Landtag von -Württemberg Drucksache 16 / 8863 16. Wahlperiode 30. 09. 2020

Kleine Anfrage des Abg. Daniel Rottmann AfD und

Antwort des Ministeriums für Verkehr

Missstände und Einsatz der schadstoffintensiven Dieselzüge auf der Bahnstrecke Hauptbahnhof– Badischer Bahnhof

Kleine Anfrage

Ich frage die Landesregierung:

1. Ist die Landesregierung darüber in Kenntnis, wie oft und in welchem zeitlichen Umfang es auf der Bahnstrecke zu Verspätungen und Zugausfällen seit Januar 2018 bis aktuell kommt?

2. Warum zeigt die Regulierungs- und Aufsichtskompetenz der Landesregierung nicht die entsprechende Wirkung, sodass es auf der Bahnstrecke Ulm Haupt- bahnhof–Basel Badischer Bahnhof immer noch zu erheblichen Verspätungen und Zugausfällen kommt?

3. Ist die Landesregierung darüber in Kenntnis, wie viele Beschwerden wegen überfüllter Züge bzw. zu geringen Sitzplatzangebots bei der DB Regio seit Ja- nuar 2018 eingereicht wurden?

4. Findet die Landesregierung es zumutbar, dass die Fahrgäste auch nur einen Teil der Reise im Stehen fahren, da die Fahrzeit auf der Strecke Ulm Haupt- bahnhof–Basel Badischer Bahnhof über drei Stunden beträgt?

5. Sieht die Landesregierung die öffentliche Sicherheit der Bürger auf der Bahn- strecke Ulm Hauptbahnhof–Basel Badischer Bahnhof ausreichend garantiert, wenn z. B. die Zugführer den Führerstand nur durch den Fahrgastraum verlas- sen können?

6. Wann wird die Elektrifizierung der ganzen Bahnstrecke Ulm Hauptbahnhof– Basel Badischer Bahnhof vollständig abgeschlossen sein?

7. Warum werden schadstoffintensive Dieselzüge auf der Bahnstrecke Ulm Hauptbahnhof–Basel Badischer Bahnhof weiterhin zugelassen?

Eingegangen: 30. 09. 2020 / Ausgegeben: 13. 11. 2020 1 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeich- abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente net mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 8863

8. Zu welchem Anteil von Land und Bund, falls zutreffend, soll der Ausbau der Bahnstrecke Ulm Hauptbahnhof–Basel Badischer Bahnhof finanziert werden?

9. Kam es zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Zahlungsverzug, der vom Land oder vom Bund verursacht wurde?

10. Welche Kompetenzen hat das Land Baden-Württemberg noch zur Sicherung der Funktionalität des Schienenverkehrs auf der Strecke für sich behalten, da die Schieneninfrastruktur des Landes Baden-Württemberg der DB Netz AG gehört, die Elektrifizierung der Schienenstrecken im Zuständigkeitsbereich des Bundes ist und zuletzt der Interreg Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein (ABH) ein Programm der Europäischen Union ist?

30. 09. 2020

Rottmann AfD

Begründung

Am 29. August 2018 ist im Petitionsausschuss des Landtags von Baden-Württem- berg eine Petition eingegangen, durch die die Landesregierung gebeten werden sollte, für eine spürbare Verbesserung der Bahnverbindung zwischen Ulm Haupt- bahnhof und Basel Badischer Bahnhof Sorge zu tragen (Petition 16/2587). Die vorliegende parlamentarische Initiative soll Klarheit darüber schaffen, weshalb noch keine Verbesserungen der Bahnverbindung geschaffen worden sind.

Antwort

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2020 Nr. 3822.0-00/2171 beantwortet das Minis- terium für Verkehr die Kleine Anfrage wie folgt:

1. Ist die Landesregierung darüber in Kenntnis, wie oft und in welchem zeitlichen Umfang es auf der Bahnstrecke Ulm Hauptbahnhof–Basel Badischer Bahnhof zu Verspätungen und Zugausfällen seit Januar 2018 bis aktuell kommt?

Die Pünktlichkeit der Linie wird an verschiedenen Messpunkten kontinuierlich erfasst und fließt wöchentlich in das Qualitätsmesssystem der Nahverkehrsgesell- schaft Baden-Württemberg (NVBW) ein. Die Zugausfälle werden gemäß Ver- kehrsvertrag monatlich in den Statusberichten des Eisenbahnverkehrsunterneh- mens aufgelistet. Über weite Zeiträume der Phase von Januar 2018 bis Anfang Oktober 2020 liegen außerdem wöchentliche Ausfalllisten der DB Regio vor. Ne- ben Personalmangel und Fahrzeugproblemen ist der Zustand der Infrastruktur, die der Bund als Eigentümer über Jahre vernachlässigt hat ein entscheidender Faktor für Zugausfälle. Die nun vermehrt stattfindenden Sanierungen und Instandhaltun- gen sind zu begrüßen, führen allerdings im ersten Schritt zu baubedingten Ein- schränkungen und Ausfällen.

Die Entwicklung der monatlichen Pünktlichkeit ist aus der folgenden Tabelle er- sichtlich, welche die Pünktlichkeit an den Messpunkten Aulendorf, Friedrichs- hafen Stadt, Singen, Waldshut und Basel Bad enthält (Ulm Hbf ist nicht enthalten, da ein Herausfiltern der Ankünfte der im gleichen Verkehrsvertrag mit DB Regio enthaltenen Linien aus Richtung und einen enormen Aufwand bedeutet hätte). Aufgeführt ist jeweils die in Baden-Württemberg vertraglich rele- vante Pünktlichkeitsgrenze von 3:59 Minuten und die deutschlandweit DB-übli- che Grenze von 5:59 Minuten.

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Monat P < 4 min P < 6 min Monat P < 4 min P < 6 min

01.2018 83,7 % 89,2 % 06.2019 78,7 % 85,2 % 02.2018 81,8 % 88,2 % 07.2019 67,3 % 76,8 %

03.2018 82,6 % 88,5 % 08.2019 69,3 % 77,9 % 04.2018 78,1 % 86,2 % 09.2019 74,6 % 82,6 % 05.2018 77,5 % 86,1 % 10.2019 74,8 % 82,4 %

06.2018 76,2 % 84,6 % 11.2019 80,1 % 86,7 % 07.2018 73,9 % 82,3 % 12.2019 80,4 % 86,7 % 08.2018 74,5 % 83,1 % 01.2020 86,3 % 91,4 %

09.2018 76,1 % 83,7 % 02.2020 79,0 % 85,8 % 10.2018 75,3 % 83,0 % 03.2020 90,3 % 94,1 %

11.2018 82,0 % 88,3 % 04.2020 96,1 % 97,7 %

12.2018 83,4 % 88,9 % 05.2020 97,1 % 98,7 % 01.2019 83,3 % 89,0 % 06.2020 86,1 % 91,1 %

02.2019 83,1 % 89,5 % 07.2020 82,3 % 88,2 % 03.2019 82,9 % 89,4 % 08.2020 85,5 % 91,5 % 04.2019 83,6 % 89,6 % 09.2020 81,2 % 87,4 %

05.2019 85,2 % 90,7 %

Aus der nachfolgenden Grafik wird deutlich, dass die Pünktlichkeitswerte stark schwanken. Im gesamten baden-württembergischen Regionalverkehr gab es im April und Mai 2020 sehr gute Pünktlichkeitswerte. Die Linie verkehrte während der Corona-bedingten Fahrplanausdünnungen nur auf einem Teilabschnitt. Zu- sätzlich gab es auf der Südbahn baubedingt Schienenersatzverkehr.

Pünktlichkeit Linie Ulm - Basel 2018 - 2020 100,0%

95,0%

90,0%

85,0%

80,0%

75,0%

70,0%

65,0%

60,0%

P < 4 min P < 6 min

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Aus den Ausfalllisten gehen für die Jahre 2018 und 2019 jeweils knapp 500 Züge der Linie Ulm–Basel (Zugnummern 3040 bis 3079) hervor, die ganz oder teilwei- se ausgefallen sind. In beiden Jahren gab es eine ausgeprägte Spitze in den Som- mermonaten Juli und August. 2020 weisen die wöchentlichen Ausfalllisten bei ei- ner verringerten Datengrundlage bislang etwa 200 Ausfälle auf. Im Sommer gab es keine auffallende Häufung. Insgesamt hat sich die Qualität gegenüber den Vor- jahren im Jahr 2020 deutlich verbessert.

2. Warum zeigt die Regulierungs- und Aufsichtskompetenz der Landesregierung nicht die entsprechende Wirkung, sodass es auf der Bahnstrecke Ulm Haupt- bahnhof–Basel Badischer Bahnhof immer noch zu erheblichen Verspätungen und Zugausfällen kommt?

Die Linie Ulm–Basel ist aufgrund ihrer Länge und der substantiellen eingleisigen Abschnitte (–Radolfzell und Erzingen–Waldshut) ohnehin für Ver- spätungen besonders anfällig. Dazu kommt, dass die Hochrheinstrecke Basel– Waldshut bei ihrer Modernisierung vor zwanzig Jahren durch DB Netz durch den Ausbau von Weichen ihrer Flexibilität beraubt wurde, sodass Störungen nicht auf dem zweiten Gleis umfahren werden können. Auch für die Bahnsteigsituation in Markdorf, die sich seit ca. zwei Jahren sehr negativ auf die Pünktlichkeit der Bo- denseegürtelbahn auswirkt, hat die DB AG nach wie vor keine Lösung gefunden. Für die Infrastruktur ist die bundeseigene DB Netz AG zuständig.

Für die Bereiche Fahrzeuginstandhaltung und Personal ist dagegen die DB Regio bzw. hier deren Tochter RAB zuständig. Während Personalprobleme mit ca. 5 % der Ausfälle bei der Linie Ulm–Basel bisher kein gravierendes Problem darstel- len, ist die hohe Zahl der fahrzeugbedingten Ausfälle (gut 30 %) auffällig. In bei- den Bereichen kann das Land als Aufgabenträger vor allem über die vertraglichen Instrumente (insb. Vertragsstrafen) einwirken.

3. Ist die Landesregierung darüber in Kenntnis, wie viele Beschwerden wegen überfüllter Züge bzw. zu geringen Sitzplatzangebots bei der DB Regio seit Ja- nuar 2018 eingereicht wurden?

Bei DB Regio sind seit Januar 2018 387 Beschwerden zum Sitzplatzangebot des gesamten Neigetechnik-Vertrags eingegangen, d. h. es sind auch Beschwerden z. B. zur Linie Stuttgart–Tübingen–Aulendorf oder zur Linie Ulm–Sigmaringen– Donaueschingen(–Neustadt/Schwarzwald) enthalten. Eine linienspezifische Aus- wertung ist nicht möglich, es ist aber anzunehmen, dass sich die Mehrzahl der Fälle auf die Linie Ulm–Basel bezieht. Eine hohe Anzahl von Beschwerden geht auch bei den Verkehrsverbünden ein.

4. Findet die Landesregierung es zumutbar, dass die Fahrgäste auch nur einen Teil der Reise im Stehen fahren, da die Fahrzeit auf der Strecke Ulm Haupt- bahnhof–Basel Badischer Bahnhof über drei Stunden beträgt?

Reisezeiten über 15 Minuten im Stehen hält die Landesregierung für nicht verein- bar mit einem attraktiven Schienenverkehrsangebot. Im Zielkonzept 2025 ist des- halb festgelegt, wie die Kapazitätsplanung im Schienenpersonennahverkehr erfol- gen muss (vgl. S. 15):

„Montag bis Freitag während der Hauptverkehrszeiten wird die Nutzung von Stehplätzen auf 1,0 Personen pro Quadratmeter (Stehfläche) begrenzt. Dies ent- spricht in der Regel einem Stehplatzanteil von 20 Prozent bezogen auf die Ge- samtzahl der Reisenden im Zug. Reisezeiten im Stehen über 15 Minuten sind aus- zuschließen.“

Sofern die vom Land vertraglich vorgegebene Kapazität tatsächlich gefahren wird, dürfte es stehende Fahrgäste eigentlich nur auf kurzen Abschnitten oder bei außergewöhnlichem Fahrgastandrang geben. Ausschließen lassen sich unerwarte- te Nachfragespitzen allerdings nicht. Aufgrund der vielen Halte mit höherem Fahrgastwechsel haben die in genannten Situationen stehenden Fahrgäste in der Regel dann eine gute Chance, beim nächsten Halt einen Sitzplatz zu bekommen.

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Problematisch sind allerdings Fälle, in denen ein Triebwagen fehlt. Dies scheint seit Juni 2020 aber seltener vorzukommen.

5. Sieht die Landesregierung die öffentliche Sicherheit der Bürger auf der Bahn- strecke Ulm Hauptbahnhof–Basel Badischer Bahnhof ausreichend garantiert, wenn z. B. die Zugführer den Führerstand nur durch den Fahrgastraum verlas- sen können?

Das Verkehrsministerium kann keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit da- rin erkennen, dass die Triebfahrzeugführer der auf dieser Linie eingesetzten Trieb- wagen der Baureihe 612 den Führerstand nur durch eine Tür zum Fahrgastraum hin betreten und verlassen können. Dies ist in vielen neuen Fahrzeugbauarten ebenso und war auch in vielen Triebwagen der Deutschen Bundesbahn nicht an- ders.

6. Wann wird die Elektrifizierung der ganzen Bahnstrecke Ulm Hauptbahnhof– Basel Badischer Bahnhof vollständig abgeschlossen sein?

Die Elektrifizierung der Südbahn (Ulm–Friedrichshafen) wird voraussichtlich Ende 2021 vollständig abgeschlossen sein. Ein Fertigstellungstermin für die geplante Elektrifizierung der Bodenseegürtelbahn (Friedrichshafen–Radolfzell) steht noch nicht fest. Dieser wird erst im Laufe der derzeitigen Planungen ermittelt. Der Ausbau und die Elektrifizierung der Hochrheinbahn (Basel–Schaffhausen) soll nach aktuellem Stand spätestens zum Fahrplanwechsel 2027/2028 abgeschlossen sein. Das Ministerium für Verkehr und die Projektpartner setzen sich für eine frühere Realisierung ein.

7. Warum werden schadstoffintensive Dieselzüge auf der Bahnstrecke Ulm Hauptbahnhof–Basel Badischer Bahnhof weiterhin zugelassen?

Von den fast 300 km Bahnstrecke zwischen Ulm und Basel Bad sind aktuell nicht einmal 50 (Abschnitt Erzingen–Radolfzell) elektrifiziert. Die Abschnitte ohne Oberleitung sind für batterieelektrische Triebwagen zu lang. Somit bleiben für einen durchgängigen Verkehr derzeit nur Dieselfahrzeuge übrig. Die eingesetzten Triebwagen der Baureihe 612 verfügen über eine gültige Zulassung. Sie wurde vom Eisenbahnbundesamt erteilt.

Weiterhin sei angemerkt, dass der Einsatz dieser Züge deutlich weniger schad- stoffintensiv ist, als wenn die Fahrgäste ihre Reise individuell mit dem Automobil durchführen würden.

8. Zu welchem Anteil von Land und Bund, falls zutreffend, soll der Ausbau der Bahnstrecke Ulm Hauptbahnhof–Basel Badischer Bahnhof finanziert werden?

Die Finanzierung des Ausbaus und der Elektrifizierung der Hochrheinbahn und der Bodenseegürtelbahn soll mithilfe des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgeset- zes des Bundes erfolgen. Dieses sieht eine Förderquote von bis zu 90 % der zu- wendungsfähigen Investitionskosten durch den Bund vor, abhängig von der je- weiligen Baumaßnahme. Eine Planungskostenpauschale ergänzt die Förderung. Die Aufteilung der verbleibenden Kosten wird zwischen dem Land (Kofinanzie- rung) und den Landkreisen erfolgen. Die Schweiz beteiligt sich finanziell am Ausbau und der Elektrifizierung der Hochrheinbahn. Der Gesprächsauftakt hier- für hat zwischen den Finanzierungspartnern vor Kurzem stattgefunden, eine Fest- legung der jeweiligen Finanzierungsanteile ist bislang aber noch nicht erfolgt. Das Land beteiligt sich darüber hinaus an der Elektrifizierung der Südbahn mit 50 % an den zuwendungsfähigen Kosten gemäß Finanzierungsvertrag, höchstens jedoch mit 112,5 Mio. Euro, die übrigen Kosten trägt der Bund.

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9. Kam es zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Zahlungsverzug, der vom Land oder vom Bund verursacht wurde?

Bei der Südbahn und der Hochrheinbahn kam es im Zusammenhang mit dem An- teil des Landes an der Finanzierung zu keinem Zahlungsverzug; zu einem vom Bund verursachten Zahlungsverzug liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor.

10. Welche Kompetenzen hat das Land Baden-Württemberg noch zur Sicherung der Funktionalität des Schienenverkehrs auf der Strecke für sich behalten, da die Schieneninfrastruktur des Landes Baden-Württemberg der DB Netz AG gehört, die Elektrifizierung der Schienenstrecken im Zuständigkeitsbereich des Bundes ist und zuletzt der Interreg Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein (ABH) ein Programm der Europäischen Union ist?

Seit der Bahnreform ist die alleinige Verantwortung des Bundes für bundeseigene Eisenbahnen in Artikel 87 e Grundgesetz festgelegt. Das betrifft auch den Ausbau und damit die Elektrifizierung der bundeseigenen Schienenwege. Dennoch enga- giert sich das Land Baden-Württemberg seit Jahren mit Nachdruck für den Aus- bau und die Elektrifizierung der genannten Strecken und unterstützt diese auch im Landesinteresse stehenden Vorhaben im Rahmen seiner begrenzten Spielräume auch finanziell (vgl. Frage 8).

In Vertretung

Dr. Lahl

Ministerialdirektor

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