderen Fehlern (Erfas- 0 sungsunterschiede, zunehmende Erfahrung im Ge- lände, Auswertung von Beobachtungsmaterial) zu- 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 sammen. Viele synökologische Aspekte über die 20 Venner-Moor-Avifauna sind bereits von mir (KOOIKER Zilpzalp 1992, 2000a) und BLÜML (2011) ausführlich diskutiert 16 worden und es soll an dieser Stelle nicht weiter 12 darauf eingegangen werden.

8 Reviere Welche Aussagen lassen sich über die Vogelbestände 4 des Venner Moores über den 32-jährigen Zeitraum anhand der Linientaxierung machen? Die Ursachen 0 für Zu- oder Abnahmen einzelner Arten sind nicht

1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 einfach zu erklären, da sich klimatische, biologische und ökologische Effekte gegenseitig beeinflussen. 20 Es ist vielfach gar nicht möglich, eine exakte Zaunkönig Aussage zu treffen, welcher Effekt letztlich über- 16 wiegt. Überdies sollte nicht vergessen werden, 12 dass viele Entwicklungen überregionale Ursachen haben (vgl. auch Tab. 5). So wirken sich die seit

Reviere 8 Jahrzehnten in Mitteleuropa vorwiegend negativen

4 Entwicklungen in der Kulturlandschaft sowie die in den Überwinterungsgebieten verursachten Ver- 0 änderungen der Vogelbestände (ausführlich BERTHOLD et al.1999, SUDFELDT et al. 2009, 2010) auch auf 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 die Ergebnisse dieser Studie aus. Abb. 1: Fortsetzung. Durch die vielen milden und schneearmen Winter der beiden letzten Jahrzehnte (Ausnahme 1995/96, 2004) statt. Bei allen langfristig angelegten Moni- 2009/10 und 2010/11) bestanden für Standvögel toringstudien sollte immer die Veränderung des günstige Überwinterungsbedingungen. Es ist daher Lebensraumes berücksichtigt werden. Auch wenn zu vermuten, dass sich ihre Bestände positiv ent- die Methode konstant geblieben ist, so hat sich in wickelt haben. Dieses schlägt sich aber nicht im den meisten Fällen doch das Umfeld verändert Resultat dieser Studie nieder, denn von den 14 be- (KLAUS 2005). Auch im Venner Moor sind entlang rücksichtigen Arten (Standvögel und Kurzstrecken- der rund 3.160 Meter langen Taxierungsstrecke zieher) stehen fünf Arten mit positiven neun mit die Vegetationsverhältnisse nicht unverändert ge- negativen Bestandstrends gegenüber. BERTHOLD et blieben (vgl. Tab. 1). Insgesamt ist das ganze Gebiet al. (1999) stellten beispielsweise fest, dass die Ab- deutlich nasser geworden, worauf auch BLÜML nahmen (mit Ausnahme der Singdrossel) haupt- (2011) hinweist. Auf 150 m entlang der Kontroll- sächlich Langstreckenziehern mit den Überwinte- strecke wurde der Birkenbruchwald gerodet, was rungsgebieten in der Sahelzone Westafrikas betrafen. möglicherweise wegen der langen Kartierstrecke Im Venner Moor zeigen bei den Langstreckenziehern nicht sehr ins Gewicht fällt. Ferner muss der natür- nur Gartengrasmücke und Turteltaube signifikant liche Sukzessionsverlauf berücksichtigt werden, negative Trends über den 32-jährigen Zeitraum. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 204

204 KOOIKER: Vogelmonitoring im Venner Moor

Tab. 4: Trendanalyse (lineare Regression) der Bestandsentwicklung von 25 ausgewählten Arten von 1980 bis 2011. r = Korrelationskoeffizient, a = Steigung der Geraden (Reviere/Jahr), * p < 0,05. – Population trends (linear regression) of 25 selected species from 1980 to 2011.

Art Reviere (Mittel- Rev./Jahr Bestandsänderung wert) r a (%) Gartenrotschwanz ** 2,9 0,761* 0,22 582 Pirol ** 2,3 0,707* 0,19 401 Dorngrasmücke 0,9 0,675* 0,03 353 Mönchsgrasmücke 5,2 0,787* 0,18 291 Buntspecht ** 1,6 0,504 0,04 142 Kohlmeise 6,0 0,527 0,12 98 Blaumeise 1,1 0,308 0,02 83 Ringeltaube 6,5 0,322 0,07 43 Buchfink 15,1 0,600 0,16 42 Zilpzalp 11,4 0,263 0,12 41 Kuckuck 3,3 -0,371 -0,01 -11 Baumpieper 8,6 -0,275 -0,04 -13 Fitis 41,3 -0,269 -0,22 -15 Zaunkönig 11,6 -0,270 -0,12 -27 Rotkehlchen 17,5 -0,827* -0,29 -40 Eichelhäher (Ind.) 3,0 -0,550 -0,05 -42 Amsel 7,8 -0,908* -0,19 -53 Rohrammer 0,8 -0,549 -0,02 -56 Schwanzmeise 0,7 -0,431 -0,02 -56 Gartengrasmücke 7,5 -0,589 -0,20 -56 Weidenmeise 1,4 -0,745* -0,04 -60 Goldammer 5,6 -0,849* -0,18 -63 Singdrossel 3,2 -0,700* -0,11 -65 Turteltaube 1,1 -0,750* -0,08 -94 Heckenbraunelle 0,9 -0,827* -0,10 -98

* p < 0,05; ** Gartenrotschwanz: Trendanalyse ab 1994; Pirol: ab 1997; Buntspecht: ab 1982

Weiter ist offensichtlich, dass sich im Venner Moor licherweise signifikant zu. Sie finden erst in diesem viele Mitglieder aus den Nestgilden der Baum- Altersstadium des Waldes geeignete brutökologische und Höhlenbrüter positiv entwickelt haben. Unter Voraussetzungen. Seit dem letzten Jahrzehnt werden ihnen sind typische Wald- und/oder Baumvögel immer häufiger auch andere typische Waldvögel wie Blaumeise, Buchfink, Buntspecht, Gartenrot- wie Kleiber und Gartenbaumläufer registriert. Somit schwanz, Kohlmeise, Mönchsgrasmücke, Pirol und war diese Entwicklung vorhersehbar. Ringeltaube zu nennen, die an der normalen Wald- entwicklung partizipiert haben. Die stark gefährdeten Die Mönchsgrasmücke gehört zwar in die Gilde Arten Pirol und Gartenrotschwanz (KRÜGER & OLT- der Strauchbrüter, partizipiert aber als Baumvogel MANNS 2007, SUDMANN et al. 2008) nehmen erfreu- am allgemeinen Zuwachs der Bäume. Ihre Zunahme vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 205

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ist aber nicht ausschließlich lokal zu begründen, 2003, HÜPPOP & HÜPPOP 2005, KRÜGER & OLTMANNS denn sie nimmt in Mitteleuropa schon seit Jahr- 2007, SUDMANN et al. 2008, TEAM SAMMELBERICHT zehnten zu (BERTHOLD et al. 1999, MITSCHKE 2008, NRW 2011). Nach dem „Monitoring häufiger Brut- MITSCHKE et al. 2010, FLADE & MANN 2008). Besonders vögel in Niedersachsen“ hat sich jedoch die Art erfreulich ist, dass der Gartenrotschwanz, der hier zwischen 2003 und 2011 signifikant positiv ent- die trockenen Randbereiche des Kiefernmischwaldes wickelt (MITSCHKE 2012). besiedelt, zugenommen hat. Wird doch für ihn ein lang anhaltender, dramatischer Bestandsrückgang Von den Waldbewohnern haben sieben Arten ab- dokumentiert (vgl. BERTHOLD et al. 1999, BERTHOLD genommen, davon signifikant Amsel, Rotkehlchen,

Tab. 5: Lang- und kurzfristige Bestandstrends von 25 Vogelarten im Venner Moor im Vergleich zu den Bestandstrends „Häufiger Brutvögel in Deutschlands“ (nach MITSCHKE et al. 2010). – Long- and short-term trends of 25 breeding bird species in the “Venner Moor” compared to those in .

Art Venner Moor Deutschland 1980-2011 1990-2011 2004-2011 1990-2008 2004-2008 Gartenrotschwanz     Pirol   Dorngrasmücke     Mönchsgrasmücke      Buntspecht    Kohlmeise     Blaumeise    Ringeltaube     Buchfink     Zilpzalp    Kuckuck  Baumpieper    Fitis      Zaunkönig    Rotkehlchen  Eichelhäher     Amsel    Rohrammer     Schwanzmeise    Gartengrasmücke     Weidenmeise    Goldammer    Singdrossel     Turteltaube      Heckenbraunelle    

 = starke Zunahme (> 50 %);  = Zunahme (20 bis 50 %);  = leichte Zunahme (< 20 %);  = schwankend, ohne Trend;  = leichte Abnahme (< -20 %);  = Abnahme (-20 bis -50 %);  = starke Abnahme (> - 50 %) vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 206

206 KOOIKER: Vogelmonitoring im Venner Moor

Singdrossel, Weidenmeise und Turteltaube sowie Hecken. Ihre starken Abnahmen dürfen daher tendenziell Eichelhäher und Zaunkönig. Viele der nicht überinterpretiert werden. ursprünglichen Waldarten wie Amsel, Rotkehlchen, Singdrossel, Eichelhäher und Zaunkönig sind häufige Einige Vogelarten, die abgenommen haben, ent- Vögel der Dörfer und Städte und nicht gefährdet stammen der Bodenbrütergilde wie Gold- und (KOOIKER 2004, 2005a, 2007, SUDFELDT et al. 2009). Rohrammer sowie die mit der Taxierungsmethode Ihre Abnahmen sind daher mit Veränderungen nicht erfassten Wiesenpieper, Feldlerche und Stein- direkt vor Ort erklärbar. Der Zaunkönig brütet in schmätzer. Während bei der Goldammer als He- relativ hoher Dichte im bewaldeten Teil des Venner ckenbrüter die Abnahme unverändert anhält, ist Moores (3,4-5,4 Rev./10 ha, KOOIKER 1992, 2000a). bei dem Röhrichtbrüter Rohrammer wegen der Der negative Einfluss von strengen Wintern (wie zunehmenden Vernässung des Moores eine deutliche z. B. 1995/96, 2009/10 und 2010/11) auf die Be- Trendumkehr erkennbar (Tab. 5). Wiesenpieper, standsdynamik ist bekannt. Folgen mildere Winter, Feldlerche und Steinschmätzer brüten überwiegend erholen sich die Bestände innerhalb weniger Jahre oder ausschließlich auf den Torfabbauflächen bzw. (vgl. SKIBBE & SUDMANN 2005, KOOIKER 2007). Die deren Rändern. Sie profitieren einerseits durch per- Turteltaube findet im offenen Kiefernwald des manente Bodenbearbeitung zur Torfgewinnung Venner Moores einen passenden Lebensraum. Die und somit Bereitstellung geeigneter Brutplätze, starke Abnahme dürfte deshalb nicht auf lokale z. B. durch Torfhaufen wie beim Steinschmätzer Faktoren zurückzuführen sein, zumal auch aus an- (vgl. KOOIKER 2000b). Andererseits wird eine unbe- deren Brutgebieten deutliche Abnahmen festgestellt kannte Zahl von Nestern durch diese Tätigkeiten wurden. Verluste auf dem Zug müssen als eine zerstört. Hier spielen auch Bodenprädatoren und wesentliche Ursache angesehen werden, insbe- schwankende Wasserstände eine wichtige Rolle. sondere die starke Bejagung im Mittelmeerraum Die Abnahme von Wiesenpieper und Feldlerche (SUDMANN et al. 2008). Auch die negative Entwicklung hat vermutlich überregionale Ursachen (vgl. KRÜGER der Weidenmeise hat überregionale Gründe und & OLTMANNS 2007, SUDMANN et al. 2008, SUDFELDT et wird von mir auch in den Osnabrücker Laubwäldern al. 2009, HANDKE 2011) und konnte durch langjährige festgestellt. Nach SUDFELDT et al. (2010) scheint die Naturschutzmaßnahmen nicht aufgefangen wer- Art ein mutmaßlicher Verlierer des Klimawandels den. zu sein (vgl. auch KOOIKER 2005b). Die hier dargestellten Ergebnisse zeigen eine gute Bei den Strauchbrütern ist der Trend nicht einheitlich. Übereinstimmung mit denen von BLÜML (2011), Zunahmen von Dorngrasmücke und Zilpzalp stehen der im Jahre 2010 das gesamte Venner Moor (491 Abnahmen von Gartengrasmücke, Schwanzmeise ha) avifaunistisch bearbeitet hat. Die Zunahme der und Heckenbraunelle (signifikant) gegenüber. Auch Brutvogelarten und Brutbestände führte er vor hier ist die Zunahme der Dorngrasmücke erfreulich, allem auf die Vergrößerung der wiedervernässten da in der Vergangenheit ein Bestandsrückgang Bereiche zurück, wodurch insbesondere Wasser- dokumentiert wurde (vgl. HÜPPOP & HÜPPOP 2005, und Wiesenvögel sowie Röhrichtbrüter profitiert SUDMANN et al. 2008). Neueste Studien zeigen al- und im Bestand seit 1994 deutlich zugenommen lerdings, dass die Bestandsabnahmen inzwischen haben. Die künftige Entwicklung der Brutvogelbe- gestoppt oder lokal sogar in Zunahme begriffen stände im Venner Moor ist spannend und wird ist (KRÜGER & OLTMANNS 2007, SUDMANN et al. 2008, auch im Hinblick auf die Wiedervernässungsmaß- SUDFELDT et al. 2009, MITSCHKE 2008, 2012, MITSCHKE nahme weiterhin sorgfältig untersucht und doku- et al. 2010). Für Heckenbraunelle und Schwanz- mentiert. meise, die überwiegend in Siedlungen brüten, stellt das Venner Moor ein pessimales Habitat dar, welches auch in der Vergangenheit nur in geringer Summary – Bird monitoring on the Ven- Dichte besiedelt wurde. Das Gebiet hat sich in den ner moorland (district of Osnabrück): re- letzten Jahrzehnten für sie weiterhin ungünstig sults of a 32-year-study (1980-2011) verändert. Es ist einerseits zu feucht und „offen“, In 10 years between 1980 and 2011, breeding andererseits zu waldartig geworden. Hier fehlen birds were counted on the “Venner Moor”, a die ihnen zusagenden Kleinstrukturen wie z. B. raised bog, subject to peat cutting and partially vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 207

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wooded. In 76 controls on a line transect of 3.16 Radebeul. km in length, a total of 66 breeding-bird species BLÜML, V. (2007): 20 Jahre Pflegemaßnahmen im NSG were recorded. From 1980 to 2011 the number of Venner Moor – und kein Ende? Naturschutz-Informa- breeding-bird species increased from 32 (1980) to tionen 23/1: 7-14. 40 in 1997 and 47 in 2011. Habitat management BLÜML, V. (2011): Die Brutvögel des Venner Moores (Land- by rewetting, mainly supported waterbirds (Coot, kreise Osnabrück und Vechta): Zur avifaunistischen Moorhen, Common Shelduck, Greylag, Canada Bedeutung verschiedener De- und Regenerationssta- and Egyptian Goose) and heathland species (Blue- dien von Hochmooren. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. throat, Little Ringed Plover, Eurasian Curlew, Nort- 42: 111-132. hern Lapwing, Eurasian Stonechat, Blue-headed BLÜML, V., & V. TIEMEYER (2008): Zur Bedeutung ausge- Yellow Wagtail). Most of them colonized the area wählter Feuchtgebiete in Stadt und Landkreis Osna- in the last decade. The Sky Lark is the only species brück für rastende Wasser- und Watvögel – 2. Fort- which disappeared as a breeding bird. schreibung (2002-2006). Naturschutz-Informationen, Sdh. Ornithol. 24: 122-144. The dominant species in all years was the Willow FLADE, M., & R. MANN (2008): Wegzugverlauf und Popu- Warbler, followed by Eurasian Robin, Chaffinch, lationstrends von gebüsch- und schilfbewohnenden Winter Wren and Chiffchaff. Common species in Kleinvögeln in den Düpenwiesen bei Wolfsburg (1974- varying order were Tree Pipit, Common Blackbird, 2002). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 40: 363-387. Eurasian Blackcap, Garden Warbler and Common FLADE, M., & J. SCHWARZ (2004): Ergebnisse des DDA-Mo- Wood Pigeon. Trend analyses of 25 species with nitoringprogramms. Teil II: Bestandsentwicklungen von sufficient data revealed a positive trend for 10 Waldvögeln in Deutschland 1989-2003. Vogelwelt species (4 significant: Common Whitethroat, Com- 125: 177-213. mon Redstart, Eurasian Blackcap, Eurasian Golden HANDKE, K. (2011): Brutvögel in Bremen – eine aktuelle Oriole) and a negative trend for 15 species (7 sig- Bestandsübersicht sowie Bestandstrends für natur- nificant: Common Blackbird, Yellowhammer, Dun- schutzrelevante Arten. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 42: nock, Eurasian Robin, Song Thrush, European Turtle 39-60. Dove, Willow Tit). Insignificant changes in numbers HÜPPOP, K., & O. HÜPPOP (2005): Atlas zur Vogelberingung were recorded for Common Cuckoo (-11 %), Tree auf Helgoland. Teil 3: Veränderungen von Heim- und Pipit (-13 %) and Willow Warbler (-15 %). Although Wegzugzeiten von 1960 bis 2001. Vogelwarte 43: in the long term the negative trends predominate, 217-248. especially Tree Pipit, Common Reed Bunting, Willow KLAUS, S. (2005): Rennstrecke mit Hindernissen. Vogel- and Garden Warbler haven shown reversal trends monitoring in der Saalestadt Jena. Falke-Taschenka- since 2005. lender für Vogelbeobachter 2006: 201-206. KOOIKER, G. (1981): Sommervogelbestandsaufnahme (1980) mittels Linientaxierung im Venner Moor (Land- Literatur kreis Osnabrück). Osnabrücker naturwiss. Mitt. 8: 177- BAUER, H.-G., & A. MITSCHKE (2005): Linienkartierung. In: 188. SÜDBECK, P., H. ANDRETZKE, S. FISCHER, K. GEDEON, T. SCHI- KOOIKER, G. (1992): Quantitative Brutvogelbestandsauf- KORE, K. SCHRÖDER & C. SUDFELDT (Hrsg.): Methoden- nahme im Venner Moor (1990) und ein Vergleich mit standards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands. früheren Jahren. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 24: 34- Radolfzell. 45. BERTHOLD, P. (2003): Die Veränderung der Brutvogelfauna KOOIKER, G. (2000a): Das Venner Moor: 20jährige avifau- in zwei süddeutschen Dorfgemeindebereichen in den nistische Untersuchungen. Beitr. Nat. kd. Niedersachs. letzten fünf bzw. drei Jahrzehnten oder: verlorene Pa- 53: 85-106. radiese? J. Ornithol. 144: 385-410. KOOIKER, G. (2000b): Ein Vogel, der fast vergessen ist: BERTHOLD, P., W. FIEDLER, R. SCHLENKER & U. QUERNER (1999): Steinschmätzer in Mitteleuropa. Falke 47/2: 36-41. Bestandsveränderungen mitteleuropäischer Kleinvögel: KOOIKER, G. (2004): Osnabrücker Brutvögel: Bilanz der Abschlußbericht zum MRI-Programm. Vogelwarte 40: Entwicklung seit 1900. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 1-10. 36: 179-187. BIBBY, C. J., N. D. BURGESS & D. A. HILL (1995): Methoden KOOIKER, G. (2005a): Brutvogelatlas Stadt Osnabrück. Os- der Feldornithologie - Bestandserfassung in der Praxis. nabrück. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 208

208 KOOIKER: Vogelmonitoring im Venner Moor

KOOIKER, G. (2005b): Vögel und Klimaerwärmung: 28- TEAM SAMMELBERICHT NRW (2011): Seltene Vogelarten in jährige phänologische Beobachtungen in und um Os- Nordrhein-Westfalen im Jahr 2010. Charadrius 47: nabrück von 1976 bis 2004. Vogelkdl. Ber. Nieder- 226-290. sachs. 37: 99-111. WEBER, H. E. (1977): Vegetation des Naturschutzgebietes KOOIKER, G. (2007): Vogelmonitoring in Osnabrück: Er- Venner Moor (Landkreis Osnabrück) und Behandlung gebnisse langjähriger Bestandserfassungen (1986 bis der Pflanzengesellschaften im Sinne des Naturschutzes 2006) im innerstädtischen Siedlungsraum. Vogelkdl. insbesondere in Hinblick auf eine mögliche Regene- Ber. Niedersachs. 39: 61-75. ration der ursprünglichen Vegetationsverhältnisse. Teil KRÜGER, T., & B. OLTMANNS (2007): Rote Liste der in Nie- I u. II. Unveröff. Manuskript. dersachsen und Bremen gefährdeten Brutvögel - 7. ZANG, H. (2003): Veränderungen in der niedersächsischen Fassung, Stand 2007. Inform.d. Nat.schutz Nieder- Vogelwelt im 20. Jahrhundert. Vogelkdl. Ber. Nieder- sachs. 27: 131-175. sachs. 35: 1-18. MITSCHKE, A. (2008): Amsel, Drossel, Fink und Star – Erste Ergebnisse aus fünf Jahren Monitoring häufiger Brut- vögel in Niedersachsen und Bremen. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 40: 163-180. Mitschke, A. (2012): Monitoring häufiger Brutvögel in Niedersachsen - Erfolge und eine ständige Herausfor- derung. NOV-Mitt. Nr. 27: 5-10. MITSCHKE, A., & J. LUDWIG (2004): Monitoring häufiger Brutvögel in der Normallandschaft von Niedersachsen und Bremen. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 36: 69-78. MITSCHKE, A., M. FLADE & J. SCHWARZ (2010): Bestandstrends häufiger Brutvögel in Deutschland 1990 bis 2008. In: SUDFELDT, C., R. DRÖSCHMEISTER, T. LANGGEMACH & J. WAHL (Hrsg.): Vögel in Deutschland - 2010. Münster. OELKE, H. (1980): Siedlungsdichte. In: BERTHOLD, P., E. BEZZEL & G. THIELCKE: Praktische Vogelkunde. 2. Aufl., Greven. REICHHOLF, J., & K. SCHAACK (1986): Linientaxierung von Sommervögeln im Auwald. Anz. ornithol. Ges. Bayern 25: 175-187. SACHS, L. (1997): Angewandte Statistik. Berlin. SCHREIBER, M. (1990): Moorschutz in Niedersachsen – ein Trauerspiel. Naturschutz heute 22(4): 33-35. SCHUMACHER, H. (1999): Ergebnisse von ornithologischen Bestandsaufnahmen im Großen Moor bei Osnabrück (Niedersachsen). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 31: 27- 38. SKIBBE, A., & S. R. SUDMANN (2005): Bestand und Bestands- änderung des Zaunkönigs in Nordrhein-Westfalen. Charadrius 41: 214-222. SUDFELDT, C., R. DRÖSCHMEISTER, M. FLADE, C. GRÜNBERG, A. MITSCHKE, J. SCHWARZ & J. WAHL (2009): Vögel in Deutschland - 2009. Münster. SUDFELDT, C., R. DRÖSCHMEISTER, T. LANGGEMACH & J. WAHL (2010): Vögel in Deutschland - 2010. Münster. SUDMANN, S. R., C. GRÜNBERG, A. HEGEMANN, F. HERHAUS, J. MÖLLE, K. NOTTMEYER-LINDEN, W. SCHUBERT, W. V. DEWITZ, M. JÖBKES & J. WEISS (2008): Rote Liste der gefährdeten Brutvogelarten Nordrhein-Westfalens, 5. Fassung, De- zember 2008. Charadrius 44: 137-230. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 209

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Aus der Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung (NOV) und der Staatlichen Vogelschutzwarte Niedersachsen (NLWKN)

Verbreitung, Bestand und Gefährdungssituation des Rotmilans Milvus milvus in Niedersachsen und Bremen 2008 – 2012

Lars Wellmann

WELLMANN, L. (2013): Verbreitung, Bestand und Gefährdungssituation des Rotmilans Milvus milvus in Niedersachsen und Bremen 2008–2012. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43: 209-240.

Im Jahr 2011 wurde durch die Niedersächsische Ornithologische Vereinigung (NOV) und die Staatliche Vogelschutzwarte im NLWKN eine landesweite Erfassung des Rotmilans initiiert. Zielsetzung war eine möglichst umfassende Übersicht über die Bestandssituation des Rotmilans in Niedersachsen und Bremen zu erhalten, die Bestandsgröße zu ermitteln und eine aktuelle Verbreitungskarte zu erstellen. Weiterhin wurden Informationen zur Habitatwahl abgefragt und der Erhaltungszustand bewertet. Gefährdungen und Beeinträchtigungen waren darzu- stellen sowie Schutz- und Entwicklungsmaßnahmen zu formulieren.

In den Jahren 2011 und 2012 wurden 688 Brutpaare des Rotmilans (435 Brutnachweise, 253 Brutverdachtsmeldungen) ermittelt. Zusätzlich wurden aus den Jahren 2005–2009 weitere Meldungen aus flächendeckenden Erfassungen, in der Regel aus EU-Vogelschutzge- bieten, mit weiteren 98 Brutpaaren (34 Brutnachweise, 64 Brutverdachtsmeldungen) be- rücksichtigt. Für Bereiche ohne aktuelle Meldungen, die aber innerhalb des flächig besiedelten Areals des Rotmilans liegen, wurden weitere 377 Reviere hochgerechnet. Diese Berechnung beruht auf Daten der ADEBAR-Erfassung 2005–2008 sowie aktueller und gehäufter Brut- zeitbeobachtungen. Damit ergibt sich insgesamt ein Bestand von 1.163 Revieren. Unter Be- rücksichtigung einiger nicht vollständig erfasster Bereiche wird der landesweite Rotmilanbe- stand auf dieser Grundlage auf 1.100-1.200 Brutpaare geschätzt. Regelmäßig besiedelt ist die östliche Hälfte Niedersachsens, etwa südöstlich der Linie Osnabrück–Lüneburg. Hier liegen die Schwerpunkte der Verbreitung an der mittleren Elbe und im Wendland, am Südrand der Börde bei Salzgitter/Wolfenbüttel sowie im Leinebergland.

Der Rotmilan besiedelt möglichst reich strukturierte, überwiegend offene Kulturlandschaften mit einzelnen Wäldern oder Feldgehölzen. Ein gewisser Grünlandanteil ist wegen der beson- ders guten Nahrungsverfügbarkeit von Bedeutung. Die Horststandorte liegen bevorzugt am Rande von Wäldern (62 %) und in Feldgehölzen bis 5 ha Fläche (28 %). 10 % der Horste wurden in Baumreihen gefunden.

Als Nistbäume werden Rot-Buche (33 %), Pappel (21 %), Eiche und Kiefer (je 18 %) genutzt, in geringerer Zahl auch Erle, Esche, Weide, Lärche und Fichte. Der Schwerpunkt liegt auf Laubbäumen, wobei die im jeweiligen Naturraum vorherrschende Baumart genutzt wird.

Die Bestandsentwicklung des Rotmilans war bis etwa 1990 nach einem Bestandstief in den 1950er Jahren positiv, stagniert aber seitdem. Allerdings wurden große Teile des Areals im westlichen Niedersachsen aufgegeben. Die Bestandsentwicklung verläuft dabei in den ein- zelnen Regionen unterschiedlich. Während an der mittleren Elbe deutliche Bestandszunahmen festzustellen sind, nehmen die Bestände an der Arealgrenze ab und stagnieren im südlichen Niedersachsen.

Wichtigste Gefährdungsursache ist die veränderte Landnutzung und der Verlust an klein - strukturierten Landschaften. Eine deutliche Zunahme von Feldfrüchten (Wintergetreide, Raps, vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 210

210 WELLMANN: Verbreitung, Bestand und Gefährdungssituation des Rotmilans in Niedersachsen

Mais), die eine dichte und geschlossene Vegetationsdecke zum Zeitpunkt des größten Nah- rungsbedarfs der Art im Juni/Juli bilden, bewirken einen ernsthaften Nahrungsengpass zum Zeitpunkt der Jungenaufzucht, da Beutetiere dann kaum erreichbar sind. Regelmäßig ge- mähtes oder auch extensiv beweidetes Grünland stellt dagegen eine gerade in diesem Zeit- raum günstige Nahrungsverfügbarkeit sicher.

Weitere Gefährdungsursachen sind Störungen am Horstplatz, u. a. durch Forstarbeiten und Freizeitnutzung.

Nicht zu unterschätzen sind Verluste an Strommasten, Windenergieanlagen und im Straßen- verkehr. Gerade Windenergieanlagen haben wegen des fehlenden Meidungsverhaltens der Art und der weiterhin zunehmenden Anlagenzahl das wichtigste Gefährdungspotential be- zogen auf Kollisionsopfer. Negative Auswirkungen auf die Population sind bei weiteren Windparkgenehmigungen zu erwarten.

Nach wie vor werden Greifvögel, darunter der Rotmilan, direkt durch Gift, Abschuss oder absichtliche Störung verfolgt. Das belegen verschiedene Fälle aus den vergangenen Jahren. Die Dunkelziffer von Individualverlusten an technischen Einrichtungen und durch direkte Verfolgung ist vermutlich sehr hoch.

Der Rotmilan hat in Niedersachsen, bedingt durch die umfangreichen Beeinträchtigungen, die sich absehbar eher verschärfen, weiterhin einen ungünstigen Erhaltungszustand. Der Be- stand in EU-Vogelschutzgebieten liegt unter 20 %, und selbst in diesen Gebieten sind die Einwirkungsmöglichkeiten auf Landnutzung und Forstwirtschaft gering.

Maßnahmen zum Schutz und zur Erhaltung des Rotmilans müssen die Ausweisung weiterer Schutzgebiete, die Verbesserung der Nahrungsverfügbarkeit durch Vertragsnaturschutz auf landwirtschaftlichen Flächen und Erhalt bzw. Entwicklung des Grünlandes sowie Maßnahmen zum Schutz vor Störungen an den Brutplätzen umfassen. Weiterhin sind zur Vermeidung di- rekter Verluste Maßnahmen zur Sicherung von Leitungsmasten, die umfassende Berücksich- tigung von Brutplätzen bei Windparkplanungen und eine konsequente strafrechtliche Ver- folgung von Vergiftungs- und Abschusstatbeständen erforderlich.

L. W., Lamprecht & Wellmann GbR, Ringstr. 27, D-29525 , wellmann@lw-landschafts- planung.de

Einleitung sehr lokal. Nicht besiedelt sind Hochgebirge und dicht bewaldete Bergländer sowie die küstennahen Der Rotmilan Milvus milvus ist ein in Mitteleuropa Gebiete Frankreichs und Deutschlands. Die Ver- weit verbreiteter und allgemein bekannter Greifvogel breitungsgrenze verläuft durch Niedersachsen. Der (HAGEMEIJER & BLAIR 1997). Mit etwa 50 % des aktuelle Weltbestand liegt bei 20.800-25.400 Brut- Weltbestandes innerhalb der deutschen Grenzen paaren (KRÜGER & WÜBBENHORST 2009, AEBISCHER hat die Bundesrepublik Deutschland – und damit 2009, KNOTT et al. 2009). Davon entfallen etwa auch Niedersachsen – eine überragende Verant- 10.000-14.000 Brutpaare auf Deutschland (GRÜ- wortung zum Erhalt dieser attraktiven Greifvogel- NEBERG 2011). Weitere größere Bestände bestehen art. in Frankreich, Spanien, Großbritannien, Schweden, Polen und der Schweiz. International wird der Rot- Der Rotmilan weist ein kleines Verbreitungsgebiet milan als potenziell gefährdet („near-threatend“; auf, das sich fast ausschließlich auf Europa be- IUCN 2011) eingestuft. Er ist in Anhang I der EU- schränkt. Es reicht von Marokko über Westeuropa Vogelschutzrichtlinie aufgeführt. Für diese Arten und Südskandinavien bis Weißrussland und an das sind gem. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie die „zahlen- Schwarze Meer; weiterhin sind Korsika und Süd- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete“ als Be- italien besiedelt, die Balkanhalbinsel dagegen nur sondere Schutzgebiete auszuweisen. Innerhalb vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 211

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 211

Tab. 1: Übersicht der Brutbestände des Rotmilans in Niedersachsen sowie den angrenzenden (Bundes-)Ländern und Deutschlands mit Angabe des kurzfristigen Bestandstrends sowie der Einstufung in die Roten Listen. – Numbers of Red Kite breeding pairs in the federal states adjoining Lower Saxony and in the whole of Germany as well as the ca- tegories of the regional Red Lists.

Bestände in den angrenzenden Bundesländern und in Niedersachsen Land Rote Liste Bestand Jahr(e) Trend (20-25 Jahre) Quelle

Schleswig-Holstein V 120 2009 stabil KNIEF et al. (2010), KOOP (2009)

MITSCHKE (2007), MITSCHKE pers. Hamburg 2 0-1 2012 stabil Mitt. Mecklenburg- 1.400-2.400 2003 Zunahme >20% EICHSTÄDT et al. (2003) Vorpommern RYSLAVY et al. (2008), Brandenburg 3 1.650-1.900 2005-2009 stabil RYSLAVY et al. (2011) DORNBUSCH et al. (2004), Sachsen-Anhalt 3 2.000-2.500 2005 Abnahme >20% DORNBUSCH et al. (2007)

Thüringen 3 900-1.000 2000 stabil FRICK et al. (2010), PFEIFFER (2012) HGON (Hrsg.: 2006), Hessen 1.000-1.300 2012 Zunahme >20% GELPKE & HORMANN (2012)

Nordrhein-Westfalen 3 400-500 2005 starke Abnahme SUDMANN et al. (2009)

Niedersachsen & KRÜGER & OLTMANNS (2007), 2 1.100-1.200 2011/2012 stabil Bremen diese Arbeit

Deutschland 10.000-14.000 2010 stabil GRÜNEBERG (2011)

Niederlande 1 2009 AEBISCHER (2009)

Deutschlands weist Sachsen-Anhalt die größten wig-Holstein), Zunahme (Brandenburg, Baden- Rotmilanbestände auf (2.000-2.500 BP; DORNBUSCH Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen) et al. 2007). Hier liegt am nordöstlichen Harzrand bis zu starker Zunahme (Saarland). In den meisten das weltweite Dichtezentrum des Rotmilans mit Bundesländern wird der Rotmilan als „gefährdet“ bis zu 22 BP/100 km² (NICOLAI 2006). Große geführt. In Niedersachsen gilt er als „stark gefährdet“ Bestände weisen weiterhin Brandenburg (RYSLAVY (KRÜGER & OLTMANNS 2007). Seit Einführung der et al. 2011), Mecklenburg-Vorpommern (EICHSTÄDT Roten Liste für Niedersachsen 1974 (BERNDT et al. et al. 2003), Hessen (GELPKE & HORMANN 2012) und 1974) ist der Rotmilan dort in zunehmend höherer Thüringen auf (PFEIFFER 2012; Tab. 1). Gefährdungskategorie aufgeführt: Von „potenziell gefährdet“ in den 1970er Jahren über „gefährdet“ In Deutschland wird der Rotmilan in der aktuellen in den 1980er und 1990er Jahren bis zur heutigen Roten Liste (SÜDBECK et al. 2007) nicht mehr geführt. Kategorie „stark gefährdet“ seit 2002 (SÜDBECK & Auch in einer Reihe von Bundesländern wurde der WENDT 2002, KRÜGER & OLTMANNS 2007). Rotmilan nach Bestandszunahmen oder neueren Erkenntnissen über die Bestandsgrößen aus der Großflächig wurde der Rotmilan im 18. und 19. Roten Liste gestrichen, so in Mecklenburg-Vor- Jahrhundert als Nahrungskonkurrent des Menschen pommern (EICHSTÄDT et al. 2003) und Hessen (HGON verfolgt, so dass er weite Bereiche seines ehemaligen & STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE FÜR HESSEN, RHEIN- Verbreitungsgebietes aufgab. Zwischen 1950 und LAND-PFALZ UND DAS SAARLAND 2006). Dabei ist die 1990 konnten sich die Bestände teilweise deutlich Bestandsentwicklung in den verschiedenen Teilen erholen. Um 1990 setzte erneut eine Bestandsab- Deutschlands sehr uneinheitlich und schwankt zwi- nahme insbesondere in Mitteleuropa ein, die aktuell schen Abnahme (Bayern, Berlin, Sachsen-Anhalt), noch anhält (AEBISCHER 2009, GLUTZ VON BLOTZHEIM stabilen Beständen (Hessen, Niedersachsen, Schles- & BAUER 1993). vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 212

212 WELLMANN: Verbreitung, Bestand und Gefährdungssituation des Rotmilans in Niedersachsen

Der Bestandstrend des Rotmilans in Niedersachsen Vor dem Hintergrund der hohen internationalen ist langfristig (1900-2005) um mehr als 20 % ab- Verantwortung Deutschlands für den Erhalt des nehmend. Der kurzfristige Bestandstrend (1980- Rotmilans und gebietsweiser Bestandsrückgänge 2005) zeigt sich dagegen weitgehend stabil (KRÜGER seit 1990 initiierte der Dachverband Deutscher & OLTMANNS 2007). Im Rahmen der landesweiten Avifaunisten (DDA) in den Jahren 2011 und 2012 Erfassung des Jahres 2006 wurde ein Bestand von eine bundesweite Erfassung der Brutbestände ca. 900 Brutpaaren ermittelt (KLEIN et al. 2009) seines Wappenvogels (GRÜNEBERG 2011). Für Nie- und im Zuge der ADEBAR-Erfassungen 2005 bis dersachsen griff die Niedersächsische Ornithologische 2008 wurden 1.100 bis 1.300 Brutreviere kartiert Vereinigung (NOV) gemeinsam mit der Staatlichen (T. KRÜGER/STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE, pers. Mitt.). Vogelschutzwarte im Niedersächsischen Landes- betrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Natur- Der Rotmilan wird in der Niedersächsischen Strategie schutz (NLWKN) diese Idee auf, obwohl die letzte zum Arten- und Biotopschutz als wertbestimmende landesweite Erfassung erst 2006 stattgefunden Brutvogelart der Vogelschutzgebiete mit höchster hatte (KLEIN et al. 2009). Ziel war es, neben der Be- Priorität für Erhaltungs- und Entwicklungsmaß- teiligung an der bundesweiten Erfassung die vielen nahmen genannt (NLWKN 2009). Die Bewertung neuen Erkenntnisse über mögliche Areal- und Be- für den landesweiten Prioritätenindex führte den standsveränderungen des Rotmilans in Niedersach- Rotmilan auf Rang 15 aller Brutvogelarten Nieder- sen sowie dessen Gefährdungssituation aktuell zu- sachsens (KRÜGER & OLTMANNS 2008). sammenzufassen. In Niedersachsen wurde, angeregt durch die landesweite Erfassung im Jahr 2011, ein Der Erhaltungszustand des Rotmilans ist in Nieder- Arbeitskreis Rotmilanschutz gegründet, dessen sachsen als ungünstig zu bewerten (NLWKN 2009). überwiegend ehrenamtliche Mitglieder es sich zur Die geltenden gesetzlichen Schutzmaßnahmen Aufgabe gemacht haben, jährlich den Bestand auf (z. B. Horstschutz, Schutz vor Störungen am Brut- Probeflächen zu untersuchen (SANDKÜHLER & WELL- platz) werden leider nicht flächendeckend umgesetzt. MANN 2012, WELLMANN 2012b). Gezielte Vertragsnaturschutzmaßnahmen zur Ver- besserung der Nahrungsverfügbarkeit werden in einigen Landkreisen angewandt, bedürfen aber noch einer verfeinerten Regelung und größerer Material und Methode, Witterung flächiger Ausdehnung, um effektiver zu wirken. Aufruf zur Mitarbeit und Erfassungsmethode

Eine Vielzahl direkter wie indirekter Beeinträchti- Im Rahmen der Bekanntmachung der landesweiten gungen führt aktuell zu einer Gefährdung des Erfassung des Rotmilans, verbunden mit der Bitte Rotmilanbestandes. Habitatveränderungen durch um Mitarbeit, erfolgte ein Aufruf in den Mitteilungen eine veränderte Landnutzung sind vermutlich der der Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung Hauptfaktor, doch sind anthropogen beeinflusste (NOV) Anfang März 2011. Darin wurde detailliert Tötungsursachen ebenfalls sehr häufig. Während über den Rotmilan, die Erfassungsmethoden und - in Westeuropa Vergiftung und Abschuss wohl die zeiten informiert, die sich an den Methodenstandards Hauptrolle spielen, sind in Mitteleuropa nach ak- zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands (ANDRETZKE tuellem Kenntnisstand Kollisionen mit Stromlei- et al. 2005) orientieren. Zusätzlich erfolgte eine tungen, Windenergieanlagen oder Fahrzeugen die gezielte Ansprache avifaunistischer Arbeitsgruppen, Hauptursache für Individualverluste (AEBISCHER 2009, bekannter Rotmilankartierer, Mitarbeiter des Atlas LANGGEMACH et al. 2010). Dazu kommen Störungen deutscher Brutvogelarten (ADEBAR) sowie lokaler an den Brutplätzen, z. B. durch Holzeinschlag oder Institutionen. Auch die Niedersächsischen Landes- Freizeitaktivitäten. In jüngster Zeit zeigen sich, be- forsten und die Forstämter der Landwirtschafts- dingt durch Veränderungen der Landnutzung und kammer wurden informiert. Die Landesforsten der Energieerzeugung, Konfliktpotenziale, die zu empfahlen erfreulicherweise den ihnen unterstellten Beeinträchtigungen der Habitateignung und er- Forstämtern die Teilnahme an der Erfassung, ein heblichen direkten Verlusten geführt haben (GOTT- weiterer Aufruf wurde in der Zeitschrift „Nieder- SCHALK & WASMUND i.Vorb., BELLEBAUM et al. 2012). sächsischer Jäger“ Ende März 2011 veröffentlicht. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 213

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Darüber hinaus erfolgte im Frühjahr 2011 durch Soweit drei Begehungen nicht möglich waren, den Verfasser und die Staatliche Vogelschutzwarte sollte je eine Begehung im April und Juni oder Juli eine erste Kontaktaufnahme zu Rotmilanerfassern durchgeführt werden. zur Einrichtung von Dauerbeobachtungsflächen für ein Bestandsmonitoring des Rotmilans in Nie- Die Basis für die nachfolgend dargestellten Ergeb- dersachsen. Das Interesse daran war erfreulich nisse ist sehr breit, da verschiedenste Quellen groß. Im Laufe des Jahres 2011 wurden so 18 Pro- genutzt werden konnten. Die wichtigste Daten- beflächen, die nahezu 5 % der Landesfläche Nie- grundlage stellen die gemeldeten Ergebnisse aus dersachsens abdecken, abgegrenzt (WELLMANN dem Jahr 2011 dar. Daneben wurden in erheblichem 2012a). Umfang aktuelle Daten aus dem Jahr 2012 einbe- zogen, insbesondere für den gesamten Landkreis Der bereits von der Erfassung 2006 bekannte und Göttingen (B. PREUSCHHOF, pers. Mitt.) und Teile des bewährte Meldebogen wurde aktualisiert und allen Landkreises Lüchow-Dannenberg (H.-J. KELM, pers. Kartierern oder avifaunistischen Arbeitsgruppen in Mitt.). Punktuell fanden auch Daten aus den Jahren Papierform oder als excel-Datei zur Verfügung ge- 2009 und 2010 Verwendung (ca. 7 % der Nach- stellt. weise). Ergänzt wurden diese Daten durch die Er- gebnisse aus den Brutvogelerfassungen der EU- Auf diesem Meldebogen waren neben Angaben Vogelschutzgebiete, die bei der Staatlichen Vogel- zur geografischen Lage Anzahl und Status (Brut- schutzwarte vorliegen. Berücksichtigt wurden hier nachweis, Brutverdacht, Brutzeitfeststellung) der Daten zurück bis in das Jahr 2005 (Daten 2005- festgestellten Reviere einzutragen. Daneben wurden 2009: 1,6 % der Gesamtdatenbasis). mit dem Bogen weitere Angaben zum Lebensraum (Acker- oder Grünlanddominanz), Brutplatz (Wald, Insbesondere die für den Rotmilan wichtigen und Feldgehölz, Baumreihe, Einzelbaum) und zur Horst- sehr großflächigen EU-Vogelschutzgebiete (EU- baumart abgefragt. Um weitere Angaben zu Ge- VSG) V68 „Sollingvorland“ und V37 „Niedersäch- fährdungen, Störungen oder Beeinträchtigungen sische Mittelelbe“ wurden jährlich nur auf Teilflächen wurde gebeten. und daher insgesamt über mehrere Jahre bearbeitet. Dagegen liegen für das Gebiet V19 „Unteres Eichs- Von besonderer Bedeutung war die Mitlieferung feld“ durch jährliche flächendeckende Erfassungen eines Kartenausschnitts mit Eintragung des Bru- im Rahmen des Rotmilanforschungsprojekts der treviers oder des Brutstandorts. Damit sollten mög- Uni Göttingen umfassende und aktuelle Daten für liche Doppelzählungen ausgeschlossen werden. mehrere Jahre vor (BRUNKEN 2011; E. GOTTSCHALK, pers. Mitt.). Besonders für die Bereiche außerhalb des geschlos- senen Verbreitungsgebietes im westlichen Nieder- Die neuen Datenportale für Beobachtungen im In- sachsen wurde auch darum gebeten, untersuchte ternet, ornitho und naturgucker (www.ornitho.de, Gebiete ohne Rotmilannachweis zur Brutzeit zu www.naturgucker.de), wurden ebenfalls berück- melden. sichtigt. Während die Daten aus ornitho für die Jahre 2011 und 2012 insbesondere durch die Ver- Bestandserfassung 2011 und Datenmaterial wendung der Brutzeitcodes C (sicheres Brüten) und B (wahrscheinliches Brüten) noch eine Reihe Für die Erfassung des Rotmilans wurden drei neuer Erkenntnisse zu Brutrevieren ergaben, wurden Termine zwischen Mitte März und Mitte Juli vor- die mit A (mögliches Brüten) sowie die in naturgucker geschlagen, die sich an den Methodenstandards gemeldeten Rotmilandaten als Brutzeitfeststellungen zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands orientieren dazu verwendet, Lücken in unzureichend erfassten (ANDRETZKE et al. 2005). Eine Nestersuche vor der Bereichen zu schließen. Weitere Daten aus 2012 Brutzeit wurde empfohlen. Die Erfassungen sollten konnten durch das 2011 erstellte Netz von Rotmi- ab 1,5 Stunden nach Sonnenaufgang bis in die lan-Probeflächen der AG Rotmilanschutz Nieder- Mittagsstunden sowie nachmittags bis 1,5 Stunden sachsen einfließen, die teilweise 2012 erstmals be- vor Sonnenuntergang stattfinden. arbeitet wurden (WELLMANN 2012a, 2012b). vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 214

214 WELLMANN: Verbreitung, Bestand und Gefährdungssituation des Rotmilans in Niedersachsen

Nicht in allen Fällen wurden die Meldebögen voll- Insgesamt ergibt sich damit eine Bestandsschätzung ständig ausgefüllt, so dass nur für einen Teil der auf einer breiten Datenbasis, die durch eine vor- Meldungen genauere Angaben zum Lebensraumtyp sichtige Bestandsschätzung für die relativ kleinen sowie zu Horststandort und Horstbaumart gegeben Bereiche mit Erfassungslücken ergänzt wurde. werden können. Witterung Auswertung Der Winter 2010/2011 war relativ mild mit stark Berücksichtigt wurden nur Nachweise zwischen schwankenden Temperaturen im Februar. Der Feb- Mitte März und Mitte Juli. Als Brutnachweis (BN) ruar war verbreitet zu trocken. Diese Trockenheit wurden brütende Altvögel, Beute eintragende Alt- setzte sich in den Monaten März bis Mai in ganz vögel oder Nestlinge bzw. Jungvögel im Nestbereich Niedersachsen fort, wobei die Abweichungen vom gewertet. Brutverdacht bestand für Reviere mit langjährigen Mittel im März sehr ausgeprägt waren. Feststellung eines balzenden Paares oder Individuums Der April war insgesamt sehr warm, trocken und mit Territorialverhalten im potenziellen Brutgebiet sonnig mit Temperaturen, die im Mittel 4 °C über sowie eine weitere Feststellung im Abstand von dem langjährigen Mittelwert lagen. Die Monate mindestens 7 Tagen, davon eine Anfang April bis Mai und Juni zeigten sich ebenfalls in ganz Nie- Mitte Juli. Außerdem bestand Brutverdacht bei dersachsen überdurchschnittlich warm und trocken. Nestbau, Warnrufen und bettelfliegenden Jung- Dagegen verlief der Juli sehr wechselhaft, regnerisch vögeln im Juli, wenn vorher bereits Altvögel fest- und kühl. Insgesamt herrschten 2011 für die Er- gestellt wurden. Alle übrigen Feststellungen von fassungen günstige Witterungsbedingungen, u. a. Einzelvögeln oder Paaren im potenziellen Brutgebiet durch die trockenheitsbedingt teilweise verzögerte wurden als Brutzeitfeststellung gewertet. Entwicklung der Vegetation (DEUTSCHER WETTERDIENST 2012). Trotz der umfangreichen Datengrundlage zeigten sich größere Erfassungslücken insbesondere in den Landkreisen Celle, Helmstedt, Northeim, Osterode Ergebnisse und Peine sowie in weiteren Teilbereichen aus ver- schiedenen Landkreisen, die als flächenhaft besiedelt Aktuelle Bestandsgröße in Niedersachsen gelten. Für diese Bereiche wurden vorliegende Brutzeitfeststellungen unter Berücksichtigung ihrer Die landesweite Erfassung 2011 mit Ergänzungen Häufung, Daten aus zurückliegenden Jahren bis 2012 sowie zusätzlichen Daten aus den Jahren 2008, der Landnutzungstypen sowie der Ergebnisse 2005-2010 ergab einen Bestand von 1.163 Revieren der ADEBAR-Erfassungen für die einzelnen MTB- des Rotmilans in Niedersachsen (Tab. 2). Unter Be- Quadranten vorsichtig als Brutrevier (Brutverdacht) rücksichtigung der in einigen Bereichen nicht voll- interpretiert. Dabei wurde folgendermaßen vorge- ständigen Erfassung wird der landesweite Bestand gangen: auf 1.100 bis 1.200 Brutpaare geschätzt.

a) berücksichtigt wurden nur MTB-Quadranten im Für die Jahre 2011/2012 wurden 688 Brutreviere bekannten geschlossenen Verbreitungsareal des abgegrenzt, davon 435 mit Brutnachweis. Ergänzt Rotmilans wurden die Ergebnisse aus Daten der Vorjahre bis b) neben nachgewiesenen oder recherchierten Re- 2005 zurück, die sich vor allem auf die Ergebnisse vieren aus ADEBAR mussten auch Brutzeitfest- der Brutbestandserfassungen der nicht alljährlich stellungen aus den Jahren 2011 und/oder 2012 kontrollierten EU-Vogelschutzgebiete beziehen. vorliegen Aus diesem Zeitraum wurden 98 Brutreviere (da- c) die Landnutzung wurde durch Heranziehen von runter 34 Brutnachweise) aus Gebieten berück- Satellitenbildern berücksichtigt, sichtigt, die 2011/2012 nicht kartiert wurden. Wei- d) es wurden jeweils die unteren Werte der Spanne tere 377 Brutreviere wurden im Rahmen der oben der ADEBAR-Größenklassen (also 2 bei 2-3 oder beschriebenen Hochrechnung von Erfassungslücken 4 bei 4-7) verwendet. unter Berücksichtigung von Daten aus der ADE- BAR-Kartierung 2005-2008 sowie weiterer Daten- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 215

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Tab. 2: Datensatz zur Ermittlung der aktuellen Bestandszahlen des Rotmilans in am dichtesten besiedelten Räu- Niedersachsen. Es wurde jeweils der aktuellste Wert je Gebiet bzw. TK 25-Qua- me finden sich im Weser- und drant berücksichtigt. – Breeding records of Red Kites in Lower Saxony 2005– Leinebergland, in den Börden 2012. For each surveyed square the latest available figures were used. sowie im östlichen Weser-Al- Erfassungsjahr BN BV Summe Anteil in % ler-Flachland (Abb. 1).

2005 3 1 4 0,3 Watten und Marschen 2006 1 4 5 0,4 Die einzigen gemeldeten Bru- 2007 0 0 0 0,0 treviere stammen vom Gauen- siekersand bei Drochtersen und 2008 3 6 9 0,8 aus der Winsener Marsch. Ein- 2009 3 41 44 3,8 zelne Brutzeitfeststellungen lie- 2010 24 12 36 3,1 gen darüber hinaus von der 2011/12 435 253 688 59,2 unteren Oste sowie aus dem Alten Land vor. Hochrechnung Erfassungslücken 377 377 32,4 Bestand 1.163 100,0 Ostfriesisch-Oldenburgische Geest Es liegt nur die Meldung eines meldungen (u. a. gehäufte Brutzeitfeststellungen) Brutpaares aus dem Wilden Moor bei Papenburg der Jahre 2008-2012 gewertet. vor, von dem ein Brutpartner im Straßenverkehr verunglückte. An einem weiteren traditionellen Verteilung nach naturräumlichen Regionen Brutplatz bei Edewecht-Süd gelangen 2011 lediglich Brutzeitfeststellungen. Einen Brutverdacht ohne Der Rotmilan besiedelt alle naturräumlichen Re- Kontrolle des Bruterfolgs gab es hier zuletzt 2010 gionen Niedersachsen und Bremens, diese jedoch (A. KESSLER, pers. Mitt.). Eine Brutzeitbeobachtung in sehr unterschiedlicher Dichte (Tab. 3). Nur mit liegt aus dem Stadtgebiet von Oldenburg vor. Einzelpaaren besiedelt sind die nordwestlich gele- genen naturräumlichen Regionen Watten und Mar- Stader Geest schen sowie die nordwestlichen Geestgebiete. Die Die Stader Geest ist mit nur acht Brutrevieren sehr

Tab. 3: Verteilung der Rotmilanreviere (Brutnachweis, Brutverdacht) auf die naturräumlichen Regionen in Niedersachsen und Bremen. – Distribution of Red Kite (confirmed and assumed breeding) across the natural regions of Lower Saxony and Bremen. Fläche 2011/12 [2005-2010] Siedlungsdichte Naturräumliche Regionen km² Anteil % Anzahl BN+BV Anteil % Rev./100 km² Niedersächsische Nordseeküste und Marschen 4.905 10,2 3 0,3 0,06 Ostfriesisch-Oldenburgische Geest 4.570 9,5 1 0,1 0,02 Stader Geest 5.270 11 8 0,7 0,15 Ems-Hunte-Geest und Dümmer-Geestniederung 8.670 18,1 1 0,1 0,01 Lüneburger Heide und Wendland 8.360 17,4 308 26,5 3,68 Weser-Aller-Flachland 4.940 10,3 163 14,0 3,30 Börden 3.400 7,1 214 18,4 6,30 Osnabrücker Hügelland 980 2 8 0,7 0,82 Weser- und Weser-Leinebergland 6.060 12,6 451 38,8 7,44 Harz 850 1,8 6 0,5 0,71 Summe 48.005 100 1.163 100 2,42 vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:53 Seite 216

216 WELLMANN: Verbreitung, Bestand und Gefährdungssituation des Rotmilans in Niedersachsen

09080706 10 1211 13 14 232221201918171615 24 25 2726 28 29 30 31 32 3433 35 7° 8° zu 9° 10° 11° 21 Hamburg Mecklenburg- 21 Schleswig-Holstein Vorpommern 22 22

23 23 Hamburg 24 24

25 25

26 26

27 27 Branden- burg 28 28

29 29 53° 53° 30 30

31 Niederlande 31

32 32

33 33

34 34 Sachsen-Anhalt 35 35

36 36

37 37

38 38

39 39 52° 52° 40 Rotmilan 40

41 Nachweise 2005-2012 41 Brutnachweis/Brutverdacht 42 42

43 43 Nordrhein-Westfalen 1 -3 -7 2 3 44 8-12 44 45 Brutzeitfeststellung 45 040302010 50 km 46 46 Hessen Thüringen 7° 8° 9° 10° 11° 16151413121110090807 17 18 19 20 21 22 3332313029282726252423 34 Kartengrundlage:© NLWKN/Peter G. Schader Abb. 1: Verbreitung des Rotmilans in Niedersachsen 2011/12 nach Messtischblatt-Quadranten. – Distribution of Red Kite in Lower Saxony 2011/12.

dünn besiedelt. Brutpaare wurden aus dem Land Bereich der Mittelraddeniederung im Grenzbereich Hadeln, dem Umfeld der Bederkesaer Seen und der Landkreise Emsland und Cloppenburg. Hier dem Oberlauf der Wümme gemeldet; daneben sollte zukünftig auf besetzte Brutreviere besonders zwei Brutpaare aus dem Landkreis Rotenburg/Wüm- geachtet werden. me. Brutzeitfeststellungen gelangen vor allem im Grenzbereich zum Weser-Aller-Flachland im Süden Lüneburger Heide und Wendland und zur Lüneburger Heide im Osten. Diese naturräumliche Region besiedelt der Rotmilan von West nach Ost in zunehmender Dichte. An Ems-Hunte-Geest und Dümmer-Geestniederung der Mittelelbe und im Wendland hat der Rotmilan Diese naturräumliche Region ist nahezu unbesiedelt. aktuell einen seiner Verbreitungsschwerpunkte in Das einzige festgestellte Brutpaar brütete bei Niedersachsen. Er besiedelt insbesondere die Elb- Bohmte unmittelbar an der Naturraumgrenze. talaue mit den großflächigen Grünlandbereichen Westlich Cloppenburg gelangen Ende Mai/Anfang sowie die kleinstrukturierte Landschaft des Wend- Juni zwei Brutzeitfeststellungen sowie weitere im landes. Weiter westlich, in den Landkreisen Gifhorn, vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 217

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Uelzen und Lüneburg ist der Rotmilan in geringerer mit Ackerflächen und Grünland in den Niederungen Dichte flächenhaft verbreitet. Der westliche Rand geprägte Landschaft günstige Lebensraumbedin- des Naturraums ist nur noch spärlich besiedelt. gungen für den Rotmilan. Nicht besiedelt werden Die großen Wälder der Lüneburger Heide werden großflächig geschlossene Waldgebiete. vom Rotmilan gemieden. Harz Weser-Aller-Flachland Der Harz ist nur in den Randbereichen in geringem Im Weser-Aller-Flachland zeigen sich Schwerpunkte Umfang besiedelt. Sechs Reviere wurden festgestellt, der Verbreitung in der Aller- und Weser-Niederung, die sich am Harzrand aufreihen. im Barnbruch, im Drömling sowie in der hanno- verschen Moorgeest. Dazwischen ist die gesamte Vorkommen in Schutzgebieten Region mit Ausnahme der nordwestlichen Bereiche flächenhaft besiedelt, wie intensiv kartierte Räume In Schutzgebieten (Natura 2000 [EU-VSG, FFH] in den Landkreisen Gifhorn und der Region Hannover bzw. NSG [Naturschutzgebiete]) befinden sich von zeigen. Die westlichsten Brutvorkommen befinden den lagegenau bekannten Revieren des Rotmilans sich im südöstlichen Landkreis Verden. in Niedersachsen (n = 786) zusammen ca. 30 %. In Landschaftsschutzgebieten (LSG) siedeln 40 %. Börden 38 % der Brutreviere befinden sich außerhalb der Die Börden sind flächendeckend in hoher Dichte naturschutzrechtlich geschützten Gebietskulisse besiedelt. Die landesweit höchsten Bestände des und entsprechend ca. 62 % in Gebieten, die in ir- Rotmilans befinden sich im südöstlichen Teil im gendeiner Form des Gebietsschutzes rechtlich ge- Bereich Salzgitter und Schladen mit bis zu 29 Re- sichert sind (Tab. 4). vieren auf dem Messtischblatt 3929 Schladen. Diese Region hat unmittelbaren Kontakt zum welt- EU-Vogelschutzgebiete und FFH-Gebiete weiten Dichtezentrum des Rotmilans im nordöstli- Nur 20 % der punktgenau bekannten Reviere lie- chen Harzvorland in Sachsen-Anhalt. In den wald- gen in Europäischen Vogelschutzgebieten (EU- armen Bördelandschaften kommt kleinen Feldge- VSG). Der Anteil liegt unter Berücksichtigung der hölzen und gliedernden Baumreihen, die oft aus hochgerechneten Reviere aus den Erfassungslücken Pappeln bestehen, als Brutplatz eine besondere (n = 377), die sich ausschließlich außerhalb der Bedeutung zu.

Tab. 4: Anteil der Rotmilanreviere in Schutzgebieten in Osnabrücker Hügelland Niedersachsen 2005-2012. – Percentage of the Red Kite Das Osnabrücker Hügelland ist mit acht Brutrevieren population breeding in different categories of conserva- östlich von Osnabrück sowie im Raum Melle relativ tion areas in Lower Saxony 2005-2012. spärlich besiedelt, stellt aber aktuell den am wei- testen nach Westen vorgeschobenen Vorposten 2011/2012 [2005-2009] eines dauerhaften Brutvorkommens in Niedersachsen Raumeinheit/Schutzstatus BP Anteil % dar. Mehrere Brutzeitbeobachtungen wurden zu- Niedersachsen/Bremen 786 100 sätzlich aus dem Raum westlich Melle gemeldet. EU-Vogelschutzgebiete (EU-VSG) 158 20,1 Weser- und Leinebergland EU-VSG, Rotmilan 141 17,9 Die naturräumliche Region stellt das Kerngebiet wertbestimmende Art (n = 9) der Rotmilanverbreitung in Niedersachsen dar. Über FFH-Gebiete 161 20,5 40 % der Brutreviere wurden hier kartiert. Die Natura 2000-Gebiete gesamt 219 27,9 Region ist flächendeckend besiedelt, wobei auch hier eine Abnahme von Ost nach West festzustellen Naturschutzgebiete (NSG) 61 7,8 ist. Hier liegen auch die großflächigen EU-Vogel- Natura 2000 und NSG gesamt 234 29,8 schutzgebiete V19 „Unteres Eichsfeld“ und V68 Landschaftsschutzgebiete 314 39,9 „Sollingvorland“, die für den Rotmilan eine hohe mit Gebietsschutz 484 61,6 Bedeutung aufweisen. Darüber hinaus bietet die durch bewaldete Höhenzüge und offene Talbereiche ohne Gebietsschutz 302 38,4 vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 218

218 WELLMANN: Verbreitung, Bestand und Gefährdungssituation des Rotmilans in Niedersachsen

EU-VSG befinden, sogar noch deutlich niedriger Sonstige Schutzgebiete (ca. 14 %). Dagegen wird die hohe Bedeutung In Naturschutzgebieten (NSG) außerhalb der Ge- der neun EU-VSG, in denen der Rotmilan wertbe- bietskulisse Natura 2000 (EU-Vogelschutzgebiete stimmende Art ist, mit 17,9 % der bekannten und FFH-Gebiete) wurden nur 15 Brutreviere (2 %) Reviere deutlich. Von allen Revieren in Europäischen festgestellt, in Landschaftsschutzgebieten (LSG) Vogelschutzgebieten sind das 89 %. entsprechend 250 Brutreviere (32 %).

Die größten Bestände wurden in den EU-VSG V37 Vorkommen außerhalb von Schutzgebieten „Niedersächsische Mittelelbe“ (n= 42; 2007-2011), V68 „Sollingvorland“ (n = 36; 2010-2012) und Ein relativ hoher Anteil der Brutreviere (302, ent- V19 „Unteres Eichsfeld“ (n = 23; 2011) festgestellt. sprechend 38,3 %) befindet sich in der nieder- Die höchsten Siedlungsdichten weisen die EU-Vo- sächsischen Landschaft außerhalb von gesetzlich gelschutzgebiete V47 „Barnbruch" (61,9 BP/100 geschützten Gebieten. Schwerpunkte liegen in km²), V46 „Drömling“ (21,4 BP/100 km²), V68 den naturräumlichen Regionen Lüneburger Heide „Sollingvorland“ (21,3 BP/100 km²) und V19 “Un- und Wendland, wo in den Landkreisen Lüchow- teres Eichsfeld“ (16,8 BP/100 km²) auf. Für das Dannenberg und Uelzen die Mehrzahl der Brutpaare relativ kleine bewaldete Gebiet „Barnbruch“ sind außerhalb von Schutzgebieten nistet, sowie in den die umliegenden Offenlandbereiche nicht berück- Börden und im Weser- und Leinebergland. Hier sichtigt, stellen aber essentielle Teile der Brutreviere sind vor allem die Landkreise Wolfenbüttel und dar, so dass die Siedlungsdichte zu relativieren ist Northeim sowie die Stadt Salzgitter zu nennen. (Tab. 5). Habitatwahl In FFH-Gebieten wurden 161 Brutreviere festgestellt, jedoch nur 61 in FFH-Gebieten, die nicht gleichzeitig Im Meldebogen konnte bezüglich der Verteilung EU-Vogelschutzgebiete sind. Der Schwerpunkt liegt von Acker- und Grünland in den abgeschätzten hier in den FFH-Gebieten „Salzgitterscher Höhen- Nahrungsrevieren der Brutpaare unterschieden wer- zug“ und „Aller mit Barnbruch, untere Leine, den in „Kulturlandschaft ackerdominiert“, „Kultur- untere Oker“ mit jeweils 7 Brutrevieren. landschaft grünlanddominiert“ und „Kulturlandschaft mit Acker und Grünland zu etwa gleichen Teilen“. Innerhalb der Natura 2000-Kulisse befinden sich 219 der punktgenau erfassten Brutreviere (27,8 %). Es liegen für 321 Brutreviere Angaben zu den Nah-

Tab. 5: Rotmilanreviere und Siedlungsdichte in den neun EU-Vogelschutzgebieten in denen der Rotmilan wertbestim- mend ist. – Red Kite population and population density in selected Special Protection Areas of the EU Birds Directive.

Reviere Siedlungsdichte max. Anzahl Reviere Nr. EU-Vogelschutzgebiet Fläche [ha] 2011/2012 Rev./100 km² 2001-2010 V19 Unteres Eichsfeld 13.710 23 16,8 20 (2011) V21 Lucie 8.229 7 8,5 3 (2006/2007) V29 Landgraben- und Dummeniederung 3.970 6 15,1 3 (2004) V37 Niedersächsische Mittelelbe 34.028 42 12,4 keine alten Daten V42 Steinhuder Meer 5.327 2 3,8 4 (2008) V46 Drömling 4.219 9 21,4 4 (2001) V47 Barnbruch 2.112 13 61,9 15 (2001) Laubwälder zwischen Braunschweig V48 3.296 3 9,1 8 (2001) und Wolfsburg V68 Sollingvorland 16.885 36 21,3 keine alten Daten Summen: 91.776 141 15,4 vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 219

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80 rungshabitaten der Brutvögel vor. Die Hälfte dieser ackerdominiert gleiche Verteilung von Acker und Grünland Reviere wurde in der ackerdominierten Kulturland- grünlanddominiert schaft festgestellt. Grünlanddominierte Reviere fan- 60 den sich zu 14 % und Reviere mit etwa gleichen Anteilen von Grünland und Acker zu 36 %. 40

Bezogen auf die hauptsächlich besiedelten vier Na- inAnteil% turräume (Lüneburger Heide und Wendland, We- ser-Aller-Flachland, Börden und Weser- und Leine- 20 bergland) liegen die ackerdominierten Reviere in

den Börden mit 70 % erwartungsgemäß am höchs- 0 ten. Den geringsten Anteil weist der Naturraum Lüneburger Heide Weser-Aller- Börden Weser- und und Wendland Flachland Leinebergland Weser-Aller-Flachland auf. Bei den grünlanddomi- Naturraum nierten Revieren ist es umgekehrt. Hier weisen Börden und Bergland nur Werte um 12 % auf, Abb. 2: Grünland- und Ackerdominanz der Rotmilanre- während im Weser-Aller-Flachland 21 % der Reviere viere in den flächig besiedelten Naturräumen (n = 321). – durch Grünland dominiert werden (Abb. 2). Ein Proportion of grassland and arable land in habitats of Vergleich mit der realen Verteilung der Nutzungstypen the Red Kite population in Lower Saxony 2011/12. in den Naturräumen war leider nicht möglich.

Sonstige Brutplatz 5% Erle 5% Die Brutplätze des Rotmilans liegen ganz überwie- gend in Wäldern ab 5 ha Fläche (62,4 %, n = Rot-Buche Kiefer 189), und hier fast ausschließlich in den Randbe- 33% 18% reichen bis maximal 150 m in den Waldbestand hinein. In deutlich geringerem Umfang werden Feldgehölze unter 5 ha Fläche als Brutplatz genutzt (27,4 %; n = 83). In Baumreihen brüteten 31 Brut- paare (10,2 %). Eiche 18% Pappel 21% Hinsichtlich der Horststandorte wurden neun ver- schiedene Baumarten gemeldet (n = 261). Etwa ein Drittel der Horste wurde auf Rot-Buchen Fagus sylvatica errichtet. Es folgen Pappel Populus spec., Abb. 3: Anteile der Baumarten an gemeldeten Horstbäu- Eiche Quercus robur und Kiefer Pinus sylvestris. In men des Rotmilans in Niedersachsen 2011/12 (n = 261). – geringem Umfang werden Schwarz-Erle Alnus glu- Tree species used for nesting by Red Kites in Lower Saxony tinosa, Weiden Salix spec., Esche Fraxinus excelsior, 2011/12. Lärche Larix spec. und Fichte Picea abies als Nistbaum genutzt.

Dabei gibt es bedingt durch die Verbreitung der Kiefer und Eiche, auch die Erle wird hier mit Baumarten erhebliche regionale Unterschiede, die Anteilen bis 15 % als Horstbaum genutzt. Pappeln den Rotmilan als wenig wählerisch hinsichtlich der dienen vor allem in der Börde als wichtige Nist- Nistbaumart zeigen. Während die Rot-Buche im baumart. Der Rotmilan nutzt vor allem die im Na- Weser- und Leinebergland von zwei Dritteln der turraum dominierenden Baumarten zur Nestanlage. Rotmilane als Nistbaumart gewählt wird, wurden Eine Präferenz kann aus den Daten nicht abgeleitet in den naturräumlichen Regionen Lüneburger Heide werden. und Wendland sowie Weser-Aller-Flachland keine Horste auf Rot-Buchen gemeldet. Hier liegt der Schwerpunkt auf den dominierenden Baumarten vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 220

220 WELLMANN: Verbreitung, Bestand und Gefährdungssituation des Rotmilans in Niedersachsen

Tab. 6: Bestandsschätzungen des Rotmilans in Niedersachsen seit 1970 und Rasterfrequenz der Brutvogelatlanten. – Population estimates of Red Kite in Lower Saxony since 1970 and raster frequency of breeding bird atlas projects.

Jahr Brutpaare Rasterfrequenz Quelle

1970-1975 600 k. A. HECKENROTH (1985)

1976-1980 >550 30 % HECKENROTH (1985)

1985 800-1.200 48 % HECKENROTH & LASKE (1997)

1989 600-800 k. A. ZANG et al. (1989)

2000 1.050 k. A. FRANZ & HORMANN (2003)

2006 900 23 % KLEIN et al. (2009)

2005-2008 1.000-1.300 39 % T. KRÜGER/STAATL. VOGELSCHUTZWARTE, pers. Mitteilung 2011/2012 1.100-1.200 30 % diese Arbeit

Störungen und Verlustursachen den waldarmen Bördelandschaften auch von NICOLAI et al. (2009) für das östliche Harzvorland beschrieben Fünfzehn Kartierer machten Angaben zu Störungen worden (vgl. Abb. 3). und Beeinträchtigungen des Rotmilans im Brutgebiet. In vielen Fällen konnten aber die Ursachen für eine Als Verlustursachen wurden darüber hinaus natür- abgebrochene Brut oder Verluste von brütenden liche Gründe, wie Prädation oder Sturm genannt. Altvögeln oder Jungvögeln nicht benannt werden. Als Prädatoren der Jungvögel oder Eier im Nest genannt wurden Marder Martes spec., Habicht Als Störungen wurden in acht Fällen Holzeinschlag Accipiter gentilis und Uhu Bubo bubo. In vielen während der Brutzeit, teilweise in Naturschutzge- Fällen war der Prädator nicht genau festzustellen. bieten, sowie Freizeitnutzung genannt. Dazu kamen Nur in Einzelfällen gelangen Totfunde im Bereich Störungen durch andere Arten und Nistplatzkon- von Windkraftanlagen oder Straßen, wobei insbe- kurrenten, wie Waschbär, Nilgans und Schwarzmi- sondere für Windkraftanlagen eine hohe Dunkelziffer lan. zu vermuten ist (MAMMEN et al. 2010).

Von den Kartierern beschriebene Gefährdungsur- sachen beziehen sich einerseits auf Veränderungen Diskussion der Landnutzung, wie Grünlandumbruch und den Vollständigkeit der Erfassung verstärkten Anbau von Energiepflanzen (Mais, Raps), sowie auf technische Anlagen oder Ver- Die Erfassung des Rotmilans in Niedersachsen kehrstrassen, die zu Individuenverlusten führen. 2011/2012 ist bis auf relativ kleine Erfassungslücken Hier wurden insbesondere Windkraftanlagen, Hoch- unter Berücksichtigung der Erfassungsergebnisse spannungsleitungen und Straßen erwähnt. Die aus den EU-Vogelschutzgebieten seit 2005 und starke Gefährdung des Rotmilans durch Wind- den neu eingerichteten Probeflächen des Bestands- kraftanlagen ist bereits seit längerem bekannt monitorings weitgehend flächendeckend. (NICOLAI et al. 2009, AEBISCHER 2009) und durch die Schlagopferdatei der Staatlichen Vogelschutzwarte Für einige Teilbereiche innerhalb des flächenhaft Brandenburg vor allem für Brandenburg gut do- besiedelten Areals lagen nur wenige oder keine kumentiert (DÜRR 2013). Daten vor, so dass hier unter Verwendung der ver- fügbaren Daten, wie Brutzeitfeststellungen aus Für das FFH-Gebiet „Ilme“ im Landkreis Northeim den Beobachtungsplattformen „ornitho.de“ und wurde das Fällen von Pappelreihen genannt, die „naturgucker.de“ und der Ergebnisse des ADE- als Brutstandorte genutzt werden. Die Bedeutung BAR-Projektes eine Bestandschätzung erfolgte. von Pappelreihen als Brutplatz ist insbesondere in Diese betrifft etwa ein Drittel des Gesamtbestandes, vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 221

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so dass exakte Brutpaarzahlen für ganz Nieder- Landesteilen hat sich der Rotmilan fast vollständig sachsen nicht angegeben werden können. Die vor- zurückgezogen. liegende Datenbasis ist allerdings die bislang um- fangreichste, so dass die Bestandsschätzung in ho- Um 1980 zeigte sich eine flächenhafte Verbreitung hem Maße realistisch erscheint. des Rotmilans südwestlich der Linie Osnabrück – Verden (Aller) – Winsen (Luhe). Westlich davon Bestandsgröße in Niedersachsen gab es nur eine punktuelle Verbreitung mit Kon- zentrationen im Ammerland und der Stader Geest. Lagegenaue Daten liegen von 786 Brutrevieren Der damalige Bestand wird mit >550 Brutpaaren des Rotmilans vor. Dazu kommen die 377 hochge- angegeben (HECKENROTH 1985). Für 1985 geben rechneten Reviere aus Bereichen mit größeren Er- HECKENROTH & LASKE (1997) 800-1.200 Brutpaare fassungslücken, aber innerhalb der geschlossenen an. Auch zu diesem Zeitpunkt waren noch große Verbreitung des Rotmilans. Teile der Stader Geest bis an die untere Weser be- siedelt und auch an der Unteren Ems siedelte die Neben flächendeckenden Erfassungen z. B. aus Art. Gegenüber den Daten von 1980 zeigte sich den Landkreisen Lüchow-Dannenberg, Hildesheim, eine dichtere Besiedlung vor allem im Elbe-Weser- Holzminden und Göttingen gibt es nach wie vor Dreieck sowie rund um den Dümmer. Vermutlich aus einigen Landkreisen im regelmäßig besiedelten ist dies aber eher Ausdruck einer besseren Daten- Areal kaum gesicherte Daten. Dazu zählen insbe- grundlage als einer Arealausbreitung. Die landes- sondere die Landkreise Helmstedt, Osterode/Harz, weite Erfassung 2006 (KLEIN et al. 2009) ergab Peine und Northeim. Es ist anzunehmen, dass in einen Bestand von 900 Brutpaaren bei deutlich re- diesen Landkreisen die Bestände auch aktuell eher duziertem Verbreitungsgebiet. Die Grenze des unterschätzt werden. Hauptverbreitungsgebietes lag südöstlich der Linie Osnabrück – Nienburg – Soltau – Lüneburg und Bestandsentwicklung, Verbreitung und Areal- damit deutlich nach Südosten zurückgezogen. veränderungen in Niedersachsen Brutvorkommen westlich der Weser sind mit Aus- nahme des Osnabrücker Hügellandes Einzelfälle Aus den veröffentlichten Bestandsschätzungen seit und auch in der Stader Geest verblieben nur etwa 1970 lässt sich eine Zunahme bis etwa 1990, wenige Brutpaare. Der neueste in Bearbeitung be- danach aber keine grundlegende Bestandsverän- findliche niedersächsische Brutvogelatlas (T. derung des Rotmilans mehr erkennen (Tab. 6). Da- KRÜGER/STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE, pers. Mitt.), gegen hat sich das Verbreitungsgebiet seither deut- dessen Datenerhebung im Zeitraum 2005 bis 2008 lich verkleinert. Insbesondere aus den nordwestlichen (ADEBAR) erfolgte, stellt die Verbreitung etwas

45 100

40 80

35 60

30 40 Anzahl Bruptaare [BN, BV] [BN, Bruptaare Anzahl Anzahl Brutpaare [BN, BV] [BN, Brutpaare Anzahl 25 20

20 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 1981 2000 2006 2011/12

Abb. 5: Rotmilanbestand im 1.040 km² großen Untersu- Abb. 6: Entwicklung des Rotmilanbestandes im Landkreis chungsgebiet in der Region Hannover (M. WULKOPF) und Lüchow-Dannenberg 1970 bis 2012. Quelle: AVIFAUNISTI- Trend 2000-2012. – Population trend of a Red Kite po- SCHE ARBEITSGEMEINSCHAFT LÜCHOW-DANNENBERG e. V. (H.-J. pulation in Hanover Region 2000 - 2012. KELM, briefl.). – Population trend of a Red Kite population in the county of Lüchow-Dannenberg 1970 - 2012. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 222

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09080706 10 1211 13 14 232221201918171615 24 25 2726 28 29 30 31 32 3433 35 7° 8° zu 9° 10° 11° 21 Hamburg Mecklenburg- 21 Schleswig-Holstein Vorpommern 22 22

23 23 Hamburg 24 24

25 25

26 26

27 27 Branden- burg 28 28

29 29 53° 53° 30 30

31 Niederlande 31

32 32

33 33

34 34 Sachsen-Anhalt 35 35

36 36

37 37

38 38

39 39 52° 52° 40 Rotmilan 40 41 41 Veränderungen 2006-2011/12 42 42

43 r l 43 re re e e e vi Nordrhein-Westfalenier er vie e ev viere vi eviere e nzah R 44 Revie R A Revier Re Re 44 8 1 R 1 + - 11 + 4-7 R 2-3 iche 2-3 4-7 - 45 + + - - 45 gle 040302010 50 km 46 Reviere 1985 1 Revier 2-10 Reviere >10 Reviere 46 Hessen Thüringen 7° 8° 9° 10° 11° 16151413121110090807 17 18 19 20 21 22 3332313029282726252423 34 Kartengrundlage:© NLWKN/Peter G. Schader

Abb. 4: Veränderung in der Rotmilanverbreitung 2011/12 gegenüber der landesweiten Erfassung 2006 (KLEIN et al. 2009) und Reduzierung des Verbreitungsgebietes des Rotmilans in Niedersachsen gegenüber 1985 (HECKENROTH & LASKE 1997). – Changes in Red Kite numbers in Lower Saxony 2011/12 compared to 2006 and changes in distribution compared to 1985.

optimistischer dar. Der Bestand wird mit 1.000 bis gegenüber 2006 zu werten ist. Vielmehr scheint 1.300 Brutpaaren geschätzt. Gegenüber dem Atlas die Datengrundlage breiter und damit genauer zu von 1985 sind viele der Vorkommen westlich der sein. Gegenüber der Erfassung von 2006 werden Weser verschwunden und die Vorkommen in der die Veränderungen im Bestand und Areal aus Abb. Stader Geest ebenfalls deutlich reduziert. Auffällig 4 deutlich. Grundsätzlich fällt auf, dass große Be- ist dabei, dass viele ehemalige Vorkommen am reiche in Süd- und Ostniedersachsen dichter besiedelt Arealrand, vor allem entlang einer Linie zwischen sind als 2006 erfasst. Das gilt allerdings nicht für Dümmer und Lüneburg, seit dem Erscheinen des den Landkreis Göttingen. Auch der Trend, das Ver- letzten Atlasses nicht mehr besiedelt sind. breitungsareal nach Südosten zu verlagern, hat sich aktuell nicht weiter fortgesetzt. Die Erfassung von 2011/2012 ergibt einen Bestand von 1.100 bis 1.200 Brutpaaren in Niedersachsen, Auf regionaler Ebene liegen aus einzelnen Gebieten was aber offensichtlich nicht als Bestandszunahme bereits mehrjährige Datenreihen zur Bestandsent- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 223

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wicklung des Rotmilans vor. Bereits seit dem Jahr Der Grünlandanteil im Rotmilanrevier ist wegen 2000 bearbeitet M. Wulkopf eine 1.040 km² große der guten Nahrungsverfügbarkeit offensichtlich ein Untersuchungsfläche im Süden der Region Hannover, Schlüsselfaktor. Nach GELPKE & HORMANN (2012) die sich zwischen dem Steinhuder Meer und dem steigt die Siedlungsdichte in Hessen mit dem Grün- Hämeler Wald erstreckt, mit jeweils der gleichen landanteil deutlich. Raster mit mindestens einem Methode. Die Bördelandschaft hat große Anteile Revier wiesen einen Grünlandanteil von mindestens an diesem Untersuchungsgebiet, daneben aber 17 % auf. Dagegen sinkt die Rotmilandichte mit auch die grünlandgeprägte Leineaue, die Stadt dem Anteil der Waldflächen. Die Ergebnisse der Hannover und der dicht bewaldete Deister. Die landesweiten Erfassung belegen die hohe Bedeutung Bestandsentwicklung weist in diesem Landschafts- der Grünlandflächen nur bedingt, da die Angaben ausschnitt im Ballungsraum Hannover deutliche der Erfasser bzw. die Antwortmöglichkeiten auf Schwankungen mit einem insgesamt negativen dem Erfassungsbogen hierfür zu unspezifisch waren. Trend auf, der sich in den letzten Jahren ins Positive Hier könnten weitergehende Untersuchungen an gewandelt hat (Abb. 5). Aus anderen Regionen, ausgewählten Revieren in den verschiedenen Na- wie dem Landkreis Lüchow-Dannenberg, liegen turräumen genauere Informationen liefern. Für dagegen ansteigende Bestandszahlen vor (Abb. 6; den Barnbruch bei Wolfsburg liegt eine Analyse HENHEIK & NEUSCHULZ 1983, H.-J. KELM, pers. Mitt.). der Flächennutzung für Radien von jeweils 3 km Als Gründe für den Bestandsanstieg werden neben um sechs bekannte Brutstandorte vor (H.-J. KALISCH, einer intensivierten Erfassung auch Bestandszu- pers. Mitt.). Dabei wurden für die offene Landschaft nahmen entlang der Elbe genannt. 62,8 % Grünland und 37,2 % Ackerfläche ermittelt. Im Weserbergland nutzten die Rotmilane zur Nah- Weitere aussagekräftige Zahlenreihen aus anderen rungssuche überproportional Grünlandflächen und Regionen liegen derzeit nicht vor, doch werden Dörfer gegenüber Ackerflächen (SCHMIDT 2009). seit 2011 durch Mitglieder der AG Rotmilanschutz Auch die Brutplatzwahl wird offensichtlich durch (SANDKÜHLER & WELLMANN 2012) auf 18 Probeflächen das Vorhandensein von Grünland begünstigt. Im in Niedersachsen die Rotmilanbestände jährlich er- näheren Umfeld der Brutplätze ist Grünland im fasst, so dass zukünftig Datenreihen aus größeren Landkreis Holzminden doppelt so häufig zu finden Räumen vorliegen werden. wie im Durchschnitt des Kreisgebietes. Das gilt genau umgekehrt für Ackerflächen (SCHMIDT 2009).

Habitatwahl und Horststandorte MAMMEN et al. (2010) zeigten auf Basis von Unter- suchungen zur Habitatnutzung, dass Rotmilane Der Rotmilan ist als Kulturfolger eine Art der ab- zur Nahrungssuche die Flächen nutzen, auf denen wechslungsreichen Kulturlandschaft. Dort, wo wegen geringer oder lückiger Bedeckung Nahrung Wald flächen und Offenland mit nicht zu geringem besonders leicht erreichbar ist. Dabei werden Rand- Grünlandanteil sowie dörfliche Siedlungen vor- und Grenzstrukturen überdurchschnittlich genutzt. handen sind, erreicht der Rotmilan die höchsten Überproportional werden Schwarzäcker, im Mai Siedlungsdichten. Geschlossene Waldflächen werden und Juni auch die noch weitgehend offenen Mais- vom Rotmilan gemieden. Das gilt in Niedersachsen äcker und später im Jahr Stoppeläcker zur Nah- für den Harz, die geschlossenen Wälder des Solling rungssuche aufgesucht. Auf Maisäckern werden sowie der Lüneburger Heide. im Frühsommer in hohem Maße früh morgens Re- genwürmer aufgelesen und an die Jungen verfüttert Da der Rotmilan für die Horstanlage auf hohe (E. GOTTSCHALK, pers. Mitt.). Die auf diese Weise Bäume – er brütet in der Regel in 15 bis 30 m aufgenommene Nahrung deckt aber den erfor- Höhe (ZEHRER & BRANDT 2002, AEBISCHER 2009) – an- derlichen Gewichtsanteil für die Jungvögel nur zu gewiesen ist, sind Wälder, Feldgehölze oder Baum- einem sehr geringen Teil. reihen unverzichtbare Bestandteile seines Lebens- raumes. Zur Nahrungssuche werden dagegen Besonders gern wird frisch gemähtes Grünland zur offene Landschaften aufgesucht, in denen der Rot- Nahrungssuche genutzt, da hier ein hohes Nah- milan seine Beute aus seinem typischen Suchflug rungsangebot zur Verfügung steht. Entsprechende aufspürt. Flächen sind Anziehungspunkt für sämtliche Rot- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 224

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milane der Umgebung. Die Attraktivität der Flächen Grundlegende Veränderungen der Landschaft, die sinkt mit jedem Tag nach der Mahd weiter ab. immer noch anhalten, sind vermutlich die Haupt- ursache für Reproduktionsraten, die nicht ausrei- In Niedersachsen und speziell in den Landkreisen chend für den Bestandserhalt sind (NICOLAI & Göttingen und Holzminden wird im Rahmen des MAMMEN 2009, NICOLAI et al. 2009). Vor allem der Vertragsnaturschutzes für Ackerrandstreifen die Verlust an Nutzungsvielfalt, die flächendeckende Aussaat von Luzerne bzw. Kleegras gefördert, die Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung eine verbesserte Nahrungsverfügbarkeit für Greif- und der zunehmende Anbau von Energiepflanzen vögel bieten. Der Rotmilan ist hier die Zielart der führt zu einer direkten Verringerung der Nah- Maßnahme. Die Schnittzeitpunkte variieren je nach rungsverfügbarkeit und andererseits zu einer schlech- Vertragsgestaltung, doch ist für den Rotmilan die teren Erreichbarkeit der noch vorhandenen Nahrung Mahd im Mai/Juni erforderlich, um als bevorzugte in den für die Reproduktion wichtigen Zeitfenstern, Nahrungsfläche zu dienen. Dies führt allerdings zu z. B. durch zu hohe und dichte Vegetation während Verlusten von Kleinvögeln und Kleinsäugern. Nach der Jungenaufzucht im Juni und Juli. E. GOTTSCHALK (pers. Mitt.) werden die Vertragsflä- chen, von denen 2011 insgesamt 465 ha unter Die höchsten Rotmilanbestände gab es in Ost- Vertrag standen (Landkreis Göttingen 243 ha, deutschland in den 1980er Jahren, in denen in der Landkreis Holzminden 222 ha; F. KRUSE, pers. Mitt.) DDR eine intensive Feldfutterwirtschaft mit Kleegras regelmäßig genutzt, können aber nur zu einem und Luzerne betrieben wurde. Dies änderte sich geringen Teil den erforderlichen Nahrungsbedarf seit 1990 stark, als zunehmend Wintergetreide, für die Jungvögel decken. Raps und Mais angebaut wurden. Die Rotmilanbe- stände nahmen mit dem Rückgang des Feldfutter- anbaus stark ab (NICOLAI et al. 2009). Auch in Nie- Beeinträchtigungen und Gefährdungen dersachsen wurde die Fruchtfolge stark einge- schränkt und insbesondere in den letzten Jahren Der Rotmilan ist durch indirekte Gefährdungsfak- fand eine erhebliche Ausweitung des Energiepflan- toren, wie die rasche und kontinuierliche Verände- zenanbaus (Mais, Raps) statt. So nahm die Mais- rung der Landnutzung, und direkte Beeinträchti- anbaufläche in Niedersachsen zwischen 2003 und gungen, wie Individuenverluste durch die Techni- 2011 von ca. 17 % auf 32 % der gesamten Acker- sierung der Landschaft oder menschliche Nach- fläche zu (NDS. ML 2011). Allein 11 % der Acker- stellung gleichermaßen bedroht. Dazu kommen fläche oder 205.000 ha wurden 2011 für Energie- Störungen an den Brutplätzen und Prädation. Die mais genutzt. Wenn diese Entwicklung auch be- Auswirkungen auf den Bestand sind aktuell noch sonders intensiv im kaum vom Rotmilan besiedelten nicht belegt, die Vielzahl an Gefährdungen und Westniedersachsen auftritt, sind die Steigerungsraten ein verringerter Bruterfolg weisen auf einen zu er- auch in den dicht vom Rotmilan besiedelten Land- wartenden Bestandsrückgang hin. schaftsräumen Ostniedersachsens ausgeprägt. So liegt der Energiepflanzenanteil an der Ackerfläche auch in den flächig vom Rotmilan besiedelten Veränderungen der Landnutzung Landkreis Celle, Lüneburg, Hameln-Pyrmont und Lüchow-Dannenberg zum Teil deutlich über dem Als Nahrungsopportunist nutzt der Rotmilan jeweils Landesdurchschnitt von 8 % (Celle und Lüchow- die Nahrung, die für ihn am leichtesten zu erreichen Dannenberg: 19 %). ist. Dabei wird die gesamte Vielfalt kleiner Wirbeltiere der Kulturlandschaft sowie darüber hinaus Wir- Problematisch für den Rotmilan sind die für lange bellose, wie Regenwürmer, genutzt. Die Quantität Zeit dicht und hoch bewachsenen Flächen mit der Nahrung in verfügbarer Form bestimmt die Raps, Mais und Wintergetreide, die es der Art un- Rotmilandichte der Landschaft (E. GOTTSCHALK, pers. möglich machen, seine Beute zu erreichen (NICOLAI Mitt.). Das Nistplatzangebot ist offensichtlich in & MAMMEN 2009, SCHMIDT 2009). Aus diesem Grund weiten Teilen Niedersachsens gegeben und stellt wurde 2007 die bereits erwähnte Fördermaßnahme in der Regel nicht den limitierenden Faktor für die 432 des Kooperationsprogramms Naturschutz ent- Reproduktion dar. wickelt. Im Rahmen dieser freiwilligen Vertragsna- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 225

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turschutzmaßnahme werden von Landwirten Lu- Der Verlust an Saumstrukturen durch Flächenzu- zerne- und Kleegrasäcker für den Rotmilan ange- sammenlegung und die weit verbreitete schleichende boten und damit die ehemalige Feldfutterwirtschaft Verringerung der in der Regel in kommunalem Ei- kleinflächig nachgebildet. Eine spezielle "Rotmil- gentum befindlichen Wegeseitenräume durch Be- anvariante" wird allerdings nur für Ackerflächen ackerung führen zusätzlich zu Flächenverlusten in der Förderkulisse innerhalb der Landkreise Göt- mit ursprünglich guter Nahrungsverfügbarkeit. tingen, Holzminden und Northeim und damit nur Dazu kommen die verringerten Ernteverluste mit in kleinen Teilbereichen des niedersächsischen Ver- in der Folge weniger Kleinsäugern und immer ef- breitungsgebietes angeboten. Erste Ergebnisse von fektiver eingesetzte Insektizide und Herbizide. Untersuchungen zeigen, dass die Maßnahme noch nicht den gewünschten Erfolg bringt (E. GOTTSCHALK, Eine weitere lokal bedeutsame Nahrungsquelle pers. Mitt.). Daher wurden Optimierungsvorschläge waren bis vor wenigen Jahren Müllplätze und erarbeitet, die mindestens zwei Mahdtermine in Mülldeponien. Hier konnten teilweise große An- der kritischen Zeit der Jungenaufzucht vorsehen sammlungen von Rotmilanen festgestellt werden. und einen höheren Strukturreichtum bewirken Seit die Deponien ab 2009 nach Änderungen im (GROTHEY 2012). Abfallrecht abgedeckt werden, fällt diese zusätzliche Nahrungsquelle weitgehend weg. Der extreme Rückgang an Stilllegungsflächen nach 2007 um etwa 75 % (DEUTSCHE ORNITHOLOGEN-GE- In der Summe sind die genannten erheblichen SELLSCHAFT & DACHVERBAND DEUTSCHER AVIFAUNISTEN Veränderungen in der Landnutzung innerhalb we- 2011) führte ebenfalls zum Verlust von Flächen niger Jahre dafür verantwortlich, dass die vorhan- mit günstiger Nahrungsverfügbarkeit, vor allem in denen Nahrungstiere weniger leicht verfügbar sind den Mittelgebirgslagen. Bei den Stilllegungsflächen und damit die Versorgung der Jungen immer handelte es sich in der Regel um Grenzertragsflä- schwieriger wird. Als direkte Auswirkung beginnen chen, die mehrjährig brachlagen. Jeder Betrieb traditionelle Brutpaare erst gar nicht mit der Brut hatte 10 % seiner Fläche stillzulegen oder konnte oder brechen diese während der Brutzeit ab (WAS- diese mit Energiepflanzen bebauen. Letztere Option MUND & GOTTSCHALK i. Vorb.). Die Folge sind lokale wurde in der Regel auf guten Böden, wie in den Bestandsrückgänge und eine geringe Reprodukti- Bördelandschaften, genutzt. onsrate, wie in gut untersuchten Gebieten, wie dem EU-Vogelschutzgebiet V19 „Unteres Eichsfeld“ Der starke Rückgang des Grünlandes, das in Nie- festgestellt wurde (BRUNKEN 2009). dersachsen zwischen 1995 und 2010 um 24 % abnahm, stellt eine weitere tief greifende negative Technisierung der Landschaft Veränderung im Lebensraum des Rotmilans dar. Der Schwerpunkt der Rotmilanverbreitung in Nie- Die Fragmentierung der Landschaft durch technische dersachsen liegt in Gebieten, die einen Grünland- Anlagen und Verkehrswege stellt eine weitere sehr anteil von unter 20 % aufweisen (LANDWIRTSCHAFTS- ernste Gefährdungsursache für den Rotmilan dar. KAMMER NIEDERSACHSEN 2011). Die verbliebenen Rest- Hier kommt es vor allem zu individuellen Verlusten. flächen haben eine entsprechend hohe Bedeutung Zu erwähnen sind insbesondere Stromtrassen und für den Rotmilan, da hier zumindest kurzzeitig Windkraftanlagen. Daneben stellen Straßen oder nach der Mahd und in der Regel inmitten der Bahnlinien eine zusätzliche Gefährdungsursache Nestlingszeit der Jungen eine hohe Nahrungsver- dar. fügbarkeit besteht und diese Flächen eine deutlich höhere Flächenfrequentierung aufweisen (SCHMIDT Tod durch Stromschlag ist eine häufige Todesursache 2009). Seit 2009 gilt in Niedersachsen ein Grün- bei Rotmilanen (AEBISCHER 2009, LANGGEMACH et al. landumbruchverbot, womit ein weiterer Grünland- 2010). Dabei erfolgt der Stromschlag bei der Be- verlust ausgeschlossen sein sollte. Allerdings sind rührung zweier Strom führender Leitungsdrähte Neuansaaten mit wenigen Grassorten, Düngung oder am Mast, wenn gleichzeitig mit dem geerdeten und Walzen als Ausgleich möglich, so dass eine Mast Strom führende Kabel berührt werden. Gerade weitere Intensivierung stattfindet. Vogelarten mit großer Flügelspannweite sind hier besonders gefährdet. Aus Niedersachsen liegen vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 226

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keine Erkenntnisse über Verluste von Rotmilanen stufen waren; 57 % wiesen keine Beanstandungen an Stromtrassen vor (STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE, auf (BRÜCHER 2010). An 21 der 125 gefährlichen pers. Mitt.), doch sind diese anzunehmen. In § 41 Masten waren zwar Entschärfungsbemühungen BNatSchG ist geregelt, dass Mittelspannungsmasten erkennbar. Die dazu durchgeführten Maßnahmen und Leitungen bei Neubauten sowie in Bereichen wurden allerdings als unzureichend oder völlig un- mit hoher Gefährdung von Vögeln durch geeignete wirksam bewertet. technische Maßnahmen zum Schutz vor Stromschlag bis Ende 2012 zu sichern sind. Dazu hat die Staat- Windenergieanlagen (WEA) stellen für den Rotmilan liche Vogelschutzwarte bereits 2007 eine Gebiets- ein besonders ausgeprägtes Gefährdungspotential kulisse erarbeitet, die das Land in vier Rangstufen dar. Grund ist die Flugweise und Flughöhe der der Priorität einteilt (OLTMANNS 2007). Die höchste Rotmilane, die sich zu hohen Anteilen innerhalb Priorität betrifft über 30 % der Landesfläche und der „gefährlichen Zone“ von 50 bis 150 m über berücksichtigt die Lebensräume besonders gefähr- dem Gelände aufhalten (MAMMEN et al. 2009) deter Großvögel, darunter den Rotmilan. Aktuell sowie das fehlende Meidungsverhalten gegenüber ist allerdings unklar, ob die Vorgabe des Gesetzes den Rotoren. Nach LANGGEMACH et al. (2010) stellen durch die Leitungsbetreiber umgesetzt wurde. Da- Kollisionen mit WEA in jüngster Zeit in Deutschland neben ist für einige der technischen Maßnahmen die wichtigste anthropogene Verlustursache dar. bereits bekannt, dass die beabsichtigte Wirkung Dokumentiert werden diese Verluste durch die nicht erreicht wird und nach wie vor ein Gefähr- Staatliche Vogelschutzwarte Brandenburg, die eine dungspotential besteht (LINDNER 2011, K. SANDKÜHLER zentrale Fundkartei von Schlagopfern von WEA pers. Mitt.). Eine Untersuchung aus dem Biosphä- führt (DÜRR 2013). Danach waren von den bis zum renreservat Niedersächsische Elbtalaue ergab, dass 23.04.2013 in Deutschland gemeldeten 1.756 von den 291 Masten auf einer 42 km² umfassenden Schlagopfern 645 Greifvögel (37 %) und 193 Rot- Fläche 125 (43 %) als für Vögel gefährlich einzu- milane (11 %). Für Niedersachsen ist der Anteil der Greife mit ca. 23 % und auch der Rotmilane mit 7 % deutlich Tab. 7: Gemeldete Verluste von Rotmilanen an Windenergieanlagen in Nie- geringer. Gleichwohl ist der Rot- dersachsen seit 2003 (DÜRR 2013). – Reported Red Kite losses at wind milan mit 17 gemeldeten Opfern turbines in Lower Saxony since 2003. nach deutlich häufigeren Arten, Datum Windpark Landkreis Melder wie Stockente, Lachmöwe und Sommer 2003 Reinbeck/Aerzen GF A. Klein Mäusebussard die vierthäufigste Art auf der Liste für Niedersachsen; September 2003 Bischhausen GÖ Göttinger Tageblatt in Anteilen am Landesbestand ge- Sommer 2007 Kölkerberg HOL S. Lange messen ist der Rotmilan wegen der Sommer 2007 Kölkerberg HOL A. Borchers geringeren Bestandsgröße sogar die durch Windenergieanlagen ge- Herbst 2007 Kölkerberg HOL T. Farries fährdetste Vogelart. Da in den sel- 04.07.2008 Kölkerberg HOL T. Farries tensten Fällen eine systematische Frühjahr 2009 Kölkerberg HOL W. Bruchmüller Suche nach Schlagopfern stattfin- 21.08.2010 Schweskau DAN F. Manthey det, ist von einer erheblichen Dun- kelziffer auszugehen (RASRAN et al. 07.09.2010 Schweskau DAN F. Manthey 2009). In den meisten Fällen gelin- 12.09.2010 Schweskau DAN J. Lippert gen die Funde nur durch Zufall. 17.10.2010 Calle NI N. & S. Schröter Die Liste der Schlagopfer an WEA 25.03.2011 Wüsthof-Soltau HK Wein/Marquardt für Niedersachsen (Tab. 7) zeigt 28.03.2011 Estorf NI T. Fuchs eine räumliche Verteilung auf das 06.04.2012 Ruhbrink HM H. Brede gesamte Verbreitungsgebiet. Be- 30.08.2012 Testorf UE L. Wellmann sonders problematisch, vielleicht auch besonders gut untersucht, 14.10.2012 Jelpke GF A. Langbein sind die Windparks „Kölkerberg“ vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 227

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im Landkreis Holzminden sowie „Schweskau“ im menden Jahren zu rechnen. Derzeit bereiten viele Landkreis Lüchow-Dannenberg. Am „Kölkerberg“ Landkreise und andere Träger der Regionalplanung wurden in nur zwei Jahren fünf Rotmilane als Windvorrangflächen für die Regionalen Raumord- Schlagopfer gefunden; in „Schweskau“, wo gezielte nungsprogramme vor. Es ist anzunehmen, dass Nachsuchen stattfanden, in zwei Monaten drei sich die Gefährdung des Rotmilans durch WEA tote Rotmilane. Besondere Maßnahmen zum Schutz auch dann weiter verschärfen wird, wenn in stär- des Rotmilans wurde in keinem der Fälle eingeleitet kerem Umfang als bisher Verbreitungsdaten u. a. (M. BUSCHMANN pers. Mitt., F. GUCKEISEN pers. Mitt.). des Rotmilans bei Windpark-Planungen einbezogen werden. Alleine die vorliegenden Zahlen lassen Auswirkungen zumindest auf den lokalen Bestand vermuten. Im Als Opfer an Verkehrstrassen, wie Straßen und Rahmen einer aktuellen Studie für das Land Bran- Bahnstrecken sind Rotmilane ebenfalls dokumentiert. denburg (BELLEBAUM et al. 2012) wurden vorhandene Die Gefährdung entsteht insbesondere aus der Daten ermittelt und eine Risikoabschätzung im Nutzung von Verkehrsopfern durch den Rotmilan Hinblick auf den Erhaltungszustand der Brutpopu- (DRIECHCIARZ & DRIECHCIARZ 2009). Dabei begibt er lation für Brandenburg durchgeführt. Als Ergebnis sich selbst in Gefahr und wird durch nachfolgende ist festzuhalten, dass eine zusätzliche Mortalität Fahrzeuge erfasst. Allerdings ist die Gefährdung von 3,1 % des nachbrutzeitlichen Bestandes ver- offensichtlich deutlich geringer als beim Mäuse- ursacht wird. Bei Inbetriebnahme bereits geneh- bussard, wie eine Studie aus Frankreich nahelegt migter bzw. weiterer WEA würden sich die Summen (AEBISCHER 2009). In Brandenburg wurde die To- weiter erhöhen und eine zusätzliche Mortalität desursache von 153 flüggen Jungvögeln untersucht. von bis zu 5 % erreichen. Die Auswirkungen dieser 17 Straßenopfer (11 %) und 2 Bahnopfer (1 %) jährlichen Verluste auf die Rotmilanpopulation wur- wurden ermittelt. Die meisten Straßenopfer wurden den berechnet, wobei im realistischsten Szenario an Autobahnen (11) und Bundesstraßen (5) ermittelt der Schwellenwert bei 393 Individuen oder 4 % (LANGGEMACH et al. 2010), also an Straßen mit der Population liegt. Bei fortgesetzter Überschreitung hohem Verkehrsaufkommen, auf denen hohe Ge- des Schwellenwertes besteht nach Ansicht der schwindigkeiten gefahren werden. Aus Nieder- Verfasser die Gefahr einer Verschlechterung des sachsen liegt nur ein Hinweis eines Straßenopfers Erhaltungszustands der Population. Auch für Nie- vor, das leider ausgerechnet einen Altvogel des dersachsen wäre eine vergleichbare Studie interes- westlichsten Brutpaares aus dem Landkreis Emsland sant. betraf (U. VOSS, pers. Mitt.), doch ist die Dunkelziffer hier, vor allem für Autobahnen mit Sicherheit eben- Opfer an WEA sind überwiegend Altvögel und falls sehr hoch. diese zu einem sehr hohen Anteil (86 %) während der Brutzeit (LANGGEMACH & DÜRR 2012). Auch Störungen und Prädation mehrjährige bruterfahrene und brutortstreue Tiere verunglücken (MAMMEN et al. 2009). Damit entstehen Störungen am Brutstandort können anthropogen durch Brutausfälle erhebliche zusätzliche Verluste verursacht oder natürlich sein. Prädation ist in der für die lokale Population. Regel natürlich, wird in einer steigenden Zahl von Fällen aber durch vom Menschen eingebrachte Problematisch ist insbesondere die Tatsache, dass Neozoen verursacht und damit ebenfalls anthro- Rotmilane die WEA nicht meiden, sondern eher pogen verursacht. sogar gezielt aufsuchen, was u. a. am höheren Anteil an Brachstrukturen (Zuwegung, Mastfuß- Der Rotmilan wird als konkurrenzschwach be- brache) mit besserer Nahrungsverfügbarkeit und schrieben, der gegenüber anderen Arten, wie dem einem höheren Nahrungsangebot (extensive Nut- aggressiveren Schwarzmilan Milvus migrans, im zung, evtl. Schlagopfer) als auf den umgebenden Streit um einen Horstplatz in der Regel das Nach- Ackerflächen liegt. sehen hat (ORTLIEB 1995). Die Brutaufgabe nach Streitigkeiten mit Schwarzmilanen wurde 2011 in Mit der Genehmigung einer Fülle weiterer Windparks Niedersachsen in zwei Fällen dokumentiert. Dagegen ist im Rahmen der „Energiewende“ in den kom- dominiert der Rotmilan über den Mäusebussard vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 228

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Buteo buteo. Neben dem Schwarzmilan werden Neuerdings treten vermehrt durch Neozoen verur- als heimische Nistplatzkonkurrenten in Einzelfällen sachte Fälle von Prädation auf, wobei hier insbe- Habicht, Kolkrabe Corvus corax und Uhu genannt sondere der Waschbär Procyon lotor genannt wird, (ORTLIEB 1995). Seit einigen Jahren tritt mit der der die Nester ausräubert und diese auch gerne Nilgans Alopochen aegyptiacus ein weiterer Nist- als Tagesruheplatz nutzt (NICOLAI et al. 2009, platzkonkurrent auf (NICOLAI et al. 2009). MAMMEN 2010).

Störungen am Brutplatz mit negativen Auswirkungen Direkte Verfolgung auf den Bruterfolg werden in hohem Maße aber durch den Menschen verursacht. Als wichtigste Die direkte Verfolgung des Rotmilans in Deutschland Ursachen werden Holzeinschlag und andere forst- und Niedersachsen ist nicht mehr vergleichbar mit liche Arbeiten, wie Brennholzgewinnung durch der angestrebten und staatlich geförderten Aus- Selbstwerber sowie Freizeitnutzung genannt. Wei- rottung aller Nahrungskonkurrenten früherer Jahr- terhin wurden der Bau jagdlicher Einrichtungen hunderte; sie findet aber nach wie vor statt. und der Betrieb von Pumpen zur Feldberegnung als Störung ermittelt (eig. Beobachtung). Andererseits Die Rechtslage ist eindeutig: Alle in Deutschland besetzt der Rotmilan nicht selten Horstplätze im heimischen Greifvögel sind nach § 7 Abs. 2 Nr. 14 unmittelbaren Randbereich von Siedlungen (z. B. Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) in Verbindung BRUNKEN 2011), was generell auf eine hohe Toleranz mit Anhang A der EU-Artenschutzverordnung (EG- gegenüber menschlicher Anwesenheit hinweist. Verordnung 337/97) streng geschützt. Damit gelten für wildlebende Individuen umfangreiche Fang-, In Niedersachsen wurden aus dem Erfassungsjahr Tötungs-, Stör-, Besitz- und Vermarktungsverbote. 2011 in acht Fällen erhebliche Störungen durch Jede Art der Nachstellung (z. B. durch Fangeinrich- forstliche Arbeiten im Brutrevier gemeldet. Nach tungen, Abschuss oder Gift) stellt eine Straftat Auskunft der Niedersächsischen Landesforsten gilt dar, die mit bis zu 5 Jahren Freiheitsentzug geahndet in Niedersachsen für (fast) alle Greifvögel ein- werden kann. Weiterhin unterliegen alle Greifvögel schließlich des Rotmilans eine Brutschutzzone von in Deutschland einer ganzjährigen Schonzeit nach 300 m im Zeitraum vom 15.03. bis 31.07. nach dem Jagdrecht. dem Vogelschutzmerkblatt der Niedersächsischen Landesforsten von 1992 (C. BOELE-KEIMER, pers. In Nordrhein-Westfalen besteht das Problem der Mitt.). Diese wird aber wohl nicht in allen Fällen Greifvogelverfolgung bereits seit längerer Zeit und konsequent eingehalten. In einigen Fällen ist ver- wird dort inzwischen durch eine Schwerpunkt- mutlich der Horststandort dem Revierförster nicht staatsanwaltschaft konsequent verfolgt und durch bekannt, was vor allem bei Neuansiedlungen wegen Naturschutzverbände publik gemacht. Zwischen der relativ kleinen Horste nicht auszuschließen ist. 2005 und 2011 wurden mehr als 320 Fälle von Greifvogelverfolgung dokumentiert, in denen mehr Weiterhin führen Freizeitaktivitäten, wie Fahren als 550 Greifvögel und Eulen gefangen, verletzt mit Geländemotorrädern oder Quads, Ausführen oder getötet wurden, darunter 41 Rotmilane von Hunden, Joggen oder längeres Lagern in Horst- (HIRSCHFELD et al. 2012). Der Schwerpunkt liegt nähe zu erheblichen Störungen, die eine Aufgabe dabei auf dem illegalen Fang sowie der Vergiftung. des Brutplatzes zur Folge haben können (NICOLAI Weitere Verfolgungsmethoden sind Abschuss, das et al. 2009). Fällen oder „Abklopfen“ von Horstbäumen oder das Aushorsten von Jungvögeln. Als natürliche Prädatoren treten Baummarder Martes martes, Habicht, Seeadler Haliaeetus albicilla Aus Niedersachsen liegt keine Zusammenfassung und Uhu auf (ORTLIEB 1995, LANGGEMACH et al. vergleichbarer Fälle vor. Doch kamen auch von 2010), die Eier oder Junge aus dem Horst holen. In hier in den letzten Jahren vermehrte Meldungen drei Fällen wurden Baummarder und in einem Fall über Greifvogelverfolgungen. Nachdem im Landkreis der Uhu im Rahmen der Meldungen aus 2011 als Cuxhaven im Mai 2005 die beiden Küken des an Prädatoren in Niedersachsen genannt. der Oste-Mündung ansässigen Seeadlerpaares ver- giftet wurden (BECHINGER 2011), entstand eine lan- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 229

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desweite Initiative, die in die „Hannoversche Er- west-Frankreich. Einzelne Individuen oder Gruppen klärung gegen illegale Greifvogelverfolgung“ vom bis über 100 Tiere überwintern im Harzvorland 27. März 2007 mündete. Unterzeichner waren (ZANG 1989, ORTLIEB 1995), wobei die Mehrzahl neben den niedersächsischen Ministern für Land- sich im nordöstlichen Harzvorland (Sachsen-Anhalt) wirtschaft und Umwelt der Präsident der Landes- aufhält und hier seit den 1950er Jahren eine Über- jägerschaft sowie die Vorsitzenden der Natur- winterungstradition ausgebildet hat. schutzverbände BUND, NABU und NOV, außerdem der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Adlerschutz. Sowohl aus Frankreich (AEBISCHER 2009), aber in noch stärkerem Maße aus Spanien (IÑIGO 2010) Doch auch danach wurden Fälle illegaler Verfolgung liegen Daten über Vergiftungen von Rotmilanen von Greifvögeln, besonders massiv in den Jahren vor, die durch die großflächige Anwendung von 2009 und 2010 aus den Landkreisen Diepholz und Rodentiziden zur Wühlmausbekämpfung zu Tode Vechta gemeldet, denen u. a. auch ein Rotmilan kamen. In Spanien, wo die Überwinterungspopu- zum Opfer fiel (NABU NIEDERSACHSEN 2013), der lation zwischen 1994 und 2004 von 66.000 auf hier nur selten auftritt. Die Tiere wurden durch 35.500 Ind. abnahm stellen die Vergiftung durch Carbuforan vergiftet, ein Insektizid, das seit 2008 Rodentizide und die Abnahme der Nahrungsgrund- in der EU verboten ist und dessen Vertrieb, Verkauf lage (Müllkippen, Schindanger) die Hauptursache und Besitz strafbar ist. Weiterhin wurden am für den Bestandsrückgang dar (IÑIGO 2010, GELPKE 29.04.2009 ein ebenfalls durch Carbuforan ver- & HORMANN 2012). Weitere Gründe sind die Ab- gifteter Rotmilan bei Burgwedel (Region Hannover; nahme extensiv genutzten Weidelandes sowie An- NABU REGION HANNOVER 2013) und am 29.04.2010 flüge an Stromleitungen und Windenergieanlagen. ein vergifteter Rotmilan auf dem Horst in der Win- sener Marsch (Landkreis Harburg) tot gefunden. Die Untersuchung ergab, dass der Vogel mit dem Bewertung des Erhaltungszustands Insektizid Mevinphos vergiftet wurde, das ebenfalls Der Erhaltungszustand des Rotmilans wird bislang nicht in der EU zugelassen ist (BRODOWSKI 2012). für Niedersachsen als ungünstig bewertet (NLWKN 2009). Offensichtlich überwiegen in Niedersachsen Ver- giftungen vor allen anderen Methoden der Greif- Die Bewertung des Erhaltungszustands erfolgt in vogelverfolgung. Besonders kritisch sind die Verluste Niedersachsen und Bremen unter Anwendung der in den Frühjahrsmonaten, die neben dem Verlust Kriterien „Zustand der Population“ (Populations- des Individuums auch einen Brutausfall bewirken. größe, Bestandstrend, Bruterfolg, Siedlungsdichte), „Habitatqualität“ sowie „Beeinträchtigungen und Da die Greifvogelverfolgung versteckt in der Fläche Gefährdungen“. Die einzelnen Parameter werden stattfindet, ist die Dunkelziffer wahrscheinlich hoch. über eine dreistufige Skala (hervorragend, gut, un- Alle Fälle von Greifvogelverfolgung sollten unbedingt günstig) bewertet und anschließend zu einem Ge- angezeigt werden. Die Behörden haben hier wegen samtwert aggregiert (BOHLEN & BURDORF 2005). der Einstufung als „Offizialdelikt“ die Pflicht ein Er- mittlungsverfahren einzuleiten (HIRSCHFELD et al. 2012). Zustand der Population

Im Zuge der zunehmenden Konflikte zwischen Die 1.100-1.200 Brutpaare des Rotmilan, die sich Wind energieplanung und Greifvogelschutz sind fast ausschließlich auf die östliche Landeshälfte ver- auch Fälle absichtlicher Störungen im Brutgebiet teilen, stellen eine Populationsgröße dar, wie sie oder der Beseitigung von Horstbäumen bereits vor- vergleichbar auch in den benachbarten Bundesländern gekommen (STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE, pers. Mitt.). Hessen und Thüringen vorhanden ist. Größere Be- reiche Ostniedersachsens scheinen nahezu flächen- Gefährdungen auf dem Zug und im Winter- deckend besiedelt zu sein. Die Habitatkapazität ist, quartier bezogen auf die aktuelle Habitatqualität, hier in vielen Bereichen vermutlich nahezu erreicht. Dies Die niedersächsischen Rotmilane überwintern über- gilt allerdings nicht für die Bereiche der aktuellen wiegend auf der Iberischen Halbinsel sowie in Süd- Arealgrenze sowie für die westlichen Geestgebiete. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 230

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In Abhängigkeit von der Kleinnagerdichte unterliegt Die Siedlungsdichte des Rotmilans in Niedersachsen die Population natürlichen Schwankungen. und Bremen liegt bei dem aktuell ermittelten Bestand bei etwa 2,4 Brutpaaren/100 km². Be- Die Populationsgröße ist aktuell mit „gut“ zu be- rücksichtigt man nur den besiedelten Teil des werten. Landes, so liegt die Siedlungsdichte bei ca. 5 BP/100 km². Für die Probeflächen, die 5 % der Auf Basis der vorliegenden Zahlen und der veröf- Landesfläche umfassen, wurde 2012 eine Sied- fentlichten Bestände aus vorangegangenen Brut- lungsdichte von 6,2 BP/100 km² ermittelt (WELLMANN vogelatlanten und Erfassungen scheint der Rotmi- 2012b). In den Nachbarländern Brandenburg, Thü- lanbestand anzusteigen (Tab. 6). Die aktuell vorlie- ringen und Hessen liegt die Siedlungsdichte ebenfalls genden Bestandszahlen basieren aber, bedingt zwischen 5 und 6 BP/100 km²; in Sachsen-Anhalt durch die ADEBAR-Erfassung, die Kartierungen in sogar bei 11 BP/100 km². den EU-Vogelschutzgebieten und den Probeflächen auf der bislang umfangreichsten und belastbarsten Diese Daten zeigen, dass im östlichen Niedersachsen Datenbasis. Für einzelne Regionen, wie das Wend- eine mit angrenzenden Räumen vergleichbare Sied- land ist tatsächlich eine Bestandszunahme festzu- lungsdichte des Rotmilans besteht. Für den Bereich stellen; für die meisten Regionen gilt das allerdings des Arealrandes entlang der Linie Osnabrück – Lü- nicht. Hier ist im besten Fall von einem stabilen neburg und die nur noch spärlich besiedelten Ge- Bestand auszugehen (z. B. Region Hannover; Abb. biete in Westniedersachsen gilt das nicht. Hier ist 6). Im Bereich des Arealrandes und für das westliche die Siedlungsdichte sehr viel geringer (<0,5 BP/100 Niedersachsen ist ein deutlicher Bestandsrückgang km²). verbunden mit Arealverlusten festzustellen. Lan- desweit scheint der Bestand stabil zu sein und ist Insgesamt ergibt sich daher eine ungünstige Sied- daher noch mit „gut“ zu bewerten. lungsdichte für den Rotmilan in Niedersachsen und Bremen. Der Bruterfolg wurde in Niedersachsen bisher nur für Teilflächen errechnet, so für das EU-Vogel- Fazit: Der Zustand der Population des Rotmilans schutzgebiet V19 „Unteres Eichsfeld“ (BRUNKEN in Niedersachsen ist derzeit noch mit gut zu be- 2011) und die Region Hannover. Die Reproduktion werten. Das Ergebnis tendiert unter Berücksichtigung in V19 betrug in 2011, einem Jahr mit geringen des zumindest in Teilgebieten verringerten Bruterfolgs Wühlmausbeständen, nur 1,0 Junge/BP. Dieser Wert und der vielfältigen Gefährdungen durch den Land- liegt auch für ein Jahr mit schlechter Nahrungsver- nutzungswandel und die Energiewende aber zu sorgung sehr niedrig und ist vermutlich nicht ge- einem ungünstigen Zustand. Die Entwicklung wird eignet, den Bestand dauerhaft zu erhalten. Im Jahr durch die Ergebnisse der Probeflächenuntersu- 2008 wurden sogar nur 0,44 flügge Junge/Brutpaar chungen künftig jährlich verfolgt. ermittelt (BRUNKEN 2008 in WASMUND & GOTTSCHALK i. Vorb.). Für die Region Hannover (wurden 2011 Habitatqualität und 2012 für alle Brutpaare eine Reproduktion von 1,32 Jungvögel pro Brutpaar (JV/BP) ermittelt. Die Die Habitatqualität hat sich für den Rotmilan in mittlere Fortpflanzungsziffer in Deutschland beträgt den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. mittel- bis langfristig (1972-2000) 1,68 JV/BP (MAM- Eine weitere Verschlechterung ist bei Fortdauer MEN & STUBBE 2000); für Niedersachsen bei 1,49 der aktuellen Entwicklung zu unterstellen. Die JV/BP (ZANG 1989). Damit liegen die aktuell für Nie- Gründe wurden bereits aufgezählt. Sie liegen in dersachsen vorliegenden Werte unter dem Wert den Veränderungen der Ackerbewirtschaftung, in für ganz Deutschland sowie älteren Werten für der Abnahme von Grünland und Brachen sowie Niedersachsen. Aktuell sind landesweit flächende- dem Rückgang von Randstrukturen und der Tendenz ckende Aussagen zum Bruterfolg nicht möglich. zu immer größeren Bewirtschaftungseinheiten. Be- Auf eine Bewertung des Bruterfolges im landesweiten sonders problematisch ist die schlechte Verfügbarkeit Kontext wird daher verzichtet. Hier werden die zu- von Nahrung während der Nestlingszeit der Jungen. künftigen Ergebnisse der Probeflächenuntersuchun- Das gilt auch für die EU-Vogelschutzgebiete, in gen weitreichendere Kenntnisse liefern. denen der Rotmilan wertbestimmend ist, da auch vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 231

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in diesen Gebieten kein Einfluss auf die Flächen- • Erhöhung der Siedlungsdichte in den Kernge- bewirtschaftung genommen werden kann. bieten der Verbreitung,

Maßnahmen des Vertragsnaturschutzes zeigen bis- Bezogen auf die Lebensräume der Brutvögel lang noch keine durchschlagende Wirkung, puffern aber die negative Entwicklung in bestimmten Räu- • Förderung extensiver landwirtschaftlicher Be- men etwas ab. wirtschaftungsformen und einer offenen Tier- haltung, Fazit: Die Habitatqualität wird insgesamt als un- • Förderung eines vielfältigen Nutzungsmosaiks günstig für den Rotmilan eingestuft. (Wiesen, Äcker, Brachen, Hecken, Saumbiotope etc.) und damit der Nahrungstiere (v. a. Klein- Beeinträchtigungen und Gefährdungen säuger), • Erhaltung und Neuschaffung ausreichend großer Habitatveränderungen durch den Strukturwandel Feldgehölze und Baumreihen in der Agrarland- der Landwirtschaft und Gefährdungen durch die schaft des Hauptverbreitungsgebietes und grund- zunehmende Verbauung der Landschaft mit tech- sätzliche Schonung der traditionellen Horstbäume nischen Anlagen führen zu erheblichen Beeinträch- vor forstlicher Nutzung, tigungen der Rotmilanpopulation. Für die nahe • keine forstliche Nutzung im Horstumfeld während Zukunft ist im Rahmen der "Energiewende" mit der Brutzeit, einer weiteren Verschärfung der Situation zu rech- • Entschärfung gefährlicher Strommasten und nen. Freileitungen, • Überprüfung und Reduzierung der Auswirkungen Fazit: Beeinträchtigungen und Gefährdungen treten von Windkraftanlagen und räumliche Steuerung für den Rotmilan in vielfältiger Art und Weise auf des Ausbaus, und nehmen tendenziell weiter zu. Daher wird • intensive Ahndung illegaler Tötungen (Abschuss, diesem Kriterium die Bewertung "ungünstig" zu- Giftköder), geordnet. • Lenkung bzw. Beruhigung des Besucherverkehrs im Umfeld traditioneller Horstbereiche, In der Summe aller Kriterien hat der Rotmilan in • Aufklärung der von EU-Vogelschutzgebieten für Niedersachsen einen ungünstigen Erhaltungszustand. den Rotmilan betroffenen Nutzer (Landwirte, Forstverwaltungen, Waldarbeiter) über die not- Der Rotmilan ist in Niedersachsen als Art mit wendigen Maßnahmen zur Sicherung des Horst- höchster Priorität für Erhaltungs- und Entwick- umfeldes. lungsmaßnahmen (KRÜGER & OLTMANNS 2008) ein- gestuft. Im Rahmen der Niedersächsischen Strategie Zum Erhalt der Bestände und zur Wiederausbreitung zum Arten- und Biotopschutz wurden für den Rot- der Art in die alten Brutgebiete im Westen Nieder- milan folgende Erhaltungsziele formuliert (NLWKN sachsens bedarf es umfassender Schutz- und Ent- 2009): wicklungsmaßnahmen.

Bezogen auf die Brutvogelpopulation Schutz- und Entwicklungsmaßnahmen

• Erhalt einer vitalen Population in allen natürli- Die vielfältigen und ineinandergreifenden Gefähr- cherweise besiedelbaren naturräumlichen Re- dungen des Rotmilans machen umfassende und gionen, miteinander verknüpfte Schutzmaßnahmen für die • Ausbreitung der Vorkommen nach Nordwesten, Art erforderlich, die im Ergebnis eine positive Be- • Vernetzung der isolierten Einzelvorkommen mit standsentwicklung und eine Wiederbesiedlung be- den Hauptvorkommen und Förderung des Aus- reits aufgegebener Naturräume in Niedersachsen tausches der Populationen untereinander, zum Ziel haben müssen. Zu unterscheiden ist in • Über die Jahre durchschnittlich mindestens zum Maßnahmen zur Verbesserung der Nahrungsver- Populationserhalt ausreichende Reproduktions- fügbarkeit in den Brutgebieten und zur Vermeidung erfolge, von Störungen an den Brutplätzen sowie Maß- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 232

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nahmen zur Vermeidung von Verlusten an techni- ausgedehnt werden, die nach dem Vollzugshinweis scher Infrastruktur in der Landschaft. Darüberhinaus für den Rotmilan (NLWKN 2009) landesweite sind konsequente Strafverfolgung und Öffentlich- Schwerpunktvorkommen aufweisen. keitsarbeit wichtige Maßnahmen zur Verringerung der direkten Verfolgung des Rotmilans. Der Erhalt von Grünland ist flächendeckend erfor- derlich, da im Zuge des Grünlandumbruchs der Maßnahmen zur Verbesserung der Nahrungs- vergangenen Jahrzehnte der Grünlandanteil in verfügbarkeit vielen Rotmilanrevieren bereits ein kritisches Min- destmaß erreicht hat. Dabei steht der Fokus nicht Erforderlich sind landwirtschaftliche Nutzungsformen alleine auf extensivem (ggf. beweidetem) Grünland, sowie eine räumliche Durchmischung dieser Formen, sondern auch relativ artenarmes und intensiv ge- die dem Rotmilan eine freie Sicht auf seine Nahrung nutztes Grünland ist bei mehrmaligem Schnitt ermöglicht. Besonders kritisch ist die Zeit der Jun- während der Jungenaufzucht des Rotmilans ein genaufzucht in den Monaten Juni und Juli, in überaus wichtiges Nahrungshabitat. denen die Mehrzahl der landwirtschaftlichen Flächen einen dichten und hohen Vegetationsbestand auf- Weiterhin von hoher Bedeutung sind sämtliche Rand- weisen. Günstige Flächen und Nutzungen sind streifen und Säume. Gerade der Erhalt der Wege- Brachen und Stoppelbrachen, breite Randstreifen randstreifen und ausreichend breiter Grabenränder und Raine, Grünlandflächen und Ackernutzungen steht hier - nicht nur für den Rotmilan - im Vorder- mit Sommergetreide, Grünbrachen sowie Feldfut- grund. Gegen die weit verbreitete Praxis von Flä- terwirtschaft mit Kleegras- und Luzerneäckern. chenbewirtschaftern, kommunale Flächen entlang Wichtig sind auch die Durchmischung der Landschaft der Gemeindewege von der Allgemeinheit unbemerkt mit verschiedenen Nutzungsformen sowie eine oder stillschweigend geduldet zu beackern, sollte möglichst kleinteilige Struktur. verstärkt vorgegangen werden. Die Randstreifen sollten anschließend vor illegaler Nutzung z. B. durch Im Rahmen des Vertragsnaturschutzes auf Acker- Findlinge oder Eichenspaltpfähle gesichert werden. flächen (Nds. MU 2012) sollte in der neuen För- Die heutigen Möglichkeiten der Katasterverwaltung derperiode ab 2014 eine optimierte „Rotmilanva- in Zusammenhang mit aktuellen Luftbildern lassen riante“ (GROTHEY 2012, E. GOTTSCHALK, pers. Mitt.) hier Verstöße relativ leicht nachweisen. Aktuell mit auch für Bördelandschaften attraktiven För- mangelt es insbesondere am Vollzug entsprechender derprämien angeboten werden. Da diese Maß- Verstöße und am Willen der Gemeinden und Real- nahmen freiwillig sind, wäre eine Einbeziehung in verbände gegen diese Verstöße vorzugehen. das diskutierte „Greening“ der GAP-Reform von 7 % der Bewirtschaftungsfläche für die Empfänger Maßnahmen zur Sicherung der Brutplätze von Direktzahlungen von hoher Bedeutung. Die Optimierung gegenüber der aktuellen Regelung Vordringlich erscheinen konkrete Regelungen zum der Fördermaßnahme 432 des Kooperationspro- Schutz des Horstumfeldes, die deutlich über die gramms Naturschutz sieht eine Mindest-Schlaggröße veralteten Regelungen der Niedersächsischen Lan- von 1 ha bei einer Mindestbreite von 24 m vor. Die desforsten von 1992 (Vogelschutzmerkblatt) hi- Einsaat hat bis zum 30.04. des ersten Vertragsjahres nausgehen. Konkret sollten sich die Regelungen zu erfolgen, wobei die Leguminosen-Grasmischung an § 33 des Brandenburgischen Naturschutzgesetzes mindestens 25 % Leguminosen enthalten muss. (BbgNatSchG) oder der Naturschutzleitlinie für den Es erfolgt eine Unterteilung in Schonstreifen von Hessischen Staatswald (HESSEN-FORST 2010, GELPKE 8-10 m Breite und in Mähflächen, die zwischen & HORMANN 2012) orientieren und folgende Min- dem 01.05. und dem 01.07. mindestens zweimal destanforderungen erfüllen: gemäht oder geschlegelt werden müssen (im An- saatjahr nur einmal bis 01.08.). Mit diesem Vorschlag • Erhalt der Horstbäume sowie bekannter oder für die Neuausrichtung der Fördermaßnahme wer- vermuteter Requisitenbäume (Ruhebäume, Kröpf- den die Erfahrungen aus der Förderperiode 2008 plätze usw.) bis 2013 speziell für die Zielart Rotmilan umgesetzt. • Erhalt des Bestandscharakters im engeren Horst- Die Fördermaßnahme sollte auf alle Landkreise bereich von mind. 50 m vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 233

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• Keine forstlichen Arbeiten und keine Jagdaus- Maßnahmen zur Verringerung der Individu- übung (mit Ausnahme der Nachsuche) im er- enverluste weiterten Horstbereich bis 200 m zwischen An- fang März und Ende Juli Im Fokus stehen hier vor allem die Windenergie- • Keine Errichtung von jagdlichen Einrichtungen anlagen (WEA) sowie die Planungen zur Ausweisung im erweiterten Horstbereich bis 200 m von Vorrangflächen zur Windenergienutzung, die aktuell in vielen Landkreisen anstehen. Grundsätzlich ist eine gesetzliche Regelung des Horstschutzes im Niedersächsischen Ausführungs- Bereits bei der Ausweisung von Vorrangflächen gesetz zum Bundesnaturschutzgesetz (NAGBNat- zur Windenergienutzung im Rahmen der Regio- SchG) für störungsempfindliche Großvögel und nalplanung (und auch bei der Planung von Hoch- Greife (außer Rot- und Schwarzmilan auch Schwarz- spannungsleitungen) sind alle bekannten Vorkom- storch, Adler, Uhu, Korn- und Wiesenweihe) erfor- men des Rotmilans zu berücksichtigen. Nach dem derlich, damit die Regelungen nicht auf den Staats- Urteil des VG Hannover vom 22.11.2012 (Az.: 12 wald begrenzt bleiben. A 2305/11) ist bei einem Abstand einer WEA zu einem Rotmilanhorst von unter 1.000 m die Ver- Sinnvoll erscheinen Regelungen des Vertragsna- mutung gerechtfertigt, dass die Anlage gegen das turschutzes auch für den Wald, um für die o.g. Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 BNatSchG verstößt. Maßnahmen, vorrangig in den EU-Vogelschutzge- Allerdings ist die konkrete Raumnutzung durch bieten, die teilweise mit Bewirtschaftungsnachteilen den Rotmilan zu betrachten, die die genannte Ver- und damit Mindererträgen einhergehen, Akzeptanz mutung widerlegen kann. bei den Waldbesitzern zu erreichen. Es ist daher angeraten, bereits vor der Ausweisung Weiterhin erscheint es sinnvoll, alle bekannten von Vorrangflächen für die Windenergienutzung Horststandorte bzw. neue Horststandorte den Re- im Regionalen Raumordnungsprogramm eine Er- vierförstern und den Unteren Naturschutzbehörden fassung der Rotmilanreviere im Planungsraum zu melden. Auf diese Weise sollen Störungen u. a. durchzuführen, wie dies einzelne Landkreise oder durch Selbstwerber von Brennholz oder Freizeit- Gemeinden (z. B. Landkreis Göttingen) in Nieder- nutzungen vermieden werden. Außerdem besteht sachsen bereits durchgeführt haben. auf diese Weise die Hoffnung auf ein erhöhtes Augenmerk der genannten Stellen im Hinblick auf Die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen Störungen im Umfeld von Horststandorten. Gerade für Windparks sollten folgende Nebenbestimmungen Neuansiedlungen bzw. neue Horststandorte sind zur Vermeidung von Individuenverlusten (vgl. § 15 oftmals durch die kleinen und teilweise unauffälligen Abs. 1 BNatSchG) enthalten: Horste schwer zu entdecken. Voraussetzung dafür ist allerdings die vertrauliche Behandlung der Da- • Der Mastfußbereich der Anlage ist unattraktiv ten. für den Rotmilan zu gestalten (möglichst klein, keine Mahd und kein Umbruch; MAMMEN et al. In durch Freizeitnutzung gefährdeten Brutrevieren 2009). sind ggf. während der Brutzeit Wege zu sperren • Keine Ernte oder Mahd im Windpark vor Beginn oder diese unter Berücksichtigung der Brutreviere der Wintergersteernte gegen Mitte Juli (MAMMEN neu auszuschildern. et al. 2009) bzw. Abschalten der WEA bei Mahd der angrenzenden Flächen für drei Tage. Das Fällen von Hybridpappelreihen in den Niede- • Verpflichtendes Monitoring der Schlagopfersuche rungslandschaften und Börden ist im Hinblick auf nach allgemeingültigen Kriterien für mindestens die Bedeutung als Brutplatz für den Rotmilan in je- zwei Jahre und Meldung der Ergebnisse an die dem Einzelfall zu überprüfen. Teilabschnitte von Genehmigungsbehörde sowie an die Staatliche Pappelreihen sind möglichst zu erhalten. Vogelschutzwarte.

Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Natur- schutzverwaltung sollte darauf hingewiesen werden, vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 234

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dass Totfunde von Rotmilanen (und anderen streng gelschutzverbände sind über die EU oder das Eu- geschützten Arten) im Umfeld von WEA unbedingt ropäische Parlament sowie über die Behörden in gemeldet werden sollten. Dabei ist auf die Schlag- Frankreich und Spanien Initiativen erforderlich, die opferkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte in das Ausbringen von Wühlmausgiften vollständig Brandenburg zu verweisen. verbieten.

Im Umfeld von Vorkommen des Rotmilans mit Siedlungsdichten über 10 Brutpaare /100 km² Danksagung sollten keine weiteren WEA errichtet werden. Zu Die erfolgreiche landesweite Erfassung des Rotmilans EU-Vogelschutzgebieten ist ein Mindestabstand 2011 war nur durch die ehrenamtliche Mitarbeit der 10-fachen Anlagenhöhe, mindestens jedoch vieler Avifaunisten möglich. Ihnen ist daher beson- von 1.200 m einzuhalten (LAG-VSW 2007). ders zu danken:

Es sind besondere Anstrengungen zu unternehmen, H. Achilles, C. Adler, I. Ahrens, F. Allmer, H. die eigentlich bis 31.12.2012 gesetzlich nach § 41 Averdieck, H. Baumgarten, S. Baumung, F. Bechinger, BNatSchG geforderte Durchführung von wirksamen J. Behling, A. Behrendt, D. Behrendt, G. Bentlage, Sicherungsmaßnahmen an Mittelspannungsmasten R. Berlage, P. Bernardy, S. Beuger, F. Bindrich, D. zum Schutz von Vogelarten so schnell wie möglich Birke, J. Blank, V. Blüml, C. Bock, M. Bögershausen, umzusetzen. Es wirft kein gutes Licht auf die ver- N. Böhm, R. Boll, M. Bollmeier, J. Bommer, S. Bon- antwortlichen Netzbetreiber, dass der Termin of- gers, K. Borkenhagen, A. Borschel, M. Bosch, K. fensichtlich für eine Vielzahl an Masten nicht ein- Boße, G. Braemer, S. Brand, T. Brandt, M. Breede, gehalten wurde oder unwirksame Maßnahmen A. Bruch, G. Brunken, W. Bruns, E. Bühring, R. gewählt wurden. Can, T. Christophersen, M. Corsmann, G. Dahms, M. Dankelmann, M. Deneke, P. Derpmann-Hagen- Eine intensive Bejagung der nicht-heimischen Prä- ström, V. Dierschke, F. Dreyer, H.-G. Düllberg, M. datoren, insbesondere des Waschbären, ist erfor- Dürner, B. Eggert, H. Ehlers, W. Eikhorst, J. Eitner, derlich, um Verluste von Gelegen und Jungvögeln M. Elscher, K. Ewald, I. Fahne, A. Feldhusen, M. Fi- sowie die Belegung von Rotmilanhorsten durch scher, J. Folger, W. Frels, T. Frischgesell, L. Frye, N. den Kleinbären zu minimieren. Die wichtigste Auf- Gaedecke, T. Garczorz, M. Gasse, R. Gerken, A. gabe kommt dabei der Jägerschaft zu, die insbe- Giesenberg, W. Golnik, M. Gorsler, R. Grimm, D. sondere die Fallenjagd in den Siedlungsschwer- Gruber, T. Grüntjens, J. Grützmann, W. Haase, W. punkten des Rotmilans intensivieren sollte. Habicht, W. Hanke, G. Hasse, S. Heer, N. Heinrichs, G.-M. Heinze, U. Heitkamp, C. Hektor, T. Hellberg, Maßnahmen zum Schutz vor direkter Verfol- L. Hellbernd, H. Henschel, L. Henschel, D. Herbst, gung D. Herrmann, V. Hesse, F. Hessing, J. Heuer, A. Hill, H. Hille, U. Hinz, T. Hoffmeister, S. Hohnwald, S. Alle Funde von Giftködern oder vergifteten Greif- Holler, S. Hollerbach, M. Hommes, C. Horn, R. vögeln, Greifvogelfallen oder Tellereisen sowie Hruska, T. Hültkemeier, W. Jakob, K. Jünemann, K. Nachweise von Abschüssen oder dem Fällen von Jung, R. Jürgens, H.-J. Kalisch, M. Kandolf, H. Horstbäumen sind unbedingt anzuzeigen. Die Er- Karsch, B. Kaune, H.-J. Kelm, A. Keßler, B. Kinder, mittlungsbehörden sind zu unverzüglichem Handeln A. Klein, F. Kloas, H.-H. Kluge, K.-H. Köhler, N. verpflichtet, da es sich um einen Straftatbestand Kohls, M. Koitzsch, J. Köhnlein, B. Kondziella, W. handelt. Die Ermittlungsbehörden sind aufgerufen Könecke, W. König, C. König, V. Konrad, K. Kornau, alle Fälle umfassend zu dokumentieren und sämtliche A. Kreusel, J. Kühl, M. Kumitz, D. Kunze, P. Kunze, Beweismittel sicherzustellen. Alle Fälle sollten öf- R. Küthner, F.-J. Lange, S. Lange, V. Laske, H. Lau- fentlich publik gemacht werden. ruschkus, H.-D. Lichtner, M. Lieber, S. Lilje, T.-J. Linke, V. Lipka, K. Löhmer, K.-H. Loske, K. Ludewigs, Maßnahmen zum Schutz auf dem Zug und im E. Luther, M. Maas, D. Meier, W. Meier-Peithmann, Winterquartier M. Meinken, J. Melter, M. Meyer, S. Meyer, U. Meyer, A. Mitschke, N. Molzahn, R. Mönke, B. Durch Initiativen der international agierenden Vo- Moreth, M. Müller, T. Müller, T. Münchenberg, K.- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 235

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H. Nagel, S. Nielsen, K. Nottmeyer, T. Obracay, H.- Ein besondere Dank gilt den sehr motivierten Be- W. Oldekop, K. Otten, M. Otten, K. Pailer, S. Paul, arbeitern der Probeflächen: H. Averdieck, S. Beuger, H. Petersen, C. Pielsticker, U. Pittius, W. Plinz, B. E. Bühring, T. Brandt, G. Brunken, P. Derpmann- Preuschhof, F. Preusse, R. Pudwill, E. Puhlmann, J. Hagenström, J. Folger, G. Hasse, J. Heuer, A. Hill, Pürter, I. Pusch, A. Puschendorf, D. Radde, H. H.-J. Kelm, M. Kumitz, M. Müller, W. Oldekop, I. Rebling, U. Rees, U. Reimers, C. Riesmeier, U. Ratajczak, U. Reimers, P. Schmidt, M. Winter, M. Rinas, A. Rinne, U. Ristig, L. Ritzel, N. Röder, J. Wulkopf. Rösler, K. Sandkühler, K.-H. Schepka, H.-J. Schlosser, H. Schmedes, F.-U. Schmidt, H. Schmidt, P. Schmidt, K. Soltau übernahm die Dateneingabe und Digita- J. Schnötke, W. Schott, A. Schröter, R. Schulz, R. lisierung. H. Wellmann, M. Schilz, K. Sandkühler Schumacher, J. Schumann, H. Schuster, E. Seebass, und H. Zang danke ich für die Durchsicht des Ma- G. Seemann, H.-W. Senge, H. Seyer, S. Siegel, C. nuskripts sowie I. Marmajou und J. Kamp für die Siems-Wedhorn, W. Sorge, S. Spalik, T. Späth, U. Durchsicht und Korrektur der englischsprachigen Stefener, E. Steffen, C. Stolz, A. Stumpner, M. Zusammenfassung. Schließlich gilt J. Kamp ein be- Stüritz, M. Tacke, D.A. Taylor, G. Teenck, B. ten sonderer Dank für die kritische redaktionelle Bear- Thoren, R. Thamm, F. Then-Bergh, J. Thiemann, B. beitung des Manuskripts. Thien, J. Thiery, K. Thye, B. Tiedemann, I. Tietje, M. Tomec, A. Torkler, T. Traill, R. Uebel, P. Velten, M. Viol, M. Völker, F. Vornkahl, U. Voß, J. Wahl, B. Summary – Distribution, numbers and Waschkowski, K.-F. Weber, W. Wehmeyer, M. Wein- threats of Red Kite Milvus milvus in Lo- hold, B. Weißenborn, D. Wendt, T. Wiebe, J. Wild- wer Saxony and Bremen 2008-2012. berger, M. Wilhelm, I. Willenborg, H.-J. Winter, M. In 2011 a country-wide census of Red Kite territories Witt, J. Wittenhorst, H.-J. Witter, G. Wohlfarth, J. was carried out in Lower Saxony. Using additional Wolfarth, K. Wolkenhauer, J. Wübbenhorst, D. data from 2012 and 2005-2010, a total of 786 Wucherpfennig, M. Wulkopf, H. Zang, R. Zietlow. breeding pairs (records of confirmed breeding and probable breeding) was evaluated. For some regions Den Niedersächsischen Landesforsten und insbe- that could not be surveyed, Red Kite numbers sondere dem Sachgebietsleiter für Waldbau, Na- were estimated using records from a nation-wide turschutz und Jagd C. Boele-Keimer danke ich für atlas scheme (ADEBAR) for which data were die Unterstützung der landesweiten Erfassung und collected between 2005 and 2008. This revealed a die Empfehlung an die Forstämter sich an der Er- further 377 territories, suggesting a total population fassung zu beteiligen. of 1.100-1.200 breeding pairs for the entire federal state. Red Kites concentrate in the southern and Der NABU Niedersachsen gestattete die Nutzung eastern parts of Lower Saxony (eastern lowlands, von Meldedaten aus dem Portal „naturgucker.de“, Leinebergland and Börden). In the west of the die durch Herrn S. Munzinger gefiltert wurden. state the Red Kite is almost extinct. Since the Der Dachverband Deutscher Avifaunisten (C. König) 1980s, numbers were largely stable or increased stellte die Rotmilandaten aus ornitho.de für 2011 locally (e. g. at Niedersächsische Mittelelbe), but a und 2012 kurzfristig zur Verfügung. S. Pfützke contraction of the distribution area was observed. übermittelte die Ergebnisse der ADEBAR-Kartierung In Hanover Region the breeding population de- und V. Laske umfangreiche Daten aus dem Harz- creased. vorland. Besonders gedankt sei dem Landkreis Göttingen (B. Preuschhof) für die zeitnahe Über- The proportion of Red Kite breeding pairs in Special mittlung der Ergebnisse der landkreisweiten Rot- Protection Areas (SPA) of the EU birds directive is milanerfassung 2012 sowie dem Landkreis Ha- less than 20 % of the country’s total population. meln-Pyrmont (H. Baumgarten) für die Weitergabe dort vorliegender Daten. Red Kites prefer open landscapes with high structural diversity. Meadows and pastures are of high im- Für weitergehende Hinweise und das Einbringen portance for foraging as is fallow land. Most nest von Gebietskenntnissen danke ich E. Gottschalk, sites are situated at forest edges (62 %) or isolated H.-J. Kelm, K. Sandkühler und M. Wulkopf. little woods (28 %). Preferred nesting tree species vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 236

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are beech (33 %), poplar (21 %), oak and pine Abschlussbericht. Unveröff. Gutacht. im Auftrag des (18 % each). Landesamtes für Umwelt, Gesundheit und Verbrau- cherschutz Brandenburg, Staatliche Vogelschutzwarte. The main threats for the Red Kite include changes BERNDT, R., M. FRANTZEN & H. RINGLEBEN (1974): Die in Nie- in land use, disturbance at nests and losses of indi- dersachsen gefährdeten Vogelarten („Rote Liste“. viduals at wind farms, power line poles and roads. Stand 1.1.1974). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 6: 1-8. Poisoning is also still happening. The biggest BLÜML, V. (2011): Verbreitung, Bestand und Habitatwahl problem seems to be an increase in the area of von Löffel- und Knäkente Anas clypeata, A. querque- crops that grow tall and have high cover in June dula in Niedersachsen und Bremen: Ergebnisse einer and July such as maize, rape and winter cereals. landesweiten Erfassung 2009 mit Ergänzungen aus During the breeding season, food accessability is den Jahren 2004-2008. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. thus limited and perhaps causes a bottleneck in 42: 61-88. food provision for the nestlings in this period. Re- BOHLEN, M., & K. BURDORF (2005): Auszug: Bewertung des cently cut grassland offers accessible prey and is Erhaltungszustands von Vogelarten der Vogelschutz- thus of high importance during the breeding richtlinie. Unveröff. Manuskript 03/2005, 12 S. season. BRANDT, E. (Hrsg.; 2011): Das Spannungsfeld Windener- gieanlagen – Naturschutz in Genehmigungs- und Ge- Conservation measures presented in this paper richtsverfahren. – Probleme (in) der Praxis – Methodi- can only have some effects if political decisions sche Anforderungen – Lösungsansätze. Berlin consider farmland species including the Red Kite. BRANDT, T., & F. SCHÄFER (2004): Verbreitung, Bestand und Furthermore, there have to be responsible admi- Habitatwahl des Schwarzmilans Milvus migrans in Nie- nistrative decisions considering endangered birds dersachsen: Ergebnisse einer landesweiten Erfassung like the Red Kite and their habitats in the context 2003. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 36: 1-17. of prospective use of wind power. In order to BRODOWSKI, G. (2012): http://www.natur- protect especially the nesting sites strict arrange- beobachtungen.de/news/news-2010.html (download: ments with forest officials and wood-owners are 12.12.2012). needed. BRÜCHER, S. (2010): Untersuchung gefährlicher Mittel- spannungsmasten in der niedersächsischen und meck- lenburgischen Elbtalaue. Unveröff. Gutachten. Bad Literatur Münstereifel. AEBISCHER, A. (2009): Der Rotmilan – Ein faszinierender BRUNKEN, G. (2008): Untersuchungen zur Nahrungsöko- Greifvogel. 1. Aufl., Berlin. logie des Rotmilans (Milvus milvus) im östlichen Land- ANDRETZKE, H., T. SCHIKORE & K. SCHRÖDER (2005): Artsteck- kreis Göttingen unter Berücksichtigung der aktuellen brief Rotmilan Milvus milvus. In: SÜDBECK, P. et al. Strukturentwicklungen in der Landschaft. Unveröff. (Hrsg.): Methodenstandards zur Erfassung der Brut- Manuskript. Göttingen. vögel Deutschlands: 242-243. Radolfzell. BRUNKEN, G. (2009): Der Rotmilan Milvus milvus im EU-Vo- BAUER, H.-G., & P. BERTHOLD (1997): Die Brutvögel Mittel- gelschutzgebiet „Unteres Eichsfeld“ (Landkreis Göttin- europas. Bestand und Gefährdung. 2. Aufl., Wiesba- gen), Inform.d. Nat.schutz Niedersachs. 29: 158-167. den. BRUNKEN, G. (2011): Brutbestand und Reproduktion des BAUER, H.-G., E. BEZZEL & W. FIEDLER (Hrsg.; 2005): Das Rotmilans (Milvus milvus) im EU-Vogelschutzgebiet Kompendium der Vögel Mitteleuropas – Alles über V19 (Unteres Eichsfeld) 2011, unveröff. Gutachten, Biologie, Gefährdung und Schutz. Bd. 1 (Nonpasseri- 36 S. Göttingen. formes - Nichtsperlingsvögel). 2. Aufl., Wiebelsheim. CHRISTOPHERSEN, T., C. HORN, M. KORSCH & J. WÜBBENHORST BECHINGER, F. (2011): Dokumentation über die Wiederan- (2009): Vogelkundlicher Jahresbericht Landkreis Lü- siedlung des Seeadlers Haliaaetus albicilla an der Os- neburg 2001-2007. Der Lebensraum. Nat.schutz Na- temündung (Landkreis Cuxhaven) – von illegalen Ver- turbeob. Landkr. Lüneburg. 6: 5-168. folgungen begleitet. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 42: DACHVERBAND DEUTSCHER AVIFAUNISTEN (2011): Warum eine 145-150. bundesweite Erfassung des Rotmilans? http://www. BELLEBAUM, J., F. KORNER-NIEVERGELT & U. MAMMEN (2012): dda-web.de/index.php?cat=monitoring&subcat= rot- Rotmilan und Windenergie in Brandenburg – Aus- milan&subsubcat=hintergrund (Down load am 07.01. wertung vorhandener Daten und Risikoabschätzung. 2013). vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 237

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240 WELLMANN: Verbreitung, Bestand und Gefährdungssituation des Rotmilans in Niedersachsen

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Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 241

Nistplatzwahl von Sumpfohreulen Asio flammeus auf Spie- keroog im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer

Steffen Kämpfer, Jochen Dierschke und Nadine Oberdiek

KÄMPFER, S., J. DIERSCHKE & N. OBERDIEK (2013): Nistplatzwahl von Sumpfohreulen Asio flammeus auf Spiekeroog im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43: 241-250.

Die Sumpfohreule Asio flammeus gehört zu den seltensten Brutvögeln in Deutschland. Die aktuellen Brutvorkommen beschränken sich fast ausschließlich auf die Küstenregionen Nie- dersachsens. Neben einigen Brutvorkommen auf den Nordfriesischen Inseln in Schleswig- Holstein befindet sich derzeit das einzig regelmäßige Brutvorkommen in Deutschland auf den Ostfriesischen Inseln im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Auf den Westfrie- sischen Inseln in den Niederlanden ist in den letzten Jahren eine Abnahme des Brutbestandes zu beobachten. Die dort besiedelten Lebensräume sind denen der deutschen Wattenmeerin- seln sehr ähnlich, so dass ein Übergreifen dieser Entwicklung auf die deutsche Brutpopulation zu befürchten ist. Umfangreiche Kenntnisse zu Ökologie und Lebensraumansprüchen dieser Art sind nötig, um den Bestand langfristig sichern zu können. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Nistplatzwahl, da ein Mangel an geeigneten Nistplätzen eine Zunahme der intraspezifischen Konkurrenz zur Folge haben oder sogar als limitierender Faktor wirken kann. Vor diesem Hintergrund wurde die Nistplatzwahl von Sumpfohreulen am Beispiel der Insel Spiekeroog untersucht. Dabei zeigt sich eine klare Präferenz für besonders hohe und dichte Vegetationsstrukturen. Die Bereiche der Dünen und oberen Salzwiesen bieten daher die am besten geeigneten Bruthabitate. Die Hälfte der Nester befand sich in- nerhalb des Biotoptyps der Salzwiesen-Düne im Übergangsbereich der Weißdünen zur Salz- wiese. Weitere Biotoptypen der Dünen und Salzmarschen sowie deren Übergangsbereich wurden ebenfalls zur Nestanlage genutzt. Alle Nistplätze wiesen darüber hinaus eine auffallend hohe Streudeckung auf, die vermutlich, wie auch die hohe Krautschichtdeckung und Vege- tationshöhe, eine schützende und tarnende Funktion erfüllt. Insgesamt scheint eine Limitierung des Sumpfohreulenbestandes durch einen Mangel an geeigneten Brutplätzen zumindest auf Spiekeroog unwahrscheinlich, da verschiedene Biotoptypen die geeigneten Strukturen be- reitstellen und somit als potenzielles Brutgebiet in Frage kommen. Entscheidender in Bezug auf mögliche intraspezifische Konkurrenz können auch Aspekte zum Nahrungsangebot und Nahrungsverfügbarkeit sein. Weiterführende Untersuchungen als Grundlage zur Erarbeitung effektiver Schutzmaßnahmen sind daher erforderlich.

S. K., Institut für Landschaftsökologie, AG Biozönologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Heisenbergstr. 2, D-48149 Münster, [email protected]; J. D., In- selstation des Instituts für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“, An der Sapskuhle 511, D-27498 Helgoland; N. O., Institut für Biologie und Umweltwissenschaften, AG Landschafts- ökologie, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Carl von Ossietzky Str. 9-11, D-26129 Oldenburg, [email protected]

Einleitung grund der zunehmenden Zerstörung dieser Lebens- räume jedoch stark zurück (BURFIELD & VAN BOMMEL Die Sumpfohreule Asio flammeus ist ein typischer 2004). Seitdem ist die Sumpfohreule mit 68-175 Vogel offener und weiträumiger Landschaften, wie Brutpaaren (BP) eine seltene Brutvogelart in Deutsch- Moore und Heiden, und war lange Zeit in ganz land und wird sowohl in der Roten Liste Deutschlands Deutschland ein verbreiteter Brutvogel (GERBER 1960, als auch in der von Niedersachsen als „vom Aus- MEBS & SCHERZINGER 2008). Zwischen den 1970er sterben bedroht“ geführt (KRÜGER & OLTMANNS 2007, und den 1990er Jahren gingen die Bestände auf- SÜDBECK et al. 2007). Für Europa wird der Brutbestand vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 242

242 KÄMPFER et al.: Nistplatzwahl von Sumpfohreulen auf Spiekeroog

mit 58.000-180.000 Brutpaaren angegeben, von und die Populationsgröße auf diese Weise maß- denen sich das Gros (50.000-150.000 BP) in Russland geblich beeinflussen (NEWTON 1998). In dieser Arbeit befindet (BURFIELD & VAN BOMMEL 2004). Die Sumpf- sollen die für eine erfolgreiche Reproduktion not- ohreule wurde im Anhang I der Europäischen Vo- wendigen Lebensraumansprüche dargestellt werden, gelschutzrichtlinie und in die Liste der „Species of um die bisher sehr lückenhaften Kenntnisse über European Conservation Concern“ aufgenommen die Brutbiologie der Sumpfohreulen auf den Ost- (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). friesischen Inseln zu erweitern.

Nahezu der gesamte deutsche Brutbestand der Die vorliegende Studie steht im Rahmen der von Sumpfohreule befindet sich in Schleswig-Holstein der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wat- und Niedersachsen, wobei der Bestand in Schles- tenmeer initiierten mehrjährigen managementbe- wig-Holstein mit 3-16 Brutpaaren (1994-2009) recht zogenen Artenschutzforschungen an Kornweihen klein ist und nur in Mäusegradationsjahren größere und Sumpfohreulen in Kooperation mit der Uni- Anzahlen erreicht (BRUNS et al. 2004, JEROMIN 2010). versität Oldenburg, AG Landschaftsökologie. Mit ca. 60 Brutpaaren befindet sich der Großteil der in Deutschland brütenden Sumpfohreulen in Nie- Kornweihen und Sumpfohreulen teilen als Brutvo- dersachsen (KRÜGER & OLTMANNS 2007) und dort fast gelarten in Deutschland eine ähnliche Bestandssi- ausschließlich auf den Ostfriesischen Inseln im Na- tuation und weisen dieselben naturschutzfachlichen tionalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Der Brut- Kategorisierungen auf. Aufgrund des Verbreitungs- bestand hier zeigt leichte Schwankungen und liegt schwerpunktes beider Arten auf den Ostfriesischen bei 25-50 Brutpaaren (OBERDIEK 2012; M. SCHULZE Inseln im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer DIECKHOFF, pers. Mitt.). Insgesamt scheint die Brut- und der insgesamt kritischen Bestandssituation, population auf den Ostfriesischen Inseln aber weniger liegt hier eine besondere Verantwortung für den stark von Mäusegradationsjahren beeinflusst zu sein Schutz dieser seltenen Brutvogelarten. Ziel des Ge- als die in Schleswig-Holstein (JEROMIN 2010, OBERDIEK samtvorhabens ist die Erstellung eines Schutzkon- 2012). Auf den Westfriesischen Inseln in den Nie- zeptes mit konkreten Schutzmaßnahmen für Korn- derlanden dagegen zeigt der Brutbestand von weihen und Sumpfohreulen im Nationalpark Nie- Sumpfohreulen eine deutliche und kontinuierliche dersächsisches Wattenmeer. Die gewonnenen Er- Abnahme (KOFFIJBERG et al. 2006, WOLFF et al. 2010). kenntnisse aus der hier präsentierten Teilstudie Da es sich hier um einen den Ostfriesischen Inseln schließen nicht nur Kenntnislücken zur Brutbiologie sehr ähnlichen Lebensraum handelt, kann ein zu- bzw. Nistplatzwahl von Sumpfohreulen auf den künftiger Rückgang des Brutbestandes auf den Ost- Ostfriesischen Inseln, sondern dienen als wichtige friesischen Inseln, ähnlich wie bei der Kornweihe Datengrundlage und sind daher ein grundlegender Circus cyaneus, nicht ausgeschlossen werden (DIERSCH- Bestandteil für die Erarbeitung dieses Schutzkon- KE 2008a, OBERDIEK et al. 2009). zeptes.

Um mögliche Einflussfaktoren auf die Brutpopulation zu identifizieren und effektive maßnahmenorientierte Untersuchungsgebiet Schutzkonzepte entwickeln zu können, sind um- Die Untersuchungen fanden auf der Insel Spiekeroog fangreichere Kenntnisse über die Lebensweise und (53° 46' N 7° 43' E) im Nationalpark Niedersächsi- Ökologie von Sumpfohreulen im niedersächsischen sches Wattenmeer statt, da Spiekeroog die mit Ab- Wattenmeer nötig. Dabei spielen vor allem auch stand größte Brutpaardichte von Sumpfohreulen Aspekte der Brutbiologie eine entscheidende Rolle der Ostfriesischen Inseln beherbergt (M. SCHULZE (DIERSCHKE 2008b). So ist zum Beispiel die Nistplatz- DIECKHOFF, pers. Mitt.). Zuvor wurde mit der Software wahl bzw. die Verfügbarkeit geeigneter Nistplätze ArcGIS anhand von Luftbildern und einer Biotop- von großer Bedeutung für die Bestandsentwicklung komplexkarte nach EGGERS et al. (2008) potenziell einer Population, da ein Mangel an geeigneten geeignete Flächen als Brutgebiet für Sumpfohreulen Nistplätzen zu einer Zunahme von intraspezifischer identifiziert. Dabei wurden lediglich die Strand- Konkurrenz führen und somit die Fitness negativ und Quellerbereiche sowie die unteren Salzwiesen, beeinflussen kann. Ein Mangel an geeigneten Brut- zusammenhängende Kiefern-Gehölze und bebaute plätzen kann damit zum limitierenden Faktor werden Flächen als ungeeignete Flächen ausgeschlossen. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 243

Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 243

Abb. 1: Untersuchungsgebiet auf Spiekeroog, Brutsaison 2011. Dargestellt sind das potenzielle Brutgebiet für Sumpfohr- eulen, Lage der bekannten Nester sowie der Zufallspunkte. – Study area on the island of Spiekeroog, breeding season 2011. The potential breeding area for Short-eared Owls, location of known nest sites and random points are shown.

Das potenzielle Brutgebiet für Sumpfohreulen auf nannten 2 m Radius sowie in einem 10 m Radius Spiekeroog umfasst danach eine Fläche von 907 um das Nest die durchschnittliche Vegetationshöhe ha (Abb. 1). gemessen. Da die Vegetation unmittelbar an den Nestern recht inhomogen war mit höheren und niedrigeren Bereichen, wurde die Vegetationshöhe Material und Methoden jeweils in Richtung der vier Himmelsrichtungen zu- Datenerfassung sätzlich gemessen. Für den Vergleich der von Sumpf- ohreulen tatsächlich gewählten Nistplätze mit dem Die Datenerfassung im Freiland fand von Anfang insgesamt verfügbaren Nistplatzangebot wurden Mai bis Ende Juli 2011 statt. Um die Nistplätze der die gleichen Strukturparameter (außer Vegetations- Sumpfohreulenpaare ausfindig zu machen, wurde höhe pro Himmelsrichtung) wie an den bekannten die Insel systematisch nach besetzten Brutrevieren Nestern zusätzlich an 40 zufällig ausgewählten abgesucht. Als Grundlage zur Identifizierung der Punkten innerhalb des ermittelten potenziellen Brut- Brutreviere dienten Revier anzeigende Merkmale gebiets erhoben (Abb. 1). Für die Auswahl der Zu- wie Balz oder das Eintragen von Beute sowie fallspunkte wurden sogenannte ‚random points‘ nächtlich rufende Jungvögel (HÄLTERLEIN et al. 1995, mit Hilfe von ArcGIS erzeugt, die anschließend SÜDBECK et al. 2005). Anschließend wurden die Be- gezielt im Gelände aufgesucht wurden. reiche, für die ein Brutverdacht bestand, intensiv nach Nestern abgesucht. An den gefundenen Nestern Datenanalyse wurden zunächst nur die Koordinaten mit einem GPS-Gerät aufgenommen. Erst nach dem Ausfliegen Die Charakterisierung der Neststandorte im Vergleich der Jungvögel wurden die verlassenen Nester erneut mit den Zufallspunkten erfolgte mit Hilfe der Daten aufgesucht. Am Neststandort (in einem 2 m Radius) aus der Vegetations- und Strukturerfassung. Da wurden die Strukturparameter Gesamtdeckung, sich sowohl die gefundenen Nester als auch die Moosdeckung, offener Boden, Streudeckung, Kraut- Zufallspunkte häufig in Übergangsbereichen ver- schichtdeckung, Strauchschichtdeckung nach BRAUN- schiedener Vegetationstypen befanden, war eine BLANQUET (1965) aufgenommen, wobei nur Pflan- pflanzensoziologische Zuordnung in den meisten zenarten mit einer Deckung > 1 % berücksichtigt Fällen nicht eindeutig. Aus diesem Grund wurden wurden (DIERSCHKE 1996). Weiterhin wurde im ge- für die untersuchten Standorte auf Grundlage der vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 244

244 KÄMPFER et al.: Nistplatzwahl von Sumpfohreulen auf Spiekeroog

durchgeführten Vegetationskartierungen die Bio- mit Hilfe der Nearest-Neighbour-Methode nach toptypen nach DRACHENFELS (2011) bestimmt und CLARK & EVANS (1954) das Konzentrationsmaß R in- die Anteile der jeweiligen Biotoptypen an den Nest- nerhalb des Brutgebietes zu bestimmen. standorten mit denen an den Zufallspunkten ver- glichen. Die weitere Auswertung der Vegetations- und Strukturdaten an Nestern und Zufallspunkten Ergebnisse erfolgte mit Hilfe der Statistiksoftwarepakete SPSS Insgesamt konnten in der Brutsaison 2011 auf 19.0 und R. Die Grunddaten waren nicht normal- Spiekeroog 16 besetzte Sumpfohreulenreviere (M. verteilt. Daher wurde der Vergleich der Deckungs- SCHULZE DIECKHOFF, pers. Mitt.) erfasst werden, davon grade der verschiedenen Vegetationsschichten an gelangen 12 Brutnachweise entweder durch Nest- den Nestern und an den Zufallspunkten mit Mann- fund, Beute eintragende oder warnende/verleitende Whitney-U-Tests durchgeführt. Zum Vergleich der Altvögel (vgl. SÜDBECK et al. 2005). Das entspricht einzelnen Vegetationshöhen wurde aus den ge- einer Brutpaardichte von 0,2 Brutpaare/10 ha be- messenen Werten eine mittlere Vegetationshöhe zogen auf das abgegrenzte besiedelbare Habitat. pro Nest, pro 2 m und 10 m Radius berechnet und Für die Untersuchungen im Rahmen dieser Studie anschließend gegeneinander auf Unterschiede ge- konnten 8 Sumpfohreulennester gefunden werden testet (U-Test). Gleichermaßen wurde mit den vom (Abb. 1). Nestmittelpunkt in jede Himmelsrichtung gemessenen Vegetationshöhen verfahren, um mögliche Unter- Die meisten der gefundenen Nester befanden sich schiede in der Nistplatzstruktur in Anhängigkeit im östlichen Teil der Insel, der zur Brutzeit für die der Himmelsrichtung herauszustellen. Um Aussagen Öffentlichkeit gesperrt ist. Zwei der drei bekannten über die Bedeutung der aufgenommenen Struk- Nester im Westen der Insel waren deutlich von an- turparameter für die Nistplatzwahl von Sumpfohr- grenzenden Wegen, Gebäuden und ähnlichen eulen treffen zu können, wurde ein binomiales Ge- Strukturen entfernt (126 bzw. 76 m). Lediglich das neralisiertes Lineares Modell (GLM) gerechnet, in dritte Nest lag nur etwa 14 m südlich eines Wan- das alle genannten Strukturparameter eingeflossen derweges und in unmittelbarer Nähe zum Cam- sind. Zusätzlich wurde für die 11 Brutplätze, an pingplatz. denen Nester oder Jungvögel gefunden wurden, der Abstand zum nächst gelegenen Nest in der Der Vergleich zwischen den von Sumpfohreulen Umgebung bestimmt und als weitere Variable im zur Nestanlage genutzten Biotoptypen und den GLM verwendet. Die ermittelten Abstände zum potenziell zur Verfügung stehenden Biotoptypen nächsten Nest wurden außerdem verwendet, um an den Zufallspunkten zeigt, dass nur ein kleiner

100 Kartoīelrosen-Gebüsch der Küstendünen coastal dunes shrubs dominated by japanese rose Rosa rugosa SonsƟges Küstendünengehölz aus heimischen Arten

[%] other coastal dune shrubs of naƟve species 80 on Kriechweiden-Küstengebüsch Ɵ coastal shrubs dominated by creeping willow Salix repens Salzwiesen-Düne salt marsh dunes propor 60 Ruderalisierte Küstendüne ruderal coastal dunes Krähenbeer-Küstendüne 40 coastal dunes dominated by crowberry Empetrum nigrum Graudünen-GrasŇur gras dominated grey dunes Strandhafer-Küstendüne 20 coastal dunes dominated by marram grass Ammophila arenaria Quecken- und DistelŇur der Salz- und Brackmarsch

prozentualer [%] Anteil – salt and brackish water marsh dominated by Elytrigia spec. and Cirsium spec. Obere Salzwiese des Brackübergangs 0 upper salt marsh Nester– nest sites Zufallspunkte – random points n=8 n=40

Abb. 2: Verteilung der bekannten Sumpfohreulennester auf verschiedene Biotoptypen im Verhältnis zum Angebot (Zu- fallspunkte) im potenziellen Brutgebiet auf Spiekeroog 2011. – Distribution of known Short-eared Owl nest sites in dif- ferent habitat types related to overall habitat supply within the potential breeding area on Spiekeroog island 2011. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 245

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m und an den Nestern direkt unterscheidet sich signifikant (p=0,02; Abb. 4). Die Vegetationshöhen an den Nestern bezogen auf die vier Himmelrich- tungen sind in westlicher Richtung deutlich höher ausgeprägt und unterschieden sich signifikant von der in östlicher Richtung (U-Test, p=0,03; Abb. 5). Ein weiterer Unterschied ergab sich bei der Entfer- nung zum nächst gelegenen Nest, die zwischen 870 und 320 m lag (im Mittel 610 m) und bei den Neststandorten gegenüber den Zufallspunkten sig- nifikant größer war (U-Test, p=0,03; R=1,64).

Diskussion Sumpfohreulen zeigen auf Spiekeroog deutliche Abb. 3: Vegetationsstruktur der Nistplätze von Sumpf- Präferenzen hinsichtlich der Art und strukturellen ohreulen im Vergleich zu den Zufallspunkten im poten- Ausprägung ihrer Nistplätze. Insgesamt nutzen sie ziellen Brutgebiet auf Spiekeroog 2011 (n. s. = nicht sig- zur Nestanlage nur ein relativ kleines Spektrum von nifikant; *** = höchst signifikant) – Vegetation structure Biotoptypen im Verhältnis zum potenziell zur Verfü- at nest sites of Short-eared Owls in relation to random gung stehenden Habitatangebot. Alle untersuchten points within the potential breeding area on Spiekeroog Nester befanden sich in den strandnahen Bereichen island 2011 (n.s. = not significant; *** = highly signifi- der Insel. Die Hälfte der gefundenen Nester lag in cant). den Übergangsbereichen zwischen oberer Salzwiese und Dünen (Biotoptyp Salzwiesen-Düne) im östlichen Teil des Angebotes tatsächlich genutzt wird (Abb. 2). Teil der Insel (Biotoptypen nach DRACHENFELS 2011). Die Hälfte der bekannten Nester ist im Biotoptyp Durch beginnende Humusbildung im Zusammenhang Salzwiesen-Düne angelegt worden. Die restlichen mit Nährstoffeinträgen durch Treibsel nach Sturm- Nester befanden sich jeweils in den Biotoptypen fluten und einer geringeren Dynamik als noch in Quecken- und Distelflur der Salz- und Brackmarsch, den Weißdünen, können sich hier recht hohe und Strandhafer-Küstendüne, Graudünen-Grasflur sowie dichte Vegetationsbestände, hier vor allem mit ruderalisierte Küstendüne (zur pflanzensoziologischen Strandhafer, ausbilden (EGGERS et al. 2008, DRACHENFELS Charakterisierung der einzelnen Biotoptypen siehe DRACHENFELS 2011).

Der statistische Vergleich der Vegetations- und Strukturparameter an den Neststandorten und Zu- fallspunkten ergab einen signifikanten Einfluss der Streu- und Krautschichtdeckung auf die Nistplatzwahl der Sumpfohreulen, wobei jeweils hohe Deckungen bevorzugt wurden (Abb. 3). Ebenso verhält es sich bei der Deckung von Ammophila arenaria, die jeweils bei den Neststandorten signifikant höher war (U-Test, p=0,005). Bei 6 der 8 Nistplätze war A. arenaria die dominierende Pflanzenart. Bei den Zufallspunkten war A. arenaria zwar ebenfalls die dominierende Art, der Anteil der von ihr dominierten Flächen lag jedoch mit 18 % deutlich unter dem Abb. 4: Vegetationshöhe an den bekannten Neststand- der Neststandorte mit 75 %. In Bezug auf die Ve- orten im Vergleich zur Vegetationshöhe der Nestumge- getationshöhe ergab sich ein signifikanter Unterschied bung sowie der Zufallspunkte. – Vegetation height at zwischen den Zufallspunkten und den Neststand- known nest sites compared to vegetation height of nest orten. Nur die Vegetationshöhe im Umkreis von 10 surrounding as well as random points. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 246

246 KÄMPFER et al.: Nistplatzwahl von Sumpfohreulen auf Spiekeroog

bereits erwähnten Biotoptypen auch die untere und obere Salzwiese als potenzielles Brutgebiet. Die Ergebnisse dieser Untersuchung können diese Beobachtungen nicht bestätigen. Zum einen bilden die hier dominierenden Pflanzenarten, wie z. B. Andelgras Puccinellia maritima, Strandsode Sueda maritima, Milchkraut Glaux maritima, Strandflieder Limonium vulgare, Strand-Salzmelde Atriplex por- tulacoides oder großflächige Queckenbestände Elyt- rigia spec. ungeeignete Strukturen aus. Zum anderen und vermutlich viel entscheidender sind die in der unteren Salzwiese 150-250 Mal im Jahr vorkom- menden Überflutungsereignisse bei hohen Tiden (EGGERS et al. 2008). Da diese auch zur Brutzeit re- Abb. 5: Vegetationshöhe an den Neststandorten (n = 8) gelmäßig auftreten können, sind solche Bereiche in Abhängigkeit zur Himmelsrichtung (U-Test, p=0,03). – als Bruthabitat wohl ungünstig. Vegetation height at nest sites in relation to geographic direction. Ausschlaggebend für die Wahl eines Neststandortes in einem bestimmten Biotoptyp ist offenbar vielmehr 2011). In diesen leicht erhöhten, aber flachen, von dessen strukturelle Ausprägung der Vegetation (De- Strandhafer dominierten Dünengebieten wurden ckung, Höhe; DAVIS 2005). Sumpfohreulen zeigen die Nester zumeist auf Randdünen angelegt, wo bei der Wahl ihrer Nistplätze auf Spiekeroog eine Dünenkämme auslaufen (Abb. 6). Keines der Nester klare Präferenz. Die Vegetationsdeckung, insbe- lag direkt auf einer Dünenkuppe oder in einem Dü- sondere der Krautschicht mit dichten Beständen nental. Häufig befanden sich Strukturen wie erhöhte des Strandhafers, ist mit 95 % an den Nestern Dünenkämme, kleinwüchsige Bäume, Sträucher deutlich höher als an den Zufallspunkten (HOLT oder Pfähle in direkter Umgebung zum Nest, die 1992). Dies widerspricht teilweise den Angaben dem wachenden Männchen als Ansitz dienen können von BAUER et al. (2005), nach denen die Vegetation (SÜDBECK et al. 2005). nicht zu dicht, aber auch nicht zu lückig sein sollte. Ebenso war die Vegetation an den Nistplätzen Hinsichtlich der strukturellen Ausprägung von Nist- höher im Vergleich sowohl zur Nestumgebung als habitaten für Sumpfohreulen gilt Ähnliches für die auch zu den Zufallspunkten und entspricht einer Nester in den Biotoptypen Quecken- und Distelflur benötigten Vegetationshöhe von 15 -50 cm (DUEBBERT der Salz- und Brackmarschen sowie für ruderalisierte & LOKEMOEN 1977, HOLT 1992, SÜDBECK et al. 2005). Küstendünen, wo durch die Ansiedlung von Mö- wenkolonien starke Nährstoffeinträge eine ent- Ein Grund für die Bevorzugung hoher Vegetations- sprechend hohe und dichte Vegetation begünstigen strukturen und -deckungen könnte der Schutz vor (EGGERS et al. 2008, DRACHENFELS 2011). Hier könnte ungünstigen Witterungseinflüssen sowie die Ver- nicht nur die vorhandene Vegetationsstruktur für steck- und Tarnungsmöglichkeit sein, die bei Bo- die Nistplatzwahl eine Rolle spielen, sondern mög- denbrütern häufig den Grund für das Aufsuchen licherweise auch die Nähe zu Möwenkolonien, die hoher, dichter Vegetation darstellt (BEZZEL & PRINZINGER einen gewissen Schutz vor Nesträubern bieten kön- 1990). Dafür spricht auch, dass bei allen Nest- nen (GÖTMARK & AHLUND 1988, VÄÄNÄNEN 2000). standorten die Vegetationshöhe direkt am jeweiligen Nest in Richtung Westen am höchsten war, während Trotz geringer Nutzung gegenüber dem Angebot der nach Osten gerichtete Teil der Nester immer können auch die Biotoptypen Strandhafer-Küsten- die niedrigsten Vegetationshöhen aufwies. Im Früh- düne und Graudünen-Grasflur mit ihrer meist ge- jahr und Sommer ist die vorherrschende Windrich- ringeren Vegetationshöhe und -deckung im Vergleich tung und somit auch die des Regeneinfalls zu den stärker präferierten Biotoptypen noch ge- West/Nordwest, während Ostwinde im Sommer eignete Nistplatzstrukturen für Sumpfohreulen be- nur sehr selten sind (BAUER 1999). Hier erfüllt die reitstellen. KAMP & SOHNI (2008) nennen neben den Vegetation offenbar eine Schutzfunktion, die das vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 247

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Abb. 6: Typischer Nistplatz von Sumpfohreulen im Biotoptyp Salzwiesen-Düne auf Spiekeroog, Juni 2011. Foto: Steffen Kämpfer. – Typical nest site of Short-eared Owls within the salt marsh dune habitat type on Spiekeroog, June 2011.

Gelege oder die Jungen vor ungünstigen Witte- zu einer Abnahme der Vitalität der Pflanzen in rungsverhältnissen schützt (BEZZEL & PRINZINGER 1990). diesen Bereichen führt (EGGERS et al. 2008). Damit Bei fast allen gefundenen Nestern war außerdem verbunden könnten erhöhte Deckungen von abge- zu sehen, dass der Zugang zum Nest offenbar aus storbenem Pflanzenmaterial sein, deren Färbung östlicher Richtung erfolgt, da hier die Vegetation der gelblichbraunen bis cremefarbigen Färbung der häufig niedergetreten oder durch tunnelartige Struk- Jung- und Altvögel entspricht und eine tarnende turen gekennzeichnet war (MEBS & SCHERZINGER Funktion sowohl für die Nester mit Eiern/Jungvögeln 2008). Ob die Vegetation hier bereits bei Anlage als auch für die brütenden Altvögel selbst besitzen des Nestes niedrig war oder erst im Laufe der könnten. Die Untersuchungen auf Spiekeroog konn- Brutzeit durch die Alttiere niedergetreten wurde, ten bestätigen, dass die Nester hauptsächlich mit bleibt aber unklar. Gräsern aus der Umgebung (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1994), vor allem Strandhafer, als Nistmaterial Hinsichtlich der Bedeutung der Streudeckung ist ausgestattet waren und daher in Bereichen mit fraglich, ob tatsächlich eine hohe Streudeckung hoher Streudeckung besonders gut getarnt waren. von den Sumpfohreulen während der Nistplatzwahl bevorzugt wird – wie die Untersuchungsergebnisse Neben strukturellen Eigenschaften von Nisthabitaten vermuten lassen – oder ob die hohen Streudeckungen kann auch intraspezifische Konkurrenz die Nist- an den untersuchten Nestern als Nebenerscheinung platzwahl beeinflussen (STEINER 2006). Die Revierdichte an geeigneten Nistplätzen zu verstehen sind. Es ist der Sumpfohreulen auf Spiekeroog ist insgesamt aber ein Zusammenhang zwischen der Streudeckung als hoch einzuschätzen und entspricht einer Dichte, und den hohen Deckungsgraden des Strandhafers die sonst vor allem in Mäusejahren beobachtet denkbar. In den älteren Dünenbereichen, in denen wird (vgl. Angaben in GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER der Sand zur Ruhe kommt, werden die Wurzeln 1994). Auf Spiekeroog werden jedoch dauerhaft des Strandhafers von Nematoden geschädigt, was solch hohe Revierdichten erreicht was dafür spricht, vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 248

248 KÄMPFER et al.: Nistplatzwahl von Sumpfohreulen auf Spiekeroog

dass das Nahrungsangebot auf Spiekeroog konstant geeigneter Nisthabitate für Sumpfohreulen nicht recht gut ist. Möglicherweise wird die Nahrungs- als limitierender Faktor auf die Brutpopulation zu konkurrenz auch dadurch vermindert, dass einzelne wirken. Es können jedoch auch weitere Faktoren auf Spiekeroog brütende Sumpfohreulen zum Jagen für die Nistplatzwahl entscheidend sein. Hier spielen ans Festland fliegen, was bereits mehrfach beob- möglicherweise Aspekte der Territorialität in Ver- achtet werden konnte (z. B. E. SCHONART, pers. bindung mit intraspezifischer Konkurrenz um Nah- Mitt.) und eine mögliche Erklärung für die auffallend rung eine Rolle. Denn auch das Nahrungsangebot hohen Brutpaardichten sein kann. und die Verfügbarkeit von Beutetieren, bei Sumpf- ohreulen vor allem Wühlmäuse (Arvicolinae), kann Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Nester einen entscheidenden Einfluss auf die Nistplatzwahl der einzelnen Sumpfohreulenpaare weit auseinander haben (KORPIMÄKI 1992, MARTINEZ et al. 2003). Um liegen (ZIEGLER 1971), was ein Zeichen für Territorialität Erkenntnisse über die Bedeutung des Nahrungsan- ist und auf damit verbundene Konkurrenz hindeutet gebotes für die Nistplatzwahl der Sumpfohreulen (BEZZEL & PRINZINGER 1990). Hier können allerdings auf Spiekeroog bzw. den Ostfriesischen Inseln zu nur Vermutungen angestellt werden, da Territorialität erhalten, wären daher Untersuchungen der Klein- als Folge von innerartlicher Konkurrenz neben Nah- säugerpopulation, z. B. durch Fang-Wiederfang- rungsangebot und Nahrungsverfügbarkeit auch Untersuchungen sinnvoll. Diese finden auf anderen verschiedene andere Gründe haben kann (ARROYO Inseln (z. B. auf Langeoog; s. VOSKUHL 2012) bereits & BRETAGNOLLE 1999) und im Rahmen dieser Studie statt und können wichtige Erkenntnisse zur Nah- nicht untersucht wurde. rungssituation liefern. Zwar ist der Brutbestand der Sumpfohreule im niedersächsischen Wattenmeer In Bezug auf mögliche Störungen durch menschliche als stabil einzustufen, aufgrund der nationalen Be- Aktivitäten scheint die Sumpfohreule auf Spiekeroog deutung dieses Brutvorkommens als einzig regel- relativ ungefährdet. Die meisten Nistplätze befinden mäßiges in Deutschland, sind vertiefende Kenntnisse sich im zur Brutzeit für Besucher ohnehin gesperrten zur Ökologie und Habitatnutzung von Sumpfohreulen Osten der Insel, weshalb es dort kaum zu Störungen im Wattenmeer für den Erhalt dieser Brutpopulation kommt. Lediglich die Brutpaare im Westen der wichtig und unerlässlich. Die im Rahmen dieser Insel sind potenziell durch menschliche Störungen Studie erlangten Kenntnisse zur Nistplatzwahl von gefährdet. Hier liegen Nistplätze zum Teil völlig un- Sumpfohreulen auf Spiekeroog als Schwerpunkt geschützt durch Dünen oder Gebüsche nur wenige des Brutvorkommens sind daher ein erster, aber Meter von stark frequentierten Wegen oder vom auch essentieller Baustein für die Entwicklung eines Campingplatz entfernt. Schutzmaßnahmen wie z. effektiven Schutzkonzeptes für diese Art im Natio- B. die Sperrung eines Weges (zum ehemaligen nalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Westanleger) oder die Abtrennung von Weg und Brutplatz durch einen Zaun wirken sich hier positiv aus, da solche Bruten erfolgreich sind. Danksagung Ein ganz besonderer Dank gilt E. Schonart, Spie- Das Angebot potenzieller Bruthabitate auf der keroog, für die tatkräftige Unterstützung im Gelände einen und die Wahl sicherer und geeigneter Nistplätze und die wertvollen Hinweise, J. Engehaus und S. auf der anderen Seite ist von grundlegender Be- Mürter für die Hilfe bei der Feldarbeit. Weiterhin deutung für eine erfolgreiche Reproduktion und sei M. Schulze Dieckhoff und M. Reuter (beide damit für den Fortbestand von Brutpopulationen NLWKN Betriebsstelle Norden-Norderney) für die (CITTER & LINDBERG 2007). Das auf Spiekeroog vor- Bereitstellung von Daten, Aus- und Unterkünften handene Angebot an entsprechenden Biotoptypen, gedankt. Die vorliegende Teilstudie steht im Rahmen insbesondere die Strandhafer geprägten Übergangs- der von der Nationalparkverwaltung Niedersächsi- bereiche zwischen oberer Salzwiese und Dünen, sches Wattenmeer initiierten mehrjährigen Arten- bieten entsprechende strukturelle Ausprägungen schutzforschungen an Kornweihen und Sumpfohr- sowohl der Vegetation als auch des Reliefs und eulen mit dem Ziel der Erstellung eines maßnah- stellen damit geeignete Nisthabitate bereit, die von menorientierten Schutzkonzeptes für diese beiden Sumpfohreulen zu Nestanlage genutzt werden. Arten. Alle Untersuchungen finden in enger fachlicher Daher scheint das Angebot bzw. die Verfügbarkeit Kooperation und Koordination statt. Die National- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 249

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parkverwaltung erteilte sowohl die Genehmigung consequences of intraspecific competition correlated zur Durchführung der Freilandarbeiten auf Spiekeroog with food supply and availability. Here, related in der Schutzzone I des Nationalparks als auch un- studies on this aspect are required for effective pro- terstützt sie das Gesamtvorhaben finanziell. Dafür tection measurements of Short-eared Owls in the und für die inhaltlich intensive Zusammenarbeit Wadden Sea National Park of Lower Saxony. möchten wir uns herzlich bedanken. Literatur

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250 KÄMPFER et al.: Nistplatzwahl von Sumpfohreulen auf Spiekeroog

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Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 251

Bestands- und Erhaltungssituation des Ortolans Emberiza hortulana in der Kuppendorfer Böhrde und im Raum Barenburg

Anuschka Tecker

TECKER, A. (2013): Bestands- und Erhaltungssituation des Ortolans Emberiza hortulana in der Kuppendorfer Böhrde und im Raum Barenburg. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43: 251-266.

Im Juni 2011 wurde der Bestand des Ortolans Emberiza hortulana im Europäischen Vogel- schutzgebiet Kuppendorfer Böhrde sowie in einem Nachbargebiet bei Barenburg im südöst- lichen Landkreis Diepholz untersucht. In beiden Gebieten wurden dafür eine Revierkartierung sowie Dauerbeobachtungen der einzelnen Männchen zur Feststellung der Verpaarungsrate durchgeführt.

Im Vogelschutzgebiet Kuppendorfer Böhrde (687 ha), in dem 2006 noch 25 Reviere des Or- tolans kartiert wurden, konnten 2011 keine Reviere mehr registriert werden. Im Untersu- chungsgebiet Barenburg (1.338 ha) wurden insgesamt 34 Reviere nachgewiesen. 50 % der Männchen waren verpaart. Es wurden sechs Singgemeinschaften abgegrenzt, in denen der Verpaarungsgrad 10 % höher war als in den Revieren außerhalb dieser Gemeinschaften. Damit bildet der Ortolan-Bestand im Untersuchungsgebiet Barenburg ein Schwerpunktvor- kommen innerhalb der lokal isolierten Population (80 Reviere in 2012).

Beide Untersuchungsgebiete sind von einem hohen Maisanteil (52 % und 59 %) geprägt, der innerhalb der letzten Jahre aufgrund der steigenden Anzahl an Biogasanlagen in der Umgebung zu einer anhaltenden Änderung in der landwirtschaftlichen Nutzung geführt hat. Damit ging auch der Verlust von Brut- und Nahrungsflächen für den Ortolan einher.

Die Etablierung von Maßnahmen zur Habitatoptimierung kann zum Erhalt des Ortolan-Be- standes beitragen. Wichtig dafür sind in erster Linie die Extensivierung der landwirtschaftlichen Flächen, die Erhöhung des Anteils für die Brut geeigneter Feldfrüchte (z. B. Wintergetreide, Kartoffeln, Körnerleguminosen) und die Schaffung eines engmaschigen Netzes an Gehölz- strukturen. Maßnahmen wie die Anlage von Randstreifen sind z. B. mit PROFIL-Förderung im Rahmen der Fördermaßnahme 432 möglich. Landwirte für die Teilnahme an solchen Maß- nahmen zu gewinnen, stellt in der Region Diepholz/Nienburg allerdings eine große Heraus- forderung dar, v. a. aufgrund der hohen Preise auf dem landwirtschaftlichen Flächenmarkt.

A. T., Orchideenweg 4, D-49401 Damme, [email protected]

Einleitung in den letzten Jahren und Jahrzehnten erweisen sich für den Ortolan, wie auch für andere acker- Der Ortolan Emberiza hortulana ist eine Charakterart brütende Vogelarten, als überaus negativ. Diese kleinräumiger, halboffener und strukturreicher Faktoren und zusätzlich der Verlust von Gehölz- Agrarlandschaften. Als Bodenbrüter ist er auf ein strukturen, z. B. durch Flurbereinigungsverfahren, bestimmtes Mosaik unterschiedlicher landwirt- haben zu einem Rückgang des Bestandes in schaftlicher Flächennutzungen angewiesen. Zu- Deutschland und in weiten Teilen Mitteleuropas sätzlich benötigt er angrenzende Gehölzstrukturen beigetragen (BAUER et al. 2005). als Singwarten. Der Strukturwandel in der Land- wirtschaft hin zu einer intensiveren Nutzung und In Niedersachsen brüten noch etwa 1.400 Paare der zunehmende Anbau nachwachsender Rohstoffe mit einem Schwerpunkt im Osten des Landes vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 252

252 TECKER: Der Ortolan in der Kuppendorfer Börde und im Raum Barenburg

(NLWKN 2011). Dort haben BERNARDY et al. (2006) Kartoffeln, Körnerleguminosen) ist der Bruterfolg bereits intensive Forschungen mit dem Ziel der Er- dieser Art direkt an trockene und warme Klimabe- arbeitung eines integrativen Schutzkonzeptes für dingungen gebunden (OLTMANNS & BAUER 2009). diese Art betrieben. Natürliche Klimaschwankungen sind deshalb ein Grund für die langfristigen, bereits seit 1900 zu Im Raum Diepholz/Nienburg befindet sich der Or- beobachtenden Zu- und Abnahmen im europäischen tolan an seiner nordwestlichsten Verbreitungsgrenze. Bestand. Seit Mitte der 1950er Jahre und verstärkt In der Brutperiode 2011 wurde ein Teil der dort seit den 1970er Jahren weisen die Bestandsdaten befindlichen isolierten Population (GRÜTZMANN et jedoch auf einen gebietsweise bis heute andau- al. 2002) im Osten der Samtgemeinde Kirchdorf, ernden Rückgang hin (NLWKN 2010). Die Ursache Landkreis Diepholz untersucht. Dazu wurde das u. dafür liegt u. a. in den Nutzungsänderungen in- a. für den Ortolan ausgewiesene EU-Vogelschutz- nerhalb der Landwirtschaft. Hinzu kommen Pro- gebiet Kuppendorfer Böhrde sowie ein Nachbar- bleme in den Durchzugsgebieten wie zum Beispiel gebiet bei Barenburg im Hinblick auf die Bestands- in Südfrankreich, wo die Tiere illegal gefangen und Erhaltungssituation der Art näher betrachtet. und als Delikatesse gehandelt werden. Dies führt Nach der letzten Revierkartierung in der Kuppen- vor allem zu einer Dezimierung der nord- und mit- dorfer Böhrde im Jahr 2006 (LEHN 2006) liefert die teleuropäischen Populationen um mehrere 10.000 vorliegende Arbeit aktuelle Daten zum dortigen Individuen im Jahr. Bestandserholungen und -zu- Ortolan-Bestand. Vergleichend dazu wurde das nahmen konnten seit den 1990er Jahren nur in Vorkommen im Untersuchungsgebiet Barenburg wenigen europäischen Regionen festgestellt werden untersucht, das keinem speziellen Schutz unterliegt. (z. B. Katalonien, Wendland; OLTMANNS & BAUER Zudem werden durch die Untersuchung des Ver- 2009). paarungsgrades Aussagen über den lokalen Fort- bestand der Art ermöglicht. Heute sind die Bestände in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg erloschen (EUROPEAN COM- Im Rahmen weitergehender Analysen wurde in MISSION 2008). In vielen Ländern hat ein Bestands- den Gebieten außerdem die Habitatwahl näher rückgang von über 50 % in den letzten 40 Jahren beleuchtet sowie ein artspezifisches System zur stattgefunden, so z. B. In Skandinavien, Frankreich, Bewertung des Habitatpotentials entwickelt (TECKER der Schweiz, Österreich und der Ukraine (OLTMANNS i. Vorb.). & BAUER 2009).

Beide Untersuchungsgebiete sind bereits in die Der Ortolan ist in Anhang I der EU-Vogelschutz- Kulisse der Fördermaßnahme 432 „Acker – Vogel- richtlinie gelistet, womit die direkte Verpflichtung und sonstige Tierarten der Feldflur“ innerhalb des zur Durchführung von Schutzmaßnahmen zum Kooperationsprogramms Naturschutz (KoopNat), Fortbestand dieser Art verbunden ist (EUROPÄISCHES dem Vertragsnaturschutzangebot des Landes Nie- PARLAMENT 2010). dersachsen, in der laufenden EU-Förderperiode in- tegriert. Die Ergebnisse dieser Studie sollen eine Deutschland Grundlage bieten, um gezielte Schutzmaßnahmen in den Untersuchungsgebieten im Rahmen dieses Das bundesweite Ortolan-Vorkommen wurde 2005 Programms und darüber hinaus zu etablieren. Die auf 10.000-14.000 Brutpaare geschätzt (SÜDBECK Herausforderung der Durchführung solcher Maß- et al. 2007). So wie große Teile des europäischen nahmen wird unter Berücksichtigung der regionalen Bestandes hat auch der deutsche Bestand einen Verhältnisse ebenfalls diskutiert. starken Rückgang erfahren: Schätzungen für Bran- denburg belaufen sich auf 3.400-4.000 Reviere (DÜRR & RYSLAVY 2009). Nach einer großflächigen Bestandsentwicklung in Europa, Brutvogelkartierung in Sachsen (2004-2006) wird Deutschland und Niedersachsen dort eine Zahl von 420-640 Revieren angenommen Mehr als 50 % des globalen Brutvorkommens des (ULBRICHT 2009). Im bayrischen Mainfranken wurden Ortolans befindet sich in Europa (EUROPEAN COMMISSION 2008 nur noch 160 singende Männchen gezählt 2008). Als Bodenbrüter (Brutplätze v. a. in Getreide, (LANZ 2009). Eine Erholung des dortigen Bestandes vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 253

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ist bisher trotz Schutz- Tab. 1: Vogelschutzgebiete in Niedersachsen mit dem Ortolan als wertbestimmende Art bemühungen nicht zu (Staatliche Vogelschutzwarte im NLWKN 2011). – Special Protection Areas in Lower erkennen. Ehemalige Saxony where ortolan bunting is a valuable species. Vorkommen in den Bun- Vogelschutzgebiet Größe (ha) Brutpaare Jahr desländern Rheinland- Pfalz, Baden-Württem- V21 Lucie 8.229 427 2007 berg und Hessen sind V25 Ostheide südlich 1.830 100 2007 heute erloschen (OLT- V26 7.019 330 2005 MANNS & BAUER 2009). V29 Landgraben- und Dummeniederung 3.970 45 2004 Seit dem Jahr 2007 V37 Niedersächsische Mittelelbe 34.028 23 2005-2010 konnten auch in Nord- V41 Kuppendorfer Böhrde 687 25 2006 rhein-Westfalen keine Brutpaare mehr nach- gewiesen werden. Der sogenannte Nordwest-Dialekt, eine bioakustische Dieses grenzt an die Vorkommen in Brandenburg Besonderheit der Ortolane im Nordwesten des und Sachsen-Anhalt an und gilt als einer der (ehemaligen) Verbreitungsgebietes, existiert seitdem wenigen stabilen Bestände (OLTMANNS & BAUER nur noch in der hier teilweise untersuchten, isolierten 2009). Im Fokus dieser Arbeit steht ein Teil der iso- Population im Raum Diepholz/Nienburg in Nieder- lierten Population in den Landkreisen Diepholz sachsen (VON BÜLOW et al. 2009). und Nienburg. Diese wurde in einer neueren Studie im Jahr 2012 insgesamt untersucht (ULLRICH & LEHN In Deutschland steht der Ortolan aktuell in Kategorie i. Vorb.). In Niedersachsen gibt es sechs Vogel- 3 der Roten Liste (gefährdet; SÜDBECK et al. 2007). schutzgebiete, die u. a. für den Ortolan als wert- Weiter ist er gem. BNatSchG (§ 10, Abs. 2) eine bestimmende Art ausgewiesen wurden (Tab. 1). streng geschützte Art. Auf der Roten Liste der Brutvögel Niedersachsens Niedersachsen und Bremens befindet sich der Ortolan in Kategorie 1 (vom Erlöschen bedroht; KRÜGER & OLTMANNS Die Ortolan-Bestände in Niedersachsen (ca. 1.400 2007). Weiter zählt er zu den prioritären Arten in Brutpaare) bilden heute die nordwestliche Areal- der niedersächsischen Strategie zum Arten- und grenze des zusammenhängenden Verbreitungsge- Biotopschutz. Nach den Handlungsanforderungen bietes der Art (ZANG et al. 2009, NLWKN 2010). H. zur Maßnahmenumsetzung dieser Strategie stehen BRUNS erarbeitete 1951 eine erste Verbreitungskarte die Landkreise Diepholz, Nienburg, Gifhorn, Lü- des Ortolans für Nordwestdeutschland, in der u. a. chow-Dannenberg, Lüneburg und Uelzen in be- ein zusammenhängender Bestand über die Regionen sonderer Verantwortung für den Ortolan-Schutz Bremen, Verden und Nienburg beschrieben wurde. in Niedersachsen (NLWKN 2011). Der niedersächsische Ortolan-Bestand wurde zu dieser Zeit auf etwa 5.000 singende Männchen geschätzt. Dann setzte ein drastischer Rückgang Untersuchungsgebiete ein (GRÜTZMANN 1999). Die Untersuchungen zum Ortolan-Bestand wurden in zwei Gebieten durchgeführt (Abb. 1): dem EU- Im Oldenburger Land gibt es seit etwa 1960 nur Vogelschutzgebiet V41 Kuppendorfer Böhrde (Un- noch Einzelnachweise, die in erster Linie von Durch- tersuchungsgebiet 1) und einem Nachbargebiet züglern stammen dürften (GRÜTZMANN 1999). In bei Barenburg (Untersuchungsgebiet 2). Die Ab- verschiedenen Landkreisen, in denen der Ortolan grenzung des Untersuchungsgebietes 2 wurde an- noch Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts als re- hand des dortigen Ortolan-Vorkommens (BUND gelmäßiger Brutvogel beschrieben wurde, sind die Diepholzer Moorniederung, pers. Mitt.) und anhand Bestände heute erloschen. Das heutige Hauptvor- naturräumlicher Gegebenheiten (Große Aue, Varreler kommen liegt in Ostniedersachsen in den Land- Straße, L 349) vorgenommen. Die südlich gelegenen kreisen Lüchow-Dannenberg (1.500-1.800 Reviere) Gemeindegebiete von Scharringhausen und Kirch- und Uelzen (ca. 500 Reviere; WELLMANN 2011). dorf wurden nicht mit einbezogen. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 254

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naturfernen Waldbewirtschaftung (http://www. nlwkn.niedersachsen.de).

Etwa 80 % des Vogelschutzgebietes überschneidet sich mit der Fläche des Landschaftsschutzgebietes „Böhrde/Hohes Moor“. Die Ziele des Vogelschutz- gebietes wurden hier jedoch noch nicht in nationales Recht umgesetzt (http://www.nlwkn.niedersach - sen.de). Das bedeutet hier, dass die Landschafts- schutzgebietsverordnung noch nicht den Vogel- schutzzielen entsprechend angepasst wurde.

Im Landschaftsrahmenplan des Landkreis Diepholz gibt es ein separates Zielkonzept für die Kuppen- dorfer Böhrde. Darin wird u. a. der Mangel an gliedernden Gehölzstrukturen sowie der hohe Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln bemängelt Abb. 1: Lage der Untersuchungsgebiete. – Location of (LANDKREIS DIEPHOLZ 2008). study areas. Das Untersuchungsgebiet Barenburg liegt im weit- gehend ebenen Niederungsbereich der Großen Beide Gebiete befinden sich in Niedersachsen in Aue. Es zeichnet sich durch zum Teil hohe natürliche den Landkreisen Diepholz und Nienburg. Die Grundwasserstände aus und beinhaltet die Flussaue, größten Flächenanteile liegen im Osten der Samt- Flachmoor- sowie Sandplattenbereiche (MEISEL gemeinde Kirchdorf im Landkreis Diepholz. Die 1959). Kuppendorfer Böhrde umfasst insgesamt 687 ha, das Untersuchungsgebiet Barenburg 1.338 ha. Nutzungen Beide Gebiete befinden sich in der naturräumlichen Haupteinheit Diepholzer Moorniederung. Als Grundlage für die Beschreibung der Nutzungen in den beiden Gebieten dient eine eigene Kartierung, Bei der Kuppendorfer Böhrde handelt es sich um die im April und Juni 2011 durchgeführt wurde. einen Grund- und Endmoränenzug, der von Mooren Ein besonderer Fokus wurde dabei auf die Erfassung und Niederungen umgeben ist. Nach der Boden- der Feldfrüchte gelegt. Die Beregnung der land- übersichtskarte (1:50.000) steht auf etwa 90 % wirtschaftlichen Flächen spielt in beiden Gebieten der Fläche der Bodentyp Podsol an (http://www.ni- eine untergeordnete Rolle. Auf die detaillierte Kar- bis.lbeg.de). tierung der Gehölzstrukturen wird in einer separaten Arbeit näher eingegangen (TECKER i. Vorb.). Das Vogelschutzgebiet Kuppendorfer Böhrde wurde im Juni 2001 gemeldet und ist damit Teil des Untersuchungsgebiet Kuppendorfer Böhrde Schutzgebietsnetzes NATURA 2000. Die Schutz- würdigkeit bei der Ausweisung lag in der hohen In der Zeit um 1832 war das Untersuchungsgebiet Bedeutung des Gebietes als Lebensraum für Vo- Kuppendorfer Böhrde geprägt von großflächigen gelgemeinschaften lichter Altholzbestände und Heidevorkommen, die etwa 75 % des Gebietes trocken-warmer Standorte. Die wertbestimmenden ausmachten (GAUSSSCHE LANDESAUFNAHME 1832). Vogelarten sind neben dem Ortolan die Heidelerche Lullula arborea und der Gartenrotschwanz Phoe- Heute umfasst das Gebiet neben den Ackerflächen nicurus phoenicurus. Nach dem Standarddatenbogen (41 %) einen größeren Anteil an forstwirtschaftlich liegen die Gefährdungen für das Vogelschutzgebiet genutzten Bereichen (47 %; Abb. 2). Daneben in erster Linie in der Intensivierung der land- sowie gibt es noch einige Sandheidekomplexe (5 %) forstwirtschaftlichen Nutzung, vor allem in der sowie Sandabbauflächen. Landwirtschaftliche Ausweitung der Maisanbauflächen und in einer Schwerpunktbereiche liegen im äußersten Norden vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 255

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sowie im Südosten des Ge- bietes. Zentral befindet sich ein weiterer Bereich, der sich, im Vergleich zu den restlichen Flächen, durch re- lativ kleine Schlaggrößen auszeichnet. Mais nahm im Juni 2011 mit 59 % den höchsten Flächenanteil der Feldfrüchte in der Kuppen- dorfer Böhrde ein. In gro- ßem Abstand folgten Win- terroggen, Grünland und Raps. Triticale, Wintergerste und Kartoffeln nahmen je- weils weniger als 5 % der landwirtschaftlich genutzten Flächen ein. Raps und Mais wiesen mit durchschnittlich 2,8 bzw. 2,5 ha die größten Schläge auf. Mehr als ein Drittel der Winterroggen- fläche wurde bereits im Mai Abb. 2: Landwirtschaftliche Flächennutzung 2011 im Untersuchungsgebiet Kuppen- als Grünroggen geerntet. dorfer Böhrde. – Agricultural use in the study area Kuppendorfer Böhrde in 2011.

Untersuchungsgebiet Ba- renburg

Nach der GAUSSSCHEN LAN- DESAUFNAHME (1832) wurde das Gebiet früher großflä- chig von nassen Wiesen und Moo ren bedeckt. Diese Moore wurden mittlerweile für die Acker- und Grün- landnutzung der Flächen entwässert (LANDKREIS DIEP- HOLZ 2008).

Das Untersuchungsgebiet Barenburg ist im Vergleich zur Kuppendorfer Böhrde deutlicher durch landwirt- schaftliche Nutzung geprägt, die 84 % der Gesamtfläche ausmacht (Abb. 3). Mit ei- nem Anteil von 52 % der Feldfruchtfläche dominierte im Juni 2011 auch hier der Maisanbau. Winterroggen, Abb. 3: Landwirtschaftliche Flächennutzung 2011 im Untersuchungsgebiet Baren- Grünland und Triticale nah- burg. – Agricultural use in the study area Barenburg in 2011. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 256

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men jeweils ca. 10 % ein. Alle weiteren Feldfrüchte und Kartoffelfelder neben Gehölzstrukturen mit kamen auf einen Flächenanteil von jeweils unter 5 älteren Eichen), wo aber zuvor keine Individuen %. Die durchschnittlichen Schlaggrößen der einzelnen registriert wurden. Feldfrüchte waren im Vergleich zur Kuppendorfer Böhrde größer. So betrug die der Maisfelder 4,1 Die Erfassungen erfolgten bei niederschlagsfreien ha, wobei die größten Schläge im Bereich der Bio- und windarmen Wetterverhältnissen. Nur an zwei gasanlage „Gut Borgstedt“ sogar 30 ha erreichten. Terminen mussten aufgrund leichter Regenschauer Auch im Untersuchungsgebiet Barenburg wurden kurze Pausen eingelegt werden. Die Temperaturen bis Mai 2011 mehr als ein Drittel der Winterrog- lagen immer in einer Spanne zwischen 8 und genfläche als Grünroggen geerntet. 20 °C. Generell lagen die Niederschlagswerte in der Region im Mai und Juni 2011 deutlich unter den Normalwerten (http://www.wetter-kirchdorf.de). Material und Methode Revierkartierung Auswertung

Um die Anzahl der Ortolan-Reviere zur Brutzeit in Die Einstufung als „Revier“ durch Brutverdacht den Untersuchungsgebieten zu ermitteln, wurde oder -nachweis erfolgte nach den artspezifischen in dem von ANDRETZKE et al. (2005b) empfohlenen EOAC-Brutvogelstatus-Kriterien (vgl. ANDRETZKE et Erfassungszeitraum (Anfang Mai bis Ende Juni) al. 2005a). Dafür wurde nach den entsprechenden eine Revierkartierung durchgeführt. Da die Inte- Kriterien zwischen Brutzeitfeststellung, Brutverdacht gration des Untersuchungsgebietes Barenburg in und Brutnachweis unterschieden. diese Studie erst kurz nach Beginn des Erfassungs- zeitraums festgelegt wurde, wurde der erste Kar- Für die einzelnen Kartierdurchgänge wurden Ta- tierdurchgang dort am 12. Mai 2011 vorgenommen. geskarten erstellt, die für die Auswertung in eine Grundsätzlich richtete sich die Methode der Re- Artkarte mit unterschiedlichen Symbolen für die vierkartierung nach BIBBY et al. (1995). Da in dieser einzelnen Termine übertragen wurden. Die Mittel- Arbeit aber nur eine einzige Art, nämlich der punkte der Reviere wurden in Form von Punkt- Ortolan, erfasst werden sollte, wurde sie hierfür Shapes in ArcGIS 10 implementiert (Abb. 4). spezifisch angepasst. So wurde als Richtwert ein Abstand von zehn Tagen zwischen den einzelnen Die detaillierteren Informationen aus der Dauerbe- Terminen angenommen, jedoch sollten die Durch- obachtung wurden außerdem für die Ergänzung gänge mindestens sieben Tage auseinander lie- der Revierkartierung genutzt, was zur Definition gen. von drei weiteren Revieren führte.

Angelehnt an die Vorgehensweise in Ostnieder- Dauerbeobachtung sachsen und um die Störung der Vögel möglichst gering zu halten (S. SPALIK, pers. Mitt.), erfolgten Ziel der Dauerbeobachtung war es in erster Linie, die Kartierdurchgänge mit dem Auto. Die Gebiete die genaue Verpaarungsrate der Männchen inner- wurden dabei im Schritttempo abgefahren. Dazu halb der Untersuchungsgebiete festzustellen. Dies wurden im Untersuchungsgebiet Kuppendorfer ist sinnvoll für die Bewertung des tatsächlichen Böhrde sieben und im Untersuchungsgebiet Ba- Populationszustandes, da die Zahl der Reviere auf- renburg sechs morgendliche Durchgänge vorge- grund des meist höheren Anteils an Männchen in nommen, wobei die letzten drei Durchgänge in mitteleuropäischen Populationen nicht mit dem der Kuppendorfer Böhrde aufgrund der vorherigen Brutbestand gleichgesetzt werden kann (BAUER et negativen Ergebnisse nur noch aus dem Abfahren al. 2005). geeigneter Habitatstrukturen bestanden. Die Kar- tierungen wurden bei Sonnenaufgang begonnen. Die Dauerbeobachtung war aufgrund der Ergebnisse Die Begehungsroute wurde dabei regelmäßig aus der Revierkartierung nur in Untersuchungsgebiet variiert. Eine Klangattrappe wurde in Bereichen 2 über einen längeren Zeitraum möglich. Dort eingesetzt, die gute Voraussetzungen für die wurde sie in drei Durchgänge aufgeteilt. Diese Existenz eines Ortolan-Revieres boten (Getreide- Durchgänge fanden an sechs Tagen verteilt um vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 257

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den durchschnittlichen Brutbeginn nach GLUTZ VON Abgrenzung von Singgemeinschaften BLOTZHEIM & BAUER (1997; 1. Juni) statt (18./19. Mai, 4./5. Juni, 13./14. Juni). Aufgrund der Größe Aufgrund der sozialen Affinität des Ortolans ist des Gebietes Barenburg wurde es anhand natur- eine hohe Anzahl direkt benachbarter Reviere ein räumlicher Grenzen aufgeteilt in einen West-Teil wichtiges Indiz für ein gutes Ortolan-Habitat und (westlich der B 61) und einen Ost-Teil (östlich der B auch für eine erfolgreiche Brut (BERNARDY et al. 61). Diese Teilgebiete konnten pro Durchgang an 2008). Deshalb wurden Singgemeinschaften auf jeweils einem Tag untersucht und dabei das Risiko Basis der Ergebnisse von Revierkartierung und Dau- von Doppelzählungen gering gehalten werden. erbeobachtung definiert. Für die Definition einer Auch die Dauerbeobachtungen wurden weitgehend Singgemeinschaft waren drei Männchen oder mehr aus dem Auto heraus durchgeführt, um die Beein- nötig, die mindestens während einer Beobach- flussung des Verhaltens der Vögel so gering wie tungsphase (Revierkartierung oder Dauerbeobach- möglich zu halten. tung) in Vollgesang und in Hörweite zum jeweils nächsten Nachbarn gesungen haben. Die Männchen, Als Grundlage dienten die aus dem jeweils vorigen die sich am Rande einer solchen Singgemeinschaft Durchgang der Revierkartierung gewonnen Daten. befanden, standen also nicht zwangsläufig in Sing- Die Standorte der dort erfassten Ortolane wurden kontakt mit allen weiteren Artgenossen darin. aufgesucht und die Vögel über einen längeren Zeitraum (0,5-1,5 Stunden) beobachtet. Ortolane, die nicht während der Revierkartierung, sondern Ergebnisse erst während der Dauerbeobachtung registriert Untersuchungsgebiet Kuppendorfer Böhrde wurden, wurden dann ebenfalls mit einbezogen. An jedem bekannten Standort wurde mindestens Im Mai und Juni 2011 konnten im Untersuchungs- 20 Minuten lang auf Ortolan-Aktivität gewartet. gebiet Kuppendorfer Böhrde keine Ortolan-Reviere Während der Beobachtungen wurden alle Verhal- verzeichnet werden. Lediglich zwei Brutzeitfest- tensweisen des jeweiligen Individuums festgehalten. stellungen wurden am 02. bzw. 10. Mai registriert. Die detaillierte Habitatnutzung wird bei TECKER (i. Folglich gab es auch keine Verpaarungen. Vorb.) weiter analysiert. Trotz Nachsuche mit der Klangattrappe an geeignet Die Dauerbeobachtungen fanden ebenfalls bei nie- erscheinenden Orten wurden nach dem zweiten derschlagsfreien Bedingungen statt. Die Temperatur Durchgang keine weiteren Ortolane mehr registriert. lag dabei immer zwischen 10 und 26 °C. Nur an Da die Vögel normalerweise Ende April bis Anfang einem Termin herrschten Windverhältnisse der Mai in deutschen Brutgebieten ankommen und Stärke 4 vor. durchschnittlich Ende Mai bis Anfang Juni zu brüten beginnen (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER Auswertung 1997), wurde davon ausgegangen, dass nach dem 1. Juni (vierter Durchgang) keine Ortolane in der Als verpaart wurde ein Männchen dann definiert, Kuppendorfer Böhrde mehr auftauchen würden. wenn mindestens eines der folgenden Merkmale Deshalb wurde die flächendeckende Revierkartierung beobachtet wurde: zu diesem Zeitpunkt abgebrochen. Erwartungsge- mäß gab es auch bei drei späteren Terminen, an • Weibchen in einem bekannten Revier denen geeignete Strukturen sporadisch abgefahren • Paarflüge, Balz von Männchen und Weibchen wurden, keine Hinweise auf die Art. • Altvögel mit Nistmaterial • Futtertragende Altvögel Untersuchungsgebiet Barenburg • Familie mit flüggen Jungen Im Untersuchungsgebiet Barenburg wurden 34 Wurde ein Männchen als verpaart definiert, wurde Reviere mit Status Brutverdacht registriert sowie es in den folgenden Durchgängen nicht mehr 12 Männchen, die als Brutzeitfeststellungen ein- gezielt aufgesucht. gestuft wurden (Abb. 4). 50 % der revierinhabenden Männchen waren verpaart. Es wurden sechs Sing- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 258

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Im Jahre 1999 wurde eine Kartierung des Vorkommens wertbestimmender Arten zur Erstinventarisierung der Kuppendorfer Böhrde vor- genommen (C. PEERENBOOM, pers. Mitt.; LASKE 1999). LEHN (2006) führte im Jahre 2006 eine Revierkartierung im Rahmen des Monitorings in Vogelschutzgebieten durch. Der Bestand wurde anhand der Populationsgrö- ße, des Bestandstrends so- wie der Habitatausstattung mit „B“ (= guter Erhaltungs- zustand) bewertet. Unter- Abb. 4: Ortolan-Bestand 2011 mit Darstellung der verpaarten Männchen im Unter- suchungen zum Bruterfolg suchungsgebiet Barenburg. – Distribution of ortolan bunting and paired males in (ein weiteres Bewertungs- the study area Barenburg in 2011. kriterium des Erhaltungszu- standes) bzw. zum Verpaa- rungsgrad der Männchen gemeinschaften abgegrenzt. Der Verpaarungsgrad finden im Rahmen des niedersächsischen Monito- innerhalb dieser Gemeinschaften lag bei 58 %, rings der Vogelschutzgebiete nicht statt. der außerhalb der Gemeinschaften bei 48 %. In der größten Singgemeinschaft, zu der über den gesamten Erfassungszeitraum neun singende Männ- Diskussion chen gehörten, betrug die Verpaarungsrate 66 %. Bestandsrückgang in der Kuppendorfer Böhrde

Umgerechnet auf das gesamte Untersuchungsgebiet Laut HÄNEL (2004) sind Ortolan-Bestände, die auf (1.338 ha) ergibt sich eine Siedlungsdichte von Basis der singenden Männchen ermittelt werden, 0,25 Revieren/10 ha. Ein räumlicher Schwerpunkt nicht mit der Anzahl an Brutpaaren gleichzuset- der Reviere lag im Nord-Westen des Gebietes. zen. Dort wurden 17 Männchen als Brutverdacht und nur zwei als Brutzeitfeststellung erfasst. Ein groß- räumigerer Bereich mit mehreren Individuen (Brut- verdacht und Brutzeitfeststellung) befand sich im Osten des Gebietes. Im Zentrum gab es zudem eine kleinere Häufung von drei Männchen mit Brutverdacht sowie zwei Brutzeitfeststellungen.

Vergleich der Erfassungen im Vogelschutzgebiet Kuppendorfer Böhrde von 1999, 2006 und 2011

Nachdem die Anzahl der Ortolan-Reviere im Vo- gelschutzgebiet zwischen 1999 (n = 27; LASKE 1999) und 2006 (n = 25, LEHN 2006) nur einen sehr geringen Rückgang erfahren hatte, musste Abb. 5: Anzahl der Ortolan-Reviere 1999, 2006 und 2011 für 2011 das Erlöschen des Bestandes festgestellt im Untersuchungsgebiet Kuppendorfer Böhrde. – Number werden (Abb. 5). of territories of ortolan bunting in the study area Kup- pendorfer Böhrde in 1999, 2006 and 2011. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 259

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Um die Ursachen des Erlöschens des Bestandes zu (N. KULBARSCH, pers. Mitt.) auch in der Kuppendorfer untersuchen, wurden die Ortolan-Vorkommen von Böhrde ein intensiverer Anbau von Energiepflanzen 1999 (LASKE 1999) und 2006 (LEHN 2006) mit der (v. a. Mais als Hauptenergieträger) forciert wurde. Nutzungskartierung von 2011 verschnitten. Danach Bereits LEHN (2006) wies auf einen sehr hohen grenzen etwa 40 % der früheren Reviere an Acker- Maisanteil an den Feldfrüchten hin, und zu dieser flächen, auf denen 2011 ausschließlich Mais an- Zeit fing die „Ausbauphase“ des Maisanbaus für gebaut wurde. Dieser hohe Anteil an Feldfrüchten, die Biogasanlagen erst an. Zusätzliche Negativfak- die für Bruten eher ungeeignet sind (BERNARDY et toren waren wahrscheinlich suboptimale Habitat- al. 2006, DANZL 2007), zeigt, dass die Vorausset- bedingungen wie ein geringes Nahrungsangebot, zungen für eine dauerhafte Besetzung der immer bedingt durch hohen Pestizideinsatz im Ackerbau, gleichen Revierstandorte über mehrere Jahre hinweg und ein begrenztes Angebot an guten Singwarten nicht gegeben waren. Dies jedoch ist für den in der Nähe geeigneter Brutstandorte. Offensichtlich stabilen Fortbestand eines Ortolan-Vorkommens wurde für die Kuppendorfer Böhrde als Brutplatz essenziell, da die Art als sehr reviertreu gilt. Vor für Ortolan-Weibchen zu unattraktiv, sodass das allem ältere, regelmäßig verpaarte Männchen Gebiet zunehmend gemieden wurde. Blieben die suchen nachweislich in jedem Jahr das gleiche Männchen aufgrund dieser Rahmenbedingungen Revier und die gleiche Singwarte auf (BERNARDY et unverpaart, zogen sie nach einer gewissen Phase al. 2008). In der Kuppendorfer Böhrde wurden le- der Revierbesetzung wieder ab. diglich sechs der Reviere von 1999 auch im Jahre 2006 an derselben Stelle besetzt, wobei es sich Ortolan-Bestand im Untersuchungsgebiet Ba- nicht zwingend um ein und denselben Vogel renburg handeln muss. Dies lässt zwei mögliche Erklä- rungsansätze zu: Einerseits ist denkbar, dass sich Siedlungsdichte und Singgemeinschaften der Ortolan-Bestand im Untersuchungsgebiet aus einer höheren Zahl unverpaarter Männchen zu- Legt man die gesamte Fläche des Untersuchungs- sammensetzte, die häufig ihren Revierstandort gebietes Barenburg zugrunde, erhält man eine wechselten und deshalb sieben Jahre später nicht Dichte von 0,25 Revieren/10 ha. Dieser Wert ist am selben Standort zu kartieren waren. Andererseits vergleichsweise gering, wenn man ihn mit dem ist es möglich, dass die Veränderungen in der von Optimalhabitaten vergleicht, in dem bis zu landwirtschaftlichen Flächennutzung eine konti- 7,8 Brutpaare/10 ha vorkommen können (GLUTZ nuierliche Besetzung der immer selben Reviere un- VON BLOTZHEIM & BAUER 1997). Im Wendland be- möglich machten, sodass sie schließlich aufgegeben zeichnen BERNARDY & DZIEWIATY (2003) 0,54 singende werden mussten. Wahrscheinlich ist eine Kombi- Männchen/10 ha als vergleichsweise guten Bestand. nation beider Theorien zutreffend, da die großflä- In den Vollzugshinwiesen zum Schutz des Ortolans chige Nichteignung der Feldfrüchte (hier v. a. Mais) des NLWKN (2010b) wird eine Dichte von 2 Revie- als Brutplatz kausal mit einer niedrigen Verpaa- ren/10 ha als günstig eingestuft. rungsrate der Männchen und damit einer höheren Mobilität in der Revierwahl zusammenhängt. Die Revierdichte ist immer vom Angebot an geeig- neten Habitaten abhängig (BERNARDY & DZIEWIATY Selbst wenn noch geeignete Feldfrüchte als Aus- 2003). Bei geeigneten Habitatstrukturen führt die weichflächen für die Nestanlage im Untersuchungs- soziale Affinität der Ortolane wiederum zu einer gebiet vorhanden waren, kam dazu eventuell das Häufung der Reviere (Singgemeinschaften; GLUTZ Problem, dass angrenzende Gehölzstrukturen fehl- VON BLOTZHEIM & BAUER 1997). Eine daraus resultie- ten. Bereits im Landschaftsrahmenplan des Land- rende ungleichmäßige Verteilung der Reviere findet kreises Diepholz (LANDKREIS DIEPHOLZ 2008) wurde sich auch im Gebiet Barenburg (Abb. 4). Während die fehlende Gliederung der Agrarlandschaft durch es größere vom Ortolan unbesiedelte Areale gibt, Gehölzstrukturen in der Kuppendorfer Böhrde er- weisen die Ballungsbereiche höhere Dichten mit wähnt. bis zu 0,9 Reviere/10 ha auf, z. B. im Nord-Westen des Untersuchungsgebietes. Mit der Bildung von Es wird gefolgert, dass aufgrund der Inbetriebnahme Singgemeinschaften geht häufig auch der Prozess mehrerer umliegender Biogasanlagen seit 2004 der Revier- und Paarbildung parallel einher, und vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 260

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dort folgt dann auch die Nestanlage in höherer aus dem kleinen Bestand, einer natürlichen Verhal- Dichte (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1997). Eine tensweise um Inzucht und Konkurrenz vorzubeugen. gegenseitige gesangliche Stimulation der Männchen Bei isolierten Populationen, und das Vorkommen in den Singgemeinschaften konnte auch in Baren- im Untersuchungsgebiet Barenburg gehört ebenfalls burg schon bei der ersten Kartierung am 12. Mai zu einer solchen (HECKENROTH & LASKE 1997), kann festgestellt werden, als bereits vier der sechs Ge- diese Abwanderung zu einem bestandsgefährdenden meinschaften gebildet waren. BERNARDY et al. (2008) Problem werden, da eine Zuwanderung von Weib- wiesen einen höheren Bruterfolg innerhalb von chen anderer Populationen unwahrscheinlicher ist. Singgemeinschaften nach. Auch nach BEZZEL & Weiter kann auch eine höhere Sterberate der Weib- PRINZINGER (1990) kann eine solche Individuenkon- chen, z. B. durch Verluste bei der Bewirtschaftung zentration bzw. Brutnachbarschaft die biologische der Flächen, auf denen gebrütet wird, zu dem un- Fitness durchaus erhöhen. Ebenso konnte in dieser gleichen Geschlechterverhältnis beitragen. Die Mahd Studie ein um 10 % höherer Verpaarungsgrad von von Grünroggen in der Brutzeit stellt dabei eine Männchen innerhalb der Singgemeinschaften fest- besondere Gefährdung dar. gestellt werden (58 %). In der mit neun Sängern größten Singgemeinschaft waren sogar 66 % der Generell sind die Faktoren, die die Größe einer Po- Männchen verpaart. pulation beeinflussen Bruterfolg, Mortalität, Immi- gration und Emigration (BEZZEL & PRINZINGER 1990). Für die Stabilisierung eines Ortolan-Vorkommens Übersteigen Mortalität und Emigration die Parameter kann gefolgert werden, dass die Bildung solcher Bruterfolg und Immigration in einer Population, Singgemeinschaften durch die Schaffung von Struk- verkleinert sie sich zwangsläufig und die Überle- turen für Singwartenverbünde in räumlicher Nähe benschance des Bestandes sinkt. Aufgrund der von für die Nestanlage und Nahrungssuche geeigneten niedrigen Verpaarungsrate ist auch im Untersu- Feldfrüchten besonders gefördert werden sollte. chungsgebiet Barenburg von einem solchen Trend auszugehen. Verpaarungsgrad Einordnung in die regionale Population Die Verpaarungsrate von 50 % innerhalb der be- setzten Reviere lässt auf einen deutlich höheren Der hier untersuchte Ortolan-Bestand ist Teil einer Anteil an Männchen im Untersuchungsgebiet schlie- isolierten Population im westlichen Niedersachsen. ßen. Durch die Befruchtung wäre aber wie bei an- Diese setzt sich aus Vorkommen in den Landkreisen deren Arten auch ein Geschlechterverhältnis von Diepholz und Nienburg zusammen und besteht 1:1 zu erwarten (BEZZEL & PRINZINGER 1990). aktuell noch aus 80 Gesangsrevieren und 25 Brut- zeitfeststellungen (Stand 2012; ULLRICH & LEHN i. Im Falle des Ortolans wird dieser höhere Männ- Vorb.). Mit 34 Revieren, die 2011 registriert wurden chenanteil in diversen Veröffentlichungen beschrieben (bzw. 30 Reviere in 2012; ULLRICH & LEHN i. Vorb.), (BAUER et al. 2005, DANZL 2007, IKEMEIER & VON bildet der Bestand im Gebiet Barenburg einen BÜLOW 1995). Einen Verpaarungsgrad von 62 % Schwerpunkt dieser Population, auf den bei Schutz- stellten CONRADS & QUELLE (1986 in GLUTZVON maßnahmen ein besonderer Fokus gelegt werden BLOTZHEIM & BAUER 1997) in den 1980er Jahren im sollte. Gebiet Senne/Ostmünsterland fest. Dieser Bestand ist mittlerweile erloschen. Während bei einer Po- Bewertung des Populationszustandes pulation in Haltern Mitte der 1980er Jahre noch eine Verpaarungsrate von 55 % abgeleitet wurde, Innerhalb der beiden untersuchten Gebiete ist der wurde 1992 dort lediglich noch von 19-24 % aus- Ortolanbestand als absolut instabil einzustufen. gegangen. Auch dort kann heute nicht mehr von Innerhalb von fünf Jahren oder weniger ist die einer vitalen Population gesprochen werden (IKEMEIER Teilpopulation in der Kuppendorfer Böhrde komplett & VON BÜLOW 1995). DALE (2009) untersuchte eine erloschen. Es kann von einem äußerst negativen norwegische Ortolan-Population auf ihr Geschlech- Bestandstrend ausgegangen werden. Die Habitat- terverhältnis und erklärte die Verpaarungsrate von ausstattung bietet maximal noch Voraussetzungen nur 52 % mit dem Abwandern juveniler Weibchen für kleinere und voneinander getrennt liegende vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 261

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Singgemeinschaften. Gefähr- dungen und Beeinträchtigun- gen vor allem durch den stetig fortschreitenden Anbau von Energiepflanzen sind überall präsent.

Schutzmaßnahmen und Umsetzungsmöglichkeiten

Um den Fortbestand des Or- tolans im Untersuchungsgebiet Barenburg sowie den der rest- lichen isolierten Population zu sichern und die Art bestenfalls auch in der Kuppendorfer Böhr- de wieder anzusiedeln, ist die Umsetzung von Schutzmaß- Singendes Ortolan-Männchen in der Kuppendorfer Böhrde (21.5.2011). Foto: nahmen im Raum Diepholz/ Stefan Wenzel. – Singing male ortolan bunting in the Kuppendorfer Böhrde. Nienburg unerlässlich. Im Vor- dergrund muss dabei das Ent- gegenwirken gegen die derzeitigen Trends in der Varianten weiter optimiert (Tab. 2). Die Grundlage landwirtschaftlichen Flächennutzung stehen. Weiter dafür bildet das in PROFIL enthaltene Kooperati- ist es wichtig, dass Schutzbemühungen nicht nur onsprogramm Naturschutz und im speziellen die auf Einzelflächen, wie auf das Vogelschutzgebiet Fördermaßnahme 432 „Acker-Vogel und sonstige begrenzt werden (LANZ 2009). Nachfolgende Maß- Tierarten der Feldflur“ des Landes Niedersachsen nahmen können der Stabilisierung und Entwicklung (NIEDERSÄCHSISCHES MINISTERIUM FÜR UMWELT UND KLI- der Population dienen (NLWKN 2011). MASCHUTZ 2011). Die Durchführung dieser Maß- nahmen wird vertraglich mit den Landwirten vor • Erhalt bzw. Wiederherstellung kleiner Feldein- Ort geregelt und bezieht sich immer auf fünf heiten mit einem vielfältigen und abwechs- Jahre. Dabei werden Randstreifen (6-24 m) angelegt lungsreichen Anbau von Winter- und Sommer- (Abb. 6) oder ganze Schläge der Bewirtschaftung getreide sowie Kartoffeln und Körnerleguminosen unterzogen, die möglichst an lineare Gehölzstruk- als Nahrungs- und Brutflächen, turen grenzen. Die Durchführung der Maßnahmen • Erhalt bzw. Wiederherstellung ausgeprägter ist nur in den dafür definierten Kulissen vorgesehen. Saumstrukturen an Straßen und Wegen als Europäische Vogelschutzgebiete mit dem Ortolan Nahrungsflächen, als wertbestimmende Art gehören zu dieser Kulisse • Förderung des ökologischen Landbaus und einer und damit auch das Vogelschutzgebiet Kuppendorfer extensiven Flächennutzung, Böhrde. Nach dem Erlöschen des Ortolanbestandes • Entwicklung eines engmaschigen Netzes an Ei- in der Kuppendorfer Böhrde wurde im Jahr 2012 chen enthaltenden Gehölzstrukturen für die Bil- auch das hier untersuchte Gebiet Barenburg in dung von Singgemeinschaften. diese Kulisse aufgenommen, um Schutzmaßnahmen einleiten zu können (C. PEERENBOOM, pers. Mitt.). In Ostniedersachsen wurden bereits erfolgreiche Anstrengungen zum Schutz der dortigen Ortolan- Der ökologische Anbau in landwirtschaftlichen Be- Vorkommen unternommen. BERNARDY et al. (2006) trieben kann außerdem über das Niedersächsische haben dort im Rahmen eines integrativen Schutz- und Bremische Agrarumweltprogramm (NAU/BAU projektes für den Ortolan in Zusammenarbeit mit C), das ebenfalls Teil von PROFIL ist, gefördert den örtlichen Landwirten verschiedene Varianten werden (NLWKN 2011). der Flächenbewirtschaftung getestet und evaluiert. Im Rahmen von Effizienzkontrollen wurden diese Eine weitere Chance für die Durchführung von vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 262

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Tab. 2: Maßnahmen und Fördersummen der FM 432 (NIEDERSÄCHSISCHES MINISTERIUM FÜR UMWELT UND KLIMASCHUTZ 2011). – Measures and fundings of FM 432.

Variante Auflagen Jährliche Förderung • keine Düngung einschließlich Kalken • keine chemischen Pflanzenschutzmittel (Ausnahme: gebeiztes Saatgut) Alle • keine Beregnung • keine Lagerung landwirtschaftlicher Geräte, Maschinen sowie Mist • keine Anlage von Mieten oder Vornahme vergleichbarer Handlungen • Nur Anlage von Randstreifen (6-24 m) Ganzer Schlag: • Anbau von Getreide (außer Mais) ohne Untersaat 225 € / ha 432.1 • Doppelter Saatreihenabstand (mind. 18 cm) Randstreifen: Optimierung: 390 € / ha • Aussaat bis zum 31.3. (WELLMANN 2010) • Anbau von Luzerne und/oder mehrjährigen Futterkulturen • Doppelter Saatreihenabstand (mind. 18 cm) • Aussaat bis zum 30.4. im ersten, dritten und fünften Vertragsjahr (Umbruch vor der Ganzer Schlag: Aussaat im dritten und fünften Jahr) 535 € / ha 432.2 • Keine mechanische Bodenbearbeitung vom 1.5.-15.7. Randstreifen: • Mindestens einmalige Mahd nach dem 15.7. mit Abtransport des Mahdguts 635 € / ha • Nur einmalige Mahd im zweiten und vierten Vertragsjahr Optimierung: • Aussaat bis zum 31.3. (WELLMANN 2010) • Anbau von Getreide (außer Mais) ohne Untersaat • Zweimal in fünf Jahren: Anbau eines Erbsen-Sommergetreide-Gemenges ohne Ernte • Aussaat bis zum 30.4. • Keine mechanische Bodenbearbeitung vom 1.5.-31.7. • Das Gemenge ist jeweils nach dem 31.7. ohne nachfolgenden Abtransport des Ganzer Schlag: Mahdgut abzuschlegeln 470 € / ha 432.3 Optimierung: Randstreifen: • Aussaat bis zum 31.3. (WELLMANN 2010) 640 € / ha • Beimischung von trockenheitsresistenten Kulturen in das Gemenge, z. B. Lupine (BERNARDY & DZIEWIATY 2010) • Reduzierte Stickstoffdüngung oder Zwischenfruchtanbau ermöglichen (BERNARDY & DZIEWIATY 2010) • Gemenge als Herbstaussaat, z. B. Wintererbse und Triticale (BERNARDY & DZIEWIATY 2010) • Anbau von Getreide (außer Mais) ohne Untersaat • Zweimal in fünf Jahren: Anbau eines Erbsen-Sommergetreide-Gemenges mit Ernte • Aussaat bis zum 30.4. • Keine mechanische Bodenbearbeitung vom 1.5.-31.7. • Ernte des Gemenges nach dem 31.7. Ganzer Schlag: Optimierung: 250 € / ha 432.4 • Aussaat bis zum 31.3. (WELLMANN 2010) Randstreifen: • Beimischung von trockenheitsresistenten Kulturen in das Gemenge, z. B. Lupine 425 € / ha (BERNARDY & DZIEWIATY 2010) • Reduzierte Stickstoffdüngung oder Zwischenfruchtanbau ermöglichen (BERNARDY & DZIEWIATY 2010) • Gemenge als Herbstaussaat, z. B. Wintererbse und Triticale (BERNARDY & DZIEWIATY 2010) • Anbau von Getreide (außer Mais) oder Hackfrüchten ohne Untersaat • Doppelter Saatreihenabstand (mind. 18 cm) Ganzer Schlag: • Im dritten Vertragsjahr ist Düngung einschließlich Kalken und die Behandlung mit che- 195 € / ha 432.5 mischen Pflanzenschutzmitteln erlaubt Randstreifen: Optimierung: 325 € / ha • Aussaat bis zum 31.3. (WELLMANN 2010) vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 263

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Maßnahmen zur Habitatoptimierung kann die Ver- „Öko-Images“, das die Teilnahme an solch einem knüpfung mit der Schaffung von Schneisen für die Programm mit sich bringen würde (K. LEHN 2011, Nahrungssuche von Wildtieren bieten. Randstreifen, pers. Mitt.). die zu diesem Zweck an Maisflächen neben geeig- neten Gehölzstrukturen angelegt werden, können Maßnahmen zum Schutz des Ortolans in den beiden dem Ortolan dann ebenfalls zugute kommen. Untersuchungsgebieten durchzuführen, stellt also eine Herausforderung dar, der man begegnen muss. Regionale Probleme bei der Umsetzung der Eine Attraktivitätssteigerung des Programms durch FM 432 die regionale Erhöhung der Fördersummen (An- passung der Prämien an lokale/regionale Gege- Der Erfolg des Programms im Osten Niedersachsens benheiten) ist nötig, sodass tatsächlich ein Ausgleich (WELLMANN 2010) zeigt, dass sich die Durchführung des Ertragsverlustes gewährleistet werden kann. dort lohnt und die Nachfrage durch die Landwirte Die Schaffung einer höheren Akzeptanz bei den gegeben ist. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die örtlichen Landwirten und die Bewerbung des Pro- Maßnahmen in Ostniedersachsen unter Berück- gramms können außerdem durch sogenannte „Qua- sichtigung der dortigen regionalen Bedingungen lifizierer“, Berater für die Umsetzung von Agrar- entwickelt wurden. Nachdem der Landkreis Diepholz umweltmaßnahmen auf der individuellen Betriebs- für das Programm in der Kuppendorfer Böhrde ebene, geschehen. Auch diese werden durch PROFIL geworben hatte, gab es allerdings keine Flächen- gefördert. Diese werden erfolgreich auch in Ost- bewirtschafter, die an einer Teilnahme interessiert niedersachsen eingesetzt (www.dziewiaty- waren (J. DANIELS 2011, pers. Mitt.). Daneben bernardy.de) und führen zusätzlich zu einer Entlastung startete im Jahr 2010 ein Projekt des Landkreises der Unteren Naturschutzbehörden, wo oft entspre- Nienburg, das der Fördermaßnahme 432 vergleich- chende Kapazitäten fehlen. bare Maßnahmen beinhaltete und in dem als Anreiz höhere Vergütungen angeboten wurden Sollten diese Bemühungen dennoch erfolglos blei- (BUND DIEPHOLZER MOORNIEDERUNG 2011). Auch dort ben, kann außerdem § 44 Abs. 4 (BNatSchG) in konnten, trotz intensiver Ansprache der Bewirt- Betracht gezogen werden. Danach kann die zu- schafter, keine Teilnehmer gewonnen werden. Ein we- sentlicher Unterschied zu Ostniedersachsen ist der hohe Anteil des Energie- pflanzenanbaus in den Landkreisen Diepholz und Nienburg. Die Betreiber der Biogasanlagen benötigen den Mais zur Auslastung ihrer Anlagen. Mit Pacht- preisen von 800-1.000 €/ha/Jahr (BUND DIEPHOLZER MOORNIEDERUNG 2011) kön- nen die angebotenen För- dersummen nicht mithalten (Tab. 2) und die Ertragsein- bußen nicht wie angedacht ausgeglichen werden. Hinzu kommen Bedenken auf Sei- ten der Landwirtschaft auf- grund einer möglichen Ver- Abb. 6: Im Rahmen der FM 432 angelegter Randstreifen im Vogelschutzgebiet Lucie, unkrautung der Flächen und Foto: Anuschka Tecker. – Field-margin management that was supported by FM 432 nicht zuletzt aufgrund des in the SPA Lucie. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 264

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ständige Behörde gegenüber der Landwirtschaft Danksagung Bewirtschaftungsvorgaben anordnen, sofern der Erhaltungszustand der lokalen Population bestimmter Ich danke der Staatlichen Vogelschutzwarte im Arten (u. a. in der EU-Vogelschutzrichtlinie gelistete NLWKN und dem BUND Diepholzer Moorniederung Anhang I-Arten) nicht durch anderweitige Maß- als Initiatoren und Kooperationspartner meiner Ba- nahmen sichergestellt werden kann. Bei dem Projekt chelorarbeit, die diesem Artikel zugrunde liegt. H. im Landkreis Nienburg konnten keine Teilnehmer Zucchi und C. Peerenboom danke ich für die gute für angemessen vergütete, freiwillige Maßnahmen Betreuung der Arbeit. S. Spalik hat mich von den gefunden werden. In Anbetracht dessen könnte Erfassungen bis hin zur Manuskripterstellung en- die Anordnung administrativer Maßnahmen tat- gagiert unterstützt. Hilfreiche Anmerkungen zum sächlich die letzte Möglichkeit für den Erhalt der Manuskript gaben außerdem K. Lehn, P. Südbeck Ortolan-Population in den Landkreisen Diepholz und H. Zucchi. und Nienburg sein. Summary – Distribution and state of Ausblick preservation of the Ortolan Bunting Em- Wie schnell das Ortolan-Vorkommen in einem beriza hortulana in the Kuppendorfer Gebiet erlöschen kann, hat das Beispiel in der Kup- Böhrde and in the area of Barenburg. pendorfer Böhrde gezeigt. Um den Bestand im Un- In June 2011 the Special Protection Area Kuppen- tersuchungsgebiet Barenburg zu erhalten und den dorfer Böhrde (687 ha) and a second area near Vogel in der Kuppendorfer Böhrde wieder anzusie- Barenburg (1,338 ha) in the southeastern part of deln, sollten so zeitnah wie möglich Maßnahmen the district of Diepholz were analyzed with regard zur Habitatoptimierung durchgeführt werden. Um to the distribution of ortolan bunting. For that die Maßnahmen auch in Gebieten mit hoher Flä- reason, the territories were mapped in both areas. chenkonkurrenz attraktiv zu machen, ist eine re- The implementation of several permanent obser- gionale Anpassung der Fördersummen notwendig vations of the males aimed to figure out the und bei Nichtinanspruchnahme die Anordnung ver- mating rate. pflichtender Bewirtschaftungsvorgaben. In the Kuppendorfer Böhrde, the population of or- Die Bestände sollten regelmäßig und in kürzeren tolan bunting was extinct in 2011, while in 2006 Zeitabständen erfasst werden, um auf Änderungen still 25 territories had been recorded. In the study schneller reagieren zu können. Auch wenn der area of Barenburg, however, 34 territories were Aufwand dies bisher nicht zugelassen hat, sollten defined. Half of the males holding those territories zukünftig auch der Bruterfolg bzw. der Verpaa- were paired. There were six singing communities, rungsgrad untersucht werden, um den tatsächlichen in which the mating rate was 10 % higher than Zustand der Population beurteilen zu können. outside these communities. Thus, Barenburg is a major frequency area within the locally isolated Die Schutzziele des Europäischen Vogelschutzge- population around Diepholz / Nienburg. bietes V41 Kuppendorfer Böhrde sollten in die be- stehende Verordnung des Landschaftsschutzgebietes During the last couple of years the growing number integriert werden. Diese sollte so gestaltet werden, of biogas plants in the surrounding area led to an dass den aktuellen Verschlechterungstendenzen ongoing change in the agricultural land use. For durch die Landwirtschaft (u. a. stetige Erhöhung that reason there is a high amount of maize culti- des Maisanbaus) entscheidend entgegengewirkt vation in both study areas. As a consequence food werden kann. and breeding habitats of the ortolan bunting de- creased. Da die Gefährdungsursachen des Ortolans aber nicht allein auf die Brutgebiete beschränkt sind, The establishment of measures to achieve an opti- müssen auch Schutzbemühungen auf internationaler mization of habitat can contribute to the preservation Ebene unternommen werden (z. B. Stopp des Or- of the ortolan bunting population. Above all, agri- tolan-Fangs in Südfrankreich). culture needs to be extensified, the amount of vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 265

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crops which provide suitable breeding habitats We ser, Wagenfeld-Ströhen. (such as winter crop, potatoes, grain legumes) DALE, S. (2009): Diagnosing causes of population decline of must be increased, and a network of trees as the Ortolan Bunting in Norway: Importance of dispersal songposts has to be developed. The funding pro- and local patch dynamics. In: BERNARDY, P. (Hrsg.; 2009): gram PROFIL can serve as a basis for the imple- Ökologie und Schutz des Ortolans (Emberiza hortulana) mentation of measures such as field-margin ma- in Europa – IV. internationales Ortolan-Symposium. nagement. However, it is a great challenge to get Nat.schutz Landsch.pfl. Niedersachs. 45: 29-34. the farmers to participate in those programs mainly DANZL, A. (2007): Managementplan für das Natura 2000 because of the high prices per hectare in the Gebiet Ortolan-Vorkommen Silz-Haiming-Stams. Er- region of Diepholz/Nienburg. gebnisse und Schlussfolgerungen aus Untersuchungen in den Jahren 2005 und 2006. Unveröff. Gutachten i. A. des Amtes der Tiroler Landesregierung, Fieberbrunn. Literatur DÜRR, T., & T. RYSLAVY (2009): Zur Bestandssituation des ANDRETZKE, H., T. SCHIKORE. & K. SCHRÖDER (2005a): Anlei- Ortolans in Brandenburg. In: BERNARDY, P. (Hrsg.; 2009): tung zur Benutzung der Artsteckbriefe. In: SÜDBECK, P. Ökologie und Schutz des Ortolans (Emberiza hortu- et al. (Hrsg.): Methodenstandards zur Erfassung der lana) in Europa –IV. internationales Ortolan-Sympo- Brutvögel Deutschlands. S. 104-113, Radolfzell. sium. Nat.schutz Landsch.pfl. Niedersachs. 45: 13. ANDRETZKE, H., T. SCHIKORE & K. SCHRÖDER (2005b): Art- EUROPÄISCHES PARLAMENT (2010): Richtlinie 2009/147/EG steckbriefe. In: SÜDBECK, P. et al. (Hrsg.): Methoden- des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. standards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden S. 135-695, Radolfzell. Vogelarten. – Kodifizierte Fassung; Amtsblatt der Eu- BAUER, H.-G., E. BEZZEL & W. FIEDLER (2005): Das Kompen- ropäischen Union L 20/7 – Online-Veröffentlichung. dium der Vögel Mitteleuropas. Wiebelsheim. http://eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/LexUriServ.do?uri BERNARDY, P., & K. DZIEWATY (2003): Untersuchungen zur =OJ:L:2010:020: 0007: 0025:DE:PDF. (Download vom Habitatwahl, Nahrungs- und Nistökologie des Ortolan 24.08.2011). in V 26 Drawehn 2003. Unveröff. Gutachten i. A. der EUROPEAN COMMISSION (Hrsg.; 2008): Species report – Em- Staatlichen Vogelschutzwarte/NLÖ; Hitzacker. beriza hortulana – Draft. Wildlife and Sustainable Far- BERNARDY, P., K. DZIEWATY, I. PEWSDORF & M. STREUN (2006): ming Initiative, Brüssel. Integratives Schutzkonzept zum Erhalt ackerbrütender GAUSSSCHE LANDESAUFNAHME (1832): Blatt Uchte 20, Maß- Vogelgemeinschaften im hannoverschen Wendland - stab 1:25.000. Ortolanprojekt 2003-2006. Abschlussbericht. Unver- GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N., & K. M. BAUER (Hrsg.; 1997): öff. Ber. i. A. des Landkreises Lüchow-Dannenberg, Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Bd. 14 Passeri- NLWKN, Hitzacker. formes (5. Teil). Wiesbaden. BERNARDY, P., K. DZIEWATY, S. SPALIK & P. SÜDBECK (2008): Was GRÜTZMANN, J. (1999): Der Ortolan Emberiza hortulana im charakterisiert ein „gutes“ Ortolan Emberiza hortu- Oldenburger Land sowie in Nord- und Westnieder- lana-Revier? Eine Analyse als Grundlage für Schutzbe- sachsen. Jahresber. Ornithol. Arb.gem. Oldenbg 15: mühungen. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 40: 127-138. 117-134. BERNARDY, P., & K. DZIEWATY (2010): Effizienzkontrolle für GRÜTZMANN, J., V. MORITZ, P. SÜDBECK & D. WENDT (2002): das Kooperationsprogramm Naturschutz in Teilberei- Ortolan (Emberiza hortulana) und Grauammer (Miliaria chen der EU-Vogelschutzgebiete V26 Drawehn und calandra) in Niedersachsen: Brutvorkommen, Lebens- V21 Lucie 2010. dziewiaty + bernardy i. A. des räume, Rückgang und Schutz. Vogelkdl. Ber. Nieder- NLWKN; Hitzacker. sachs. 34: 69-90. BEZZEL, E., & R. PRINZINGER (1990): Ornithologie. 2. Aufl; HÄNEL, K. (2004): Zur Populationsstruktur und Habitat- Stuttgart. präferenz des Ortolans (Emberiza hortulana). Unter- BIBBY, C. J., BURGESS, N. D. & D. A. HILL (1995): Methoden suchungen in der Mortizburger Kuppenlandschaft/ der Feldornithologie: Bestandserfassung in der Praxis. Sachsen. Mitt. Ver. Sächs. Ornithol. 9: 317-357. Radebeul. HECKENROTH, H., & V. LASKE (1997): Atlas der Brutvögel BUND DIEPHOLZER MOORNIEDERUNG (2011): Projekt zur Förde- Niedersachsens 1981-1995. Nat.schutz Landsch.pfl. rung des Ortolans und weiterer seltener und gefähr- Niedersachs. 37. deter Vogelarten der Feldflur, Endbericht 2011. Un- IKEMEIER, D., & B. VON BÜLOW (1995): Zum Rückgang der veröff. Gutachten i. A. des Landkreisses Nienburg/ Ortolan-Population (Emberiza hortulana, L. 1758) am vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 266

266 TECKER: Der Ortolan in der Kuppendorfer Börde und im Raum Barenburg

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Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43 (2013) 267

Aus der Arbeitsgemeinschaft Adlerschutz in Niedersachsen (AAN)

Brut des Seeadlers Haliaeetus albicilla 2011 im Barnbruch bei Wolfsburg

Dietrich Hummel, Joachim Remitz & Hans O. Schulze

HUMMEL, D., J. REMITZ & H. O. SCHULZE (2013): Brut des Seeadlers Haliaeetus albicilla 2011 im Barnbruch bei Wolfsburg. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43: 267-274.

Im Jahre 2011 hat der Seeadler Haliaeetus albicilla im Barnbruch bei Wolfsburg erfolgreich gebrütet. Dies ist die erste Brut dieser Art in der Region Braunschweig seit über 200 Jahren. Es wird über zwei vorausgegangene Brutversuche 2009 und 2010 in derselben Gegend kurz berichtet. Die Paarbildung 2010 und der Brutverlauf 2011 werden in Einzelheiten beschrieben. Die Darstellung geht auf die Kontrollen des Horstbezirks durch die Forstverwaltung und eine Datensammlung durch Naturbeobachter und Fotografen am Ilkerbruchsee, dem nahegele- genen Jagdgebiet der Seeadler, zurück.

D. H., Arbeitsgemeinschaft Adlerschutz in Niedersachsen (AAN), Trinchenberg 4, D-38162 Cremlingen, [email protected]; J. R., Niedersächsisches Forstamt Wolfenbüttel, Revierförsterei Barnbruch, Lönsweg 9, D-29399 Wahrenholz, Joachim.Remitz@nfa- wolfenb.niedersachsen.de; H. O. Schulze, Am Walde 17, D-38524 Sassenburg, hanso- [email protected]

Einleitung und Bayern. Im benachbarten Ausland wurden Der Seeadler hat wohl mit Sicherheit im 18. Jahr- ausgehend von Deutschland und Polen im Südosten hundert im Braunschweiger Hügelland und im an- auch Tschechien, die Slowakei und Österreich sowie grenzenden Drömling gebrütet. Er ist jedoch schon im Norden und Westen Dänemark und die Nieder- vor 1800 aus dem Raum Braunschweig als Brutvogel lande wiederbesiedelt. In Niedersachsen (vgl. GÖRKE verschwunden (BERNDT 1969, 1970). Am Ende des & BÜHRING 2002) gab es 2011 landesweit 30 Re- 19. Jahrhunderts beschreibt ihn BLASIUS (1896) nur vierpaare, von denen 19 mit 34 ausgeflogenen noch als Gastvogel, der fast jedes Jahr im Winter Jungvögeln erfolgreich waren (ARBEITSGEMEINSCHAFT im Gebiet beobachtet wird. Dieser Zustand hat ADLERSCHUTZ IN NIEDERSACHSEN AAN int. Mitt). sich bis zum Ende des 20. Jahrhundert nicht geändert (BERNDT et al. 1988, KNOLLE 1989). Mit Auch im Braunschweiger Hügelland werden seit dem völligen Schutz des Seeadlers in Deutschland einigen Jahren wieder Seeadler beobachtet, haupt- begann ab den 1930er Jahren eine deutliche Be- sächlich in der Umgebung des Ilkerbruchsees bei standszunahme. Nach dem Verbot der Anwendung Wolfsburg (Abb. 1). Bei diesem See handelt es des Umweltgiftes DDT in der Landwirtschaft setzte sich um ein beim Bau des Elbeseitenkanals ent- ab der Mitte der 1980er Jahre eine starke Zunahme standenes Gewässer, das als Ausgleichsmaßnahme der Brutpopulation des Seeadlers in Deutschland für den Naturschutz mit Tief- und Flachwasserzonen ein (HAUFF 1998) mit Schwerpunkten in Schleswig- gestaltet worden ist. Es liegt westlich der Stadt Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Branden- Wolfsburg bei der Siedlung Ilkerbruch zwischen burg, die bis heute anhält. Inzwischen gibt es auch dem Mittellandkanal und der Kreisstraße 114, die wieder Brutvorkommen in Nordrhein-Westfalen, vom Westende des Volkswagenwerks nach Gifhorn Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen führt. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 268

268 HUMMEL et al.: Brut des Seeadlers im Barnbruch

Abb. 1: Lage des Ilkerbruchsees und des Barnbruchs nordwestlich der Stadt Wolfsburg, Ost-Niedersachsen. Karten- grundlage: Topografische Karte 1:50000 (Top50 Viewer), vervielfältigt mit Erlaubnis des Herausgebers: Landesvermes- sung und Geobasisinformation Niedersachsen (LGLN). – Location of Lake Ilkerbruch and Barnbruch forest northwest of the city of Wolfsburg, E Lower Saxony.

Seit dem Winter 1998/99 sind am Ilkerbruchsee 22. Juli 2007 ein subadulter Vogel gesellte. Bei alljährlich im Hochwinter balzende Seeadlerpaare dem Neuankömmling handelte es sich um das im festgestellt worden (Abb. 2). Am 30. Januar 1999 Sommer 2004 im Raum des Steinhuder Meeres/Nie- wurde dort die Kopulation eines Seeadlerpaares dersachsen nestjung beringte Weibchen (HUMMEL beobachtet, am 22. Februar 2003 und am 06. et al. 2006), und aus dem Größenunterschied Februar 2007 je ein Kopulationsversuch (Verf. ergab sich, dass der unverpaarte Altvogel ein D. H.). Während der Brutzeit im Frühjahr und im Männchen war. Leider erfüllte sich die Hoffnung Sommer waren Beobachtungen von Altvögeln eher auf eine Paarbildung am Ilkerbruchsee zunächst selten. Bis 2008 wurden weder Abflüge mit Nist- nicht, denn das Weibchen verließ das Gebiet bereits material oder Beute noch bei Altvögeln bettelnde am 01. August 2007 (HUMMEL 2008). Schon im diesjährige Jungvögel beobachtet. Obwohl eine August 2007 erschien dann aber am Ilkerbruchsee Brut in der weiteren Umgebung sehr wahrscheinlich ein 1¼ jähriges Weibchen, das vom Männchen war, konnte ein Horst nicht gefunden werden. sofort geduldet wurde. Zunächst handelte es sich Deshalb wurde das dortige Seeadlervorkommen wohl um eine Fressgemeinschaft, bei der das junge bisher von der Arbeitsgemeinschaft Adlerschutz in Weibchen von dem erfahreneren Männchen profi- Niedersachsen (AAN) lediglich als das eines „Re- tierte. Als dann aber am 21. April 2008 am Südufer vierpaares“ eingestuft. des Ilkerbruchsees eine Kopulation des ungleichen Paares beobachtet wurde (H. SPRÖTGE pers. Mitt.) wurde klar, dass eine Paarbildung stattgefunden Brutversuche 2009 und 2010 hatte. Im Jahr 2007 hielt sich am Ilkerbruchsee ein un- verpaarter adulter Seeadler auf, zu dem sich am Im Frühjahr 2009 unternahm dieses Paar dann vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 269

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gebrütet. Bei der letzten Kontrolle am 28. März 2010 brütete das Weibchen, aber schon in den ersten Apriltagen hatte es den Brutplatz verlassen, und die Brut war aufgegeben. Die Ursachen für das Scheitern der zweiten Brut sind unklar. Es könnten dieselben Gründe wie im Vorjahr vorgelegen haben. Allerdings erschien Ende März in der Okeraue nördlich von Braunschweig ein adultes Seeadlermännchen mit Gefiedermerkmalen, die denen des Männchens vom Ilkerbruchsee glichen. Dieser Vogel hatte eine extrem geringe Fluchtdistanz, litt daher wahrscheinlich an einer Bleivergiftung und wurde später tot gefunden. Das Scheitern der Brut ist also vielleicht auf eine Erkrankung des Männchens zurückzuführen. Es tauchte aber in den Tagen des Brutabbruchs am Ilkerbruchsee ein neues Seeadlerpaar auf, so dass vielleicht auch in- nerartliche Konkurrenz eine Rolle gespielt haben könnte.

Brutverlauf 2011 Über den Aufenthalt von Seeadlern am Ilkerbruchsee existiert seit 2005 eine umfangreiche Dokumentation Abb. 2: Balzendes Seeadlerpaar am Ilkerbruchsee, 06. mit Text und Bildern (SCHULZE 2013). Bei den Anfang Februar 2007. Foto: Hans O. Schulze. – Pair of White-tai- April 2010 am Ilkerbruchsee neu aufgetretenen led Eagles in courtship display, Lake Ilkerbruch. Seeadlern wurde schnell erkannt, dass ein Vogel beringt war (Abb. 3). Die Auswertung der Fotos vom 03. April 2010 ergab: rechts Landesring, einen ersten Brutversuch. Als Nistmaterial in das orange, Helgoland 23727 (Deutschland), links Jah- nahe Barnbruch getragen wurde, konnte der Horst resring, schwarz/rot, Z6 33 (2006). Beim Größen- sehr rasch gefunden werden. Er befand sich in vergleich stellte sich dann heraus, dass es sich um einer Kiefer, leider sehr nahe an einem vielbegan- ein Männchen handelte. Es war am 08. Mai 2006 genen und befahrenen Weg. Die Brut wurde Mitte bei Bandorf, Kreis Ostholstein in Schleswig-Holstein März 2009 begonnen, aber nach etwa 4 Wochen nestjung beringt worden, war also 4 Jahre alt. abgebrochen, als die Vögel wieder gemeinsam am Ilkerbruchsee erschienen. Die Nachsuche am Horst Während des Sommers 2010 hielt sich das neue nach Eiresten blieb ohne Ergebnis. Die Brut litt Seeadlermännchen ununterbrochen am Ilkerbruch- wohl unter menschlichen Störungen ebenso wie see auf. Aus der detaillierten fotografischen Doku- unter ständigen Belästigungen durch Kolkraben mentation (SCHULZE 2013) ergibt sich, dass es in Corvus corax. Außerdem war das Weibchen erst dieser Zeit dort mit mindestens drei verschiedenen 2¾ Jahre alt und somit sehr unerfahren. Nach Weibchen geflogen ist. Diese konnten mit Hilfe dem Brutabbruch wurde in der Nähe des bisherigen von Gefiedermerkmalen, insbesondere der Bürzel- Horstes ein zweiter Horst gebaut. Wie Beobach- zeichnung mit dunklen Punkten auf den großen tungen am Ilkerbruchsee zeigten, ging die Initiative Schwanzdecken, sicher unterschieden werden (Abb. hierzu wohl vom Männchen aus, das dort noch im 4, 5). Dem beringten Männchen fiel offensichtlich Mai mit Nistmaterial hantierte. die Rolle des Revierinhabers zu, während die Weib- chen versuchten, von ihm als Partner akzeptiert zu Im Jahr 2010 hat das Seeadlerpaar dann einen werden. Im Herbst 2010 war die Paarbildung wohl weiteren Brutversuch unternommen. Ab Mitte abgeschlossen. Ein Gefiedervergleich zwischen dem März wurde in dem zweiten Horst des Vorjahres Männchen und dem Weibchen des neuen Paares vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 270

270 HUMMEL et al.: Brut des Seeadlers im Barnbruch

Abb. 3: Fotoablesung der Beringung des Seeadlermännchens am Ilkerbruchsee vom 03. April 2010. Foto: Hans O. Schulze. – Identifying the male White-tailed Eagle through colour-ring reading, Lake Ilkerbruch.

zeigt einen ähnlichen Mauserzustand des Großge- Im Februar 2011 war der Ilkerbruchsee zugefroren. fieders, so dass beide wohl etwa gleichaltrig sind. Gleichwohl hielt sich das Seeadlerpaar dort auf Auch das Weibchen des 2009 und 2010 erfolglos und ernährte sich von Blessrallen Fulica atra an brütenden Paares war 2006 geboren worden. Viel- einem offenen Wasserloch. Am 02. März 2011 leicht hat es sich am Ilkerbruchsee gegenüber den fand eine Kopulation auf dem Eis des Ilkerbruchsees anderen Weibchen durchgesetzt, und bei dem statt (Abb. 6). Die letzte Beobachtung der beiden Brutpaar ist nach dem Brutabbruch 2010 lediglich Seeadler gemeinsam stammt vom 07. März 2011. das Männchen ausgewechselt worden. Danach erschien immer nur ein Partner des Paares am Ilkerbruchsee. Der Brutbeginn ist um den 08. Der erste Hinweis auf eine bevorstehende Brut März 2011 anzunehmen. Bereits am 14. März stammt vom 11. Dezember 2010, als das Seead- 2011 wurde der Abflug des Männchens vom Ilker- lerpaar niedrig über dem Barnbruch flog und ge- bruchsee in Richtung Horst mit einem erbeuteten meinsam dort einfiel. Der neue Horstbezirk befand Fisch beobachtet. Das Weibchen brütete und wurde sich in großem Abstand von dem der Brutversuche versorgt. Während der Brutphase wurde überwie- 2009 und 2010. Am 19. Januar 2011 wurde Nist- gend das Männchen am Ilkerbruchsee beobachtet, material eingetragen. Am 08. Februar 2011 wurde aber auch das Weibchen wurde gelegentlich gese- der Horst gefunden. In einer Eiche hatten die Adler hen. Der Schlupf von Jungvögeln ist um den 16. einen bekannten Rotmilanhorst ausgebaut. Die April 2011 erfolgt. Forstverwaltung hat daraufhin sofort Waldwege gesperrt und Betretungsverbote erlassen. Bei der Revierbegehung am 29. April 2011 durch vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 271

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die Forstverwaltung befand sich das Weibchen auf dem Horst, und es konnte ein Jungvogel im weißen Du- nenkleid erkannt werden. Nachdem auch das Männ- chen erschien und vorsichtig über dem Horst kreiste ohne zu landen, wurde die Kon- trolle sofort abgebrochen. Am 15. Mai 2011 erschie- nen dann die beiden Partner des Seeadlerpaares zum ers- ten Mal wieder gemeinsam am Ilkerbruchsee. Bei der zweiten Begehung durch die Forstverwaltung und die AAN am 25. Mai 2011 wur- de ein sehr gut entwickelter Jungvogel im Horst festge- stellt. Bei der Annäherung Abb. 4: Seeadlerpaar am Ilkerbruchsee in der Phase der Paarbildung, links das eines Altvogels wurde die beringte Männchen, 27. Juli 2010. Foto: Hans O. Schulze. – Pair of White-tailed Beobachtung wieder sofort Eagle in the phase of pair formation , Lake Ilkerbruch. abgebrochen. Bei der letzten Horstkontrolle durch Forst- verwaltung und AAN am 10. Juni 2011 kurz vor wurde Ende Juni 2011 flügge. Für die beiden Alt- dem Ausfliegen wurde der Jungvogel bestätigt. Er vögel war dies wahrscheinlich die Erstbrut, und das Brutergebnis mit einem Jungvogel entspricht durch- aus Normalwerten.

Auch nach der Erlangung der Flugfähigkeit folgte der Jungvogel seinen Eltern zu- nächst nicht zum Ilkerbruch- see. Die beiden Altvögel machten dort ausgiebig Jagd auf Graugänse (15. Juli 2011), Kormorane (18. Juli 2011) und vor allem Fische (05. und 24. August 2011) und trugen weiterhin jeweils große Beutestücke in den Horstbezirk (Abb. 7). Dieses Verhalten gab Anlass zur Sorge, ob der Jungvogel bei guter Gesundheit sei. Bei einer Nachkontrolle durch Abb. 5: Seeadlerpaar in der Eiche am Ilkerbruchsee, 02. März 2011, links rufend das die Forstverwaltung am 12. beringte Männchen. Foto: Hans O. Schulze. – Pair of White-tailed Eagle, on the left Juli 2011 war ein Altvogel the calling male, Lake Ilkerbruch. bei dem Jungvogel auf dem vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 272

272 HUMMEL et al.: Brut des Seeadlers im Barnbruch

Adlerschutz

Am Ilkerbruchsee befindet sich ein Beobachtungsstand, von dem aus die Tierwelt des Sees und natürlich auch die Seeadler ohne Störung beobachtet werden können. Hier entstand auch die um- fangreiche Fotodokumen- tation (Abb. 10; SCHULZE 2013). Der Beobachtungs- stand wird von vielen Spa- ziergängern, Naturfreunden und Fotografen ausgiebig genutzt. Während der Brut- zeit waren die Abflüge der Seeadler mit Beute in Rich- tung Barnbruch unüberseh- bar. Für die Naturbeobachter Abb. 6: Kopulation des Seeadlerpaares auf dem Eis des Ilkerbruchsees, 02. März ergab sich daraus einerseits 2011. Foto: Hans O. Schulze. – Copulation of the White-tailed Eagle pair, Lake Ilker- ein berechtigtes Interesse bruch. an Informationen über den

Horst, und beide Vögel flogen dann nacheinander ab. Der Horst wurde also nach wie vor zur Beute- übergabe benutzt. Bei einer erneuten Nachkontrolle durch die Forstverwaltung am 27. Juli 2011 hielt sich der Jungvogel immer noch auf dem Horst auf.

Erst zwei Monate nach dem Ausfliegen erschien der Jungvogel am Ilkerbruchsee. Die erste sichere Beobachtung stammt vom 02. September 2011, und danach konnte er dort mit seinen Eltern aus- giebig beobachtet werden (SCHULZE 2013). Er flog erfolglose Angriffe auf einen Haubentaucher Po- diceps cristatus, eine Stockente Anas platyrhynchos und auf einen Silberreiher Egretta alba und erwehrte sich der Angriffe von Rabenkrähen Corvus corone und Kiebitzen Vanellus vanellus. Gegenüber seinen Eltern bettelte der Jungvogel anhaltend (Abb. 8). Sie brachten Beutereste sowie eigens für ihn ge- fangene kleinere Fische in seine Nähe. Dann stürzte er sich aggressiv auf den ankommenden Altvogel, entriss ihm die Beute und mantelte sofort, falls der andere Altvogel in der Nähe war (Abb. 9). Bei den Fütterungen war besonders das Männchen aktiv. Bei dem Jungvogel handelt es sich um einen sehr großen und kräftigen Seeadler. Der Größenvergleich Abb. 7: Horstbezirk des Seeadlerpaares im Barnbruch am mit dem fütternden Männchen ergab, dass das 27. Juli 2011. Foto: Joachim Remitz. – Surroundings of Junge wohl ein Weibchen ist. the nesting place of White-tailed Eagle, Barnbruch forest. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 273

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Brutablauf im Wald, aber andererseits sollten die Vögel an ihrem Brutplatz ungestört bleiben. Das Problem wur- de so gelöst, dass von der AAN im Einvernehmen mit der Forstverwal- tung Mitteilungen zum Stand der Brut herausgegeben wurden, und zwar am 14. Februar 2011: Das Adlerpaar besitzt einen Horst. Sein Standort ist bekannt. 02. Mai 2011: Im Seeadlerhorst wur- den Junge festgestellt. Ihre Zahl ist noch unbekannt. 26. Mai 2011: Im Seeadlerhorst ist ein kräftiger Jungvogel vorhanden. 17. Juni 2011: Der junge Seeadler Abb. 8: Der im Barnbruch erbrütete Jungvogel lahnt am 05. September wird in Kürze ausfliegen. Brutergebnis 2011 im Südosten des Ilkerbruchsees. Foto: Hans O. Schulze. – The juvenile 2011: 1 Jungvogel. White-tailed Eagle born in Barnbruch forest, screaming for food.

Alle diese Mitteilungen waren mit der Bitte versehen, statt. Zeitlich steht sie ohne Zweifel im Zusam- auf private Horstsuchen zu verzichten und die menhang mit der Wiederausbreitung der Art in Wälder nicht zu betreten. Diesem Ersuchen wurde Mitteleuropa (HAUFF et al. 2007). Räumlich betrifft entsprochen, und diese Informationen trugen viel- sie das südliche Niedersachsen (GÖRKE & BÜHRING leicht auch zum Bruterfolg bei. 2002). In dieser Region ist die Leitlinienwirkung des Mittellandkanals unverkennbar. Unmittelbar Ausblick östlich der Landesgrenze fand 1999 in Sachsen- Anhalt die erste erfolgreiche Brut des Seeadlers im Nach über 200 Jahren fand 2011 im Braunschweiger Drömling statt (BRAUMANN & DORNBUSCH 2002). Bei- Hügelland erstmals wieder eine Brut des Seeadlers derseits der Landesgrenze sind aber dort in der Nähe des Mittellandkanals weitere Seeadlerpaare be- kannt, die den Status von Revierpaaren wohl schon hinter sich gelassen haben und bereits brüten. Das neue Brutvorkommen im Barnbruch bei Wolfsburg liegt nahe der Mündung des Elbeseitenkanals in den Mittellandkanal. Wahr- scheinlich folgen Seeadler bei ihren Streifzügen diesen Wasserstraßen, die ihnen reichlich Beute liefern. Dies dürfte auch der Grund sein, weshalb am Ilkerbruchsee zu allen Jahreszeiten auch Abb. 9: Fütterung des Jungvogels am Südufer des Ilkerbruchsees durch das Männchen durchziehende Seeadler be- am 05. September 2011. Foto: Hans O. Schulze. – Feeding of the young White- obachtet werden. Neuere tailed Eagle. Beobachtungen deuten da- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 274

274 HUMMEL et al.: Brut des Seeadlers im Barnbruch

Literatur

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Neue Brutvorkommen der Lachseeschwalbe Gelochelidon nilotica im niedersächsischen Wattenmeer

Gundolf Reichert & Jan Weinbecker

REICHERT, G., & J. WEINBECKER (2013): Neue Brutvorkommen der Lachseeschwalbe Gelochelidon nilotica im niedersächsischen Wattenmeer. Vogelkdl. Ber. Niedersachs 43: 275-285.

Die mitteleuropäische Brutpopulation der Lachseeschwalbe Gelochelidon nilotica liegt vom Hauptverbreitungsgebiet in Süd- und Osteuropa isoliert und unterlag in den vergangenen Jahrzehnten einem starken Rückgang. Der deutsche Gesamtbestand beträgt etwa 40 Paare, wovon der Großteil an der Westküste Schleswig-Holsteins brütet. Die Lachseeschwalbe ist eine der seltensten Brutvogelarten Niedersachsens, wo es vor allem an der Unterelbe einen kleinen, stark schwankenden Brutbestand gibt. Auf der Insel Langeoog im Nationalpark Nie- dersächsisches Wattenmeer und am östlichen Jadebusen kam es 2011 bis 2013 zu einer An- siedlung von ein bis zwei Lachseeschwalbenbrutpaaren. Im Beitrag werden Beobachtungen zum Ansiedlungsverhalten, zur Brut- und Nahrungsökologie sowie zur Habitatwahl beschrie- ben und diskutiert.

G. R., Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, Virchowstr. 1, D-26382 Wil- helmshaven, [email protected], J. W., Dünen- und Natio- nalparkwart Langeoog, NLWKN-Betriebshof, Hafenstr. 1, D-26465 Langeoog, j.wein [email protected]

Einleitung In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrug die kimbrische Population bis zu 500 Paare und ihr Die Lachseeschwalbe Gelochelidon nilotica ist welt- Vorkommen war fast vollständig auf traditionelle weit in den gemäßigten und subtropischen Zonen Brutkolonien in Dänemark, vor allem in Nord- Afrikas, Asiens, Australiens und Nordamerikas ver- Jütland, beschränkt (RASMUSSEN & FISCHER 1997). breitet, wenn auch sehr lückenhaft und oft recht Ab 1940 kam es zu einem drastischen Bestands- lokal (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1999). Die eu- rückgang und Arealschwund des dänischen Brut- ropäisch-nordafrikanische Population umfasst etwa bestands. Ab 1970 betrug er weniger als 100 10.500-12.900 Brutpaare (SANCHEZ et al. 2004). In Paare (DIERSCHKE et al. 2012). Mit der Auflösung Europa kommt die Lachseeschwalbe hauptsächlich der Koloniestandorte ging eine kontinuierliche in den Ländern Spanien, Frankreich, Ukraine, Russ- Südverlagerung in das deutsch-dänische Wattenmeer land und Türkei als Brutvogel vor (BIRDLIFE INTERNA- einher, die bis Ende der 1970er Jahre anhielt. Zu- TIONAL 2004, SANCHEZ et al. 2004). Die Brutvögel nächst wurde die Westküste Schleswig-Holsteins Dänemarks und Deutschlands gehören zur so ge- und ab Mitte der 1990er Jahre das niedersächsische nannten kimbrischen Population. Diese liegt geo- Wattenmeer bzw. die Elbe-Mündung besiedelt grafisch deutlich isoliert vom nächsten Vorkommen (SÜDBECK & HÄLTERLEIN 1997, HÄLTERLEIN 1996, RAS- in der Camargue (SANCHEZ et al. 2004). MUSSEN & FISCHER 1997).

Der Bestandstrend der Lachseeschwalbe ist im Erstmalig brütete die Lachseeschwalbe 1956 in nördlichen und südöstlichen Verbreitungsgebiet Niedersachsen im NSG „Vogelschutzgebiet Hullen“. negativ, während die Brutbestände in Spanien und Sie hat in der Elbmündung bis Ende der 1980er Südfrankreich stabil bzw. angestiegen sind (SANCHEZ Jahre jedoch immer nur vereinzelt gebrütet (GROSS- et al. 2004). KOPF 1991). vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 276

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Abb. 1: Beobachtungsplätze der Lachseeschwalben auf Langeoog (1: Hauptjagdgebiet - Dünentäler beim Pirolatal; 2: potenzielles Brutgebiet; 3: ehemaliger Sommerdeich; Luftaufnahme: Norbert Hecker/Nationalparkverwaltung, 08.08.2012, verändert). – Locations where Gull-billed Terns were observed on Langeoog (1: feeding area in dune valleys/Pirolatal; 2: potential breeding area; 3: reopened dike/polder).

Ab 1990 kam es an der niedersächsischen Unterelbe Nachfolgend werden zwei neue, bislang nicht do- im Deichvorland von Hullen und Nordkehdingen kumentierte Brutvorkommen der Lachseeschwalbe zu einer Zunahme auf das bisherige Maximum im bzw. am Rand des Nationalparks Niedersächsi- von 52 Paaren im Jahr 1993, bevor die Vögel sches Wattenmeer beschrieben. Die Beobachtungen 1995 und 1996 fast vollständig in das Vorland des stammen dabei jeweils – wenn nicht anders vermerkt Neufelderkooges am schleswig-holsteinischen Elbufer – von den Verfassern (Verf. J. W. Langeoog, Verf. übersiedelten. G. R. Jadebusen).

Der Brutbestand der Lachseeschwalbe in Nieder- sachsen beläuft sich im Bereich des Elbeästuars Dokumentation Langeoog seitdem auf einem schwankenden, niedrigen Niveau Am 29.04.2011 konnten auf den südwestlichen von 2-14 Paaren (STAATL. VOGELSCHUTZWARTE, pers. Binnenweiden Langeoogs zwei adulte Lachsee- Mitt.). An der angrenzenden Wurster Küste im schwalben beobachtet werden, die offensichtlich Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer bestand verpaart waren. Die durch ihre Rufe auf sich auf- 1994-2003 annähernd alljährlich Brutverdacht für merksam machenden Vögel begannen, gemeinsam bis zu 4 Paare (STAATL. VOGELSCHUTZWARTE, pers. Küken des Kiebitzes Vanellus vanellus erfolgreich Mitt.). Darüber hinaus gab es 1990 und 1991 je zu jagen (Abb. 1). Nachdem eine Lachseeschwalbe ein Brutpaar in der Leybucht (FLEET et al. 1996). ein Kiebitzküken erbeutet hatte, landeten beide, heftig von Kiebitzen, Uferschnepfen Limosa limosa Aktuell beträgt der Brutbestand der Lachseeschwalbe und Rotschenkeln Tringa totanus attackiert, ne- in Niedersachsen etwa 3 Paare (Bezugszeitraum beneinander auf einer Pferdeweide. Anzeichen für 2005-2008; STAATL. VOGELSCHUTZWARTE, pers. Mitt.). Balz waren ansonsten nicht sichtbar. Der deutsche Gesamtbestand beträgt gegenwärtig etwa 41-44 Paaren, wovon der Großteil im Vorland Am selben Tag wurden zwei (vermutlich dieselben) des Dieksanderkoogs und des Neufelderkoogs in Lachseeschwalben beim Wasserwerk am Pirolatal Schleswig-Holstein brüteten (GEDEON et al. i. Vorb.). jagend und von dort Richtung Deich streifend be- obachtet (P. SÜDBECK, pers. Mitt). Das Habitat des vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 277

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Jagdgebietes dort ist wie das angrenzende Pirolatal geprägt von Krähenbeer Em- petrum nigrum-Heiden und Silbergras Corynephorus ca- nescens-Fluren (Abb. 2).

Während einer Wasser- und Watvogelzählung am 07.05.2011 fanden Mitar- beiter der Nationalparkwacht das Paar erneut auf den Bin- nenweiden. Erstmals am 09.05.2011 wurde ein ein- deutig und intensiv warnen- des Lachseeschwalbenpaar im nördlichen Teil des ehe- maligen Sommerpolders festgestellt. Am 21.05.2011 konnte das Lachseeschwal- Abb. 2: Lachseeschwalbenpaar mit Balzzeremonie nach erfolgreicher Eidechsenjagd benpaar zwei Mal u. a. bei (rechter Vogel in „Reckstellung“; 06.05.2012, Foto: Jan Weinbecker). – Displaying der Eidechsenjagd und einer pair with lizard prey. anschließenden Balzzeremo- nie im Bereich der Jugendherberge nördlich des senpieper Anthus pratensis auf der Fläche. Am Sommerpolders beobachtet werden (B. RIEDEL, pers. südöstlichen Rand des in Frage kommenden Brut- Mitt.; Verf. J. W.). gebietes auf bzw. am ehemaligen Sommerdeich lagen Kolonien von Säbelschnäbler Recurvirostra Am 03.06.2011 konnten Mitarbeiter der National- avosetta (16 Paare 2011), Sturm- Larus canus (108 parkwacht bei einem Kartierdurchgang im süd- Paare 2011) und Lachmöwe Larus ridibundus (106 westlichen Bereich des ehemaligen Sommerpolders Paare 2011). das Lachseeschwalbenpaar beobachten, das heftig die Erfasser sowie Silber- und Heringsmöwen Larus Am 06.06.2011 flog eine Lachseeschwalbe aus argentatus, L. fuscus attackierte (Abb. 1). Richtung des potenziellen Brutgebietes im ehema- ligen Sommerpolder über den Deich und verschwand Der ehemalige Langeooger Sommerpolder wurde in Richtung Inselwesten. Da gezielte Beobachtungen im Jahre 2004 im Zuge einer Naturschutzmaßnahme vom Deich aus ergebnislos blieben, wurde eine geöffnet. Seither ist es zu einer deutlichen Verän- Abwanderung des Paares vermutet. Um diese An- derung der Vegetation gekommen, wobei sich nahme zu bestätigen, wurde am 15.06.2011 ein durch den stärkeren Salzwassereinfluss obere Salz- erneuter Kontrollgang im Gebiet durchgeführt. In wiesen hin zu mittleren und unteren Salzwiesen der fraglichen Fläche attackierte das Paar sofort. entwickelt haben (OBERDIEK et al. 2010). Zusätzlich Allerdings konnte ein Neststandort nicht identifiziert kam es auch im südwestlichen Bereich zu einer werden, da die Fläche aufgrund vieler Grüppen Ausdehnung vegetationsfreier bzw. niedrigwüchsiger undurchdringlich war und sich ein längerer Auf- Bereiche. Durch den erhöhten Strömungseinfluss enthalt aus Schutzgründen verbot. ist es zu Erosion (Abbrüche) und Sedimentation im Polder gekommen, vor allem an Grüppen- und Gemäß den Auswertungskriterien von ANDRETZKE Grabenrändern. Große Teile des Gebietes sind von et al. (2005) sind die beschriebenen Beobachtungen Herings- (169 Paare 2011) und Silbermöwen (78 als Brutverdacht eines Paares für das Gebiet im Paare 2011) in lückiger Dichte besiedelt. Zudem ehemaligen Sommerpolder zu werten. Auch wenn brüten Austernfischer Haematopus ostralegus, Rot- der exakte Neststandort in der weitläufigen Fläche schenkel, Feldlerchen Alauda arvensis und Wie- unbekannt bleiben musste, ist davon auszugehen, vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 278

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dass das Lachseeschwalbenpaar mindestens einen sichteten Beuteflüge in Richtung des alten Som- Brutversuch unternommen hat. merpolders rechtfertigen einen Brutverdacht nach den Kriterien von ANDRETZKE et al. (2005). Im Frühling 2012 fand sich erneut ein Lachsee- schwalbenpaar auf Langeoog ein. Die Erstbeob- Im Jahr 2013 war das Lachseeschwalbenpaar am achtung erfolgte am 02.05. gegen 18.30 Uhr, als 22.04. wieder auf Langeoog zurück. Von da an über dem Dünenbereich südlich des Wasserwerks wurde es fast täglich gesehen und mehrfach mit zwei jagende, adulte Lachseeschwalben beobachtet gefangenen Eidechsen dokumentiert. Insgesamt wurden. Diese zogen nach kurzer Zeit in Richtung vier Mal wurde eine Balzfütterung beobachtet, Norden ab, vermutlich ins Pirolatal. Die nächste dabei einmal mit anschließender Kopulation. Ab Beobachtung gelang am 05.05. als zwei Lachsee- dem 03.05. kam eine weitere Lachseeschwalbe schwalben vom Pirolatal aus Richtung Süden flogen hinzu, und in den folgenden Tagen wurde das Trio und auf den Binnenweiden landeten. Am 06.05. mehrfach zu dritt bei Verfolgungsflügen gesichtet, warnte das Lachseeschwalbenpaar etwa 100 Meter wobei ein Individuum eine Eidechse im Schnabel östlich des ehemaligen Sommerdeichs intensiv auf- trug. Im Gegensatz zu den Vorjahren wurden die grund der Anwesenheit der Erfasser. Das Paar hielt Lachseeschwalben allerdings höchstens im Rand- sich also erneut im Bereich des vermutlichen Brut- bereich des mutmaßlichen Brutplatzes beobachtet platzes aus dem Vorjahr auf. (Verf. J. W., K. TORNOW, M. KELLERMANN, pers. Mitt.). Die letzte Beobachtung des Jahres erfolgte am Am selben Tag konnte eine Eidechsen tragende 11.06. (T. MUNK, pers. Mitt.). Lachseeschwalbe fotografiert werden: Der aus dem Pirolatal kommende Vogel landete auf dem niedrigen Zusammenfassend kann für Langeoog in den Dünenbereich südlich des Wasserwerks. In nur Jahren 2011 bis 2013 zumindest je ein Lachsee- etwa 50 Meter Entfernung zur Straße vollzogen schwalbenbrutversuch angenommen werden. Dies dann zwei Vögel eine Balzzeremonie (Abb. 2). geschah offensichtlich im Bereich des westlichen Eine Kopulation wurde allerdings nicht beobachtet. ehemaligen Sommerpolders oder direkt angrenzend. Am 22.05. konnte erneut eine erfolgreich nach Ei- Als Jagdgebiet konnten hauptsächlich das Pirolatal dechsen jagende Lachseeschwalbe dokumentiert mit den angrenzenden Gebieten ausgemacht wer- werden, ohne jedoch den Beutetransport bis zum den, ferner der Dünen- und Grünlandbereich um potenziellen Brutplatz verfolgen zu können (L. KOCH, die Jugendherberge und der gesamte Bereich der pers. Mitt.). Dann wurden am 29.05. und 08.06. Binnenweiden. jagende Lachseeschwalben im Bereich des Pirolatales beobachtet (O. GERKE, pers. Mitt., Verf. J. W.). Während einer Simultanbeobachtung mehrerer Dokumentation Augustgroden/Jadebusen Beobachter zwischen Pirolatal und ehemaligem Am 05.07.2009 konnte Verf. G. R. eine adulte Sommerpolder am 19.06. wurde zwar erneut eine Lachseeschwalbe am östlichen Jadebusen beob- Eidechsen jagende Lachseeschwalbe beobachtet, achten. Der Vogel rastete und badete in einer ohne dass erneut der Neststandort weiter einge- Flachwasserzone einer binnendeichs gelegenen, grenzt werden konnte. ehemaligen Kleinentnahmestelle (Binnenpütte Stoll- hammerdeich) südlich von Beckmannsfeld (Gem. Obwohl 2012 wiederholt Beute tragende Lach- Stadland, Lkr. Wesermarsch). Die Lachseeschwalbe seeschwalben fliegend in Richtung des ehemaligen war vergesellschaftet mit zahlreichen Lachmöwen Sommerpolders beobachtet wurden, konnte der und Flussseeschwalben, die zu einer Brutkolonie potenzielle Brutplatz nicht so genau eingegrenzt im unmittelbar angrenzenden Deichvorland des werden wie im Vorjahr. Eine verstärkte Nachsuche Augustgrodens gehörten, in der auch Säbelschnäbler blieb erfolglos. Trotzdem halten die Verfasser brüten (MORITZ 2009). Möwen und Seeschwalben anhand der Vielzahl der Brutverdacht anzeigenden nutzten das Süßwasser der Binnenpütte zudem Verhaltensweisen einen Brutversuch auch in 2012 regelmäßig als Rast- und Komfortgewässer. Im auf Langeoog etwa im selben Gebiet wie im Vorjahr gleichen Jahr durchgeführte Bestandserfassungen für sehr wahrscheinlich. Das sowohl warnend wie am östlichen Jadebusen ergaben keinen Hinweis balzend beobachtete Paar und die mehrfach ge- auf die Brut einer Lachseeschwalbe in den Kolo- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 279

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niebereichen im Vorland des Augustgrodens (MORITZ sen sich daher als Brutzeitfeststellung werten. 2011 2009). Es ist daher unwahrscheinlich, dass eine konnten trotz regelmäßiger Kontrollen an den Brut oder ein anwesendes Paar übersehen wurde. Pütten im Augustgroden keine Lachseeschwalben Vielmehr ist bei der Beobachtung von einem um- beobachtet werden (s. a. BOHNET 2011). herstreifenden Nichtbrüter, einem prospektierenden Vogel oder einem frühen Durchzügler auszugehen, Am 05.05.2012 wurden in der Pütte Augustgroden denn der Wegzug der Lachseeschwalbe beginnt zwei rufende überfliegende Lachseeschwalben be- etwa ab Anfang Juli (GROSSKOPF 1991, ANDRETZKE et obachtet. Sie kamen von Süden, flogen über das al. 2005). Püttengelände und verschwanden. Möglicherweise landeten sie in der Pütte (K. FUHRMANN, pers. Mitt.). Im folgenden Jahr 2010 konnten am östlichen Ja- Am Abend des 22.05. wurde ein Altvogel beob- debusen in der 2 km südlich von Beckmannsfeld achtet, der intensiv warnte (Verf. G. R.). Trotz der ebenfalls binnendeichs gelegenen Kleipütte im Au- zahlreichen Lachmöwen, Flussseeschwalben und gustgroden erneut Lachseeschwalben beobachtet Säbelschnäbler war der nasale Ruf der Lachsee- werden: Dieses etwa 30 ha große Püttenareal wird schwalbe deutlich zu hören. Dieser Vogel rastete seit mehreren Jahren für die Kleigewinnung im später auf einer der Inseln in geringer Entfernung Rahmen von Deichverstärkungen in diesem Bereich zum späteren Brutplatz. Ein zweites Individuum genutzt. Es besteht aus insgesamt fünf Entnahme- konnte an diesem Datum nicht entdeckt werden. stellen, die nach erfolgtem Bodenabbau im Sinne Zu diesem Zeitpunkt hatten zahlreiche Lachmöwen des Naturschutzes hergerichtet wurden. Der land- schon mit der Brut begonnen. schaftspflegerische Begleitplan sieht die Anlage von Flachufern und Flachwasserzonen sowie Inseln Am 25.05. konnte eine brütende Lachseeschwalbe vor (PGG 2008). Neben der freien Sukzession der nebst Partner auf einer Insel im Püttengelände Gewässerränder mit dem Ziel einer Schilfentwicklung entdeckt werden. Der Brutplatz lag am südlichen als Brutplatz für Röhrichtbrüter oder Enten sollen Ende einer Insel, die durch Kies abgedeckt ist die Inseln durch geeignete Maßnahmen (Mahd, (Abb. 4) in einem kleinen Polster von Erdrauch Fu- stellenweise Abdeckung durch eine Kiesauflage) maria officinalis (Abb. 5). Da das Gelege nicht ein- von Bewuchs frei bzw. offen gehalten werden. sehbar war, konnte nicht festgestellt werden, wie Ziel ist es, störungs- und prädationsarme Brutplätze viele Eier sich im Nest befanden. Das nähere Umfeld für gefährdete Arten wie Säbelschnäbler, Sandregen- pfeifer und Seeschwalben dauerhaft zu schaffen.

Zuerst wurden am 13.05. 2010 in diesem Püttenareal zwei Lachseeschwalben be- obachtet (D. KÜHL, pers. Mitt.). Am 27.05. überflog ein Individuum die Kleipütte niedrig in südwestlicher Richtung, somit ins Jade- busen-Vorland im National- park. Der Heimzug der Art kann von Mitte April bis Anfang Juni andauern, wo- bei der Hauptdurchzug etwa von Ende April bis Anfang Mai verläuft (ANDRETZKE et al. 2005). Die Beobachtun- Abb. 3: Lachseeschwalbe mit erbeutetem Kiebitzküken (29.04.2011; Foto: Jan Wein- gen aus dem Mai 2010 las- becker). – Gull-billed Tern with Lapwing-chick prey. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 280

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Abb. 4: Luftaufnahme eines Ausschnitts der Kleipütten im Augustgroden/Ost-Jadebusen. Zu erkennen sind die mit Kies abgedeckten Inseln und aufkommender Bewuchs (06.06.2012, Foto: Dietrich Frank). – Aerial photograph of former clay pits in Augustgroden/Jadebusen showing artificial islands covered with gravel (front) and vegetation.

war frei von Vegetation. In wenigen Metern Ent- Altvögel, beobachtet werden konnte. So genannte fernung zur Lachseeschwalbe brüteten zahlreiche „Hudermulden“ wurden nicht festgestellt (SPILLING Lachmöwen sowie vereinzelte Flussseeschwalben 1994). Es konnte nie mehr als ein Jungvogel zeit- in kniehoher bzw. kurzer Vegetation. Die Lachsee- gleich entdeckt werden, weshalb wir davon aus- schwalben zeigten ein ausgeprägtes Territorialver- gehen, dass nur ein Jungvogel geschlüpft ist. Zwi- halten und der Nestbereich wurde vor allem ge- schen den Fütterungen wurde der Jungvogel allein genüber Lach- und Sturmmöwen verteidigt. Sich von den Altvögeln zurück gelassen und dies umso in Nestnähe aufhaltende Möwen wurden attackiert häufiger, je älter der Jungvogel wurde. Am 16.07. und überfliegenden wurde vom brütenden Altvogel konnte ein flügger Jungvögel festgestellt werden gedroht (Abb. 6). In wenigen Metern Entfernung (K. TAUX, pers. Mitt.; Abb. 8). Danach wurden vom Nest gab es am Fuß der Insel an der Wasserlinie keine Lachseeschwalben mehr im Augustgroden einen Ruheplatz der Lachseeschwalben, der dem beobachtet. Der Familienverband war vermutlich brutfreien Altvogel zur Rast und später auch der kurz nach dem Flüggewerden des Jungvogels ab- Fütterung des Jungvogels diente (Abb. 7). gezogen, wie es für Lachseeschwalben typisch ist (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1999). Der Schlupfzeitpunkt lag vermutlich um den 17.06., da am 20.06. ein wenige Tage alter Jungvogel be- In der Brutzeit 2013 konnte erneut ein Brutnachweis obachtet werden konnte, der in der Nähe des mit Bruterfolg in der Pütte Augustgroden festgestellt Nestes in höherer Vegetation (v. a. Acker-Kratzdistel werden. Am 29.5. wurde ein brütender Altvogel Cirsium arvense) Deckung suchte und von daher nebst Partner festgestellt. Das Nest befand sich nur selten, meistens bei der Fütterung durch die wieder auf einer Kiesfläche, allerdings auf einer vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 281

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anderen Insel als im Vorjahr. Auch jetzt wurde die schreitende Südwestverlagerung der Brutgebiete Insel von Lachmöwen und Flussseeschwalben be- der Lachseeschwalbe innerhalb des Wattenmeeres siedelt. Am 27.06. fütterten beide Altvögel zwei deuten. Andererseits ist es aber in der Vergangenheit etwa 18-20 Tage alte Küken. Am 08.07. hielten immer wieder zu Einzelbruten entlang des Zugweges sich zwei flügge Jungvögel mit den adulten Indivi- gekommen, so an der Leybucht, der französischen duen in der Pütte auf. Atlantikküste oder in Südostengland, ohne dass dies zu einer dauerhaften Etablierung im Sinne einer Arealveränderung gekommen war (FLEET et Diskussion al. 1996, GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1999). Ansiedlung neuer Brutvorkommen Brutökologie Mit dem Niedergang der kimbrischen Brutpopulation der Lachseeschwalbe ist es nach der Auflösung Die Lachseeschwalbe zeigt – ausgeprägter als der jütländischen Brutkolonien in den nachfolgenden andere Seeschwalben – während der Brutzeit eine Jahrzehnten zu einer Umsiedlung in das dänisch- Neigung zur Vergesellschaftung mit anderen Ko- deutsche Wattenmeer gekommen (HÄLTERLEIN 1996, loniebrütern, wie z. B. Lachmöwe, Flussseeschwalbe, RASMUSSEN & FISCHER 1997). Brand- und Zwergseeschwalbe Sterna sandvicensis, S. albifrons sowie dem Säbelschnäbler (GLUTZ VON Dabei verlagerten sich im Laufe der Jahre die Ko- BLOTZHEIM & BAUER 1999). Auch ein 1990 auf der lonien kontinuierlich nach Süden, so in Schleswig- Leybucht-Mittelplate stark brutverdächtiges Lach- Holstein ausgehend vom Hauke-Haien-Koog und seeschwalbenpaar hielt sich in einer Kolonie aus Sylt (1960er Jahre), nach Eiderstetdt (1970er Jahre), Säbelschnäblern, Lachmöwen sowie Fluss- und in den Meldorfer Speicherkoog (1980er) und an Küstenseeschwalben Sterna paradisaea auf (T. MEN- die Elbmündung (1990er Jahre; SÜDBECK & HÄLTERLEIN NEBÄCK, pers. Mitt.). Ebenso siedelte 1994 eine 1997). Die Ursachen dafür sind weitgehend unbe- Brutkolonie von Lachseesschwalben im Natur- kannt. schutzgebiet Hullen/Unterelbe in Vergesellschaftung mit Lachmöwen, Flussseeschwalben und Säbel- Trotz der insgesamt sehr geringen Brutpaarzahlen schnäblern (SPILLING 1994). Dort waren alle Nester lassen sich die Ansiedlungen auf Langeoog sowie der Lachseeschwalben auf Weidelgras-Weißklee- am Jadebusen durchaus als Hinweis auf eine fort- Weiden, die zu Beginn der Brutzeit aufgrund von Gänsebeweidung (v. a. Weißwangengänse Branta leucopsis) sehr kurzrasig wa- ren.

In Dänemark waren brüten- de Lachseeschwalben fast ausnahmslos mit Lachmö- wen vergesellschaftet (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1999).

Nach eigener Einschätzung wurden auf Langeoog der erhöhte und teilweise ve- getationsoffene ehemalige Sommerdeich bzw. untere Salzwiesen im ehemaligen Polder als mögliche Brut- plätze in Betracht gezogen. Abb. 5: Brütende Lachseeschwalbe (26.05.2012; Foto: Thorsten Krüger). – Breeding Jedoch konnte im weiteren Gull-billed Tern. Umfeld des Deiches, obwohl vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 282

282 REICHERT & WEINBECKER: Neue Brutvorkommen der Lachseeschwalbe im niedersächs. Wattenmeer

Bereich günstig, denn am südöstlichen Rand des in Frage kommenden Brutbe- reiches haben sich auf bzw. am ehemaligen Sommer- deich kleine Kolonien von Säbelschnäblern, Möwen und Seeschwalben angesie- delt (s. o.).

Im Augustgroden kam es bereits 2009 und 2010 zur Beobachtung einzelner Lach- seeschwalben sowie eines Paares. Möglicherweise fallen diese Brutzeitfeststellungen in eine Erkundungsphase (Prospektion) der Altvögel Abb. 6: Brütende Lachseeschwalbe mit Drohverhalten gegenüber Lachmöwe am späteren Brut- bzw. Ko- (01.06.2012; Foto: Gundolf Reichert). – Breeding Gull-billed Tern showing threatening loniestandort, zunächst ohne behaviour to a Black-headed Gull. dort zu brüten. Vor diesem Hintergrund erscheint die Etablierung einer Laro-Limi- kolen-Brutkolonie als ein we- sentlicher „Auslöser“ für die Brutansiedlung der Lachsee- schwalben. So stieg der Zu- nahme des Brutbestands der Lachmöwe in der Pütte Au- gustgroden von 66 Brutpaa- ren in 2011 auf über 1.753 Brutpaare im Jahr 2012 an (FRANK 2012). Der Brutbe- stand der Säbelschnäbler stieg von 204 auf 250 Brut- paare, der der Flusssee- schwalbe wuchs auf insge- samt 29 Brutpaare an. Die Lachmöwen hatten 2011 ausschließlich eine ältere Abb. 7: Ruhe- und Fütterungsplatz der Lachseeschwalben nahe der Wasserlinie. Der Insel mit höher aufgewach- linke Altvogel ruft den Jungvogel, der sich weiter links, nicht sichtbar, in höherer Ve- sener Vegetation im Westteil getation aufhält (23.06.2012, Digiskopie: Marcus Säfken). – Resting and feeding site des Püttenareals besiedelt. of Gull-billed Terns near the shoreline. The adult bird (left) is calling its chick, which is Im Zuge der räumlichen Aus- hiding in higher vegetation. dehnung der Kolonie wur- den 2012 auch solche Inseln zahlreich besiedelt, die teil- dieser regelmäßig von Wattführern frequentiert weise vegetationsfreie Kiesflächen aufwiesen (Abb. wird, kein Brutstandort bemerkt werden (A. MÄNNICKE, 4). Dort siedelten sich – in unmittelbarer Nähe zu G. SIEBELS, pers. Mitt). Die Voraussetzungen für eine Lachmöwen und Flussseeschwalben – die Lachsee- Ansiedlung der Lachseeschwalbe ist in diesem schwalben an (Abb. 5). Die Wahl einer „Kiesunter- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 283

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lage“ als Brutplatz ist nicht ungewöhnlich, denn im Mittelmeerraum entsprechen. Beide Ansiedlungen Kies- und Schotterflächen an Flüssen (z. B. Donau. zeigen den arttypischen „Anschluss“ an bestehende Lech, Isar) sind ursprüngliche, wenngleich längst Brutkolonien von Lariden. historische Bruthabitate der Lachseeschwalbe (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1999). Nahrungsökologie

Der Bruterfolg des Paares im Augustgroden wurde Im Neufelderkoog zeigten systematische nahrungs- dadurch begünstigt, dass der Jungvogel Schutz ökologische Untersuchungen, dass zunächst haupt- und Deckung in einer benachbarten Distelflur fand. sächlich Regenwürmer und später auch kleine Diese Struktur suchte der Jungvogel immer wieder Wollhandkrabben verfüttert wurden (MELUR 2011). auf und versteckte sich darin, so dass er zwischen In den Cuxhavener Küstenheiden jagen Lachsee- den Fütterungen selten zu sehen war. Ebenso schwalben Eidechsen (NABU-KREISVERBAND CUXHA- suchten junge Lachmöwen auf den Brutinseln Dis- VEN-BREMERHAVEN 2008). tel- und Meldendickichte während der Aufzuchtzeit auf. Auch SPILLING (1994) stellte fest, dass See- Das beobachtete Nahrungsspektrum bestand auf schwalbenküken Distelhorste als Versteck nutzten, Langeoog aus Eidechsen (5 sichere Beobachtungen, sobald sie das Nest verlassen konnten. Im Umfeld davon 4 in 2012), Kiebitzküken (eine sichere Be- der Lachseeschwalbenkolonie im Neufelder Koog obachtung 2011) und einer nicht identifizierten fehlen Distelbestände, weil diese Vorlandflächen Beute. intensiv mit Schafen beweidet werden (MELUR 2011). Dort kam es zu einer Abwanderung der Die häufig beobachtete Jagd in den Silbergrasfluren Jungvögel in die angrenzenden Lahnungsfelder, und Krähenbeerheiden im Bereich Pirolatal oder wo die jungen Lachseeschwalben zwar Deckung auch in der Nähe der Jugendherberge lässt auf Ei- in Beständen von Schlickgras Spartina anglica dechsen als Hauptnahrungsquelle schließen. Auf finden, aber zugleich einem erhöhten Überflu- Langeoog leben Waldeidechsen Zootoca vivipara tungsrisiko ausgesetzt sind (MELUR 2011). (PODLOUCKY 2008), Zauneidechsen Lacerta agilis (V. HERZOG, pers. Mitt.) und Blindschleichen Anguis Neben der erfolgreichen Lachseeschwalbenbrut fragilis. Obwohl Lachseeschwalben während der war auch der Bruterfolg der Lachmöwen im Au- Brutzeit über einen großen Aktionsradius bei der gustgroden 2012 nach eigener Einschätzung hoch, Nahrungssuche verfügen (GLUTZ VON BLOTZHEIM & ebenso wie schon 2011 der Schlupferfolg der Sä- BAUER 1999), konnte nicht beobachtet werden, belschnäbler (FRANK 2011). Es wird davon ausge- dass die Langeooger Vögel auf das etwa 9 km gangen, dass Prädationsereignisse durch Boden- beutegreifer – zumindest in diesen Jahren – keinen bedeutenden Einfluss auf den Bruterfolg der Kolo- niebrüter hatte. Es konnte zudem mehrfach beob- achtet werden, wie die Kolonie überfliegende Rohrweihen oder Mäusebussarde vor allem durch Lachmöwen gemeinschaftlich attackiert und ab- gewehrt wurden. Insofern dürfte die Lachsee- schwalbe trotz ihrer eigenen erheblichen Nestver- teidigungsaktivitäten auch durch die soziale Kolo- nieverteidigung profitiert haben.

Die gewählten Brutplätze der Lachseeschwalbe auf Langeoog und im Augustgroden unterscheiden sich deutlich. Die Langeooger Salzwiesen stellen eher ein Anpassungshabitat der Art dar, während Abb. 8: Juvenile, flugfähige Lachseeschwalbe (2. Vogel künstliche Kiesflächen eher dem Ursprungshabitat von links) mit Altvogel (4. von links), daneben adulte und Ufer- und Inselbänke aus Sand und Kies an natur- juvenile Lachmöwen (16.07.2012, Standbild aus Film- nahen Flüssen bzw. vegetationsfreien Habitaten szene: Klaus Taux). – Fledged Gull-billed Tern with adult. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 284

284 REICHERT & WEINBECKER: Neue Brutvorkommen der Lachseeschwalbe im niedersächs. Wattenmeer

entfernte Festland oder auf benachbarte Inseln Schutz wechselten. Der Brutplatzbereich der Langeooger Lachsee- Während der Jungenaufzucht konnte gelegentlich schwalben liegt in der Ruhezone des Nationalparks beobachtet werden, welche Nahrung die Lachsee- Niedersächsisches Wattenmeer. Dieser Bereich darf schwalben im Augustgroden verfütterten: Zu Beginn nicht betreten werden. Die Benutzung des Weges der Aufzucht wurden vor allem Insekten, wie z. B. auf dem ehemaligen Sommerdeich ist nur mit größere Käfer, beobachtet oder Regenwürmer, einer geführten Wanderung erlaubt und ansonsten später auch Frösche (vermutlich Wasserfrosch-Typ verboten. Wer die Lachseeschwalben auf Langeoog Rana spec.). beobachten möchte, hat im Bereich des östlichen Pirolatals, vor dem Wasserwerk und beim Deichschart Die Nahrungssuche erfolgte außerhalb des Püt- (Treffpunkt der Wattwandergruppen vom Weg tengeländes, so vor allem über Grünlandflächen aus) die besten Möglichkeiten dazu, ohne zu und Gräben im Binnenland des Augustgrodens stören. sowie am 500 m entfernten Seedeich, der intensiv mit Schafen beweidet wurde und eine kurze Gras- Der Brutplatz im Augustgroden liegt im EU-Vogel- narbe aufwies. Dabei konnte festgestellt werden, schutzgebiet „Marschen am Jadebusen“, in dem dass die Altvögel vom Brutplatz nicht direkt in die Lachseeschwalbe – aufgrund der Aktualität westliche Richtung zum Deich, sondern bogenartig der Ansiedlung – jedoch keine wertbestimmende zunächst in nördliche und dann in westliche Vogelart ist. Der Zutritt zum Püttengelände (Privat- Richtung flogen. Es konnte nicht beobachtet gelände) sollte aus Schutzgründen unterbleiben. werden, dass Küken anderer Arten verfüttert wur- den, obwohl sich ab Ende Mai zahlreiche Küken von Säbelschnäblern, Lachmöwen und später auch Dank Flussseeschwalben sowie Stock- und Reiherenten Wir möchten D. Frank, N. Hecker, T. Krüger, M. in dem Püttenareal Augustgroden aufhielten. Nur Säfken und K. Taux danken, die Bildmaterial zur einmal wurde beobachtet wie eine Lachseeschwalbe Verfügung gestellt haben. K. Fuhrmann, O. Gerke, ein schwimmendes Lachmöwenküken attackierte, V. Herzog , M. Kellermann, D. Kühl. J. Ludwig, A. allerdings ohne es zu erbeuten. Möglicherweise Männicke, T. Munk, T. Mennebäck, B. Riedel, M. herrscht innerhalb der Brutkolonie ein gewisser Risch, A. Richter, G. Siebels, P. Südbeck und K. Tor- „Burgfrieden“ zwischen den Arten. Eventuell waren now möchten wir für ihre Beobachtungsdaten und auch Nahrungsangebot und Verfügbarkeit im Um- Hinweise zum Artikel danken. Der II. Oldenburgische land der Pütten ausreichend. Deichband, der engagiert Pflegemaßnahmen im Augustgroden umsetzt, soll an dieser Stelle lobend Die Beobachtungen in den beiden Gebieten zeigen erwähnt sein. hinsichtlich der nahrungsökologischen Möglichkeiten deutliche Unterschiede und belegen die Fähigkeit der Art, sowohl in eher trockenen Lebensräumen, Summary – Recently discovered bree- wie Sandheiden oder Dünen, als auch im eher ding areas of Gull-billed Tern Gelocheli- feuchten Grünland erfolgreich nach Nahrung zu don nilotica in the Wadden Sea of Lo- jagen oder zwischen diesen Nahrungshabitaten zu wer Saxony wechseln, wie es die Beobachtungen auf Langeoog The small and isolated population of Gull-billed zeigen. Als eher untypische Küstenart konnte sich Tern in Central and Northern Europe was subject die Lachseeschwalbe an die Habitatverhältnisse to a strong decline and southbound relocation. der küstennahen Marsch anpassen, wie es die vor Today the German breeding population is about Jahrzehnten erfolgte Ansiedlung an der Westküste 40 pairs. At present the majority breed in the Schleswig Holsteins gezeigt hat und wie es das foreland of Neufelder Koog/Schleswig-Holstein. In gegenwärtig einzige größere mitteleuropäische Lower Saxony the Gull-billed Tern is a rare species, Brutvorkommen der Art im Vorland des Neufel- and regular breeding only occurs in the estuary of derkoogs belegt. the River Elbe in small and fluctuating numbers. In 2011, 2012 and 2013 there were new settlements vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 285

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of two single breeding pairs on the island of Lange- MORITZ, V. (2009): Brutvogel-Bestandsaufnahme am öst- oog and at an inland site (Augustroden/Jade Bay). lichen Jadebusen (Teilbereich EU-Vogelschutzgebiet The article deals with the location, breeding and V01). Unveröff. Gutachten i. Auftr. NLWKN, Staatliche feeding ecology and the birds’ habitat choice at Vogelschutzwarte. Oldenburg. these two new breeding sites. NABU – KREISVERBAND CUXHAVEN-BREMERHAVEN (Hrsg.; 2008): Ornithologischer Jahresbericht 2008 für den Landkreis Cuxhaven und Bremerhaven. Nordholz. Literatur OBERDIEK, N., J. BARKOWSKI, H. FREUND & S. THYEN (2010): ANDRETZKE, H., T. SCHIKORE & K. SCHRÖDER (2005) Artsteck- Brutvogelgemeinschaft nach Rückdeichung des Lange- briefe. In: SÜDBECK, P. et al. (Hrsg.): Methodenstandards ooger Sommerpolders – Ein Modell zur Untersuchung zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands. S. 135- des Meeresspiegelanstiegs? Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 695. Radolfzell. 41: 203-208. BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004): Birds in Europe: population PGG, PLANUNGSGRUPPE GRÜN (2008): Bodenabbau Augu- estimates, trends and conservation status. BirdLife stroden II - Landschaftspflegerischer Begleitplan. Un- Conserv. Ser. 12. Cambridge. veröff. Gutachten i. Auftr. II. Oldenburgischer Deich- BOHNET, V. (2011): Erfassung der Brutvögel in den Bin- band. Frieschenmoor. nenpütten Augustgroden/Jadebusen, Wesermarsch PODLOUCKY, R. (2008): Lurche und Kriechtiere. In: NIED- 2011. Unveröff. Gutachten i. Auftr. Planungsgruppe RINGHAUS, R.,V. HAESELER & P. JANIESCH (Hrsg.): Die Flora Grün. Oldenburg. und Fauna der Ostfriesischen Inseln. Schriftenr. Na- DIERSCHKE, J., K. GÜNTHER & B. HÄLTERLEIN (2012): Seltene tionalpark Niedersächsisches Wattenmeer 11: 415- Vogelarten in Deutschland: Lachseeschwalbe. Falke 420. 59: 264-266. RASMUSSEN, L. M., & K. FISCHER (1997): The breeding po- FLEET, D. M., J. FRIKKE, P. SÜDBECK & R. L. VOGEL (1996): pulation of Gull-billed Terns Gelochelidon nilotica in Brutvögel des Wattenmeeres 1991. Sonderheft der Denmark 1976-1996. Dansk Orn. Foren. Tidsskr. 91: Schriftenreihe Nationalpark Schleswig-Holsteinisches 101-108. Wattenmeer. Tönning. SANCHEZ, J. M., A. MUNOZ DEL VIEJO, C. CORBACHO, E. COSTILLO FRANK, D. (2011): Untersuchung des Bruterfolges der Säbel- & C. FUENTES (2004): Status and trends of Gull-billed schnäbler am östlichen Jadebusen während der Brutsai- Tern Gelochelidon nilotica in Europe and Africa. Bird son 2011. Unveröff. Gutachten i. Auftr. Nationalpark- Conserv. Int. 14: 335-351. verwaltung Niedersächsisches Wattenmeer. Schortens. SPILLING, E. (1994): Untersuchung zum Brutverhalten der FRANK, D. (2012): Erfassung koloniebrütender Vogelarten Lachseeschwalbe (Sterna nilotica GM.) im Vogelschutz- auf ausgewählten ostfriesischen Inseln und Sänden gebiet Hullen und zum Einfluß der Rinderbeweidung vom Flugzeug mit Hilfe von Fotografien. Brutsaison auf das Verhalten ausgewählter Lariden. Unveröff. 2012. Unveröff. Gutachten i. Auftr. NLWKN, Staatliche Gutachten i. Auftr. Bezirksregierung Lüneburg, Belm. Vogelschutzwarte. Schortens. SÜDBECK, P., & B. HÄLTERLEIN (1997): Brutvogelbestände an GEDEON, K., A. MITSCHKE & C. SUDFELDT (Hrsg.; i. Vorb.): der deutschen Nordseeküste im Jahre 1995 – Neunte Atlas deutscher Brutvogelarten. I. Vorb. Erfassung durch die Arbeitsgemeinschaft „Seevogel- GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N., & K. M. BAUER (1999): Hand- schutz“. Seevögel 18: 11-19. buch der Vögel Mitteleuropas. Bd. 8/II: Charadriifor- mes (3. Teil), Sternidae-Alcidae. 2. Aufl. Wiesbaden. GROSSKOPF, G. (1991): Lachseeschwalbe – Sterna nilotica. In: ZANG, H., G. GROSSKOPF & H. HECKENROTH (Hrsg.): Die Vögel Niedersachsens, Raubmöwen bis Alken. Nat.schutz Landsch.pfl. Niedersachs. B, H. 2.6. HÄLTERLEIN, B. (1996): Brutvogelbestände im Schleswig- Holsteinischen Wattenmeer. Nationalparkamt Tönning & Umweltbundesamt Berlin. MELUR, MINISTERIUM FÜR ENERGIEWENDE, LANDWIRTSCHAFT, UM- WELT UND LÄNDLICHE RÄUME DES LANDES SCHLESWIG-HOLSTEIN (Hrsg., 2011): Jagd und Artenschutz. Jahresbericht 2011. Kiel. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 286

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Mittelspecht Dendrocopos medius. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Middle Spotted Woodpecker. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 287

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Erstnachweise des Mittelspechts Dendrocopos medius in der Stadt Wilhelmshaven

Klaus Börgmann

BÖRGMANN, K. (2013): Erstnachweise des Mittelspechts Dendrocopos medius in der Stadt Wilhelmshaven. Vogelkdl. Ber. Niedersachsen 43: 287-293.

Nach zufälligen Hinweisen auf den Mittelspecht Dendrocopos medius im Winter 2011 ergab eine gezielte Suche im Jahr 2013 einen Mindestbestand von 4 Revieren mit einem Brutnach- weis innerhalb der Stadt Wilhelmshaven. Zwei der Reviere befanden sich in der sogenannten „Grünen Mitte“, dem großen Landschaftsschutzgebiet Stadtpark mit einem großen waldar- tigen Baumbestand. Die anderen beiden Reviere befanden sich in Parkanlagen im Siedlungs- bereich. Die Besiedlung erfolgte vermutlich erst vor wenigen Jahren. Die genutzten Baumbe- stände sind zwischen 90 und 140 Jahre alt, wobei die Baumarten Stiel-Eiche Quercus robur, Esche Fraxinus excelsior und Spitz-Ahorn Acer platanoides für den Mittelspecht vermutlich von entscheidender Bedeutung sind.

Diese Nachweise repräsentieren die ersten Brutnachweise des Mittelspechtes in der Stadt Wilhelmshaven und markieren dadurch eine weitere Arealausdehnung innerhalb Nieder- sachsens nach Norden. Zudem sind die Vorkommen weitere Beispiele für Reviere in der Na- turräumlichen Region Watten und Marschen sowie auch für Stadtbruten in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wohngebieten.

K. B., Ikoweg 21, D-26419 Schortens, [email protected]

Einleitung Noch HAGEMEIJER & BLAIR (1997) beschreiben den eu- ropäischen Bestand des Mittelspechts als leicht rück- In der überwiegend grünlandwirtschaftlich geprägten läufig in Teilen von West- und Mitteleuropa ein- Naturräumlichen Region Watten und Marschen schließlich Spanien, Frankreich, Italien, Österreich, mit nur wenigen größeren Gehölz- oder Waldbe- Albanien, Litauen, Kroatien, der Tschechischen Re- ständen finden typische Waldvögel wie die Spechte publik, Moldawien und der Ukraine. Für Belgien nur wenig Lebensraum. In der Stadt Wilhelmshaven, wird eine Zunahme und Ausweitung des Areals, für die vollständig in der genannten Region liegt, hat die schwedische Population hingegen das Aussterben sich bisher nur der Buntspecht Dendrocopos major beschrieben. Der letzte niederländische Brutnachweis als inzwischen auch häufige Brutvogelart etabliert. stammte aus dem Jahre 1973, und verschiedene Hinweise auf den Kleinspecht Dendrocopos minor Beobachtungen aus den frühen 1990er Jahren schie- finden sich regelmäßig, aber nur in geringer Anzahl, nen auf eine Zuwanderung aus den Nachbarpopu- und der Grünspecht Picus viridis hat seit einigen lationen in Deutschland und Belgien hinzuweisen. Jahren ebenfalls das Stadtgebiet als Brutvogel be- BAUER & BERTHOLD (1996) nehmen ebenfalls Bestands- siedelt. In dieser Arbeit soll der Mittelspecht Den- abnahmen und Arealverluste an, die am Nord- und drocopos medius als neue Brutvogelart Wilhelms- Westrand des Verbreitungsgebietes zum Erlöschen havens vorgestellt und eine weitere Arealausdehnung von Populationen in Dänemark (1959), den Nieder- der Art in Niedersachsen dokumentiert werden. landen (1973) und Schweden (1984) sowie zu wei- Der Mittelspecht bewohnt „mittelalte und alte, teren lokalen und regionalen Rückgängen führten. baumartenreiche Laub- und Mischwälder vom Tief- Einen deutlich positiven Bestandstrend führen sie je- land bis ins Mittelgebirge; (er) benötigt Bäume mit doch für Norddeutschland seit den 1970er Jahren grobrissiger Rinde“ (SÜDBECK et. al. 2005). und für Belgien aus den „letzten Jahrzehnten“ an. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 288

288 BÖRGMANN: Erstnachweise des Mittelspechts in Wilhelmshaven

Für den gleichen Zeitraum beschreiben HECKENROTH LSG Siebethsburg, der Friedhof Aldenburg, das & LASKE (1997) für Niedersachsen ein unregelmäßiges ehemalige Munitionsdepot am Fraukenweg/Um- Verbreitungsmuster der Art mit Schwerpunkt in fangstraße und das NSG Bordumer Busch (dieses den von Beeinträchtigung bis vollständiger Ver- nur teilweise vom Rande aus). Für Hinweise auf nichtung bedrohten Eichen- und Hartholzauen mit ein Vorkommen im Fort Rüstersiel, dem Hauptsitz grobrindigen Bäumen. Der Rote-Liste-Status wird des Instituts für Vogelforschung, wurde ein Mitar- mit „gefährdet“ angegeben. In PANNACH (1986) beiter des Instituts befragt. wird der niedersächsische Bestand einige Jahre zuvor als stark bestandsbedroht angegeben. Für die Erfassung des Mittelspechtes ist eine Klang- attrappe notwendig (SÜDBECK et. al 2005). Zwecks KAMP (2007) beschreibt dann ähnlich wie bereits Kartierung wurden die Rufe an geeignet erschei- BAUER & BERTHOLD (1996) für den nordwestlichen nenden Orten ohne vorherige Feststellung der Art Teil Niedersachsens einen deutlich positiven Be- vorgespielt. An bekannten Beobachtungsstellen standstrend seit den 1970er Jahren, der allerdings des Mittelspechts erfolgte dies nur, soweit auch nicht von einer deutlich verbesserten Erfassungs- nach längerer Wartezeit kein Individuum entdeckt intensität losgelöst betrachtet werden darf. werden konnte. Zeigte sich ein Mittelspecht, wurde die Klangattrappe sofort ausgeschaltet. Zusätzlich Für den Bereich der Stadt Wilhelmshaven konnte wurden in den festgestellten Revieren im Umfeld KAMP (l. c.) allerdings noch keinen Nachweis für der Singplätze große Bäume bestimmt, wobei ein den Mittelspecht anführen. In dieser Arbeit sollen Schwerpunkt auf Bäumen mit grobrissiger Borke daher die ersten Beobachtungen und Bruthinweise lag. Zudem erfolgte eine grobe Abschätzung der dokumentiert und Hinweise auf mögliche frühere Menge an stehendem Totholz im Umfeld der Be- Besiedlungen sowie den Besiedlungszeitpunkt erör- obachtungsorte. tert werden. Ergebnisse Methode Literaturrecherche Erste Hinweise auf Mittelspechte in Wilhelmshaven erhielt der Verf. durch O. HÜPPOP, der 2012 über Für Wilhelmshaven liegen verschiedene Untersu- die Beobachtung eines Mittelspechtes im Land- chungen und Veröffentlichungen zur Vogelwelt schaftsschutzgebiet (LSG) Wilhelmshavener Stadt- vor, die hinsichtlich Aussagen über den Mittelspecht park berichtete. Kurz darauf wurde in einem Fern- geprüft wurden. TOM DIEK (1933) erwähnt den sehbericht auf die regelmäßige Feststellung eines Mittelspecht nur am Rande, „da er nur selten be- Mittelspechtes an einer ganzjährigen Vogelfütterung obachtet wird“. Zur Zeit TOM DIEKS war der heutige im selben Gebiet hingewiesen. Stadtpark gerade erst angelegt worden, der Bor- dumer Busch war noch Munitionslager und der Durch diese zufälligen Mitteilungen angeregt, be- Kurpark erst 60 Jahre alt; alle diese Gebiete boten gann der Verf. eine gezielte Suche nach Hinweisen daher der Art wohl keinen Lebensraum. Andere auf den Mittelspecht. Neben einer intensiven Durch- große und ausreichend alte Gehölz- oder Waldbe- sicht avifaunistischer Quellen aus Wilhelmshaven, stände waren nur an wenigen Stellen, insbesondere die zu keinem Hinweis auf die Art führte, wurden an alten Siedlungsplätzen, wie z. B. der Burg Knip- persönlich bekannte Ornithologen auf diesbezügliche hausen, vorhanden. Beobachtungen hin befragt, und es wurde aktiv nach Mittelspechten in Wilhelmshaven gesucht. Etwa 20 Jahre später wurden die Vogelbestände u. a. aus dem Stadtpark Wilhelmshaven erneut Für die Suche nach dem Mittelspecht wurden ver- sorgfältig beschrieben. GERDES (1951) erfasste im schiedene geeignet erscheinende Bereiche innerhalb Rahmen einer Jahresarbeit die Vögel der Parks der Stadt Wilhelmshaven aufgesucht: Hierzu ge- und parkähnlichen Anlagen Wilhelmshavens. Aus hörten das LSG Burg Kniphausen, LSG Ehemalige den Gebieten Stadtpark, Kurpark, Aldenburger Schießstände Heppens, LSG Stadtpark mit der Friedhof, Friedhof Friedenstraße und dem Gelände Wiemkerei und dem Neuender Busch, LSG Kurpark, der ehemaligen Schießstände Heppens (heutige vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 289

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Bezeichnung) wurde keine Beobachtung des Mittel- spechtes übermittelt.

Der durch umfangreiche Da- tenrecherchen und Begleit- untersuchungen erstellte Landschaftsrahmenplan/ Landschaftsplan der Stadt Wilhelmshaven (STADT WIL- HELMSHAVEN 1999) weist un- ter den zahlreichen Brutvo- gelarten keinen Mittelspecht aus. Auch zahlreiche wei- tere, im Hinblick auf mögli- che Vorkommen des Mit- telspechtes geprüfte avifau- nistische Erfassungen aus dem Stadtgebiet erbrachten keine Hinweise. Abb. 1: Mittelspecht am 23.02.2013 im LSG Stadtpark Wilhelmshaven, Foto: Jan Ulber. – Middle Spotted Woodpecker, Wilhelmshaven City Park, 23rd February, 2013.

Kürzlich wurde durch die Untere Naturschutzbehörde Eigene Untersuchungen der Stadt (STADT WILHELMSHAVEN 2009) eine Brutvo- gelkartierung im Stadtpark durchgeführt. Auch im In neun potenziell geeignet erscheinenden Biotopen Rahmen dieser durch ein Fachbüro durchgeführten wurde im Frühjahr 2013 gezielt nach Vorkommen Untersuchung wurde kein Mittelspecht festgestellt. des Mittelspechtes, u. a. unter Einsatz einer Klang- attrappe, gesucht. In vier Bereichen konnte er Somit ist festzuhalten, dass bis zum Jahr 2009 nachgewiesen werden, während die Suche in den kein konkreter Nachweis auf Bruten des Mittel- anderen fünf möglichen Lebensräumen keinen spechtes für das Stadtgebiet Wilhelmshavens be- Nachweis erbrachte. kannt geworden war. Auch fehlen aktuelle und exakte Nachweise für die Art aus dem Untersu- Im LSG Burg Kniphausen mit dem ältesten Baum- chungsgebiet vollständig. bestand Wilhelmshavens, u. a. geprägt durch bis zu 200 Jahre alte Linden Tilia spec. und weitere Befragung vergleichbar alte Bäume, fand sich kein Mittelspecht. Ebenfalls erfolglos verlief die Suche im LSG Ehemalige Eine Datenrecherche bei Ornithologen, die in Wil- Schießstände Heppens mit einem durch Pappeln helmshaven und Umgebung Vögel beobachten, geprägten Altbaumbestand und dem Friedhof Al- brachte folgende Ergebnisse: denburg. Das in zwei Teilbereiche getrennte NSG - „Winter 2011“ Neuengrodener Weg, W. MEWS Bordumer Busch wurde an einigen Stellen vom beobachtet erstmalig einen Mittelspecht; Rand des Gebietes her erfolglos auf den Mittelspecht - 25. April 2012 Stadtpark Wilhelmshaven, ein abgesucht und ebenso das Gebiet eines ehemaligen Individuum, O. HÜPPOP (s. o.); Munitionsdepots nordöstlich vom Fraukenweg. - 05. Dezember 2012 Neuengrodener Weg, ein Mittelspecht am Futterhaus, W. MEWS; In vier verschiedenen Gebieten konnte der Mittel- - 23. Februar 2013 Stadtpark Wilhelmshaven, specht nachgewiesen werden, als Brutverdacht ein Individuum, J. ULBER (Abb. 1). bzw. Brutnachweis: an der Wiemkerei und im Neu- ender Busch (beides Teile des LSG Stadtpark), im Weitere Daten sind nicht bekannt geworden. LSG Siebethsburg und im LSG Kurpark. Bei allen vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 290

290 BÖRGMANN: Erstnachweise des Mittelspechts in Wilhelmshaven

Spitz-Ahorn, Ulme und Hainbuche. Südwestlich der Wiemkerei findet sich ein Bestand aus Stiel- Eiche Quercus robur, Buche Fagus sylvatica, Linde Tilia spec., Esche und Spitz-Ahorn, westlich der Wiemkerei ein Eschenbestand. Insbesondere die Esche und in geringerem Umfang der Spitz-Ahorn weisen in diesem Gebiet die für Mittelspechte at- traktive grobrissige Borke auf. Die Gehölzbestände um die Wiemkerei sind vielfältig mit Kraut-, Strauch- und Baumschicht strukturiert und weisen einen hohen Anteil stehenden und liegenden Totholzes auf.

Der erste Nachweis des Mittelspechts mit Brutver- dacht gelang an der Wiemkerei. An diesem Standort wurde die Art bereits am 25.04.2012 (s. o.) durch O. HÜPPOP (pers. Mitt.) und später dann am 23.02.2013 durch J. ULBER (pers. Mitt.) festgestellt. Bei gezielter Nachsuche konnte er an diesem Ort mit und ohne Klangattrappe mehrmals bestätigt werden, so unter anderem am 30.03.2013 mit 3 Exemplaren, als offensichtlich ein Paar sein Revier verteidigte (pers. Mitt. D. ANTONS). Mehrmals (03.03.2013, 16.03.2013, 02.04.2013, 18.04.2013) Abb. 2: Mittelspecht am 02.06.2013 bei der Fütterung konnte der Specht in der Nähe von verschiedenen an seiner Höhle im LSG Kurpark in Wilhelmshaven. Foto Spechthöhlen beobachtet werden, einmal sogar Dirk Antons. – Middle Spotted Woodpecker at nesting beim Hineinschauen. Der Fund einer besetzten tree in „Kurpark“ area Wilhelmshaven. Höhle blieb jedoch aus. Buntspechte waren oftmals in unmittelbarer Nähe der Mittelspechte festzustellen. Die Regelmäßigkeit der Beobachtungen sowie die Standorten handelte es sich um Areale mit einem klare Feststellung balzender Paare rechtfertigen alten Baumbestand. Im Folgenden sollen die Reviere die Einschätzung als Brutverdacht des Mittelspechts näher beschrieben werden. für dieses Gebiet spätestens 2013.

Im LSG Stadtpark wurde ein Revier im Bereich der Der Neuender Busch ist ebenfalls Bestandteil des „Wiemkerei“ festgestellt. Bis vor kurzem befand LSG Stadtpark und befindet sich nordöstlich des sich dort das Gärtnerhaus mit einer relativ offenen Revieres bei der Wiemkerei, von dem es durch Streuobstfläche mit hochwüchsigen und alten Obst- einen Grünlandstreifen getrennt ist. Der Gehölz- bäumen. Daran schließen sich neben offenen Wie- bestand des Neuender Busches ist auch etwa 100 sen- und Weidebereichen verschiedene, etwa 100 Jahre alt und wird vermutlich etwa zeitgleich ge- Jahre alte Gehölze an. Östlich der Wiemkerei be- pflanzt worden sein. Die Bäume eines südlich vor- findet sich der sogenannte Ahornwald gepflanzt gelagerten Gehöfts sind jedoch erheblich älter. Als aus Spitz-, Berg- und Silber-Ahorn Acer platanoides, Hauptbaumarten finden sich im Neuender Busch A. pseudoplatanus, A. saccharinum und dazwischen und dem vorgelagerten Gehöft Esche, Silber-Weide Silberpappeln Populus alba (HARMS 1930), sowie Salix alba, Roßkastanie Aesculus hippocastanum, zusätzlich einigen Lärchen Larix spec., Hainbuchen Buche, Berg- und Spitz-Ahorn, Kirsche Prunus Carpinus betulus und Ulmen Ulmus spec.. Südöstlich spec., Birke Betula spec. und Fichte Picea abies. der Wiemkerei befindet sich ein Eschenwald aus Insbesondere die Eschen weisen grobrissige Borken Eschen Fraxinus excelsior, Amerikanischer Esche F. auf. Auch in diesem Teilgebiet befindet sich ein americana, Eschenahorn Acer negundo und Grau- hoher Anteil liegenden und stehenden Totholzes. Erle Alnus incana (HARMS 1930) sowie Berg- und Das Gehölz ist vielfältig strukturiert. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 291

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Im Neuender Busch gelangen mehrmals Nachweise aus der friesischen Häuptlingszeit. Die Burg wurde des Mittelspechts. Am 03.03.2013 wurde eine 1435 geschleift und ist als Burghügel im Gelände Ruf reihe registriert. Am 02.04.2013 und 08.04.2013 kenntlich und von drei Ringgräben umgeben. Das reagierte der Mittelspecht auf die Einspielung der Areal ist heute als Parkanlage im englischen Stil Rufe durch eine Klangattrappe und er erschien in mit zahlreichen frei stehenden Bäumen und ge- der Nähe des Beobachters. Das Tier näherte sich schlossenen Gehölzbereichen an den Grenzen ge- jeweils kurz der Attrappe, ohne jedoch auf den staltet. Da das Areal bereits 1938 unter Land- Ruf zu antworten. Aufgrund der Regelmäßigkeit schaftsschutz gestellt wurde, sind vermutlich auch der Nachweise kann auch in diesem Fall von einem zahlreiche Bäume vor dieser Zeit gepflanzt worden. Brutverdacht ausgegangen werden. Immer waren Im Südwesten befindet sich eine Lindenallee, in auch Buntspechte in der Nähe zu vernehmen. deren Mitte sich vermutlich bereits vor dieser Zeit Weder Höhlenbau noch Nahrungssuche konnten ein alter Fußweg befand. Im Umfeld der Mittel- beobachtet werden. spechtbeobachtungen fanden sich die folgenden Baumarten: Schwarz-Erle, Spitz-Ahorn, Hainbuche, Der Kurpark wurde etwa in den siebziger Jahren des Esche, Stiel-Eiche, Moor-Birke, Hänge-Birke Betula 19. Jahrhunderts begründet und ist damit ca. 140 pendula, Silber-Weide, Trauer-Weide, Mehlbeerbaum Jahre alt. Die Parkanlage befindet sich heute inmitten Sorbus spec., Berg-Ahorn, Linde, Roßkastanie, des dicht besiedelten Zentrums der Stadt Wilhelms- Weißdorn Crataegus monogyna und Buche, wobei haven. Hier fand sich ein Revier an einem der am grobrissige Borken vor allem an den Eichen festzu- meisten frequentierten Bereiche des Parks unmittelbar stellen waren. zwischen dem Eingang am Hindenburgtor und der Musikmuschel. Als Baumarten in größeren Exemplaren Bei der Siebethsburg sang am 16.04.2013 ein Mit- fanden sich in einem Umfeld von ca. 100 m um den telspecht auf Anregung durch eine Klangattrappe Brutplatz die folgenden Arten: Roßkastanie, Esche, mehrmals in einer Esche und näherte sich dem Be- Linde, Buche, Hainbuche, Moor-Birke Betula pubes- obachter bis auf wenige Meter an. Die nächste cens, Schwarz-Erle Alnus glutinosa, Silber-Weide, Beobachtung stammte vom 25.04.2013 vom selben Pappel, Feld- Acer campestre, Spitz- und Berg-Ahorn, Ort. Die zweimalige Feststellung wurde als Brut- Stiel-Eiche, Rot-Eiche Quercus rubra. Die Stiel-Eiche verdacht gewertet. Wie in den obigen Revieren hat einen großen Anteil am Bestand, grobrissige waren auch hier Buntspechte in direkter Nachbar- Borke ist durch die Arten Stiel-Eiche und Esche na- schaft festzustellen und haben dort vermutlich he zu flächendeckend im Bestand gegeben. auch gebrütet.

Im LSG Kurpark gelang der bislang erste Brut- nachweis für das Stadtgebiet von Wilhelmshaven. Diskussion Am 16.04.2013 wurden 2 Mittelspechte singend KAMP (2007) nimmt wie viele andere Autoren auch und an einer Höhle hackend festgestellt. Auf eine aufgrund aktuell hoher Siedlungsdichten sowie Überprüfung mit Klangattrappe am 25.04.2013 der Zunahme der Mittelspecht-Bestände eine Aus- reagierte der Mittelspecht mit seinem Gesang. Am breitung des Mittelspechts für NW-Deutschland 01.06.2013 wurde ein Altvogel mit Futter im an. Für das Gebiet der Stadt Wilhelmshaven gibt Schnabel beim Anflug an die Bruthöhle beobachtet er jedoch keinen Nachweis der Art an. Eine im und dort auch in der Folge beobachtet und foto- Jahr 2009 erfolgte Brutvogelkartierung im Stadtpark grafiert. Der Brutplatz befand sich in einem alten, (STADT WILHELMSHAVEN 2009) blieb ohne Nachweis etwa 4-5 m hohen Baumstamm (Abb. 2). Wenige des Mittelspechts. Erst für den Winter 2011 liegen Meter neben dem Brutplatz lag der Haupteingang erste belegbare Beobachtungen von einem Futter- zum Park. Regelmäßig flogen die Altvögel über platz aus der Nähe des LSG Stadtpark vor (W. den Hauptweg, um nach Nahrung für ihre Jungen MEWS pers. Mitt.). Vieles spricht daher dafür, dass zu suchen oder diese heranzutransportieren. die Art auch erst etwa zu diesem Zeitpunkt Wil- helmshaven besiedelte. Das LSG Siebethsburg befindet sich im gleichna- migen, durch großzügige Grünanlagen gekenn- Nach KAMP (2007) gab es für Bruten in der natur- zeichneten Stadtteil und ist eine alte Burgstätte räumlichen Einheit „Watten und Marschen“ aus vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 292

292 BÖRGMANN: Erstnachweise des Mittelspechts in Wilhelmshaven

dem Jahre 2005 die ersten belegten Nachweise werden. Derzeit sind mindestens vier Reviere in- aus dem Bremer Raum. Mit den hier vorgelegten nerhalb der Stadtgrenzen besetzt. Damit ist das Beobachtungen finden sich nun weitere Nachweise Verbreitungsgebiet der Art im Zuge des Ausbrei- für Bruten in der Marsch. tungsprozesses erneut weiter nach Norden vorge- schoben worden. Selbst in den waldarmen Bereichen Bruten in Stadtgebieten (Parks und Gärten) waren der Marschenlandschaft nahe zur Wattenmeerküste nach KAMP (2007) bis zum Jahr 2003 im Untersu- besiedelt der Mittelspecht geeignete Wald- und chungsraum NW-Niedersachsen nicht bekannt. Die Parklandschaften. Die Art schafft es immer besser, Bruten im LSG Stadtpark sind – obwohl inmitten in waldarmen Bereichen Niedersachsens zu siedeln, der Stadt gelegen – eher den klassischen Waldbruten so dass angenommen werden kann, dass dieser zuzuordnen. Es handelt sich bei dem auch als Prozess der Bestandszunahme und -ausbreitung „grüner Mitte“ bezeichneten Gebiet um einen weiter fortschreitet und auch andere waldärmere waldartigen Park. Anders verhält es sich mit dem Gegenden Niedersachsens erfassen wird. LSG Siebethsburg und dem LSG Kurpark, die als wohngebiets- bzw. zentrumsnahe Parks eher typi- schen Stadtbruten zuzuordnen sind. Summary – First records of Middle Spot- ted Woodpecker Dendrocopos medius in Die Baumbestände in den genannten Gebieten the city of Wilhelmshaven weisen ein Alter von etwa 90-140 Jahren auf. Sie After first accidental observations of Middle Spotted entsprechen damit dem in der Literatur häufig ge- Woodpecker in the city of Wilhelmshaven in winter nannten Altersmerkmal geeigneter Wälder für den 2011 a specific survey in the breeding season Mittelspecht. 2013 revealed a minimum of four territories (one confirmed breeding with active nesthole) of the Von den aufgeführten Baumarten weisen in den species. Two were found in the „green center“ of genannten Gebieten überwiegend die Stiel-Eiche the town in a larger park and a forested area. Two (LSG Kurpark), die Esche (Wiemkerei, Neuender other territories were found in parks inside residential Busch, LSG Siebethsburg und LSG Kurpark) und area. Inhabited tree stands represent oak, ash and der Spitz-Ahorn (Wiemkerei) die für den Mittelspecht acorn tree species with age of more than 90 years. notwendige grobrissige Borke auf. Aufgrund der Lage der Reviere in städtischen Anlagen und Parks These records represent further northward range erscheint die Baumartenvielfalt eher größer als in expansion in Lower Saxony and breeding attempts anderen Brutgebieten der Umgebung. in the coastal area and in inner cities.

Im Bereich der Wiemkerei befindet sich im „Kern- gebiet“ eines Mittelspechtreviers eine alte Streu- Literatur obstfläche. Über deren Nutzung durch den Mittel- specht ist allerdings nichts bekannt. BAUER, H.-G., & P. BERTHOLD (1996): Die Brutvögel Mittel- europas. Bestand und Gefährdung. Wiesbaden. Die Reviere Wiemkerei und Neuender Busch weisen GERDES, K. (1951): Aus der Vogelwelt der Parks und park- einen hohen Anteil an stehendem und liegendem ähnlichen Anlagen Wilhelmshavens. Unveröff. Manu- Totholz auf. Im Revier Kurpark befindet sich wenig skript, Wilhelmshaven. liegendes Totholz und mäßig viel stehendes Totholz. HAGEMEIJER, W. J. M., & M. J. BLAIR (1997): The EBCC Atlas Ein noch geringerer Anteil befindet sich im LSG of European Breeding Birds. London. Siebethsburg. Totholz wird in der Literatur immer HARMS, G. (1930): Führer durch die Flora der Jadestädte wieder als bedeutende Habitatrequisite dargestellt. und Umgebung. Rüstringer Heimatbücher 2. Wil- helmshaven. Auffällig war in allen Revieren die Nähe zu besetzten HECKENROTH, H., & V. LASKE (1997): Atlas der Brutvögel Buntspechtrevieren. Niedersachsens 1981-1995 und des Landes Bremen. Nat.schutz Landsch.pfl. Niedersachs. 14. Hannover. Insgesamt kann hiermit der erste Brutnachweis KAMP, J. (2007): Verbreitung, Bestand und Habitatnutzung des Mittelspechts in Wilhelmshaven dokumentiert des Mittelspechts Dendrocopos medius in Nordwest- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 293

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Niedersachsen. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 39: 77-96. PANNACH, G. (1986): Mittelspecht – Dendrocopos medius. In: ZANG, H. & HECKENROTH, H. (1986): Die Vögel Nie- dersachsens – Tauben bis Spechtvögel. Nat.schutz Landsch.pfl. Niedersachs. B. H.2. 7: 140-143. STADT WILHELMSHAVEN (1999): Landschaftsrahmen plan/ Land - schaftsplan Stadt Wilhelmshaven. Wilhelmshaven. STADT WILHELMSHAVEN (2009): Brutvogelkartierung im Land- schaftsschutzgebiet WHV 72 „Stadtpark“ in Wilhelms- haven 2009. Wilhelmshaven. SÜDBECK, P., H. ANDRETZKE, S. FISCHER, K. GEDEON, T. SCHIKORE, K. SCHRÖDER & C. SUDFELDT (Hrsg.; 2005): Methoden- standards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands. Radolfzell. TOM DIEK, P. (1933): Die Vogelwelt der Jadestädte und ihrer Umgebung. Accum. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 294

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Sumpfohreule Asio flammeus. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Short-eared Owl. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 295

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Friedliches Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft aus Schleiereulen Tyto alba und Hornissen Vespa crabro

Klaus Otten

Im April 2002 wurde auf dem Dachboden eines jetzt durch die breite Kastenöffnung einfallenden damals noch in umfangreicher Renovierung be- Lichts zeigten sich sowohl die am Bau anwesenden findlichen alten Fachwerkwohnhauses ein Schlei- als auch die durch den Eingang einfliegenden Hor- ereulen-Nistkasten durch den Verfasser angebracht. nissen nicht in irgendeiner Weise beeindruckt, Sein Einflug kann durch eine innen angebrachte sondern verhielten sich absolut friedlich. Klappe nach dem Prinzip einer Zugbrücke von außen durch beliebig lange Schnurführung ver- Eine Schleiereulenbrut und ein Hornissenvolk ge- schlossen werden. Das Gebäude befindet sich in meinsam im Brutbereich eines Schleiereulenkastens Mittelbrink, einer kleinen Ortschaft im nordöstlichen – das war für den Verfasser eine noch nicht Teil des Schaumburger Waldes, Landkreis Schaum- bekannte Situation. Es wurden zwar in der Ver- burg. Der Kasten wurde im Verlauf der folgenden gangenheit bei Nistkastenkontrollen schon (teils Jahre unregelmäßig von Schleiereulen als Brutplatz schmerzhafte) Erfahrungen mit Dunkelhöhlenbrütern genutzt. wie der Gemeinen Wespe Vespula vulgaris, der Deutschen Wespe Vespula germanica oder auch Mitte April 2012 informierte mich J. Würffel, der der Europäischen Honigbiene Apis mellifera ge- Sohn des Hauseigentümers, dass der Nistkasten sammelt, doch waren deren Nester entweder direkt häufig von einem Turmfalkenpaar Falco tinnunculus im Eingangsbereich angelegt und damit der Zugang frequentiert würde und von ihm vermutlich als zum Kasten verschlossen, oder – so bei der Honig- Brutplatz ausgewählt worden sei. Bei dessen erster biene – Eingang und Durchlass zum Brutraum Kontrolle am 7. Mai wurden im Eingangsbereich waren durch Honigwaben vollständig verschlossen des Kastens dann auch vier, noch nicht bebrütete und konnten erst im Winterhalbjahr unter Einsatz Turmfalkeneier festgestellt. Bei einer weiteren Kon- von Werkzeugen wieder zugänglich gemacht wer- trolle zur Ermittlung des möglichen Beringungs- den. Wenn es in diesen Fällen überhaupt zur Be- zeitraumes am 6. Juni war dieses Gelege ver- setzung des Kastens durch Schleiereulen gekommen schwunden. Stattdessen lagen jetzt im hinteren war, wurde sie nach kurzer Zeit wieder aufgege- abgedunkelten Teil des Kastens zwei Eier einer ben. Schleiereule. Im hier beschriebenen Fall war nach Ansicht des Um eine Störung des Weibchens während der zu Verf. unausweichlich zu erwarten, dass es bei erwartenden Gelegevervollständigung zu vermeiden, einem Verbleiben der sich entwickelnden Eulenküken erfolgte die nächste Kontrolle erst wieder am 29. im Kasten bei gleichzeitig darin fortgesetzter Bau- Juli. Die Einflugöffnung wurde dabei nicht ver- tätigkeit der Hornissen an ihrem Nest nur zum Tod schlossen. Im eigentlichen Brutbereich (77 x 58 x 60 der Eulen und damit zum Verlust der Brut kommen cm) lagen an dessen linker Wand sieben Schleiereu- konnte. Es schien nicht vorstellbar, dass bei dieser lenpulli im Alter zwischen etwa 12 und 28 Tagen, engen Nachbarschaft sieben Schleiereulenpulli davon sechs altersgemäß entwickelt und ein deutlich flügge werden können. Unvermeidbar würden sie zurückgebliebenes „Nesthäkchen“ so wie ein of- in dem beengten Brutraum bei dem zum Aufbau fensichtlich unbefruchtetes Ei. An der Decke neben und Training der Flugmuskulatur notwendigen der rechten, den Eingangsbereich abtrennenden Schlagen ihrer Flügel auch mehr oder weniger Zwischenwand sowie der Rückwand hing ein im häufig und unterschiedlich kräftig an das Hornis- Bau befindliches Hornissennest (Abb. 1). Trotz des sennest schlagen und dadurch dessen sich bislang vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 296

296 OTTEN: Wohngemeinschaft aus Schleiereulen und Hornissen

Abb. 1: Schleiereulenpulli am Tag der Beringung (17.8.2012) und noch im Bau befindliches Hornissennest. Foto: Klaus Otten.

friedlich verhaltende Bewohner zur Verteidigung Schleiereulen einen normalen Entwicklungsstand, veranlassen. Ein Überleben der jungen Eulen schien allerdings fehlte das von Beginn an stark unterent- durch ein Umsetzen des Hornissenvolks an einen wickelte „Nesthäkchen“. Sein Tod war vermutlich anderen Standort möglich – oder einer Entnahme Folge einer witterungsbedingt reduzierten Nah- der Vögel aus dem Kasten und ihrer Verfrachtung rungsversorgung durch die Elterntiere. Dann werden zwecks Handaufzucht in die Wildtier- und Arten- diese Individuen häufig durch die Elterntiere an schutzstation Sachsenhagen, Landkreis Schaumburg. die anderen Jungvögel verfüttert (Kronismus) oder die größeren Jungvögel fressen die kleinen Nest- J. Müller, Wespenberater im Landkreis Schaumburg geschwister (Kainismus; vgl. BRANDT & SEEBASS 1994). und zugleich als ausgebildeter Zootierpfleger in der Wildtierstation tätig, wurde gebeten, eine Um- Die Hornissen zeigten sich trotz der mittlerweile setzung des Hornissenvolks zu prüfen. Auch er auch unmittelbar unter ihrem Nest herumlaufenden teilte die Befürchtung, dass bei unverändertem Jungeulen weiterhin absolut friedlich, so dass sich Status quo ein Verlust der Brut durch gereizte und der Verfasser in der aufkeimenden Hoffnung eines dann aggressiv reagierende Hornissen zu erwarten weiterhin verträglichen Zusammenlebens zu einer sei. Aufgrund der bislang sehr kühlen und feuchten Beringung der Jungvögel entschloss. Sie erfolgte Witterung empfahl er jedoch, zunächst abzuwarten, am 17. August 2012 gegen 18:00 Uhr. da bei dessen Fortbestand das Volk absterben könnte. Die zu dem Zeitpunkt zwischen fünf und sechsein- halb Wochen alten Küken wurden auf dem be- Bei beiden danach im wöchentlichen Abstand er- leuchteten Dachboden bei durchgehend offen ge- folgten Kontrollen des Kastens zeigten sechs junge haltener Kastenöffnung einzeln entnommen, in vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 297

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einen Stoffbeutel gesteckt, darin in etwa zwei Me- Würde die unerwartete Friedfertigkeit der Hornissen tern Abstand vom Kasten gewogen und anschlie- gegenüber ihren Mitbewohnern auch dann noch ßend mit Ringen der Vogelwarte Helgoland beringt. anhalten, wenn diese in dem engen Raum ihre Sowohl Gewicht als auch Gefiederentwicklung Flugmuskulatur trainieren und ihnen und ihrem entsprachen ihrem Alter. Bau dabei unweigerlich nahe kommen?

Weder die dabei weiterhin am Bau arbeitenden Am 10. September überprüfte J. Würffel erstmals noch die in den Kasten hinein- oder herausfliegenden nach der Beringung den Kasten und fand, nachdem Hornissen zeigten sich aggressiv oder beunruhigt. ein Jungvogel abgeflogen war, noch fünf, dem Eines der Insekten verließ den Kasten, durchflog Anschein nach flügge Jungeulen vor. Zwei Tage einige Meter den Dachboden und setzte sich kurz- später waren noch vier Vögel anwesend, zwei zeitig auf dem Kragen des Verfassers nieder. Der weitere beim Öffnen der Klappe abgeflogen. ihm während der gut 15minütigen Prozedur auf die Brille tropfende Schweiß war sicher nicht nur Beim Abgleich der Abb.1 und 2 wird deutlich, Folge der extrem hochsommerlichen Temperatur dass die am Beringungstag (17. 08.) noch an der auf dem Dachboden, sondern auch seiner Besorgnis Decke und der linken Ecke des Nistkastens er- vor einem möglichen Angriff dieser großen Insekten. kennbaren Spinngewebe am 12. September ver- J. Würffel fing die Hornisse problemfrei wieder ein schwunden sind. Ganz sicher war dieser “Hausputz“ und setzte sie zurück in den Kasten. Folge heftigen Flügelschlagens der heranwachsenden Jungeulen auf engstem Raum. Mit Spannung, aber auch mit Besorgnis, wurde dem jetzt anstehenden Zeitraum in der weiteren Es kann als sicher gelten, dass in den folgenden Entwicklung der jungen Eulen entgegen gesehen. Tagen auch die restlichen Eulen unbeschadet ihren

Abb. 2: Juvenile Schleiereulen und weitgehend fertig gestelltes Hornissennest (12.09.2012). Foto: Johannes Würffel. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 298

298 OTTEN: Wohngemeinschaft aus Schleiereulen und Hornissen

Weg hinaus aus dem Kasten genommen haben. Für den Verfasser bleibt dieser unerwartet friedliche Verlauf einer etwa zwei Monate andauernden Wohngemeinschaft zwischen Schleiereulen und Hornissen in fester Erinnerung.

Brandt, T., & C. Seebaß (1994): Die Schleiereule. Ökologie eines heimlichen Kulturfolgers. Sammlung Vogel- kunde. Wiesbaden.

Anschrift: K. O., Birkenweg 13a, D-31683 Obernkirchen, [email protected] vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 299

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Aus der Staatlichen Vogelschutzwarte

Bestand und Schutz von Wiesenweihen Circus py- Brutzeitfeststellung Brutverdacht Brutnachweis 160 gargus in Niedersachsen 2012 – Kurzbericht zum niedersächsischen Artenhilfsprogramm 140 120 41 28 30 38 38 44 Der Wiesenweihenschutz in Niedersachsen verfolgt das 100 13 18 27 17 7 11 13 Ziel, den landesweiten Bestand nach Möglichkeit vollständig 80 1 17 10 16 19 zu erfassen, die Neststandorte in potenziell gefährdeten 60 2 10 88 86 90 87 87 Bereichen (auf landwirtschaftlichen Kulturen) zu lokalisieren 40 72 69 62 62 und – sofern erforderlich – die Bruten in Kooperation mit 20 44

den Landwirten vor der Zerstörung durch die Landbe- 0 wirtschaftung und nach Möglichkeit auch vor Fressfeinden 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 zu schützen. Abb. 1: Bestandsentwicklung der Wiesenweihe in Nie- dersachsen 2003-2012. – Population development of Seit 2003 besteht das niedersächsische Artenhilfsprogramm Montagus Harrier in Lower Saxony 2003-2012. Wiesenweihe, welches in Kooperation mit vielen ehren- amtlich tätigen Erfassern und Betreuern durchgeführt wird, seit 2012 auch mit dem BUND-Diepholzer Moor- unbedingt erforderlich sind. Natürliche und naturnahe niederung im Rahmen einer Vereinbarung mit dem Land Standorte (Großseggenriede, Röhrichte, Brachen, Hoch- Niedersachsen und mit Landwirten, auf deren Flächen staudenfluren, Grünland) werden von den Wiesenweihen die Wiesenweihen nisten. dagegen kaum mehr genutzt (3 bis max. 13 %).

Darüber hinaus fördern das Land Niedersachsen und die Auffällig sind der starke Rückgang der Nester in Winter- EU seit 2004 das Projekt „Landwirtschaftlicher Naturschutz gerste 2012 bei gleichzeitig deutlichem Anstieg in Win- – Schutzreservat für Ackervogelarten“ im Rheiderland, ter- bzw. Grünroggen (in Abb. 2 unter Winterroggen Landkreis Leer. Die Erfassung und der Schutz der Wie- aufgeführt). Dies ist unter anderem eine Folge des Anbaus senweihe erfolgt hier seit 2009 durch das Planungsbüro von Feldfrüchten für die regenerative Energieerzeugung. regionalplan & uvp in enger Zusammenarbeit mit dem landwirtschaftlichen Naturverein „Rheiderländer Marsch“ Die Entwicklung des Bruterfolges während der bisherigen e.V. und mit den vor Ort tätigen Landwirten. Laufzeit des Hilfsprogrammes zeigt folgende Durch- schnittsdaten (Abb. 3): Die im Rahmen des Schutzprogramms zusammengetra- • 2,8 flügge Jungvögel pro Brutpaar mit Aufzuchterfolg genen Bestandsdaten bilden die Grundlage für die hier (= Paare, die mindestens einen flüggen Jungvogel skizzierte landesweite Zusammenstellung, die von D. hatten), Maximum: 5 flügge Jungvögel/Brutpaar Stiefel (bis 2010) und seither durch den Verf. (beide • 59 % Aufzuchterfolg = Anteil Brutpaare mit Auf- Staatliche Vogelschutzwarte/NLWKN) erfolgte. zuchterfolg • 1,7 flügge Jungvögel pro Brutpaar mit Brutnachweis Die Bestandsentwicklung zeigt nach einem anfänglichen • 1,4 flügge Jungvögel pro Revierpaar (= Paare mit Anstieg der Brutbestände von 54 (2003) auf 95 Brutpaare Status Brutnachweis + Brutverdacht ) (2007; Brutnachweis und -verdacht) seither eine etwa stabile Größe von ca. 100 Brutpaaren (Abb. 1). Insgesamt zeigt sich, dass der Bruterfolg während der letzten Jahre bei Schwankungen in etwa stabil ist, was In den vergangenen neun Jahren befanden sich durch- als positiver Hinweis auf die Effektivität des Programms schnittlich 88 % der Nester in Getreidefeldern (Abb. 2). gewertet werden kann. Die größte Bedeutung als Bruthabitat hat dabei die Win- tergerste, gefolgt von Winterweizen, Triticale und Roggen. Fazit und Ausblick Damit wird deutlich, dass eine Erfassung der Neststandorte und nachfolgende Schutzmaßnahmen vor der landwirt- Nach starkem Bestandsrückgang und großen Arealverlusten schaftlichen Bewirtschaftung (Getreideernte, Mähdrusch) lässt sich in Niedersachsen nunmehr seit 2003 ein Wie- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 300

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100 % Anteil des landesweiten Bestandes zu erfassen

90 % und zu betreuen. Daher wird der Wiesenweihen- Brache schutz auch 2013 in der bisherigen Form (Arten- Röhricht 80 % Großseggenried hilfsprogramm Wiesenweihe sowie weitere Maß- 70 % Hochstaudenflur nahmen) fortgeführt und soll nach Möglichkeit Schonung noch intensiviert werden. 60 % Grünland Weidelgras 50 % Eine hohe Anzahl der bereits genau lokalisierten Raps Luzerne Bruten im Getreide erzielt leider trotzdem keinen 40 % Hafer Bruterfolg, da sie – noch bevor Sicherungsmaß- 30 % Weizen nahmen erfolgt sind – Beutegreifern zum Opfer Triticale fallen. 20 % Winterroggen Winterweizen 10 % Wintergerste Die Gefährdungssituation der Wiesenweihe verschärft sich durch den zunehmenden Anbau von Feld- 0 % 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 früchten für die regenerative Energieerzeugung (Mais, Grünroggen und -gerste) und durch den weiteren Abb. 2: Neststandorte der Wiesenweihe in Niedersachsen Ausbau von Windkraftanlagen. Dies muss von den Natur- 2004-2012. – Nesting sites of Montagu’s Harrier in Lower schutzbehörden bei der Beurteilung und Genehmigung Saxony. von Planungen an den bekannten, traditionellen Wiesen- weihenstandorten in großräumigen funktionalen Zusam- deranstieg des Wiesenweihenbestandes und seit 2009 menhängen (Bruthabitat, Nahrungshabitat) berücksichtigt eine Stabilisierung auf rund 100 Brutpaare nachweisen. werden. Dennoch ist der Erhaltungszustand der Art als Brutvogel in Niedersachsen immer noch als ungünstig zu bewerten. Der Erfolg des Programmes hängt stark von vor Ort en- gagierten Ehrenamtlichen ab. Daher wirbt der NLWKN Aufgrund der deutlichen Präferenz von Getreide als Bru- für den weiteren Auf- bzw. Ausbau des ehrenamtlichen thabitat ist die Wiesenweihe existentiell auf einen Schutz Betreuernetzes. Interessenten zur Mitarbeit am Arten- vor dem Mähdrusch angewiesen. hilfsprogramm Wiesenweihe, werden herzlich gebeten, sich an den Autor zu wenden. Der Schutz der Nester durch Markierung oder Auszäunung eines engeren Nestbereichs schützt diese Bruten vor der Ohne die Begeisterung und unermüdliche Einsatzfreude landwirtschaftlichen Bewirtschaftung und die Wiesen- der Ehrenamtlichen bei der Erfassung und Betreuung der weihen-Betreuer sind in der Lage, den überwiegenden Wiesenweihen-Brutpaare wäre ihr Schutz in dieser in- tensiven Form überhaupt nicht möglich. Den Ehrenamt- 2,5 2,3 lichen gebührt daher ganz besonders Dank! 2,1 2 2 1,8 Heinrich Pegel, Staatliche Vogelschutzwarte im NLWKN,

1,5 Naturschutzstation Fehntjer Tief, Lübbertsfehner Strasse 1,5 1,4 1,4 1,4 1,4 1,3 36, D-26632 Ihlow, [email protected] sen.de 1 flügge juv/Brutpaarflügge 0,5 Zur Umsetzung der EU-Vogelschutzrichtlinie in Nie- 0 2003 2006 2009 2012 dersachsen: Inhalt, Ablauf, Ergebnisse im novellierten Berichtsystem Abb. 3: Entwicklung des Bruterfolges der Wiesenweihe in Niedersachsen (flügge Jungvögel/Brutpaar) – Develop- Artikel 12 der EU-Vogelschutzrichlinie (2009/147/EG) ment of the breeding success of Montagu’s Harrier in schreibt eine regelmäßige Berichterstattung über durch- Lower Saxony (fledged young/pair). geführte Maßnahmen seitens der Mitgliedsstaaten vor. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 301

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40 Höchst Prioritär Prioritär Ohne Priorität dass der Bericht fristgerecht bis Ende des Jahres an die 35 30 Arten 66 Arten 116 Arten 289 Maßnahmen 331 Maßnahmen 35 Maßnahmen EU-Kommission übermittelt werden kann.

30

25 Selbstverständlich soll diese Arbeit nicht nur eine Pflicht- übung bleiben, sondern auch für die Beantwortung na- 20 turschutzfachlicher Fragestellungen dienen. Exemplarisch 15 soll an dieser Stelle je ein Aspekt des maßnahmenbezo- Anzahl Maßnahmen Anzahl 10 genen Artenschutzes sowie der Schutzgebietsausweisung 5 kurz beleuchtet werden.

0 1 5 9 13 17 21 25 29 33 37 41 45 49 53 57 61 65 69 73 77 81 85 89 93 97 101 105 109 . .113 . 117 Das niedersächsische Umweltministerium bestimmte am Brutvogelarten 03.11.2008 per Erlass, dass der von der Staatlichen Vo- Abb. 1: Verteilung der 655 in Niedersachsen in den Jahren gelschutzwarte erarbeitete Prioritätenindex für die nie- 2008-2012 durchgeführten Erhaltungsmaßnahmen auf dersächsischen Brutvogelarten (KRÜGER & OLTMANNS 2008; die 212 niedersächsischen Brutvogelarten, gruppiert nach Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 40: 67-81) künftig von den Priorität entsprechend dem Erlass des niedersächsischen niedersächsischen Naturschutzbehörden bei der Durch- Umweltministeriums vom 03.11.2008. – Allocation of führung von Artenschutzmaßnahmen zu berücksichtigen 655 conservation measures (Lower Saxony, 2008-2012) sei. In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage, to the 212 breeding bird species in Lower Saxony, grou- inwieweit sich diese Prioritätensetzung in der Praxis ped according to priority as laid down by the ministry of durchgesetzt hat. Dazu wurden in Abb. 1 die 212 nie- the environment. dersächsischen Brutvogelarten zu drei Gruppen „Höchst Prioritär“, „Prioritär“ und „Keine Priorität“ gem. KRÜGER Im Jahr 2011 wurde diese Berichtspflicht deutlich erweitert & OLTMANNS (2008) zusammengefasst und innerhalb jeder und umfasst nun erstmals auch Angaben zur Bestandssi- Gruppe nach Anzahl der durchgeführten Maßnahmen tuation der europäischen Vogelarten. Das Bundesamt für absteigend sortiert. Sofort fällt auf, dass in den jeweiligen Naturschutz (BfN) arbeitet mit dem Dachverband Deutscher Gruppen keine Gleichverteilung der Maßnahmen auf die Avifaunisten (DDA) und den Staatlichen Vogel- schutzwarten der Länder gemeinsam an der Er- stellung dieses neuen Berichtes für die Jahre 2008 bis 2012. In Niedersachsen erfolgt dies durch die Staatliche Vogelschutzwarte im NLWKN in enger Abstimmung mit dem niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klima- schutz. Neben der Erhebung der in diesem Zeit- raum durchgeführten Maßnahmen bei den nie- dersächsischen Naturschutzbehörden und Forst- ämtern galt es, niedersachsenweite Flächen- stichproben zu 34 Arten zusammenzustellen, Bestandstrends zu 218 Arten zu bestimmen und die Brutvogelbestände aus den 71 EU-Vo- gelschutzgebieten aufzubereiten. Um diesen zusätzlichen Arbeitsaufwand leisten zu können, musste die Staatliche Vogelschutzwarte pha- senweise die Erledigung anderer Aufgaben zu- rückstellen. Am 11. April 2013 konnten diese Arbeiten dann mit dem Versand der erforderli- chen Informationen und Daten abgeschlossen Abb. 2: Brutvorkommen der Rohrdommel Botaurus stellaris in Nie- werden. Es folgten noch zwei fachliche Ab- dersachsen, unterschieden nach Beständen innerhalb (rot) und au- stimmungstreffen der Vogelschutzwarten mit ßerhalb (gelb) der EU-Vogelschutzgebiete (violett). – Breeding distri- BfN und DDA. Am 25.09.2013 fand dann die bution of Eurasian Bittern in Lower Saxony, differentiated according abschließende Bund-Länder-Konferenz statt, so to areas inside (red) or outside (yellow) special protection areas (purple). vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 302

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einzelnen Brutvogelarten erfolgte, sondern dass es in jeder Gruppe einige wenige Arten gibt, die Gegenstand besonders vieler Maßnahmen waren, während umgekehrt für einige Arten keine Maßnahmen durchgeführt wurden. Be- trachtet man das Verhältnis Maßnahmenanzahl zu Gruppengröße, so wird aber insgesamt deut- lich, dass die Schwerpunktsetzung bei der Durchführung von Artenschutzmaßnahmen ei- nen deutlichen Niederschlag gefunden hat. Die Gruppe der höchst prioritären Brutvogelarten weist mit 9,6 Maßnahmen/Art gegenüber der Gruppe der prioritären Arten mit 5,0 Maßnah- men/Art eine knapp zweifache Maßnahmen- dichte auf, während gleichzeitig die Maßnah- mendichte in der Gruppe der Arten ohne Priorität mit 0,3 Maßnahmen/Art vernachläs- sigbar gering ist.

Abb. 3.: Brutvorkommen der Uferschnepfe Limosa limosa in Nie- Neben der Durchführung von Erhaltungsmaß- dersachsen, unterschieden nach Beständen innerhalb (rot) und au- nahmen fordert die EU-Vogelschutzrichtlinie in ßerhalb (gelb) der EU-Vogelschutzgebiete (violett). – Breeding distri- Artikel 4 auch die Ausweisung von besonderen bution of Black-tailed Godwit in Lower Saxony, differentiated Schutzgebieten (BSG). Dem ist Niedersachsen according to areas inside (red) or outside (yellow) special protection mit 71 Gebieten nachgekommen. Anhand von areas (purple). drei ausgewählten Brutvogelarten soll ein knap- per Eindruck über die Bedeutung der BSG für den Vogelartenschutz gegeben werden. Dazu wurde zwischen Brutbeständen innerhalb und außerhalb der BSG unterschieden. Am Beispiel der Rohrdommel Botaurus stellaris (Abb. 2) wird deutlich, dass die BSG hier den Charakter eines letzten Refugiums und dementsprechend eine sehr hohe Bedeutung für diese Art haben. Bei der Uferschnepfe Limosa limosa (Abb. 3) sind die BSG ebenfalls Schwerpunktgebiete für die Art, die Vorkommen strahlen jedoch in die umgebenden Flächen aus. Das Beispiel Rotmilan Milvus milvus (Abb. 4) weist hingegen die BSG als Teil eines größeren Besiedlungsraumes aus, in dem insgesamt Schutzaspekte umzusetzen sind. Die BSG haben somit für die einzelnen Vogelarten eine unterschiedlich hohe Bedeutung, sind in jedem Fall aber ein unverzichtbarer Be- standteil der Schutzbemühungen um die nie- dersächsischen Vogelarten. Abb. 4: Brutvorkommen des Rotmilans Milvus milvus in Niedersach- Wolfgang Kaufmann, Staatliche Vogelschutz- sen, unterschieden nach Beständen innerhalb (rot) und außerhalb warte im NLWKN, Betriebsstelle Hannover-Hil- (gelb) der EU-Vogelschutzgebiete (violett). – Breeding distribution of desheim, Göttinger Chaussee 76 A, D-30453 Red Kite in Lower Saxony, differentiated according to areas inside Hannover, [email protected] (red) or outside (yellow) special protection areas (purple). dersachsen.de vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 303

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Schriftenschau

AVES – BRAUNSCHWEIG (2012): Mitteilungen der Avi- Über den avifaunistischen Bereich hinaus gehen Beschrei- faunistischen Arbeitsgemeinschaft Südostnieder- bungen von Naturschutzgebieten aus dem Arbeitsgebiet sachsen – AviSON im NABU-Landesverband Niedersachsen von AviSON (so des Viehmoores bei Leiferde von F. 3. Jahrgang. 59 S. Zahlr. farb. Fotos und Graphiken. Preusse in Band 4 oder der Naturschutzgebiete in der Bezug: Avifaunistische Arbeitsgemeinschaft Südostnie- Stadt Braunschweig von G. Brombach in Band 3). Kleinere dersachsen – AviSON. c/o W. Oldekop, Bergiusstr. 2, D- Arbeiten runden die informativen Hefte ab. 38116 Braunschweig, E-Mail: [email protected]. ISSN 2190-3808. 9,00 €. Peter Südbeck

AVES – BRAUNSCHWEIG (2013): Mitteilungen der Avi- faunistischen Arbeitsgemeinschaft Südostnieder- BAEHR, M. (2013): Welche Spinne ist das? Kosmos- sachsen – AviSON im NABU-Landesverband Niedersachsen Verlag Stuttgart. 144 S., 190 Farbfotos, 2150 SW-Fotos, 4. Jahrgang. 60 S. Zahlr. farb. Fotos und Graphiken. 2 Farb-Illustrationen, 10 SW-Illustrationen, brosch. ISBN Bezug: Avifaunistische Arbeitsgemeinschaft Südostnie- 978-3-440-13517-4. 14,99 €. dersachsen – AviSON. c/o G. Brombach, Heidelbergstr. 2, D-38112 Braunschweig, E-Mail: guenter.brombach@t- Dieses Buch ist ein handlicher Foto-Bestimmungsführer online.de. ISSN 2190-3808. 9,00 €. über die häufigsten heimischen Spinnenarten. Nach einem kurzen Einführungsteil mit Bestimmungshinweisen Diese beiden Bände der noch neuen Reihe AVES Braun- und biologischen Grundlagen über Spinnen (Nahrung, schweig setzen die wieder erstarkte avifaunistische Jagdverhalten, Netzbau etc.) werden die Spinnenarten Tradition aus dem braunschweiger Raum im Osten Nie- nach Großlebensräumen sortiert vorgestellt. Je Seite dersachsens fort. In hoher Stetigkeit und zeitnah wird werden zwei bis drei Arten nach einheitlichem Muster auf hohem Niveau die aktuelle Situation der braun- behandelt: Merkmale, Vorkommen (Habitate und teilweise schweiger Vogelwelt beleuchtet. Areal) und Wissenswertes aus Besiedlungsgeschichte, Biologie oder Verhalten. Für den Einsteiger liefert der Mit Band 4 wechselt die Schriftleitung von Prof. W. Band eine gute Übersicht und erleichtert die Bestimmung. Oldekop auf G. Brombach. Dies ist sicher auch ein Alle Arten werden so allerdings nicht bestimmbar sein, Zeichen für die Zukunft der Reihe in den kommenden da hier nur die häufigsten beschrieben sind. Aber dennoch: Jahren. W. Oldekops Verdienst ist es zweifellos, in schwie- gerade für den beginnenden Spinnenforscher ist das rigen Zeiten die avifaunistische Berichterstattung aus Buch gut geeignet, und Ornithologen tun gut daran, diesem wichtigen Raum gesichert, wiederbelebt und mo- Grundkenntnisse über diese wichtige Nahrungsgruppe dernisiert zu haben, dabei selber bescheiden und zu- der Vögel zu erwerben. rückhaltend geblieben, was angesichts größerer Schwie- rigkeiten im Umfeld sicher nicht immer einfach war. Peter Südbeck Dafür sind ihm Niedersachsens Avifaunisten zu Dank verpflichtet. W. Oldekop bleibt dem Redaktionsteam er- halten und ist auch als Autor in Band 4 vertreten. BELLMANN, H. (2013): Der Kosmos Libellenführer. Kos- mos-Verlag Stuttgart. 320 S., 211 Farbfotos, 155 Farb-Il- Die Hefte setzen inhaltlich die begonnenen Traditionen lustrationen, 30 SW-Illustrationen, brosch. ISBN 978-3- fort: Avifaunistischer Jahresbericht (verantwortlich H. 440-13516-7. 29,99 €. Schmidt), Auswertung von Beringungsdaten (B. Hermenau und S. Lüdtke zur Zwergschnepfe in Band 4) und Moni- Wer einmal einem Baumfalken bei der Libellenjagd toringprogrammen (W. Oldekop, K. Schulze und P. Velten: zusehen durfte, wird fasziniert sein von der dynamischen Auswertung der Wasservogelzählungen an den Riddags- Jagd, von der akrobatischen Technik der Falken, die häuser Teichen sowie den Braunschweiger Rieselfeldern). Flügel der Insekten in der Luft abzuknipsen und die Tiere G. Braemer liefert Teil 2 der Checkliste der Braunschweiger auch dort oben zu fressen, um sodann weiter zu jagen. Rieselfelder (Band 3) und J. Lehmhus ergänzt seine in Folgt man den herunterflatternden Flügeln, möchte man Band 2 begonnenen Arbeiten über Hybridenten. am liebsten sofort wissen, ob es nun Leucorrhinia dubia vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 304

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oder gar L. pectoralis, die mit dem gelben „Schlusslicht“, Liebe zum Objekt gearbeitet, was man dem Ergebnis dem gelben Fleck auf dem 7. Abdominalsegment war, wohltuend ansieht. die in diesem Moor und dessen Umgebung herumfliegt? Die Filme sind zurückhaltend und knapp besprochen, Der „neu“ aufgemachte und mit neuen Fotos und Zeich- was den Eindruck nicht stört, aber auch nicht immer er- nungen ausgestattete Feldführer zu den Libellen Mittel- forderlich ist. Deshalb kann man den Begleittext „weg- europas gibt darauf sicher eine Antwort, denn er verbindet klicken“, um sich vollends auf die Bilder und Vogelstimmen die Libellenbestimmung mit einer profunden Einordnung zu konzentrieren. in die Ökologie und Lebensweise der einzelnen Libellen- arten. Annähernd 100 Arten werden in Wort und Bild Das Begleitheft vertieft die Informationen zu den einzelnen vorgestellt, mit zumeist zwei Farbfotos je Art sowie Vogelarten und bringt insbesondere wichtige Hinweise einem Text, der sich in Kennzeichen, Flugzeit, Vorkommen, zur Bioakustik der Arten, so dass das Hauptthema des Larvenstadium und Lebensweise übersichtlich gliedert. Werkes auch hierbei qualitätsvoll unterfüttert wird. Zudem Für die Ermittlung der Arten ist zudem ein Bestimmungs- ist die Herkunft der Filmaufnahmen wiedergegeben, was schlüssel für Imagines und Larven enthalten, der die wichtig ist zur Beurteilung geographischer Variabilität Identifikation erheblich vereinfacht. und zur Einordnung eigener Erkenntnisse. Bei vielen Arten werden auch mehrere Unterarten oder gar Hybride Einleitende Kapitel informieren ausführlich über die gezeigt (z. B. Grünspecht, Grauspecht), so dass auch Biologie und die Lebensräume der Libellen in Mitteleuropa, echte Besonderheiten dokumentiert sind. so dass dieser Feldführer jeden an Libellen Interessierten umfassend bedient. Kann nur empfohlen werden! Insgesamt sind die DVDs ein Genuss für Auge und Ohr und eine sehr gute Möglichkeit, die Vögel ganz anders Peter Südbeck und sehr intim kennen zu lernen. Fernsehen (oder in den Computer schauen) ersetzt eine gute direkte Naturbeob- achtung natürlich nicht, das ist auch nicht beabsichtigt, BERGMANN, H.-H., & W. ENGLÄNDER (2012): Die große aber es erleichtert, einmal Dinge zu sehen, für die man Kosmos Vogelstimmen DVD. Kosmos-Verlag Stuttgart. im Gelände sehr lange „anstehen“ muss. Im einleitenden Schuber mit 2 DVD (je 110 Vogelarten DVD 1: Singvögel, Text werden diese enormen Zeiten augenzwinkernd (und DVD 2: Nicht-Singvögel) und Begleitheft 184 S. von H.- im Nachhinein) angesprochen. Das Ergebnis lohnt sich H. Bergmann mit 220 Zeichnungen von P. Dougalis. ISBN allemal. 978-3-440-12615-8. 49,99 €. Peter Südbeck Nach Vorläufer-Projekten stellen H.-H. Bergmann und W. Engländer hier nun einen großartigen Vogelführer mit Filmaufnahmen und Originalstimmen europäischer Vo- GERSTMEIER, R. (2013): Welcher Schmetterling ist das? gelarten vor. Dies ist eine ganz andere und gegenüber Kosmos-Verlag Stuttgart. 224 S. 250 Farbfotos, 200 der bisher möglichen Art und Weise, Gesehenes nachzu- Farbzeichnungen, brosch. ISBN 978-3-440-13514-3. arbeiten, völlig neue Form, die Vögel kennenzulernen. 14,99 €. Eine ideale Ergänzung zur Vogel-Exkursion als Vor- und Nachbereitung – zudem ein weiterer Ausweis über die Mit diesem Bestimmungsbuch über die (häufigeren) Schönheit, Vielfalt und Besonderheit heimischer Vögel. Schmetterlingsarten Deutschlands und Europas (mit einigen Ergänzungen) legt R. Gerstmeier, Tierökologe an Die Filmsequenzen sind jeweils etwa eine Minute lang, der Universität München, ein leicht handhabbares Be- beleuchten zunächst den Lebensraum und geben dann stimmungsbuch für diese wichtige Insektengruppe vor. Zeit, den singenden oder rufenden Vogel eingehend zu beobachten. Dabei ist der balzende oder singende Vogel Die Artbearbeitungen konzentrieren sich zunächst auf das wichtigste Ziel, die Rufe am Nest oder in anderen Zu- ein großformatiges Foto (halbseitig), welches in der Regel sammenhängen spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle. einen guten Eindruck vom Habitus der Art gibt. Der Die Aufnahmen bestechen durch hohe Qualität und Textteil gliedert sich in einen einleitenden Text mit auch Authentizität, da ist nichts „hingefilmt“, die Filme Hinweisen auf die Futterpflanzen, der Fortpflanzungs- sprechen die Sprache der Natur. Hier wurde mit viel biologie oder der tages-/jahreszeitlichen Aktivität. Zudem vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 305

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gibt es immer kurze knappe Aussagen zu „Merkmale“, Für einen günstigen Preis erhalten alle Säugetierfreunde „Vorkommen“ (Habitat) und „Verbreitung“. Am linken somit ein kleines Handbuch, aber vor allem die vielen Seitenrand wird unter der Merkrubrik „typisch“ eine Greifvogel- und Eulenkenner eine gute Grundlage für Zeichnung/Skizze aus anderer Perspektive oder von der die Beurteilung der Nahrungswahl „ihrer“ Vogelgruppe. Raupe der Art abgebildet und es werden Informationen Sehr zu empfehlen! zu Größe und Phänologie skizziert. Peter Südbeck Die Arten sind nach Großgruppen (Familien o. ä.) farblich gegliedert, was die Grobeinordnung erleichtert. GRÜNEBERG, C., S. R. SUDMANN, J. WEISS, M. JÖBGES, H. Insgesamt ein handliches, leicht nutzbares Bestimmungs- KÖNIG, V. LASKE, M. SCHMITZ & A. SKIBBE (2013): Die Brut- buch, welches allerdings nicht alle vorkommenden Arten vögel Nordrhein-Westfalens. NWO & LANUV (Hrsg.), umfassen kann. Dafür ist es etwas überschaubarer und LWL-Museum für Naturkunde. Münster. 480 S., zahlr. auch preiswerter. Als Einstieg gerade für Vogelkundler, Karten, Grafiken und Fotos. Hardcover. Bezug: LWL-Mu- die sich um die Nahrung „ihrer“ Vögel kümmern, allemal seum für Naturkunde, Westfälisches Landesmuseum mit lohnend. Planetarium, Sentruper Straße 285, D-48161 Münster, [email protected]. ISBN 978-3- Peter Südbeck 940726-24-7. 24,90 €.

In der Reihe der Länderatlanten zu den Brutvögeln GRIMMBERGER, E. (2014): Die Säugetiere Deutschlands. Deutschlands, die im Rahmen der bundesweiten ADE- Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim. 562 S., 1075 farb. BAR-Kartierungen vorgelegt werden, erscheint hier eine Abb., 39 Karten, geb. ISBN 978-3-494-01539-2, 24,95 €. echte Premiere: Mit den „Brutvögeln Nordrhein-Westfa- lens“ wird der erste landesweite Atlas für unser Nach- Endlich ein übersichtliches und griffiges Buch über alle barland publiziert (die bisherigen Aktivitäten waren jeweils Säugetierarten in Deutschland! Damit schließt sich eine auf die Landesteile Westfalen und Rheinland bezogen). wichtige Lücke im Bücherschrank der Feldbestimmer und Hierzu und zum Ergebnis kann man den Avifaunisten Naturinteressierten. Das Buch gibt konzise Auskunft über Nordrhein-Westfalens nur gratulieren, es ist ein toller diese wichtige Gruppe heimischer Biodiversität. Es stellt Atlas geworden! alle jemals in Deutschland nachgewiesenen Arten vor, ergänzt um sog. Irrgäste, potenzielle Zuwanderer, Hal- Gleich mit der Aufmachung fängt es gut an: ein fester tungsflüchtlinge (z. B. Berberaffe oder Goldhamster) Einband und der Titel ist durch eine Zeichnung von C. sowie Landschaftspfleger wie Heckrinder, Konik-Pferde Schmidt angenehm gestaltet. Die Aufmachung und das oder Gotlandschafe. Lediglich die marinen Säuger werden Layout im Inneren sind modern und gut gelungen, etwas knapper behandelt. Jede Art wird in meist mehreren ebenso die Qualität der Fotos, lediglich die Farbunterschiede Fotos portraitiert, wobei die Fotos auch Skelettmerkmale, in den „Veränderungskarten“ sind für den Rez. schwer Spuren oder spezifische Verhaltensmuster widerspiegeln. differenzierbar gewesen. Der Text gliedert sich in die Beschreibung und Artkenn- zeichen und gibt Hinweise zu ähnlichen Arten. Dann Der Atlas stellt das Kartierergebnis der landesweiten ADE- folgen Ausführungen zur Verbreitung, zum Lebensraum BAR-Erfassungen dar, differenziert nach TK 25-Vierteln und zur Biologie der Art. Aspekte des Schutzes und Be- und damit dem Standard, der auch in Niedersachsen merkungen schließen die Artabhandlungen ab. Je Art (und vielen anderen Bundesländern) angewandt wurde. werden zwischen zwei und sieben Seiten verwandt. Dabei weist das Land eine sehr hohe Bearbeitungsdichte auf, nur wenige Bereiche im Münsterland blieben unbe- Das Buch ermöglicht die Bestimmung und Identifikation arbeitet und mussten „recherchiert“ werden. Mit über aller Säugetierarten Deutschlands und informiert umfas- 46.000 Stunden ehrenamtlicher Erfassungs- und Aus- send. Es ist kein Bestimmungsschlüssel im klassischen wertungstätigkeit gelang damit ein Meisterstück ornitho- Sinne, gibt aber je Art alle relevanten Informationen und logischer Arbeit innerhalb Deutschlands. Denkt man dabei erlaubt den Vergleich mit ähnlichen. Auch Skelettmerkmale nur einmal an einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 werden beschrieben und im Bild dargestellt. € je Stunde, dann ist hier auch volkswirtschaftlich etwas Großes gelungen. Atlanten dieser Art sind Grundlage vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 306

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und Basis für einen modernen zukunftsweisenden Natur- karten für die Arten der Laub-/Nadelwälder, des Grünlandes schutz, was schließlich eine gesamtstaatliche Aufgabe ist. usw.). Ein weiterer Auswertungsansatz bewertet die Ver- änderungen der Brutvogelbestände nach Großlebens- Kernstück des Atlas ist – wie immer – die Beschreibung räumen im Vergleich der bisherigen Atlaskartierungen. der einzelnen Arten. Zwei Seiten werden dafür jeweils Hier wird in Karten aufgezeigt, wo die Arten des Grün- aufgewandt, davon eine Seite Text (Kapitel Verbreitung, landes (oder der anderen Lebensräume) in NRW besonders Lebensraum, Bestandsentwicklung, Gefährdung und zurückgehen oder zunehmen. Aus diesen Vergleichen Schutz) mit Foto, die andere Seite zeigt die aktuelle Ver- lassen sich die Regionen herausfiltern, für die besondere breitungskarte sowie eine „Veränderungskarte“, die die lebensraumbezogene Schutzmaßnahmen angezeigt Arealveränderung gegenüber den vorherigen Kartierungen und/oder erforderlich sind (in der Agrarlandschaft, bei in Westfalen bzw. Rheinland widerspiegelt (vgl. die den Wäldern oder im Siedlungsbereich z. B. auffällig im Atlanten der NWO 2002, WINK 1987, WINK et al. 2005). Münsterland mit dessen intensiver Landwirtschaft). Sehr Zusätzlich wird auf dieser Seite der Brutbestand, die Ras- eindrucksvoll ist auch die Karte der Neozoen im Land terfrequenz, die Verteilung der Häufigkeiten je Rasterfeld (immerhin 20 Arten), mit Schwerpunkten entlang des sowie der Trend übersichtlich angegeben. Für viele Arten Rheins. Die Vorkapitel abschließend ist eine Übersicht ist zusätzlich eine Trendgrafik, je nach Datenmaterial als zum Vogelschutz im Land angefügt, geschrieben von Indexkurve oder als klassische Bestandsentwicklung bei den Kollegen der Staatlichen Vogelschutzwarte. Es selteneren Arten, ergänzt. Die häufigen Arten werden – bilanziert die rechtliche Situation und gibt einen Überblick im Unterschied zu vielen anderen Atlaswerken dieser Pe- zu den aktuellen Gefährdungsursachen und priorisiert riode – fast genauso behandelt wie die übrigen Arten die Maßnahmenerfordernisse entlang der Roten Liste auch: es gibt eine quadrantenbasierte Häufigkeitskarte, bzw. der Verantwortlichkeit Nordrhein-Westfalens innerhalb die direkt mit allen anderen Arten vergleichbare Infor- Deutschland und darüber hinaus. Insgesamt wird ein in- mationen bereithält, sowie eine aus Landschaftsinforma- teressanter und datenbasierter Überblick über die aktuelle tionen und der ökologischen Flächenstichprobe (s. u.) Lage der Brutvögel im Nachbarland geschaffen, eine berechnete Modellkarte mit Siedlungsdichtedaten. Dieser Fundgrube für Vergleiche und eine hervorragende Be- Unterschied in der Darstellung macht auch Sinn, da etwa wertungsgrundlage. die Kohlmeise in den 1990er Jahren genauso 100 % der Quadranten besiedelt haben dürfte wie derzeit. Die zu- Die Erarbeitung dieser Grundlagen hat in Nordrhein- sätzliche Information ist dagegen wertvoll, macht sie z. Westfalen besonderer Anstrengungen bedurft, da mit B. sichtbar, dass die Hotspots der Kohlmeise in Nord- der Verschmelzung der Daten aus zwei Vorläufer-Regionen rhein-Westfalen die städtischen Ballungsräume sind (Ruhr- (Rheinland und Westfalen) auch unterschiedliche Daten- gebiet, Rheinschiene, Ostwestfalen u. a.). formate und Erfassungsmethodiken umgesetzt waren. Diese waren hier zu verknüpfen, was mitunter die Les- Insgesamt werden 194 Brutvogelarten behandelt, damit barkeit der Karten erschwert, insgesamt aber gut gelöst ist dieses Bundesland bei der Rangfolge der Brutvogelarten erscheint (alte Rheinlandkartierung auf Messtischblattni- auf Rang sechs (diese Liste führt Niedersachsen an!). veau, unterschiedliche Erfassungsjahrgänge etc.). Man muss dies im Hinterkopf haben, will man einige Ergebnisse Die einleitenden Kapitel stellen uns das Land Nordrhein- interpretieren. Der Text weist aber auch an verschiedenen Westfalen übersichtlich und textlich als Vogellebensraum Stellen hierauf deutlich hin. Hinzu kommt – und das gibt vor (ein Einlegeblatt mit den Großlebensräumen, den es in Deutschland nur hier –, dass für die Grundlage der naturräumlichen Bezeichnungen, Landkreisen und dem Karten der häufigen Arten und für deren Trendberech- Rastergitter heißt auch „Vogel-Land Nordrhein-Westfalen“), nungen Daten aus den Ergebnissen der mittlerweile lang- beleuchten die methodischen Aspekte der Atlasentstehung jährigen Untersuchungen der Ökologischen Flächenstich- sehr transparent und umfassend und geben einen probe (ÖFS) herangezogen werden konnten. Die Methodik Überblick über die landesweiten Erfassungsergebnisse. der ÖFS-Flächen entspricht zwar nicht genau der des Hierin werden die wichtigsten Räume für Vögel in Nord- DDA-Monitorings häufiger Arten in Deutschland (Revier- rhein-Westfalen kenntlich, es wird ersichtlich, wo die ge- kartierung statt Linienkartierung, keine alljährliche Erfas- fährdeten Arten ihren Schwerpunkt haben (eindeutig sung), dennoch haben die Autoren es hier geschafft, die am Rande des Landes sowie entlang des Rheins und der Datenreihen zu verknüpfen und konsistent Trendreihen Börde), und es werden die Brutvögel in „Gilden“ eingeteilt für diese Arten zumeist seit 1994 zu errechnen. Hier und deren Verbreitung kumulativ gezeigt (Schwerpunkt- wurden dann altes und neues DDA-Monitoringprogramm vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 307

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häufiger Arten (Revierkartierung, Punkt-Stopp-Zählung Bd. 41: 132) gibt es noch ein etwas ausführlicheres Buch und Linienkartierung) mit den Untersuchungen zur Öko- von T. Mebs (s. unten), so dass mit dem hier rezensierten logischen Flächenstichprobe (Revierkartierung) miteinander drei ähnliche Werke in demselben Verlag publiziert sind. verrechnet, das ist nicht trivial und bei der Interpretation Greifvögel und Eulen sind eben besonders attraktiv, was sollte man Vorsicht walten lassen. auch hieran abgelesen werden mag. F. Heintzenberg, aus Deutschland stammender, heute in Schweden lebender Was zeichnet nun die Avifauna Nordrhein-Westfalens Ornithologe und Fotograf , hat diesen Band ausschließlich aus und was sind die wichtigsten Veränderungen, die in mit z. T. bestechenden Fotos (z. B. jagende Sumpfohreule) diesem Atlas erkennbar werden? Wunderbar ist z. B. das ausgestaltet, die alle Arten Europas umfassen. Die Fotos Verbreitungsbild des Steinkauzes, des nordrhein-westfä- zeigen die einzelnen Arten bei sehr unterschiedlichen lischen Vogels überhaupt: in allen niedrig gelegenen Verhaltensweisen und bieten somit neben Bestimmungs- Landesteilen verbreitet, über 5.000 Reviere und mit zu- aspekten immer auch Einblick in Habitat und/oder Biologie nehmendem Trend! Dieses Ergebnis ist angesichts der der Arten. dramatischen Veränderungen im Agrarraum sehr über- raschend, zeigt aber doch auch die positiven Wirkungen Der Text ist etwas knapper als der von Mebs gehalten, intensiven Artenschutzes. Erschütternd sind die bereits bezieht dabei die Bestandsverhältnisse in Europa oder auf der Arealebene kenntlichen Verbreitungslücken der Deutschland nur grob mit ein. Je Art werden in einem Langstreckenzieher: Baumpieper, Waldlaubsänger, Feld- übergreifenden Kapitel interessante Informationen unter schwirl als Beispiel. Aber auch sehr heterogen und schwer der jeweiligen Rubrik „Wissenswertes“ zusammengefasst, zu erklärende Daten zeigen sich etwa im Muster des die Brutbiologie, Nahrung, biologische Besonderheiten, Trauerschnäppers. Klimabedingte Änderungen mit Are- Schutzaspekte oder Beziehungen zu uns Menschen be- alrückzügen entlang von Gradienten zeigen sich bei leuchten. Gerade letztere (z. B. bei Steinkauz oder Girlitz oder Rotmilan, volle Etablierung beim Grünspecht. Habicht) sind wohltuend ergänzend. Der Text umfasst Es sind solche Informationen, die die Veränderungen der zudem immer die Kapitel „Kennzeichen“ und „Verbreitung Avifauna in Raum und Zeit in diesen Atlaswerken so und Lebensraum“. Die Texte sind flüssig geschrieben spannend und interessant, teils bedrückend, in jedem und vermitteln einen schnellen Einblick in die einzelnen Fall aber wichtig werden lassen. Und es sind die Überra- Arten. Nicht immer sind die Konsequenzen und Schluss- schungen, die man beim Lesen oder Schmökern mitbe- folgerungen jedoch nachvollziehbar oder richtig (so z. B. kommt: hat doch tatsächlich die Zwergohreule ein Revier zum Bestandsanstieg der Wiesenweihe in Deutschland besetzt und die Zippammer “krabbelt“ von Südosten in oder den Schutzmaßnahmen beim Fischadler). unser Nachbarland ein.– kann sie auch zu uns kommen, mag man sich fragen. Insgesamt ein schönes, handliches und preisgünstiges Greifvogel- und Eulenbuch für jeden Freund dieser Vo- Der großen Zahl der Autoren, Fotografen, Unterstützern gelgruppen. Sponsoren und natürlich den vielen Kartiererinnen und Kartierern ist ein tolles Gemeinschaftswerk gelungen, Peter Südbeck das in Inhalt, Aufmachung und Ergebnispräsentation zu den besten gehört, die bislang als ADEBAR-Bundesland- atlanten erschienen sind. LIMBRUNNER, A., E. BEZZEL, K. RICHARZ & D. SINGER (2013): Peter Südbeck Enzyklopädie der Brutvögel Europas. Über 420 Arten in mehr als 1600 Farbfotos. Sonderausgabe. Kosmos- Verlag Stuttgart. 860 S., 1610 Farbfotos, geb. ISBN 978- HEINTZENBERG, F. (2013): Greifvögel und Eulen. Alle Arten 3-440-13863-2. 39,99 €. Europas. 2. Aufl., Kosmos-Verlag Stuttgart. 252 S., 260 Farbfotos, laminiert. ISBN 978-3-440-13949-3. 16,99 €. Die Genese dieser Sonderausgabe ist nicht ganz einfach zu verstehen: 1980 legten M. Pforr und A. Limbrunner Bereits in zweiter Auflage wird dieses Greifvogel- und erstmalig den Ornithologischen Bildatlas der Brutvögel Eulenbuch vom Kosmos-Verlag herausgegeben. Neben Europas in zwei Bänden vor. Diese Bände wurden dann den „großen“ Bänden von Mebs & Schmidt bzw. Mebs 2001 in ebenfalls zwei Bänden als „Enzyklopädie der & Scherzinger (s. dazu Besprechung in dieser Zeitschrift Brutvögel Europas“ von diesem Autorenquartett heraus- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 308

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gebracht, daraus wurde 2007 ein Sonderband erstellt, MEBS, T. (2012): Greifvögel Europas. Alle Arten Euro - und der wird hier leicht aktualisiert erneut publiziert. pas, Biologie und Bestände. 4. Aufl., Kosmos-Verlag Stuttgart. 256 S., 168 Farbfotos, 122 (Farb-)Abb., geb. Ziel des Buches ist die bildliche Dokumentation aller eu- ISBN 978-3-440-13177-0. 29,99, €. ropäischen Brutvögel (excl. einiger Arten der Kanarischen Inseln sowie von Kleinstvorkommen). Dies erfolgt jeweils Alle Greifvogelarten Europas in einem Band. Der Longseller auf einer Doppelseite mit 4 Farbfotos sowie einem jetzt komplett neu. So preist der Kosmos-Verlag die Neu- Fließtext incl. Verbreitungskarte und Infobox über die auflage des Klassikers über die Greifvögel Europas an. wichtigsten Daten. Seit 1964 legt Theodor Mebs, langjähriger Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte Nordrhein-Westfalen, immer Die Fotos stellen den Kern des Buches dar und die Anein - wieder Neuauflagen und Überarbeitungen mit neu bear- anderreihung aller europäischen Arten im Bild macht beiteten Texten, Abbildungen und Fotos vor. Für die vielen auch den Reiz aus, stellen sie doch lebhafte Dokumente Greifvogelliebhaber unter den Ornithologen, Vogelschüt- europäischer Biodiversität dar. Auch wenn die Fotos gut, zern, aber auch den Falknern, ist das Buch zu Recht aber nicht überragend sind und somit die heutigen Stan- beliebt, gibt es doch einen guten Überblick über die dards nicht übertreffen, wird dieses Ziel einer Übersicht Biologie aller 39 europäischen Greifvogelarten, aber auch über (fast) alle Arten erreicht. Die vielen Nestfotos sind zu Vorkommen und Bestandsgrößen in Europa mit einem gewöhnungsbedürftig und nach Ansicht des Rez. auch für ein solches Buch sehr aktuellen Stand im Jahre 2010! nicht erforderlich. Ihre – sicherlich oft zweifelhafte Her- Eine abschließende artspezifische Literaturliste gibt je Art stellung – wird zwar thematisiert, aber mit dem Argument, einen Einblick in neu erschienenes Greifvogelschrifttum. es seien „alte“ Fotos mit dokumentarischem Charakter „trotzdem“ gedruckt. Hier kann man mit guten Gründen Einleitende Kapitel behandeln die Lebensform „Greifvogel“ anderer Meinung sein. und geben einen Einblick in Schutzmaßnahmen für Greif- vögel. Hier findet sich die ursprüngliche Motivation des Die Texte sind flüssig geschrieben und beleuchten die Buches, auch Informationen für bzw. über die Falknerei einzelnen Arten nach Biologie, Kennzeichen, Habitat, zu verbreiten, zeitgemäß nicht mehr wider. Am Ende des Vorkommen, Bestandtrends und Zug. Schwerpunkte wer- Buches komplettiert eine Liste der Bestandsgrößen der den dabei artspezifisch unterschiedlich gesetzt. Greifvogelarten in den Ländern Mitteleuropas (in Deutsch- land auch der Bundesländer) dieses Buch, auch das eine Ein einleitender Text stellt das biologische Modell „Vogel“ wichtige aktuelle Zusammenstellung. vor und gibt eine Fülle von Informationen und Hinweisen zur Ornithologie sowie zu Vogelbeobachtung und Vo- Das Buch ist durchgängig mit zum Teil hervorragenden gelschutz. Es wird sogar eine landespezifische Liste von Fotos ausgestattet, eine hohe Anzahl Nestfotos wirft al- guten Beobachtungsorten bis hin zu den Kanarischen lerdings die Frage auf, ob dies mit dem Schutzanspruch Inseln oder der Türkei gegeben. Hierbei sind naturgemäß für Greifvögel, der ebenfalls im Buch stark verankert ist, nicht mehr alle Informationen taufrisch, sondern haben stimmig ist. einen älteren Stand, wenngleich auch einige neuere und neueste Literatur (allerdings nur aus demselben Verlag!) Insgesamt ein lohnendes Werk über alle Greifvögel aufgeführt wird. Europas.

Für denjenigen, der Überblickswissen gepaart mit einer Peter Südbeck bildlichen Übersicht über die Formenvielfalt europäischer Brutvögel sucht, hat hier sicherlich einen sehr guten Rat- geber, der von versierten Fachleuten geschrieben wurde. MIKKOLA, H. (2013): Handbuch der Eulen der Welt. Nicht ohne Grund findet der Verlag immer neue Formen Kosmos-Verlag Stuttgart. 544 S., 750 Farbfotos, geb. der Herausgabe, dokumentiert dies doch auch den Ver- ISBN 978-3-440-13275-3. 49,99 €. kaufserfolg. Dieses Handbuch stellt alle derzeit bekannten und als ei- Peter Südbeck genständige Arten akzeptierten Eulenarten der Welt im Portrait vor. Es ist die deutsche Ausgabe der im Vorjahr im englischen Helm-Verlag erschienen Originalausgabe, vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 309

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die von den Gebrüdern Dierschke überzeugend übersetzt Den Wert des Buches schmälert dies zunächst für all die wurde. nicht, die sich an der Vielfalt der Eulenarten der Welt er- freuen möchten, die den Überblick und die Formenfülle Eulen haben viele Freunde unter den Ornithologen, sie lieben. Eulenfreunde kommen hier auf ihre Kosten. sind geachtet, manchmal verachtet, beliebt, attraktiv, und sie faszinieren. Vielleicht weil sie nachts aktiv sind, Peter Südbeck weil sie den Menschen nahe kommen, sich ihnen aber doch weitgehend entziehen. Auch Eulenfreunde sind manchmal ein gar eigener Club. MULLARNEY, K., D. ZETTERSTRÖM & L. SVENSSON (2012): Der Kosmos Vogelführer. Große Ausgabe. Alle Arten Eine ausführliche Einführung in die Biologie der Eulen Europas, Nordafrikas und Vorderasiens. Kosmos- gibt viele Hinweise, warum die Eulen ein nachtaktives Verlag Stuttgart. 444 S. Über 4.000 Illustrationen, über Leben bewältigen, welche Anpassungen in der Morpho- 500 Verbreitungskarten, geb. ISBN 978-3-440-13461-0. logie, der Sinnesphysiologie oder bei Verhalten und 99,99 €. Stimme Eulen geschafft haben. Der Kosmos-Vogelführer von Lars Svensson und Co-Au- Den Hauptteil des Buches macht das Kompendium über toren, der für viele Feldornithologen seit Jahren zum alle Eulenarten der Welt aus, die in oft beeindruckenden wichtigsten Inventar des Exkursionsrucksacks gehört und Fotos sowie einer Verbreitungskarte und einem knappen der – gemeinsam mit dem vom Ansatz her ähnlichen Text vorgestellt werden. Je Art werden 1-4 Seiten verwandt, Buch von L. Jonsson – die Vogelbestimmung in Europa vor allem die Anzahl der Fotos variiert dabei. Schwerpunkte meilenweit vorangebracht hat, wird hier in einer Pracht- der Artbeschreibungen sind die Kennzeichen und Merkmale ausgabe im Din A 4-Format publiziert. Alle, denen die der einzelnen Arten, die auch als geografische Unterschiede vielen Zeichnungen, dem Feldführerformat geschuldet, sowie in Bezügen zu ähnlichen Arten herausgestellt wer- bisher zu klein vorkamen und denen all´ die Details in den. Stimme, Nahrung, Lebensraum und Verbreitung den phantastischen Kunstwerken nicht ausreichend groß werden jeweils kurz und knapp, aber informativ zusam- und offenkundig erschienen, haben hier nun dasselbe mengestellt. So entsteht für jede Eulenart ein klarer Werk im Großformat zum Nachschauen zu Hause, aber Überblick, der die Eulenvielfalt lebendig werden lässt, auch zum Nur-Genießen und Betrachten einmalig schöner aber auch ein guter Einstieg in vertiefte Studien sein Vogel-Illustrationen von K. Mullarney und D. Zetterström. kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch aufgrund L. Svensson brachte hier den Textteil ein, den P. H. Barthel der oft verborgenen Lebensweise der Eulen vieles über gekonnt ins Deutsche übersetzte. die einzelnen Arten nicht bekannt ist und daher notge- drungen auch spekuliert und aus anderen Informationen Das Buch ist die unveränderte Großausgabe der zweiten hergeleitet werden muss. Gerade unter Schutzaspekten Auflage den o. g. Feldführers aus dem Jahr 2011. ist dieses Vorgehen aber wohl zwingend erforderlich und nicht zu kritisieren. Freunde der Vogelbestimmung, der Liebe zum Detail im Federkleid, aber auch solche, die auf der Suche nach Als Handbuch in einem Band konzipiert ist dies keine dem geeigneten Bestimmungsmerkmal sind, finden hier Ansammlung von Monografien. Das bedeutet auch, dass eine wahre Fundgrube, denn jede Art wird in vielen ein- der Autor die Quellen nicht im einzelnen wiedergibt, zelnen Bildern, Alters- und Geschlechtskleidern vorgestellt. sondern im Literaturverzeichnis nur auf allgemeine und Die Abbildungen haben Hinweisstriche auf besondere übergreifende Bücher verweist, bei speziellen Fragen In- artdiagnostische Merkmale, die im Text präzise und klar teressierte jedoch an sich selbst verweist und das Fehlen beschrieben werden. eines vollständigen Literaturverzeichnisses mit dem er- forderlichen Platz von ca. 150 Seiten begründet. Dies ist Für alle Vogelbestimmer ein Freund im heimischen Bü- wohl der Preis für den enormen Wissenszuwachs in den cherschrank und eine Quelle der Vogel-Freude. vergangenen Jahren und Jahrzehnten und dem gestiegenen öffentlichen und ökonomischen Interesse an Vogelbüchern. Peter Südbeck Sicher hätte man aber auch eine „saubere“ Zitatesammlung in Form von digitalem Zusatzmaterial z. B. auf der Ver- lagshomepage zugänglich machen können. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 310

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MUUS, B. J., & J. G. NIELSEN (2013): Die Meeresfische Interessierten nicht immer erforderlich erscheint, da es Euro pas. Kosmos-Verlag Stuttgart. 340 S., 500 Farb-Il- doch den Nutzungsaspekt stark hervorhebt. Aber gerade lustrationen, 78 SW-Abb., laminiert. ISBN 978-3-440- die Fischereiausübung bringt oft erst den Zugang zu den 13515-0. 29,99 €. einzelnen Arten, so dass auch der Naturkundliche die Dienste der Fischerei nutzt. Fischereifragen werden zum Fische und insbesondere Meeresfische sind dem normalen Schluss des Buches auch geschichtlich und technisch be- Naturbeobachter nicht einfach zugänglich, sie werden schrieben. Dies verwundert nicht, arbeiten die Autoren kaum gesehen und sind dann oft nicht bekannt. Dabei doch am dänischen Fischereiforschungsinstitut und re- spielen Fische eine ökologisch wie ökonomisch überaus präsentieren somit auch die Nutzung der Fische. bedeutende Rolle, und Fischereifragen sind ein zentrales Thema im weltweiten Meeresnaturschutz. Insgesamt liefert das Buch eine sehr gute Übersicht über die Fischfauna der Nordsee, jeder erhält in leicht ver- Eine große Zahl der heimischen See- und Küstenvögel ständlicher Form eine gute Möglichkeit, Fischarten der sind Fischfresser und in ihrer Bestandsdynamik von Nordsee zu identifizieren und kann sich über die wichtigsten intakten Nahrungstierpopulationen abhängig. So wird Aspekte der Biologie der einzelnen Arten informieren. die Dynamik der Sandaalbestände für die stark fluktuie- renden Populationen etwa von Dreizehenmöwe oder Peter Südbeck Brandseeschwalbe (mit) herangezogen. Ein tieferes Ver- ständnis dieser Beziehungen fängt jedoch mit der Kenntnis der einzelnen Arten an, und sei es auch nur an den Ver- NATURSCHUTZBUND DEUTSCHLAND (NABU), KREISVERBAND CUX- kaufstresen oder den Fängen im nächsten Fischereiha- HAVEN-BREMERHAVEN (2012): Ornithologischer Jahresbe- fen. richt 2008 für den Landkreis Cuxhaven und Bremer- haven. 43 S. Cuxhaven. Bezug: NABU-Kreisverband, Das vorliegende Buch ist die deutsche Ausgabe eines dä- Spiekaer Kirchweg 2a, D-27637 Nordholz. nischen Bestimmungsbuches mit Erstauflage aus dem Jahr 1998. Es stellt in sehr anschaulicher Form die häu- NATURSCHUTZBUND DEUTSCHLAND (NABU), KREISVERBAND CUX- figsten Fischarten (sowie einige Krebse und Tintenfische) HAVEN-BREMERHAVEN (2012): Ornithologischer Jahresbe- der Nordsee vor, insgesamt werden 273 Arten behan- richt 2009 für den Landkreis Cuxhaven und Bremer- delt. haven. 47 S. Cuxhaven. Bezug: NABU-Kreisverband, Spiekaer Kirchweg 2a, D-27637 Nordholz. Nach einer knappen Einführung in die Fisch-Biologie wird jede Art zeichnerisch dargestellt und im Text be- Hier werden bereits der elfte und zwölfte Jahresbericht schrieben. Kurze Bestimmungsschlüssel durchziehen das in Folge aus dieser für die Avifauna Niedersachsens sehr gesamte Buch und lassen die Art-Identität einfacher er- wichtigen Region zwischen Elbe und Weser durch J. mitteln. Die Länge des Textes ist jeweils sehr unterschiedlich, Wildberger und H.-J. Ropers herausgegeben. Die hohe je nach ökologischer und ökonomischer Bedeutung. avifaunistische Bearbeitungsdichte wird erneut sichtbar. Neben den Kennzeichen und Bestimmungsmerkmalen Insgesamt wurden im Jahr 2008 251 und 2009 252 Vo- werden die Lebenszyklen und biologischen Besonderheiten gelarten im Berichtsgebiet beobachtet, insgesamt werten hervorgehoben. Eine Verbreitungskarte zeigt die Vor- die Hefte jeweils über 13.000 Datensätze aus. kommen an, bei vielen Arten werden zusätzliche Zeich- nungen gebracht, z. B. Jungfischstadien oder Habitatbilder. Von selteneren Arten sind hier Purpurreiher- und Spros- Hervorzuheben ist ferner, dass häufig auch die Nah- ser-Nachweise für 2008 zu erwähnen, in 2009 fallen Te- rungsorganismen bildlich skizziert werden, wodurch kom- rekwasserläufer und Prachteiderente besonders auf. Aus primierte Informationen zu den einzelnen Arten in sehr der Normallandschaft werden Revierdichte-Angaben u. anschaulicher Form dargeboten werden. a. der Feldlerche dokumentiert, und es wird auf das völlige Fehlen von Girlitz und Turteltaube verwiesen. Neben der naturkundlichen und biologischen Relevanz spricht das Buch auch Fischereifragen an. Es werden Wie immer sind diese Hefte eine Bereicherung für das Fanggeschirr, Fanggerät oder Vermarktungsweisen sym- avifaunistische Datenmaterial in Niedersachsen! bolisiert. Hierdurch soll das Buch sicherlich einem erwei- terten Absatzmarkt zugeführt werden, was für den Natur Peter Südbeck vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 311

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NILL, D., & B. ZIEGLER (2013): Tiere der Nacht. Kosmos- ist gut lesbar und sicher für viele ein Ansporn, mit den Verlag, Stuttgart. 160 S., 200 Farbfotos, geb. ISBN 978- Bauanleitungen im nächsten Baumarkt zu verschwinden, 3-440-13726-0. 29,99 €. sich die nötigen Materialien zu besorgen und dann in die Werkstatt zu wechseln. Empfehlenswert auch für alle, Die Faszination nächtlich verborgen lebender Tiere ver- die mit Kindergruppen arbeiten und Nisthilfen oder Fut- anlasst den Kosmos-Verlag, einen weiteren Bildband terhäuser bauen möchten. Vogelschutz“profis“ greifen über diese Gruppe zu publizieren. Der Naturfotograf D. zu umfangreicheren Büchern, die ein größeres Arten- Nill, der bereits mehrere Bände etwa über Eulen oder spektrum abdecken, herausgegeben u. a. auch von den Fledermäuse veröffentlicht hat, bringt hier gemeinsam selben Autoren im selben Verlag. mit B. Ziegler einen Bildführer durch die nächtliche Natur. Gegliedert entlang der Themen „Sinnesleistungen“, „Balz Thomas Brandt und Paarung“, „Jungenaufzucht“ und „Jagd und Beu- tefang“ werden z. T. spektakuläre, oft sehr schöne und ansprechende Fotos aus einem breiten Querschnitt der RÖDL, T., B.-U. RUDOLPH, I. GEIERSBERGER, K. WEIXLER & A. heimischen Fauna präsentiert. So erscheinen Froschlurche GÖRGEN (2012): Atlas der Brutvögel in Bayern. Ver- ebenso wie Eulen, Fledermäuse, Siebenschläfer, Glüh- breitung 2005 bis 2009. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart. würmchen oder Rothirsche. Die Texte sind sehr knapp 256 S. , 29 Farbfotos, 207 Zeichnungen, 11 Grafiken, 11 und geben einzelne Hinweise zur Biologie der Arten. Tabellen, kart. ISBN 978-3-8001-7733-2. 34,90 €. Kurze Textteile erzählen Geschichten zur Entstehung der Bilder. Insofern ist dies weniger ein Lesebuch, sondern Bayern gehört zu den Bundesländern, die durch die vielmehr ein Buch zum Anschauen, zur Erbauung, für ADEBAR-Initiative in besonderer Weise gefordert waren: die, die ein offenes Auge haben. Allein das Bild des im Jahr des Erscheinens eines Brutvogelatlasses (BEZZEL et Grauen Langohrs lohnt ein längeres Verweilen! al. 2005) begann bereits die Kartierperiode für den nächsten. Dass sich die bayerischen Avifaunisten dennoch Peter Südbeck für eine Neukartierung entschieden haben, verlangt höchste Anerkennung und das Ergebnis kann sich sehen lassen. RICHARZ, K. , & M. HORMANN (2013): Einfach selber bauen – artgerechte Nist- und Futterhäuser für heimische Als größtes Bundesland in Deutschland und zusätzlich Vögel. Aula-Verlag, Wiebelsheim. 96 S., geb. ISBN 978- durch zum Teil schwieriges „Kartiergelände“ beschwert, 3-89104-754-5. € 14,80. verlangt eine flächendeckende Brutvogelkartierung ein Höchstmaß an Koordination und Organisation sowie Am Anfang der Faszination für Vögel oder für den Na- eine starke staatliche (auch finanzielle) Unterstützung, turschutz steht oftmals der Vogelschutz im eigenen ein solches Ergebnis zu ermöglichen. Garten. Und hier sind es Nistkästen und Futterhäuser, die die erste Grundausstattung bilden und für die ersten Durch dieses Vorgehen ist es den bayerischen Kollegen positiven Erlebnisse sorgen. Davon stellen K. Richarz und nun aber möglich, in dichter zeitlicher Abfolge zwei M. Hormann, beide profunde Kenner und bekannte Vo- Überblickskartierungen vergleichend auszuwerten, was gelschützer, nach einer allgemeinen Einführung über gerade in heutiger Zeit, in der viele Bestände der freien Gartenvögel 44 gängige Typen vor. Darunter sind Nistkästen Landschaft Jahr um Jahr drastisch zurückgehen, eine für verschiedene Vogelarten: angefangen von der Kohl- ganz besondere Bedeutung hat. meise über Baumläufer bis zur Schleiereule. Das Buch enthält exakte Baupläne sowie Materiallisten und - Das Buch kommt im Vergleich zum Atlas aus dem Jahr tabellen. Anschließend werden die häufigsten Nistkas- 2005 insgesamt etwas weniger schmuckvoll daher, das tenbesiedler auf jeweils einer Seite in Tabellenform kurz Buch konzentriert sich stark auf die Fachinhalte, die und knapp portraitiert. Abschließend geben die Autoren übersichtlich und vor allem konzis angeboten werden. Tipps über „richtig füttern“ oder den Umgang mit „auf- gefundenen“ Jungvögeln. Der Hauptteil des Buches wird von den Bearbeitungen der einzelnen Arten (207 Brutvogelarten wurden kartiert, Das preisgünstige, mit zahlreichen Farbfotos illustrierte was 86 % aller seit dem 19. Jahrhundert in Bayern fest- Buch wendet sich an Praktiker und Vogelschutzeinsteiger, gestellten Arten bedeutet) auf je einer Seite gebildet. Im vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 312

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Mittelpunkt der Artbeschreibung steht die aktuelle halb- ungünstigsten Arealbilanz seit 1995 sind der Steinschmät- quantitative (neun Klassen unterschiedlicher Größe und zer, gefolgt von Wiedehopf, Haubenlerche, Karmingimpel Farbe sowie die Angabe „nicht kartiert“) Verbreitungskarte – das Ergebnis hätte auch in Niedersachsen gefunden auf TK 25-Basis, also auch eine feine Auflösung. Die werden können. Arten mit den größten Arealgewinnen Grundkarte nimmt Höhenstufen, Gewässernetz, größere sind Wiesenweihe, Kolbenente, Wanderfalke und Grau- Städte sowie das Messtischblattnetz auf. Dies ist eine gans, auch hier deuten sich Ähnlichkeiten mit unserem recht hohe Informationsfülle, und manchmal entsteht Bundesland an. Ein wichtiger Teil der allgemeinen Aus- dadurch – ähnlich wie beim Vorgängerwerk – ein etwas wertungen ist auch die Artenliste, in der Bestandsspannen, unübersichtlicher Eindruck, es ist nicht immer leicht, die Genauigkeitsangaben und Trendeinschätzungen für alle kleinsten Punkte deutlich zu erkennen. Eine weitere, bayerischen Brutvögel angegeben werden. Die Bestand- kleinere Karte vergleicht die Verbreitungsbilder mit der schätzungen setzen sich je nach Art und Kartierungsme- vorherigen Kartierung, wodurch die Arealdynamik innerhalb thode aus landesweiten Schätzungen, genauen Kartie- von 10 Jahren deutlich wird. Allerdings muss man sich rungen oder der Modellierung zusammen, die der DDA die in dieser Kartierung etwas häufiger vorkommenden aus dem bundesdeutschen Projekt beigesteuert hat. In „nicht kartiert“-Felder hinzudenken, sonst entsteht ein den Karten der häufigen Arten werden jedoch nur quali- falscher Eindruck. tative Angaben verwendet, die Modellkarten haben wohl nicht vorgelegen. Neben dem Textteil werden als Kerninformationen die Bestandschätzung für Bayern, die Rasterfrequenz, deren Insgesamt ist der Atlas ein profundes Werk der bayerischen Änderung gegenüber dem vorherigen Atlas sowie die Kollegen und ein wichtiger Baustein für die bundesdeutsche Arealveränderung als Prozentwerte angegeben. Ein Schätz- Avifaunistik. klassen-Histogramm gibt übersichtlich Auskunft über die Verteilung des Bestandes auf die Häufigkeitsklassen. Die Peter Südbeck Rasterfrequenzänderung sowie die Arealänderung sind Rechenwerte, die sich auf die bei beiden Kartierungen ausreichend gut erfassten Felder beziehen, sie lassen SCHMID, H., W, DOPPLER, D. HEYNEN & M. RÖSSLER (2012): sich somit nicht direkt aus den Karten ablesen! Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht. Inform.d. Nat.schutz Niedersachs. 32(Nr. 3): 109–168. Bezug: Nie- Der knappe Arttext beschreibt unter den Gliederungs- dersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küs- punkten Verbreitung, Häufigkeit und Bestand das darge- ten- und Naturschutz (NLWKN) - Naturschutzinformation. stellte Ergebnis, für weitere Interpretationen und eine Postfach 91 07 13, D-30427 Hannover. naturschutzin- Einordnung der Ergebnisse in einen über Bayern hinaus [email protected], web: http://web- gehenden Kontext ist hier in der Regel kein Platz. shop.nlwkn.niedersachsen.de. ISSN 0934-7135. 4,00 €.

Vor den Artkapiteln wird eine landesweite Auswertung Ob es ein Sperber auf Kleinvogeljagd ist, der mit einem vorgelegt, die besonders interessant ist, da sie kurz und lauten Knall ins Wohnzimmerfenster saust und damit knapp die Avifauna Bayern in seiner Veränderbarkeit do- Omas Kaffeetafel aufmischt, ein benommener Eisvogel, kumentiert. den man spontan vom Nachbarn zur Pflege überreicht bekommt oder eine Waldschnepfe mit Genickbruch, die Die Kartierung brachte mit dem Alpensegler eine neue zur Bestimmung vorbeigebracht wird – Vogelschlager- Brutvogelart, während Steinhuhn, Kranich und Steinrötel lebnisse fehlen in kaum einem Ornithologenleben. Was wieder als Brutvogel nachgewiesen wurden (sowie Sumpf- man tun kann, um die Zahl solcher Begegnungen nach- ohreule und Zwergohreule als Brutgäste). Dem steht haltig zu reduzieren, ist jetzt erstmals übersichtlich im eine ehemalige Brutvogelart entgegen, die hier nun vorliegenden Heft zusammengefasst worden: Ursprünglich erstmals nicht mehr nachgewiesen werden konnte, die als Publikation der Schweizerischen Vogelwarte Sempach Sperbergrasmücke. Die Gebiete mit der höchsten Artenzahl erschienen hat sie das NLWKN unverändert nachgedruckt, sowie mit der höchsten Zahl gefährdeter Arten finden als Teil der eigenen Schriftenreihe herausgegeben und sich – hinter dem Erstplatzierten Ammersee-Süd mit 135 damit einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht. Arten) - tendenziell eher im nördlichen Bereich des Bun- deslandes in den gewässerreicheren fränkischen Landes- Der weitaus größte Teil der Publikation widmet sich dem teilen (Rötelseeweihergebiet, Maintal etc.). Arten mit der bekannten Problem des Vogelschlags an Glasflächen. In vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 313

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einer interessanten Einführung werden Gründe für die richtung von Lichtquellen gegeben, aber auch darauf massiven Verluste von Vögeln durch Scheibenanflug er- hingewiesen, dass in vielen Fällen nur eine zeitweise Ab- läutert: Vögel sehen kaum „stereo“ und haben damit schaltung (wie z. B. am „Post-Tower“ in Bonn während eine eingeschränkte räumliche Wahrnehmung, daher der Hauptzugzeit) größere Verluste verhindern kann. führen sowohl die Durchsichtigkeit als auch Spiegelungen naturnaher Lebensräume in Glasscheiben zu Anflügen. Das Heft ist insgesamt stark praxisorientiert und in einem Im Heft werden verschiedene Typen von „Vogelfallen“ übersichtlichen Layout gehalten. Die Autoren geben um- vorgestellt und mit zahlreichen Farbfotos eindrucksvoll fangreiche Hinweise auf weiterführende Literatur und illustriert – in manchen der (aus architektonischen und nennen Bezugsadressen für Markierungsfolien und andere stadtplanerischen Gründen) komplett verspiegelten Fas- Produkte, Internetressourcen und Kontaktadressen für saden erblickt der Vogel ganze Wälder, die baldige fachliche Beratungen. Den schweizerischen Kollegen ist Deckung bei schnellem Geradeausflug suggerieren. ein großer Wurf gelungen, und man kann der Veröffent- lichung nur eine weite Verbreitung in Behörden, unter Der Schwerpunkt der Broschüre liegt jedoch auf der Architekten, aber auch interessierten Vogelkundlern wün- praktischen Vermeidung des Vogelschlags durch Reduktion schen. von Durchsicht und Spiegelung. Die vorgestellten (und durchgängig im Bild illustrierten!) nachträglichen Maß- Johannes Kamp nahmen umfassen die Anbringung von Punktrastern, aufgeklebten Längs- oder Querstreifen und Oberflächen- veränderungen, beispielsweise aber auch die Anbringung STADT OSNABRÜCK & NATURWISSENSCHAFTLICHER VEREIN OSNABRÜCK von Vorhängen im Innenraum oder die Verwendung von (Hrsg. 2012): Osnabrücker Naturwissenschaftliche UV-Glas. Herkömmlichen Greifvogelsilhouetten wird nicht Mitteilungen. Bd. 38. Bezug: Museum am Schölerberg, ganz unerwartet Wirkungslosigkeit bescheinigt. Besonders Natur und Umwelt, Klaus-Strick-Weg 10, D-49082 Os- beeindruckt die quantitative Evaluierung der Wirksamkeit nabrück. ISSN 0340-4781. 15 €. von 30 im Bild vorgestellten Markierungen, die durch standardisierte Flugtunnelversuche ermittelt wurde. Zwölf Der ornithologische Jahresbericht für den Raum Osnabrück davon wiesen Anflugraten von unter 10 % auf und ist mit diesem Band erstmalig an nur einem Publikationsort werden damit als „Vogelschutzglas“ empfohlen – meist zusammengefasst. Dadurch besteht für den interessierten Streifenmarkierungen, deren kostengünstige Anbringung Avifaunisten im Land eine zentrale Fundstelle für orni- viele Glasfallen entschärfen dürfte. thologische Daten, Informationen, Trends und Übersichten. Hierzu kann man den Beteiligten nur gratulieren, beendet Dass die Minderung des Vogelschlagrisikos sogar mit es doch eine längere Phase getrennter Berichterstattung einer optischen Aufwertung einhergehen kann, wird in den Zeitschriften „Saxicola“ und „Naturschutz-Infor- durch eine genaue Beschreibung von Beispielen „vogel- mationen“. freundlicher Architektur“ in verschiedenen europäischen Städten plastisch belegt – sicher auch eine wertvolle Für den ornithologischen Jahresbericht, der den zentralen Quelle für praktizierende Architekten, die zukünftig nicht und mit ca. 100 Seiten umfangreichsten Beitrag im Band auf ästhetische Spiegelwirkung verzichten, Gebäude aber 38 der Osnabrücker Naturwissenschaftlichen Mitteilungen gleichzeitig vogelfreundlicher konstruieren wollen. bildet, kooperieren die neu gegründete ornithologische Arbeitsgemeinschaft im Naturwissenschaftlichen Verein Außerdem wird auf den Effekt eingegangen, den der all- Osnabrück, die Deutsche Gesellschaft für Naturschutz, gegenwärtige „Lichtsmog“ wie auch einzelne starke der NABU Osnabrück sowie der Naturschutzring Dümmer. Lichtquellen auf ziehende Vögel haben – massenhafte Das Bearbeitungsgebiet ist die Stadt und der Landkreis Gebäudeanflüge sind mindestens seit Gätkes Beschrei- Osnabrück, das gesamte Dümmergebiet und der Landkreis bungen von starken Zugnächten am Helgoländer Leucht- Emsland. Bedauerlich ist, dass im Unterschied zu den turm weithin bekannt. Getan wurde dagegen bisher vormaligen „Saxicola“-Heften der Landkreis Grafschaft wenig. Neben Vögeln leiden vor allem auch Insekten an Bentheim nicht beteiligt ist, so dass ganz im Südwesten starker künstlicher Beleuchtung, Schätzungen gehen von des Landes immer noch eine „Lücke“ bleibt, die in einem 150 Billionen (!) Individuen aus, die alljährlich allein an eigenen Publikationsorgan gefüllt werden soll, was aller- den Straßenlaternen Deutschlands sterben. Auch hier dings der Übersichtlichkeit und Orientierung im avifau- werden praktische Empfehlungen zum Bau und zur Aus- nistischen Schrifttum in Niedersachsen nicht gut tut. Hier vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 314

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sollten sich die dort Beteiligten nach Ansicht des Rez. Die Ökologie des Wattenmeeres, die Biologie seiner Be- dem guten Beispiel anschließen. wohner ist faszinierend. Ihre Anpassungsfähigkeit an widrige Lebensumstände ist phänomenal, denn der Um- Beachtenswert ist ferner, dass ein naturwissenschaftlicher gang mit den Gezeiten, mit starken Temperatur- und Verein sich wieder der avifaunistischen Berichterstattung Salzgehaltsschwankungen oder extremen Strömungen widmet. Auch das könnte Beispiel gebend für andere verlangt einem Tier zum Überleben im Watt viel ab, die Regionen in Niedersachsen sein, gerade unter dem Aspekt Evolution hat dazu Dinge hervorgebracht, worüber wir einer Bündelung von ehrenamtlichen Kräften. nur staunen können.

Federführend für den ornithologischen Jahresbericht Bereits in dritter Auflage erscheint das handlich kompakte zeichnen gleich acht Autoren (V. Blüml, A. Degen, C. Grundlagenwerk zum Wattenmeer für jedermann und König, F. Körner, U. Marxmeier, H. Rebling, W. Schott jedefrau. Es ist kein trockenes Kompendium mit haupt- und B. Thien) verantwortlich. In übersichtlicher Form sächlich wissenschaftlich exakter Formulierkunst, sondern werden die wichtigsten ornithologischen Daten für die es ist ein didaktisch klug komponiertes Buch, um allge- Jahre 2008 bis 2010 präsentiert, als Originaldaten doku- meinverständlich ökologisch komplexe Sachverhalte zu mentiert oder in Graphiken aufbereitet. Interessant ist erklären und so viele Leser teilhaben zu lassen an der auch die Einbeziehung von Fangdaten aus einer Station Faszination der Autoren an einem wundervollen Lebens- des integrierten Populationsmonitorings. Beeindruckende raum. Fotos von B. Volmer und anderen bereichern den Beitrag zusätzlich. So entsteht ein moderner ornithologischer Viele Aspekte der Watt-Ökologie entziehen sich dem Bericht, dem eine zügige und regelmäßige Zukunft zu Unmittelbaren, sie müssen erklärt, erforscht und bestaunt wünschen ist. werden, wollen sie verstanden sein. Gerade im Wattenmeer findet sehr viel im Boden statt, was sich somit einer Zwei weitere Beiträge stellen die Brutvögel auf Abtor- direkten Beobachtung entzieht. Daher ist dieses Buch so fungs- und Wiedervernässungsflächen im südlichen Cam- erfolgreich: es nimmt die Leserinnen und Leser mit auf pemoor vor (V. Blüml) sowie dokumentieren eine Kartierung die Suche nach den Geheimnissen des Watts, von denen zur Ermittlung wertvoller Bereiche im Kellenberg, Landkreis viele von ihnen gar nicht wussten, dass es sie gibt. Osnabrück, die auf Initiative der Stiftung für Ornithologie und Naturschutz durchgeführt wurde (V. Tiemeyer, N. Die Vogelbeobachter profitieren in besonderer Weise, Raude, F. Drews). finden sie doch Erklärungen, warum es so große An- sammlungen von Zugvögeln gibt, welchen Herausforde- Peter Südbeck rungen die Brutvögel der Salzwiesen gegenüber stehen oder was ein winterlicher Spülsaum zu bieten hat. Es ist kein Vogelbuch, es ist ein Buch für das ökologische Ver- STOCK, M., H.-H. BERGMANN & H. ZUCCHI (2012). Watt. Le- ständnis eines besonderen, überaus sensiblen Lebensraums bensraum zwischen Land und Meer. 3. überarb. erg. mit Weltbedeutung – gerade für Vögel. Auflage, Boyens Buchverlag, Heide. 208 S. 135 farb. Fotos u. Abb., kart. ISBN 978-3-8042-1224-4. 9.90 €. Hieran anknüpfend durchzieht sich der Schutz des Wat- tenmeeres als Kerngedanke des Weltnaturerbes wie ein Das Wattenmeer der Niederlande, Deutschlands und Dä- grüner Faden durch das gesamte Buch. Bei der Beschrei- nemarks hat Weltbedeutung, nirgendwo sonst auf diesem bung der ökologischen Phänomene werden überall Planeten gibt es ein vergleichbares Ökosystem dieser Aspekte des Schutzes eingeflochten, Naturschutz steht Größe und Qualität. Nicht mehr und nicht weniger sagt dann nicht isoliert da, sondern als zentraler Teil der die Anerkennung der UNESCO zur Aufnahme des Wat- heutigen Realität an der gesamten Wattenmeerküste. tenmeeres in die Liste des Weltnaturerbes der Menschheit aus. Zudem wird an vielen Stellen darauf hingewiesen, wie man das Wattenmeer erleben kann, wo man Informationen In Deutschland ist dieser Lebensraum seit über 25 Jahren bekommt, wer sich für seinen Schutz einsetzt. als Nationalpark geschützt, in Schleswig-Holstein, Nie- dersachsen und Hamburg. Watt gibt es bei uns so gut Der Erstautor arbeitet seit vielen Jahren im Schleswig- wie nur im Nationalpark – und das ist gut so. Holsteinischen Nationalpark. So ist verständlich, dass das vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 315

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Buch dort seinen deutlichen regionalen Schwerpunkt sprechpartner aller Art. Ein wirklich sinnvoller Info-Dienst, hat. Das schadet zwar nicht der Lesefreude oder Voll- der insbesondere an den vielen Wespentelefonen, bei ständigkeit der Wattenmeer-Inhalte, führt aber dazu, den Naturschutzbehörden und vielen Vereinen gute Ab- dass die Besonderheiten der übrigen Wattenmeerregionen nahme finden sollte. etwas unterrepräsentiert sind. Peter Südbeck Das Wattenmeer braucht Erklärung, um verstanden zu werden. Verständnis und Faszination durch direktes Erleben sind Voraussetzung, sich für den Schutz einzu- WAGNER, C., & C. MONIG (2012): Vögel beobachten in setzen: auf diesen Weg bringt uns dieses Buch auf Süddeutschland. Die besten Beobachtungsgebiete vielfältige Weise. Man spürt auf jeder Seite, wie liebevoll zwischen Mosel und Watzmann. Aktualisierte, erwei- der Blick der Autoren auf das Wattenmeer fällt, davon terte Neuausgabe. Kosmos-Verlag Stuttgart. 368 S., über kann man sich anstecken lassen. 100 Karten u. Fotos, brosch. ISBN 978-3-440-12538-0. 29,99 €. Peter Südbeck Im Jahre 2003 brachten Wagner und Moning 15 Jahre nach den „Vogelparadiesen“ von Lohmann, Haarmann THEUNERT, R. (2012): Hornisse, Wespe und Co.. Inform.d. & Rutschke den ersten Band der „Vögel beobachten“- Nat.schutz Niedersachs. 32 (Nr. 2): 61-108. 52 S. Bezug: Reihe im Kosmos-Verlag heraus. In detaillierten Gebiets- Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, beschreibungen wird dem interessierten Vogelbeobachter Küsten- und Naturschutz (NLWKN) – Naturschutzinfor- Anleitung gegeben, in welchem Gebiet, an welcher mation. Postfach 91 07 13, D-30427 Hannover. natur- Stelle, welche Vogelarten beobachtet werden könn(t)en. [email protected]. ISSN 0934- Herausgekommen war ein Kompendium, mit dem man 7135. 4,- €. bequem durch die Republik reisen und ein avifaunistisches Highlight nach dem anderen besuchen konnte. Die „Hornissen sind gefährlich, sie stechen, sie machen „Liste“ wurde lang. Nach der Vorlage aller drei Bände krank!“ So oder ähnlich äußern sich viele Zeitgenossen, (zuletzt s. Rez. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 39: 148f) wird oft in Unkenntnis über die wahren Zusammenhänge, oft hier nun schon eine völlig überarbeitete Neuauflage des in schnellem Urteil, wenig getrübt von Kenntnis. Weil es Bandes über die süddeutschen Bundesländer geliefert. oft so ist, heißt es im Subtitel dieses Informationsdienstes Über 100 Gebiete aus den Bundesländern Saarland, auch: „Erkennen, erleben, leben lassen“ ganz im Stil von Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern „Artenvielfalt ist Lebensqualität“, der Kampagne der werden portraitiert. Jedes Gebiet wird über seine cha- Fachbehörde für Naturschutz aus den 1980er Jahren. rakteristischen Vogelarten, die Anfahrtsdaten, die besten Beobachtungspunkte mit Artangaben sowie Service-In- Alle, die im Naturschutz unterwegs sind, wissen heute, formationen über Öffnungszeiten oder sonstige touristische wie gering die normale Alltagserfahrung und -kenntnis Informationsmöglichkeiten vorgestellt. Eine individuelle über Artenvielfalt und Biologie insgesamt in der Bevölke- Karte eröffnet jeweils eine gute Übersicht zu Exkursions- rung ist. Daher sind Schriften wie die vorliegende unver- planung und -ablauf. Unter den „allgemeinen Hinweisen“ zichtbar für den Schutz dieser Zielarten, hier der Falten- sind die artspezifischen Angaben zu finden, die sensibel wespen mit den bekannten Hornissen und Wespenar- auch die Schutzerfordernisse berücksichtigen. Wer in ten. Süddeutschland Vögel beobachten möchte, hat hier eine unverzichtbare Anleitung. Das Heft gliedert sich in die Hauptkapitel „Aberglaube und Mythologie“, „Faltenwespe oder Doppelgänger?“, Die Neuauflage hat nun je Gebiet auch GPS-Koordinaten „Faltenwespen in Niedersachsen“ und „Aus dem Leben zum noch leichteren Erreichen der Gebiete und behandelt der Faltenwespen Niedersachsens“. Hierin werden die eine noch größere Zahl von Gebieten als die Erstauflage: Grundlagen für das Verstehen dieser hochinteressanten so wird nun auch das Saarland berücksichtigt und insge- sozialen Insektengruppe gelegt. Die übrigen Kapitel samt etwa 25 % mehr Gebiete bearbeitet. Jede Region haben mehr Ratgeber-Charakter, sie informieren über (die o. g. Bundesländer sowie separat der Bodensee) Gift, Verhaltensregeln für Menschen, den rechtlichen Ar- wird knapp eingeführt, und es werden kurze Informationen tenschutz und geben Hinweise auf Fragen und An- zu Beobachtungstouren vorgeschlagen. Den Besonder- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 316

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heiten der Vogelwelt (z. B. Orpheusspötter im Saarland Anfang, für die Vertiefung ist dann Spezialliteratur he- oder Alpensegler in Baden-Württemberg) werden ge- ranzuziehen. sonderte Kapitel gewidmet. Hier und da wagen sich die Autoren über die Grenze (z. B. Kanisflu in Voralberg, Bo- Der Autor ist Naturfotograf – so sind die meisten Bilder densee auf schweizer Seite). Auch wegen der Aufnahme sehr instruktiv, wenngleich auf nur einem Foto oft nicht neuerer Informationen aus der deutschen Avifauna (z. B. alle wichtigen Art-Merkmale deutlich erkennbar sein Steinrötel, Steinhuhn) lohnt sich die Anschaffung dieser können. Neuauflage unbedingt. Peter Südbeck Peter Südbeck

WINK, M. (2014): Ornithologie für Einsteiger. Sprin- WILLNER, W. (2013): Taschenlexikon der Käfer Mittel- ger-Verlag, Berlin, Heidelberg. 292 S., 260 farb. Abb., europas. Die wichtigsten Arten im Porträt. Queller & geb. ISBN 978-3-8274-2324-5. 39,95 €. Meyer Verlag. Wiebelsheim. 400 S., über 500 Farbfotos, geb. ISBN 978-3-494-01451-7. 24,95 €. M. Wink vereinigt in seiner Person die wunderbare Vielfalt der Ornithologie: leidenschaftlicher Vogelbeobachter Mehr als 400.000 Käferarten sind weltweit bislang be- und Birder, akribischer Avifaunist und Wissenschaftler, schrieben worden, allein in Mitteleuropa finden sich fast im Hauptberuf als Professor am Institut für pharmazeutische 8.000 Arten: Käfer sind die artenreichste aller Insekten- Biologie und Molekulare Biotechnologie der Universität ordnungen und stellen damit den Faunisten vor oft un- Heidelberg tätig, wo er die Abteilung für Biologie leitet lösbare Aufgaben. Viele Formen sind „im Feld“ nicht auf und intensiv über die molekulare Systematik und Phylogenie Artniveau bestimmbar, hierzu bedarf es dann der genauen der Vögel arbeitet. Diese Kombination prädestiniert ihn Untersuchung unter dem Binokular oder gar der Präpa- als Autoren eines Buches für die ornithologischen Ein- ration. Echte Käferspezialisten gibt es daher sehr wenige, steiger. und diese sind oft noch erheblich weiter spezialisiert, auf Familien- oder auch Gattungsebene. Dieses „Lehrbuch“ erscheint in einem wissenschaftlichen Verlag, und dort ist es auch durchaus richtig aufgehoben, Trotzdem sind Käfer oft hervorragende Indikatoren für da es die fachlichen Grundlagen der Biologie der Vögel die Naturnähe von Lebensräumen, denkt man nur an die und deren Entstehung darstellt. Es ist eine neue Übersicht Vielfalt Totholz bewohnender Käfer aus den Gruppen über die gesamten Aspekte der Ornithologie, wie sie es der Bock-, Hirsch- oder Buntkäfer. zuletzt von Bezzel & Prinzinger (1990) im Ulmer Verlag in deutscher Sprache gegeben hat, wobei die fachliche Das vorliegende Taschenlexikon stellt insgesamt etwa Tiefe und Breite des „Klassikers“ im aktuellen Werk 500 mitteleuropäische und mediterrane Käferarten in je nicht erreicht wird. einem Foto und einem Kurztext vor. Ein sehr knapper Einleitungstext führt kurz in die Biologie der Arten ein, Das Buch ist in zwei große Abschnitte gegliedert. Zuerst am Ende ist eine Tabelle enthalten, die die Flugzeiten der wird die Vogelbeobachtung vorgestellt: unter dem Titel einzelnen Arten darstellt. „Vögel beobachten – wie, wo und wann?“ werden auf den ersten 140 Seiten Ausrüstung für den Vogelbeobachter Der Artteil ist nach Familien sortiert, die einleitend jeweils und Identifikation der einzelnen Arten beschrieben, Vögel kurz vorgestellt werden. Dies erleichtert die Suche bei in ihren Lebensräumen vorgestellt und ein vogelfreundlicher ähnlichen Arten. Die Artbeschreibungen konzentrieren Garten als günstiger Beobachtungsort beschrieben. Die sich sehr knapp auf wichtige Bestimmungsmerkmale Dokumentationsmöglichkeiten von Beobachtungen schließt sowie Angaben zum Habitat und zur Verbreitung. dieses Kapitel ab.

Das Buch ist als Einstieg in die Koleopterologie geeignet, Der zweite Teil ist der Übersicht über Evolution, Biologie reduziert es doch die Fülle der Arten, die den Einsteiger und Ökologie der Vögel gewidmet und beschreibt die oft verzweifeln lassen. Durch die Auswahl kann es Taxonomie und Systematik, Anatomie und Physiologie, gelingen, die häufigsten Arten zu bestimmen. Dies wird Ernährung und Fortpflanzung, Kommunikation und Ver- naturgemäß aber nicht immer so sein. Insofern ist es ein halten, Ökologie, Vogelzug sowie Gefährdung und Schutz. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 317

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Dieser Teil ist fachlich anspruchsvoller, wenngleich die gerlich, wie insgesamt eine intensive und sorgfältige Re- biologischen Prinzipien leicht verständlich erklärt werden. daktion diesem Buch leider offenkundig fehlt. Dabei ist es immer solchen Büchern immanent, einen Kompromiss zu finden, die Vielfältigkeit der Lebensformen Das Buch ist eine breit angelegte und verständlich ge- angemessen darzustellen, ohne den Leser mit einer nicht schriebene Einführung in die Ornithologie. Dem Spezialisten zu bewältigenden Datenfülle zu überfrachten. Auch wird es in der Regel nicht die erforderliche Tiefe bringen dieses Buch hat hierbei einen Weg gewählt, der sicher können. Insgesamt für die Zielgruppe der „Einsteiger“ nicht jedem Leser alle Fragen beantworten kann, einige eine Ergänzung auf dem Büchermarkt deutscher Orni- Aspekte scheinen dem Rez. allzu verkürzt und dann ein- thologie. Allerdings lastet die Vielzahl der Kritikpunkte seitig behandelt. So liegt z. B. beim Vogelmonitoring ein schwer. deutlicher Schwerpunkt auf Atlasstudien, während die großen deutschen Monitoringprogramme und deren Er- Peter Südbeck fassungsmethodik nur randlich behandelt werden.

Einen breiten Raum nimmt die Systematik der Vögel ein, die der Verfasser selbst in vielen molekulargenetischen Arbeiten erforscht hat. Die neuen systematischen Er- kenntnisse werden hier sowohl methodisch als auch von den Konsequenzen für das System der Vögel her darge- stellt. Im Anhang erscheint eine „Artenliste der Vögel Deutschlands“ (vgl. BARTHEL & HELBIG 2005). Leider haben sich hier – wie auch in vielen anderen Teilen des Buches - Fehler, Schreibfehler und z. T. unerklärbare Änderungen hineingeschlichen.

Für die vertiefende Bearbeitung der in einem Handbuch übersichtsartig angebotenen Informationen braucht man Quellen und weiterführende Literaturangaben. Beide sind hier nur in sehr geringem Umfang vorhanden. Gerade die vielen in Tabellen übersichtlich dargestellten Daten lassen sich nicht anhand der Originalquellen weiter nachvollziehen. Da es schwer vorstellbar ist, dass der Autor alle Daten selbst erhoben hat, fehlt hier ein Stück der erforderlichen Dokumentation (z. B. Tauchtiefen der Vögel, Rückkehrzeiten von verfrachteten Vögeln).

In einem großen Werk wie diesem lassen sich Fehler nicht vermeiden. Doch in diesem Buch häufen sich Fehler, Ungenauigkeiten oder Fehldarstellungen. So basiert die Beschreibung der Vogel-Topographie auf Peterson aus dem Jahr 1965: Hat es denn seither nicht geradezu eine Revolution bei der Vogelbestimmung gegeben? Hier ist das Buch regelrecht veraltet und an einigen Stellen zudem unvollständig oder gar falsch.

Neben weiteren offenkundigen Fehlern (etwa die Schutz- gebietskarte und deren textliche Erläuterung) sind auch Detailungenauigkeiten auffällig (z. B. Bestandsentwicklung einzelner Arten), in den Abschnitten zu Gefährdung und Schutz wirkt die Darstellung allzu knapp und allein dadurch leicht verzerrend. Diese Häufung ist schon är- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 318

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Rotmilan Milvus milvus. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Red Kite. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 319

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Nachrichten

NOV-Förderpreis 2012

Die Niedersächsische Ornithologische Vereinigung hat auf ihrer 40. Jahrestagung am 8. September 2012 in Hannover Herrn JÖRN WILDBERGER den NOV-Förderpreis zuerkannt.

Einflüge pelagischer Vogelarten an der Kugelbake von Cuxhaven, große Ansammlungen von Brandgänsen entlang der Wurster Küste im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer oder von Weißwangengänsen am Hadelner- Belumer Außendeich, „Wolken“ von Limikolen an der Großen Luneplate, Brutplätze von Uferschwalben und Bienenfressern in Sandentnahmestellen, ein Saharastein- schmätzer aus Nordafrika 2010 über Tage bei Wremen. Jeder verbindet andere faszinierende Eindrücke mit einer der ornithologisch interessantesten Regionen Niedersach- sens, ja Deutschlands. Das weisen die Ergebnisse des Birdrace seit 2004 aus, an dem der Preisträger mit dem Team „Cuxland“ sehr erfolgreich beteiligt war. Hier direkt an der Wurster Küste stand auch das Elternhaus des be- kannten Schriftstellers ROLF DIRCKSEN, der mit seinen Vo- gelbüchern eine nachhaltige Wirkung erzielte und der in Büchern von dieser Landschaft ein unvergessliches Bild Jörn Wildberger im Fischereihafen, Bremerhaven. Foto: gezeichnet hat. Mirko Basen.

Auch viele andere sind hier aktiv gewesen und so konnten Eine bei einigen Arten bereits durchgeführte zusammen- 1978 die damaligen ornithologischen Kenntnisse in dem fassende Wertung der Daten lässt natürlich den Wunsch wegweisenden, 336 Seiten umfassenden Buch „Die Vo- aufkommen, dass diese Daten-Sammlung in eine neue gelwelt an Elb- und Wesermündung“ zusammengetragen umfassende Gesamtschau als Avifauna des Gebietes ein- werden. Danach ist der Faden abgerissen und lokale, münden möge. Wir wünschen dem Preisträger weiterhin punktuelle Meldungen oder einzelne Arbeiten konnten eine gute Hand und viel Erfolg bei der ornithologischen nicht vermeiden, dass diese Region seit Mitte der 1970er Erkundung dieser Region. Jahre für die 1985-2009 erschienene Avifauna von Nie- dersachsen in weiten Teilen weiß geblieben ist. Herwig Zang, Vorsitzender Niedersächsische Ornithologische Vereinigung (NOV) Dem Preisträger ist es gelungen, diese Lücke nach und nach zu füllen. Er hat die alljährlich anfallenden Beobach- tungsdaten gemeinsam mit Unterstützern gesammelt und Auszeichnung für Alfred Nottorf seit 1998 in den „Ornithologischen Jahresberichten für den Landkreis Cuxhaven und Bremerhaven“ der Öffent- Alfred Nottorf wurde am 17. Dezember 2011 mit dem lichkeit zugänglich gemacht. Zugleich ist es ihm gelungen, Bun des verdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Landrat zahlreiche andere Beobachter zum Mitmachen zu moti- Hermann Luttmann überreichte den Orden im Auftrag vieren. So ist in bislang zwölf Jahresberichten 1998-2009 des Bundespräsidenten in einer Feierstunde in Alfred mit zusammen fast 500 Seiten ein beachtlicher Fundus Nottorfs Heimatort Stemmen im Landkreis Ro ten burg/ an Rohdaten zusammengekommen. Darüber hinaus hat Wümme. An der Feierstunde nahmen Gäste aus ver- er die Beobachtungsdaten von EITEL RADDATZ (1928-1997) schiedenen Bundesländern und auch Vertreter Staatlicher aus Bremerhaven digitalisiert und so verfügbar gemacht. Vogelschutzwarten teil. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:54 Seite 320

320 Nachrichten

gefahrlos in zehn bis zwanzig Metern Höhe über dem Erdboden eigenhändig aufgebaut – waren eine wesentliche Hilfe zur Stützung des Brutbestandes. Ende der 1970er Jahre brüteten bis zu drei Viertel der Schwarzstorchpaare Niedersachsens auf künstlichen Nisthilfen.

Alle Brutzeitbeobachtungen von Schwarzstörchen, die ehrenamtliche Mitarbeiter am Tierartenerfassungsprogramm der Staatlichen Vogelschutzwarte Niedersachsen meldeten, wurden von Alfred Nottorf ausgewertet. Dadurch konnten verlässliche Daten zu Verbreitung und Bestand des Schwarz- storches in Niedersachsen ermittelt werden. Im Arbeitskreis Schwarzstorchschutz an der Staatlichen Vogelschutzwarte Niedersachsen brachte Alfred Nottorf seine Erfahrungen intensiv ein. Mitarbeiter dieses Arbeitskreises übernahmen dann die Betreuung im niedersächsischen Berg- und Hü- gelland einschließlich der Börden, nachdem 1983 eine Neuansiedlung im Solling erfolgte, wo Alfred Nottorf künst- liche Nisthilfen errichtet hatte. Inzwischen erweiterte der Schwarzstorch auch in Folge dieser erfolgreichen Schutz- maßnahmen sein Brutgebiet über die Weser hinaus nach Westen und die Bestandsgröße im Land umfasst heute Alfred Nottorf anlässlich der Verleihung des Bundesver- mehr als 50 Brutpaare, ausgehend von nur 6 Brutpaaren dienstkreuzes, 17. November 2011. Foto: Wieland Bonath. 1963, und damit einen gesicherten Brutbestand.

In der Laudatio wurde vor allem sein heute über fünfzig- Während seiner 25jährigen hauptberuflichen Tätigkeit in jähriger ehrenamtlicher Einsatz zum Schutz des Schwarz- der Naturschutzverwaltung beim Landkreis Rotenburg/ storches, insbesondere der Brutplätze in Niedersachsen Wümme, u. a. als Leiter des Amtes für Naturschutz, hat und der Bau von künstlichen Nisthilfen auch in anderen Alfred Nottorf maßgeblich auf die Ausweisung großflächiger Bundesländern, hervorgehoben. Schutzgebiete hingewirkt. Auch hat er jede Gelegenheit genutzt, durch Rückhaltung von Niederschlagswasser Hoch- Alfred Nottorf übernahm im Frühjahr 1963 zusammen moore im Landkreis Rotenburg/Wümme zu renaturieren. mit Ludwig Müller-Scheeßel (1903-1974) die Betreuung der Schwarzstorchbrutplätze in Niedersachsen. Er pflegte Die Niedersächsische Ornithologische Vereinigung gratuliert engen Kontakt zu Waldbesitzern, Forstdienststellen und ihrem Mitglied zu dieser Auszeichnung und dankt ihm Jägern, um Störungen durch forstwirtschaftliche Arbeiten für den langjährigen, ehrenamtlichen und auch nicht oder in Verbindung mit der Jagdausübung im näheren immer ungefährlichen Einsatz für den Schwarzstorch Umfeld der Brutplätze zu vermeiden. sowie die Lebensraumverbesserungen in den Mooren und weiteren Feuchtgebieten. Künstliche Nisthilfen an störungsfreien Standorten, wo durch Absprache mit den Waldbesitzern langfristig keine Wir wünschen Alfred Nottorf Kraft für seinen Einsatz und forstwirtschaftlichen Maßnahmen erfolgen, haben we- weiterhin viel Erfolg. sentlich zur Anhebung des Bruterfolgs vom Schwarzstorch in Niedersachsen geführt. Besonders bewährt hatte sich Hartmut Heckenroth die langjährige Strategie nach dem Orkan vom 13. No- vember 1972, durch den an mehr als der Hälfte der nie- dersächsischen Brutplätze der Altholzbestand geworfen Hans Rudolf Henneberg (1919-2012) wurde. Ausgedehnte Waldbrände vernichteten 1975 und 1976 weitere Brutplätze des Schwarzstorches in der Süd- Am 19. Oktober 2012 verstarb Hans Rudolf Henneberg, und Ostheide. Künstliche Nisthilfen – Alfred Nottorf hat eine der wenigen Integrationspersonen für junge und an- seit 1963 in Deutschland mehr als 500 davon nicht gehende Ornithologen im Oldenburger Land der letzten vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:55 Seite 321

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Jahrzehnte. Henneberg war langjähriges Vorstandsmitglied des Mellumrates e. V., allein 39 Jahre lang Schutzgebiets- betreuer für den Verein auf Wangerooge, und 20 Jahre, von 1970 bis 1989, Vorsitzender der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Oldenburg e. V. (OAO), heute NABU- Bezirksgruppe Oldenburger Land e. V. Jahrzehntelang führte er für die Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft Natur- und Umweltschutz Jever e. V. (WAU) die Wasser- und Watvogelzählungen am westlichen Jadebusen durch, immer begleitet von seiner Frau oder anderen guten Freunden und Mitstreitern, da er keinen Führerschein besaß. Er vertrat die genannten Vereine in der Oldenbur- gischen Landschaft und im Oldenburger Landesverein für Geschichte, Natur- und Heimatkunde und war so auch institutionell eine Integrationsfigur der im Oldenburgischen auf dem Gebiet der Natur- und Heimatkunde tätigen Ver- bände und Vereine. Seit 1964 war Hans Rudolf Henneberg offizieller Storchenbetreuer im Oldenburger Land, eine ehrenamtliche Tätigkeit, der er mit großer Hingabe nachging und in deren Verlauf er quasi jeden Nistplatz im Betreuungsgebiet und dessen Historie nebst Geschichte der jeweiligen Hofstelle und der auf ihr lebenden Menschen kannte. Seit dieser Zeit erfasste er im Oldenburger Land auch alljährlich die Bestände von Graureiher und Saatkrähe. Hans Rudolf Henneberg 1993 auf Memmert. Foto: Peter Von 1975 bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1984 war er Südbeck. als Bibliothekar am Institut für Vogelforschung in Wil- helmshaven tätig, wodurch sein Hobby ganz wesentlich zu seinem Beruf werden konnte. hatte er gute Ideen, lobende Worte, leichte Mahnungen, konstruktive Vorschläge und immer eine enge Verbindung Sein Lebenslauf und sein Lebenswerk auf dem Gebiet zwischen der avifaunistischen Erfassung und dem Vogel- von Ornithologie, Natur- und Vogelschutz soll an dieser schutz im Sinn. In der Frühzeit einer lo kalen Jugendgruppe Stelle nicht detailliert beleuchtet werden, das ist an der OAO waren das essenzielle Zutaten, die dazu geführt anderer Stelle angemessen geschehen (z. B. CLEMENS haben, dass wir uns vom Vorsitzenden gut betreut fühlten (2012): Natur- und Umweltschutz (Z. Mellumrat) 11: 41- und unsere eigenen Aktivitäten wohlwollend unterstützt 42, GRÜTZMANN & MORITZ (2013): Jahresber. Ornithol. und begleitet sahen. Viele handgeschriebene Briefe und Arb.gem. Oldenbg. 21: 263-267). Postkarten, Anrufe und Einladungen waren die Methoden der direkten Kontaktaufnahme und der innigen Anteil- Für mich bedeutend und prägend war Hans Rudolf Hen- nahme der Aktivitäten der anderen. nebergs Art, junge Menschen zur Vogelkunde und zum Naturschutz hinzuführen. Beruflich hatte er jahrelang die Hans Rudolf Henneberg war von einem positiven Men- Jugendherberge auf Wangerooge und später das Lehr- schenbild geleitet, er ging auf junge Menschen zu, nie lingsheim des Fernmeldeamtes in Oldenburg geleitet. hielt er sich lange mit Konflikten auf, von denen es im Sicher auch durch diese Tätigkeit bedingt sowie durch Natur- und Vogelschutz und auch in der ornithologischen den ständigen Kontakt mit jungen Menschen erlangte er Szene mitunter ja nicht wenige gibt, sondern er wirkte einen tiefen und verständlichen Zugang zu ihnen, der ihn stets schlichtend und integrierend. Dabei verliehen ihm zum Vorbild werden ließ. Dies gepaart mit seiner seit frü- auch seine große Bodenhaftung und ein bescheidener, hester Kindheit ausgeprägten Natur- und besonders Vo- unprätentiöser Lebensstil große Authentizität. Für mich gelliebe machte ihn zu einem Mentor der besonderen persönlich hat diese Art auch zu meinem Engagement Art, es war für viele von uns eine zutiefst liebenswürdige, für Avifaunistik und Vogelschutz geführt, wofür ich Hans eine väterliche Rolle, die ihn auszeichnete und durch die Rudolf Henneberg immer dankbar sein werde. Seit dem er viele junge Menschen inspirierte und motivierte. Dabei Ende der 1970er Jahre waren wir freundschaftlich ver- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:55 Seite 322

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bunden und von dieserart Bindungen hat Henneberg der Volksschule in Fallersleben, an die Beringung heran- eine große Zahl aufgebaut, man kann sagen, er hatte geführt worden und betreute dann mit Sohn Reinhard einen „Schülerkreis“ gebildet, immer eingeladen im Ahl- einen Höhlenbrüter-Bezirk im Barnbruch. Außerdem kenweg vorbeizukommen, sich bei einer Kanne Tee aus- hatten sich Oswald und Reinhard Mann besonders der zutauschen und gegenseitig zu informieren, um dann Beringung von Lachmöwen (allein in den 1970er Jahren gestärkt seiner Wege zu gehen. wurden in den Düpenwiesen 2700 Jungmöwen beringt) und von Kiebitz, Flussregenpfeifer, Brachvogel und Ufer- Wir alle haben mit Hans Rudolf Henneberg eine die Or- schnepfe in den Barnbruchswiesen verschrieben. Der nithologie im Nordwesten prägende Persönlichkeit und systematische Fang und die Beringung von Kleinvögeln einen Freund verloren. und Rallen in den Düpenwiesen begann 1974 und wurde bis 2002 aufrecht gehalten (FLADE & MANN 2008). Immer Peter Südbeck im Gelände dabei war dann auch Reinhards Sohn Frithjof, der die Naturbegeisterung von seinem Vater übernahm, später Forstwirtschaft studierte und den es inzwischen, Reinhard Mann (1936-2012) wie auch mich, in die brandenburgische Uckermark ver- schlagen hat. Die Beringungseinsätze der Manns in den Am 28. November 2012 starb der Wolfsburger Vogel- Düpenwiesen waren regelmäßig Treffpunkt der Wolfs- kundler und Beringer Reinhard Mann nach kurzer, burger Orni-Szene. Insgesamt haben die Manns von schwerer Krankheit im Alter von 76 Jahren. Reinhard 1955 bis 2002 fast 40.000 Vögel in 127 Arten beringt. war eine der prägenden Persönlichkeiten meiner Jugend. Im Wolfsburg der 1970er und 1980er Jahre gab es eine Reinhard Mann ist in Wolfsburg-Fallersleben geboren Zeit lang eine sehr günstige Konstellation sich fachlich und aufgewachsen. Nach der Mittleren Reife begann er ergänzender, engagierter Vogelkundler, die im Zusam- eine kaufmännische Lehre im VW-Werk, wo er dann in menklang eine äußerst rege und fruchtbare Phase der der Buchhaltung arbeitete und es bis zum Unterabtei- Vogelkunde im Wolfsburger Raum ermöglichten. Viele lungsleiter brachte. Die Vogelberingung, die Imkerei und naturinteressierte Schüler und Studenten wurden davon die ausgedehnten Urlaubsreisen mit seiner Familie nach geprägt und schlugen dann eine naturwissenschaftliche bzw. naturschutzorientierte Laufbahn ein. Dazu gehörten außer mir z. B. auch Gerd-Michael Heinze und Jürgen Je- bram. So wie es den „Chronisten“ Günter Latzel, den „Rallenforscher“ Peter Becker, den „Vogelfotografen“ David Taylor und den „Federsammler“ Gerd-Michael Heinze gab, war Reinhard Mann eben „der Beringer“. Er hat mein Interesse an der Vogelberingung stark gefördert und es ermöglicht, dass ich unter seiner Anleitung ver- schiedene Fangtechniken erlernte und mich diesbezüglich später unter seiner Obhut entfalten konnte. Die vertieften Studien an der Beutelmeise mit Farbberingung, die ihren Niederschlag in der Bearbeitung der Artkapitel im „Hand- buch der Vögel Mitteleuropas“, in der Avifauna Nieder- sachsens und der „Vögel des Wolfsburger Raumes“ fanden, wären ohne Reinhards väterlich-wohlwollende Supervision und tatkräftige Unterstützung nicht möglich gewesen, ebenso wenig die fast 30-jährigen Untersu- chungen zu rastenden gebüsch- und schilfbewohnenden Kleinvögeln in den Düpenwiesen (FLADE & MANN 1991, 2008) sowie zu den Rallen im Wolfsburger Raum (zu- sammengefasst in FLADE & JEBRAM 1995).

Bereits Reinhards Vater Oswald Mann war in den 1950er und 1960er Jahren durch Theodor Rehn, damals Rektor Reinhard Mann. Foto: Martin Flade. vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:55 Seite 323

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Skandinavien waren der Ausgleich für diese eher trockene Geboren wurde Reinald Skiba am 21.05.1932 in Oppeln Tätigkeit. Typisch für ihn, und für meine Persönlichkeits- (Oberschlesien), kurz nach seiner Geburt kehrte die entwicklung sehr wertvoll, waren seine stets äußerst be- Familie nach Osnabrück zurück. Seine Mutter starb hier scheidene, zurückhaltende und gewissenhafte Art – ei- bereits 1937, sein Vater Richard Skiba (1900-1969) war nerseits positiv motivierend und fördernd, andererseits 1946-1959 als Staatssekretär Leiter der Niedersächsischen sich nie in den Vordergrund spielend. Öffentliche Auftritte Staatskanzlei. Geschwister hatte er keine. Er selbst legte und wortgewandte Reden waren nicht seine Art. Er fand 1951 das Abitur am humanistischen Gymnasium Carolinum sein Glück in der stillen, intensiven Begegnung mit der in Osnabrück ab und studierte ab 1952 auf Anraten Natur. Auch boten Reinhard und seine Frau Erna mir seines Vaters, er wäre lieber Zoologe geworden, „Bergbau eines der nicht eben zahlreichen Beispiele für eine gelun- und Hüttenwesen“ an der Bergakademie Clausthal, gene, lebenslang haltbare Ornithologen-Ehe, die von ge- später TU. Hier hat er 1959 mit dem Thema „Die Mitbe- genseitigem Respekt, Rücksichtnahme und im Gegenzug stimmung in Holdinggesellschaften unter besonderer Be- auch großer Unterstützung geprägt war. So war es auch rücksichtigung paritätischer Mitbestimmung“ promoviert seine Frau Erna, die ihm noch im August letzten Jahres, und sich 1972 mit der Arbeit „Entwicklung einer Methode obwohl bereits von der Krankheit schwer gezeichnet, die zur periodenhaften Ermittlung von Unfallschwerpunkten Teilnahme an der Festveranstaltung zum 40-jährigen Be- in Industriebetrieben“ habilitiert. Er war zweimal verheiratet, stehen der Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung beide Frauen, Renate, geb. Klaes sowie Irene, geb. Frede in Hannover ermöglichte. Dort begegnete ich ihm das sind vor ihm gestorben. Er verstarb am 14.05.2013 in letzte Mal. Ich bin Reinhard Mann sehr dankbar für die Wuppertal. Aus erster Ehe ließ er 3 Söhne mit ihren gemeinsame Zeit! Familien zurück, außerdem seine Lebensgefährtin der letzten Jahre Gudrun Kolbe. Martin Flade Nach dem Studium führte ihn sein beruflicher Werdegang Publikationen mit wesentlicher Beteiligung von Reinhard 1958-1968 an die Bergämter Wolfenbüttel, Sulzbach, Mann: Meppen, Goslar, zur Wirtschaftsvereinigung Bergbau in FLADE, M., & J. JEBRAM (1995): Die Vögel des Wolfsburger Raumes Bonn sowie an das Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld. im Spannungsfeld zwischen Industriestadt und Natur. Wolfs- Seit 1969 traten Unfallforschung und Arbeitsschutz in burg. den Mittelpunkt seiner Tätigkeiten, er war 1969-1971 FLADE, M., & R. MANN (1991): Bestandstrends, Zugverlauf und am Bundesinstitut für Arbeitsschutz in Koblenz für die Bruterfolg durchziehender Kleinvögel in den Düpen bei Wolfs- Unfallforschung zuständig, 1972-1975 an der Bundes- burg – Ergebnisse 16jähriger Beringungsarbeit. Vogelwelt anstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung in Dortmund 112: 184-212. für die Ingenieurwissenschaften. 1976-1997 war er or- FLADE, M., & R. MANN (2008): Wegzugverlauf und Populations- dentlicher Professor für Sicherheitstechnik/Produktion an trends von gebüsch- und schilfbewohnenden Kleinvögeln in der Gesamthochschule Wuppertal. Daneben nahm er den Düpenwiesen bei Wolfsburg im Zeitraum 1974-2002. Lehraufträge an der TU Clausthal 1972-1996 wahr (Ar- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 40: 363-387. beitsschutz und Nachbarschaftsschutz) sowie an der Uni- MANN, R. (1976): Sprosser (Luscinia luscinia) bei Wolfsburg. Vo- versität Dortmund 1974-1978 (Arbeitsschutz). Seine Ta- gelkdl. Ber. Niedersachs. 8: 25-26. schenbücher „Moderner Harzer Bergbau“ (1966), „Der MANN, R. (1983): Nachweis eines eben flüggen Schlagschwirls Bergbau im Westharz“ (1974), Arbeitssicherheit (1980) (Locustella fluviatilis) bei Wolfsburg. Vogelkdl. Ber. Nieder- und Betriebliche Sicherheitstechnik (1980) erlebten zumeist sachs. 15: 16. mehrere Auflagen.

Hier soll vor allem sein Engagement für die Vogelwelt Prof. Dr. Reinald Skiba (1932–2013) gewürdigt werden, denn neben seiner beruflichen Tätigkeit galt seine besondere Liebe stets den Gefiederten. Mit 14 Reinald Skiba ist ein Naturliebhaber gewesen, bei dem Jahren trat er dem Naturwissenschaftlichen Verein Osna- Beruf und Passion scheinbar weit auseinander lagen, der brück bei und ab 1946 wurde Hans Kumerloeve sein es aber immer und bis ins hohe Alter verstanden hat, Mentor, der ihn für die Ornithologie begeisterte. Erste seine naturwissenschaftlichen und technischen Kenntnisse Veröffentlichungen widmeten sich der Vogelwelt von schriftstellerisch, in Vorträgen, auf Führungen stets gut Memmert (1953, Beitr. Naturkde. Niedersachsen), wo er verständlich weiterzugeben. sich 1950 (10.-16.7.) und vor allem 1952 (31.5.-5.6.; 1.- vbn_43-2_vbn_09 12.02.2014 20:55 Seite 324

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30.8.) aufhielt, später noch zweimal 18.-25.3.1960 und reitung. Im Naturschutz hat er sich insbesondere für Fle- 8.-21.6.1965, sowie Beobachtungen aus dem Raum dermäuse intensiv engagiert mit der ihm eigenen „kom- Meppen (1962, 1965, Veröff. Naturwiss. Ver. Osnabrück). promissorientierten Fachkompetenz“.

Die Vogelwelt des Harzes stand im Mittelpunkt seiner or- Für die Durchsicht des Manuskripts, Klärung von Fragen nithologischen Interessen, seine umfangreichen Kenntnisse und zusätzliche Informationen bin ich Frau Gudrun Kolbe hat er in Veröffentlichungen zwischen 1965 und 2010 zu großem Dank verpflichtet. für die Nachwelt überliefert. So gab er die Bändchen „Die Harzer Vogelwelt“ (1965, 2. Aufl. 1971), „Die Harzer Herwig Zang Tierwelt“ (1969), dann beide zusammengefasst und neu bearbeitet unter „Die Tierwelt des Harzes“ (1983) heraus. Sie hatten Taschenbuchformat und dienten vor allem den 10. Deutsches See- und Küstenvogelkolloquium der Harzbesuchern, aber auch interessierten Ornithologen AG Seevogelschutz zur ersten Orientierung über die Avifauna des Westharzes. Darüber hinaus widmete er sich schon auf Memmert und 1. Ankündigung dann im Harz intensiv der Vogelfotografie, und so konnte Vom 14. bis 16. November 2014 veranstaltet die AG er die genannten Taschenbücher durchgehend mit eigenen Seevogelschutz in Zusammenarbeit mit der National- Fotos ausstatten. Weitere Arbeiten aus dem Harz be- parkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer auf der schäftigten sich mit der „Vogelwelt von Clausthal-Zellerfeld“ Insel Norderney das 10. Deutsche See- und Küstenvogel- (1966, Allg. Harz-Berg-Kalender), der „Vogelwelt des kolloquium. Stadtkreises Goslar“ (1968, Unser Harz), dem Vorkommen von Schafstelze, Grünlaubsänger, Schwarzkehlchen, Braun- Die Arbeitsgemeinschaft Seevogelschutz, ein seit 1982 kehlchen und Wasseramsel. Gemeinsam mit W. Nothdurft bestehender Zusammenschluss von Vereinen und Insti- (Ulm) veröffentlichte er Berichte zum Brüten des Sumpf- tutionen, die für den Schutz bzw. die Erforschung von rohrsängers (1967, Ornithol. Mitt.), über „Neue Vogelbe- Küstenvögeln an der deutschen Nord- und Ostseeküste obachtungen auf dem Oberharz“ (1969, Unser Harz) amtlich oder ehrenamtlich tätig sind, setzt damit die und „Zum Vogelzug über den Westharz“ (1994, Vogelkdl. 1996 begonnene Tradition fort, alle zwei Jahre insbesondere Ber. Niedersachs.). Zuletzt fasste er seine zahlreichen Ex- auch jungen Referenten ein Forum zu bieten, ihre For- kursionen in den Harz zusammen unter „Auswirkungen schungsergebnisse vorzustellen und aktuelle Erfahrungs- von Immissionsschäden auf die Vogelbestände des Hoch- berichte aus den Schutzgebieten auszutauschen. harzes“ (2006, Vogelkdl. Ber. Niedersachs.) und „Die Ver- änderungen der Vogelwelt 1974 -2009 zwischen Auerhahn Die genaue Programmgestaltung sowie nähere Informa- und Schalke, Stadt Goslar“ (2010, Mitteilungen Naturwiss. tionen zur Tagung werden im Laufe des Jahres 2014 auf Ver. Goslar). An der Avifauna von Niedersachsen wirkte der Homepage der AG Seevogelschutz www.seevogel- er mit und steuerte die Artbearbeitungen von Garten- schutz.de bzw. des Nationalparks Niedersächsisches Wat- und Waldbaumläufer (1998) bei. tenmeer www.nationalpark-wattenmeer.de/nds publiziert. Es wird ein Tagungsbeitrag von 25,- € erhoben. Es ist Auch in seiner neuen Heimat Wuppertal blieb er orni- vorgesehen, die Tagungsbeiträge in den Vogelkundlichen thologisch nicht untätig und brachte neben kleineren Berichten aus Niedersachsen zu publizieren. Publikationen 1993 vor allem das Buch „Die Vogelwelt des Niederbergischen Landes“ heraus, das die Daten Für Frühanmelder verweisen wir zur Zimmerbuchung auf und Erfahrungen zahlreicher Beobachter aus den 28 www.norderney.de. Hinweise zu günstigen Unterkünften Jahren zwischen 1965 und 1992 zusammenfasste. Zuletzt werden ebenfalls auf den genannten Homepages ange- erschien 2013 „Brutvogelbestände 1978-2012 im Gebiet geben. Kempgenholz/Remscheid, Ergebnisse und mögliche Gründe für Veränderungen“ (Abh. Westfäl. Mus. Naturk.). Au- Für Anfragen: Nationalparkverwaltung Niedersächsisches ßerdem widmete er sich, insbesondere mit dem Auf- Wattenmeer, Virchowstrasse 1, D-26382 Wilhelmshaven, kommen der Detektortechnik, zunehmend den Fleder- [email protected] mäusen. Sein Buch „Europäische Fledermäuse“ in der Neuen Brehm-Bücherei, erschienen 2004, konnte schon Für die Veranstalter: Rolf de Vries 2009 eine 2. Auflage verzeichnen, eine 3. war in Vorbe-