Limbach-Oberfrohnas Ehrenplatz in der Geschichte des Herbstes 1989 Hermann Schnurrbusch

Demonstration am 7. Februar Die Ereignisse in der DDR wirkten sich auch monstrationen, bei 400 fanden im Zusammen- 1990 in Limbach-Oberfrohna im Kreis Karl-Marx-Stadt-Land und speziell in hang damit auch Kundgebungen statt. 342 Foto: Karl-Heinz Neuhaus Limbach-Oberfrohna aus. Vielleicht ist von Kundgebungen wurden ohne Demonstratio- hier sogar der eine oder andere Impuls ausge- nen durchgeführt. In Verbindung mit den Pro- gangen. Die Voraussetzungen für den Unter- testaktionen fanden ebenfalls Streiks statt, gang der DDR waren hier bei uns wie überall zwölf Betriebe wurden besetzt. erfüllt. Am stärksten konzentrierten sich die Aktio- Es gab nach dem Statistischen Jahrbuch der nen im Bezirk Karl-Marx-Stadt. Allein zwi- DDR von 1989 im „Arbeiter- und Bauernstaat“ schen Oktober und Dezember 1989 fanden 7.563 Gemeinden, 649 davon hatten mehr als hier 278 Protestmärsche und Kundgebungen 3.000 Einwohner. Demonstrationen, Kundge- statt. Im Bezirk wiederum gab es Zusammen- 1 Uwe Schwabe: Wir waren bungen und andere Protestaktionen ereigne- ballungen des Geschehens in der Bezirks- doch das Volk! Oder? Leip- ten sich im Herbst 1989 in 511 verschiedenen hauptstadt mit entsprechenden Auswirkungen zig 1996. Unveröffentlich- 1 tes Manuskript zitiert nach Orten . Limbach-Oberfrohna war einer davon auf das Umland (Limbach-Oberfrohna, Ho- Bernd Lindner: Die demo- mit damals etwa 20.000 Einwohnern. Vom henstein-Ernstthal, Penig), im Vogtland in und kratische Revolution in der Herbst 1989 bis zum April 1990 fanden in der um Plauen herum (Markneukirchen, Oelsnitz DDR 1989/90. Bonn 1998, DDR fast 3.000 Demonstrationen statt. Dabei u. a.) und im Westen des Bezirks mit Zwickau, S. 89. waren die Aktionen in der Mehrzahl reine De- Werdau, Aue. In Plauen demonstrierten mehr

Sächsische Heimatblätter · 3 | 2016 304 Limbach-Oberfrohnas Ehrenplatz in der Geschichte des Herbstes 1989

als 10.000 Menschen 22-mal bis zum März 1990.2 Die Stiftung Haus der Geschichte/Projekt- gruppe hat die Proteste in der DDR re- gistriert und dargestellt.3 Deutlich wird ein ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle. In den sieben nördlichen Bezirken Rostock, Schwerin, Neu- , Magdeburg, Potsdam und Frank- furt einschließlich „Berlin-Hauptstadt der DDR“ gab es 21 Orte, in denen mehr als zehn Demonstrationen stattgefunden haben. 18 sol- cher Orte lagen allein im Bezirk Karl-Marx- Stadt, im waren es zehn, im sechs, im Bezirk Leipzig vier, bleiben noch vier Bezirke: Erfurt mit neun Orten, Suhl mit sechs, Halle mit drei und Cottbus mit zwei Orten mit mehr als zehn Demonstrationen. Zusammen waren es 79 Orte. Zählt man Orte mit, in denen weniger als zehn Demonstratio- nen stattgefunden haben, ergibt sich als Rei- henfolge der Bezirke: Zuerst Karl-Marx-Stadt, dann mit Abstand Erfurt, Halle und Gera. Sicher besteht ein Zusammenhang zwischen Widerstand und Bevölkerungsdichte. Der in- dustrielle Ballungsraum im Süden der DDR war Ausgangspunkt der Protestwelle. Die Auf- lehnung gegen die SED-Diktatur nahm hier ih- ren Anfang und erfasste den Norden erst spä- ter. Es besteht aber kein Zusammenhang zwischen den Aktivitäten und der Größe einer gen Frauen und Männer des Neuen Forums, de- Friedensgebet in der Lutherkirche Stadt. Auch kleinere Orte gehörten zu den nen die Pfarrer untersagt hatten, in den Kir- © Stadtarchiv Limbach-Oberfrohna ganz aktiven, wie zum Beispiel Arnstadt, Klin- chen ihre Forderungen zu erheben, und die genthal, Bad Doberan oder Olbernhau. Nach daraufhin Demonstrationen und Kundgebun- einem „Aktivitätskoeffizienten“, der aus- gen organisierten und so dem Willen des Vol- drückt, wie oft in einer Kommune wie viele kes Stimme und eine Plattform verschafften. Prozent der Bevölkerung auf die Beine ge- bracht wurden, liegt in Sachsen an der Spitze Forderungskatalog des Neuen Forums, 29. November 1989 Markneukirchen. An zweiter Stelle folgt Lim- © Stadtarchiv Limbach-Oberfrohna bach-Oberfrohna. Hier gab es bis zum 23. Feb- ruar 1990 insgesamt 17 Demonstrationen, alle mit Kundgebung, die meisten ausgehend von einem Friedensgebet. Damit nimmt unsere Stadt einen Ehrenplatz in der Geschichte des Herbstes 1989 ein, was von verschiedenen Au- 2 Lindner (wie Anm. 1), S. 90. toren4 oder durch die ORB-Verfilmung „Chro- 3 Lindner (wie Anm. 1), S. 92. nik der Wende“ bestätigt wurde. 4 Hanns Bahrmann/Christoph Links: Chronik der Wende, Worin liegen die Ursachen? Waren hier die Re- Berlin 1994, S. 90 sowie Der pressionen der SED besonders stark oder die Fischer Weltalmanach, Son- Auswirkungen der Misswirtschaft? War der derband DDR, Frankfurt/ Verfall schlimmer als anderswo oder die Zahl Main 1990, S. 170. der Antragsteller höher? Vielleicht arbeitete hier eine besonders aktive Opposition mit Um- welt-, Friedens- oder Menschenrechtsgruppen, die sich an die Öffentlichkeit wagten? Oder war Autor die Kirche bei uns besonders aktiv, die Opposi- tionellen unter ihrem Dach zu sammeln und Dr. Hermann Schnurrbusch die Protestaktionen zu unterstützen wie in 1989 Sprecher des Neuen Karl-Marx-Stadt, Neukirchen oder Adorf? Forums in Limbach-Ober- Nein. Es waren die couragierten Bürger von frohna Limbach-Oberfrohna, die die Diktatur nicht länger ertragen wollten, und es waren die muti-

Sächsische Heimatblätter · 3 | 2016 305