Bürgermeister Und Gemeinderäte
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Α. Basisnahe politische Eliten 1945-1972 I. Die Gemeinden: Bürgermeister und Gemeinderäte „Es ist ganz egal wies ausgeht, ganz egal. Hauptsache es ist vorbei!"1 - diese Hal- tung schien zumindest im Westen Deutschlands unmittelbar vor dem Einmarsch amerikanischer, britischer und französischer Truppen weit verbreitet. Das Gros der deutschen Bevölkerung war nach sechs Jahren Krieg völlig demoralisiert. Es mangelte an allem, nicht zuletzt an Nahrungsmitteln. Den immer heftigeren Bom- benangriffen, denen die deutsche Luftwaffe nichts mehr entgegenzusetzen hatte, waren die Menschen schutzlos ausgeliefert. Dazu kamen täglich neue Schreckens- nachrichten von der Front. Es gab kaum noch eine Familie, die nicht den Verlust des Vaters, Bruders, Ehemannes oder Sohnes zu beklagen hatte. An der „Heimat- front" waren der Glaube an den „Endsieg" und die ursprünglich weit verbreitete Begeisterung für den Nationalsozialismus endgültig verflogen. Auch die über- zeugtesten Anhänger Hitlers mußten nun erkennen, wie aussichtslos die militäri- sche Lage war. Das Regime hatte abgewirtschaftet. Um so zynischer wirkte das brutale Vorgehen fanatischer NS-Schergen, die in einem finalen Furor - manch- mal nur wenige Stunden vor dem Einmarsch der alliierten Truppen - zahllose Menschen ermordeten, die sich für eine kampflose Ubergabe ihrer Heimat einge- setzt hatten. Kein Wunder, daß die meisten Deutschen nichts mehr herbeisehnten als das Ende der „Ära des Aufhängens und Totschießens".2 Frieden galt als Vorbe- dingung eines Neuanfangs - wie immer dieser auch aussehen mochte. 1. 1945: Erzwungener Elitenwechsel durch die amerikanische Militärregierung Nach der totalen Niederlage lag die politische Neuordnung Deutschlands zu- nächst allein in den Händen der Alliierten. Vor allem die Amerikaner wirkten fest entschlossen, Nationalsozialismus und Militarismus mit Stumpf und Stiel auszu- 1 Zitiert nach Zcitler, Neubeginn, S. 74. Vgl. im folgenden auch Birke, Nation ohne Haus, S. 23-32. 2 So ein Bericht „Die letzten Kriegstage von Aalen" vom 9. 10. 1948, zitiert nach Henke, Besetzung, S. 861. Ausführlich zu Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht in der süddeutschen Bevölkerung vgl. ebenda, S. 813-844, und Henke, Trennung vom Nationalsozialismus, S. 29ff. 40 I. Die Gemeinden: Bürgermeister und Gemeinderäte tilgen. Entnazifizierung und „Automatic Arrest" standen ganz oben auf der Prio- ritätenliste ihrer Nachkriegsplanungen.3 Politisch unbelastete Personen sollten die leitenden Positionen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft übernehmen, um dem Experiment des demokratischen Neuaufbaus zum Erfolg zu verhelfen. Die Vor- aussetzungen schienen günstig: Spätestens mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 waren die Schaltstellen der Macht schlagartig ver- waist. Wer von den hochrangigen Nazibonzen nicht geflohen war oder Selbst- mord begangen hatte, fand sich rasch in einem Gefängnis oder Internierungslager wieder. Das galt nicht nur für die prominenten „Goldfasane" wie etwa die Gaulei- ter, sondern betraf auch das Personal auf der mittleren politisch-administrativen Ebene. So wurden beispielsweise die Kreisleiter ebenso verhaftet und interniert wie viele Ortsgruppenleiter, sobald man ihrer habhaft werden konnte.4 a) Amerikanische Säuberungspolitik auf der Kreis- und Gemeindeebene Richtschnur für die Verhaftungen war das Arrest Categories Handbook, demzu- folge auch die „NSDAP-Funktionäre bis hinunter zu den Ortsgruppenamtslei- tern sowie alle leitenden Beamten der Verwaltung einschließlich der Oberbürger- meister und Landräte umgehend dingfest zu machen" waren.5 Diese Direktiven standen keineswegs nur auf dem Papier, die U.S. Army und die Mitarbeiter der Militärregierung bemühten sich nach Kräften, sie rasch in die Tat umzusetzen - nicht ohne Erfolg. Die Zahl der Internierten erreichte in der amerikanischen Be- satzungszone im Dezember 1945 mit 117512 Personen ihren Höchststand; unter ihnen befanden sich zahlreiche Landräte, Oberbürgermeister, Ministerialbeamte und sonstige Angehörige des öffentlichen Dienstes.6 In den Großstädten Frank- furt am Main, München, Stuttgart und Nürnberg wurden die amtierenden Ober- bürgermeister unmittelbar nach dem Einmarsch der Amerikaner aus dem Amt ge- jagt. Gleiches geschah in den fränkischen Kleinstädten Ansbach, Fürth, Kronach, Kulmbach, Schwabach und Forchheim; in den beiden letztgenannten wurden die diskreditierten NS-Größen durch renommierte Sozialdemokraten ersetzt, die Terror und Krieg überlebt hatten. In den Landratsämtern bot sich dasselbe Bild: Mit dem Portrait des „Führers" warfen die Sieger auch dessen Gehilfen aus den 3 Dies war der Leitgedanke der berühmt-berüchtigten Direktive JCS 1067, die zunächst als tempo- räre Leitlinie für die Besatzungspolitik unmittelbar nach der Eroberung Deutschlands ausgearbei- tet worden war; die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz folgten diesen Vorstellungen, von weni- gen Ausnahmen abgesehen, ziemlich genau. Vgl. Latour/Vogelsang, Okkupation und Wiederauf- bau, S. 9-27. 4 Vgl. dazu Henke, Trennung vom Nationalsozialismus, S. 31 f. mit zahlreichen Beispielen, sowie Woller, Gesellschaft und Politik, S. 68, und Fait, Kreisleiter, S. 225 ff. 5 Zeitler, Neubeginn, S. 135. Die Aufstellung des britisch-amerikanischen Oberkommandos über den „Automatischen Arrest" vom Oktober 1944 ist abgedruckt bei Vollnhals, Entnazifizierung, S. 238 ff. Die Aufstellung enthält auch Schätzungen über die Gesamtzahl der in den einzelnen Kategorien zu Verhaftenden. 6 Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 255 f. Zu der im folgenden skizzierten Entwicklung vgl. Beyer, Demokratie als Lernprozeß, S. 201-210. Zur Entwicklung in Frankfurt, Stuttgart und München vgl. Boehling, A Question of Priorities, S. 116-155. Zu Nürnberg vgl. Eckart, Amerikanische Reformpolitik, S. 225-229. Zu Ansbach und Fürth vgl. Woller, Gesellschaft und Politik, S. 74-80; zu Kronach und Kulmbach vgl. Zcitler, Neubeginn, S. 144-152. 1. Erzwungener Elitenwechsel 41 Amtszimmern, und zwar ohne lange danach zu fragen, ob sie es tatsächlich mit überzeugten Nationalsozialisten zu tun hatten.7 Das von der Militärregierung ins Werk gesetzte personelle Revirement in der Kommunalpolitik war umfassend. Selbst die Bürgermeister kleiner Dörfer und Landgemeinden blieben davon nicht verschont. In den 74 Gemeinden des schwä- bischen Landkreises Nördlingen etwa machten die Amerikaner mit den amtieren- den Ortsvorstehern kurzen Prozeß - von einer einzigen Ausnahme abgesehen: Der Bürgermeister von Niederhofen, einem kleinen Dorf von nicht einmal 200 Einwohnern, durfte seinen Posten behalten, gewissermaßen als Belohnung für sei- nen passiven Widerstand gegen das NS-Regime: Er hatte nicht nur selbst allen Pressionen widerstanden, der NSDAP beizutreten, sondern auch seine Mitbürger von diesem Schritt abgehalten, so daß es bei Kriegsende in der ganzen Ortschaft keinen einzigen Pg. gab.8 Im Landkreis Roding, der bei Kriegsende aus 61 Ge- meinden bestand, hatten bis Anfang August 1945 bereits 59 Kommunen ein neues Oberhaupt erhalten; die beiden übrigen Gemeinden waren an die Amerikaner mit der Bitte herangetreten, die nach Kriegsende entlassenen Bürgermeister wieder einzusetzen. In den 59 Gemeinden des Landkreises Landsberg am Lech blieben nach Kriegs- ende nur vier der alten Bürgermeister im Amt.9 Zu den wenigen, die bleiben durf- ten, zählte Max Lutzenberger. Der 1894 geborene Bäckermeister, der im Juni 1931 erstmals zum Bürgermeister von Walleshausen gewählt worden war, hatte die 500- Seelen-Gemeinde im Nordosten des Landkreises die gesamte NS-Zeit hindurch vertreten und sich dabei offensichtlich nichts zu Schulden kommen lassen, was ge- gen ihn verwendet werden konnte.10 Bei den Einwohnern von Walleshausen war er jedenfalls sehr beliebt: Lutzenberger, der als der „ungekrönte Fürst" des Dorfes galt", lenkte die Geschicke der Gemeinde bis zu ihrer Auflösung im Zuge der Ge- bietsreform 1972. Ähnlich lagen die Dinge in Mundraching, einem kleinen Dorf im Südwesten des Landkreises, das vor dem Krieg 123, danach 238 Einwohner zählte. Hier enthob die Militärregierung den Bauern Johann Sanktjohanser, der seit 1942 als Bürgermeister amtiert hatte, unmittelbar nach dem Einmarsch seines Postens, auf den er jedoch bereits im Frühjahr 1946 wieder zurückkehren konnte. Auch Sanktjohanser hatte keine persönliche Schuld auf sich geladen und sich of- fenbar nur pro forma am NS-Unrechtsregime beteiligt: Im November 1941 war er der NSDAP, ein Jahr später der NSV beigetreten, ohne jedoch ein nationalsoziali- stischer Aktivist gewesen zu sein. Die Spruchkammer Landsberg am Lech stufte 7 1945 regierte häufig sturer Schematismus, der sich vor allem an der Parteimitgliedschaft bzw. dem Datum des Eintritts in die NSDAP orientierte. Vgl. Vollnhals, Entnazifizierung, S. 10 ff. Weitere Beispiele für die Entlassung von Landräten durch die Militärregierung bei Woller, Gesellschaft und Politik, S. 80f., und Zeitler, Neubeginn, S. 152-159. Zur „Gleichschaltung" der Dörfer, die damit rückgängig gemacht wurde, vgl. die Regionalstudie von Zofka, Dorfeliten und NSDAP 8 IfZ-Archiv, RG 260, 10/65-2/5, Historical Report LK Nördlingen vom 22. 6. 1946. 1939 hatte die Gemeinde Niederhofen 139 Einwohner, 1950 waren es 195. BSB 177, Bd. 7, S. 132. Das Folgende nach IfZ-Archiv, RG 260, CO 474/3, Historical Report LK Roding vom 2. 8. 1945. ' IfZ-Archiv, RG 260, 10/83-3/5, Annual Historical Report LK Landsberg vom 26.6. 1946, und Müller-Hahl (Hrsg.), Heimatbuch Landsberg am Lech, S. 129 ff. i= Genauere Angaben zum Verhalten Lutzenbergers zwischen 1933 und 1945 sind nicht möglich, da seine Spruchkammerakten