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Länderreport

Es geschah … mit den 14 Bezirken - Der Weg zur Wiedereinführung der Länder in der DDR -

Autor Schmidt, Thilo Red. Stucke, Julius Sdg. 02.02.2010 - 13.07 Uhr Länge Sdg. 20.51 Minuten Länge Beitrag 19.27 Minuten

Moderation Augenblicke und Entwicklungen der Zeit zwischen Mauerfall und deutscher Einheit – daran erinnern wir im Länderreport in der Reihe „Es geschah ...“. Vor 20 Jahren, Anfang 1990 war noch nicht sicher, dass es im Oktober eine deutsche Einheit geben würde – und nicht, dass damit die Länder , Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wieder neu entstehen würden. Anfang 90 war die DDR noch in 14 Bezirke eingeteilt. Mit diesen 14 Bezirken, eingeführt 1952, hatte die DDR-Regierung die föderale Struktur aufgehoben, hatte selbständige Länder abgeschafft. Im Laufe des Jahres 1990 allerdings sollte sich das ändern – im Juli beschloss die die Errichtung fünf neuer Länder auf dem Gebiet der DDR. Thilo Schmidt erinnert an den Weg dahin:

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Manuskript Beitrag

AUT Anfang 1990. Die Mauer ist gefallen – was wird folgen? Eine Vereinigung rückt in greifbare Nähe. Aber auch eine Konföderation zweier souveräner Staaten scheint möglich. So oder so: Das Ende der 14 Bezirke der DDR, die 1952 an die Stelle der Länder traten, scheint besiegelt. Ministerpräsident Hans Modrow verhandelt bereits im Januar 1990 in Moskau über die Zukunft Deutschlands.

OT 01 (Modrow): Mir wurde bewusst in dem Moment, wo wir die erste Diskussion darüber führten, dass der Prozess der Vereinigung der beiden deutschen Staaten beginnen wird, dass dieser Vorgang dann nicht mehr mit Bezirken zu gestalten ist. Denn dann heißt es, dass sich das Gebiet der alten DDR mit dem der alten Bundesrepublik verbindet, und mit einer solchen Überlegung war auch die Notwendigkeit, sich mit der Frage der inneren Struktur der DDR zu beschäftigen.

AUT Modrow setzt eine „Abteilung Verwaltungsreform“ im Ministerrat ein. Deren Vorsitzender Rainer Dudek erhält schon bald die ersten Vorschläge von Bürgerseite: die Menschen schreiben Briefe, Petitionen und schicken selbstgemalte Landkarten.

OT 02 (Dudek): Also rund 2000 Zuschriften, an die ich mich so von der großen Zahl her erinnere, konzentrierten sich fast ausschließlich auf die Frage: Wie viele Länder soll es geben, was soll alles an Gebieten in welches Land hinein, wie soll die Grenzziehung dieser Länder erfolgen. Das ging von ungefähr 10 Ländern, die man hätte haben können, bis zu zwei Ländern, die auch möglich gewesen wären. Das ist die große Bandbreite, um die es ging. Also ich denk mal zurück, es gab die Gedanken der Vorpommern, sehr stark getragen von der Greifswalder Kirche, ein eigenes Land Vorpommern zu haben, und sich nicht mit Mecklenburg zusammenzuschließen. Es gab Gedanken für ein Land Lausitz … Es gab auch Gedanken auch für ein kleines Land Anhalt., es gab einige Gedanken, die aus dem Land Eichsfeld gekommen sind, für existente Selbsteinheit… also sie hätten eine ganz große Palette ziehen können.

OT 03 (Gomolka): Es gab einzelne Bestrebungen, nicht zuletzt beflügelt durch den Vergleich mit kleinen, vorhandenen Ländern wie dem Saarland, dass auch Vorpommern alleine durchaus ein Land hätte sein können.

AUT Alfred Gomolka. Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns von 1990 bis 1992.

OT 04 (Gomolka): Also ein ehemaliger Staatssekretär, den Namen hab ich jetzt leider nicht parat, aus der Adenauer-Zeit, schrieb mir einen nahezu rührenden Brief, dass Adenauer damals die Selbständigkeit des Saarlandes nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt veranlasst hatte – trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die damit verbunden waren, dem Saarland eine spezifische politische Aufgabe zuzuordnen, nämlich die Verbindung nach Frankreich zu pflegen, das deutsch- französische Verhältnis versuchen, konstruktiv zu gestalten, weil das Land, so klein wie es ist, aufgrund seiner Bindung, aufgrund seiner sprachlichen Möglichkeiten, die da existieren, sehr enge Beziehungen zu Frankreich entwickeln kann, und in ähnlicher Weise schlug mir das der Staatssekretär vor, sollte es auch mit Vorpommern passieren, es sollten die Verbindungen nach Polen gepflegt 3

werden, Pommern sollte eine spezifische politische Aufgabe erhalten … Interessant, aber nicht durchsetzbar, ganz einfach. Nicht durchsetzbar.

AUT Anfang 1990 ist die Vereinigung beider deutscher Staaten noch nicht beschlossene Sache, auch eine Konföderation ist denkbar, also zwei in friedlicher Kooperation nebeneinander bestehende Staaten. Für beide Fälle braucht die DDR eine föderale Struktur, die jener der Bundesrepublik ähnlich ist. Eine Arbeitsgruppe aus Wissenschaftlern soll sich mit der Länderbildung befassen. Mitglied ist der Soziologe Siegfried Grundmann.

OT 05 (Grundmann): Ein Grundanliegen war die breite, öffentliche Diskussion, dass man eine optimale, langfristig tragfähige Lösung findet. Die historische Situation war eine einmalige, auch was die territoriale Gliederung des Gebiets der DDR betrifft. Eine einmalige Chance, und man war sich klar darüber, was entschieden wird, das wird über viele Jahre oder gar Generationen Bestand haben. Deswegen sind wir sehr, ich meine, sehr gründlich an die Sache herangegangen

AUT Die Wissenschaftler diskutieren die verschiedenen Modelle ausführlich und kontrovers, erinnert sich der Soziologe. Sie erwägen Modelle mit fünf oder sechs Ländern – aber vor allem auch solche mit drei oder zwei Ländern.

Die Volkskammerwahlen am 18. März 1990 markieren eine Zäsur.

OT 06 (De Maiziere): Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Abgeordnete, die Erneuerung unserer Gesellschaft stand unter dem Ruf: Wir sind das Volk. Die Wahlen, aus denen dieses Parlament hervorgegangen ist, waren Wahlen des Volkes, zum ersten Mal trägt die Volkskammer ihren Namen zu Recht!

OT 07 (Dudek):… das ist der erste große grundlegende Wandel gewesen. Das war der politische Umschwung des Landes.

AUT Die politisch-territoriale Neugliederung der DDR nimmt Gestalt an, denn die Schaffung von Länderstrukturen ist Bestandteil der Koalitionsvereinbarungen der im April 1990 gebildeten Regierungskoalition. Ihr gehören die Allianz für Deutschland, der Bund Freier Demokraten und die SPD an. Die Abteilung „Verwaltungsreform“ wird dem neugegründeten „Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten“ zugeordnet. Der Leiter bleibt Rainer Dudek.

OT 08 (Dudek): Und sie hatten diese Bezirksstrukturen. Und diese Bezirke waren natürlich mit Abweichungen, aber doch in etwa aus den damaligen Ländern heraus entstanden. So dass nahelag eigentlich, Bezirke wieder zusammenzufassen, und daraus strukturelle Einheiten zu bilden. Wenn man das tat, kam man immer wieder auf die Tendenz der möglichen fünf Länder.

AUT Dass die sich abzeichnende Bildung von fünf Ländern ein Fehler sein könnte, befürchtet Walter Momper, damals Regierender Bürgermeister von Berlin und Präsident des Bundesrates. Er ahnt außerdem, dass eine Vereinigung von Berlin und Brandenburg, die er immer wollte, mit der Gründung des Landes Brandenburg sehr unwahrscheinlich werden wird.

OT 09 (Momper):Als dann die Länder eingerichtet werden sollten, haben wir eben auch überlegt, ob wir nicht einfach Brandenburg im Handstreich nehmen. Es gab dort ja kein Parlament, kein Nichts, es gab nur die Bezirksbeauftragten, und dann schließlich den Landesbeauftragten, und damals war eigentlich so dieser Trend, also wir werden jetzt Berlin-Brandenburg, wär auch ganz stark gewesen. Also ich muss sagen: Ich habe mich nicht getraut und wir haben uns nicht getraut, weil das wär ja Staatsstreich gewesen.

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AUT Berlin – auch Westberlin - begreift sich zu dieser Zeit als Teil des Ostens. Denn dort liegen auch die Interessen Berlins. Und nicht bei den West-Ländern.

OT 10 (Momper): Und was wir auch überlegt haben: Es wär natürlich schon das Beste gewesen, das gesamte DDR-Gebiet hätte sich als ein neues Bundesland in die alte Bundesrepublik eingebracht, da wären natürlich die Interessen der Ostdeutschen viel besser vertreten gewesen.

AUT Diese Forderungen verhallen schnell. Die Diskussion kreist weiter um das Fünf- Länder-Modell. Es stößt nicht überall auf Freude. Auch in Mecklenburg und Vorpommern nicht.

OT 11 (Dudek):Da kam die Stimmung ganz stark. Und es gab große Gegensätze … zwischen den Mecklenburgern und den Vorpommern. Das war gar nicht so, dass die so gern zusammen wollten. Es gab viele Petitionen, die sagten: Wenn wir schon mit jemand zusammengehen müssen, sagten die Vorpommern, dann mit den Brandenburgern, aber nicht mit diesen Ochsenköpfen, das war die Formulierung, in Mecklenburg.

OT 12 (Gomolka): Das war eine durchaus recht lautstark formulierte Position, gewissermaßen eine Art Neupreußen zu begründen, ich sag das mal in ironischen Anführungsstrichen …Wenn man die Situation sieht zwischen Mecklenburg und Vorpommern, dann merkt man sehr schnell dass es sehr alte Gebilde sind, die historisch weit zurückreichen, die Recknitz als Trennfluss zwischen Mecklenburg und Vorpommern auf ner Strecke von über 30 Kilometern hat glaub ich bloß drei Brücken, und es war eine der stabilsten Grenzen Europas, die dort über Jahrhunderte existierte, trotz aller Ähnlichkeiten in der Mentalität und in der landschaftlichen Gestaltung.

AUT Die Vorpommern fühlen sich – traditionell – eher von Berlin und Brandenburg angezogen. Die Pommersche Evangelische Kirche protestiert gegen den Anschluss an Mecklenburg und findet viel Zuspruch

OT 13 (Dudek):Hätten Sie jetzt ein Land gebildet, was in der Diskussion war, was das heutige Brandenburg mit Berlin umfasst, das heutige östliche Gebiet von Mecklenburg-Vorpommern, also das damalige Vorpommern beinhaltet hätte, und noch den Bereich von Magdeburg einbezogen hätte, dann wäre der Gedanke, hier entsteht ein neues, fast altes Preußen wieder, sehr stark gewesen. Der war natürlich politisch belastet.

AUT Und Sachsen-Anhalt, in dem Abteilungsleiter Rainer Dudek ohnehin eine wirtschaftlich nicht sinnvolle Neukonstruktion sah, wäre mit diesem Modell gar nicht erst entstanden. Der Südteil, um Halle wäre Sachsen zugeschlagen, der Magdeburger Norden an Berlin, Brandenburg und Vorpommern angebunden worden.

OT 14 (De Maiziere): Da gab’s aber ein Problem: Die sowjetische Seite, der Botschafter Herr Schikin, kam zu mir, und sagte: Die Sowjets würden also sehr indigniert sein und nicht gerne sehen, wenn wir ein Land schnitten, dass also in den äußeren Ausmaßen Preußen wieder ähnlich würde, und ähnliches mehr.

AUT Beeinflusst der sowjetische Botschafter die Länderbildung in der DDR? Oder spielt die scheinbar drängende Zeit eine größere Rolle? Längst ist die Länderbildung auch Thema in Talksendungen.

OT 15 (Talksendung) Wer denn die Einheit schnell haben möchte, der muss jetzt auf alles, was zweitrangig ist, verzichten, dazu beitragen, die Länder schnell zu bilden, damit das 5

auch vollzogen werden kann! // Ja, da muss ich aber doch energisch protestieren, weil es ja doch darum geht, die Einheit so gut wie möglich und nicht so schnell wie möglich herzustellen, und gerade solche Sachen, die man dann anstaut, bei der Bildung der Länder, die werden früher oder später auf uns zurückschlagen.

OT 16 (Grundmann): Wenn von Kohl aus das Signal gekommen wäre: „Also hört mal her, wir brauchen eine neue Struktur des Gebiets der DDR, aber wir wollen's nicht überhasten. Es ist eine einmalige, historische Situation, und da machen wir jetzt mal ne Struktur, die langfristig Bestand haben kann, und sich bewähren wird“ – und ich sage Ihnen: Die Bevölkerung der DDR hätte dieses Argument akzeptiert.

AUT Doch das Signal kommt nicht. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass es fünf neue Länder geben wird, die in etwa denen entsprechen, die es in den ersten Jahren der DDR bereits gab. Ministerpräsident Lothar De Maiziere

OT 17 (De Maiziere): Wir hatten ja schon vorher, auch vor dem Gesetz, Länderbeauftragte eingesetzt, das heißt, Menschen, die schon im Vorfeld der Länderbildung die Verwaltungen der Bezirke zusammenführen sollten. Also im Grunde genommen kann man sagen, es wurden immer drei Bezirke wurden ein Land, nicht, also der Bezirk , Dresden, Karl-Marx-Stadt, also Chemnitz dann, wurden Sachsen, Gera, Suhl, Erfurt wurden Thüringen, hier bei uns in Berlin waren es die Bezirke Cottbus, Potsdam, Frankfurt, und im Norden waren es eben Rostock, Schwerin, Neubrandenburg, oder so, weiß nicht.

AUT Aus den Bezirken Halle und Magdeburg entsteht das Land Sachsen-Anhalt. Ein Land fast ohne Tradition, aber das ist nicht sein einziger Makel. Die Landesgrenze zu Sachsen durchschneidet ein Ballungsgebiet – trennt Halle von Leipzig.

OT 18 (Grundmann): Und wir wollten in keinem Falle, welche Varianten auch diskutiert wurden, dass diese Grenze ersetzt wird durch eine Ländergrenze. Und dass das später geschehen ist, war ein schwerwiegender Fehler. Wo doch die Chance bestand, eine völlig andere Lösung zu finden.

AUT Der Soziologe Siegfried Grundmann verlässt im April 1990 die Arbeitsgruppe der Regierungskommission zur Länderbildung.

OT 19 (Grundmann): Die Überlegung, dass man einen öffentlichen Diskurs führen muss, einen Konsens herstellen muss, hinsichtlich der neu zu bildenden Länder, spielte dann, ab April 90, soweit ich mich erinnere, keine Rolle mehr. Das war dann auch der Grund, warum ich gesagt habe: Dann bin ich fehl am Platz. In dieser Kommission. Und dann bin ich ausgeschieden.

AUT Nicht nur der öffentliche Diskurs bleibt auf der Strecke im ersten Halbjahr 1990 – einige Überlegungen in Sachen deutsch-deutscher Zukunft finden kaum Gehör: Etwa der Wunsch einer neuen, gesamtdeutschen Verfassung oder der Ruf nach einer Reform des Föderalismus und der Länderstrukturen in beiden Teilen Deutschlands.

OT 20 (Dudek): Es gab 1990 den Vorschlag eines Hamburger Senators, Gobrecht, der insgesamt dann, unter Einbeziehung des gesamten Territoriums der Bundesrepublik, neun Bundesländer vorschlug …

AUT … erinnert sich Rainer Dudek …

OT 21 (Dudek): … dann wäre genau das entstanden, was wir ursprünglich wollten. Also wir wollten zwei relativ leistungsstarke Mittelstaaten haben. Wir wollten also ein Brandenburg mit dem Raum Magdeburg, denkbar wäre gewesen auch der Teil Vorpommern dazu. Wir wollten ein starkes Land Sachsen haben, der heutige 6

Territorialbestand Sachsen mit dem Raum Halle übergreifend, und wir hätten dann zwei kleine Restländer gehabt. Das wäre Thüringen und das wäre Mecklenburg- Vorpommern. Wenn man diese beiden gesehen hätte unter der Diktion, zum Beispiel Mecklenburg unter der Diktion eines Nordstaates zusammen mit Hamburg und Schleswig-Holstein, wenn man Thüringen als kleines Land gesehen hätte in Zusammenhang mit Hessen, wären plötzlich bei einer generellen Umstrukturierung recht ansprechende, auch leistungsstärkere Länder entstanden. Aber die Entwicklung ist ganz anders gelaufen.

OT 22 (Grundmann): … sinnvoll wär’s gewesen. Aber das hätte ja vorausgesetzt das Bewusstsein, dass auch auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik manches erneuerungs- und korrekturbedürftig wäre. Dass man überhaupt ein neues Deutschland, wirklich neues Deutschland schafft … das hätte vorausgesetzt, dass man sich dessen bewusst ist: Nicht nur die DDR, sondern auch die alte Bundesrepublik ist historisch obsolet. Man muss was Neues schaffen!

AUT 22. Juli 1990. Mit dem Ländereinführungsgesetz beschließt die Volkskammer in Berlin die Wiedererrichtung von fünf Ländern in der DDR. Paragraph Eins nennt die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Mit großer Mehrheit stimmen die Abgeordneten dafür. Aber es bleiben auch Zweifel. DDR-Finanzminister Romberg:

OT 23 (Romberg): Wer wirklich ein föderatives Deutschland will, muss dafür sorgen, dass wir unter den zukünftigen 16 Ländern nicht eine Zweiklassen-Aufteilung bekommen. Bei der die fünf Länder der DDR auf Jahrzehnte hinaus nur die armen Verwandten sind

OT 24 (De Maiziere): Uns war klar, die Menschen müssen aus dieser kleinen DDR, die also zugeschlossen war und so weiter, nicht nur ganz schnell Deutsche, sondern auch Europäer werden, und da war uns wichtig, dass sie ihre landsmannschaftliche, kulturelle Identität mitnehmen, und ich glaube, das hat sich auch bewährt, dass die Leute wieder sich als Thüringer, als Sachse, als … Brandenburger fühlen .. Flieg hoch, du roter Adler, und so, auch das ganze überschwängliche Liedgut und so weiter ist wieder mit hochgekommen …

AUT … sagt DDR-Ministerpräsident Lothar De Maiziere. Aber war es das? Kulturelle Identität, Tradition, Landsmannschaft - oder galt es schlicht und einfach, die Gunst der Stunde zu nutzen und schnell zu entscheiden? Alfred Gomolka, Mecklenburg-Vorpommerns erster Ministerpräsident, hätte sich auch andere Modelle vorstellen können …

OT 25 (Gomolka): … sagen: Das ist die Ex-DDR, die schneiden wir schräg durch, Brandenburg-Berlin-Mecklenburg-Vorpommern ist ein funktionaler Bereich, und Sachsen-Thüringen-Sachsen-Anhalt ein zweiter …

AUT … aber dann fiel der Blick auf die Uhr.

OT 26 (Gomolka): … das waren nicht die Verhältnisse im Frühsommer 1990, die es erlaubt hätten, eine solche akademische Diskussion zu führen. Und sie wäre ein Stück weit akademisch geblieben, wir standen unter einem enormen Handlungsdruck, als Abgeordnete, und wollten so schnell wie möglich die Einheit Deutschlands, und da hatte alles andere nachrangig zurückzustehen.

OT 27 (Dudek): Ich sag es mal gerade heraus … wir, die wir die Aufgabe hatten, aus dem politischen Willen dann ein konkret geformtes Gebilde vorzuschlagen, wir neigten alle nicht zu diesen fünf Ländern. Wir neigten dazu eigentlich, dass man das Territorium in vielleicht in drei, höchstens vier Länder gliedert. Wir neigten 7

nicht zu diesen fünf Ländern, weil wir davon ausgegangen sind, dass auch mit dem Blick auf eine europäische Entwicklung leistungsstarke föderale Einheiten entstehen sollten. Und nicht starken Ländern strukturell schwache Länder entgegenstehen.“

AUT Wurden die neuen Länder vorsätzlich klein gehalten? War das politisch so gewollt?

OT 28 (Dudek): …(zögert) … ich möchte zu der Frage zumindest nicht in Widerrede gehen.

OT 29 (Gomolka): … also ich hatte auch andere Vorstellungen und Wünsche, … bloß dafür war die Zeit nicht und letztendlich war das vorgezeichnet, das Resultat, weil wir einfach nicht genug Muße hatten, andere Varianten intensiver zu prüfen. Es musste entschieden werden, es musste schnell entschieden werden, da kommen Fehler fast zwangsläufig vor.

OT 30 (Grundmann): Die Bildung der Länder war eine primär politische Entscheidung. Diese einmalige Chance, die es 1990 gegeben hat, diese Chance ist verspielt. Und wir erleben das ja in der Geschichte oft genug. Provisorien haben oft einen ziemlich dauerhaften, über Generationen währenden Bestand.

-ENDE-