Neue Seen Als Folge Der Entgletscherung Im Hochgebirge: Klimaabhängige Bildung Und Herausforderungen Für Eine Nachhaltige Nutzung (NELAK)
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Neue Seen als Folge der Entgletscherung im Hochgebirge: Klimaabhängige Bildung und Herausforderungen für eine nachhaltige Nutzung (NELAK) Nouveaux lacs dans les régions de déglaciation en haute montagne: développement lié au climat et défis pour une utilisation durable (NELAK) Forschungsbericht NFP 61, Projekt NELAK Projektverantwortung: Wilfried Haeberli, Michael Bütler, Christian Huggel, Hansruedi Müller, Anton Schleiss Mitarbeit: Frédéric Jordan, Therese Lehmann, Matthias Künzler, Yvonne Schaub, Stéphane Terrier Autoren Einleitung / Potenzielle Seen / Naturgefahren und Risiken: Wilfried Haeberli, Christian Huggel, Matthias Künzler, Yvonne Schaub Geographisches Institut, Universität Zürich Hydroelektrisches Potenzial: Anton Schleiss, Frédéric Jordan, Stéphane Terrier Laboratoire de constructions hydrauliques, Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne EPFL Touristisches Potenzial: Hansruedi Müller, Therese Lehmann Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus, Universität Bern Rechtliche Aspekte: Michael Bütler Rechtsanwalt in Zürich, www.bergrecht.ch Titelbild: See beim Triftgletscher, Berner Oberland, J. Alean, 2007. ii ZUSAMMENFASSUNG Als Folge der Gletscherschmelze bilden sich neue Seen in den Übertiefungen der freigelegten Gletscherbetten. Der nachhaltige Umgang mit diesem klimabedingten Phänomen führt zu noch kaum behandelten Fragen der Nutzung und des Schutzes. Der vorliegende Bericht des Projektes NELAK des Nationalen Forschungsprogramms 61 „Nachhaltige Wassernutzung“ stellt die vorhandene Wissensbasis hinsichtlich neuer Seen im Hochgebirge zusammen. Er wurde in interdisziplinärer Zusammenarbeit und in engem Kontakt mit Institutionen der Politik und der Privatwirtschaft sowie mit betroffenen NGOs als Entscheidungsgrundlage für die zukünftige Planung vorbereitet. Der Schwerpunkt der behandelten Aspekte liegt bei (a) der Entstehung und Charakteristik der neuen Seen in Raum und Z eit, (b) der Abschätzung der von diesen Seen ausgehenden Naturgefahren, (c) den Nutzungspotenzialen für die Energiewirtschaft, (d) den touristischen Perspektiven und ( e) den rechtlichen Fragen hinsichtlich Nutzung, Verantwortung und Schutz. Ein gesamtschweizerischer Überblick wird mit vertieften Analysen in Fallstudien kombiniert. Die am Schluss formulierten Empfehlungen basieren auf der Synthese des gesammelten und gemeinsam reflektierten Materials. Neue Seen Der Schwund der Gebirgsgletscher ist ein weltweites Phänomen und l äuft mit zunehmender Geschwindigkeit ab. Dies ist eine Folge des globalen Temperaturanstiegs, der wiederum immer stärker durch Einflüsse des Menschen (v.a. Treibhausgase) auf den Strahlungshaushalt der Erde gesteuert wird. Die Gletscher der Alpen verlieren gegenwärtig jährlich rund 2 b is 3 % ihrer Fläche (2011: rund 1800 km2) und ihres Volumens (2011: rund 80 ± 20 km3). Die Intensität der Schmelzprozesse führt dabei zunehmend zu Zerfallserscheinungen des Eises. Modellrechnungen verschiedener Komplexität ergeben seit vielen Jahren übereinstimmend, dass bei realistischen Szenarien weiterer Erwärmung wesentliche Teile des noch verbleibenden Eisvolumens bereits bis zur Jahrhundertmitte abschmelzen und auch grosse Gletscher in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts bis auf kleine Reste verschwinden dürften. Die neu entstehenden Seen beschleunigen den Eiszerfall noch zusätzlich. Jüngste Beispiele aus der Schweiz sind der „Gletschersee“ beim unteren Grindelwaldgletscher, der See am Triftgletscher, die neuen Seen am Palügletscher oder der gegenwärtig rasch wachsende See an der Zunge des Rhonegletschers. Ein digitales Geländemodell der Schweizer Alpen ohne Gletscher zeigt in den jetzigen Gletscherbetten 500 - 600 Übertiefungen mit einer Gesamtfläche von rund 50 – 60 km2, wo in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weitere Seen entstehen können. Die grössten dieser potenziellen Seen haben eine mittlere Tiefe von 100 m, die meisten sind jedoch im Schnitt weniger als 50 m tief. Rund ein Drittel aller Übertiefungen weist ein Volumen von über 1 Mio. m3 auf, etwa 40 ha ben ein Volumen von über 10 Mio. m3. Potenzielle Seen mit Volumen über 50 Mio. m3 sind bei den Gletschern Aletsch, Gorner, Otemma, Corbassière und Gauli zu erwarten. Das Gesamtvolumen der modellierten Übertiefungen entspricht ca. 3 % des heutigen (2011) Gletschervolumens. Die modellierten Übertiefungen sind vor allem von der Oberflächenneigung der Gletscher abhängig und da mit weitgehend robust. Ob darin wirklich Seen entstehen, hängt u.a. davon ab, ob eine schluchtartige Entwässerungsrinne vorhanden ist und wie schnell seichte Übertiefungen mit Sedimenten gefüllt würden. iii Neue Gefahren Die neuen Seen stellen ein mögliches, ernst zu nehmendes Gefahrenpotenzial dar. Sie bilden sich oft am Fuss steiler Bergflanken, deren Stabilität mit den Veränderungen im Hochgebirge wie Permafrost- Degradation oder durch Gletscherschwund reduzierten Eis-Gegendruck langfristig abnimmt. Auf lange Sicht muss deshalb mit der Möglichkeit von grosskalibrigen Sturzereignissen in Seen gerechnet werden, welche zu einem Seeausbruch und damit zu weitreichenden Flutwellen ins Tal führen können. Die Eintretenswahrscheinlichkeit solcher Katastrophen ist klein, nimmt aber mit wachsender Anzahl neuer Seen und de n andauernden Veränderungen im Hochgebirge zu. Da diese Voraussetzungen über sehr lange Zeiträume aktuell bleiben werden, ist eine Beurteilung aller Seen notwendig. Im vorliegenden Bericht wird exemplarisch das Gefahrenpotenzial kurz für die Fallbeispiele Vadret da Palü (GR), Chüebodengletscher (VS/TI), Rhonegletscher (VS), Steingletscher (BE) und Aletschgletscher (VS) sowie ausführlicher für die Fallstudien Grindelwald (BE), Mauvoisin (VS), Oberengadin (GR) und Oberhasli (BE) beurteilt. Daraus wird ersichtlich, dass vor allem die potenziellen Seen im Gebiet des heutigen Aletschgletschers auf längere Sicht bedeutende Gefahrenpotenziale darstellen. Weiter muss die Gefahr von vermehrten Bergstürzen und Seeausbrüchen insbesondere im Zusammenhang mit dem weiteren Betrieb oder Ausbau von Kraftwerken in den Alpen berücksichtigt werden. Chancen und Herausforderungen für die Wasserkraft Die Wasserkraft ist der Hauptpfeiler der schweizerischen Elektrizitätsversorgung und wird auch in absehbarer Zukunft die wichtigste und effizienteste erneuerbare Energie in der Schweiz bleiben. Mit dem Rückzug der Gletscher verändern sich die Zuflüsse zu den Stauseen. Seit etwa 30 - 40 Jahren sind die Zuflüsse zu den Stauseen angewachsen. Dieser Trend wird dank der Gletscherschmelze je nach Klimaszenarien die nächsten 10 - 30 Jahre noch anhalten. Anschliessend werden mit dem fortschreitenden Verschwinden der Gletscher die Zuflüsse wieder stark abnehmen. Die dabei neu entstehenden Seen, welche höher als die bestehenden Stauseen liegen, bieten aber eine Chance um die heutige Stromproduktion aus Wasserkraft aufrecht zu erhalten. Durch den Bau von neuen Talsperren kann das Volumen dieser natürlichen Seen vergrössert werden und zur Produktion von Spitzenergie aber auch zu Pumpspeicherung von zeitweise überschüssiger Wind- und Sonnenenergie verwendet werden. Die Speicherfunktion der bestehenden und zukünftigen Stauseen ist für den Wasserhaushalt in der Schweiz von grösster Bedeutung, da diese nach dem Abschmelzen der Gletscher so weit wie möglich deren Speicherfunktion übernehmen müssen. Neben der sicheren Stromversorgung werden die Stauseen zukünftig vermehrt zur Anreicherung der Gewässer in lang andauernden Trockenperioden sowie zum Hochwasserschutz beitragen müssen. Die Gefahr von unkontrollierten Ausbrüchen sowie das Überschwappen bei Felsstürzen und Erdrutschungen in diese neu entstandenen Gletscherseen kann mit dem Bau von Talsperren vermindert werden, welche kontrollierte Überläufe sowie genügend Freibord gegen Impulswellen haben. In diesem Sinne werden die neuen Stauseen Mehrzweck- und Synergieprojekte sein. Nicht zuletzt müssen die neuen Stauseen so konzipiert sein, dass sie auch die verstärkte Sedimentzufuhr nach Abschmelzen der Gletscher mit entsprechenden Spülvorrichtungen beherrschen können. An zwei Fallstudien wurde das energiewirtschaftliche Potenzial der neuen Gletscherseen untersucht. Im Fallbeispiel Mauvoisin hat sich gezeigt, dass der potenzielle neue See Corbassière mit einer relativ kleinen Staumauer zu einem bedeutenden Speicher von rund 50 Mio. m3 Inhalt aufgestaut werden könnte. Neben der zusätzlichen Saisonspeicherung kann die Gefällsstufe von durchschnittlich 600 m für ein Pumpspeicherwerk von 500 MW genutzt werden. Dieses Pumpspeicherkraftwerk Mauvoisin-Corbassière wäre bereits bei den heutigen Strompreisen wirtschaftlich und w ürde die bestehenden Anlagen energiewirtschaftlich erheblich aufwerten. Beim Kraftwerkskomplex Oberhasli (KWO) sind zwei neue Seen bei den Gletschern Gauli und Trift entstanden. Der Gaulisee müsste mit einer kleinen Mauer gesichert werden. Das Wasser könnte direkt mit einem neuen Kraftwerk in den bestehenden Grimselstausee turbiniert werden. Beim Triftsee erweist sich iv als wirtschaftlichstes Projekt der Bau einer 110 m hohen Talsperre mit einem Stausee von 105 Mio. m3 Inhalt. Das Wasser könnte zur Erzeugung von Spitzenenergie in einer neuen Zentrale bei Innertkirchen turbiniert werden. Die beiden Anlagen erhöhen die regulierbare Leistung beim KWO um 500 MW und steigern die Energiewirtschaftlichkeit der heutigen Anlagen sowie diejenigen des geplanten Ausbaues KWO plus. Chancen und Herausforderungen für den Tourismus Die Gletscherschmelze führt vielerorts zu einer als karger und wilder empfundenen Landschaft und hat einen Einfluss auf die touristische Gesamtatmosphäre.