Hans-Kaimöller
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Im Frühjahr 1980 begann ein für Hamburg noch recht unge- Hans-Kai Möller wöhnliches Projekt: Stadtteilgeschichte zusammen mit den Die Zigarrenmacher Bewohnern zu erforschen und zu dokumentieren, um die Ergebnisse anschließend ineiner Ausstellung zupräsentieren. in Altona-Ottensen Das Arbeitskonzept sah vor, die beispielhafte Entwicklung ZurWiederentdeckung eines ehemals selbständigen, hamburgnahen Bauern- und einerfast vergessenen Handwerkerdorfes zur Industrie- und Arbeiterstadt bis hin Berufsgruppe zum heutigen Sanierungsstadtteil von Hamburg zudokumen- Vorbemerkung Tieren Das Forschungsinteresse setzte an bei den Lebens- und Arbeitsverhältnissen, der Alltagsgeschichte der sogenannten „kleinenLeute",derKätnerundBauern,derHandwerker,der Industriearbeiterund -arbeiterinnenund derBewohner heute, es sollte eine Geschichteder Leute werden,verknüpft mit der Geschichteund Gegenwart der Stadt-eine Stadtgeschichte, in der sich viele wiederfinden könnten:in der Bewohner des Stadtteils Wieder- und Neuentdeckungen machen zur Sozial-, Wirtschafts- und zur politischen Geschichte und Bewohner anderer Stadtteile Vergleiche zuihrer eigenen Geschichteund 1 Schleswig-Holstein heute (Hamburg- der ihres Wohngebiets ziehen können. Allona gehörtebis 1937 zu Schleswig- DieEntwicklung Ottensens zur Industriestadt sollte anhand Holstein). 1 Ausführliche InformationenzuKon- zept,VorbereitungundDurchführung- der Ausstellung „Ottensen Zur Ge- schichte eines Stadtteils", die vom 3.11. 1982bis zum7. 8. 1983im Alto- naer Museum gezeigt wurde, enthal- ten: Ausstellungsgruppe Ottensen - Altonaer Museum, Ottensen - Zur Geschichte eines Stadtteils,Hamburg 1982 (Stadtteilbuch), S.11-13; von- Dücker, Elisabeth, VomDorf zurIn- dustriestadt: Ottensen-Museum und Bewohnerentdecken die Geschichte ihres Stadtteils,in: Ursula Deymann, UdoLiebelt(Hg.), Museumspädago- gik, Welt der Arbeit imMuseum, Mar- burg1983, S.42-54; Beckmann,Ralf, Vom Nutzen und Nachteil der ,Ge- schichte von unten1 für das Leben - Eine Zwischenbilanz von Modellen aktiver Geschichtsarbeit, in: Ge- schichtsdidaktik, H.3, 1984, S.255-261. Zu dieser Zeit gab es in Altona und Ottensen ca. 3000 Zigarrenmacher. Auffällig ist die starke Konzentration der Heimarbeiterhaushalteim beson- ders stark industrialisierten Nordosten OttensensundinAltona-Altstadt(Bild: Museum Altona,Jahrbuch 1965). 11 vonvier diesenProzeß prägendenIndustrien, Zigarrenproduk- tion, Glasfabrikation, Metallindustrie und Fischverarbeitung, erforscht und präsentiert werden. Im Rahmen der Projekt- gruppe wurdeichdamit beauftragt, denBereich Zigarrenher- stellungzubearbeiten. Ausdieser Arbeit ergaben sichwährend derVorbereitungund Durchführung der Ausstellung undauch danach neue Arbeitszusammenhänge zu diesem Thema. Eine vollständige Darstellung bzw. Abgrenzung der verschiedenen Aktivitätenist aus Platzgründen im Rahmendieses Aufsatzes nicht möglich. ZurGeschichte der „In Altona, Ottensen und Wandsbeck arbeiten die Hausindu- Zigarrenmacher striellen bald in Kellern, bald unter dem Dache, oft in den kleinsten Räumen zusammengepfercht und bei geschlossenen Fenstern ohne Lüftungsvorrichtung. Die Leutesitzenin diesen Räumen so gedrängt, daß, wenn einer derselben hinausgehen will, die ganze vor ihm sitzende Reihe sich erheben und die Schemel auf die Arbeitstische legen muß, um ihm Platz zu machen. Die Beleuchtung erfolgt durch Petroleumlampen, die häßlich ausdünsten; zurHeizungdienteinrotglühender eiserner Ofen. Über den Köpfen der Arbeitenden sind mit Leinwand bespannte Holzrahmen angebracht, aufdenen der zu bearbei- tende Tabak den erforderlichen Grad der Trockenheit bekom- men soll, undan denWändenund Türen stehtingroßen Tropfen das Schweißwasser. Die Luft war des Abends für den inspizie- renden Beamten so überwältigend vor Ekel und des Morgens nur da erträglich," wo die ganze Nacht hindurch hatte gelüftet 2 Stieda, Wilhelm, „Die deutsche werden können. 2 Hausindustrie"(Bd. 39-42 der Schrif- Unter solchenoder ähnlichen wurdenum1890 ten des Vereins für Sozialpolitik), Bedingungen Leipzig1889-1892, S.94. inHunderten vonHeimarbeiterstubenin Hamburg undseinen drei Nachbarstädten, die heuteStadtteile von Hamburg sind, Zigarren und Zigarilloshergestellt. Bereits Mitte der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war Altona ebenso wie Hamburg ein Zentrum der Zigarren- produktion. Starken Aufschwung erhielt die bis dahin unbe- deutende Zigarrenherstellung im benachbarten Ottensen durch die Aufhebung der Altonaer Zollprivilegien für den Export nachSchleswig-Holstein undDänemarkund dieVerei- nigung Altonasmit demHamburger Zollgebiet imJahre1853. Fünf Zigarrenfabriken verlegten daraufhin ihre Betriebe von Altona nach Ottensen. Außerordentlich günstig wirkte sich der Anschluß Schles- wig-Holsteins -Ottensen war zu dieser Zeit ein holsteinisches - Dorf an denDeutschen Zollverein (1867) auf die Ottenser Zigarrenherstellung aus. Zigarren aus Ottensen konnten nun zollfrei indas gesamte Zollvereinsgebiet verkauft werden. Die Zigarren wurden damals in großen Manufakturbetrie- benhergestellt. ImGegensatz zudemin Altona-Ottensenstark verbreitetenHandwerk entwickelte sichindenkapitalistischen Zigarrenmanufakturen schnelleinoffenerInteressengegensatz zwischen dem Unternehmer undseinen Lohnarbeiternheraus. Bedingt durchpolitische, steuerlicheundzolltechnische Ver- änderungen ging in Altona und einige Jahre später auch in 12 Ottensendie Zigarrenproduktioningroßen Manufakturbetrie- ben zugunsten der Heimarbeit zurück. In Altona-Ottensen entwickelte sich verstärkt seit Anfang der siebziger Jahre die HeimindustrieimVerlagssystem-derUnternehmerliefert den Rohtabak an einenHausarbeiter,der wiederuminseiner Woh- nung auf eigene Rechnung bis zu zehn Zigarrenmacher beschäftigt -unddieEinzelheimarbeit für einenZigarrenfabri- kanten.Danebengabes auch eineMinderheit vonHeimarbei- tern, die direkt für Zigarrengeschäfte, Gastwirte und Privat- kunden produzierte. Die hier kurz dargestellte eigentümliche Entwicklung von der Zigarrenherstellung in der Großmanufaktur zur Heimar- beit warnurmöglich,weil dieProduktionmit sehr wenig Werk- zeug -Fummelbrett, Schneidemesser, Tabakleim, Wickelfor- menund Formenpresse - durchgeführt werden konnte.Diese einfachenProduktionsmittelkonntesich aucheinarmer Heim- arbeiter beschaffen. Zur fabrikmäßigen Zigarrenherstellung bestandkeine wirtschaftlicheNotwendigkeit, da es nochkeine Maschinen zur Zigarrenherstellung gab. Die Heimarbeit im Verlagssystem, die seit den siebziger Jahren in Altona und Ottensen dominierte, bedeutete keine Rückkehr zu einer ursprünglichen individuellen Produktions- weise, die es in der Zigarrenfabrikation in Hamburg und Altona-Ottensennie gegeben hat, sondern eine Ausdehnung des Großbetriebes über die Grenzen der Fabrik hinaus in die Wohnung des Arbeiters. Durchdiese Form desdezentralisier- ten Großbetriebes konnten auch solche Arbeitskräfte für die Zigarrenherstellung mobilisiert werden, denen es durch zu hohes oder zu geringes Alter, Behinderung, Krankheit oder VersorgungvonKindernnicht möglichwar,täglich zwölfStun- deninder Fabrik zuarbeiten. Außerdem sparte der Fabrikant die Kosten für den Bau bzw. Kauf großer Fabrikräume und derenUnterhaltung und bürdete diese Ausgaben denHeimar- beitern auf. Ohne Schwierigkeiten konnte er bei schlechter Auftragslage dieProduktion einschränkenbzw. seineHeimar- beiter nurmit kleinenAufträgen beschäftigen. Darüber hinaus hatteerimmer dieMöglichkeit,seineProduktionohneerhebli- che Kosten in Billiglohngebiete zu verlagern. Auch bei Kon- flikten um die Lohnhöhehatte der Verleger eine wesentlich günstigere Positiongegenüber den Arbeiternals derManufak- turbesitzer: er hatte die Möglichkeit,mit den Hausarbeitern einzeln zu verhandeln, sieso gegeneinander auszuspielen und denLohn auf einem geringen Niveau zuhalten. Die Ausdeh- nung der Heimarbeit fand jedoch ihre Grenzen in den beschränktenKontrollmöglichkeitendesFabrikantenüber den Arbeitsprozeß. Dadie Qualitätskontrollenbei derAblieferung inder Fabrik durchdie Sortierer nur sehr oberflächlichdurch- geführt werden konnten, waren die Fabrikanten gezwungen, zumindest diebestenSortenaus teuren Importtabaken weiter- hin indenFabriken herstellen zu lassen. Hattedie bisindie siebziger Jahre vorherrschende Produk- tion in relativ großen Manufakturen die gewerkschaftliche Organisation derZigarrenmacher gefördert,so begünstigte die 13 Heimarbeit mit ihren katastrophalen sozialen Verhältnissen einerseits und ihrenungehinderten Diskussionsmöglichkeiten undder InstitutiondesVorlesers andererseitsdieschnelle Ver- breitung sozialistischer Theorien und die Organisation vieler Zigarrenmacher im ADAV und später in der Sozialdemo- kratie. Durch die Ausbreitung der Heimindustrie entwickelte sich das Vorlesen politischer Schriften während der Arbeitszeit zu einer weit verbreitetenEinrichtung. DieHerausbildungdieser Institutionbasierte aufdenBesonderheiten des Arbeitsprozes- ses bei der Zigarrenproduktion: Wickelmacher und Roller saßen sich in der Regel an langen Arbeitstischen in geringer Entfernung gegenüber und konntensich bei der Arbeit unter- halten, da das Zigarrenmachen fast geräuschlos verlief. Die 3 Besonders während des Sozialisten- täglich hundertfach wiederholten monotonen Handgriffe des gesetzes (1878-1890) trug die Institu- Wickelmachers bzw. des Rollers, die weder hohe physische tion des Vorlesers dazu bei, daß der Einfluß der Sozialdemokratie unter Anstrengungen noch eine starke Konzentration verlangten, den Zigarrenmachern erhalten blieb ermöglichtenden Arbeitern eine umfassendeund dauerhafte bzw. sich sogarnochvergrößerte. Eine Habitualisierung