Hellmuth Stieff Und Der Deutsche Widerstand

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Hellmuth Stieff Und Der Deutsche Widerstand HORST MÜHLEISEN HELLMUTH STIEFF UND DER DEUTSCHE WIDERSTAND Von 1943 bis 1944 gehörte Stieff, zuletzt Generalmajor und Chef der Organisati­ onsabteilung im Generalstab des Heeres, zum engsten Kreis des militärischen Widerstandes gegen Hitler und das Regime. Aber sein Verhalten ist bei den Mitver­ schwörern umstritten, ebenso bei Historikern wie Christian Müller und Wolfgang Venohr1. Dies mag einer der Gründe sein, weshalb sich die Forschung bislang nicht mit ihm befaßt hat. I. Hans Rothfels teilte einige Daten mit, und Annedore Leber veröffentlichte eine bio­ graphische Notiz; 1984 erschien ein Lebensabriß. In dem Band „20. Juli. Portraits des Widerstands" fehlt hingegen sein Lebensbild2. Erst 1991 erschienen seine erhal­ tenen Briefe, eine Quelle von Rang3. Hellmuth Stieff wurde am 6. Juni 1901 in Deutsch-Eylau, Westpreußen, geboren. Sein Vater Walter diente als Premierleutnant im Feldartillerieregiment Nr. 35, seine Mutter, Annie Krause, stammte aus einer Juristenfamilie, die in Mecklenburg und in Hannover zu Hause war4. 1907 wurde der Vater nach Graudenz versetzt; dort besuchte Stieff die Vorschule. Er fiel durch rasche Auffassungsgabe und Wendigkeit auf. Hinzu kam sein Ehrgeiz, besser zu sein als andere. Obwohl er, von kleiner Gestalt, kein Streber war, wurde sein Verhalten oft mißdeutet. Im Juli 1918 legte er das Notabitur ab und trat als Freiwilliger beim Feldartillerieregiment Nr. 71 ein. 1 Christian Müller, Oberst i. G. Stauffenberg. Eine Biographie, Düsseldorf 1970, S. 341, 358 f., 384, 424, 498; Wolfgang Venohr, Stauffenberg. Symbol der deutschen Einheit. Eine politische Biogra­ phie, Frankfurt a. M./Berlin 1986, S. 263, 280, 308, 317, 342, 344, 377, 392, 402. 2 H[ans] R[othfels], Ausgewählte Briefe von Generalmajor Helmuth (sic!) Stieff (hingerichtet am 8. August 1944), in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2 (1954), S. 291-305. „Vorbemerkung des Herausgebers" [Rothfels], S. 291-295; Hellmuth Stieff, in: Das Gewissen entscheidet. Bereiche des deutschen Widerstandes von 1933-1945 in Lebensbildern, hrsg. von Annedore Leber und Karl Die­ trich Bracher, Berlin/Frankfurt a.M.1960,S.247; Horst Mühleisen, Hellmuth Stieff (1901 -1944), in: Altpreußische Biographie, Bd. IV, 1. Lieferung, Marburg 1984, S. 1158; Rudolf Lill [und] Hein­ rich Oberreuter (Hrsg.), 20. Juli. Portraits des Widerstands, Düsseldorf/Wien 1984. 3 Horst Mühleisen (Hrsg.), Hellmuth Stieff. Briefe, Berlin 1991. 4 Mündliche Mitteilungen von Frau Ursula Grundmann, der Schwester Stieffs, am 5. August 1988. 340 Horst Mühleisen Die erhaltenen Briefe beginnen im Herbst 1918. Wach verfolgte Stieff die politi­ schen und militärischen Geschehnisse, und erstaunlich klar sind seine Berichte, Kommentare und Urteile. Er argumentiert, wägt ab, analysiert. Dies sind Eigen­ schaften, die auf den künftigen Generalstabsoffizier hindeuten. Er erlebte die Revo­ lution und den Zusammenbruch einer Welt, des Kaiserreichs; beide Ereignisse tra­ fen ihn sehr und wirkten lange nach. Als im Dezember 1941 die militärische Krise vor Moskau ihren Höhepunkt erreichte und der Zusammenbruch der 4. Armee unvermeidlich schien, rief Stieff, der erste Generalstabsoffizier, aus: „Chaos. Ein zweites 1918 will ich nicht mehr erleben5!" Nach Kriegsende blieb er bei der Armee. Der Fahnenjunker war sich bewußt, wie er im Mai 1935 schrieb, „auf der Grenzscheide von Entwicklungsepochen" geboren zu sein, und wollte Deutschland, seinem Vaterland, dienen, denn das „Lebenselixier des Soldaten" sei „seine uneigennützige Vaterlandsliebe". Fiele sie weg, so sei man nur „Landsknecht um des Soldes willen". Er bejahte die Republik - wenn auch nur aus Vernunftgründen: „Das Bedürfnis zur positiven Mitarbeit ohne Vorbehalt am Staat ist besonders bei uns jüngeren Offizieren vorhanden, weil nur daraus eine innere Befriedigung möglich ist." Dennoch war für Stieff, einen nationalkonservati­ ven, traditionsbewußten Offizier, den die preußische Armee geprägt hatte, das Heer der Träger der wahren Staatsgewalt. Ein Aufstieg Deutschlands sei, so Stieff, nur mit dem Heer möglich6. Hier zeigte sich ein ungebrochenes Selbstverständnis des Soldatenberufes. Es ist nicht bekannt, wann Stieff erstmals Berührung mit dem Nationalsozialismus hatte. Seine Briefe enthalten nur spärliche Hinweise auf die Partei. Doch ist klar, daß auch er der Bewegung Sympathie entgegenbrachte. „Nationaler Aufbruch" hieß das Zauber- und Losungswort, das blendete. Er fand die Ideale, die er stets geachtet hatte, in dem nationalsozialistischen Gedankengut wieder. Noch durchschaute er das Wesen der Bewegung nicht. Über den 30. Januar 1933 liegen keine Zeugnisse vor. Bruchstücke früherer Aus­ sagen lassen aber den Schluß zu, daß Stieff diesen „Tag der nationalen Erhebung" freudig begrüßte. War das Reich jetzt nicht „an einem ebenso entscheidenden Wen­ depunkt" angelangt wie 1871 und 1918, wovon er ein Jahr zuvor geschrieben hatte7? Er wurde daher spontan ein Bewunderer Hitlers. „Ganz fabelhaft" sei dessen Rede auf dem Reichsparteitag in Nürnberg gewesen. Und Stieff war der Ansicht, daß Hitler der „Begründer einer neuen unzweifelhaft epochalen Weltanschauung" sei. Dies sei, so betonte er, „meine innerste Überzeugung". Durch die Reden habe er „ein sehr klares und sympathisches Bild der Bewegung" erhalten, schrieb Stieff am 4. September 19338. 5 Mitteilungen des Generalleutnants (Bw) a. D. Cord von Hobe, gesprochen im Juli 1988 auf Ton­ bandkassette. Der damalige Major i. G. von Hobe war im Dezember 1941 vierter Generalstabsoffi­ zier (Id) im Armeeoberkommando 4 und engster Mitarbeiter Stieffs. 6 Brief Nr. 55 vom 29. Mai 1935, Nr. 31 vom 11. Oktober 1930 und Nr. 22 vom 19. Februar 1929. 7 Brief Nr. 36 vom 21. August 1932. 8 Brief Nr. 40 vom 4. September 1935. Hellmuth Stieff und der deutsche Widerstand 341 Dann kam der 30. Juni 1934, der „Röhmputsch". Unkritisch übernahm er die amtlichen Verlautbarungen über die Erschießung von Röhm und anderen SA-Füh­ rern, und unkritisch wiederholte er die Darstellung von Klauseners Tod. Noch hielt Stieff diese Liquidierungen für rechtens und zweifelte nicht an Hitler und der Partei. Für ihn zählte nur, daß sie Deutschland, sein Vaterland, wieder stark machten. Er glaubte, alles müsse sich diesem Ziel unterordnen. Nach der Ermordung von Doll­ fuß aber, des österreichischen Bundeskanzlers, bezeichnete Stieff Ende Juli 1934 sein Deutschland als „Lauseland", in dem man nicht mehr offen schreiben könne9. Seine Bewunderung für die nationalsozialistische Bewegung war erschüttert. Doch nur vorübergehend. Bald überwog wieder Sympathie. Im August starb Hindenburg. Für Stieff, und nicht nur für ihn, war er der Garant des Rechts und der Ordnung gewesen. Vertrauensvoll gelobte indes der Haupt­ mann, der nun auf das Staatsoberhaupt Adolf Hitler vereidigt worden war, seinem neuen Führer Dank und Treue, sprach von „festem Gottvertrauen", von dem „Glau­ ben an die Zukunft unseres Vaterlandes" und von Pflichterfüllung. Immer wieder gebrauchte Stieff diese Begriffe, die für ihn bis 1939 die Leitmotive seines Handelns waren. Noch zweifelte er nicht an der Moral des „Führers und Reichskanzlers", wie sich Hitler nach Vereinigung der Ämter des Reichspräsidenten und des Regierungs­ chefs nannte. Wenn Stieff schrieb, er sei von „der Lauterkeit des Charakters des Führers fest überzeugt"10, so bewies diese Aussage einmal mehr, wie er und mit ihm viele seiner Generation der Täuschung „Hitler" erlagen. Dieser kannte die Erwartungen und die Stimmungen der Offiziere. Er setzte auf ihren Ehrgeiz und ihren Sinn für nationale Töne. Am 16. März 1935 führte er die allgemeine Wehrpflicht ein; er befahl die Schaffung einer deutschen Luftwaffe und die Aufstellung eines Friedensheeres von zwölf Armeekorps und sechsunddreißig Divisionen. Die Wiederherstellung der Wehrhoheit bedeutete für die Offiziere, daß „die Aussichten auf eine erfolgreiche Karriere für uns reale Gestalt annahmen"11. Zwei Monate später, Ende Mai, wurde das Wehrgesetz verkündet. Stieff empfand Stolz. Nun hieß die Armee, der er angehörte, nicht mehr Reichswehr, sondern Wehrmacht. Jetzt war jene Entwicklung, die 1919 begonnen hatte, revidiert; dafür hatte er gekämpft und Opfer gebracht. Nur aus dieser Begeisterung heraus ist eine positive Bemerkung über den „Arierparagraphen" zu verstehen, die er damals machte; Hellmuth Stieff war kein Antisemit. Auch übernahm er gläubig die Darstel­ lung, welche die Nationalsozialisten über die Klösterprozesse verbreiteten12. Natio­ nalsozialist war Stieff gleichwohl nicht13. Aber er bewunderte Hitler und seine Par- 9 Brief Nr. 46 vom 25. Juli 1934. 10 Brief Nr. 49 vom 2. August 1934. 11 Bernhard (von) Watzdorf, Die getarnte Ausbildung von Generalstabsoffizieren der Reichswehr von 1932 bis 1935, in: Zeitschrift für Militärgeschichte 2 (1962), S. 78-87; Zitat: S. 86. 12 Brief Nr. 55 vom 29. Mai 1935. 13 Die Aussage, die Stieff nach dem 20. Juli 1944 während einer Vernehmung durch die Gestapo machte und die Freisler am 7. August vor dem Volksgerichtshof referierte, er, Stieff, habe „sich mit der Machtergreifung vorbehaltlos zum Nationalsozialismus bekannt", ist kritisch zu werten und 342 Horst Mühleisen tei, weil sie Deutschland scheinbar zum Erfolg führten. Nach einer Verwendung als Generalstabsoffizier der 21. Division in Elbing und als Batteriechef wurde Stieff im Herbst 1938 in die Operationsabteilung des Generalstabes versetzt, um die Unter­ gruppe II a zu übernehmen. Diese Versetzung bedeutete eine Auszeichnung. Die Gruppe I, Operationen, leitete Major i. G. Heusinger, den Stieff bereits 1935 ken­ nengelernt hatte, als dieser erster Generalstabsoffizier
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