Dalia Rabin im Interview • Umgang der „Krone“ mit Wiesenthal • Kür der neuen Generalsekre- täre • Historikerbericht des Dorotheums vor nn Veröffentlichung • Und immer lockt der Bagel Ausgabe Nr. 22(4/2005)uu Kislev 5766 € 3,– www.nunu.at

„NOCH VIEL IN DEN KÖPFEN UND HERZEN BEGRABEN“

EDITORIAL

Das Gedankenjahr 2005 nähert sich seinem Ende, schon vor längerem beklagt hatten. Schön, dass die Ge- vermutlich ohne dass sich das Gedankengut hierzulan- meinde unseren konstruktiven Anregungen folgt. de entscheidend verändert hätte. Die wirklich große Besonders anregend, um nicht zu schreiben aufregend, Feier folgt ja erst 2006, wenn sich die Republik ihrem ist der Bericht von Petra Stuiber zur Bestellung der zwei „Wolferl“ hingeben wird. Mozartjahr und niemand neuen Generalsekretäre. Endlich lernen wir, was wir wird entkommen. Wenn Sie sich vor hypertrophen unter Transparenz zu verstehen haben. Feierlichkeiten und schriller innenpolitischer Katzen- Ein Sittenbild der besonderen Art ist die Zusammen- musik zurückziehen wollen, ist Ihnen das vorliegende stellung der Berichterstattung zum NU wärmstens zu empfehlen. kürzlich verstorbenen Simon Wiesenthal. Erwin Javor Ein Großer der österreichischen Politik, der frühere zeigt, wie man im Kleinformat von der „überflüssigsten Bundeskanzler Franz Vranitzky, hat uns zum Abschluss Figur auf der österreichischen Szene“ zur „moralischen des Gedankenjahrs ein Interview gegeben, in dem er Autorität“ wird, wenn es der Chef nur für richtig hält. über seine Kindheit im Wien der Kriegs- und Nach- Wenn Sie wissen wollen, woher der Bagel stammt, kriegsjahre, zu seiner Sicht der Feierlichkeiten, zum lesen Sie den vergnüglichen Bericht von Axel Reiserer. „poor man walking“ Jörg Haider und zu seinen Ge- Ja, und wenn Sie völlig furchtlos sind, empfehle ich danken zum Nahen Osten berichtet hat. noch den Beitrag von Harry Bergmann. Eine fast aus- Ein weiteres, tolles Interview hat Danielle Spera aus weglose Geschichte, die Ihnen als Besucher des Israel mitgebracht: Dalia Rabin hat mit ihr zehn Jahre Tempels durchaus bekannt vorkommen wird. nach dem Tod ihres Vaters Yitzhak Rabin über den Frieden gesprochen. Ihre Unterstützung für NU: BA-CA (BLZ 12000) Konto- Fritz Neumann hat sich mit dem Jugendreferenten der Nummer: 08573 923 300. IKG, Maxim Slutski, über dessen Arbeit unterhalten. Er will Anlaufstelle für die etwa 1.500 Kinder und Jugend- Ein fröhliches Chanukka-Fest wünscht Ihnen lichen sein und füllt damit eine Lücke, die wir im NU Peter Menasse, Chefredakteur

INHALT

Franz Vranitzky Israel Lesung INTERVIEW I Der frühere SPÖ- INTERVIEW II CHRISTIANE HÖRBIGER Kanzler über das Gedenkjahr, die Dalia Rabin über liest aus Biografie Zelmans. FPÖ und seine Kindheit. das Vermächtnis Von Alexia Weiss 30

Von Danielle Spera und ihres Vaters. FOTO: ©ODED KARNI Peter Menasse 4 Von Danielle Spera 18 Kulinarisches BAGEL Das Brot des Lebens. Gedenkjahr Generalsekretäre Von Axel Reiserer 31 VERGLEICH Die Staatsvertrags- IKG I feiern der Zweiten Republik. Die Sache mit der Trans- Dajgezzen und Chochmezzen Von Barbara Tóth 9 parenz. Von Petra Stuiber 22 KOMMENTAR Erwin Javor und Peter Menasse über ÖVP, FPÖ und Simon Wiesenthal Jugend den Verfassungsbogen 36 POSTHUME ROSEN IKG II Berichterstattung der „Kronen Zeitung“ Maxim Slutski ist neuer Jugend- FPÖ einst und heute. Von Erwin Javor 10 referent. Von Fritz Neumann 24 KOMMENTAR Martin Engelberg über die Sehnsucht nach Haider 37 NS-Kunstraub Security DOROTHEUM Historikerbericht vor IKG III Alltagsgeschichten Veröffentlichung. Von Alexia Weiss 13 Eine unkorrekte Betrach- KOMMENTAR Erwin Javor über tung. Von Harry Bergmann 26 den Umgang der „Krone“ mit Werbung Wiesenthal 39 HAUS DER BARMHERZIGKEIT Theater mit einer fragwürdigen Kampagne. NS-ZEIT durch zwei Schlüssel- [email protected] Von Peter Menasse und Erwin Javor 16 löcher. Von Danielle Spera 28 www.nunu.at Die Gags auf dem Heldenplatz fand ich entbehrlich

Franz Vranitzky war der erste österreichische Bundeskanzler, der offiziell die dunkle Seite der österreichischen Geschichte angesprochen hat. Als Erster hat er sich für die Verbrechen, die Österreicher während der Nazi-Zeit begangen hatten, entschuldigt. Bnai Brith hat Vranitzky dafür in Wien kürzlich mit dem höchsten Orden ausgezeichnet. Was Vranitzky zu diesen deutlichen Worten veranlasst hat, wodurch er als Kind geprägt wurde und warum Jörg Haider ein „poor man walking“ ist, hat er im Gespräch mit Danielle Spera und Peter Menasse erzählt.

NU: Ihr Eingeständnis der Mitschuld von Sie sprechen damit sehr direkt das Ge- behandelt worden. Das ist auch in Ord- Österreichern an den Verbrechen der Nazis, denkjahr an. Es ist sicher mit großem nung so, denn es war ein Schlüsseljahr Ihre Einladung zur Rückkehr der Juden Engagement betrieben worden, nur hat in der österreichischen Zeitgeschichte. nach Österreich war für einen österrei- man sich offenbar nicht von den alten Das Ende des Zweiten Weltkriegs und chischen Bundeskanzler einmalig und ganz Schablonen lösen können, die darin die Befreiung von der Nazi-Herrschaft außergewöhnlich. Was war der Auslöser bestehen, dass man sich in allererster durch die Alliierten sind jedenfalls zu dafür, dass Sie als erster so deutliche Worte Linie der österreichischen Erfolgsstory kurz gekommen. zur Rolle von Österreichern während der nach dem Zweiten Weltkrieg rühmt. Es gibt nach wie vor zu viele Stimmen, Nazi-Zeit gefunden haben? Nun gab es zwar diese Erfolgsstory, aber die behaupten, dass die wirkliche Frei- Vranitzky: Die innenpolitische Situati- sie ist nicht das ausschließliche Erschei- heit erst 1955 erreicht worden sei. Na- on damals war geprägt von einer Mi- nungsbild der Republik Österreich. Ich türlich ist es erstrebenswert, nicht von schung aus den noch nicht ganz abge- habe mit Bedauern festgestellt, dass die fremden Truppen besetzt zu sein, aber klungenen Vorbehalten maßgeblicher Chance nicht genutzt worden ist, be- die eigentliche Beendigung einer ver- Länder der Welt gegen Bundespräsident stimmte historische Wahrheiten besser brecherischen Periode hat 1945 stattge- INTERVIEW Waldheim und dem Jugoslawien-Krieg. ins Licht der Öffentlichkeit zu setzen. funden. Daher wäre es ganz gut, wenn Wir mussten miterleben, dass gewaltsa- Denn ich bin überzeugt, dass der mög- man in den verbleibenden Wochen die- me Auseinandersetzungen, ethnische lichst unkomplizierte Umgang mit der ses Jahres mit Nachdruck darauf hin- Säuberungen, unfassbare autoritäre Vor- Wahrheit einer Gesellschaft innere Fes- weist. Nicht zuletzt deshalb, weil noch gangsweisen in unserer unmittelbaren tigkeit gibt. immer sehr viel in den Köpfen und Her- Nachbarschaft aufgebrochen sind. Da zen mancher Familien begraben ist. habe ich mir gedacht, es wäre höchste Sie haben in Ihrer Rede anlässlich der Bnai- Viele haben Verwandte, die möglicher- Zeit, mit ein paar stehen gebliebenen Brith-Preisverleihung kritisiert, dass im weise auch schon tot sind, die aber von Ungerechtigkeiten und Ungereimthei- Gedenkjahr 2005 bei allem Jubel über den 1938 bis 1945 Schuld auf sich geladen ten aufzuräumen, auch mit dem Thema Staatsvertrag 1955 das Jahr 1945 doch haben. Ich kenne viele Familien, wo die Opferdoktrin. „verhältnismäßig wenig belichtet“ worden Kinder- oder auch die Enkelgeneration sei. Warum fällt das sonst niemandem auf, noch immer nicht mit sich ins Reine ge- Sie haben damit in Österreich eine „Trend- warum wurde das in der Öffentlichkeit kommen ist. Und es soll niemand sa- wende“ eingeleitet, die aber jetzt wieder kaum thematisiert? gen, dass das einfach ist: der Vater oder umgekehrt worden ist, jetzt wird die Opfer- Das Staatsvertragsjahr 1955 ist bei den Großvater, der bei der SS war, ist ja doktrin von neuem hervorgeholt. verschiedenen Gedenkfeiern prominent trotzdem der geschätzte Vater oder 4 nu 4·2005 FOTO: © PETER RIGAUD

»Das Gedenkjahr ist sicher mit großem Engagement betrieben worden, nur hat man sich offenbar nicht von den alten Schablonen lösen können.«

4·2005 nu 5 Großvater. Die Weltanschauung der drei Wege eingeschlagen: die einen sind belesenen Mutter geprägt. Diese Welt- nachfolgenden Generationen ist glück- Nazis geworden, die anderen Kommu- anschauung ist für mich zu einem Ge- licherweise oft eine andere und das er- nisten und die dritten wollten nichts bäude geworden, das bis heute nicht gibt ein Spannungsfeld. mehr von Politik wissen. Mein Vater hat eingestürzt ist. sich auf die linke Seite geschlagen und Ich bin zuerst in die Frauenfelderschule Gab es Aktionen im Gedenkjahr, die Ihnen hat auch meine Mutter dafür eingenom- gegangen, die wurde von Bomben ge- besonders in Erinnerung geblieben sind? men. 1939 wurde er eingezogen, ab troffen, worauf ich in eine andere Schu- Die Ausstellung im Belvedere ist mir in diesem Zeitpunkt war meine Mutter le verlegt wurde, wo wir dann Wechsel- positiver Erinnerung, die Ausstellung mit mir und dann ab 1940, als meine unterricht hatten. Es gab zu wenig Klas- auf der Schallaburg habe ich nicht gese- Schwester geboren wurde, mit uns beiden senzimmer, so dass wir eine Woche am hen, doch habe ich gehört, sie sei gera- auf sich gestellt. Wir lebten in äußerst Vormittag und in der nächsten Woche dezu skandalös einseitig. Die Gags auf bescheidenen Verhältnissen. Noch dazu am Nachmittag Unterricht hatten. Das dem Heldenplatz mit den Hausgärten in einem Haus, das einer ziemlich aus- war dann auch die Zeit der rationierten fand ich entbehrlich. So kann man der geprägt nationalsozialistischen Familie Lebensmittel, der Trockenmilch von heutigen Generation das Hungerelend gehört hat. Wir haben die alltägliche Be- den Amerikanern, ich erinnere mich nicht näher bringen, und schon gar vormundung, das Anstänkern, das Schul- gut an die steinharten Kekse, die man nicht auf dem Heldenplatz. meistern meiner Mutter miterlebt. tagelang in der Trockenmilch einwei-

Wie haben Sie dieses Jahr erlebt? War es ein würdiges Gedenken? »So kann man der heutigen Generation das Ich will es sicher nicht in Grund und Bo- den verurteilen, das wäre ungerecht. Es Hungerelend nicht näher bringen, und schon sind viele Bemühungen unternommen gar nicht auf dem Heldenplatz.« worden, auch mit Erfolg. Doch wie ge- sagt, meine Vorbehalte gehen dahin, dass die Befreiung von der Nazi-Dikta- Wo war das? chen musste, damit man sie irgendwie tur in diesem Gedenkjahr zu wenig ge- Wir haben in Hernals gewohnt und na- beißen konnte oder die qualitativ min- würdigt wurde. Ich habe mich jedenfalls türlich auch die Bombenangriffe erlebt. derwertigen Fischkonserven, die Silver als Österreicher nicht wirklich geehrt Zerstörte Häuser, tote Menschen, die Hakes. Das war unser Alltag. gefühlt, als die USA am 15. Mai einen wir gekannt hatten, stundenlange Auf- pensionierten Senator als offiziellen Ver- enthalte im Luftschutzkeller haben mei- Bei Ihrer Ehrung durch Bnai Brith wurde treter ihres Landes geschickt haben, nur ne Kindheitserinnerungen geprägt. Wir erwähnt, dass in Ihrem Wohnhaus Juden weil er irgendwelche familiären Kontak- haben uns manchmal im Wienerwald versteckt waren. te zu Österreich hat. Das ist sicher auch versteckt, weil die Erwachsenen ge- Ein paar Häuser von uns entfernt hat auf die Gedankenlosigkeit der Amerika- glaubt haben, dass man dort sicherer sei ein Ehepaar gelebt – er war Jude, sie ner zurückzuführen, aber vielleicht wä- als im Luftschutzkeller. nicht –, das keinen Luftschutzkeller hat- ren sie weniger gedankenlos, wenn die In der Volksschule habe ich als kleines te. Meine Mutter wollte sie gern zu uns Republik Österreich bei ihnen ruhm- Kind schon die Indoktrinierung miter- holen, das war wegen unseres Hausher- reicher verankert wäre. lebt und kann mir daher überhaupt ren, der ein großer Nazi war, aber un- nicht vorstellen, dass jemand, der eini- möglich. Meine Mutter hat sich aber germaßen wach durchs Leben gegangen nicht beirren lassen und hat das Ehe- ist, nicht gewusst hat, was der National- paar immer wieder heimlich zu uns ge- sozialismus bedeutet. Ich war ein Kind holt. Wenn es dunkel war, hat sie die

FOTO: ©PETER RIGAUD und wusste, was ein Gestapo-Mann ist beiden beim Hofeingang hereingeholt. und was er tut, nämlich Menschen um Sie haben den Krieg überlebt und wir 5 Uhr in der Früh aus ihren Wohnungen hatten noch lange mit ihnen Kontakt. holen und mitnehmen. Ich war ein Kind und wusste – durch die spärlichen Hei- Gerade in Ihrer Generation waren starke mat-Urlaube meines Vaters –, was der Berührungsängste gegenüber Juden vor- Krieg für einen Soldaten bedeutet. Er herrschend. Wie haben Sie das in Ihrem war sowohl in Polen als auch später in Erwachsenwerden oder an der Uni erlebt? Sie wurden 1937 geboren, in welchem der Normandie, er hat also beide Ge- Ganz ohne Berührungsängste. Meine Umfeld sind Sie aufgewachsen? sichter des Zweiten Weltkriegs als Mutter stammte aus der burgenländi- Mein Vater war Arbeiter, Sozialdemo- Wehrmachtsangehöriger miterlebt, hat schen Gemeinde Lackenbach, in der krat und hat in der Zwischenkriegszeit aber aus seiner Gesinnung nie ein Hehl 50 Prozent der Bevölkerung jüdisch das Schicksal vieler anderer geteilt. Er gemacht und ist daher auch fantastisch waren. Sie hat mir viel davon erzählt, ist arbeitslos geworden, ausgesteuert und befördert worden, nämlich bis zum auch dass Juden und Nichtjuden dort genau genommen vor dem Nichts ge- Obergefreiten. Meine Weltanschauung gut zusammen gelebt hatten. Meine standen. Die sozialdemokratisch orien- wurde also durch die ärmlichen Famili- Mutter hat wie viele andere an jüdi- tierte Arbeiterschaft – im Übrigen auch enverhältnisse, sehr deutlich politisch schen Feiertagen, wo Arbeit verboten noch durch die Ereignisse 1934 poli- orientierte Eltern und die einfache ist, ausgeholfen. Heute gibt es keine Ju- tisch und menschlich gedemütigt – hat Sprache der nicht gebildeten und nicht den mehr in Lackenbach, es gibt einen 6 nu 4·2005 FOTO: ©PETER RIGAUD

jüdischen Friedhof, der etwas verfallen War das Ihre Klassifikation des derzeitigen Die Regierung hebt immer wieder Ihren ist. Jedenfalls waren meiner Mutter jüdi- Bundeskanzlers, er ist ja die Koalition mit Durchbruch bei der Restitution und bei den sches Leben, jüdischer Alltag, jüdische Haider eingegangen? Entschädigungen für Zwangsarbeiter her- Hausbräuche nicht fremd. Das heißt, da Und Österreich hat darunter gelitten – vor. Warum haben sozialdemokratische gab es keine Schwellenangst. bis heute. Es ist ein Ammenmärchen zu Regierungen nicht schon früher mehr in glauben, dass die anderen sich das nicht dieser Sache zusammengebracht? Geprägt durch Ihre Erziehung, war es für Sie gemerkt hätten. Außerdem bin ich nicht In erster Linie muss man sagen, dass die essenziell, mit jemandem wie Jörg Haider so sicher, ob die Theorie von der Do- sozialdemokratisch geführten Regierun- keine Koalition einzugehen. Heute gibt es so mestizierung stimmt. Denn Haider hat gen bezüglich der Befriedigung der manche, die Ihre Verhaltensweise als Fehler ja selbst einen Todesdrang entwickelt, materiellen Rechte und Ansprüche der ansehen, denn Schüssel habe Haider ins den er bis heute konsequent auslebt. jüdischen Mitbürger sehr viel gemacht Boot geholt und ihn damit domestiziert. haben. Sowohl im Sozialbereich als Im Gegensatz dazu stehen die vielen, Was ist mit Strache, wird er ein zweiter auch im Staatsbürgerschaftssektor, wie die mir sagen, jetzt erst zeige sich, wie Haider? in der Rückgabe und Rückstellung der richtig es war, nicht mit Haider zusam- Das wird man erst sehen, zunächst ein- verschiedenen geraubten Kunstgegen- menzuarbeiten. Zunächst einmal gibt es mal ist er ein Verbalrabauke, der mehr stände ist sehr viel getan worden. In – zumindest für mich – Politik ohne oder weniger keinen Stein auf dem an- meiner Zeit ist der Nationalfonds ge- Weltanschauung nicht. Die Weltan- deren lässt in Bezug auf demagogische, schaffen worden. In gewisser Hinsicht schauung Haiders ist, dass er sich vom rassistische und religiös anzügliche Äuße- haben wir also aufgebaut, was jetzt fort- ewiggestrigen Rechtsaußenschutt nicht rungen. Er ist politisch-inhaltlich sehr gesetzt wird. distanzieren kann. Auf die Frage, wer substanzlos. Es ist nicht überliefert, ob der größte Verbrecher des 20. Jahrhun- er irgendeine Vorstellung zur Wirt- Wie sind Sie überhaupt mit dem Zustand derts war, fällt ihm Adolf Hitler nicht schafts- und Sozialpolitik hat. Es ist Ihrer eigenen Partei zufrieden? ein. Das ist für mich keine Basis für ein überliefert, dass er zur Wanderungspo- Na, das schaut ziemlich gut aus, vor al- gemeinsames Regieren. Ich hätte es mei- litik keine Vorstellung hat, wenn er von lem nach den wirklich eindrucksvollen ner Partei und der Außenwelt gegen- Minuseinwanderung spricht. Es ist über- Wahlergebnissen in den verschiede- über für unzumutbar empfunden, im liefert, dass er von den Arbeitsmärkten nen Bundesländern in den letzten zwei Ausland erklären zu müssen, dass da je- keine Ahnung hat. Es ist aber auch wahr, Jahren, und ich nehme an, dass der gute mand mit uns ist, der meint, die Nazis dass er bei der Wiener Landtagswahl Schwung auch für die Bundespolitik hätten eine ordentliche Beschäftigungs- 15 Prozent der Stimmen bekommen hat. genutzt werden kann. Die zweifellos politik gemacht. Das kann nur jemand Das heißt, dass ihm ein bestimmtes vorhandenen Schwachstellen der der- vertreten, dem weltanschauliche Barrie- Wählerpotential zuströmt. Da wird es da- zeitigen Bundesregierung, also die ÖVP ren egal sind, und der überhaupt nicht von abhängen, was die anderen Parteien mit einem marginalisierten Koalitions- versteht, wie so etwas abläuft. daraus machen, wie sie damit umgehen. partner, der sich gerade noch über 4·2005 nu 7 Gemeinsam sind allerdings offenbar die Vor- behalte gegenüber Israel und die großen Sympathien gegenüber den Palästinensern. Mit den Palästinensern geht seit langem ein gewisser Mitleidseffekt einher. Die- ser Mitleidseffekt kommt einerseits da- her, dass die Palästinenser in der arabi-

FOTO: ©PETER RIGAUD schen Welt tatsächlich auch „under- dogs“ sind. Außerdem lässt die starke amerikanische Unterstützung Israels, nicht zuletzt in Bezug auf militärische Stärke, die Palästinenser auch immer als die Schwachen aussehen. Drittens kommt noch dazu, dass Saudi-Arabien, einer der engsten Verbündeten der USA, gerade von diesen gleichzeitig be- zichtigt wird, den Terrorismus, nicht zu- letzt auch den palästinensischen Terro- rismus, zu unterstützen. Und in diesen scheinbaren Irrgärten will sich so man- cher europäischer Politiker gar nicht verirren. Und lässt die Finger davon.

Es geht so weit, dass man auch bei der Unter- stützung der Palästinenser oft zu wenig Kon- trollmechanismen einschaltet. Große Geld- summen der EU, die für die Infrastruktur in Wasser hält, sollten für eine kämpferi- Sie analysieren immer wieder auch die Ent- den Palästinensergebieten gedacht waren, sche Sozialdemokratie eine gute Aus- wicklung der EU. Wie beurteilen Sie denn verschwinden in den Tiefen der Korruption. gangslage sein. deren Außenpolitik in Sachen Nahost? Sie haben sicher Recht mit den Kontrol- Ich fürchte sagen zu müssen, es gibt kei- len. Ich höre, dass die zweckentspre- Wo liegen Ihre Präferenzen, mit wem sollte ne gemeinsame und in sich geschlossene chende Verwendung von Geldern, die die SPÖ koalieren? Würden Sie sich eine Außenpolitik. Der EU wird vorgehalten, seinerzeit z. B. Arafat zur Verfügung ge- große Koalition wüschen, oder sollte man dass die arabische Seite im Allgemeinen, stellt worden sind, nicht gesichert ist. sich in Richtung der Grünen orientieren? die palästinensische Seite im Besonde- Also das heißt, der Kontrollmechanis- Ich gebe grundsätzlich keine Koalitions- ren in der EU mehr Sympathien hat als mus scheint nicht gut zu funktionieren. ratschläge. Rückblickend ist zu sagen, dass Haider unter den Bedingungen der »Es ist nichts übrig geblieben von Haider. großen Koalition gewachsen ist. Haider hat alle zwei, drei Jahre gesagt, Und daher fürchte ich mich auch vor einem dass er der nächste Bundeskanzler werden wird, die Geschichte hat gezeigt, Herrn Strache nicht.« dass er es nicht geworden ist. Durch die schnellen Zuwächse der FPÖ in der Zeit die israelische Seite. Man sollte sich sehr Auf israelischer Seite wiederum ist es der großen Koalition ist so eine Art Glori- genau überlegen, ob das stimmt, und offenbar schwierig, eine gemeinsame fizierung Haiders durch die Nachwelt wenn ja, welche Art der Abhilfe man Politik zu verfolgen. Rabin musste sein gewachsen. Dabei ist Haider einer der schaffen könnte. Und ich glaube, das Leben lassen, Peres wurde abgewählt, erfolglosesten Politiker in der österrei- sollte die EU auch tun. Denn es zeigt Barak auch und Sharon hat jetzt größere chischen Geschichte. Denn er hat sich sich, dass die USA im Nahen Osten ein Probleme. Das Schlimme ist, dass jeder zum Ziel gesetzt, Bundeskanzler zu wer- dominierendes Gewicht haben und gute Wille durch immer neue Attentate den, ist es nicht geworden, er hat sich Europa eigentlich nur sehr marginal vor- und Vergeltung zunichte gemacht zum Ziel gesetzt, die Ausländer nicht kommt. Abgesehen von Geschichte, Tra- scheint. Also es ist ein Gebiet, das ganz nach Österreich kommen zu lassen oder, dition, geografischer und geopolitischer enorme Anstrengungen braucht, von wenn’s leicht geht, auch wieder los zu Nähe ist das ja auch ein Teil der Welt, der allen Beteiligten. Und dann kommen werden, das ist ihm nicht gelungen, er hat wirtschaftlich, aber auch kulturell un- auch noch die fürchterlichen Ansagen den EU-Beitritt bekämpft. Österreich ist endlich viel zu bieten hat. Und hier aus Teheran dazu. seit mehr als zehn Jahren EU-Mitglied absent zu sein oder nur gerade als Mauer- und jetzt, in Abwandlung des amerikani- blümchen irgendwo von der Galerie Man hat den Eindruck, wenn Sie über die schen Satzes, ist er ein „poor man wal- herunter zu wachsen, ist zu wenig. Aber politischen Entwicklungen reden, erwächst king“. Es ist nichts übrig geblieben von das heißt schon auch, dass als Vorausset- in Ihnen eine große Leidenschaft. Fehlt Haider. Und daher fürchte ich mich auch zung dafür eine gemeinsame Außenpoli- Ihnen die Politik? vor einem Herrn Strache nicht. tik konzipiert werden muss. Ja, eine gute. 8 nu 4·2005 Stricken am Mythos

Nicht nur Kanzler Wolfgang Schüssel wusste sich im Jubiläumsjahr ins beste Licht zu rücken. Ein historischer Vergleich zeigt: Jede Regie- rung nutzte die Staatsver- tragsfeiern zur Konstruktion historischer Identität.

VON BARBARA TÓTH FOTO: ©ERICH LESSING FOTO: ©BARBARA GINDL

on kann sogar Wolf- tens mit dem Ende der Großen Koaliti- on stellten die Neutralität in Frage. Die V gang Schüssel noch etwas lernen: on war es auch mit dem parteiübergrei- Waldheim-Debatte brachte die „Opfer- Als im Jahr 1970 das 15-jährige Staats- fenden Konsens zur Nachkriegsge- these“ endgültig zu Fall. Die Politik zog vertragsjubiläum erstmals unter roter schichte vorbei. Seitdem ringen eine sich aufs Folkloristische zurück: 1990 Kanzlerschaft gefeiert werden sollte, zö- „rote“ wie eine „schwarze“ Version um wurde Gmunden am Traunsee als Ort gerte er nicht lange und instrumentali- Vorrang im öffentlichen Bewusstsein. der Feierlichkeiten ausgesucht, weil es sierte das Datum für sich: Der Sonnen- Im Jubiläumsjahr 1975 wurde der rot- den geografischen Mittelpunkt Öster- könig wählte just den 27. April für seine schwarze Kampf um die vergangenheits- reichs darstellt – besser lässt sich die erste Regierungserklärung und „okku- politische Hegemonie zuerst am Bücher- Hilflosigkeit der Politik im Umgang pierte“ damit gewissermaßen das Ereig- markt ausgetragen: Kreisky brachte im mit dem Jubiläum nicht versinnbildli- nis ganz für seine Politik. Prompt ver- Jahr 1975 sein Buch „Neutralität und chen. mutete der damalige „Presse“-Chefre- Koexistenz“ heraus, in dem er den SPÖ- Die „Wende“ bot der ÖVP dafür erst- dakteur Otto Schulmeister – nicht zu Anteil am Staatsvertrag hervorhob. Die mals in der Geschichte der Zweiten Re- Unrecht –, dass ein „Spielplanwechsel“ ÖVP konterte in der Person Karl Heinz publik die Chance, die Staatsvertrags- bevorsteht. Seine Befürchtung: Öster- Ritschels, Chefredakteur der „Salzbur- feiern in Alleinregie zu gestalten. Im reich könnte „sozialdemokratisiert“ ger Nachrichten“, der zwei Bücher über „kleinen“ Jubiläumsjahr 2000 münzte werden und der „Figl-Raab-Part des den „Staatsvertragskanzler“ Julius Raab Schüssel die zentralen Staatsvertrags- Gründungsmythos unauffällig gelöscht“ vorlegte. 1980 wiederum organisierte codes „Freiheit und Unabhängigkeit“ werden. Dreißig Jahre später drehte der die ÖVP ein eigenes Symposium, um auf die aktuelle politische Sanktions- erste ÖVP-Kanzler seit den sechziger die Meriten Raabs und Figls zu würdi- zeit um. 2005 kam dann die große Jahren, Wolfgang Schüssel, das Rad der gen, währenddessen sich Kreisky am 15. Inszenierung samt Besuch hochrangi- Zeit wieder zurück: Ganz klar wurden April als „Zeitzeuge“ in einer Gedenk- ger Vertreter der vier Signatarstaaten. Leopold Figl und Julius Raab als veranstaltung am Vöslauer Flughafen Auch diese Idee war nicht neu: Schon „Gründungsväter“ der Republik ins feiern ließ. zum 10., 25. und 30. Staatsvertrags- Zentrum gerückt – auch, um die histori- Historischer Katzenjammer herrsch- jubiläum hatte man einen Amerikaner, sche Legitimation der Wenderegierung te hingegen 1990: Binnen eines Jahr- Franzosen, Russen und Engländer zu zu stärken. zehnts wurden die politischen Pflöcke, Gast in Wien. Beide Beispiele zeigen: Wenn Jubilä- auf denen sich die Nachkriegsinterpre- umsfeiern anstehen, wurde immer tation des Staatsvertragsmythos grün- nicht nur der Geschichte gedacht, son- dete, obsolet. Das Ende des Kalten Webtipp dern auch Geschichte gemacht. Spätes- Krieges und der Zerfall der Sowjetuni- www.staatsvertrag.at 4·2005 nu 9 Ein roter Teppich, posthum aufgerollt

Die Kronen Zeitung streute Simon Wiesenthal anlässlich seines Ablebens im September posthum Rosen. Im Gegensatz dazu steht die lange Kampagne des Massenblatts gegen den Nazi-Jäger, die Mitte der 1970er Jahre ihren Höhepunkt erreichte. Einer der Autoren, damals wie heute: Cato alias . IM FOLGENDEN EINE DOKUMENTATION, ZUSAMMENGESTELLT VON ERWIN JAVOR.

EINST Wehrdienst bei einer berüchtigten SS- dige Weise jenen Politiker zu treffen, der 10. Oktober 1975: Peter Gnam, noch Einheit ableistete, die im Hinterland Peter bei einem etwas anderen Wahlaus- heute innenpolitischer Redakteur der auf Banditen, Juden und Zigeuner Jagd gang eventuell zum Vizekanzler ge- „Krone“, zur Causa Peter: „Nazi-Jäger gemacht hat. Peter leugnet nicht, der macht hätte? Politik mit Enthüllungen? Simon Wiesenthal behauptete gestern genannten Einheit angehört zu haben, Das wäre eine Art, Politik zu machen, vor Journalisten in Wien, Peter wäre im erklärt aber, nie an Erschießungen wie wir sie in Österreich ablehnen.“ Zweiten Weltkrieg bei einer SS-Einheit oder ähnlichen Aktionen teilgenom- 12. Oktober 1975: Richard Nimmer- gewesen, die Frauen und Kinder im be- men zu haben …“ richter alias Staberl: „Das ist die frisch- setzten Russland ermordet hat. Diese, Und weiter: „Will man Peter heute, fröhliche Peter-Hatz, die eine der über- anscheinend von langer Hand für den nach mehr als dreißig Jahren, für die flüssigsten Figuren auf der österrei- Fall einer rot-blauen Koalition vorbe- chischen Szene, Wiesenthal also, jetzt reiteten Beschuldigungen wies Peter angefangen hat … Vor allem dient das scharf zurück: Er habe nie an Erschie- »Das wäre eine Art, Ganze der Eitelkeit und dem nachge- ßungen oder sonstigen Repressalien Politik zu machen, wie rade schon unerträglichen Geltungs- teilgenommen.“ bedürfnis des Simon Wiesenthal.“ 11. Oktober 1975: Hans Dichand wir sie in Österreich 19. Oktober 1975: Hans Mahr, spä- alias Cato zur Causa Peter: „Simon ter großer Aufsteiger bei RTL, heute Wiesenthal wird fälschlich als Eich- ablehnen.« Vorstand der Premiere AG, in der Ko- mann-Jäger bezeichnet, obgleich man lumne „Politik inoffiziell“: „FP-Chef heute weiß, dass es der staatliche israe- bösen Taten seiner Einheit verant- Peter macht sich indes in Südtirol mehr lische Geheimdienst gewesen ist, der wortlich machen? Er war damals ein- Sorgen über die Gegenwart: etwa über mit Hilfe eines deutschen Staatsan- undzwanzig Jahre alt. Die Veröffentli- das Aufflammen des Antisemitismus waltes Eichmann ausforschte und ent- chung allein muss schon als Kollektiv- im Anschluss an die Wiesenthal-,Ent- führte. Wiesenthal hat mit diesen Vor- urteil empfunden werden, das nach hüllungen‘: Zwanzig Jahre wird gegen den gängen nichts zu tun. Dagegen jagt Rechtssprechung und Volksempfin- Antisemitismus gekämpft – und jetzt das!“ er sehr intensiv den FPÖ-Parteiob- den unzulässig ist. Dazu der Zeitpunkt: Und dann etwas rätselhaft: „Es sind mann Friedrich Peter. Wiesenthal ent- Ging es darum, die Schuld eines Men- nicht meine Geister, die da gerufen hüllt, dass Peter im Krieg seinen schen zu ergründen oder auf hintergrün- wurden …“ 10 nu 4·2005 »Vor allem dient das Ganze der Eitelkeit und dem nachgerade schon unerträglichen Geltungsbedürfnis des Simon Wiesenthal.«

19. Oktober 1975: Viktor Reimann, Gründungsmitglied der VdU, Vor- gänger-Partei der FPÖ, zur Sacharow- Anhörung: „Einen Schönheitsfehler hat dieses Tribunal allerdings. Dem Unter- suchungskomitee gehört nämlich auch Ingenieur Simon Wiesenthal an, der meines Erachtens dort falsch am Platz ist. War Wiesenthal vor dreißig Jahren ein Verfolgter, so ist er seit dreißig Jah- ren dem Lager der Verfolger beizuzäh- len. Sicherlich, ein Vergleich zwischen den in der Sowjetunion Verfolgten und den Verbrechern des NS-Regimes, auf deren Spur sich Wiesenthal gesetzt hat, käme einer Blasphemie gleich, und es ist deshalb Wiesenthal auch kein Vor- wurf zu machen, wenn er in der Verfol- gung von Naziverbrechern seine Le- bensaufgabe sieht. Man muss aller- dings für eine solche Lebensaufgabe einen eigenen Charakter haben, weil der Mensch im Allgemeinen eher zur Versöhnung neigt. Im Alten Testament werden an mehreren Stellen Hass und Rache verurteilt, und jüdische KZ-Häft- linge haben in einem der ergreifendsten Appelle, die je verfasst wurden, dem 4·2005 nu 11 Hass abgeschworen.“ Und weiter: „Doch 6. Dezember 1975: Viktor Reimann HEUTE jedem Menschen sein Pläsier, noch schreibt: „Wiesenthal ist ein seltsamer 21. September 2005: Der innenpoliti- dazu, wenn man davon ganz gut leben Fall. Der Mann will nicht nur gefürchtet, sche Redakteur Dieter Kindermann kann …“ sondern auch bewundert, ja geliebt wer- schreibt unter dem Titel „Simon Wie- 28. Oktober 1975: Leserbrief, ano- den, wenigstens von seinen jüdischen senthal kämpfte bis zuletzt gegen das nym: „Schauen Sie, dass dieses ... Wie- Mitbürgern. Da seine Tätigkeit immer Vergessen!“: „Er war unbestechlich, un- senthal, dieser …, diese größte … Öster- bequem, eine moralische Autorität. Und reichs, nur aus Österreich fortkommt!“ die setzte er voll ein, um zu verhindern, Die Leserbrief-Redaktion fügte an die- »Aus diesem Leserbrief dass der Holocaust jemals vergessen ses Zitat folgende Bemerkung an: „Aus mussten wir auf Grund wird. Mit dem Credo Recht, nicht Rache diesem Leserbrief mussten wir auf spürte er weltweit NS-Verbrecher auf – Grund des Pressegesetzes beleidigende des Pressegesetzes belei- allen voran Adolf Eichmann.“ Worte auslassen.“ Etwas später hält Kindermann in sei- 22. November 1975: Viktor Rei- digende Worte auslassen.« nem Nachruf fest: „Es gibt keine größere mann schreibt: „Wiesenthal und einige Sünde als das Vergessen, erklärte immer ihm hörige Journalisten vertreten die unwichtiger und problematischer wird, wieder Simon Wiesenthal. Und so er- These, dass in Österreich der Antisemi- ringt er wie besessen um Anerkennung. öffnete er 1961 sein Dokumentations- tismus, wenn schon nicht offen, so doch Noch immer kämpft der jüdische Staat zentrum wieder – diesmal in einem heimlich blüht.“ Israel um seine Existenz und benötigt kleinen Büro in Wien. Mit Fahndungs- 2. Dezember 1975: Schlagzeile auf deshalb das Gerede vom Antisemitis- erfolgen, die weltweit Aufsehen erreg- Seite 3: „So wird Österreich be- mus in Österreich, wenn die Vertreter ten. Er gab den entscheidenden Hin- schimpft!“ Darunter wird festgehalten: der größten Staaten der Welt wie Chi- weis zur Verhaftung von Hitlers Holo- „Wiesenthal im Ausland: Nazis in Re- nas, Indiens oder der Sowjetunion für caust-Organisator Adolf Eichmann in gierung, die meisten Kriegsverbrecher die schändliche Zionismusresolution in Argentinien … Für Wiesenthal gab es aus Österreich.“ der UNO stimmten.“ keine Kollektivschuld – nur eine indivi- duelle Schuld.“ 22. September 2005: Leserbrief von Ing. Harald Schober aus Weiz: „Ein Kämpfer gegen das Vergessen ist tot. Si- mon Wiesenthal fühlte sich als Überle- bender nicht bloß den Toten gegenüber verpflichtet, sondern auch künftigen Generationen. Er wollte Recht, nicht Rache, er wollte Aufklärung und Bewusst- machung als Mittel gegen einen mögli- chen Rückfall in die Barbarei.“ 25. September 2005: Hans Dichand selbst greift in die Tasten und schreibt unter seinem Pseudonym Cato unter dem Titel „Gegen uns alle“: „Unser stän- diger Krone-Korrespondent in New York, Hans Janitschek, berichtete uns, dass die New York Times, also eine der mächtigsten Zeitungen Amerikas, Si- mon Wiesenthal selbst nach seinem Tode kritisiert. Das ist unanständig, und so wollen wir es gar nicht wiederholen. Natürlich geht es auch wieder gegen los. Das Wall Street Journal bezeichnet in einem Leitartikel den Alt-Bundespräsidenten als ehemali- gen SS-Offizier. Vielleicht noch in Erin- nerung ist, dass die New York Post Wald- heim als SS-Schlächter beschimpfte. Das sind sehr beleidigende Falschmeldun- gen, denn Waldheim war nie bei der SS. Wäre es nicht an der Zeit, dass die ös- terreichische Regierung dagegen etwas unternimmt, dass man dem österrei- chischen Volk zutraut, einen SS-Schläch- ter zum Bundespräsidenten gewählt zu haben?“ 12 nu 4·2005 Historikerbericht des Dorotheums vor Veröffentlichung

Eine neue Publikation zum Thema NS-Kunstraub wollte u.a. auch die Rolle des Dorotheums in der NS-Zeit näher beleuchten. Die beiden Herausgeberinnen Gabriele Anderl und Alexandra Caruso stießen dabei nach eigenen Angaben auf eine Mauer des Schweigens. NU hat beim Dorotheum nachgefragt. Fazit: Anfang 2006 wird der lang erwartete Historiker- bericht des Auktionshauses veröffentlicht. Spektakuläres Zahlenmaterial ist aber nicht zu erwarten. VON ALEXIA WEISS

ie Herausgeberinnen dieses Sam- Zeit, nicht Rücksichtnahme, sondern Dmelbandes waren bei ihrem Vorha- Offenlegung einzufordern – geht es ben, die Rolle des Dorotheums während doch um eine Institution, die wie keine und nach der NS-Zeit zum ersten Mal zweite nachhaltig vom NS-Kunst- und ausführlicher einer interessierten Öf- Kulturgutraub profitiert und es bis heu- fentlichkeit zu präsentieren, nur be- te vermieden hat, sich ihrer Vergangen- dingt erfolgreich“, schreiben Anderl heit zu stellen.“ und Caruso in ihrer Einleitung zu dem Fakt ist: Die 1998 von der Republik Buch „NS-Kunstraub in Österreich und eingesetzte Historikerkommission klam- die Folgen“. Einen bereits zugesagten merte das Dorotheum aus ihrer For- Beitrag des Dorotheums habe man bis schungstätigkeit zum Vermögensentzug zur Fertigstellung des Buchmanuskripts in Österreich während der NS-Zeit so- nicht erhalten. „Nach Dafürhalten der wie den Rückstellungen und Entschädi-

FOTO: ©DOROTHEUM Herausgeberinnen ist es jedoch an der gungen nach 1945 aus. Dafür sollte das 4·2005 nu 13 Dorotheum, damals noch Teil der staatli- chen ÖIAG (Österreichische Industrie- holding AG), ein eigenes Historikerteam einsetzen. 2002 wurde das Auktions- haus privatisiert – und wird nun von den Brüdern Soravia im Rahmen ihrer Sora- via Gruppe (Schwerpunkt: Bau- und Im- mobilienbranche) betrieben. Ende 2003 »Seitens des Dorotheums gibt es legte die Historikerkommission ihren Schlussbericht vor. Seitens des Doro- bis heute keinen Bericht – dafür theums gibt es bis heute keinen Bericht – aber viel Unmut bei Betroffenen.« dafür aber viel Unmut bei Betroffenen. Erst diesen September veröffentlichte Dorit Bader-Whiteman, eine heute in den USA lebende Emigrantin, nach der auch das letzte noch gegen Österreich offene Restititutionsverfahren („White- man-Klage“) benannt ist, im „Standard“ ihre Erinnerungen an die Flucht, den Verlust der Habseligkeiten. Darin heißt es u. a.: „Unsere verbliebenen Habselig- keiten hätten uns nach der Flucht folgen waren! Welche Ironie, dass dieses stolze Der Mann hatte ein geschäftliches sollen, erreichten uns aber niemals. Institut sich herabgelassen hatte, um Auftreten. Ich bin wegen der Besitztümer Ganz nebenbei hörte ich meine Eltern Hand in Hand mit der Gestapo das Ver- meiner Eltern gekommen, teilte ich ihm sagen, dass die Möbel, die Kunstgegen- mögen der fliehenden Juden fortzu- mit. Der Anwalt erwiderte kurz: Wir un- stände und alles Weitere im Dorotheum schaffen. tersuchen diese Angelegenheit. versteigert worden waren. Da ich selbst Ich betrat also das Gebäude und ver- Wann werden Sie zu einem Ergebnis kom- Dorit heiße, blieb mir dieser Name in langte den Direktor zu sprechen. Ich men?, fragte ich, es sind bereits mehr als Erinnerung. verschwieg mein Begehren, denn ich 50 Jahre vergangen. Ohne das Dorotheum zu kennen, as- fürchtete, dass ich, falls ich mein Wir werden Sie brieflich verständigen, soziierte ich damit eine herunterge- Anliegen vorbrächte, keinen Termin lautete seine knappe Antwort. Kein kommene Altwarenhandlung. Ich soll- erhalten würde. Man sagte mir, der Ausdruck des Bedauerns.“ te eine Überraschung erleben. Vor eini- Direktor wäre nicht anwesend, und ob Martin Böhm, Geschäftsführer für gen Jahren war ich in Wien, um bei ei- ich mit dem Pressesprecher sprechen den Auktionsbereich des Dorotheums, ner Konferenz über den Holocaust zu wolle. Ich verneinte. Nachdem sich die betonte dazu im Gespräch mit NU: was sprechen. Als ich am Graben entlang Aufregung bei der Sekretärin gelegt den Fall von Frau Whiteman betreffe, spazierte, sah ich einen Wegweiser, der hatte, erschien ein Mann – ein Anwalt! gebe es ein laufendes Verfahren, er kön- zum Dorotheum wies. Aufgeregt folgte Auch ohne Erklärungen war ihnen so- ne also keinen Kommentar dazu abge- ich dem Schild und war bald verblüfft – fort klar gewesen, was der Grund mei- ben. Die Vorwürfe der beiden Wissen- ich fand keine verlotterte Gerümpel- nes Kommens war. Daher war es mir schafterinnen Anderl und Caruso weist kammer, sondern ein Palais. Fein gefer- bewusst, dass ich nicht die Erste ge- Böhm zurück. Sehr wohl hätten die His- tigte Möbel und funkelnde Juwelen be- wesen war. Das Dorotheum hatte mich toriker des Dorotheums gerne einen törten meine Augen. Das war also der wohl in bestimmter Hinsicht sogar Beitrag geliefert. Doch dann habe es Ort, wo unsere Besitztümer gelandet erwartet. plötzlich geheißen, nun sei es zu spät. Nun ist die Arbeit der Geschichtswis- senschafter, deren Namen Böhm noch nicht öffentlich kommunizieren will, jedenfalls in der Zielgeraden. Böhm kün- digte das Erscheinen des Berichts gegen- über NU für das erste Quartal 2006 an. Die Arbeit habe sich schwierig gestaltet, »Die Geschichte ist bisher sicher erläutert Böhm, „darum hat es auch so lange gedauert“. Das Dorotheum habe nicht in der Form aufgearbeitet worden, kein Archiv, durch einen Bombentreffer wie wir das gerne hätten.« im Zweiten Weltkrieg sei der Haupt- raum zerstört, die meisten verbliebenen Unterlagen seien in den 1970er Jahren skartiert worden. Das sei übrigens im- mer „auf ministerielle Anordnung ge- schehen“, schließlich sei das Dorotheum ja bis 2002 in Staatsbesitz gewesen. Die fehlende Aufarbeitung treffe nun die

14 nu 4·2005 neuen Eigentümer. „Die Geschichte ist Einzelfälle aufzulisten habe insoferne Das Dorotheum habe aber sehr wohl – bisher sicher nicht in der Form aufgear- wenig Sinn, als „das Dorotheum ja nur damals noch über die ÖIAG – in den beitet worden, wie wir das gerne hätten.“ die Versteigerungen durchgeführt hat“, Allgemeinen Entschädigungsfonds einge- Und was ist nun in dem Bericht zu er- erklärt Böhm. Hier liegt auch der Schlüssel zahlt, an den Böhm auch bei Vermögen- warten? Konkrete Zahlen, Auflistungen dafür, dass das Dorotheum auch nach etc.? Hier verneint Böhm. Aufgabe der Ende des Whiteman-Verfahrens und Historiker, die übrigens noch vor der nach Vorliegen des Historikerberichts Privatisierung des Auktionshauses von keine Restitution in Fällen leisten wird, »Das Dorotheum hat ja der Republik eingesetzt wurden, sei es die die NS-Zeit betreffen. „Hier gibt es gewesen, Zusammenhänge herzustel- ein primäres Missverständnis: Restitu- nur die Versteigerungen len, die Systematik der Geschäfte in der tion ist eine Naturalrückgabe. Das Doro- durchgeführt.« NS-Zeit aufzuzeigen. Aber auch die theum hat aber kein Eigentum an den hausinterne Durchsetzung des Perso- versteigerten Objekten, es ist vielmehr nals mit Nationalsozialisten bzw. die ein Makler, der Eigentumsübergang fin- „Säuberung“, also Entlassung jüdischer det vom Verkäufer zum Käufer statt. Na- sentzügen in der NS-Zeit in Zusammen- oder politisch nicht genehmer Mitarbei- türlich hat das Dorotheum als solches hang mit beim Dorotheum eingebrachten ter soll aufgezeigt werden. Einer der bei- mitgemacht und ist hier sehr aktiv ge- Gegenständen verweist. In den Fonds ein- den Direktoren sei schon vor Macht- wesen, da gibt es nichts zu beschönigen. zuzahlen sei insoferne selbstverständlich übernahme der Nationalsozialisten „ein Aber wir sind ja kein Museum. Deshalb gewesen, als das Dorotheum ja über die illegaler Ober-Nazi“ gewesen. können wir auch nichts restituieren.“ einbehaltenen Provisionen an den Ge- schäften verdient habe. Was aktuelle Fälle betrifft, also Ge- genstände, die heute eingebracht wer- den, und deren Provenienz bei näherer Durchleuchtung auf eine „Arisierung“ oder „Enteignung“ hindeutet, gehe man sehr sensibel vor, betont Böhm. Seit der Übernahme des Dorotheums durch die Soravia Gruppe seien in mehreren dut- zend Fällen Objekte von der Versteige- rung zurückgezogen worden. Das Dorotheum setzt dabei auf Me- diation zwischen den Einbringern und den Erben der ursprünglichen Besitzer. „Eine Mediation ist die mit Abstand wirkungsvollste und sinnvollste Maß- nahme“, so Böhm. Hier müsse man be- hutsam vorgehen. Denn auch die Ein- bringer seien oft „perplex“, wenn sie mit der Vergangenheit der Objekte konfron- tiert würden. Sie hätten die Stücke oft geerbt oder selbst gutgläubig gekauft. Man übe sich in diesen Fällen daher in Diskretion. „Wenn dann die mediale Keule drübergeschlagen wird, ist das nicht dienlich.“ Es gehe vielmehr da- rum, eine konstruktive Lösung zu fin- den, was mit Hilfe von Mediation auch meist gelinge.

Gabriele Anderl/Alexandra Caruso (Hrsg.): „NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen“, StudienVerlag, Innsbruck 2005, 3-7065-1956-9, 314 Seiten, 33 Euro

Die Publikation beleuchtet einerseits den Kunst-Raubzug der Nazis in Österreich von 1938 bis 1945, andererseits die Restitutionspraxis in den Jahrzehnten nach Kriegsende bis heute. Lesetipp für Kunstliebhaber. 4·2005 nu 15 Gedankenlosigkeit im Gedankenjahr oder Unbarmherzigkeit der Barmherzigen?

Wie eine Werbeaktion gut ins Gedankenjahr passt und welche Diskussionen sie in der NU-Redaktion auslöste. EINE BESCHREIBUNG UND EIN KOMMENTAR VON PETER MENASSE. MIT EINER WIDERREDE VON ERWIN JAVOR.

m Oktober 2005, zu Ende des „Ge- tiert hätten, aber dann doch zum fen in diesem Zusammenhang auch da- I dankenjahrs“, wurde im KURIER Schluss gekommen seien, dieses Bild zu rauf hinweisen, dass in allen Europäi- und im STANDARD vom „Haus der nehmen, weil von dem alten Mann kein schen Werberäten nur Wirtschaftswer- Barmherzigkeit“ ein ganzseitiges Inse- anderes Jugendfoto existiere und weil es bung geprüft wird, nicht aber soziale rat geschaltet. Zu sehen war das Bild ei- eben die damalige Zeit reflektiere. oder politische Werbung.“ Schon er- nes Greises, der in diesem Pflegeheim Eine Beschwerde beim Werberat, ei- staunlich, dass man also in der Werbung lebt und darunter sein Jugendfoto – als ner freiwilligen Kontroll-Instanz der keine moralischen Grenzen einziehen Soldat der deutschen Armee. Das Inse- Werbeunternehmen, erbrachte Erstaun- muss, wenn es sich um „soziale“ Wer- rat war Teil einer Werbekampagne, die liches. Man erklärte sich unzuständig – bung handelt. von der Agentur Lowe GGK kostenlos für das Haus der Barmherzigkeit ent- worfen wurde. Im Pressetext heißt es dazu: „Aktuelle Fotos von hoch betag- »Man erklärte sich unzuständig – ten PatientInnen werden von authenti- eine wunderbare Form, eine schen Jugendbildern begleitet. Devise: Das Alter von heute – die Jugend von inhaltliche Aussage zu vermeiden!« gestern.“ Die Idee dazu war also, der Ju- gend zu zeigen, dass sie auch einmal in die Situation kommen wird, Hilfe und Pflege zu brauchen, und damit die eine wunderbare Form, eine inhaltliche In der Redaktionssitzung von NU Spendenfreudigkeit anzuregen. Aussage zu vermeiden! Der erstaunliche führte diese Art der Bewerbung von Warum es denn für diese Werbung Brieftext lautete: „Der Werberat hat Ihre Barmherzigkeit mit einem Foto, das für ein Wehrmachtsfoto hatte sein müssen, Beschwerde geprüft und entschieden, uns alle die Unbarmherzigkeit symboli- wollten wir von der Pressestelle des dass es sich beim gegenständlichen Sujet siert, jedenfalls zu heftigen Diskussio- Pflegeheims und von der Werbeagentur nicht um Wirtschaftswerbung im Sinne nen. Wir waren uns einig darüber, dass wissen. Beide versicherten, dass sie sich der Statuten des Werberates handelt, so wir uns von dieser Anzeige abgestoßen der Problematik bewusst gewesen wä- dass eine inhaltliche Prüfung durch den fühlen, aber was die Werber und die ren, auch lange über diese Frage disku- Werberat nicht erfolgen kann. Wir dür- Presseleute des Hauses der Barmherzig- 16 nu 4·2005 keit bewegt haben mag, darüber gab es Dissenz. Im Folgenden die zwei Positio- nen – beide nicht eben schmeichelhaft für die Verantwortlichen dieser Werbe- Aktion.

Peter Menasse Für mich ist diese Werbung ein Symbol dafür, dass viele Menschen in Öster- reich nicht verstehen, was die Zeit des Nationalsozialismus für Wunden auch bei den heute lebenden Nachfahren der Opfer geschlagen hat. Selbst „gute Men- schen“, die Alte pflegen, und solche, die für sie kostenlos Werbung machen, ge- hören dazu. Wo andere ihre Familien- traditionen feierten, haben wir in unse- rer Kindheit die Ermordeten betrauert. Die deutsche Uniform, egal welcher Waffengattung und welcher Einheit, wi- derspiegelt für uns die Macht, die ge- mordet hat. Wer das nicht versteht, weil er über die Codes des österreichischen Biotops nicht hinausdenken kann, fin- det Werbung mit einem Wehrmachts- foto harmlos, solange man sich nur vor- her brav und ordentlich den Kopf zer- brochen hat. Das ist nicht bösartig, son- dern nur ahnungslos oder gedankenlos oder ignorant. Diese These wird auch durch den Umstand gestützt, dass in den Anzei- genabteilungen der beiden Tageszei- tungen KURIER und STANDARD, die in ihrem redaktionellen Teil sensibel berichten, niemand Anstoß an dieser Art von Werbung genommen hat. So bleibt das Bild des Wehrmachtssolda- ten nicht mehr und nicht weniger als ein Beleg dafür, dass auch das „Gedan- kenjahr“ spurlos am Denken mancher Werbung funktioniert heute auf sehr Menschen in diesem Land vorüberge- professioneller Basis, noch dazu, wenn gangen ist. Sie sind nicht böse, sondern sie von einer so renommierten Agentur nur weit von uns entfernt. gestaltet wird. Ich kann mir nicht vor- stellen, dass hier etwas dem Zufall über- Erwin Javor lassen wurde. Es ist der Job eines Wer- »Die Aufgabenstellung, Der Mann, der auf den Fotos zu sehen beprofis, Sujets nicht nur auf den ersten ist, steht stellvertretend für die vielen Blick ansprechend bis provokant zu ge- möglichst viele potentielle männlichen Bewohner, die im Zweiten stalten, sondern auch mit unterschwelli- Spender anzusprechen, ist Weltkrieg eingerückt waren. Die Lehre, gen Botschaften zu arbeiten. Die Aufga- die aus diesem verbrecherischen Krieg benstellung, möglichst viele potentielle für mich klar zu erkennen.« gezogen wurde, ist jedoch höchst unter- Spender anzusprechen, ist für mich klar schiedlich. Ein großer Teil dieser ehe- zu erkennen. Es wird hier an all jene, die maligen Soldaten glaubt bis zum heuti- selbst oder deren Väter und Großväter gen Tag, als Mitglied der Armee des NS- „nur ihre Pflicht getan haben“, die Bot- Regimes lediglich „ihre Pflicht getan zu schaft ausgesandt, „das ist einer von haben“, und sind oft auch noch stolz da- uns, er hat sich dem Vaterland gegen- rauf. Gerade im heurigen Gedenk- bzw. über anständig gezeigt, er hat es vertei- „Gedankenjahr“ wird von großen Tei- digt, ihm müssen wir heute helfen“. Die len der österreichischen Bevölkerung Wirkung dieser Werbung ist nicht aus der so genannte Schlussstrich vehement Gedankenlosigkeit entstanden, sondern gefordert. wurde penibel einkalkuliert. 4·2005 nu 17 Es muss eine Trennung von den Palästinensern geben

Zehn Jahre nach der Ermordung ihres Vaters spricht Dalia Rabin im NU-Interview über dessen Vermächtnis, den kürzlich erfolgten Abzug aus Gaza, aber auch über die Bedrohung Israels durch den Iran. Das Gespräch mit Dalia Rabin, der früheren stellvertretenden Verteidigungsministerin Israels, führte Danielle Spera.

NU: Vor zehn Jahren wurde Ihr Vater sern, vor allem in ihre Ausbildung zu sogar noch dadurch bekräftigt, dass ermordet, was bleibt von seinem Ver- setzen. Bedauerlicherweise hat er nicht diesen Schritt sein größter politischer mächtnis? viel Schriftliches hinterlassen, aber sei- Widersacher durchgeführt hat. Rabin: Yitzhak Rabins Vermächtnis hat ne Spuren sind überall in Israel zu fin- viele Facetten, erstens einmal das Mili- den. In der Industrie, der Infrastruktur, Würden Sie also Ariel Sharon als legitimen tär. Er war viele Jahre Soldat, später Ge- der Landwirtschaft, den Bildungsein- Nachfolger Ihres Vaters bezeichnen? neral und dann Generalstabschef der Is- richtungen und im Militär. Er hat all Das ist sicher nicht der richtige Aus- raelischen Armee, er hat eigentlich die diese Bereiche geprägt. Sie profitieren druck für ihn. Lassen Sie uns jetzt nicht meiste Zeit seines Erwachsenenlebens noch heute von seinem Einsatz. Ich von einem legitimen Nachfolger reden, damit verbracht, die Militärmacht in Is- möchte mit dem Rabin-Center den jun- sondern von den Fakten. Sharon ist der rael aufzubauen. Nach dem Unabhän- gen Menschen in Israel seine Werte ver- demokratisch gewählte Premierminis- gigkeitskrieg hat er sich geschworen, mitteln, die Werte, für die er gerade- ter, der zu dem Schluss kam, dass der dass Israel nie wieder eine ähnliche Ent- stand. Gaza-Abzug der einzig mögliche Weg INTERVIEW täuschung erleben soll. Von diesem ist, den wir gehen können, und das ist, Zeitpunkt an hat er sein Leben nur ei- Wie würde er Israel und seinen derzeitigen was zählt. Es steht dieselbe Erkenntnis nem Ziel gewidmet: eine starke Armee Zustand beurteilen? dahinter, dass nämlich die Separation aufzubauen. Dieses Ziel hatte er mit Das ist schwer zu beantworten. In die- das einzige Mittel zum Zweck ist, um ei- dem Sechs-Tage-Krieg erreicht. Damit sen zehn Jahren hat sich die israelische nen unabhängigen demokratischen jü- war es für ihn Zeit, die Uniform auszu- Gesellschaft nicht tief greifend verän- dischen Staat zu haben. Das war die Vi- ziehen. Er wurde Diplomat, Botschafter dert, doch sie ist nicht mehr die gleiche sion meines Vaters. Um dieses Ziel zu in den USA, danach ein wichtiger wie damals. Die Umstände sind heute erreichen, muss es eine Trennung von Staatsmann. Es gibt also sein militäri- anders. Vielleicht ist es auch irrelevant, den Palästinensern geben. Mein Vater sches Vermächtnis und das Vermächt- denn wir wissen, was seine Vision war – glaubte an Verhandlungen, an Zusam- nis seiner politischen Leadership. Und zu seiner Zeit – und dementsprechend menarbeit, Ariel Sharon setzt einseitige das war: ehrlich, bescheiden und mora- können wir auch für heute Schlüsse zie- Schritte, doch man braucht die Zusam- lisch einwandfrei zu handeln, ohne sich hen. Keine Frage ist jedenfalls, dass der menarbeit, die Versöhnung. Wir wer- selbst je in den Vordergrund zu stellen. einseitige Schritt, sich aus Gaza zurück- den dahin kommen müssen, denn das Sein wichtigstes Anliegen war, das Le- zuziehen, Teil seiner Friedensvision ist. ist der einzige Weg, hier zu existieren, ben der Menschen in Israel zu verbes- Daran besteht kein Zweifel, dies wird zwei Völker nebeneinander. 18 nu 4·2005 FOTO: ©ODED KARNI

»Sein wichtigstes Anliegen war, das Leben der Menschen in Israel zu verbessern …«

4·2005 nu 19 FOTO: ©ODED KARNI

»Jetzt sollten aber auch die Palästinenser Reife zeigen und beweisen, dass sie den Terror und dass sie ihr Leben in den Griff bekommen.« FOTO: ©ODED KARNI

20 nu 4·2005 Peretz geleitet. Man hat den Eindruck es bleibt kein Stein auf dem anderen. Werden Sie „Kadima“ unterstützen oder doch die Arbeiterpartei? Ich sage Ihnen jetzt etwas: Ich leite das Rabin-Center, das sich der Ausbildung junger Menschen verschrieben hat, das ist eine überparteiliche Organisation. »Heute ist das Militär nicht mehr Ich möchte daher die neue Partei- bildung gar nicht kommentieren. Mir ist sakrosankt, es wird im Gegensatz zu es wichtig, dass das Rabin-Center und ich über der Parteipolitik stehen und of- früher oft auch sehr kritisiert.« fen für jeden sind, egal aus welcher poli- tischen Ecke. Ich hatte eine sehr interes- sante Zeit in der Politik als stellvertre- tende Verteidigungsministerin und das war genug. Derzeit habe ich mich auch aus meinem „Brotberuf“ als Rechts- anwältin zurückgezogen, um mich ganz dem Rabin-Center zu widmen.

Wie beurteilen Sie die Drohungen aus Teheran, die der neue iranische Präsident Nach dem Abzug aus Gaza waren alle er- litiker hatten eine Karriere in der Ar- Ahmadinejad gegen Israel ausgestoßen leichtert, dass es zu keinem Blutvergießen mee hinter sich. Heute kommen die Po- hat? Er will Israel von der Landkarte gekommen ist. Seither ist aber nichts mehr litiker aus allen Bereichen. Die junge auslöschen. passiert. Die Zeitung „Haaretz“ spricht Generation rekrutiert sich aus allen Seg- Unabhängig von dieser Aussage war sogar von einem „Betrug an den Unter- menten der israelischen Gesellschaft der Iran immer schon eine große Be- stützern des Abzugs“. und das ist gut so, denn es sollten ja drohung für Israel. Mein Vater war der Ich möchte die politische Lage nicht möglichst alle Aspekte der Gesellschaft Ansicht, dass wir zuerst die „lokalen“ kommentieren. Ich kann nur sagen, der abgedeckt sein. Konflikte mit den Palästinensern lösen Abzug war sehr heikel. Es war ganz si- sollen, bevor wir uns mit den tatsächli- cher ein wichtiger und schwieriger Test Hat sich da die Haltung geändert, ist heute chen Bedrohungsszenarien befassen. für den Zustand und die Reife der is- eine militärische Karriere, auf die ein Das waren zu seiner Zeit der Irak und raelischen Gesellschaft. Wir haben Politiker zurückblicken kann, nicht mehr so der Iran. Heute ist der Iran noch immer diesen Test gut bestanden. Das sollte beeindruckend wie früher? Ihr Vater, die größte Gefahr für uns. Denn der auch als Symbol dafür dienen, dass wir Sharon, Barak, um nur einige Namen zu Iran ist sehr mächtig und kann von nie- zu weiteren Schritten fähig sind. Jetzt nennen, sie waren Kriegshelden und das hat mandem wirklich kontrolliert werden. sollten aber auch die Palästinenser Rei- doch den Wählern imponiert. Ich denke, wir wissen ganz genau, wann fe zeigen und beweisen, dass sie den Das ist heute kein Thema mehr. Heute wir uns bereit machen müssen, dem zu Terror und dass sie ihr Leben in den ist das Militär nicht mehr sakrosankt, es begegnen. Griff bekommen. Mehr möchte ich gar wird im Gegensatz zu früher auch oft nicht sagen. sehr kritisiert. Aber es besteht kein Zweifel daran, wer im Militär groß ge- Dalia Rabin-Pelosoff, Tochter des 1995 Die derzeitige politische Elite scheint in die worden ist, hat bestimmt Fähigkeiten, ermordeten israelischen Premiers Yitzhak Jahre gekommen zu sein, Sharon, Peres, die die auch in der Politik wichtig sind. Rabin, Jahrgang 1950, Rechtsanwältin. Führer des Landes sind knapp unter oder In Sachen Führung, Verwaltung, Ent- 1999 Abgeordnete der Zentrumspartei in jenseits der 80. Woran liegt das? scheidungsfähigkeit etc., man gewinnt der Knesset, nach deren Auflösung Hoffentlich werden wir eines Tages eine sicher Erfahrung. Doch heute sind die wechselte sie zur Arbeiterpartei, der auch jüngere Generation an der Spitze sehen. Generäle nicht mehr die Kriegshelden, ihr Vater angehörte. Im März 2001 wurde Ich sehe das nicht dramatisch, denn die wir einmal verehrt haben und wo sie zur stellvertretenden Verteidigungs- meiner Meinung nach gibt es – ohne Na- wir nicht einmal im Traum daran ge- ministerin ernannt, ein Posten, von dem sie men nennen zu wollen – genug mögli- dacht hätten, deren Entscheidungen zu im Juli 2002 zurückgetreten ist. Seitdem che, künftige Führungsfiguren in allen kritisieren. widmet sie sich ganz dem Yitzhak Rabin politischen Gruppierungen. Center, einem Aus- und Fortbildungs- In der israelischen Innenpolitik hat Ariel zentrum, das Studenten nach den Idealen Früher war die Kibbutz-Bewegung die politi- Sharon für ein Erdbeben gesorgt, er ist aus Rabins unterrichtet. Angeschlossen sche Rekrutierungsarena, woher kommen dem Likud ausgetreten, gründet eine eigene ist ein Museum. Eröffnet wurde das die jungen politischen Talente heute? Partei „Kadima- Vorwärts“. Shimon Peres eindrucksvolle Gebäude in Tel Aviv im Es war nicht nur die Kibbutz-Bewegung, hat die Arbeiterpartei verlassen und sich November 2005 (www.rabincenter.org.il). sondern auch die Armee, aus der die Po- Sharon angeschlossen, die Arbeiterpartei Dalia Rabin-Pelosoff ist verheiratet und litiker gekommen sind. Die meisten Po- wird vom nicht gerade erfahrenen Amir hat zwei Kinder. 4·2005 nu 21 Ein Auswahlverfahren, zwei „Neue“ und die Sache mit der Transparenz

Die etwas verwirrende Geschichte, wie die IKG zu ihren zwei neuen Generalsekretären kam. VON PETRA STUIBER

er Tonfall des Präsidenten oszilliert ralsekretäre als Nachfolger des aus Al- D zwischen nachsichtiger Geduld tersgründen ausscheidenden Amtsdi- und anschwellender Genervtheit: „Ich rektors Avshalom Hodik. Der eine Neue, erkläre es Ihnen gerne noch einmal: Die für kaufmännische Angelegenheiten, ist Ausschreibung ist über jeden Zweifel Fritz Herzog. Herzog ist in der Gemein- erhaben.“ Sicher? „Ja!“ (Ariel Muzicant de ein „alter“ Bekannter – er ist seit seufzt). Und auch die Kompetenzen der zwölf Jahren als Controller tätig. Nach neuen Generalsekretäre gegenüber dem mehreren Sitzungen des Kultusvor- Oberrabbinat sind glasklar geklärt? „Ich stands, bei denen die Meinungen zu will Ihnen nicht zu nahe treten – aber in gleichen Teilen auseinander gingen,

»Ich erkläre es Ihnen gerne noch einmal: Die Ausschreibung ist über jeden Zweifel erhaben.«

der Kultusgemeinde scheinen Sie sich wurde Herzog am 14. September in ge- nicht gut auszukennen.“ Oje, jetzt ist er heimer Abstimmung gewählt. 12 der 19 bös’. Aber unter uns, Herr Präsident: Anwesenden stimmten für ihn. Die Sache mit den zwei neuen General- Der zweite Generalsekretär, zustän- sekretären für die IKG ist tatsächlich dig für alle „jüdischen Belange“, ist da- eine etwas verwirrende Angelegenheit. gegen ein Newcomer. Rechtsanwalt Is- Wie man hört, nicht nur für Außenste- rael Feder, bisher in Israel daheim, hat hende. sich für das Amt beworben und gewon- Damit sich alle in Zukunft gut aus- nen. Er wird ab 1. Dezember offiziell kennen: Die IKG hat zwei neue Gene- sein neues Amt antreten. Schon am FOTO: © CHRISTIAN JOBST 22 nu 4·2005 6. September dieses Jahres war Feder, nach vorheriger Ausscheidung mehre- rer Kandidaten, an die erste Stelle ge- reiht worden. Und obwohl die Angele- genheit damit geregelt schien, tauchten alsbald Gerüchte auf, der Rechtsanwalt habe sich die Sache noch einmal über- legt. Schließlich ließ Muzicant den Pos- ten in der November-Ausgabe des IKG- Organs „Die Gemeinde“ erneut aus- schreiben. Doch nun ist, so der Präsi- dent zu NU, „alles geklärt“: „Herr Dok- tor Feder hat den Vertrag bereits unter- schrieben.“ Das Hin und Her um seine Bestellung erklärt Muzicant mit „per- sönlichen Gründen“. Feder habe gezö- gert, weil er seine Kinder nicht während des Schuljahres nach Österreich über- siedeln wollte, doch nun, sagt Muzicant, „haben wir auch dafür eine Lösung ge- funden“. Wie diese genau aussieht, wie es kommt, dass sich ein angesehener israe- lischer Rechtsanwalt für eine Funktion in der IKG in Wien interessiert und mit welchen Inhalten Feder seine neue Posi- tion ausfüllen wird, will Muzicant nicht

beantworten – ebenso wenig, wie er vor- FOTO: ©PRESSEINFORMATIONSDIENST DER STADT WIEN erst Feder selbst der Öffentlichkeit (oder zumindest NU) vorstellen möch- te: „Man muss dem Mann die Chance geben, sich einzuarbeiten. Wir werden Herzog selbst ist ein freundlicher beitet hat, stehen wir beide gerne zur ihn zu gegebener Zeit vorstellen, aber Mann, der beteuert, er habe von dem Verfügung.“ man muss Personen auch schützen.“ Gerücht, seine Kür sei in Wahrheit Der Präsident will jedenfalls nicht den „Schützen“ müsse man Feder auch des- schon vor der offiziellen Wahl festge- Hauch eines Vorwurfs auf sich sitzen halb, weil „es sogar bei dieser Aus- standen, noch nie erfahren: „Das höre lassen: „Die kaufmännische Position ist schreibung wieder einmal Vorwürfe ich von Ihnen zum ersten Mal.“ Auch, ein Novum in se. Die Kandidaten wur- gab“ – nicht ihm, Muzicant, gegenüber, dass intern bemängelt worden sei, dass den genau überprüft – auf ihr fachliches sondern: „Einige Leute im Kultusvor- er kein Jude ist, sei an ihm vorbeige- Potential, ihre Ausbildung und berufli- stand wurden mit dem Vorwurf kon- gangen – obwohl das auf der Home- che Gesamterfahrung, ihre Manage- frontiert, die Sache sei nicht transparent page „Die Jüdische“ (www.juedische.at) ment- und Führungserfahrung, ihr Auf- gelaufen.“ treten und ihr kommunikatives und re- Muzicant empfindet das als „unge- präsentatives Geschick. Aus diesem recht, denn, ehrlich gesagt, bin ich stolz »Einige Leute im Kultus- Auswahlprozess ist Herr Herzog als der auf unser Auswahlverfahren“. Dieses am besten geeignete hervorgegangen.“ lief immerhin seit April dieses Jahres, vorstand wurden mit Es spiele für Finanzangelegenheiten im Juni endete die Ausschreibungsfrist, dem Vorwurf konfrontiert, „überhaupt keine Rolle, dass er kein Jude und über insgesamt 14 Bewerbungen ist“. Die Bestellung zweier Generalse- wurde in mehreren Runden befunden. die Sache sei nicht kretäre sei notwendig geworden ob der Der Kultusvorstand ließ sich dabei von Größe und Vielfalt der Aufgaben in der der Personalberatungsfirma Pendl & transparent gelaufen.« IKG: „Das ist wie ein großes Unterneh- Piswanger begleiten – und am Ende men mit 250 Beschäftigten. Da gibt es in kam, zumindest, was die Position des sehr offen angesprochen worden war. der Führung auch ein Vier-Augen-Prin- kaufmännischen Generalsekretärs be- Sei die IKG eine „Schlangengrube“? zip. Es ist professionell und richtig, dass trifft, ein Ergebnis, mit dem auch Muzi- Herzog lacht: „Eine interessante Frage. wir das nun auch eingeführt haben.“ cant nach eigenem Bekunden „gut le- Ich denke nicht, denn sonst wäre ich in Muzicant besteht darauf. Mit „Freun- ben“ kann. Kein Wunder, schließlich den vergangenen zwölf Jahren wohl derlwirtschaft“ habe das alles nichts gilt Herzog innerhalb der IKG schon von einer gebissen worden. Aber bis zu tun: „Ich habe mich unter großem lange als Vertrauter des Präsidenten. dato geht es mir gut.“ Auch Herzog will Zeitaufwand und persönlichem Einsatz Der beteuert freilich, mit der Kür nichts inhaltlich nichts über seine neue Posi- um eine sachliche und korrekte Lösung zu tun zu haben: „Der Präsident hatte tion sagen: „Ich bitte um Verständnis. bemüht. Alles war korrekt und trans- bei der Wahl kein Stimmrecht.“ Wenn sich Herr Doktor Feder eingear- parent.“ 4·2005 nu 23 Jugend stärker an Wien und die IKG binden

Maxim Slutski ist seit September in der Jugend- kommission (JUKO) tätig und als Jugendreferent für die IKG im Einsatz. Der 26-jährige gebürtige Ukrainer will junge Juden an Wien und die Ge- meinde binden und will Wien „international posi- tionieren“. NU fragte auch nach, ob an der Spitze der Gemeinde ein Umdenken stattgefunden hat. VON FRITZ NEUMANN

NU: Die Israelitische Kultusgemeinde in Die Jugendarbeit der IKG ist in der Hat an der Spitze der Gemeinde, was den Wien widmet sich seit kurzem vermehrt Vergangenheit des Öfteren, auch von NU, Nachwuchs betrifft, ein Umdenken stattge- der, salopp gesagt, „Nachwuchsarbeit“. Sie als oberflächlich kritisiert worden. Es wurde funden? sind offiziell seit September im Amt. Wie kaum jemals zu politischen und morali- Man hat verstanden, dass in die Jugend wurden Sie aufgenommen, wie sieht Ihre schen Fragen Stellung genommen. Welches investiert werden muss. Schließlich erste Bestandsaufnahme aus? Programm schwebt Ihnen vor? wird jemand in zwanzig Jahren die Ge- Slutski: Ich bin hier sehr herzlich und Wir haben zum Beispiel noch am meinde führen müssen. Immobilien mit offenen Armen empfangen worden. Todestag von Simon Wiesenthal spon- sind wichtig, um die Gemeindestruk- Die Mitarbeiter der IKG bilden ein gutes tan eine Gedenkfeier veranstaltet. Wir tur zu finanzieren. Aber genauso muss Team, mit dem einfach und professio- bringen Broschüren, wie zu Chanukka Geld in die Zukunft gesteckt werden. nell zu arbeiten ist. einen „Family Guide“, heraus, da gibt’s Die Gemeinde unterstützt meine Ar- außerdem eine eigene CD mit Liedern INTERVIEW Worin sehen Sie Ihre Aufgaben als für Kinder. Wir wollen Seminare und Jugendreferent der IKG? internationale Wochen in Wien organi- Wenn jemand Probleme hat, dann soll er wissen, er kann hierherkommen und hier werden seine Probleme gelöst. Wir »Wir wollen eine wollen eine Anlaufstelle sein und wir wollen allen jüdischen Jugendlichen die Anlaufstelle sein …« Möglichkeit geben, unsere Veranstal- tungen zu besuchen. Also zum Beispiel auch Jugendlichen, denen oder deren sieren. Für Februar sind „Free Trips to Eltern dafür eigentlich das Geld fehlt. Israel“ geplant, zu Neujahr steigt im Ho- Generell ist es ein Ziel, nicht nur die un- tel Hilton eine große Party, außerdem gefähr 1.500 Kinder und Jugendliche, kommen 2006 ein Sportfest und ein sondern auch die Eltern mit einzubezie- Fußballturnier auf uns zu. Insgesamt hen und alle zu betreuen, die sich für darf es natürlich nicht nur um Partys jugendlich halten. gehen. 24 nu 4·2005 Maxim Slutski: geboren am 4. Jänner 1979 in Kiew. Aufgewachsen in der Ukraine, in Israel (Jerusalem), Frankreich und Deutschland (Abitur in Frankfurt/Main). Begann mit 16 in der Jugendarbeit (Jugend- leiter, Gruppenleiter, Campleiter). Lebte eine Zeit lang in New York. Arbeitete für die Ronald S. Lauder Foundation in Deutschland und New York sowie für die New Gallery (Finance Department) in New York. Seit 2004 in Wien. Sprachen: Russisch, Englisch, Deutsch, Hebräisch.

Infos [email protected], 01/531 04-207

JUKO-Events, Initiativen, Pläne „Investition gegen Assimilation“: Situationsbericht und Ausblick, Feiertags- broschüre für Kinder, an alle Haushalte (Altersgruppe 8 – 30) verschickt, weitere FOTOS: © FRITZ NEUMANN 250 Stück verteilt 11. Dezember „Tanzreise um die Welt“, beit, und Rafael Schwarz, der Vorsit- Bis jetzt ist bei vielen die Bindung zu Vorstellung im Odeon-Theater, 19 Uhr zende der Jugend-Kommission, inves- Wien und zur IKG nicht stark genug, 18. Dezember tiert besonders viel Zeit, will viel be- dem wollen wir natürlich gegensteu- Chanukka-Party, wegen und verändern. Aber die Spitze ern. Dabei ist die Lebensqualität in Haus der Begegnung, 1020 Wien der Gemeinde reicht nicht aus. Alle Wien sehr hoch. Wir wollen zeigen, 29. Dezember bis 1. Jänner Mitglieder sind aufgefordert mitzuge- dass es jüdisches Leben in Wien gibt. „New Year Event“ mit 300 Studenten stalten. Wir wollen mit Deutschland, mit der aus ganz Europa, Hotel Hilton, siehe Schweiz und anderen europäischen www.ecjs.org Bewegung und Veränderung erfordern Geld Ländern konkurrieren können. Mo- 6. bis 15. Februar und Engagement. Wie werden die neuen mentan sind Deutschland und Eng- „Free Trips to Israel“, siehe www.ecjs.org Aktivitäten finanziert, wer unterstützt Sie? land en vogue, dort tut sich auf dem April Natürlich erfahre ich Unterstützung Veranstaltungssektor besonders viel. „March Of The Living“, siehe von Seiten der Gemeinde. Darüber hi- Wir wollen aufschließen, mit den www.mol2006.at naus schließen wir Kooperationen mit Seminaren, mit den internationalen Chanukka-Family-Guide anderen Organisationen. Sehr große Wochen, mit Festivitäten. Wir wollen Errichtung eines Pädagogischen Zentrums Unterstützung bekommen wir nicht Wien international positionieren. Hadracha-Seminar für Jugendliche nur von den Gemeinde-Mitarbeitern, sondern natürlich auch von den fünf Wiener Jugendorganisationen, denen ein ganz großes Lob für Ihr Engage- ment gebührt.

»Momentan sind Deutschland und England en vogue …«

Immer wieder verlassen junge Juden Wien, um für eine Zeit lang nach Israel zu gehen oder im Ausland zu studieren, etliche kehren nicht zurück. Wie groß ist die Gefahr einer Überalterung der jüdischen Gemeinde in Wien? Wie wollen Sie gegen- steuern? 4·2005 nu 25 Eine völlig unkorrekte Betrachtung über Ein- und Ausgang des Schabbat

Kommt Ihnen diese Szene vielleicht bekannt vor? VON HARRY BERGMANN

atürlich war ich selbst schuld … allzu lange, um ohne Zweifel zu be- … das Schlimmste während dieses N wenn man schon „davennen“ geht, greifen …: DER LÄSST MICH NICHT peinlichen Verhörs aber war, dass Leu- dann bleibt man gefälligst bis zum RAUS !!!! … te, die ich noch nie im Leben im Tempel Schluss … ich aber musste ja unbedingt … was ich denn eigentlich wollte, gesehen hatte … völlig unbehelligt an schon vorher aus dem Tempel stürmen fragte er, nachdem er gnadenhalber auf mir vorbeigewunken wurden … die gin- … mit schlechtem Gewissen zwar, aber schlechtes Englisch umgestiegen war … gen doch glatt da raus, als würden sie doch … „ich will Rrraussss!!“ … ja, was ich denn das täglich tun … … beim Ausgangstor angekommen, draußen wollte … und ob ich früher … „Kennen Sie jemand draußen? war es dann aber sowieso gleich aus mit schon mal draußen war? … und ob ich Können Sie mir einen Namen nennen?“, dem Stürmen … mit entschlossener, ihm beschreiben könnte, wie es drau- ging es weiter. „Ja“, sagte ich voller Ver- nein, verschlossener Miene stellte sich ßen aussieht? … die Fragen prasselten achtung und ließ mich nicht lumpen. mir dieser junge Mann in den Weg … … „Wie es draußen aussieht?“, wieder- „Häupl!“ … er lächelte nur, „den kennt für ein paar Augenblicke kam er mir ir- holte ich triumphierend … damit könn- jeder!“, schmetterte er mich ab … sinn- gendwie bekannt vor … doch schnell te ich locker dienen („besser als du, du los, ich komm da nicht raus … hätten sie war klar, dass ich nicht „ihn“ kenne, Wien-Banause“, dachte ich) … und mich doch gar nicht erst reingelassen … sondern nur „jemanden wie ihn“ … und schon fing ich an Staatsoper, Rathaus, aber Pech, was ich hab, stehen ja jetzt zwar aus dem Kino … diese hühnen- Parlament zu beschreiben … kein Allge- nette Burschen und Mädels draußen, haften Burschen mit den geilen Ohr- meinplatz war vor mir sicher … ich ahn- die die Leute kennen … stöpseln und Mikros … Security! … Sie te, worauf es ihm besonders ankam, und Ich glaube, ich würde heute noch wissen schon … ließ auch die Anzahl der jeweiligen schweißgebadet dort stehen, wenn ich … er sprach schnell und er sprach Stockwerke nicht unerwähnt …, aber nicht endlich – genauso schweißge- fließend … IWRITH … ich verstand was immer ich sagte, er blieb regungslos badet – aufgewacht wäre. Natürlich war nur bruchstückhaft, was er von mir … schließlich holte ich, mit einem wis- ich selbst schuld. Ich musste doch mitt- wollte … wieder schlechtes Gewissen senden Lächeln, zum finalen Befrei- lerweile wissen, dass ich immer diese … ich hätte doch den Ulpan … na ja, ungsschlag aus: „Café Europe!!!!!!“… verkehrten Träume habe, wenn ich zu auch ohne Ulpan brauchte ich nicht Nichts!!! … spät zu schwer (koscher?) esse. 26 nu 4·2005 WAAGRECHT 1. Wiener Bankiersfamilie, einst Stütze des Metternich’schen Regimes 7. Englische Epoche 8. Von hint’ nach vorn gelesen Tunichtgut, das N statt M am Ende alles verwirren tut 10. So prostet man im Norden zu 13. Gäb’s hier einen Genitiv, im zweiten Rätselhaftes Fall man ihn hier Zeuge oder Bürge rief 14. Weder Lüge noch Gerücht, denn in Jiddisch … doch ein vegetarisches Gericht 15. Das S am Ende sei ein Z, wenn man nur einen Dolmetscher hätt’ … und anderen Sprachen 16. Englisches wir 17. Diese machen, vereinfacht VON MICHAELA SPIEGEL niemandem das Leben 19. Logisch fügst du hinten an, natürlich scheint das Wörtchen dann 21. Durcheinander geratene Habe 22. Von rechts nach links Bankrott 24. Laufe, aber englisch 25. Miniaturausgabe des gefillten Fisches? 123 4 5 6 27. Schmal und klein und zwischen Häuserzeilen 28. Eins hier gänzlich durcheinander 7 30. Wer ist witzik? 32. Von hint’ nach vorn nicht falsch 33. Zwielaut 8910111234. Den Großvater könntest du auch ohne Mittel-i erkennen

13 14 SENKRECHT 1. Hier im Plural gern geseh’n, zeigt er 15 16 sich auch bei 1 waagrecht schön 2. Auch die Lateiner beten 3. Ach Väterchen, ich nenn dich so, 17 18 weil ich weiß, es macht dich froh 4. Sollst ihn nicht schimpfen, weil er dumm, er weiß ja nicht einmal 1920 21 warum 5. Moses Mendelssohn ist ihr Vertreter, im 18. Jahrhundert und nicht später 22 23 6. Arme Schlucker sind wohl diese, manchmal faule, manchmal fiese 9. Newsweek international edition? 24 11. Englisch einfach unterlegen, kannst du dich nicht mehr bewegen 12. Hochdeutsch lange für ein kleines oi 25 26 27 18. Ob der Gewinn dich wirklich freut, Vermögenszuwachs folgt dem Leid 20. Franz. Pronomen mask. 28 29 23. Gut, schön und fein, könnt’ Essen, Geschäft oder Schickse sein 30 31 32 26. Auf Hochdeutsch hier nicht ange- nehm, die Zore dulden, nicht ver- stehn 33 34 35 29. Ob Lesezentrum oder Langzeit, die kurze Lösung ist nicht unweit 31. Eat koscher, short and upwards 32. Talmud daily 35. In 12 senkrecht schon dabei, hier von unten das Geschroi

4·2005 nu 27 NS-Zeit durch zwei Schlüssellöcher

Das stadtTheater walfischgasse lässt Anfang 2006 mit zwei beeindruckenden Produktionen aufhorchen. Mit „Heimat, sweet Heimat“ und „Empfänger unbekannt“ stehen zwei außergewöhnliche Eigenproduktionen auf dem Programm des Theaters, die sowohl durch den Inhalt als auch durch die Besetzungsliste für Schlag- zeilen sorgen. Sie bieten Einblicke in die NS-Zeit aus zwei verschiedenen Perspektiven. VON DANIELLE SPERA

Karlheinz Hackl und Peter Pikl in „Empfänger unbekannt“

chon im Jänner feiert die Eigenpro- S duktion „Empfänger unbekannt“ Premiere. Der kurze Roman der US- Autorin Kathrine Kressmann Taylor erschien zum ersten Mal 1938 in der Zeitschrift „Story“. „Empfänger unbe- kannt“ ist ein fiktiver Briefwechsel aus der Zeit von November 1932 bis März 1934. Er erzählt die tragische Ge- schichte einer Freundschaft: Der Jude Max Eisenstein und der deutsche Ein- wanderer Martin Schulze führen in San Francisco gemeinsam eine Kunst- galerie, bis Martin Ende 1932 nach Deutschland zurückkehrt und in Mün- chen eine Nazi-Karriere macht. Der Briefpartner in Kalifornien sorgt sich um seine Schwester Gisela, die in Ber- lin Theater spielt, und er bittet den al- ten Freund, sie zu beschützen. Martin verweigert jegliche Hilfe und überlässt seine einstige Geliebte der SA. Als Max davon erfährt, nimmt er auf subtile Art Rache … In dem Briefwechsel wird der Stim- mungswandel in Deutschland rund um die Machtergreifung Adolf Hitlers be- klemmend nachgezeichnet. „Empfän- ger unbekannt“ beschreibt aber auch das Zerbrechen einer Freundschaft, Verrat und Vergeltung. 28 nu 4·2005 Anita Ammersfeld und Helmut Wallner in „Heimat, sweet Heimat“ FOTOS: ©LUKAS BECK

1939 brachte der Verlag Simon & Kunsthändler, der in den USA verblie- sucher erwarten Kompositionen von Schuster „Empfänger unbekannt“ als bene Max Eisenstein und der nach Hermann Leopoldi, Fritz Spielmann, Buch heraus und verkaufte eine Ge- Deutschland zurückgekehrte Martin Gerhard Bronner oder Friedrich Hol- samtauflage von 50.000 Stück – für die Schulze, werden von den Publikumslieb- laender. Und auch dem Exilkabarett damalige Zeit eine beachtliche Zahl. Die lingen Karlheinz Hackl und Peter Pikl ge- wird Platz eingeräumt, etwa mit der New York Times Book Review urteilte: spielt. Premiere ist am 18. Jänner 2006. Nummer „Greenhorn denkt nach“ von „Diese Geschichte ist rundherum ge- Das zweite herausragende Stück ist Karl Farkas. lungen. In literarischer Form wurde der „Heimat, sweet Heimat“ von Charles Für die Schauspielerin und Sängerin Nationalsozialismus noch nie so wir- Lewinsky, dem Autor der erfolgreichen Anita Ammersfeld wird sich in dieser kungsvoll angeklagt.“ Eröffnungsproduktion des stadtTheaters Produktion zum ersten Mal der Vor- Die Autorin, die ein so großes Echo walfischgasse, „Freunde, das Leben ist le- hang an ihrem eigenen Theater heben. hervorrief, war bis dahin unbekannt: benswert“. Die Musikrevue „Heimat, Sie spielt in „Heimat, sweet Heimat“ Kathrine Kressmann Taylor hatte bis sweet Heimat“ schließt thematisch da- eine Emigrantin, deren Mann der NS- 1928 als Werbetexterin gearbeitet und ran an. Während die Eröffnungspro- Vernichtungsmaschinerie zum Opfer sich danach ihren drei kleinen Kindern duktion das Schicksal von Künstlern im fiel und die in den USA nun selbst gewidmet. „Empfänger unbekannt“, so KZ – Fritz Löhner-Beda, Fritz Grün- für ihren Lebensunterhalt aufkommen berichtete sie, sei aus dem Leben gegrif- baum und Hermann Leopoldi – zum muss. Und so eröffnet sie ein Wiener fen und beruhe auf mehreren wahren Thema hatte, stehen in „Heimat, sweet Café in New York. Die Regie über- Briefen. In vielen Gesprächen mit ih- Heimat“ Emigranten, denen die Flucht nimmt Hanspeter Horner. Premiere ist rem Mann habe sich dann die endgülti- in die USA gelungen ist, im Mittel- am 2. März 2006. ge Form herausgebildet. punkt. Schauplatz ist ein Wiener Café „Empfänger unbekannt“ und „Hei- 1992 druckte STORY in seiner Som- in New York während der Nazi-Zeit, wo mat, sweet Heimat“, zwei bemerkens- merausgabe „Empfänger unbekannt“ die Emigranten in ihr neues Leben be- werte und außergewöhnliche Stücke, noch einmal ab. Danach wurde in den gleitet werden. Das Lokal wird zum Zu- die dem Publikum nachhaltig in Erinne- Buchbesprechungen gefordert, das Werk fluchtsort für jene, die dabei sind, sich rung bleiben werden. sollte Pflichtlektüre an allen Schulen eine neue Existenz aufzubauen, aber werden, es habe einen Ehrenplatz in je- dennoch ihre Heimat nicht vergessen dem Bücherregal verdient. Jetzt ist das können. stadtTheater walfischgasse Stück erstmals in Wien zu sehen. Für das In „Heimat, sweet Heimat“ wird dem Walfischgasse 4, 1010 Wien stadtTheater bearbeitete und adaptierte facettenreichen Schaffen der Exilkünst- Karten unter 01/512 42 00 oder auf Isabella Suppanz den Text. Die beiden ler Rechnung getragen. Den Theaterbe- www.stadttheater.org 4·2005 nu 29 „Sie haben weggeschaut“

Christiane Hörbiger liest von 6. bis 9. Februar 2006 am stadtTheater walfischgasse aus der Biografie Leon Zelmans. Die Einnahmen dieses Lese-Zyklus spendet die Schauspielerin karitativen jüdischen Einrichtungen. Im Gespräch mit NU erläutert Hörbiger ihre Beweggründe, gibt aber auch Einblick in ihre persönliche Familiengeschichte. MIT CHRISTIANE HÖRBIGER SPRACH ALEXIA WEISS.

hätten ihre Eltern aber auch erst lang- oder aber auch Menschen wie der kürz- sam mitbekommen. „Und das glaube lich in Österreich verhaftete Revisionist ich heute so interpretieren zu können – Irving einzureden versuchen.“ sie haben weggeschaut.“ Nach der Lektüre der Biografie Zelmans Ein Leben lang seien sie und ihre Ge- fühle sie sich in ihrer Überzeugung be- schwister von den Eltern mit Sätzen wie stätigt, „das darf, solange ich am Leben „Ihr habt ja keine Ahnung“ bedacht bin, nicht mehr vorkommen“. Nun wolle worden. In den Achtzigern habe sie aber sie ihre Fernseh-Popularität nutzen, um dann von ihrer Mutter Antwort auf die ein Publikum zu erreichen, das eigent- FOTO: © CHRISTIANE HÖRBIGER eine Frage haben wollen: warum diese lich nicht in Lesungen gehe. „Das ist arum sie gerade aus der Biografie 1941 den NS-Propagandafilm „Heim- mein kleiner, winziger Beitrag.“ W Zelmans, Leiter des Jewish Wel- kehr“ gemacht habe. Eine Nacht habe come Service, lesen möchte, wollte NU Sie mit Paula Wessely, damals 78, von Hörbiger wissen. Weil sie die Lek- „durchgestritten“. Das Fazit: Es war „Ein Leben nach dem türe „erschüttert“ habe, so Hörbiger. Angst. „Sie haben Ja gesagt, um Gefah- Überleben“ Weil die Dinge so kühl und sachlich ge- ren von der Familie abzuhalten und ha- schildert seien und diese Geschichte ben es vielleicht auch nicht so ernst ge- Christiane Hörbiger liest aus unter die Haut gehe. Weil sie die per- nommen. Aber ich glaube, das Vorherr- der Biografie Leon Zelmans sönliche Widmung Zelmans „gerührt“ schende war schlicht und einfach Angst, und sie über diese Widmung zu weinen Nein zu sagen zu dem Film.“ Zu dem Lesezyklus am 6., 7., 8. und 9. Februar, angefangen habe. „Ich habe mir da ge- Zeitpunkt seien bereits zwei Kinder auf Beginn jeweils 20 Uhr dacht, vielleicht habe ich doch durch der Welt, das dritte in Erwartung gewe- Tickets: 21 Euro pro Abend, Paketpreis für das Verhalten meiner Eltern (Paula sen und Wessely sei nur der deutschen alle vier Abende 63 Euro Wessely und Attila Hörbiger, Anm.) Sprache mächtig gewesen. Die Konse- stadtTheater walfischgasse, immer wieder das Gefühl von einer per- quenz eines Nein wäre gewesen, dass Walfischgasse 4, 1010 Wien sönlichen Wiedergutmachung oder ei- die Mutter keine Arbeit mehr gefunden Karten erhältlich auf www.stadttheater.org nem persönlichen Wiedergutmachen- hätte. oder unter 01/512 42 00 Müssen.“ Wen sie nun mit ihrem Lesezyklus Ihre Eltern seien Mitläufer gewesen, vorrangig ansprechen wolle? „Junge „Ein Leben nach dem Überleben“, sagt Hörbiger. „Beziehungsweise mein Leute, die Politikern glauben, die be- aufgezeichnet von Armin Thurnher, Vater war ja auch in der nationalsozia- haupten, den Holocaust hat es nicht ge- Verlag Kremayr & Scheriau, listischen Partei, was man uns Kindern geben. Junge Menschen, die ohne zu Erweiterte Neuauflage, Wien 2005, aber erst viele Jahre später gesagt hat.“ hinterfragen das glauben, was ihnen 232 Seiten, 3-218-00750-X, Die Tragweite der Konzentrationslager zum Teil ihre Eltern, zum Teil Politiker 19,90 Euro 30 nu 4·2005 Das Brot des Lebens

Mit den Juden ging der Bagel um die Welt. VON AXEL REISERER, LONDON FOTOS: ©AXEL REISERER

er Optimist sieht den Bagel, der Bagel (auch Beigel, Beygl oder Baygl ge- D Pessimist sieht das Loch (Leonard schrieben, bis sich die amerikanisierte Sorcher, Life’s Little Jewish Instruction Schreibweise durchgesetzt hat). Zwar Book). besteht ein Bagel in seiner reinsten Wir sind, was wir essen. Wer sich Form eigentlich nur aus Mehl, Germ, vorwiegend von Hamburgern ernährt, Wasser und Salz. Dennoch gibt es un- drückt zumindest nicht gerade Distanz zählige Rezepte, die einst als Geheim- »Doch nicht jedes kreis- zu den USA aus. Wer Pasta liebt, wird nisse von Generation zu Generation Italien nicht hassen. Beim Verzehr von weitergegeben wurden, um den besten runde Brot mit einem Sushi genießen wir auch die Raffinesse Bagel herzustellen. Japans. Und wer einen Bagel kauft, der Eine Besonderheit zeichnet jedoch je- Loch in der Mitte ist ein hält mehr als einen Ring aus gebacke- den Bagel aus: Der rohe Teigring wird richtiger Bagel.« nem Germteig in der Hand. „Der Bagel erst kurz in siedendem Wasser gekocht, hat keinen Anfang und kein Ende dann abgeschreckt und schließlich ge- wie der ewige Kreislauf des Lebens“, backen, bis eine goldbraune Kruste ent- schreibt Claudia Roden in „The Book of standen ist. Der perfekte Bagel ist innen Jewish Food“. flaumig weich und außen knusprig. Doch nicht jedes kreisrunde Brot mit Manche lesen aus dieser Verbindung einem Loch in der Mitte ist ein richtiger von Wasser und Feuer und der kreis- 4·2005 nu 31 runden Form dieses aus schlichten Zu- Viele der besten Geigenspieler der Welt taten bereiteten Gebäcks einen gerade- waren und sind Juden. Aber wir haben zu symbolischen Charakter ab. Roden keine berühmten Pianisten hervorgebracht. schreibt: „Wegen seiner Form wurde Warum? Was ist der Unterschied zwischen der Bagel in alter Zeit als Schutz gegen den beiden Instrumenten? Ein Schüler Dämonen und böse Geister gesehen, meldet sich zu Wort: Haben Sie jemals der den bösen Blick abwenden und versucht, mit einem Klavier zu flüchten?“ Glück bringen sollte. Aus diesem Grund Als man sich diesen Witz erzählte, reichte man Bagels bei Beschneidungen, war die jüdische Massenemigration aus wenn eine Frau niederkam und nach Be- Russland und Osteuropa bereits voll gräbnissen.“ Eine profanere Erklärung im Gang. Mit ihnen kam Ende des für das Loch in der Mitte des Bagels ist, 19. Jahrhunderts auch der Bagel nach dass man die Ringe auf eine Schnur Westeuropa und in die Vereinigten oder einen Stab ziehen und damit grö- Staaten. Allein in New York lebten ßere Mengen bequem transportieren 1910 offiziell rund 800.000 osteuro- konnte. päische Juden, das waren 14 Prozent Ebenso ungeklärt ist bis heute die ge- der damaligen Bevölkerung, schreibt Sammy Minzly in seinem Beigel Bake naue Herkunft des Bagels. Eine Legende besagt, dass es von einem jüdischen Bä- cker in Wien 1683 als Dank an Jan So- bieski für die Befreiung von den Türken geformt wurde. Die runde Form sollte den polnischen König, einen passionier- ten Reiter, an die Steigbügel seiner ge- liebten Pferde erinnern. Das Wort Beygl leitet sich demnach direkt vom Wort Bügel ab. Dem widerspricht Leo Rosten in sei- »Ebenso ungeklärt ist nem Standardwerk „The Joy of Yiddish“, demzufolge die erste schriftliche Er- bis heute die genaue wähnung des Bagels bereits 1610 in den Verordnungen der jüdischen Gemeinde Herkunft des Bagels.« von Krakau zu finden ist. Dort heißt es, dass Bagels zu jenen Geschenken gehö- ren, die man Wöchnerinnen und Heb- ammen als Glücksbringer bringen soll. Bagels werden außerdem als taugliches Hilfsmittel für zahnende Kinder er- wähnt. Aus dem Umstand, dass das Wort „Beygl“ in dem Text nicht weiter erklärt wird, schließt Rosten, dass das Gebäck 1610 in der Gemeinde bereits Nancy L. Green in ihrer Studie „Immi- allgemein bekannt war und damit noch grant Jews in Paris, London, and New bedeutend älter ist. York“. Wer auch immer den Bagel erfunden Rasch entstanden in New York in düs- haben mag, alle Spuren führen in die jü- teren Kellerlokalen zahlreiche Bagel-Bä- dischen Gemeinden Mittel- und Osteu- ckereien. 1907 wurde die International ropas, die längst nicht mehr existieren, Bagel Bakers Union gegründet, in der deren Erbe aber weiterlebt. Überall in sich die damals rund 300 Bagel-Bäcker Polen kann man bis heute am Markt der Stadt zum Schutz ihres Berufs orga- und auf der Straße „obwarzanki“, mit nisierten. Nur Söhne von Mitgliedern Sesam oder Mohn bestreute Brotringe, wurden als Lehrlinge in Bagel-Bäckerei- kaufen. In Russland findet man dasselbe en aufgenommen. Gebäck unter dem Namen „bubliki“. In Über die jüdische Gemeinde hinaus seinem zweiten Cellokonzert verwendet Verbreitung fand der Bagel dann Ende Dmitri Schostakowitsch ein Motiv aus der 1920er Jahre, als der aus Lublin emi- dem Odessaer Straßenlied „Kauft mei- grierte jüdische Bäcker Harry Lender ne Bubliki, kauft!“ die erste Großproduktion aufzog, in der In der Stadt am Schwarzen Meer er- täglich bis zu 400 Bagels von Hand ge- zählte man sich einst folgenden Witz: fertigt wurden. In vielen Einwanderer- „In einer der zahllosen Musikschulen kommunen New Yorks setzte sich der Odessas fragt der Lehrer seine Schüler: Bagel durch und die verschiedensten 32 nu 4·2005 Varianten kamen auf. Der Klassiker Im Haus Nummer 19, das einst einer schlechthin ist bis heute der Bagel mit Hugenotten-Familie gehörte, die aus Räucherlachs und Streichkäse. Frankreich geflüchtet und in London als Zu einem Massenprodukt wurde der Textilfabrikanten reich geworden war, Bagel in den USA schließlich, als Mitte errichteten sie 1869 die erste Synagoge der sechziger Jahre jahrzehntelange Be- des Eastend. Heute wird das Haus von mühungen der Familie von Meyer „Mi- einer Privatinitiative als Museum der ckey“ Thompson, einem jüdischen Ein- Einwanderung geführt. Da es einsturz- wanderer aus dem englischen Hull, zur Herstellung einer Bagel-Maschine von Erfolg gekrönt waren. Heute werden in »365 Tage im Jahr den USA und Großbritannien Milliar- den Dollar Umsätze mit maschinell her- rund um die Uhr gestellten Bagels gemacht, die in jedem geöffnet.« Supermarkt zu finden sind. Auch Lender’s Bagels gibt es noch, doch die Marke gehört seit 1984 dem gefährdet ist und das Geld für eine Re- Lebensmittel-Multi Kraft. Die Söhne novierung fehlt, ist das Haus nur an we- von Firmengründer Harry, Murray und nigen Tagen im Jahr und gegen Voran- Marvin, wollten jedoch mit dem Indus- meldung geöffnet. Besucht man das trieprodukt „ohne Kruste, ohne Ge- Haus, kann man die Zeichen der Ein- schmack, ohne Charakter“ nichts zu tun wanderer sehen, und manchmal glaubt haben und gingen zurück zu den Wur- man, ihre Stimmen zu hören. zeln. Sie begannen, wieder von Hand Jüdische Stimmen hört man im East- »Mein ältester Bagels herzustellen. end aber kaum mehr. Heute leben hier mehrheitlich Einwanderer aus Bangla- Stammkunde ist desch, während die Juden in den Nor- 86 Jahre alt.« »… zurück zu den Londons gezogen sind. Zu Sammy Minzly kommen sie aber immer noch. den Wurzeln« „Mein ältester Stammkunde ist 86 Jahre alt. Ich kenne ihn seit mehr als 40 Jah- ren“, erzählt Minzly, der durch reinen Diesen Weg hat Sammy Minzly nie Zufall zum „Bagel-König“ des Eastend verlassen. Seit fast 35 Jahren betreibt er wurde. „Nach meinem Dienst bei der is- in der Brick Lane im Londoner Eastend raelischen Armee kam ich 1958 nach seine Bagel-Bäckerei, die 365 Tage im London. Es gefiel mir hier und ich be- Jahr rund um die Uhr geöffnet ist. We- schloss, bei den zahlreichen Bagel- nige Meter von seinem „Beigel Bake“ Bäckern, die es damals hier noch gab, entfernt erinnert in der Princelet Street das Handwerk zu erlernen. Mein Vater, die ehemalige Synagoge daran, dass hier der Ingenieur war, war entsetzt.“ einst das Hauptwohngebiet der mehr als Nach Jahren übernahm Minzly 200.000 Juden war, die zwischen 1881 schließlich mit zwei Partnern den ältes- und 1925 aus Osteuropa nach England ten Bagel-Laden des Eastend und machte kamen. den „Beigel Bake“ zu einer Institution. 4·2005 nu 33 34 nu 4·2005 »Die Hälfte meiner Angestellten sind Moslems. Das ist kein Problem.«

„Zu uns kommt jeder: Touristen aus al- ist der magische Brotring gefüllt mit cken lässt. Doch auch wenn er Kunden ler Welt und die Bewohner der Nachbar- Räucherlachs und Streichkäse der aus aller Welt hat, bleibt der Bagel für schaft, Polizisten und Prostituierte, meistverkaufte, gefolgt vom Salt Beef ihn „selbstverständlich ein jüdisches Straßenkehrer und Banker, Spätheim- Bagel (mit einem kräftigen Zusatz feuri- Produkt. Es ist ein Teil unserer selbst kehrer und Frühaufsteher.“ Das Ge- gen englischen Senfs) und dem Bagel und unserer Geschichte.“ schäft geht gut: „Wir verkaufen an ei- mit Eiaufstrich. Köstlich ist auch jener Mit seinen moslemischen Mitbürgern nem normalen Wochentag rund 8.000 mit gehacktem Hering. „Das Wichtigste hat er auch in diesen rauen politischen Bagels und am Wochenende rund ist, dass wir gute Qualität für wenig Zeiten keine Schwierigkeiten: „Die 10.000 Stück.“ Selbst Popstar Mariah Geld anbieten. Deshalb kommen die Hälfte meiner Angestellten sind Mos- Carey wurde hier schon beim Verzehr Leute zu uns und deshalb kommen sie lems. Das ist kein Problem. Wir kom- eines Salt Beef Bagels gesehen. Die auch immer wieder“, meint Minzly, der men alle miteinander aus. Sogar unsere Künstlerin Rachel Whiteread, die das wie seine rund 25 Angestellten, darun- irische Verkäuferin und ich“, sagt Minz- Mahnmal auf dem Wiener Judenplatz ge- ter sein Sohn, wie in den Anfangsjah- ly und lacht, während die resolute Decla staltet hat, wohnt praktisch um die Ecke. ren im Schichtdienst seine Arbeit ver- mit einem riesigen Messer Pakete von Beim „Beigel Bake“ gibt es auch Brot, richtet. Räucherlachs aufschlitzt. „Das will ich Kuchen und „platzl“, ein Gebäck aus ei- Sein eigenes Bagel-Rezept verrät er – dir auch raten“, gibt sie lachend zurück. nem Bagel-ähnlichen Teig mit Zwie- natürlich – nicht. „Unseres ist das Origi- Nirgends, so scheint es, ist die Idee vom beln. Aber es dominiert die klassische nalrezept, wie ich es gelernt habe“, ist „Schmelztiegel“ der Verwirklichung nä- Bagel-Auswahl. Nach dem Plain Bagel das Einzige, was sich Minzly dazu entlo- her als in der Küche. 4·2005 nu 35 FOTOS: ©PETER RIGAUD

Dajgezzen und Chochmezzen*

Der Zwiekommentar von Erwin Javor und Peter Menasse.

Menasse: Bitte sage mir, was genau ein Javor: Dein Optimismus ehrt dich, aber eingefallen sind. Meine Lieblinge sind Verfassungsbogen ist. Der ÖVP-Khol so werden die Entscheidungen nach den Sonnhild und Hildrun. hat sich blitzschnell nach der Wien- Wahlen im Jahr 2006 nicht laufen. Ob Javor: Arne, Hedda, Alwine und Volker Wahl korrigiert und gemeint, Strache Schüssel Erster, Zweiter oder Dritter sind auch nicht ohne. Warum ist so was und Kumpane passten in den Verfas- wird, er koaliert sich zum Kanzler. Wie meinem persönlichen Freund in der sungsbogen. Also wie soll ich mir jetzt oft muss man dir das noch unter Beweis Kultusgemeinde, dem Rosenkranz, diesen Bogen vorstellen? Der muss so stellen? Und Gusenbauer packt es wie- nicht eingefallen? was von dehnbar sein. der nicht. Menasse: Der kleine Horst hat noch die Javor: Wie sagt doch das Sprichwort: Menasse: Also du kannst von Gusen- Chance, sich als Spitznamen „Wessel“ Der Khol biegt so lange die Verfassung, bauer nicht allen Ernstes verlangen, zuzulegen. Wie das schön klingt: Horst bis sie bricht. Äh, nein. Richtig heißt es dass er mit Strache Spargel essen geht. „Wessel“ Rosenkranz, Sänger. „bis man bricht“. Auch ein Politiker hat sich so was nicht Javor: Mechthild, Wolf und Ute ergän- Menasse: Wenn die ÖVP mit denen verdient. Stell dir vor, Strache bringt zen die zehn kleinen … was eigentlich? auch wieder eine Koalition macht, über- dann noch den Stadler mit. Der ist doch Negerlein darf man ja wohl nicht sagen, spannt sie allerdings den Bogen. Findest ohnehin beim Spargelessen mit dem sonst beschwert sich Frau Rosenkranz du nicht? Messer schon so oft ausgerutscht und beim Volksanwalt über uns. Javor: Beim Sederabend fragt der hat sich ins Gesicht geschnitten. Menasse: Also du meinst, dass dem- Jüngste bekanntlich: „Ma nischtanah Javor: Die Abgeordnete Rosenkranz nächst Familienministerin Rosenkranz, halajla haseh?“ Das meint so viel wie: sieht Stadler aber ganz anders als du. Justizminister Stadler, Außenminister „Wie unterscheidet sich diese Nacht Sie meinte unlängst, dass Stadler der Mölzer und Vizekanzler Strache den von allen anderen Nächten?“ beliebteste Volksanwalt sei und nur Verfassungsbogen bilden werden? Menasse: Da hast du Recht, Haider und von der linken Schickeria abgelehnt Javor: Herr Ober, bitte einen starken Strache sind nur zwei Spielarten vom würde. Türkischen. selben. Die einzige wirkliche Chance Menasse: Apropos Rosenkranz – ein ist, dass die Wähler die ÖVP beim klingender Nachname und sie verschö- nächsten Mal in hohem Bogen hinaus- nert ihn noch enorm, indem sie ihre * dajgezzen: sich auf hohem Niveau Sorgen machen; werfen und sie sich dann in schlechter zehn Kinder mit Vornamen versieht, chochmezzen: alles so verkomplizieren, dass niemand – Verfassung wiederfindet. die nicht einmal dem Richard Wagner einschließlich einem selbst – sich mehr auskennt. 36 nu 4·2005 Sehnsucht nach KOMMENTAR Haider FOTO: ©PETER RIGAUD VON MARTIN ENGELBERG

s lief mir eiskalt über den Rücken, cant in einer international viel beachte- sonstigen Regierungswechsel in einem E als Ewald Stadler, ich glaube im ten Pressekonferenz von einem drama- demokratischen Land üblich. Die Mög- Herbst 1994, in einer TV-Diskussion in tischen Anstieg antisemitischer Über- lichkeit der FPÖ, ihre Leute zu positio- schneidendem und gefährlich drohen- griffe. Der Kultusvorstand der IKG tagte nieren, war sogar erstaunlich gering, dem Ton sinngemäß sagte: „Warten Sie in einer Dringlichkeitssitzung. Die Vor- sei es, weil ihnen überhaupt das nur, bis wir einmal an der Regierung hänge waren zugezogen, die Kultusvor- qualifizierte Personal dafür fehlte, sind.“ Mehr brauchte er nicht zu sagen, steher wurden aufgefordert, die Handys oder weil Wolfgang Schüssel beson- um einen sofort an die Nazis denken zu nicht nur abzuschalten, sondern auch ders geschickt sich selber alles unter lassen und wie sie nach der Machtüber- die Akkus rauszunehmen – man könnte den Nagel riss. nahme gegen politische Gegner vorgin- die Sitzung sonst über Handys abhören. Jörg Haider hat ein bisschen geantise- gen, voller Rachsucht, Brutalität und Die Anspannung ob der neuen politi- mitelt, Peter Westenthaler die Redak- mörderischer Energie, und wie sie ihren schen Situation Österreichs war mit teure im ORF und sonstige Journalisten bis dahin als Narretei heruntergespiel- Händen zu greifen. Tenor der Sitzung in Angst und Schrecken versetzt. Na ten Antisemitismus in eine sofortige die Frage: Ist 2000 gleich 1938? Sollten und? Sogar seit dem Rücktritt der „FP- Verfolgung von Juden umsetzten. die Mitglieder der Gemeinde rechtzeitig Liberalen“ (Susanne Riess-Passer, Wes- Fünf Jahre später drohte das Realität zum Verlassen des Landes aufgefordert tenthaler und Karl-Heinz Grasser) aus zu werden: Die schwarz-blaue Regie- werden? der Regierung und der seither bestehen- rung wurde gebildet, die FPÖ war an der den zweiten schwarz-blauen Koalition Macht. In diesem Kontext dazupassend Aus der Distanz lächerlich ist eigentlich nichts Beunruhigendes ge- die Reaktionen von Bundespräsident schehen. Thomas Klestil, der EU, Israels und jü- Wir erinnern uns, aber gleichzeitig er- War dann womöglich die davor, vor discher Organisationen – die Sanktio- scheint das alles entrückt, ja aus der allem unter Franz Vranitzky, jahrelang nen der EU-14 gegen Österreich, die Distanz betrachtet nachgerade lächer- getätigte Ausgrenzung der FPÖ ein Feh- Herabstufung der diplomatischen Be- lich. Alle Maßnahmen und Aussagen ler gewesen? Auffallend waren lediglich ziehungen seitens Israel, heftige De- sind längst hinfällig und rückgängig ge- die manchmal kabaretthaften, peinli- monstrationen. macht worden. Letztlich geschah nicht chen, niveaulosen Auftritte diverser FP- Was uns Juden in Österreich betraf, mehr an Umbruch in staatlichen und Minister. Einiges davon hätten wir uns berichtete IKG-Präsident Ariel Muzi- staatsnahen Institutionen als bei einem wohl gerne erspart, anderseits zeigte 4·2005 nu 37 »So gesehen müsste man es Schüssel als Akt der Klugheit anrechnen, die FPÖ in die Regierung geholt zu haben …«

uns das wohl – wie Kabarett nun mal nommen haben, nochmals deutlich da- wahlen 2006 mit einiger Sicherheit zum ist – ein Stück österreichische Realität, von unterscheiden. Durch ihre Primiti- Zünglein an der Waage einer neuen Re- wie wir sie nicht immer gerne wahr- vität und Brutalität und dadurch, dass gierung. haben wollen, und es war ja auch oft man dahinter eine Ideologie des Hasses Schüssel hat schon reagiert: Fast wie amüsant obendrein. verspürt. selbstverständlich schließt er auch die So gesehen müsste man es Schüssel So gesehen beginnt man sich plötz- Strache-FPÖ nicht als Regierungspart- als Akt der Klugheit anrechnen, die lich nach Haider zurückzusehnen. Seine ner aus und man nimmt es ihm ab, dass FPÖ in die Regierung geholt zu haben, Affinität, sein Verständnis und Respekt er dazu auch durchaus bereit wäre. Ich gefesselt an sich, um sie an den Realitä- für die Nazis der Kriegsgeneration, un- gehe davon aus, dass es dann dennoch ten der Politik zerschellen zu lassen, ter ihnen auch seine Eltern, deren Ideo- weiterhin unnütz sein wird, die Akkus und zwischenzeitlich, Schritt für der Handys in den Sitzungen des Kul- Schritt und in aller Ruhe, ganz Öster- tusvorstandes rauszunehmen, aber eini- reich für die ÖVP in Besitz zu nehmen. »In der Zwischenzeit germaßen wärmer anziehen werden wir Es war ein Zeichen brillanten politi- haben aber die Stadlers uns im Falle einer ÖVP/Strache-FPÖ- schen Instinktes, gepaart mit einer or- Regierung wohl müssen. dentlichen Portion Mut. Nicht so sehr die FPÖ übernommen ob der Reaktionen im In- und Ausland, als vielmehr so viel Vertrauen in die de- und der Unterschied ist mokratische und rechtsstaatliche Fes- nicht zu unterschätzen.« DES RÄTSELS LÖSUNG … tigkeit Österreichs zu haben, dass Hai- WAAGRECHT der die Zweite Republik nicht zum Kip- 1. ROTHSCHILD, 7. ERA, 8. NATNU, pen bringen würde. logie, Haltung und Werte waren immer 10. SKOL,13. OREWS, 14. KOHL, in Wort und Tat vorhanden. Aber letzt- 15. MELIS, 16. WE, 17. KALJES, Primitivität und Brutalität lich fühlten sich Stadler, Andreas Möl- 19. BIO, 21. AEHB, 22. ETELP, 24. RUN, zer oder eine Kriemhild Trattnig von 25. GF, 27. GASSE, 28. OFLE, 30. ITZIK, In der Zwischenzeit haben aber die Haider verraten und letztlich hielt Hai- 32. THCE, 33. IE, 34. DEIDE Stadlers die FPÖ übernommen und der der sie in Schach. Unterschied ist nicht zu unterschätzen. Jetzt aber haben sie das Sagen in der SENKRECHT Natürlich hat auch die FPÖ Haiders FPÖ. Sie machten und machen aus ihrer 1. RENOMMIERGOIIM, 2. ORARE, fremdenfeindliche Wahlkämpfe gefoch- Ideologie keinen Hehl und genieren sich 3. TATELEBEN, 4. STUSSKOPP, ten, sie wurden sogar ihr Markenzei- gar nicht, sich mit rechtsextremen 5. HASKALA, 6. DALLESBRUEDERN, chen. Ich denke aber dennoch, dass sich Gruppen zu vernetzen. Sie gewannen 9. NWI, 11. KO, 12. OHWEH, die Töne von Heinz-Christian Straches soeben 15 Prozent der Stimmen in 18. JEROSCHES, 20. IL, 23. TUFFTE, FPÖ, die wir in den letzten Monaten ver- Wien und werden bei den Nationalrats- 26. LEIDE, 29. LZ, 31. KE, 32. TD, 35. IO 38 nu 4·2005 KOMMENTAR Alltags- geschichten FOTO: © PETER RIGAUD

VON ERWIN JAVOR

iele Politiker, Meinungsforscher reich, die sich auf Grund der einseitigen Habe nichts übrig dafür.“ (Alois Schaßen- V und manche Medien rechnen fest Medienberichterstattung breit machte. doppler, 5400 Hallein.) mit dem kurzen Gedächtnis der Bevöl- Die „Neue Kronenzeitung“, angeführt Kein Wunder, dass der Druck auf kerung. Wie könnte man sich sonst er- von Viktor Reimann – Mitbegründer der Wiesenthal auch von jüdischer Seite zu- klären, dass ein großer Teil der Gesell- VDU, der Vorgängerpartei der FPÖ –, nahm. Die Angst, dass sich eine Po- schaft – trotz einschlägiger Erfahrung – hatte nämlich 1974 eine pseudowissen- gromstimmung in Österreich ausbrei- immer wieder auf die gleichen plumpen schaftliche Dokumentation „Die Juden ten könnte, war nicht ganz unberech- Tricks hereinfällt. Ein wirkliches Meis- in Österreich“ in 42 Folgen mit großem tigt. Wiesenthal hat meinem Vater im- terstück für den Verlust des Langzeitge- Aufwand in den Mittelpunkt ihrer Be- mer wieder zu verstehen gegeben, dass dächtnisses ist jüngst aber der „Kronen richterstattung gerückt. Im Vorfeld wur- ihn die täglichen anonymen Morddro- Zeitung“ gelungen (siehe auch Doku- de diese Serie groß angekündigt und Pla- hungen weitaus weniger belasteten als mentation auf S. 10). Unverfroren ver- kate in ganz Österreich affichiert. Die die Ablehnung und die Ängste einiger gießt sie anlässlich des Ablebens von Si- Werbetrommel wurde schon ein halbes Juden. In einem Leserbrief an Reimann mon Wiesenthal Krokodilstränen und Jahr vor dem Erscheinen der Serie ge- schrieb er am 22. April 1974: „Es hofft, dass sich niemand mehr an diver- rührt. Unter dem Titel „Sind wir Antise- wäre mir ein leichtes gewesen, gestern se Kampagnen gegen Wiesenthal in der miten?“ schrieb Reimann: „Die Juden die ,Kronenzeitung‘ beschlagnahmen zu Vergangenheit erinnert. Speziell in den selbst gewinnen damit nichts. Mit der lassen unter Bezugnahme auf die Be- siebziger Jahren haben die zahlreichen ständigen Warnung vor dem Antisemi- zeichnung meiner Tätigkeit als ,Men- Angriffe der „Krone“ auf Wiesenthal in tismus in Österreich wird dieser nicht schenjagd‘. Ich habe den Staatsanwalt Österreich eine antijüdische Atmosphä- beseitigt, sondern verstärkt.“ Während nicht aufgesucht, damit es nicht heißt, re geschaffen, die mitunter österrei- der Serie – Reimann revidierte darin un- die Juden wollen verhindern, dass die chische Juden dazu brachte, auszuwan- geniert die Anzahl der Shoahopfer nach Wahrheit über sie ans Licht kommt …“ dern oder ihr Judentum nicht mehr öf- unten – wurde in diversen Leserbriefen Simon Wiesenthal hatte keinen fentlich zu leben. purer Antisemitismus verbreitet. So Bodyguard und ich erinnere mich, dass Wiesenthal hatte zu dieser Zeit sein schrieb zum Beispiel Herr Dr. Wilhelm er immer nach einem dieser Gespräche Büro am Rudolfsplatz, im gleichen Loserth aus 3420 Kritzendorf: „Anläss- mit meinem Vater aufstand und vor Haus, in dem meine Eltern ein Textilge- lich des 80. Geburtstages von Rudolf dem Verlassen des Geschäftes die Lage schäft betrieben. Er hatte die Ange- Heß überlege ich: …Wie antisemitisch auf der Straße prüfte. Dann ging ein fast wohnheit, regelmäßig meinen Vater im handelt eigentlich Simon Wiesenthal, unmerklicher Ruck durch seinen Kör- Geschäft zu besuchen. Beide stammten wenn er sich gegen eine Freilassung die- per. Er richtete sich kerzengerade auf aus der gleichen Gegend in Polen und ses Märtyrers für den Frieden wendet!“ und dann betrat dieser mutige und auf- daher diskutierten sie auf Jiddisch. Oder „Die Juden in Österreich bezahlen rechte Mann mit einer Hand in seiner Wiesenthal machte sich Sorgen über lebenslänglich keine Steuer. Wegen der Manteltasche, in der er stets eine Waffe die antijüdische Stimmung in Öster- Wiedergutmachung. Das sind Parasiten. trug, die Straße. 4·2005 nu 39 nnuu P.b.b. • Verlagspostamt 1010 Wien • Zulassungsnr.: 02Z033113M

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