Editorial Inhaltsverzeichnis
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Editorial Inhaltsverzeichnis Seit dem rechtsextremen Skandal am Rand der Gedenkfeier in Eben- Seite 4 see ist mehr als ein halbes Jahr vergangen. Die mediale Berichterstat- Die deutsche Militärbesatzung und die tung ist längst verebbt. Der Unruhezustand, in welchem sich die Eskalation der Gewalt in der Sowjetunion Gemeinde Ebensee zweifellos befunden hat, ist einer Wachsamkeit von Dieter Pohl gegenüber rechtsextremen Wahrnehmungen gewichen. Wenn man es als positiven Effekt des Skandals bewerten darf, so ist eine wachsende Sensibilität in der Bevölkerung hinsichtlich rechtsextremer Erscheinun- Seite 17 gen (Schmierereien, Aufklebern, NVP-Agitationen im Vorfeld der OÖ Zwangsweise deutsch - Die „Ostmark“ Landtagswahlen) spürbar. Soweit uns bekannt ist, sind seit Mai keine als Schauplatz der gewaltsamen „Ein- vergleichbaren rechtsextremen Vorfälle im Gemeindegebiet gemeldet deutschung“ von polnischen Kindern worden. von Ines Hopfer Die Frage, inwieweit die inszenierte rechtsextreme Provokation für die jugendlichen Täter, abgesehen von einer mehrtägigen Untersuchungs- haft, Folgen haben wird, kann zurzeit nicht beantwortet werden. Das Seite 23 Verfahren wegen NS-Wiederbetätigung und Körperverletzung – auch „Man erfährt einfach mehr und wird stär- von der betroffenen französischen Delegation wurde im Mai 2009 An- ker, wenn man gegen den Strom zeige erstattet - ist immer noch im Gang. Warum das Verfahren so schwimmt“ - Betrachtungen zur wider- lange dauert, ist nicht nachvollziehbar, liegt der Tatbestand doch auf ständigen Entwicklung des jungen Franz Kain von Marion Hussong der Hand. Die lange Verfahrensdauer generiert vielmehr den Effekt, dass die Öffentlichkeit aufgrund der zeitlichen Distanz den Vorfall zu- nehmend zu bagatellisieren vermag. Seite 40 Ein Treffen zwischen den jugendlichen Tätern und den französischen Kreta - Deutsche Besatzung und Wider- Betroffenen hat bisher nicht stattgefunden, ebenso wenig eine persön- stand von Wolfgang Quatember liche Entschuldigung. Trotzdem hegt die französische Delegation der „Amicale Mauthausen“ keine pauschalen Ressentiments gegen Ebensee, wie von Präsident Seite 43 Daniel Simon mehrfach geäußert wurde. Der gute Kontakt zwischen Die Rückstellung von „arisierten“ Liegen- den Verantwortlichen in der Gedenkstätte Ebensee und der „Amicale“ schaften in Bad Ischl von Nina Höllinger besteht nach wie vor. Ende Oktober 2009 besuchte die Delegation wie jedes Jahr die österreichischen KZ-Gedenkstätten, darunter auch Ebensee. Seite 48 Dass, auch wenn in absehbarer Zeit ein Gerichtsurteil ergehen sollte, In Memoriam Artur Radvanský der Vorfall zu den Akten gelegt werden könnte, wäre fahrlässig. Rechtsextremes und gewaltbereites Potential, scheint in Ebensee, Zeitzeugenbericht: wenn auch unter merkbarer Zurückhaltung, nach wie vor existent zu KZ-Mauthausen/Ebensee sein. Etwa firmiert der wegen NS-Wiederbetätigung auf seine Beru- von Artur Radvanský fungsverhandlung wartende mutmaßliche Führer der „Kampfgruppe Nachruf auf Artur Radvanský Oberdonau“ auf „Facebook“ nunmehr unter dem Pseudonym des ehemaligen SS-Offiziers „Otto Skorzeny“. In der Gemeinde muss weiterhin bildungspolitische Arbeit unter Einbe- Seite 51 ziehung der Jugend forciert werden. Die Polizei wird mehr denn je auf Projekt „Schulchroniken“ der Salzkam- Wahrnehmungen einer couragierten Zivilbevölkerung angewiesen mergutgemeinden aus der NS-Zeit sein. Wir alle sind aufgefordert zu demonstrieren, dass rechtsextreme von Michael Kurz und xenophobe Einstellungen in unserer Gesellschafts- ordnung keinen Spielraum haben. Gelegenheiten dazu gibt es viele. Eine besondere wird die nächstjährige Ge- Seite 52 denkfeier in Ebensee am 8. Mai 2010 sein. EU-Jugendprojekt gegen Indifferenz von Silvia Panzl Wolfgang Quatember Seite | 3 betrifft widerstand 94 | Dezember 2009 Die deutsche Militärbesatzung und die Eskalation der Gewalt in der Sowjetunion Dieter Pohl Ende September, Anfang Oktober 1941 erreichten die schen Seite zuzuweisen.5 Inzwischen ist die Historiogra- nationalsozialistischen Massenmorde in der besetzten phie zur Wehrmacht in der besetzten Sowjetunion Sowjetunion ihren ersten Höhepunkt. Die SS- und Poli- kaum mehr zu überblicken; es liegt eine Vielzahl von zeieinheiten begannen damit, in neu eroberten Städten Studien zu einzelnen Armeen, Divisionen oder Besat- die Angehörigen der jüdischen Gemeinden restlos zu zungsgebieten in diesem Raum vor.6 Eine Zusammen- ermorden, in den Kriegsgefangenenlagern der Wehr- fassung bzw. Verdichtung dieser Ergebnisse wird in zwei macht setzte ein Massensterben ein, dem bis Frühjahr neueren Untersuchungen versucht.7 1942 fast zwei Millionen Rotarmisten zum Opfer fielen, Wo nun sind die Wurzeln für diesen präzedenzlosen und den ersten Akten von Widerstand wurde durch Po- Vernichtungskrieg, der wohl sogar das Vorgehen der lizei und Wehrmacht mit der Erschießung von Zehntau- kaiserlichen japanischen Armee in Ostasien seit 8 senden Zivilisten begegnet. Nur sechs Wochen später 1931/37 in den Schatten stellte , zu suchen? wurden die ersten Hungertoten unter den zivilen Ein- wohner frontnaher Gebiete, besonders in Städten, re- Der Weg in den Vernichtungskrieg bis gistriert. Wie kam es zu dieser Eskalation der zum 22. Juni 1941 Verbrechen und welche Rolle spielte dabei die Wehr- Lange Zeit galt die unausgesprochene Prämisse, dass macht? die Wehrmacht im Frühjahr 1941 eine Säule des Staa- Diese Fragen haben die internationale Historiographie tes darstellte, die von der nationalsozialistischen Dikta- seit den 1960er Jahren interessiert. Mit besonderer In- tur und deren verbrecherischer Politik vergleichsweise tensität wird daran in den letzten zwanzig Jahren ge- wenig berührt war. Insbesondere die deutsche Militär- forscht. Einigkeit besteht dabei nur an zwei Punkten: elite erschien als homogen deutsch-national, aber der überragenden Rolle Adolf Hitlers bei der Eskalation kaum nationalsozialistisch und deshalb wenig ideologi- der Gewaltpolitik und der Weichenstellung durch die siert. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass die Ideolo- sogenannten „verbrecherischen Befehle“ vom Mai und gisierung dieses Milieus weit zurückreicht, in Teilen Juni 1941.1 Damit ist schon das klassische Interpretati- sogar bis in die radikale antibolschewistische (und onsmodell benannt. Erst in den letzten Jahrzehnten meist antisemitische) Ära der Freikorps 1919/20. Hit- wurde diese Argumentation erheblich erweitert: Zu- lers Machtergreifung 1933 wurde im Offizierskorps zu- nächst betonte man die Vorbildfunktion des Polenkrie- meist willkommen geheißen, die Gewalttaten des ges 1939, dann aber wurden die komplexen Regimes nach der Machtergreifung hingenommen Zusammenhänge zwischen der strategisch-wirtschaftli- oder gar begrüßt. Die kleine aber bedeutsame Militä- cher Feldzugsplanung seit Ende 1940 und der verbre- ropposition, die sich von Herbst 1938 bis Anfang 1940 cherischen Kriegführung offengelegt.2 Die neuere regte, war gegen die riskante Außenpolitik, aber kaum Forschung hat gezeigt, dass erhebliche Teile der Wehr- gegen die Gewalt im Innern gerichtet. Schon der Krieg macht, nicht nur das kleine Oberkommando der Wehr- gegen Polen zeigte das rassistische Gewaltpotential, macht, an der Organisation und Ausführung der das in der Armee steckte, wenn sie kriegerisch in Ost- Verbrechen beteiligt waren bzw. diese in Eigenverant- europa operierte. Zwar meldeten viele Armeeführer wortung vorantrieben.3 Anscheinend war der zentrale Proteste gegen die Massenmorde von SS und Polizei Teil der Verbrechen, der Mord an den Juden, bei Feld- an, doch zugleich verübten Heereseinheiten etwa die zugsbeginn noch gar nicht entschieden, sondern auch Hälfte aller Verbrechen während des Feldzuges.9 Nach dieser eskalierte in den Monaten des Sommers und der erfolgreichen Beendigung des Krieges in Westeu- Herbst 1941.4 Als dürftig haben sich hingegen neuere ropa war nicht nur die Militäropposition verschwunden, Versuche erwiesen, das Heer von dieser Verantwortung sondern auch die Kritik an den Besatzungsregimes. weitgehend auszunehmen und die Schuld für die Radi- Gerade die Unterdrückung und Beraubung der Juden kalisierung sogar zu erheblichen Teilen der sowjeti- wurde unter Militärbesatzung, so in Belgien-Nordfrank- Seite | 4 betrifft widerstand 94 | Dezember 2009 reich, von der Wehrmacht selbst angeleitet. Eine neue Versorgung des Ostheeres aus dem Lande, zusätzlich Welle an rassistischer Gewalt und Verfolgung brachten jedoch den Abtransport vieler Güter ins Reich, um dort der Krieg und die Besatzung der Wehrmacht auf dem das Versorgungsniveau hoch zu halten und die deut- Balkan ab April 1941, die in einigen Fällen bereits das sche Bevölkerung bei Laune zu halten. Zu diesem Regime in der besetzten Sowjetunion vorwegnahmen.10 Zweck entwickelte er ein gigantisches Hungerszenario: Der Feldzug gegen die Sowjetunion stand seit Juni Die Bevölkerung der östlichen Städte und in den Ge- 1940 auf der Tagesordnung der nationalsozialistischen bieten der Russischen Föderation sollte weitgehend von Führung. Mit den Vorbereitungen wurde im Spätherbst der Zufuhr von Nahrungsmitteln, also vor allem dem begonnen, die konkrete Entscheidung für den Krieg fiel südlichen Schwarzerde-Gebiet, abgekoppelt werden. im November/Dezember 1940. Dabei war von Anfang Der dadurch projektierte „Überschuss“ würde an die an klar, dass es sich um ein militärisch durchaus hoch- Wehrmacht und an die Deutschen im Reich abgege- riskantes Unternehmen handelte, welches sich gegen ben. Die verantwortlichen Militärs, Wirtschaftschef den ideologischen Todfeind richtete und diesen zer- Georg Thomas