Wissenschaft und Bergwelt Witterungsberichte der MeteoSchweiz Oktober 2003 bis September 2005 Scienza e mondo alpino 2003 Extrem warm, sonnig und niederschlagsarm – Rekordsommer Oktober Massiver Kälteeinbruch, Schnee bis ins Flachland auf der Alpennordseite November Föhnig und mild, im Süden nass Science et montagne Dezember Föhnig, im Mittelland sonnig, im Süden viel Schnee – sonnige, kalte Weihnachten 2004 Wärmer als normal und wechselhaft – Hagelunwetter im Mittelland Januar Viel Niederschlag, Weststürme, schneereiches Monatsende Februar Frühlingshaft und sonnig zu Beginn, nach Monatsmitte zunehmend winterlich März Erst winterlich, zur Monatsmitte warm, dann grosser Schneefall an den Voralpen April Im Süden viel Regen, im Norden trocken, föhnig; nass und kühl über Ostern Die Gletscher Mai Wechselhaft; Wintereinbruch in den Bergen zu Monatsbeginn, Hochsommer der Schweizer Alpen an Auffahrt Juni Wechselhaft – Starkregen in der Innerschweiz, extrem trocken in der Südschweiz 2003/04 und 2004/051 Juli Im langjährigen Durchschnitt; verbreitete Hagelgewitter am 8. Juli nördlich der Alpen August Sehr warm und schwül, im Westen heftige Gewitter – dann wechselhaft Im 125. und 126. Berichtsjahr der Gla­ September Wegen spätsommerlichem Beginn zu warm – im Westen und Süden trocken ziologischen Kommission haben die Oktober Mild und föhnig in den Alpen; sonst regenreich und im Süden sehr sonnenarm November Im Norden sehr wenig Niederschlag, im Süden mild; grosse Stauregen zu Monats- Schweizer Gletscher weiter an Länge beginn und Masse eingebüsst. Die während Dezember Sonnig und mild in der Höhe, Hochnebel im Norden – ab Monatsmitte wechselhaft der Messperioden herrschende Witte­ 2005 In den Niederungen warm, im Süden extrem trocken – schwere Starknieder- rung, aber auch die Erwärmung auf­ schläge im August grund der sich global abzeichnenden Januar Sonnig und frühlingshaft, gegen Ende hochwinterlich; im Süden kaum Niederschlag Februar Hochwinterliche zweite Monatshälfte im Norden, grosse Trockenheit im Süden Klimaveränderung hinterlassen ein­ März Sehr kalt zu Beginn, sehr mild ab Monatsmitte; erneut niederschlagsarm deutige Spuren. Im Anhang wird April Insgesamt etwas zu mild – aussergewöhnlicher Schneefall in der Westschweiz etwas näher auf das Phänomen der Mai Wechselhaft, viel Sonne vor allem in Süden – hochsommerliches Monatsende Juni Extrem warm, sehr sonnig, vielerorts trocken – Hochsommer ab Monatsmitte Eisabbrüche eingegangen. Juli Im Süden sehr warm, trocken, im Norden wechselhaft – lokal heftige Gewitterstürme August Unbeständig und in den Alpen nass und sonnenarm – grosse Unwetterkatastrophe Gletscher sind ein gutes Instrument, um September Warm und vielerorts trocken Veränderungen des Klimas zu erkennen. Sie widerspiegeln nicht nur die langfris­ Quelle: Meteo Schweiz tigen Tendenzen, sondern vermögen auch direkt die oft unterschätzten grossen Witterung und Klima in der Schweiz von 1996 die wärmsten Jahre in den vor­ Fluktuationen von Jahr zu Jahr aufzuzei­ Überblick über die hydrologischen Jahre handenen Messreihen seit 1861. gen. Die vergletscherte Fläche und die 2003/04 und 2004/05 Über dem Durchschnitt lagen klima­ Gletscherlänge geben eher die langfristi­ Weltweit zählten 2004 und 2005 ein­ tische Extreme wie Dürren, Überschwem­ gen Signale wieder, Schneezuwachs mal mehr zu den wärmsten Jahren seit mungen und Wirbelstürme. Die Ausdeh­ (Niederschlag) und Eisabtrag (Schmelze) 1860, dem Beginn der instrumentellen nung des Meereises auf den arktischen stehen in direkter Beziehung zu aktuellen Messungen. Das globale Mittel der Tem­ Meeren erreicht jeweils im Monat Sep­ klimatischen Verhältnissen. peratur an der Erdoberfläche übertraf tember das Minimum. Im September den langjährigen Mittelwert von 1961– 2005 wurde die geringste Ausdehnung 1 Auszug aus dem 125. und 126. Bericht der Glaziologischen Kommission der Akademie der 1990 um +0,44 °C bzw. +0,48 °C, wobei seit Beginn der satellitengestützten Mes­ Naturwissenschaften Schweiz (GK/SCNAT) und 1998 noch immer das wärmste Jahr mit sungen 1979 festgestellt. der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und +0,54 °C bleibt. Die letzten zehn Jahre Auch in der Schweiz waren die beiden Glaziologie an der ETH Zürich (VAW/ETHZ) (1996–2005) waren aber mit Ausnahme Berichtsjahre warm und niederschlags­ arm, wobei sich besonders das zweite durch einen sehr warmen Sommer und

34 DIE ALPEN 10/2006 3 C) o ( 2 ) 20 1

0 0 Temperaturabweichung −1

−20 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000

Entwicklung der Sommertempe- telwert pro Jahr wurde jeweils Abweichung des Niederschlags (% raturen, gezeigt als Abweichung über die Periode vom 1. Mai bis −40 vom langjährigen Mittelwert 30. September berechnet. 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000 der Jahre 1961 bis 1990. Der Mit- Die Kurve zeigt die Entwicklung des Jahresniederschlags in Ab- weichung vom langjährigen Mit- deutliche Niederschlagsdefizite aus­ hältnisse zurückkehrten und einen mil­ telwert der Jahre 1961 bis 1990. zeichnete. Für Gletscherveränderungen den Spätsommer bescherten. Im hydro­ sind die Sommertemperaturen und die logischen Jahr 2003/04 gab es weder Gebieten der Schweiz zu Überschwem­ Jahresniederschläge von besonderem In­ grössere landesweite Extremereignisse mungen und Murgängen. teresse. Neu werden in den Abbildungen noch Monate, die sich gesamtschweize­ die zeitliche Entwicklung der gemittelten risch durch Temperatur, Niederschlag Temperatur Abweichungen von den Normalwerten2 oder Besonnung hervorhoben. In der ersten Berichtsperiode waren we­ an zwölf ausgewählten Stationen aus der kalte noch extrem warme Monate zu dem Messnetz von MeteoSchweiz mit Hydrologisches Jahr 2004/05 verzeichnen, in der zweiten Periode speziell aufgearbeiteten Zeitreihen dar­ Nach einem warmen und nassen überwog analog zu früheren Jahren die gestellt. Oktober und Kaltlufteinbrüchen erst im Anzahl der Monate mit überdurch­ November war ein schneearmer Früh­ schnittlich hohen Temperaturen. Die Hydrologisches Jahr 2003/04 winter zu verzeichnen. Die Schneefälle Monate November, April und August in In der ersten Berichtsperiode setzte von Mitte Dezember sorgten verbreitet der Periode 2003/04 beziehungsweise der Winter mit Schneefällen bis in tiefe für durchschnittliche Schneehöhen. Auf Oktober, Mai und Juni 2004/05 waren Lagen bereits Anfang Oktober 2003 ein. den Kaltlufteinbruch Mitte Februar gesamtschweizerisch überall zu warm. Weitere Schneefälle, besonders Mitte folgte eine ungewöhnlich lange Periode Kälter als im langjährigen Durchschnitt und Ende März, führten zu einem insge­ mit anhaltendem Winterwetter und ex­ fielen einzig die Monate Oktober in der samt schneereichen Winter. Die erste trem tiefen Temperaturen Anfang März. ersten und Februar in der zweiten Periode Jahreshälfte 2004 war geprägt von eini­ In allen Regionen waren die Schneehö­ aus. Während der für die Schneeschmel­ gen grösseren Temperaturschwankun­ hen Ende März unterdurchschnittlich. ze (Mai und Juni) und Ausaperung (Juli gen und Niederschlagsereignissen. Nach Die Südschweiz litt in den ersten Mona­ bis September) bedeutungsvollen, strah­ der frühsommerlichen Hitze Anfang ten des Jahres unter grosser Trockenheit. lungsintensiven Sommermonate lagen Juni folgte ein wechselhafter Juli, bevor Dem warmen Frühjahr schloss sich ein die Werte in den Alpen 2004 um 1 °C Anfang August hochsommerliche Ver­ heisser Juni an. Nach veränderlichem, und 2005 um rund 2,4 °C über dem aber warmem Wetter stellte sich erst Ende Durchschnitt. Der Sommer 2005 war 2 Normalwerte sind langjährige Durchschnitts­ Juli stabileres Hochdruckwetter ein. Der nur unwesentlich wärmer als jener von werte zur Beschreibung des «normalen» Klimas. Seit 2001 wird dafür allgemein die international Abschluss des hydrologischen Jahres war 1947 und folgt auf Rang zwei direkt hin­ standardisierte 30-Jahr-Periode 1961–1990 ver­ durch eine zunehmende Trockenheit ter dem Extremsommer 2003. wendet. und einem markanten Temperatursturz Mitte September geprägt. Die verheeren­ Niederschlag den Unwetter von Ende August mit ex­ In beiden Berichtsperioden fiel der Nie­ Sichtlicher Massenverlust am Tiefen- tremen Starkniederschlägen von teilweise derschlag unterdurchschnittlich aus. gletscher: Wegen fehlendem Massen- nachschub aus dem Nährgebiet hat sich mehr als zwei Tagen führten in weiten Dieses Defizit konnten auch die extremen die im Jahr 1990 (Bild siehe S. 34, links) noch deutlich aufgewölbte Zunge suk- zessive ausgedünnt (1999 Mitte und 2005 rechts).

Fotos: Archiv VAW/Amt für Forst und Jagd UR WISSENSCHAFT UND BERGWELT

Starkniederschläge vom August 2005 Längenänderung der Gletscher in den Schweizer Alpen 2003/04 und 2004/05 kaum vermindern. Das hydrologische Nr. Gletscher Kt. Änderung, Änderung Nr. Gletscher Kt. Änderung, Änderung Jahr 2003/04 war in den Walliser und Länge (m) Länge (m) Länge (m) Länge (m) 2003/04 2004/05 2003/04 2004/05 Bündner Bergen verbreitet, in den übri­ gen Regionen mehrheitlich nieder­ Einzugsgebiet Rhone 111 Ammerten BE st st 1 Rhone VS –11,4 –7,5 65 Rätzli BE n n schlagsarm. Kein einziger Monat fiel 2 Mutt VS –11,7 –6,8 112 Dungel BE st –6 überall in der Schweiz zu trocken oder 3 Gries VS –27,0 –58,0 113 Gelten BE x x zu nass aus, jedoch fanden sich in allen 4 Fiescher VS x x Regionen eine grössere Anzahl Monate 5 Grosser Aletsch VS –41,0 –65,6 Einzugsgebiet Reuss mit deutlich zu trockenen Verhältnissen. 6 Oberaletsch VS –3,3 –5,8 66 Tiefen UR –6,8 –19,8 7 Kaltwasser VS –2,0 st 67 Sankt Anna UR –7,8 n Es waren keine grossen landesweiten 10 Schwarzberg VS –13 –19 68 Kehlen UR –20,5 –21,3 Niederschlagsereignisse zu verzeichnen. 11 Allalin VS +3 –5 69 Rotfirn (Nord) UR st –16,7 Die Abweichung vom Normalwert war 12 Kessjen VS –15 –13 70 Damma UR x n mit –6,2% etwa gleich gross wie in der 13 Fee (Nord) VS –5,1 –7,4 71 Wallenbur UR –6,6 –12 vorangegangenen Periode. 14 Gorner VS –5 –17 72 Brunni UR n n 16 Findelen VS –18,1 –19,2 73 Hüfi UR –34 –4 Die Periode 2004/05 war im Westen, 17 Ried VS –29,1 –16,2 74 Griess UR +2,2 –9,2 in den Alpen und im Tessin nieder­ 18 Lang VS –16 –24 75 Firnalpeli (Ost) OW –36,2 –13,0 schlagsärmer als im langjährigen Mittel. 19 Turtmann VS –46,4 –17,4 76 Griessen OW –6,3 –5,5 Auf der Alpensüdseite war das Nieder­ 20 Brunegg (Turtmann) VS –9,6 –24 schlagsdefizit sogar extrem: Im Sopra­ 21 Bella Tola VS –7,8 –2,4 Einzugsgebiet Linth/Limmat 22 Zinal VS –9 –8 77 Biferten GL –1,8 –10,5 ceneri und im Misox handelte es sich um 23 Moming VS n n 78 Limmern GL –1,7 –3,4 das trockenste Jahr seit 1901, in den üb­ 24 Moiry VS +5 –24,5 114 Plattalva GL –2,9 –19,6 rigen Gebieten seit 1921. Gesamtschwei­ 25 Ferpècle VS –38 –2 79 Sulz GL +1,5 st zerisch fielen März, Juni und September 26 Mont Miné VS –36 –29 80 Glärnisch GL –16,2 –3,1 zu trocken aus. Hingegen waren April 27 Arolla (Mont Collon) VS –26 –28 81 Pizol SG +9,7 –10,8 28 Tsidjiore Nouve VS –22 –45 und August im Norden und der Oktober 29 Cheillon VS –21,62 –14,5 Einzugsgebiet Rhein vor allem im Süden deutlich zu nass. In 30 En Darrey VS –7,3 –28,5 82 Lavaz GR –35411 –7,2 den südlichen Gebieten der Schweizer 31 Grand Désert VS –6,4 –5,2 83 Punteglias GR –4,6 –10,6 Alpen herrschte im Januar und Februar 32 Mont Fort (Tortin) VS –23,4 –1,4 84 Lenta GR –37,1 –21 eine längere Trockenperiode. Die Jahres­ 33 Tsanfleuron VS –19 –37,5 85 Vorab GR x –27,42 34 Otemma VS x x 86 Paradies GR st st summe lag um 11,7% unter dem Mittel­ 35 Mont Durand VS +1,4 –36,4 87 Suretta GR –58,5 –54,6 wert von 1961–1990. 36 Breney VS –31,5 –17,4 88 Porchabella GR –11 –19,8 37 Giétro VS –34,8 –58,1 115 Scaletta GR –3,1 –3,3 38 Corbassière VS –54,0 –27,0 89 Verstankla GR –3,3 –14,7 39 Valsorey VS n –272 90 Silvretta GR –5,8 –15,9 40 Tseudet VS n –542 91 Sardona SG –1,4 –7,2 41 Boveyre VS n –242 Aufgenommen im Jahr 2005: 42 Saleina VS –17 –8 Einzugsgebiet Inn Dem Riedgletscher ist mittler- weile sein Bett viel zu gross. 43 Trient VS –19 –35 92 Roseg GR –53,7 –55,5 Ganz unten erkennt man das 44 Paneyrosse VD st x 93 Tschierva GR –34,0 –34,3 Dörfchen Gassenried. 45 Grand Plan Névé VD –1,6 st 94 Morteratsch GR +10,3 –22,2 46 Martinets VD n n 95 Calderas GR –12,4 –11,2 47 Sex Rouge VD +3,1 –5,5 96 Tiatscha GR x x 48 Prapio VD x –15,52 97 Sesvenna GR –6,8 n 98 Lischana GR –4,2 –3,9 Einzugsgebiet 50 Oberaar BE n n Einzugsgebiet Adda 51 Unteraar BE n n 99 Cambrena GR –6 –9,7 Funk-Salamí Françoise Foto: 52 Gauli BE –5 st 100 Palü GR –662 n 53 Stein BE –32 –52 101 Paradisino (Campo) GR –35 –24 54 Steinlimmi BE –8 –59,5 102 Forno GR –23,6 –43,8 55 Trift (Gadmen) BE –135,7 –215,8 57 Oberer Grindelwald BE x x Einzugsgebiet Tessin 58 Unterer Grindelwald BE x x 120 Corno TI st –3,8 59 BE –11,9 –12,0 117 Valleggia TI –1,2 –4,4 60 Tschingel BE –1,7 –3,2 118 Val Torta TI st st 61 Gamchi BE –15 –16,6 103 Bresciana TI –76,8 –1,8 109 Alpetli (Kanderfirn) BE –10,8 –16,3 119 Cavagnoli TI –4,2 –14,9 62 Schwarz VS –20 –25,7 104 Basòdino TI –4,7 –14,9 63 Lämmern VS –14,6 –13,7 352 Croslina TI –1,4 –3,2 64 Blüemlisalp BE –18,9 –40,4 105 Rossboden VS x n

Abkürzungen Bemerkung n = nicht beobachtet Gilt die Angabe für eine mehrjährige Zeitspanne, so zeigt die x = Betrag nicht bestimmt hochgestellte Zahl die Anzahl der Jahre an. st = stationär (+/–1 m) Beispiel: Cheillon –21,62 = Schwund um 21,6 m in zwei Jahren

36 DIE ALPEN 10/2006 Längenänderungen der Glet- scher in den Schweizer Alpen in den Jahren 2003/04 (Grafik links) und 2004/05

80 81 91 79 90 96 76 74 73 114 85 89 75 78 98 727783 97 54 53 71 115 55 68 82 88 57 52 69 70 67 58 51 59 1 66 95 50 87 61 5 4 2 84 64 60 117 118 120 103 86 101 109 352 93 94 80 111 18 119 99 62 6 3 104 81 112 63 92 100 91 47 65 102 48 113 79 90 96 33 76 21 7 74 73 114 85 89 45 44 98 105 75 77 78 72 83 97 19 20 17 54 53 71 115 2005 32 31 24 23 1312 55 68 88 52 69 82 43 29 26 22 11 10 vorstossend 57 70 67 30 28 25 58 51 38 16 59 1 66 95 37 27 14 stationär (+/− 1 m) 50 84 87 42 41 36 34 61 5 4 2 40 64 60 117 118 35 120 103 86 101 39 schwindend 109 352 93 94 111 18 119 99 62 6 3 104 112 63 92 100 nicht klassiert 47 65 102 48 113 33 21 7 45 44 105 19 20 17 2004 32 31 24 23 1312 26 11 vorstossend 43 29 28 22 10 38 30 25 16 37 27 14 stationär (+/− 1 m) 42 41 36 34 40 3935 schwindend nicht klassiert 0 )

−500 Sonnenschein Die Sonnenscheindauer bewegte sich in −1000 der ersten Berichtsperiode im normalen Bereich, während die darauf folgende −1500 Aufsummierte jährliche Periode überdurchschnittliche Werte er­ Längenänderungen (in m) Sulz (0.3 km) gab. In der Periode 2003/04 wich ausser für fünf ausgewählte −2000 Trient (4.3 km) Gletscher. Ersichtlich wird Morteratsch (6.5 km) dem sonnenarmen Oktober keiner der das unterschiedliche Re- aufsummierte Längenänderung (m Rhone (7.9 km) restlichen Monate gesamtschweizerisch aktions- und Anpassungs- −2500 Grosser Aletsch (23.0 km) verhalten an das Klima. vom Durchschnitt ab. Hingegen waren 1900 1950 2000 in vielen Regionen in den Monaten Feb­ ruar, Mai und September Überschüsse zu verzeichnen. In der Periode 2004/05 stand den verbreitet sonnenreichen trug der Juni bei, der wegen der langen Längenänderungen der Gletscher Monaten Dezember, Januar, März, Mai Tage entsprechend viele Sonnenstunden Die Schweizer Gletscher büssten in den und Juni der als einziger überall in der lieferte. In den höheren Lagen fiel abge­ beiden Berichtsjahren 2003/04 und Schweiz defizitäre Monat Juli gegenüber. sehen vom Engadin der Überschuss in 2004/05 weiterhin deutlich an Länge ein. Sonnenarm waren der August in den der Besonnung weniger hoch aus. Im Herbst 2004 wurden von den rund Alpen und der September im Süden. Den 110 aktiv beobachteten Gletschern grössten Anteil zum Jahresüberschuss 102 besucht und für 92 eine Längenände­ rung bestimmt. 77 Gletscher zogen sich

DIE ALPEN 10/2006 37 WISSENSCHAFT UND BERGWELT

Entwicklung des Ammerten- Mittelteil etwa bis 1985 an gletschers seit 1971: Während Masse. Dieses Eis schmolz sich die schuttbedeckte Zunge suksessive wieder weg wenig veränderte, gewann der (1995 und 2005). Fotos: Archiv VAW/Hodel Archiv Fotos:

Ammertengletscher 1985

Ammertengletscher 1971

zurück, sieben verhielten sich stationär von 216 m am Triftgletscher, gefolgt von oder waren auf lokale Effekte zurückzu­ (= +/–1 m), und bei acht wurde eine Zu­ 66 m am Grossen Aletschgletscher. führen. nahme der Länge registriert. Am meisten In beiden Perioden lag die Mehrheit vorgestossen war mit 10 m der Morte­ der Messwerte zwischen 0 und –30 m. Lokale Phänomene ratschgletscher; den grössten Rückzug Abgesehen von den maximalen Rück­ Dass vereinzelte Gletscher wie in der von rund 134 m mass man am Triftglet­ zugswerten beim Triftgletscher waren ersten Beobachtungsperiode vorstossen, scher. nur wenige grössere Schwundwerte zu erklärt sich meist durch lokale Phäno­ Im Herbst 2005 konnten 100 Glet­ verzeichnen. Diese ausserordentlichen mene an der Zunge und nicht durch scherzungen besucht und für 93 eine Schwundbeträge betrafen in einigen einen eigentlichen Gletschervorstoss als Längenänderung ermittelt werden. Fällen eine zweijährige Zeitspanne, Reaktion auf einen im Nährgebiet ent­ 86 Gletscher zogen sich zurück, sieben stammten teils von grösseren Gletschern standenen Massenüberschuss. Am Mor­ Gletscher verhielten sich stationär. Die teratschgletscher im Berninagebiet wurde Maximalwerte zeigten einen Rückzug in der Messperiode 2002/03 ein grosser Längenschwund ermittelt. Im Herbst 2003 blieb eine sehr steil verlaufende Stirn übrig, die sich innerhalb der Mess­

) 0 Aufsummierte mittlere jährliche periode 2003/04 deutlich verflachte. Zu­ Massenbilanz (in m Wasser­ dem verringerte die teilweise mit Schutt äquivalenten) von den Glet- −5 schern Basòdino, Gries und bedeckte Zunge die Schmelze des darun­ Silvretta terliegenden Eises. In der zweiten Mess­

−10 periode setzte sich dann die Schwund­ tendenz der früheren Jahre wieder fort. Die aussergewöhnliche Entwicklung −15 beim Triftgletscher im Susten-/Grimsel­ Basòdino gebiet (Gadmertal) kam nicht unerwar­ aufsummierte Massenbilanz (m we −20 Gries Silvretta tet. Der Gletscher zieht sich seit einigen Jahren stark zurück, was durch den See 1960 1980 2000 am Zungenende – erhöhte Wärmezu­ fuhr durch direkten Wasserkontakt und Kalben3 – noch verstärkt wird. In den 38 DIE ALPEN 10/2006 Ammertengletscher 1995

Ammertengletscher 2005

vergangenen beiden Messperioden Massenhaushalt Ghiacciaio del Basòdino fiel der Massen­ schmolz das Eis im See bis auf einige Detaillierte Erhebungen des Massen­ verlust einmal mehr in abgeschwächter kleine Reste. haushalts – der Bilanz zwischen Schnee­ Form aus. Der Silvrettagletscher wies in zuwachs und Eisabtrag – wurden mit der den vergangenen zehn Jahren mehrfach Erschwerte Messverhältnisse glaziologischen Methode an den drei eine positive Bilanz auf. Grund dafür Der starke und anhaltende Schwund Schweizer Gletschern Basòdino, Gries dürften am Alpennordhang vermehrt über die letzten Jahre erschwert die Mes­ und Silvretta durchgeführt. Zusätzlich vorkommende Schneefälle bis in tiefere sungen vielerorts, und die Messdisposi­ wurden einzelne punktuelle Messungen Lagen im Laufe des Sommers sein. tive müssen häufig angepasst werden. der Massenänderung an Jungfraufirn Teilweise haben sich die Gletscherzun­ (Gr. Aletsch), Claridenfirn, Glacier du Regionale Unterschiede bei Massen­ gen in steiles und unzugängliches Gelän­ Giétro und Glacier de Corbassière sowie verlusten de zurückgezogen, sodass sich weitere im Mattmarkgebiet vorgenommen. Im In der ersten Messperiode erfuhren der Messungen nur mit sehr viel grösserem Unterschied zur Längenänderung wider­ Griesgletscher im Nufenengebiet und Aufwand beziehungsweise dem Einsatz spiegelt der Massenhaushalt deutlicher der benachbarte Ghiacciaio del Basòdi­ kostspieliger Messgeräte realisieren las­ und unverzögert die klimatischen Ver­ no im Nordtessin einen Verlust, während sen. Schliesslich erschwert die zuneh­ hältnisse in der Messperiode. der Silvrettagletscher im hinteren Prätti­ mend dicker werdende Schuttbedeckung Nach den extremen Massenverlusten gau eine geringe Zunahme erfuhr. In der nicht nur das Auffinden des Eisrandes, in der Periode 2002/03, bedingt durch folgenden Messperiode büssten alle drei sondern es entstehen vermehrt vorgela­ die aussergewöhnlichen Verhältnisse Gletscher an Masse ein. Die Werte der gerte, losgetrennte Toteismassen, nach­ des Hitzesommers 2003, zeigten die mittleren spezifischen Massenbilanz in dem eine Gletscherzunge in einer Steil­ Messungen in der Periode 2003/04 wie­ m Wasseräquivalent betrugen in der ers­ stufe vollständig abgeschnürt wurde. der deutlich die auch in früheren Jahren ten Beobachtungsperiode –0,49 m am beobachteten regionalen Unterschiede. 3 Als Kalben wird das Aufschwimmen und Losbrechen randlicher Eismassen bezeichnet. Der Griesgletscher setzte den Trend mit teilweise massiven Verlusten fort. Beim

DIE ALPEN 10/2006 39 WISSENSCHAFT UND BERGWELT

Basòdino, –1,33 m am Gries und +0,12 m Je später diese erfolgt, desto geringer fal­ Aufnahme oder im Büro bei der Daten­ am Silvretta beziehungsweise –1,17 m, len die Massenverluste aus. Wechselhafte bearbeitung mitwirkenden Privatper­ –1,67 m und –0,65 m in der Periode Witterung im Sommer genügt nicht, so­ sonen, Angehörigen der Forstdienste in 2004/05. lange die Temperaturen Schmelze bis in den Gebirgskantonen, der Kraftwerke höhere Lagen zulassen. Deshalb ist für Ägina, Mattmark und Mauvoisin sowie Verschiedene Gründe für Massenverluste eine positive Massenbilanz in erster Linie den Mitarbeitern von Bundesämtern, In der Beobachtungsperiode 2003/04 eine späte Ausaperung in Verbindung Forschungsanstalten, Hochschulen und mit allgemein durchschnittlichen mit einem kühlen und niederschlagsrei­ Universitäten. Viele der hier vorgestellten Schneemengen in den Alpen setzten die chen Sommer notwendig. Im Gegensatz Messresultate sowie die langjährigen überdurchschnittlich warmen Sommer­ dazu führen schneearme Winter gepaart Datensätze sind auf der Internetseite des temperaturen den Gletschern entspre­ mit warmen, strahlungsreichen Som­ Schweizerischen Gletschermessnetzes chend zu. Die in der zweiten Beobach­ mern zu grossen Massenverlusten. http://www.glaciology.ethz.ch/swiss- tungsperiode ermittelten Massenverluste glaciers/ frei zugänglich. ordneten sich innerhalb der letzten zehn Messungen sind ohne Freiwillige Jahre nach 2003 und 1998 an dritter nicht möglich Anhang Stelle ein. Im Unterschied zu 2003 waren Die langfristigen Beobachtungen der Können Eisabbrüche vorhergesagt diese Verluste aber vor allem auf die ge­ Gletscher in den Schweizer Alpen sind werden? ringen Winterniederschläge und weniger ohne die tatkräftige und langjährige Un­ Eisabbrüche gehören zu den bekanntes­ auf die Schmelze während des Sommers terstützung durch viele freiwillige Helfer ten objektiven Gefahren für Alpinisten. zurückzuführen. Die geringen Schnee­ undenkbar. Ein besonderer Dank gilt Weniger bekannt ist, dass in seltenen höhen am Ende des Winters und die allen regelmässig im Gelände bei der Fällen auch menschliche Einrichtungen hohen Temperaturen Anfang Mai und wie Siedlungen, Verkehrswege oder im Juni begünstigten das schnelle Voran­

schreiten der Ausaperung sehr. Daran Fotos: F. Funk-Salamí konnten auch die wechselhaften Verhält­ nisse im Juli mit für die Gletscher günsti­ Immer mehr Schutt bedeckt die geren Bedingungen wenig ändern. Der Gletscher, was die Messungen erschwert: Hier die Zunge des Sommer war – obwohl weniger strah­ schuttbedeckten Zmuttglet- lungsintensiv – deutlich zu warm. schers bei Zermatt im Jahr 2004

Witterung und Massenverluste Diese Entwicklung zeigt die entschei­ denden Faktoren im Saisonverlauf klar auf: Die Winterschneedecke ist insofern von Bedeutung, als sie viel Strahlung zu reflektieren vermag und so die über­ deckten Firn- und Eisschichten schützt. Entscheidend sind aber die Verhältnisse Der (links) im Frühjahr während der Ausaperung: und der schuttbedeckte Unter- aargletscher

40 DIE ALPEN 10/2006 sonstige Infrastrukturen betroffen sein ein kleiner Eissturz grosse Schneemassen mit vielen Hängegletschern. Obwohl der können. In gewissen Fällen ist zur recht­ mitreissen und verheerende kombinierte Schnee in solchen steilen Flanken nur zeitigen Sperrung von Verkehrswegen Eis-Schnee-Lawinen bilden, die sehr selten liegen bleibt, können sich lokal oder zur Evakuation von Siedlungen eine grosse Distanzen zurücklegen können. unter gewissen Klimabedingungen Zonen zuverlässige Prognose von Eisabbrüchen Eine andere Art von Gletschersturz mit wachsenden Vergletscherungen bil­ erforderlich. Solche Vorhersagen sind kommt bei Gletscherzungen vor, die auf den. Ein klassisches Beispiel dafür ist die aber problematisch und nicht in jedem einem wenig geneigten Felsbett fliessen, Nordwand der Aiguille d’Argentière. Fall möglich. ohne darauf angefroren zu sein (z. B. Al­ lalingletscher). Erfahrungsgemäss pas­ Absturzprognosen Eisabbrüche und Eisstürze siert dies nur während einiger Wochen Im August 1972 erkannte man am Eisabbrüche sind in der Regel der nor­ am Ende des Sommers, wenn der Glet­ Weisshorn eine aussergewöhnliche Situa­ male Massenverlust von hochgelegenen scher stärker gleitet. Gletscherstürze sind tion: Unterhalb des Gipfels wurden rund Gebirgsgletschern. Bei kalten, am Fels jedoch selten. In den weitaus meisten 0,5 Millionen m3 Eis instabil. Glaziolo­ angefrorenen Hängegletschern fehlt das Fällen bleibt es bei vielen kleinen auf­ gen setzten darauf zum ersten Mal ver­ Zehrgebiet, wo Eis schmelzen kann. Das einanderfolgenden Eisstürzen, weil die schiedene Messverfahren ein, um diesen Massengleichgewicht wird durch Abbre­ labile Eismasse durch Riss- und Spalten­ für das Dorf Randa gefährlichen Eisab­ chen von Eis wiederhergestellt. Wenn Eis bildung allmählich zerfällt. bruch vorauszuberechnen. Aufgrund aus einer senkrechten Gletscherfront ab­ von Bewegungsmessungen gab A. Flo­ bricht, beschränken sich die Mengen auf Historische Ereignisse tron, Meiringen, den Absturz für Mitte 10 000 bis 100 000 m3. Eisabbrüche wie­ Aus der steilen Weisshorn-NE-Flanke im August 1973 an. Erfolgreich: Der Absturz derholen sich alle paar Jahre und können Mattertal/VS brechen wiederholt Eis­ fand am 20. August 1973 statt. zu jeder Jahreszeit vorkommen. massen von Hängegletschern ab. Eine Im Rahmen eines Gletscherüber- Bei steilen, am Bett angefrorenen Glet­ Gefährdung für Randa besteht nur im wachungskonzeptes des Kantons Wallis schern können grössere Teile abstürzen Winter bei einer kombinierten Eis- wurde im September 2004 auf dem Gip­ (z. B. Hängegletscher am Weisshorn). Schnee-Lawine. Von den seit 1636 be­ fel des Bishorns eine automatische Ka­ Das Volumen solcher Gletscherstürze ist kannten 19 Ereignissen forderten drei mera installiert, die täglich ein Bild des grösser als eine Million Kubikmeter. Be­ insgesamt 51 Todesopfer und sechs rich­ Bisgletschers elektronisch an die ETH sonders gefährlich sind Eis- oder Glet­ teten Schäden im Dorf Randa an. Die Zürich sandte. Im Januar 2005 deuteten scherstürze im Winter. Dann kann auch NE-Flanke des Weisshorns ist eine ty­ Spalten auf eine gefährliche Entwick­ pische hochalpine Wandvergletscherung lung hin. Daraufhin wurde die Bewe­ gung des rund 35 m mächtigen Hänge­ gletschers gemessen. Die instabile Eis­ 1899 masse bewegte sich vor ihrem Abbruch Wandvergletscherung der Nord- bis zu 60 cm pro Tag. Anhand der typi­ wand der Aiguille d’Argentière im Wandel: 1903, 1942, 1990 und schen Geschwindigkeitszunahme wurde 2003 sind Stadien minimaler am 21. März der theoretische Zeitpunkt Vergletscherung erkennbar. Dazwischen hat das Volumen des Hängegletschers stetig zu- und abgenommen. 1990

1903

1976

2003

1942

1953

Fotos: M. Roch, Archiv M. Colonel, A. Roch, S. Pfister, F. Valla, P. Sandmayer, C. Vincent

DIE ALPEN 10/2006 41 Beschleunigung des Hängegletschers am 2 Weisshorn rund einen Monat vor dem Eis­ abbruch: Am 30. März (gestrichelte Linie, Tag 33) brach das Eis 1.5 ab. Theoretisch war der Eisabbruch erst auf den Tag 45 errech- net worden. 1

0.5 Geschwindigkeit (m/Tag)

Weisshorn mit Bishorn und 0 Randa im Talgrund 1969 5 10 15 20 25 30 35 40 45 (links). Der gepunktete Tage nach dem 25.2.2005 (Tag) Kreis am Gipfel umrahmt den Hängegletscher. 2005 drohte der Hängegletscher am Weisshorn (Bild unten) abzubrechen.

Foto: B. Perren des Absturzes für die erste Aprilwoche prognostiziert. Zwei Tage später bra­ 3 chen dann rund 120 000 m ab. Dieser Foto: Archiv VAW Teilsturz destabilisierte die verbleibende Masse, sodass der Hauptabbruch schon am 30. März niederging. Insgesamt bra­ Leben. Anschliessende Untersuchungen die Position von 1965 erreichte, musste chen 460 000 m3 Eis in zwei Teilstürzen zeigten, dass sich die Gletscherzunge be­ erneut mit einem Grossabbruch gerech­ ohne Schadenfolge ab. reits zwei bis drei Wochen vor dem Ab­ net werden. Der Gefahrenbereich wurde Dieser Verlauf zeigt die Hauptproble­ sturz kräftig in Bewegung befand. Diese gesperrt. Am 30./31. Juli 2000 löste sich matik bei der Vorhersage von Eisabbrü­ starke Bewegung wird als Zungenrut­ insgesamt eine Million Kubikmeter Eis chen: Teilabstürze reduzieren das Schaden­ schung bezeichnet. Während der aktiven und stürzte bis in den Talboden ab. Die potenzial. Sie sind aber nur schwer zu Phase erhöht Schmelzwasser die Glet­ Abbruchstelle lag rund 200 m oberhalb prognostizieren, weil die Geschwindig­ scherbewegung. des Anrisses von 1965. Dank den Sicher­ keitszunahme der gesamten labilen Eis­ Zungenrutschungen werden beim heitsmassnahmen verlief dieses Ereignis masse nichts über einen eventuellen Allalingletscher alle paar Jahre in der ohne Schäden.4 Teilabsturz aussagt. zweiten Hälfte des Sommerhalbjahrs be­ obachtet, jedoch meistens ohne Absturz­ Zuverlässige Prognosen schwierig Zungenrutschungen folge. Abstürze sind wahrscheinlich auf Eine erfolgreiche Vorhersage eines Glet­ Von der Zunge des Allalingletschers lös­ eine ungünstige Massenverteilung zu­ schersturzes setzt voraus, dass gefähr­ ten sich am 30. August 1965 zwei Millio­ rückzuführen: Wegen wiederholter Rut­ liche Entwicklungen rechtzeitig erkannt nen m3 Eis und stürzten auf das Baracken­ schungen baut sich eine grosse Eismasse werden. Neben Hinweisen von Bergstei­ lager der Baustelle Mattmark ab. Bei die­ im vorderen Zungenbereich auf, die 4 Vgl. ALPEN 9/2001 «Ein Gletscher macht sem Ereignis verloren 88 Menschen ihr dann den Halt am Fels verliert. Als im Geschichte» Jahr 1996 der Allalingletscher wiederum

42 DIE ALPEN 10/2006 Änderung der Ge- schwindigkeit mit der Zeit während der Zun- genrutschungen des Allalingletschers

Quelle: Röthlisberger, 1981

Foto: Archiv VAW Seit 1985 (oben) hat sich die Zunge des Allalin- gletschers stetig verrin- gert. 2004 schliesslich ist der Hang eisfrei (rechts).

gern und der ortsansässigen Bevölke­ rung können ungünstige Veränderungen durch regelmässig erhobene Luftbildauf­ nahmen und/oder fest installierte auto­ matische Kameras dokumentiert werden. Für steile, am Fels angefrorene Hänge­ gletscher wie am Weisshorn kann eine genaue Absturzprognose erwogen wer­ den. Für steile, am Fels gleitende Glet­ scherzungen wie am Allalin ist dies nicht möglich, hingegen lässt sich eine Zun­ genrutschung mit Überwachung erken­ nen. Da sich bei Gletscherstürzen ver­ gleichbare Wiederholungen zeigen, wer­ den sie in der Schweiz systematisch inven­ Foto: F. Funk-Salamí tarisiert. Damit können aber gefährliche Entwicklungen an anderen Gletschern sage von Eisabbrüchen ist das Meiden Literatur nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr des Gefahrenbereichs noch immer die Begert M., Schlegel T. and Kirchhofer W. dient ein solches Inventar dazu, gefähr­ sicherste Schutzmassnahme vor Eislawi­ (2005): Homogeneous temperature and precipitation series of from 1864 to 2000. Internatio­ liche Ereignisse aus der Vergangenheit nen. Dieser Grundsatz sollte bei der nal Journal of Climatology, 25(1): 65–80. für Forschung und Raumplanung zu­ Raumplanung so weit als möglich be­ WMO (2005): WMO Statement of the Status of gänglich zu machen. folgt werden. Gefahrenzonen können the Global Climate in 2005. World Meteorological Für zuverlässige Absturzprognosen grob mit einfachen Kriterien ausgeschie­ Organization WMO Press Releases (www.wmo.ch), ist die Gesetzmässigkeit der Geschwin­ den werden. Für genauere Abgrenzungen No. 743. Pralong A. (2005): On the instability of hanging digkeitszunahme vor dem Abbruch sind jedoch umfangreiche Untersuchun­ glaciers. Mitteilung der Versuchsanstalt für Wasser­ wichtig, wobei noch immer viele Fragen gen und numerische Simulationen not­ bau, Hydrologie und Glaziologie (VAW, ETH Zü­ offen sind. Von konkreten Messungen wendig. a rich) Nr. 189. für eine Absturzprognose wird erwartet, Andreas Bauder, Antoine Pralong, Raymond M., Wegmann M. and Funk M. (2003): Inventar gefährlicher Gletscher in der Schweiz. dass die notwendigen Sicherheitsmass­ Martin Funk und Jérome Faillettaz, Mitteilung der Versuchsanstalt für Wasserbau, Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie nahmen für Sperrung oder Evakuierung Hydrologie und Glaziologie (VAW, ETH Zürich) rechtzeitig getroffen werden. Trotz be­ und Glaziologie, ETH Zürich Nr. 182, http://glaciology.ethz.ch/glaciers-hazards/ deutenden Fortschritten bei der Vorher­

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