1.2015

2 € ISSN 1433-349X www.museumsmagazin.com

Entführung Peter Lorenz Vor 40 Jahren Deutsch-israelische Beziehungen Seit 50 Jahren intro TV-Duell, Talkshow, Titelstory: Politiker nutzen Medien be- wusst, um sich und ihre Botschaften in der Öffentlichkeit in Szene zu setzen. Dabei bekommen sie mitunter auch die Macht der Medien zu spüren, die nicht nur die Prominenten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kontrollieren, sondern durch Themensetzung und Kommentierung selbst Einfluss nehmen. Dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Medien und Politik widmet sich die Wechselausstellung „Unter Druck. Me- dien und Politik“, die bis zum 9. August 2015 im Zeitgeschicht- lichen Forum Leipzig zu sehen ist und ab Anfang Oktober 2015 in Bonn gezeigt wird. Zeitungen, Fernsehsender, Radiopro- gramme, aber auch Blogs, Tweets und Online-Plattformen konkurrieren um unsere Aufmerksamkeit. Die tägliche Infor- mationsflut kann nur bewältigen, wer sich einen kritischen Blick bewahrt. Hochaktuelle Themen behandeln auch unsere weiteren Wechselausstellungen: In Leipzig zeigt „Schamlos. Sexualmo- ral im Wandel“ noch bis zum 6. April 2015 die tief greifenden Veränderungen von Moralvorstellungen und Geschlechter- beziehungen in Deutschland seit 1945. Die drängenden Fra- gen von Migration und Integration stehen im Mittelpunkt von „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ – diese Aus- stellung ist bis zum 9. August 2015 in Bonn zu sehen, anschlie- ßend in Leipzig. Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

Dr. Hans Walter Hütter Präsident und Professor

Zusammen mit Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters MdB eröffnet der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte Hans Walter Hütter am 9. Dezember 2014 Wie ambivalent das Verhältnis von Politikern und die neue Ausstellung „Immer bunter. Medien ist, zeigt der Fall Christian Wulff: In der Ausstellung Einwanderungsland Deutschland“ in Bonn. „Unter Druck! Medien und Politik” symbolisiert das Mobil- telefon von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann – auf dem er eine Mailbox-Nachricht des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff empfing –, wie schwierig Grenzziehungen zwischen den politischen und medialen Machtsphären sind. inhalt inaussicht inbonn inleipzig inberlin Unter atelier42 visuelle kommunikation, halle Immer bunter Druck! Einwanderungsland Deutschland 20 Immer bunter Unter Druck! Zeichen Einwanderungsland Deutschland Medien Medienund Politik Sprache ohne Worte Haus der Geschichte, Bonn Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Museum in der Kulturbrauerei, Berlin 10.12.2014 – 9.8.2015 5.12.2014und – 9.8.2015 Politik 24.9.2014 –12.4.2015 Ausstellung 5.12.2014–9.8.2015

Grimmaische Str. 6 Di–Fr 9 –18 Uhr 04109 Leipzig Sa/So 10–18 Uhr www.hdg.de Eintritt frei Unter Druck! 6 Medien und Politik 38 LWL - Museum Münster imfokus inberlin Festakt oder Picknick? Schamlos? GrenzErfahrungen Deutsche Gedenktage Sexualmoral im Wandel Alltag der deutschen Teilung 6 Unter Druck! Medien und Politik 31 Kanzler und Minister 2005 − 2013 Haus der Geschichte, Bonn Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Tränenpalast, Berlin Neue Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig Buchpräsentation im Museum in der Kulturbrauerei in Berlin 3.10. 2014 – 6.4.2015 14.11.2014 – 6.4.2015 12 Wer beherrscht wen? inleipzig Medien, Politik und die Gretchenfrage Der Jude mit dem Leipziger Buchmesse Alltag in der DDR 32 Schamlos? Sexualmoral im Wandel Hakenkreuz. Meine leipzig liest Dauerausstellung 16 Im Visier der Medien Ausstellungseröffnung in Leipzig Museum in der Kulturbrauerei, Berlin Hetzmeute oder Enthüllungsjournalisten? deutsche Familie Lesungen und Buchvorstellungen imblick Buchvorstellung mit dem Autor u. a. mit Alexander Osang, Roland Eintritt frei 18 Frech kommt weiter Lorenz S. Beckhardt Jahn, Herfried Münkler und Friedrich Oliver Welke über Nachrichtensatire 38 Neueröffnung In Kooperation mit der Gedenkstätte für die Schorlemmer in den öffentlich-rechtlichen Medien LWL -Museum für Kunst und Kultur in Münster Bonner Opfer des Nationalsozialismus e.V. Zeitgeschichtliches Forum Leipzig und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft 12. – 14.3.2015 inbonn 40 „Das wird man nie wieder machen!“ Bonn e.V. Austausch des entführten CDU-Politikers Peter Lorenz Haus der Geschichte, Bonn Leipziger Museumsnacht 20 Immer bunter. vor 40 Jahren 24.2.2015, 19 Uhr Einwanderungsland Deutschland Kopfkino Lebendiges Ausstellungseröffnung im Haus der Geschichte Jazzfest Bonn 2015 Programm für die ganze Familie Museum Online Konzert im Rahmen des Jubiläums Tickets für die Museumsnacht sind www.hdg.de/lemo 24 50 Jahre Deutschland − Israel „50 Jahre diplomatische Beziehungen an der Abendkasse erhältlich. Efrat Alony und Ehud Barak im Interview zwischen Deutschland und Israel“ Zeitgeschichtliches Forum Leipzig mit dem Wolfgang Muthspiel Trio 25.4.2015, ab 17 Uhr 28 Römischer Keller 34 inkürze und dem Efrat Alony Trio Neuerscheinung in der Reihe „Zeitgeschichte(n)“ In Kooperation mit dem Jazzfest Bonn Besuchen Sie uns 42 inzukunft / impressum 33 Euro / 25 Euro (erm.) zzgl. Vorverkaufs- auf Facebook! 30 Ausgezeichnet gebühr u. a. bei www.bonnticket.de Das neue LeMO erhält Medienpreis „Master of Excellence“ 43 imbilde Haus der Geschichte, Bonn 12.5.2015, 19 Uhr

Veranstaltungen in Bonn: Veranstaltungen in Leipzig: Veranstaltungen in Berlin: www.hdg.de / bonn / www.hdg.de / leipzig / www.hdg.de / berlin / veranstaltungen veranstaltungen veranstaltungen imfokus

Am 27. November 2013 präsentieren Sigmar Gabriel (SPD), Angela Merkel (CDU) Neue Ausstellung und (CSU) den Koalitions- vertrag in der Bundespressekonferenz. im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig Unter Druck! Medien und Politik von Anne Martin

Hochaktuell und spannend: Die neue Wechselausstellung „Unter Druck! Medien und Politik“, die am 4. Dezember 2014 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig eröffnet wurde und dort bis zum 9. August 2015 zu sehen ist, beleuchtet den politischen Einfluss der Medien in Deutschland. Welche Rolle spielten die Medien in Grundlagen der DDR? Auch dieser Frage geht die Ausstellung nach. Seit Gründung der Bundesrepublik am 23. Mai 1949 garantiert das Grundge- setz in seinem Artikel 5 Pressefreiheit. Mehrfach versuchte die Bundesregierung in den 1950er Jahren vergeblich, dieses Grundrecht einzuengen, sei es durch den Entwurf eines Bundespressegesetzes oder mittels einer als Konkurrenz zur ARD gedachten privaten Sendeanstalt „Freies Fernsehen“. Der massivste Ein- schüchterungsversuch erfolgte 1962 im Zuge der Spiegel-Affäre, als mit Rücken- deckung von Verteidigungsminister Franz Josef Strauß Redakteure des Ham- burger Nachrichtenmagazins unter dem Vorwurf des Geheimnisverrats in Haft kamen. Um die Härte der Auseinandersetzung zu verdeutlichen, zeigt die Aus- stellung „Unter Druck! Medien und Politik“ eine Zellentür aus dem Trakt des Hamburger Untersuchungsgefängnisses, in dem Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein einen Monat lang einsaß. Da Der Spiegel durch die Unterstützung an- derer Presseverlage und den breiten Rückhalt in der Bevölkerung gestärkt aus diesem Konflikt hervorging, gilt die Affäre bis heute als Meilenstein auf dem Weg zu unabhängigen und selbstbewussten Medien. Gegenentwurf Welche Folgen es hat, wenn Pressefreiheit fehlt, zeigt die Ausstellung durch ei- nen Blick auf die Entwicklung in der DDR. Die SED verfügte dort über das Infor- mationsmonopol und lenkte durch Vorgaben, Verbote und ständige Kontrollen Presse und Rundfunk in ihrem Sinne. Häufig nahm die Parteispitze, allen voran Walter Ulbricht und später Erich Honecker, auf die Berichterstattung direkten Einfluss. Mit Erfolg: Journalisten in der DDR − zumeist in der Sektion Journalis- tik der Karl-Marx-Universität in Leipzig ausgebildet − übten keinerlei Kritik an den Herrschenden, feierten den ostdeutschen Teilstaat als das „bessere Deutsch- land“ und vermittelten ein höchst negatives Bild von der Bundesrepublik. Konfrontation In der Bundesrepublik geriet einige Jahre nach der Spiegel-Affäre der Verleger Axel Springer unter heftigen Beschuss. Ausgangspunkt der Kritik war neben der starken wirtschaftlichen Macht Springers die Haltung seiner Zeitungen, allen voran der Bild, in den Auseinandersetzungen zwischen Staat und außer- parlamentarischer Opposition (APO). „Unruhestifter unter Studenten ausmer- zen!“ lautete eine der Schlagzeilen, mit denen die Springer-Presse Stimmung gegen die westdeutsche Studentenbewegung machte. Nach dem Attentat auf deren Anführer Rudi Dutschke eskalierte 1968 der Konflikt: Mit der Forderung „Enteignet Springer!“ griffen Demonstranten das Verlagshochhaus in West-Ber- lin an und steckten Auslieferungsfahrzeuge in Brand. Mit Pflastersteinen, wie sie Demonstranten als Wurfgeschosse dienten, und Polizeiknüppeln vergegenwär- tigt die Ausstellung die damals auf beiden Seiten mit hoher Gewaltbereitschaft ausgetragene Konfrontation.

„40 Jahre Informationsfluss“ nennt Peter Muzeniek seine Plastik von 1989 – Demonstration in Stuttgart: ein drastisches Bild für den Überdruss Während der Spiegel-Affäre an der linientreuen DDR-Presse. gehen 1962 Tausende für Pressefreiheit auf die Straße.

8 museumsmagazin 3.2014 museumsmagazin 1.2015 9 Der „Newsroom“ konfrontiert mit brisanten Peter Voß, Präsident der Quadriga Journalisten von Tageszeitungen kennt laut einer Umfrage das Phänomen, dass Entwicklungen der Gegenwart und lädt ein, Einfluss Hochschule Berlin und Intendant an einem Terminal eine Zeitungstitelseite Politiker bei Redaktionen vorstellig werden, um sich über unliebsame Artikel zu des Südwestrundfunks a. D., zusammenzustellen. Dass Medien in der Lage sind, gesellschaftliche Debatten anzustoßen bzw. vor- beschweren oder auf deren Nichterscheinen hinzuwirken. Auch die Personalpo- bei der Ausstellungseröffnung anzutreiben, bewies der Stern im Juni 1971, als er mit dem Titel „Wir haben litik bietet immer wieder Möglichkeiten der Intervention, wie der Fall Nikolaus am 4. Dezember 2014 im abgetrieben“ das Abtreibungsverbot in der Bundesrepublik vehement infrage Brender zeigt: Der Chefredakteur des ZDF musste 2010 den Sender verlassen, Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig stellte. Viele sehen in dieser Kampagne die Geburtsstunde der bundesdeutschen weil die hessische Landesregierung eine Verlängerung seines Vertrags ablehnte. Frauenbewegung. Eher selten reagieren Politiker gegenüber Medien mit Boykott. Zu den wenigen Auch bei der Skandalisierung von Regelverstößen und persönlichen Ver- Ausnahmen gehört der frühere Bundeskanzler Dr. , der Magazinen fehlungen politischer Akteure spielten die Medien immer wieder eine große wie Stern und Der Spiegel oder TV-Sendungen wie Panorama grundsätzlich kei- Rolle. Dem voraus gingen zumeist die Recherchen investigativ arbeitender ne Interviews gab. Journalisten. Die Ausstellung veranschaulicht dies unter anderem anhand der Flick-Parteispendenaffäre in den 1980er Jahren. Herausforderungen Aber nicht immer dienen vermeintlich spektakuläre Enthüllungen der Aufklärung: 1993 behaupteten Der Spiegel und andere Zeitungen, der Terrorist Das Internet hat die Kommunikation zwischen Politik und Gesellschaft verän- Wolfgang Grams sei auf dem Bahnhof in Bad Kleinen von einem Beamten der dert: Nutzer können jederzeit und ohne die Filterung durch Presse oder Rund- GSG 9 gezielt getötet worden. Der für die Geschichte verantwortliche Redakteur funk Informationen erhalten oder verbreiten und sich an politischen Diskus- Hans Leyendecker hatte sich, wie er später einräumte, auf unzutreffende Be- sionen unmittelbar beteiligen. Als Beispiel zeigt die Ausstellung den Hashtag hauptungen eines Informanten verlassen. „aufschrei“ bei Twitter im Frühjahr 2013, der eine gesellschaftliche Debatte über Sexismus im Alltag anstieß. Es kommt klar zum Ausdruck, dass die digi- Spektakel talen Medien die Bedeutung der klassischen Nachrichtenübermittlung erheb- lich schmälern: Blogs, Videoportale wie YouTube und die Seiten der öffentlich- In den letzten Jahren hat sich die politische Streitkultur durch Fernsehformate rechtlichen Sender setzen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage zusätzlich unter wie Talkshows, TV-Duelle und Satiresendungen stark verändert. Mit zahlreichen Druck. Selbst traditionsreiche Blätter verlieren an Auflage – einige mussten ihr Originalrequisiten und Filmausschnitten beleuchtet die Ausstellung auch dieses Erscheinen bereits einstellen. Um zu überleben, setzen Verlage auf den Ausbau Phänomen. Zum „Unterhaltungswert“ von Politik trägt zudem das deutlich ge- ihrer Online-Angebote und entwickeln alternative Geschäftsmodelle. wachsene Interesse am Privatleben von Politikern bei, das nicht nur die soge- Die digitale Revolution hat aber nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen. nannten bunten Blätter gerne bedienen. Welches Ausmaß die „Boulevardisie- Dass die neuen technischen Möglichkeiten zur flächendeckenden Überwachung rung“ bereits angenommen hat, offenbarte der mediale „Hype“ um den jungen durch Geheimdienste geführt haben, stellt politische Journalisten vor eine dop- CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg. Die Verquickung von Politischem und pelte Herausforderung: Sie müssen die Folgen dieser Entwicklung für ihre Ar- Privatem zeigt auch das Beispiel des im Februar 2012 zurückgetretenen Bun- beit ständig bedenken, etwa neue Konzepte entwickeln, um ihre Informanten zu despräsidenten Christian Wulff, der lange Zeit als Freund der Medien galt und schützen. Gleichzeitig müssen sie die Ausspähmethoden beharrlich aufdecken, großzügig Einblicke in Persönliches gewährte. Als ihm Presse und Rundfunk ab um ihrer Rolle als „vierte Gewalt“ auch in diesem Zusammenhang gerecht zu Gerne widmen sich die „bunten Blätter“ November 2011 aufgrund von Vorfällen aus seiner Zeit als niedersächsischer werden. dem Privatleben von Politikern. Ministerpräsident nahezu einhellig ihre Gunst entzogen und mit großem Eifer sein Leben in allen Facetten durchleuchteten, sah sich Wulff einer Kampagne ausgesetzt und reagierte mit Medienschelte. Seine Nachricht auf der Mailbox des Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann ist in der Ausstellung erstmals im Origi- nalton zu hören. Abhängigkeiten In Berlin existieren zahlreiche interne Gesprächskreise mit Politikern und Medi- envertretern. Mitglieder von Parlament und Regierung nutzen gerne diese infor- mellen Runden, um die Berichterstattung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Mit- unter bedienen sie sich dafür auch anderer Methoden: Mehr als die Hälfte der

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Medien, Politik und die Gretchenfrage Wer beherrscht wen?

von Henrike Girmond

Medien können politische Karrieren befördern – oder nachhaltig beschädigen. Rudolf Scharping, Karl-Theodor zu Guttenberg und Christian Wulff sind drei Beispiele aus jüngerer und jüngster Vergangenheit, die das sensible Zusammenspiel von medialer Macht und politischen Karrieren verdeutlichen.

Die Medien für die eigene Imagepflege ins Boot zu holen, ist ein zweischneidiges Schwert. Sprichwörtlich baden ging im August 2001 das Ansehen von Verteidigungsminister Rudolf Scharping aufgrund einer selbst initiierten Home- story in der Zeitschrift Bunte: „Total verliebt auf Mallorca“ titelte die Society-Illustrierte und widmete dem turtelnden SPD-Politiker eine neunseitige Fotostrecke. Bemerkenswert offensiv präsentierte der oberste Befehlshaber der Bundes- wehr seine neue Liebe Kristina Gräfin Pilati beim gemein- samen Bad im Hotelpool. Die Mallorca-Titelgeschichte entwickelte sich zur „Plansch-Affäre“. Denn während Scharping auf der spa- nischen Insel mit Bunte-Reportern über Privates plau- derte, debattierte der Deutsche Bundestag in Berlin über den Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien. Die ARD bat Scharping um eine Stellungnahme, die dieser ablehnte – schließlich sei er im Urlaub. Die Resonanz war vernich- tend: „Einfach nur peinlich“ urteilte Spiegel online, die Frankfurter Allgemeine Zeitung vermeldete „Kopfschüt- teln über Scharping“ und die Süddeutsche Zeitung befand: „Scharping gibt sich der Lächerlichkeit preis“. Über man- gelnde mediale Aufmerksamkeit konnte sich Scharping nicht mehr beklagen, doch sicherlich anders als erwartet. Ein Jahr später entließ Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Verteidigungsminister, einer der Gründe war die Im August 2001 widmet die Bunte Pool-Story und der damit verbundene Imageverlust. Verteidigungsminister Rudolf Scharping und seiner Freundin Kristina Gräfin Pilati Paternoster-Karrieren eine neunseitige Titelstrecke. „Für die Bild-Zeitung gilt das Prinzip: Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach un- ten (…)“ – diese Äußerung von Mathias Döpfner, Vorstands- vorsitzender des Medienunternehmens Axel Springer, aus einem Spiegel-Streitgespräch mit dem Schriftsteller Günter Grass aus dem Jahre 2006 wurde zumindest im Zusam- menhang mit der „Affäre Wulff“ 2012 häufig zitiert. Doch entspricht Döpfners Devise den Tatsachen?

Bundespräsident Christian Wulff am Medienpranger: Das Cicero-Titelbild von Wieslaw Smetek verdeutlicht die Kampagne, der sich Wulff ausgesetzt sieht, und erscheint noch vor dem Rücktritt des Bundes- präsidenten in der Februarausgabe 2012. museumsmagazin 1.2015 13 imfokus

Aufstieg und Fall des Das Ehepaar Wulff zieht am 2. Juli 2010 Karl-Theodor zu Guttenberg strahlend in das Schloss Bellevue ein (li.). Ein Bild von einem Mann vate Hausfinanzierung des Staatsoberhauptes Auslöser Bereits im Februar 2012 sieht sich der eines medialen Wirbelsturms und einer politischen Affäre, Bundespräsident zum Rücktritt gezwungen. Mit der Bild-Zeitung nach oben ging es zweifellos für Karl- die mit dem Rücktritt von und einem Gerichtsverfahren ge- Theodor zu Guttenberg. Begeisterte Berichte des Boule- gen Christian Wulff endete. 68 Tage nach dem ersten Artikel vardblattes begleiteten – und begünstigten – den Aufstieg meldete die Bild-Zeitung am 18. Februar 2012 das „Aus!“ des jungen, adligen CSU-Politikers vom Wirtschafts- zum für Bundespräsident Christian Wulff. Gezielte Kampagne Verteidigungsminister 2009. Aber nicht nur Bild fand zu oder Erfüllung des Wächteramtes? Bis heute hält die Dis- Guttenberg „gutt“: Euphorische Titel wie „Shootingstar der kussion darüber an. Politik“ (Die Welt), „Der coole Baron“ (Stern) oder „Kanzler in Reserve“ (Focus) waren zu lesen – zu Guttenberg galt Klare Ansage weithin als politischer Hoffnungsträger. Zusammen mit seiner Frau Stephanie brachte er Glanz und Glamour in die Der ehemalige Bundespräsident erhob in seinem Buch je- Politik: „Die fabelhaften Guttenbergs“ titelte Der Spiegel doch nicht nur Vorwürfe, sondern gestand auch Fehler ein. und „Unsere neuen Kennedys!“ jubelte Frau im Spiegel. Als „Riesendummheit“ bezeichnete er seine auf der Mail- Doch während sich die meisten Medien im Laufe der da- box von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann hinterlassene rauf folgenden Plagiataffäre um den gefälschten Doktor- Nachricht, welche die Veröffentlichung des Kredit-Artikels titel Anfang 2011 von dem Minister distanzierten, hielt verhindern sollte. Anfang Januar 2012 drangen Bruch- die Bild-Zeitung nach wie vor zu ihm: „Gut! Guttenberg stücke davon an die Öffentlichkeit: Wulff habe von „Krieg bleibt“ und „Ja, wir stehen zu Guttenberg“ lauteten die führen“ gesprochen – ein Angriff auf die Pressefreiheit!? Schlagzeilen noch im Februar. Auch den Rücktritt selbst Spätestens zu diesem Zeitpunkt verlor der ohnehin nicht am 1. März 2011 begleitete die Boulevardzeitung nicht mit unumstrittene Bundespräsident die letzten Sympathien bei Häme. Zumindest für Karl-Theodor zu Guttenberg ging die fast allen Medienvertretern. Medienschelte, wie es die Zeit- Aufzugsfahrt mit Bild nicht wieder nach unten. Anders als schrift Cicero im Februar 2012 über die Vorverurteilung bei Christian Wulff. Wulffs betrieb, blieb die Ausnahme. Die „Affäre Wulff“ endete im Februar 2014 mit einem Wächter oder Jäger? juristischen Freispruch für Christian Wulff. Der genaue Wortlaut der Mailbox-Nachricht ist als zeithistorisches Do- „In der Wahl der Mittel zu meiner Bekämpfung kannte kument erstmals zu hören in der Ausstellung „Unter Druck! Springer kein Pardon“, so Christian Wulff in seinem 2014 Medien und Politik“ im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. veröffentlichten Buch Ganz oben. Ganz unten. Tatsächlich Bekanntlich macht der Ton die Musik. Auch im Verhältnis war ein Bild-Artikel am 13. Dezember 2011 über die pri- zwischen Journalisten und Politikern.

Interpretation des Plakatkünstlers Am 28. Februar 2014 berichtet Klaus Staeck zu den Rücktritten die Bild-Zeitung, dass das Land- von Karl-Theodor zu Guttenberg gericht Hannover Christian Wulff und Christian Wulff freigesprochen hat.

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„Mein Respekt vor Menschen, „Nach der Aktion in Bad Kleinen die sich für andere einsetzen setzte eine Medienkampagne und zum Dank als Abzocker oder ein, die sich durch das Fehlen Halbtrottel beschimpft werden, ist einer seriösen Faktenrecherche noch mehr gewachsen. Harte, kri- und die Verbreitung von Spe- Hetzmeute oder Enthüllungsjournalisten? tische Fragen ja, herabsetzende kulationen auszeichnete. Elias Klischeeurteile nein. Deswegen Canetti hat dieses Phänomen in haben wir uns auch entschlos- seinem Werk ‚Masse und Macht‘ sen, anonyme Mailschreiber nicht als Hetzmeute beschrieben, die mehr zu berücksichtigen. Wenn nicht eher ruht, bis sie die Beu- ,Kassandra71‘ der Ministerin bei te erlegt hat. Die Wahrheit wird uns am Panel etwas zu sagen hat, zur Nebensache. Es spielte daher Im Visier der Medien dann soll der Mensch dahinter keine Rolle, dass ich als Staats- seinen Namen nennen. Die Poli- anwalt für das ‚Wie‘, also die tikerin steht ja auch mit Namen Durchführung der Festnahme, und Gesicht für ihre Arbeit.“ keine Verantwortung getragen Frank Plasberg habe. Es zählten nur die Sensa- Wie agieren Medien und welchen Einfluss haben sie Journalist, 2014 tion und der Erfolg der Hetzjagd. auf die Politik? Dieser Frage ging Herlinde Koelbl aus: Unter Druck! Medien und Politik, Ich wurde das Bauernopfer.“ in ihrem Dokumentarfilm „Die Meute“ nach. Stiftung Haus der Geschichte der Alexander von Stahl Bundesrepublik Deutschland, Bonn Generalbundesanwalt a. D., 2014 Auch in dem Buch zur Ausstellung Unter Druck! 2014, S. 178 – 179 aus: Unter Druck! Medien und Politik, Medien und Politik geben Journalisten, Juristen, Stiftung Haus der Geschichte der Publizisten und Politiker Antworten: Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2014, S. 102

„Die Medien stehen heute un- ter enormem wirtschaftlichem Druck. Sender und Zeitungen müssen rentabel arbeiten. Das führt zu großen Einsparungen in den Redaktionen. Auf Journa- listen steigt der Druck, schnell zu arbeiten. Aufwendige Re- cherchen können sie sich daher kaum noch leisten. Das Ergebnis ist eine im Vergleich zu früheren Zeiten deutliche Verflachung der „‚Bild‘ ist Leitmedium und Schritt- Berichterstattung. Der Qualitäts- macher, ‚Bild‘ setzt Themen und „Vor Wahlen sind Politiker stets journalismus befindet sich im Trends. ‚Bild‘ ist längst in der Mit- daran interessiert, sich von ihrer Rückgang. Darin sehe ich eine te der Gesellschaft angekommen privaten Seite zu zeigen − natür- große Gefahr. Medien hatten „Ich erinnere mich gern an meine und keine andere Zeitung wird „Die Journalisten müssen ihre lich positiv: als Ehemann, der natürlich immer Macht und sie Geschichte ‚Kirchs Rentenkasse‘, so häufig zitiert. Das alles hat zu- Rolle neu justieren. Denken Sie in der Küche hilft, als Vater, der müssen selbstverständlich die in der ich als noch recht nest- nächst nichts mit Macht zu tun, nur daran, was mit Christian Der frühere SPD-Bundestags- sich um die Hausaufgaben der Politik kontrollieren. Aber wenn warmer ‚Spiegel‘-Redakteur die sondern mit gutem Journalismus. Wulff geschah. Wenn sich Bou- abgeordnete Sebastian Edathy (M.) Kinder kümmert, als Freizeit- Journalisten in einer Art Her- Existenz geheimer Beraterverträ- kommt am 18. Dezember 2014 Aber ‚Bild‘ ist auch eines der levardpresse und seriöse Blät- sportler oder begeisterter Motor- dentrieb beschließen, jemanden ge zwischen Leo Kirch und Helmut in Berlin zur Aussage in den Unter- letzten publizistischen Gemein- ter mit Fernsehmagazinen und radfahrer. Politikerinnen betonen ‚abzuschießen‘, dann üben sie Kohl aufdecken konnte. Dem war suchungsausschuss des Deutschen schaftserlebnisse in Deutschland, Talkshows verbünden oder mit dann gerne ihre weibliche Seite. tatsächlich eine höchst problema- eine monatelange Recherche vor- Bundestages. ein Lagerfeuer, an dem sich un- Enthüllungen gegenseitig über- Die Kulissen für solche image- tische Macht aus. Was Heinrich ausgegangen. Sie begann mit ei- glaublich viele Menschen jeden bieten wollen, kann eine beina- fördernden Stories werden sehr Böll in ‚Die verlorene Ehre der ner Hypothese, die sich dann nicht Tag versammeln. Und in dieser he vernichtende Mobbing-Macht sorgfältig ausgesucht. Man in- Katharina Blum‘ beschrieben nur bestätigt hat, sondern die ich Konstellation hat natürlich die entstehen. Zudem tragen die Me- szeniert sich in seinem privaten hat, ist heute noch immer mög- schließlich als Erster auch bele- „Wenn die Medien eine Person in Zuspitzung einer Geschichte auf dien, etwa wenn es um die Aktivi- Umfeld, ohne jedoch einen allzu lich und geschieht auch ganz ge- gen konnte. Das war ein schönes ihrem Ansehen, ihrer Popularität eine prägnante Schlagzeile auch täten der NSA oder des BND geht, großen Einblick zu gewähren. nauso. Wer ins Visier der Medien Erfolgserlebnis, zumal auch die angreifen oder sie sogar aus ihrer eine ganz besondere Schlagkraft − zu einer Art öffentlicher Hyste- Alles ist gut, solange der Bericht gerät, muss sich warm anziehen, Granden der Zunft an dem Thema Position entfernen wollen, dann ist ‚Bild‘ ist eine Posaune, keine rie bei. Mehr Nüchternheit und das Image des Politikers hebt.“ um diese Welle durchzustehen. dran waren.“ der Anlass häufig zweitrangig.“ Querflöte.“ Selbstbeschränkung täte not.“ Patricia Riekel Herlinde Koelbl Marcel Rosenbach Prof. Dr. Rita Süssmuth Kai Diekmann Peter Merseburger Chefredakteurin Bunte, 2014 Fotografin, 2014 Journalist, 2014 Bundestagspräsidentin a. D., 2014 Chefredakteur Bild-Zeitung, 2014 Journalist und Publizist, 2014 aus: Unter Druck! Medien und Politik, aus: Unter Druck! Medien und Politik, aus: Unter Druck! Medien und Politik, aus: Unter Druck! Medien und Politik, aus: Unter Druck! Medien und Politik, aus: Unter Druck! Medien und Politik, Stiftung Haus der Geschichte der Stiftung Haus der Geschichte der Stiftung Haus der Geschichte der Stiftung Haus der Geschichte der Stiftung Haus der Geschichte der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn Bundesrepublik Deutschland, Bonn Bundesrepublik Deutschland, Bonn Bundesrepublik Deutschland, Bonn Bundesrepublik Deutschland, Bonn Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2014, S. 176 – 177 2014, S. 49 2014, S. 100 2014, S. 47 2014, S. 66 2014, S. 121 imfokus

Oliver Welke über Nachrichtensatire in den öffentlich-rechtlichen Medien Frech kommt weiter Interview: Ulrike Zander

Eine besondere Herausforderung für Politiker und Journalisten liegt im Medienzeitalter darin, auf möglichst intelligente Weise Information mit Unterhaltung zu verbinden, um Menschen zu erreichen. Die öffentlich-rechtlichen Medien stehen durch ihren Informations- und Bildungs- auftrag dabei unter besonderer Beobachtung. Diesem hohen Anspruch hält schon seit über fünf Jahren eine als Nachrichtensendung gestaltete Comedy- bzw. Satiresendung stand: die „heute-show“ im ZDF. Das museumsmagazin sprach mit Moderator Oliver Welke über Humor und Ironie in Politik und Medien.

mm Die aktuelle Programmlandschaft sehen. Klassische Kabarettsendun- Welke Denen wird in einem sehr frü- kostbar, da muss man schon höllisch Ausschnitte aus Nachrichten genom- tigen, zunehmend online geprägten zeigt, dass die ernste politische Kom- gen gab es ja schon immer. Wenn es hen Stadium ihrer Karriere beige- aufpassen, dass man nicht benutzt men und etwas Lustiges damit ge- Medienlandschaft mit immer kürze- munikation in Talkshows zunehmend überhaupt eine Art Trend gibt, dann bracht, dass man zumindest so tun wird. macht hat. ren Nachrichten- und Erregungszy- ergänzt oder ersetzt wird durch Sa- die Vermischung von Satire- und Co- muss, als könne man auch über sich klen sonst schnell ein sehr unglückli- tire- und Comedyformate. Worauf ist medyelementen. Warum so etwas ge- selbst lachen. Deswegen sieht man mm Humor in den Medien ist eine mm Mit Ihrer „heute-show“ haben Sie cher Mensch würde. Da braucht man diese Entwicklung zurückzuführen? rade Erfolg hat, − keine Ahnung. Da ständig klatschende Politiker in der heikle Angelegenheit. Mit Ironie muss einen neuen Raum für politische Kom- schon ein dickes Fell. Welke Nach meiner Zählung haben müssten Sie eher eine Publikumsbe- ersten Reihe von Kabarettveranstal- noch vorsichtiger umgegangen wer- munikation geschaffen, in dem auch wir immer noch deutlich mehr Talk- fragung machen. tungen. Politiker als Gäste im Studio den: Sie will erst einmal erkannt und Themen zur Sprache kommen, die im mm Auf dem letzten CDU-Parteitag als Satireformate im deutschen Fern- sind für die „heute-show“ Chance dann auch verstanden werden. Wie öffentlichen Leben sonst tabu sind. Ist wurde der Spieß einmal umgedreht mm Neu ist, dass Politiker selbst bei und Risiko zugleich: Zum einen ist es schaffen Sie es, Ironie deutlich zu ma- das eine entscheidende Komponente und die „heute-show“ auf den Arm den satirischen Späßen mitwirken. natürlich toll, mal etwas aus erster chen? Ihres Erfolges? Über welche Themen- genommen: Neben dem Anmelde- Seit Mai 2009 moderiert Oliver Welke (li.) Welche Chancen bzw. Risiken erge- Hand zu hören, aber gleichzeitig bie- Welke Das mit der Ironie gilt sicher für bereiche möchten Sie bewusst keine schalter für die Presse wurde ein eige- die „heute-show“ erfolgreich im ZDF − ben sich dadurch einerseits für Sie als tet man denen dabei auch die Chance, das gedruckte Wort. Im Fernsehen ist Witze machen? ner Schalter für die Journalisten der unterstützt u. a. von Martina Hill und Hans Moderator, andererseits für den Poli- beim Publikum zu punkten. Gerade das deutlich einfacher zu erkennen. Welke Wir gehen nie nach Tabus, nur „heute-show“ eingerichtet. Sie wur- Joachim Heist (re.). tiker? in Wahljahren ist jede Sendeminute Da unsere Sendung ein Satireformat nach Aktualität. Wir versuchen, frei- den demnach erwartet. Wie reagieren ist, rechnet der Zuschauer von ganz tags die Themen zu behandeln, die Sie, wenn Politiker mit den gleichen alleine damit, dass so etwas kommt. in der Woche Gesprächswert hatten. Mitteln wie Sie agieren? Können Sie Der wäre eher enttäuscht, wenn nicht. Genau wie die Nachrichtenkollegen, darüber lachen? nur eben satirisch. Natürlich gibt es Welke In dem konkreten Fall sagen mm Die Verbindung von Politik und Themen, die mit so viel menschlichem wir mal „schmunzeln“. Klar werden Unterhaltung hat eine lange Tradition Leid verbunden sind, dass sie für Sa- wir da erwartet. Wir schicken zu je- und lässt sich bis in die griechische tire von ganz alleine ausfallen. Es dem größeren Parteitag einen Repor- Antike zurückverfolgen. Hatten Sie für gibt aber kein Buch der Tabus, wo die ter. Was genau uns der eigene An- Ihr Satireformat ein direktes Vorbild? drinstehen, deswegen muss man das meldeschalter sagen sollte, habe ich Welke Wir haben uns mehrere Nach- als Redaktion jede Woche neu festle- daher noch nicht ganz kapiert. Viel- richtensatiren aus den USA, England gen. leicht: „Ihr seid keine Journalisten.“ und Australien angeguckt. Als unse- Oder die CDU-Pressestelle findet uns ren deutschen „Urahnen“ kann man mm Muss ein Politiker über sich selbst so gut, dass sie uns langes Anstehen eventuell „Rudis Tagesshow“ betrach- lachen können? Warum? ersparen wollte. Ich frage mal bei Ge- ten. Das war die erste Sendung, die Welke Weil er oder sie in unserer heu- legenheit nach.

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Ausstellungseröffnung im Haus der Geschichte Immer bunter. Einwanderungsland

Deutschland von Ulrike Zander

„Mehr als 16 Millionen Menschen in Deutschland haben ausländische Wurzeln. Diese Menschen bringen ihre Traditionen, Kleidung, Esskultur, Religion und Weltanschauung mit. Somit verbinden sich mit Migration zahlreiche Geschichten, die erzählt werden wollen“, leitete Prof. Dr. Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, den Abend der Ausstellungseröffnung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ am 9. Dezember 2014 ein. Zusammen mit Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters MdB gab er den Weg frei in die neue Bonner Wechselausstellung, die sich dem hochaktuellen Thema Einwande- rung widmet. Multiperspektivisch, kritisch, aber auch unterhaltsam werden die verschiedenen Phasen der Migration in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nachgezeichnet.

Was in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er Jah- ren mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem Bedarf an Arbeitskräften begann, entwickelte sich bis heute zu einem lange Zeit von der Politik unterschätzten Phänomen: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Zur Zeit des „Wirt- schaftswunders“ knüpfte die Bundesrepublik mit ihrer Ar- beitsmarktpolitik an die Traditionen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik an. Geplant war, dass die Beschäf- tigung der „Gastarbeiter“ nur auf Zeit erfolgen sollte, doch dieses Vorhaben entsprach weder den Interessen vieler Un- ternehmen, noch der „Gastarbeiter“, die sich häufig dazu entschieden, langfristig in der Bundesrepublik zu bleiben und ihre Familien nachzuholen. „Nach Erwartungen und Erfahrungen, Erlebnissen und Enttäuschungen von Ein- wanderern und Einheimischen fragt unsere neue Wechsel- ausstellung“, erklärte Hans Walter Hütter und wies damit auf den Perspektivwechsel hin, den Projektleiter Ulrich Op de Hipt und sein Ausstellungsteam bewusst vorgenommen haben: Die Zuwanderer kommen vermehrt zu Wort und beschreiben mit ihren Geschichten und Biografien die ver- schiedenen Phasen und Formen der Integration in der Bun-

Bei der Ausstellungseröffnung am 9. Dezember 2014 herrscht großes Interesse an den Objekten und Medienstationen.

20 museumsmagazin 1.2015 museumsmagazin 1.2015 21

.2015 1 museumsmagazin 22 23 .2015 1 museumsmagazin

und Projektleiter Ulrich Op de Hipt (re.) begleitet. (re.) Hipt de Op Ulrich Projektleiter und

Geschichte in Bonn und wird von Hans Walter Hütter (li.) (li.) Hütter Walter Hans von wird und Bonn in Geschichte

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am 14. Januar 2015 die Ausstellung „Immer bunter. bunter. „Immer Ausstellung die 2015 Januar 14. am

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und Videostationen bis zum 9. August August 9. zum bis Videostationen und und erklärte, dass sich gerade am Umgang mit kultureller Vielfalt entscheide, entscheide, Vielfalt kultureller mit Umgang am gerade sich dass erklärte, und

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Begleitet von den Klängen des des Klängen den von Begleitet des Kofferbombenattentats am Kölner Hauptbahnhof im Juni 2006 gezeigt. gezeigt. 2006 Juni im Hauptbahnhof Kölner am Kofferbombenattentats des

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Menschen mit Migrationshintergrund Migrationshintergrund mit Menschen so der Stiftungspräsident am Eröffnungsabend und stellte damit den aktuellen aktuellen den damit stellte und Eröffnungsabend am Stiftungspräsident der so

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- Bundes der dem in 1955, von Storch Anton Bundesarbeitsminister damaligen zu bieten. „Dazu gehören zunächst zunächst gehören „Dazu bieten. zu

sind „Geschichtenerzähler“: Angefangen bei dem Schreiben Adenauers an den den an Adenauers Schreiben dem bei Angefangen „Geschichtenerzähler“: sind eingelöstes Versprechen, Perspektiven Perspektiven Versprechen, eingelöstes

desrepublik sowie – unter anderen Vorzeichen – in der DDR. Auch die Exponate Exponate die Auch DDR. der in – Vorzeichen anderen unter – sowie desrepublik sterin, sondern auch ein vielfach nicht nicht vielfach ein auch sondern sterin,

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Staatsministerin für Kultur und Medien Medien und Kultur für Staatsministerin Schlaglichter zeigt Ausstellung Die Die Musik des Indie-Folk-Duos Kent Coda Coda Kent Indie-Folk-Duos des Musik Die

bonn in bonn in 1965 - 2015 inbonn 50 שנה inbonn ליחסי הדיפלומטיי ישראל- גרמניה 50 Jahre Diplomatische Beziehungen Israel -Deutschland

Efrat Alony und Ehud Barak im Interview Efrat Alony im Gespräch

mm Frau Alony, Sie haben sowohl in Kulturen mitgebracht haben, floss al- in Israel verbracht. Es ist also mei- 50 Jahre Israel als auch in den USA Komposi- les in die israelische Kultur mit ein: ne Identität. Es ist mir bewusst, dass tion und Gesang studiert, bevor sie sei es arabisch oder europäisch. Das ich nicht von hier bin. Das spüre ich 1997 Ihr Studium an der Hochschu- hat mich geprägt. im Alltag sehr, im Umgang mit den le für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin Menschen, in der Art und Weise, wie Deutschland – Israel aufnahmen. Welche kulturellen Ge- mm Unabhängig von der Musik − wel- sie mich anschauen. Ich sehe nicht meinsamkeiten bzw. Unterschiede che Unterschiede fallen Ihnen im all- deutsch aus. Dadurch kann ich zur fallen Ihnen zwischen diesen Län- täglichen Leben auf? Völkerverständigung beitragen. Ich Interview: Ulrike Zander dern besonders auf? Alony Es gibt viele Unterschiede. Was habe es beispielsweise als meine Auf- Alony Die israelische Musik ist stark mir von Anfang an auffiel, ist die gabe gesehen, die Situation in Israel von der europäischen Liedtradition Gestik. Unsere gesamte Kommuni- für viele Deutsche verständlich zu Am 12. Mai 1965 wurden die besonderen beeinflusst worden. Es gibt in der kation ist anders. In Israel sind die machen, die nur vage Meinungen ha- Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Harmonie sowie in der Musikstruk- Menschen wärmer, auf eine gewis- ben, aber kaum Fakten und Hinter- Deutschland und Israel intensiviert, als tur viele Verbindungen, die mich se Weise offener. Man kommt auch gründe kennen. geprägt haben. In Deutschland leichter ins Gespräch mit Leuten, die diese auch auf diplomatischer Ebene wissen viele mit „israelischer man gar nicht kennt. In Deutschland mm Haben Sie jemals einen Liedtext aufgenommen wurden. Zum Musik“ entweder gar nichts dagegen sind die Leute im ersten Mo- geschrieben, der Ihre deutsch-israe- 50. Jahrestag erinnert das Haus der anzufangen oder haben viel- ment zurückhaltender. Als ich nach lischen Erfahrungen zum Ausdruck leicht so eine Idee wie Klez- Berlin kam, war es noch üblich, dass bringt? Geschichte in Bonn mit Veranstal- mer Musik. Aber das ist man sich per Handschlag begrüßt Alony Wenn ich selber Musik oder tungen an die deutsch-israelische überhaupt nicht der Fall. hat. Mittlerweile ist es auch hier so, Texte schreibe, ist es so, dass die Geschichte und präsentiert am Ästhetisch gibt es einige dass man sich umarmt. Allein diese Texte nicht immer autobiografisch Unterschiede, was die körperliche Ebene musste ich neu sind. Es gibt immer eine Metaebene, 12. Mai 2015 zusammen mit dem Harmoniefarben an- erlernen. In Deutschland schätze ich die universell zu sehen ist und wo es Jazzfest Bonn ein Konzert mit geht. Das würde man sehr, dass hier ein Grundverständnis mir darum geht, die Menschen zum dem Efrat Alony Trio sowie dem in Deutschland eher für Privatsphäre existiert. Das gibt es Nachdenken zu bringen. Was mich als „melancholisch“ be- in Israel deswegen nicht, weil diese in den Songtexten hauptsächlich be- Wolfgang Muthspiel Trio. Das zeichnen. Aber musika- ganze Wärme mit sich bringt, dass schäftigt, sind zwischenmenschliche museumsmagazin sprach mit der lisch gibt es viele Ähn- man fast keine Grenzen kennt und Beziehungen auf unterschiedlichen israelischen Jazzsängerin Efrat Alony lichkeiten, neben den alles fragt, auch wenn es zur abso- Ebenen. Es gibt zum Beispiel den Harmonien auch die Frei- luten Privatsphäre gehört. Das ist Song „Sky light“, der sich damit be- über die kulturelle Verbindung heit in der Anwendung. praktisch in der deutschen Sprache schäftigt, wie wir als Gesellschaft – zwischen Israel und Deutschland Dadurch, dass Israel so ein schon eingebaut, die ein „Du“ und ob deutsche oder israelische – schnell sowie mit dem ehemaligen israelischen multikulturelles Land „Sie“ kennt. Das bringt automatisch geblendet werden von Politikern, die Ministerpräsidenten Ehud Barak über die ist, weil Juden aus eine Distanz hervor, die man im He- uns etwas erzählen wollen. Unser der ganzen Welt bräischen nicht hat. Blick ist nicht so kritisch, wie er sein politischen Beziehungen der beiden Staaten. eingewandert sollte. Das Thema Deutschland und sind und ihre mm Inwieweit wurden Sie in der Mu- Israel ist stark aufgeladen und hat sikbranche und in der Gesellschaft viele Aspekte. Als ich vor fast 18 Jah- als „israelische Sängerin“ wahrge- ren nach Berlin ging, ist das in Israel nommen? Welche Vor- und Nachteile bei vielen Leuten auf großes Unver- hatte das? ständnis gestoßen. „Wie kannst Du Alony Mich hat es nie gestört, dass ich nach Berlin fahren? Von allen Län- als „israelische Sängerin“ wahrge- dern der Welt, muss es denn Deutsch- nommen wurde, auch wenn ich schon land sein?“ Mittlerweile hat sich die 17 Jahre in Berlin lebe. Die Kultur, Haltung umgekehrt; plötzlich finden die mich wirklich am meisten viele Israelis Berlin ganz toll. geprägt hat, ist die israelische. Alle Kindheitserinnerungen, mm Warum wählen die meisten Is- meine Muttersprache, mei- raelis gerade Berlin als Reiseziel? ne Assoziationswelt − die Worauf führen Sie die Veränderung prägenden Jahre habe ich in der Wahrnehmung zurück?

Das neue Album der Jazzsängerin Efrat Alony heißt „A kit for mending thoughts”.

museumsmagazin 1.2015 25 1965 - 2015 50 שנה ליחסי הדיפלומטיי ישראל- גרמניה 50 Jahre Diplomatische Beziehungen Israel -Deutschland

Alony Berlin ist kein Repräsentant für mm Haben Sie dazu beigetragen, die Deutschland. Es kamen gerade in den kulturellen Beziehungen zwischen Ehud Barak im Gespräch letzten fünf Jahren viele Leute nach Deutschland und Israel zu stärken? Berlin, die nicht von hier sind. Wenn Alony Als ich nach Deutschland kam, man hier über die Straßen läuft, hört war ich die einzige Israelin an der mm Vor 50 Jahren nahmen Israel und Gerhard Schröder lernte ich erst spä- man sehr viel Englisch, Spanisch Hochschule für Musik „Hanns Eisler“. die Bundesrepublik Deutschland di- ter, dann aber sehr gut kennen. und andere Sprachen. Das war vor Es gab außer mir nur noch einen israe- plomatische Beziehungen auf. Wie ha- 20 Jahren noch nicht der Fall. Als lischen Bassisten, der hieß Nimrod. ben Sie diese Entwicklungen erlebt? mm Bundeskanzlerin Angela Merkel ich nach Berlin gekommen bin, kam Mittlerweile gibt es sehr viele Israe- Barak Diese Beziehungen schufen die hat Israels Sicherheit zur deutschen Bundeskanzler a. D. Helmut Kohl (li.) ich mit Englisch einfach nicht weiter. lis, gerade im klassischen Bereich, Grundlage, die es uns später ermög- Staatsräson erklärt. Was bedeutet das mit dem israelischen Ministerpräsidenten Weil ich noch kein Deutsch sprechen die hier studieren. Aber das ist eine lichte, eine Kooperation aufzubauen, für Sie? Ehud Barak in Tel Aviv während eines konnte, musste ich mir Sätze anhö- Veränderung, die über Jahrzehnte die 1972 zur Schaffung der GSG 9 Barak Ich denke, dass sie großartig dreitägigen Besuchs in Israel, 1999 ren wie: „Hier ist Deutschland. Sie stattgefunden hat. Für meine direk- führte. Ich wurde Generalstabschef ist. Sie denkt wirklich nach. Sie stand müssen Deutsch sprechen!“. So etwas te Umgebung war es damals etwas der Streitkräfte und baute eine gute auch Helmut Kohl sehr nah. Ich erin- würde man heute nicht mehr sagen. ganz Neues, mit einer jüdischen Per- Beziehung zu Deutschland auf, weil nere mich, wie er sehr herzlich über Dort redet sie recht unverblümt und Berlin ist viel offener gegenüber Tou- son, die auch noch aus Israel stammt, ich mehrere Male von Jitzchak Rabin Angela Merkel sprach, als sie jung war. geradeheraus, sie ist eine geradlinige risten geworden. Man kann sich heu- zu sprechen. Das muss man sich ein- in den 1980er Jahren in die Bundesre- Sie hat viel gemacht. Sogar wenn sie Führungsperson. Ich habe mehrfach te sehr gut mit Englisch durchschla- fach mal kurz vor Augen führen: In publik geschickt wurde, um Bundes- kritisiert wird, steht sie weiterhin zu gehört, wie sie mit unseren Politikern gen. Berlin könnte auch eine Stadt Amerika beispielsweise ist die jü- kanzler Helmut Kohl zu treffen, vor Israel, und manchmal kann man er- sprach, in einer sehr offenen, manch- in Amerika oder Frankreich sein. dische Kultur Teil der Gesellschaft. allem während der Golfkrise 1990. ahnen, dass sie nicht alles gut findet, mal schonungslosen Art. Aber sie hat Es gibt viele Merkmale, die univer- Wenn ich dort sage „Heute haben Deutschland war eindeutig für Israel − was Israel tut. Aber sie hat diese Kul- immer den Respekt für Israel gewahrt sell und multikulturell sind. Das ist wir ‚Rosch Haschana‘. Ich kann heu- unter Bundeskanzler Helmut Kohl, tur der Selbstdisziplin und der extre- und in öffentlichen Auftritten ist sie ein Grund für viele Israelis, hierher te nicht zur Arbeit kommen“, dann später unter Bundeskanzler Gerhard men Selbstkontrolle. Sie spricht sehr immer unterstützend aufgetreten − zu kommen. Ein zweiter Grund ist, wissen die Leute, wovon ich spreche. Schröder und nun unter Bundeskanz- offen hinter verschlossenen Türen. sowohl bei diplomatischen Unterfan- dass die Geschichte noch lebendig In Deutschland ist das nicht der Fall. lerin Angela Merkel. Helmut Kohl gen als auch in substanziellen Dingen, ist. Auch nach so langer Zeit ist die Es ist eine Kultur, die hier war und war sehr freundlich; er war äußerst etwa, indem sie uns erlaubte, Geschichte noch da. Ich glaube, dass die total ausgelöscht worden ist. Die ungewöhnlich. Ich erinnere mich an erneut die Sicherheit Israels es in Israel immer noch die offene meisten Deutschen – außer sie be- ihn während des Golfkrieges, als wir zu verstärken. Ich denke, Frage gibt: „Wie konnte es damals schäftigen sich aktiv damit – wissen einen Teil unserer Ausrüstung verlo- dass sie über alles nach- bei einem Volk, das intellektuell und sehr wenig über jüdische Kultur und ren hatten. Sofort gab er den Befehl, denkt, das es etwas ist, kulturell so weit war, zu so schreck- Religion. Mittlerweile gibt es hier Israel auszuhelfen, und später half das sich wieder tief in lichen Ereignissen kommen?“ Das einige Israelis, sodass wir uns auch er, unsere Marine aufzubauen, die deutsche Identi- ist eine Frage, mit der auch ich mich untereinander austauschen können. als Deutschland Israel zwei tät eingegraben hat. nach wie vor beschäftige. Ich hoffe, dass durch meine Arbeit Dolphin-U-Boote schenkte. Der Die Menschen ver- Es war eine Zeit lang in Israel so, wenigstens der Begriff „israelische Entschluss über die ersten stehen, dass man das alles, was aus Deutschland kam, Musik“ nicht mehr mit „Klezmer“ in U-Boote in Israel fiel zur Zeit die Vergangen- verpönt war, es gab einen inoffizi- Zusammenhang gebracht wird. des ersten Golfkrieges mit heit nicht ändern ellen Boykott gegenüber deutschen den ersten zwei U-Booten kann, aber dass Produkten. Jetzt befinden wir uns mm Was werden Sie bei Ihrem Kon- aus Deutschland. Ich man sich verant- mittlerweile in einer Phase, in der zert am 12. Mai 2015 im Haus der Ge- schlug scherzhaft vor, wortungsvoll ver- die Menschen sagen: „Wenn ich das schichte in Bonn vortragen? dass wir das eine Boot halten muss, auf richtig verstehen möchte, dann muss Alony Zusammen mit Oliver Leicht „Helmut“ und das eine Art und Wei- ich etwas näher treten. Dann muss (Klarinette und Electronics) und andere „Saddam“ se, welche die Ver- ich in Deutschland durch die Stra- Frank Wingold (Gitarre) werde ich nennen sollten. In gangenheit nicht ßen laufen, den Leuten in die Augen singen und auch Electronics spie- gewisser Weise ignoriert. Nicht nur schauen, um festzustellen, dass das len. Das ist ein Projekt, das bereits waren das ja auch um Israel zu helfen, Menschen sind wie du und ich.“ Dann seit mehreren Jahren besteht und die zwei Gründe, sondern auch, um stellt man plötzlich nicht mehr na- eine schöne Verbindung aus allem weswegen wir sie sicherzugehen, dass tionale Fragen, sondern universelle. darstellt, was mich beschäftigt: hatten. Ich schätzte Deutschland eine Man fragt nicht mehr: „Wie kann es klassische Musik, Pop, elektronische Helmut Kohl sehr. Ich Demokratie ist, die sein, dass die Deutschen so etwas ge- Musik, Lieder, zum Teil israelische kannte uns die Tiefe und die macht haben?“, sondern: „Wie kann Volkslieder, die ich neu bearbeitet nicht und Helmut Stabilität dieser groß- es sein, dass ein Mensch oder eine habe sowie Stücke von mir, die ich Schmidt traf ich artigen Freundschaft Gesellschaft, die so weit war, solche entweder auf Englisch oder Hebrä- erst viele Jahre garantiert, die fortwährt. Sachen machen konnte?“. isch singe. später. Auch

Der israelische Ministerpräsident a. D. Ehud Barak in Tel Aviv, 2014

26 museumsmagazin 1.2015 inbonn

Neuerscheinung in der Reihe „Zeitgeschichte(n)“ Römischer Keller

von Lisa Kröger

Das Haus der Geschichte in Bonn steht auf römischem Fundament: Bereits während der Bauarbeiten für das Museum entdeckten Archäologen im Jahr 1989 Reste mehrerer römischer Gebäude, darunter auch einen gut erhaltenen Keller aus dem 2. Jahrhundert. Dieser

wurde als Bodendenkmal erhalten und bildet den Kern Der römische Keller befindet sich noch der Ausstellung zu den Spuren des römischen Bonn heute in situ – an derselben Stelle wie seit etwa 1.800 Jahren – und lädt die Besucher auf dem Museumsgelände. auf eine Zeitreise ein.

Aus weiteren Ausgrabungen auf dem Gebiet des ehemali- Frömmigkeit wie Reste mehrerer Jupitersäulen. Grabbei- vor Christi Geburt waren im Norden der Halbinsel römische gen Bonner Regierungsviertels in den Jahren 2006 / 7 wis- gaben, die auf dem Gelände gefunden wurden, liefern wich- Truppen stationiert. Dort errichteten sie ein Legions- sen wir: Der Keller im Haus der Geschichte war Teil einer tige Informationen über die Ausdehnung des vicus – durf- lager – castra Bonnensia – und eine Lagervorstadt – canabae römischen Zivilsiedlung mit städtischem Charakter. Die- ten die Toten doch nur außerhalb der Siedlung bestattet legionis –, die der Versorgung der Soldaten und der Unter- ser vicus war als Zentrum für Handel und Gewerbe werden. Daneben trat bei der Nachsichtung auch allerhand bringung ihrer Familien diente. weitaus größer und bedeutender als bislang ver- Seltsames und Geheimnisvolles zutage: So bleibt etwa die Das römische Bonna gehörte als Teil der Provinz mutet – Reste einer Thermenanlage, eines Tempels Todesursache von 87 Hunden, deren Knochen auf dem Ge- Niedergermanien zum Imperium Romanum, dessen Spu- und eines Monumentalbaus zeugen davon. Die lände gefunden wurden, ein Rätsel. ren noch heute vielerorts zu finden sind. Das „Alte Rom“ neuen Erkenntnisse boten Anlass, auch die über hat die europäische Geschichte nachhaltig geprägt. Dabei 600 Kisten mit Fundmaterialien vom Gelände des Bonn im Imperium Romanum bedeutete die römische Herrschaft einerseits langanhal- Hauses der Geschichte noch einmal zu sichten. tenden Frieden und Wohlstand, andererseits alltägliche Im neuen „Zeitgeschichte(n)“-Band Römischer Der vicus erstreckte sich über ein Areal von etwa 90 Hektar Grausamkeit und Brutalität. Diesen Zwiespalt beleuchtet Keller. Neue Funde – neue Fragen widmet sich im Süden des damals auf einer Halbinsel gelegenen Bonn. Er abschließend Prof. Dr. Frank Bernstein von der Goethe-Uni- Prof. Dr. Hanno Sowade dem römischen Keller, existierte zwischen der zweiten Hälfte des 1. und der Mitte versität Frankfurt a. M. und weitet den Blick mit der Frage: den Fundstücken auf dem Museumsgelän- des 3. Jahrhunderts. Bereits seit den letzten Jahrzehnten „Das ‚Alte Rom‘ – Können wir dieses Erbe ausschlagen?“. de und dem Leben im Bonner vicus: Im Keller lagerten die Bewohner einst ihre Römischer Keller. Vorräte wie Olivenöl und Wein, Getreide Neue Funde – neue Fragen und Gemüse. Mit qualitätsvoller Wand- bildet den Auftakt malerei gestalteten sie ihre Wohnräume der neu gestalteten im römischen Stil. Zahlreiche Keramik- „Zeitgeschichte(n)“-Reihe. gefäße geben Einblick in den Alltag der Die Publikation ist ab Mitte Menschen. Götterstatuetten und Opfer- März 2015 für 9,80 € gefäße zeugen ebenso von privater im Museumsshop und unter https://shop.hdg.de erhältlich. ISBN 978-3-937086-21-7 Die mit Kandelabern, Figuren und Pflanzen dekorierte Wandmalerei stammt wohl aus dem späten 1. Jahrhundert. Der Denar zeigt auf der Vorderseite Kaiser Die Originalfragmente sind in farblich Septimius Severus, auf der Rückseite einen angepasste Wände eingebettet. Elefanten. Das unscheinbare Keramikförm- chen, mit dem Münzen gegossen wurden, Mit Statuetten wie dieser verehrten belegt die Machenschaften eines Geld- BildunterschriftFamilien ihre Haus- und Schutzgötter. fälschers im Bonner vicus.

28 museumsmagazin 1.2015 museumsmagazin 1.2015 29 inberlin

Lebendiges ZEITSTRAHL THEMEN ZEITZEUGEN BESTAND LERNEN PROJEKT inbonn Museum Online

1. Weltkrieg Weimarer Republik NS-Regime 2. Weltkrieg Nachkriegsjahre Geteiltes Deutschland Deutsche Einheit Globalisierung

1914 1918 1933 1939 1945 1949 1989 2001 Buchpräsentation im Museum in der Kulturbrauerei in Berlin Kanzler und Minister

› › 2005 − 2013 von Nina Schumacher Mit ihrem dritten Band des biografischen Lexikons Kanzler und Minister 2005 − 2013 sind die Herausgeber Prof. Dr. Udo Kempf, Dr. Hans-Georg Merz und Dr. Markus Gloe nun nah an der Gegenwart angekommen. Am 2. Dezember 2014 stellten sie das neue Buch mit Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier im Museum in der Kulturbrauerei Deutsche Einheit c Globalisierung c in Berlin vor.

„Wer macht eigentlich in Deutschland Politik?“ stand als Form vorgelegt werden. Selbst den aktuellen Brockhaus gibt Frage im Mittelpunkt der Buchvorstellung in der Kulturbrau- es heute nicht mehr in Buchform. In Zeiten schnelllebiger erei. Der dritte Band des Lexikons beantwortet diese Frage Nachrichten und Informationen, in denen Nachschlage- Das neue LeMO erhält Medienpreis „Master of Excellence“ in Einzelartikeln zu den Kabinettsmitgliedern der ersten werke im Internet stets aktualisiert und umgeschrieben wer- beiden Legislaturperioden unter Bundeskanzlerin Angela den, sind gedruckte Werke wichtig, um den Stand der Dinge Merkel. Das Nachschlagewerk stellt die beruflichen und zu dokumentieren. Vor diesem Hintergrund war es Bundes- politischen Lebenswege der Minister vor und bringt durch kanzleramtschef Peter Altmaier ein Anliegen, dieses Buch zahlreiche Interviews persönliche Einschätzungen zum poli- zu würdigen. Er selbst wird als ehemaliger Umweltminister Ausgezeichnet von Ruth Rosenberger tischen Arbeitsalltag an das Tageslicht. Auf diese Weise ent- im Lexikon porträtiert. Sein aktuelles Amt als Kanzleramts- steht ein lebendiges Gesamtbild der schwarz-gelben sowie chef stellte er protokollarisch ganz hinten an. Es gäbe weit- der schwarz-roten Bundesregierung. Über den biografischen aus wichtigere Posten und Personen, so Altmaier. Mit einem Teil hinaus beschreiben die Herausgeber die wichtigsten po- Augenzwinkern fügte er hinzu: „Allerdings ist unbestritten litischen Leistungen, analysieren die bleibenden Ergebnisse innerhalb der Bundesregierung − und ich kenne auch nie- und würdigen den Einsatz der einzelnen Politiker. „Nicht nur manden sonst, der es bezweifelt −, dass dieser Kanzleramts- Das Onlineportal zur deutschen Geschichte „Lebendiges Museum Online (LeMO)“ hat die Institutionen und die verfassungsmäßige Struktur setzen minister das gewichtigste Mitglied der Bundesregierung ist. einen „Master of Excellence“ des Corporate Media Wettbewerbs 2014 gewonnen. Die den Rahmen – vor allem die Menschen sind es, die mit ih- Der Vizekanzler müht sich redlich den Abstand zu verkür- unabhängige Expertenjury des europäischen Medienpreises betonte „die überzeugende rem persönlichen Einsatz Politik im Wesentlichen gestalten“, zen, aber ich bin überzeugt, er hat auf Dauer keine Chance.“ betonte Prof. Dr. Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Der Kanzleramtschef verstand es, mit Witz und Charme das Gesamtlösung mit einem Konzept, das eine hohe Akzeptanz bei der Zielgruppe und Haus der Geschichte. aktuelle Kabinett genauer unter die Lupe zu nehmen. So einen sehr guten Projekterfolg erwarten lässt.“ stellte er trocken fest, dass es seit 2005 nunmehr 43 Minis- Druckfrisch terinnen und Minister gab, aber nur eine Kanzlerin. Den- LeMO ist im September 2014 als Gemeinschaftsprojekt der nell völlig überarbeitete Onlineportal ist nun auch für die noch belege die Reihe des biografischen Lexikons für ihn vor Stiftung Haus der Geschichte, der Stiftung Deutsches Histo- Nutzung mit Tablets und Smartphones optimiert. Objekte, Das biografische Lexikon der Kanzler und Minister ist eines allem, dass Regierungsbildungen noch nie so demokratisch risches Museum und des Bundesarchivs nach einer grund- Texte, Medien und Zeitzeugenberichte laden eine breite der wenigen Nachschlagewerke, die noch in gedruckter waren wie heute: „Sie haben die ganze Bandbreite von der legenden Überarbeitung neu ans Netz gegangen. Zielgruppe ein, deutsche Geschichte vom 19. Jahrhundert Mittelschicht bis hin zu Arbeitnehmerhaushalten – es zeigt, Stiftungspräsident Prof. Dr. Hans Walter Hütter zeigte bis in die Gegenwart zu entdecken. Der Chef des Bundeskanzleramtes dass unser Bildungssystem und vor allen Dingen das poli- sich erfreut über die positive Bewertung: „Durch die Aus- Bundesminister Peter Altmaier MdB bei tische System in enormer Weise durchlässig geworden sind. zeichnung sehen wir uns bestätigt, die Möglichkeiten des Sonderpreis für die Stiftung der Buchvorstellung am 2. Dezember 2014 Das ist eine der größten Errungenschaften der Bonner und Internets für die Vermittlung der deutschen Zeitgeschich- im Museum in der Kulturbrauerei der Berliner Republik.“ te konsequent zu nutzen. LeMO ist ein tolles Beispiel, wie Wegen des wiederholten Erfolgs ihrer Onlineprojekte, zu Museen ihr Angebot im virtuellen Raum orts- und zeitun- denen beispielsweise auch „Orte der Repression“ und „Be- abhängig erweitern, innovative Vermittlungsformate ent- obachtungen – Der Parlamentarische Rat 1948/49“ gehö- wickeln und ihre Zielgruppen damit auf neue Weise an- ren, hat die Stiftung Haus der Geschichte außerdem den sprechen können.“ Im Herbst hatten die Stiftung und ihre Sonderpreis „Master of Communication Europe“ 2014 be- Kooperationspartner das neue LeMO zusammen mit Kul- kommen. Diese besondere Auszeichnung geht zum ersten turstaatsministerin Prof. Monika Grütters MdB der Öffent- Mal an eine Kultureinrichtung. Bisher wurden ausschließ- lichkeit vorgestellt. Das grafisch, inhaltlich und konzeptio- lich größere Wirtschaftsunternehmen damit ausgezeichnet.

> www.hdg.de / lemo

30 museumsmagazin 1.2015 inleipzig

Ausstellungseröffnung in Leipzig Diese Frage beschäftigt Sexualwissenschaftler Prof. Dr. Kurt Starke seit fast fünf Jahrzehnten. Am Eröffnungsabend der Ausstellung „Schamlos? Sexualmoral im Wandel“ präsentierte der langjährige Leiter des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung den Gästen eine unterhaltsame Zusammenfassung seiner For- schungsergebnisse. Die gute Botschaft für alle unbeirrbaren Romantiker: „Lie- Schamlos? be“ ist auch für die junge Generation von heute kein antiquierter Begriff. Im Gegenteil − der Wunsch nach einer festen Beziehung und tiefer emotionaler Ver- bundenheit sei über die vergangenen Jahrzehnte hinweg konstant groß geblie- ben, so Starke. Damit einher gehe eine offenbar ebenso zeitlose Koppelung von Sexualmoral im Wandel Sexualität und Liebe: Jugendliche ohne feste Partnerbindung hätten kaum oder gar keinen Sex. Altersgenossen, die sich ihrem Partner in tiefer Liebe verbunden fühlten, würden hingegen maßgeblich zum „koitalen Gesamtaufkommen in der von Yvonne Fiedler Bevölkerung“ beitragen, erklärte der Sexualwissenschaftler. Das war seinen Er- hebungen zufolge vor 30 Jahren nicht anders als heute. Auf der Suche nach Liebe Bei einem ersten Rundgang durch die Ausstellung konnten die Besucher an- One-Night-Stands und Swingerclubs, künstliche Befruchtungen und schließend die Thesen Starkes mit zahlreichen historischen Quellen aus der Bundesrepublik und der DDR sowie dem wiedervereinigten Deutschland ver- Samenspenden, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und gleichen. Fast 900 Objekte, darunter viele Ausstellungsstücke mit biografischen homosexuelle Bürgermeister – vieles ist heute möglich und gesell- Bezügen, luden zum genaueren Hinschauen ein. An vielen Stellen entdeckten schaftsfähig, was noch vor 50 Jahren undenkbar und moralisch nicht die Gäste, dass gerade im vermeintlichen Zeitalter der Schamlosigkeit Menschen wieder auf tradierte Werte setzen. Die Ausstellung entlässt ihre Besucher dem- vertretbar schien. Allein die Einführung der „Pille“ in den 1960er entsprechend mit einer Kunstinstallation aus filigranen Metallblättchen, die das Jahren rief zahllose Mahner auf den Plan, die das Ende von Ehe und Wort „LIEBE“ bilden. Familie, Anstand und Sittlichkeit prophezeiten. Die neue Wechselaus- Gleich am ersten Wochenende kamen 1.200 Besucher in die neue Wech- selausstellung. Seither regen die Objekte immer wieder zu persönlichen Ge- stellung „Schamlos? Sexualmoral im Wandel“ im Zeitgeschichtlichen sprächen an: Vater und Tochter diskutieren über das Thema Homosexualität, Forum Leipzig zeichnet seit dem 13. November 2014 den Umgang Senioren erinnern sich an die mangelhafte beziehungsweise ganz fehlende Auf- mit Sexualität und den Wandel von Rollenbildern in Deutschland klärung im Elternhaus, Berufsschüler diskutieren über Familienkonzepte jen- seits des klassischen Vater-Mutter-Kind-Schemas. Noch bis zum 6. April 2015 ist nach. Doch sind heute tatsächlich alle Tabus gefallen? Und wo bleibt „Schamlos? Sexualmoral im Wandel“ in Leipzig zu sehen, Ende Mai wird sie im die Liebe? Haus der Geschichte in Bonn eröffnet.

Sexualwissenschaftler Kurt Starke bei der Ausstellungseröffnung Die Ausstellung „Schamlos? am 13. November 2014 im Sexualmoral im Wandel” Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig gewährt tiefe Einblicke.

32 museumsmagazin 1.2015 inkürze

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1 3 4 5 6 1 1989 – Unsere Heimat, das sind 2 Wie erinnern wir uns an die DDR? 4 Erinnerung an eine Landschaft – 6 Mama Illegal nicht nur die Städte und Dörfer leipzig Zur Auftaktveranstaltung der Reihe „Alte Länder, neue für Manuela bonn Mitten unter uns und doch unsichtbar – so leben Aurica, leipzig Der Leipziger Regisseur, Drehbuchautor und Zeichner Länder – gemeinsame Herausforderungen und Perspektiven“ leipzig Der Film „Erinnerung an eine Landschaft – für Raia und Nataşa, drei moldawische Frauen, die beschlossen Schwarwel erzählt in seinem neuen Trickfilm „1989 – Unsere lud die Deutsche Gesellschaft e. V. (Berlin) am 2. Dezember 2014 Manuela“ dokumentiert den Umsiedlungsprozess der Einwoh- haben, ihr bitterarmes Heimatland zu verlassen, um illegal Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“ die Ge- in das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig ein. 25 Jahre nach ner von Magdeborn bei Leipzig zwischen 1979 und 1982. Der in Österreich und Italien zu arbeiten. Sieben Jahre lang hat schichte der friedlichen Revolution im Herbst 1989 aus sehr dem Mauerfall diskutierten Iris Gleicke, Staatssekretärin im kleine Ort musste dem stetig wachsenden Braunkohletagebau Regisseur Ed Moschitz die Frauen mit der Kamera begleitet, persönlicher Perspektive. Am 5. November 2014 präsentierte Ministerium für Wirtschaft und Energie sowie Beauftrag- Espenhain weichen und sollte abgerissen werden. Die 3.200 die als private Haushaltshilfen putzen, alte Menschen pflegen er gemeinsam mit dem Filmteam das Werk im Zeitgeschicht- te der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Katrin Bewohner wurden größtenteils in neu gebauten Wohnsied- und fremde Kinder betreuen – immer in der Hoffnung auf ein lichen Forum Leipzig. Auf der Bühne standen auch der Pop- Hattenhauer, Künstlerin und Bürgerrechtlerin, Prof. Dr. Henri lungen untergebracht. Regisseur Kurt Tetzlaff begleitet sie mit besseres Leben. Als Preview zur Ausstellung „Immer bunter. und Gospelchor der evangelisch-lutherischen Kirchengemein- Ménudier von der Université de la Sorbonne Nouvelle (Paris) der Kamera und lässt Verantwortliche und Betroffene zu Wort Einwanderungsland Deutschland“ zeigte das Haus der Ge- de Holzhausen sowie die beiden Leipziger Comedians „Die und Dr. Stefan Wolle, wissenschaftlicher Leiter des DDR- kommen. Das letzte in Magdeborn geborene Baby – Manuela – schichte am 28. November 2014 in Zusammenarbeit mit dem zärtlichen Mauerbauarbeiter“. Beim anschließenden Empfang Museums (Berlin) unter der Leitung von Jens Hänisch vom steht symbolisch für die Hoffnung auf Neuanfang und damit Fachdienst für Integration und Migration der Caritas Bonn, der zeigten sich Produzentin Sandra Strauß und Schwarwel sicht- Mitteldeutschen Rundfunk zentrale Fragen zur DDR-Erinne- auch für die Rekultivierung zerstörter Kulturlandschaften. Das Stabsstelle Integration der Stadt Bonn und dem Bonner In- lich gerührt über viele emotionale und positive Reaktionen aus rungskultur. Eike Hemmerling Zeitgeschichtliche Forum Leipzig zeigte den Film in der Reihe stitut für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen die dem Publikum. Premiere feierte der Film beim Internationa- „Film des Monats“ am 8. Dezember 2014. Das anschließende preisgekrönte und nach wie vor hochaktuelle Dokumentation len Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm im 3 Sammlungsobjekte der Publikumsgespräch führte Tilo Wille vom Verein Ökolöwe-Um- aus dem Jahr 2011. Im Anschluss diskutierte das Publikum im Oktober 2014. Eike Hemmerling weltbund Leipzig. Eike Hemmerling „Welt-Bistro“ mit Experten über das Für und Wider privater türkischen Präsidentschaftswahl Haushaltshilfen: Einerseits herrscht Arbeitskräftemangel in der berlin Als im Sommer 2014 der türkische Präsident zum ersten 5 Bonner Woche der Kulturen Pflege, andererseits müssen die betroffenen Frauen und ihre Mal direkt gewählt wurde, war das für die in Deutschland le- Familien mit den Folgen der Illegalität leben. benden Türken eine doppelte Premiere: Erstmals durften sie bonn „Lesung, Dialog und Begegnung“ lautete das Motto der Katrin Jackenkroll ihre Stimme auch in Deutschland abgeben. In sieben Großstäd- 8. Bonner Woche der Kulturen, deren Auftaktveranstaltung ten wurden Wahllokale errichtet, unter anderem im Berliner am 27. November 2014 im Haus der Geschichte stattfand. Ein Olympia-Stadion. Generalkonsul Ahmed Şen übergab der Stif- vielfältiges Programm aus Film, Lesungen und Poetry Slam tung Haus der Geschichte im November 2014 für ihre Samm- erwarte die Besucher, so Hıdır Çelik, Leiter des Bonner Insti- lungen eine originale Wahlurne und -kabine mit türkischem tuts für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen, das Emblem und betonte, wie wichtig die Erfahrungen seien, die zum Austausch und zur Begegnung einlade. Ziel der Woche sei man auch für künftige Wahlen gesammelt habe. es, Ängste zwischen den Menschen verschiedener Kulturen Die Objekte belegen, welche Rolle die türkische Minderheit abzubauen. Auch Prof. Dr. Hans Walter Hütter, Präsident der in Deutschland für die Politik der Türkei spielt: Kein anderer Stiftung Haus der Geschichte, betonte, dass Integration vor Staat führt hier seine Wahlen mit so großem Aufwand durch. allen Dingen dann gelänge, wenn beide Seiten – Einwande- Franziska Gottschling rer und Aufnahmegesellschaft – offen füreinander seien. Die franko-amerikanische Sängerin Marion Preus stimmte die Gäs- te mit einer Melange aus Swing, Chanson und Bossa Nova musikalisch auf die Kulturwoche ein. Katrin Jackenkroll

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7 Familiensonntag 8 Kruso 9 Im Labyrinth des Schweigens nichts über die Auschwitz-Prozesse“, so Fabian (9. Klasse), der sich fragte, wie es zu Auschwitz kommen konnte und wie bonn Am 1. Februar 2015 bot der Familiensonntag zur aktu- bonn „Das Literaturhaus Bonn hat heute seine Zelte wieder bonn Der 27. Januar 2015 sollte für viele Schüler aus Bonn man mit diesem Wissen umgehen soll. So geht es im Film ellen Wechselausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland im Haus der Geschichte aufgestellt“, erklärte der Vorsitzende und Umgebung im besten Sinne zu einem Gedenktag werden: auch Staatsanwalt Radmann, der inmitten seiner Recherchen Deutschland“ viel Abwechslung: Kabarettist Fatih Çevikkollu, des Vereins Dr. David Eisermann am 21. Januar 2015 in Bonn. Im Haus der Geschichte in Bonn wurde zur Erinnerung an die plötzlich jeden für einen Nationalsozialisten hält und nicht mehr den viele als „Murat“ aus der RTL-Serie „Alles Atze“ kennen, Zahlreiche Gäste wollten die Buchvorstellung Kruso und das Opfer des Nationalsozialismus ein besonderes Programm für weiß, wie er die Schilderungen der Auschwitz-Zeitzeugen in begleitete durch die Ausstellung und stellte seine eigene Sicht Gespräch mit dem Autor Lutz Seiler erleben, für welches sich Schüler und Erwachsene angeboten – mit Begleitungen durch ihrer Grausamkeit ertragen soll. Er kündigt, sucht sich zunächst auf die Themen Einwanderung und Integration dar – der ka- Schriftsteller und WDR 3-Journalist Michael Kohtes als hervor- die Dauerausstellung sowie Expertengesprächen in den ak- eine andere Arbeitsstelle, nimmt aber kurz darauf seinen Dienst barettistische Rundgang führte zu einer besonderen Art der ragender Moderator erwies. „Vom Tellerwäscher zum Aufla- tuellen Wechselausstellungen. An ausgewählten Standorten in der Staatsanwaltschaft wieder auf. Dort fragt ihn General- Museumserkundung. Darüber hinaus wurde der Film „Salami genkönig“ stellte Kohtes den Gewinner des Deutschen Buch- der Dauerausstellung erfuhren die Schüler mehr zum Thema staatsanwalt Fritz Bauer nach dem Grund der Rückkehr. „Weil Alaikum“ präsentiert, während bei einer Rallye durch die Aus- preises 2014 augenzwinkernd vor und verwies damit auf den „Gegenwärtige Vergangenheit“ − an diesem Gedenktag vor die einzige Antwort auf Auschwitz ist, selbst das Richtige zu stellung vor allem junge Besucher spannende Objekte ent- autobiografischen Anteil Seilers in seinem Roman: Nicht nur allem konzentriert auf den Nationalsozialismus. Die lebendige tun“, so Radmann. Ulrike Zander deckten. Zum ersten Mal stellte das Haus der Geschichte am Edgar flieht im Roman Kruso auf die ostdeutsche Insel Hidden- Vermittlung von Zeitgeschichte stimmte die Schüler ein auf den Familiensonntag ein neues Veranstaltungsformat vor – das see und erhält dort eine Anstellung als Tellerwäscher, sondern Film „Im Labyrinth des Schweigens“, der in Kooperation mit der 10 „De Prinz kütt“ Erzählcafé: Nach einer Begleitung durch die Wechselausstel- auch Seiler selbst hatte Ende der 1980er Jahre auf der Insel Kinemathek Bonn im Saal des Hauses der Geschichte gezeigt lung trafen Besucher im Atelier zusammen, wo Köstlichkeiten als Spülkraft gearbeitet. Wie er nach dem Fall der Mauer von wurde. Die Zuschauer wurden zurückversetzt in eine Zeit, in bonn Das Bonner Prinzenpaar, Prinz Jürgen I. und Bonna Nora I., aus den USA und Peru nicht nur Erinnerungen an den Urlaub dort seinen Weg über die Lyrik zu seinem ersten Roman Kruso der die Deutschen durch das „Wirtschaftswunder“ den Blick besuchten am 30. Januar 2015 gemeinsam mit dem aus weckten, sondern auch einen Eindruck von der Bedeutung nahm, erzählte der Autor in seinem ebenso tragisch-komischen nach vorne ausrichten und die nationalsozialistische Vergangen- Uganda stammenden Balam Byarubanga alias Balam I. die ak- von Essgewohnheiten für ein spezifisches Heimatgefühl ver- wie ernsthaften Ton, in dem auch die Geschichte Kruso verfasst heit hinter sich lassen wollen. 1958 erfährt der junge Staatsan- tuelle Wechselausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland mittelten. Die Gäste kamen während des Essens schnell ins ist. Seiler brachte in seiner Lesung den Zuhörern die außerge- walt Johann Radmann (Alexander Fehling) durch Dokumente Deutschland“. Balam I. war in der Session 2011 / 2012 Karnevals- Gespräch über ihre eigenen regionalen Lieblingsrezepte, über wöhnliche Männerfreundschaft zwischen Ed und Alexander eines Frankfurter Journalisten erstmals vom größten deutschen prinz der 1. KG Richterich 1956 „Koe Jonge“ e. V. aus Aachen, persönliche Erlebnisse im Urlaub und über Kontakte zu auslän- Krusowitsch (Kruso) im Sommer 1989 auf der Insel Hiddensee Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Im Auftrag von Gene- die mit seiner Proklamation ein Zeichen gegen Rassismus und dischen Freunden. Ulrike Schröber im Restaurant „Klausner“ nahe. Als eine Art „Rettungsstation“ ralstaatsanwalt Fritz Bauer (Gert Voss) beginnt der Jurist, die für Integration setzte. Seine Prinzenkappe und sein Orden sind für Aussteiger und Ausgestoßene vereint das „Klausner“ In- Täter von Auschwitz zu ermitteln, was 1963 zu den Frankfurter in der Ausstellung zu bewundern. Seine Tollität Prinz Jürgen I. tellektuelle und Künstler, die dort als Küchenpersonal arbeiten. Auschwitz-Prozessen führt. Auch wenn diese 1965 mit überwie- betonte bei seinem Besuch die integrative Kraft des Karnevals: Im anschließenden Gespräch mit Kohtes beschrieb Seiler die gend milden Haftstrafen endeten, so war es das erste Mal, dass „Karneval ist weltoffen, liberal und bunt. Es vereint Menschen besondere Aura der Insel Hiddensee: „Die DDR hatte nicht viele ein Volk die Verantwortlichen für ein Kriegsverbrechen selbst vor aus allen sozialen Hintergründen und Nationen.“ Kommunika- Inseln. Die Frage blieb: Wohin kann man gehen, wenn überall Gericht stellte und Auschwitz für immer zum Symbol der Shoah tionsdirektor der Stiftung Prof. Dr. Harald Biermann begrüßte nur Grenzen sind? Man ging ans Meer!“ Die zeitgeschichtlichen werden ließ. Die dramatische Vorgeschichte der Prozesse wur- die Tollitäten und erklärte den Gästen die aktuelle Ausstellung. Aspekte der Flüchtlingsströme im Sommer und Herbst 1989 de bisher noch nie im Kino gezeigt. Regisseur Giulio Ricciarelli Ulrike Zander werden über Radiomeldungen geschickt in den Roman einge- stellt ein wichtiges Kapitel bundesdeutscher Geschichte auf fügt. Im Epilog erhält der Leser noch einmal detaillierte Informa- eine so eindrücklich-beklemmende, zugleich aber auch unter- tionen zu den Menschen, die bei ihrer Flucht über die Ostsee haltsame Weise dar, dass die rund 300 Schüler im Haus der verschollen sind. Diese „umgekehrte Robinsonade“ – zu Beginn Geschichte nach zwei Stunden „Geschichtsunterricht“ spontan ist die Insel stark bevölkert, am Ende lebt Ed dort alleine – ist in in Applaus ausbrachen. „Das war bedrückend. Ich wusste bis- der Tat ausgezeichnet. Ulrike Zander her einiges über den Nationalsozialismus und Auschwitz, aber

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Thema und Epoche werden Modernes Kunstmuseum in der Ausstellung durch verschiedene Farben in den LWL -Museum für Kunst und Kultur in Münster Das direkt am Domplatz in Münster gelegene Haus zeigt Kunst aus Westfalen und benachbarten Räumen angekündigt, die Gebieten. Ganz bewusst möchte das Kunstmuseum auf diese Weise zur Stärkung der kulturellen oftmals Ausblicke auf die Identität Westfalens beitragen. Von den Tafelbildern des Mittelalters über die Werke der expres- Stadt Münster gewähren. sionistischen Malergruppe „Die Brücke“ bis hin zu Arbeiten von Gerhard Richter und Otto Piene: International renommierte Künstler sind in Münster ebenso zu finden wie sakrale Werke, deren Neueröffnung Schöpfer heute fast vergessen sind. Wer will, kann alle Räume in chronologischer Reihenfolge durchschreiten. Der Rundgang führt dann vom Bockhorster Triumphkreuz aus dem 12. Jahr- hundert bis zur Gegenwartskunst etwa von Katinka Bock und Thomas Ruff. Durch die abwechs- von Annabelle Petschow lungsreiche Ausstellungsgestaltung ist es dem Besucher ebenso möglich, Schwerpunkte zu setzen und nur einzelne Räume herauszugreifen. Unterschiedliche Themen und Epochen werden durch die jeweiligen Raumfarben angekündigt. So entstehen immer wieder neue Ansichten und Stim- mungen. Architektur für die Kunst

Klare Formen und Strukturen und immer wieder große Glasflächen: Durch die Museumsarchitek- Ein einmaliges Zusammenspiel aus Licht, Farben und Räumen: tur werden die Objekte des Hauses eindeutig in den Mittelpunkt gestellt. Großflächige Fenster und Wer das LWL -Museum für Kunst und Kultur im Zentrum der Stadt Durchbrüche schaffen eine Verbindung zur Stadt Münster, aber auch Sichtachsen zwischen einzel- Münster besucht, dem eröffnet sich ein eindrucksvoller Neubau. nen Räumen in der Ausstellung. Besonders deutlich wird dies im wohl außergewöhnlichsten Raum des Museums, dem sogenannten Schiffsbug. Die Wände in dem rot gestrichenen Raum verjüngen Vom imposanten Foyer mit einer Raumhöhe von 14 Metern sich zu einer Spitze, die direkt auf den Dom gerichtet ist, der sich gegenüber dem Museum befindet. gelangt der Besucher in 51 Ausstellungsräume, in denen ein Hier ist eine Gruppe von Sandsteinfiguren zu sehen, die Heinrich Brabender Anfang des 16. Jahr- ganzes Jahrtausend Kunst zu bewundern ist. Mehr als 1.300 Objekte – hunderts für die Außenwand des Sankt-Paulus-Doms in Münster schuf, um den Einzug Christi in Jerusalem darzustellen. Durch ein großes Fenster in Richtung Dom scheinen Gegenwart und Ver- Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Zeichnungen und Grafiken – gangenheit miteinander verbunden. aus der 350.000 Objekte umfassenden Sammlung decken die Der von Architekt Volker Staab aus Berlin konzipierte Neubau des LWL-Museums mit seinen Zeitspanne vom Mittelalter über die Renaissance und den Barock hellen Sandsteinfassaden ergänzt den Altbau von 1908, das ehemalige Landesmuseum für die Pro- vinz Westfalen. Nach dem Abriss des Erweiterungsbaus aus den 1970er Jahren konnte das größte bis in die Gegenwart ab. Insgesamt stehen rund 7.800 Quadratmeter Bauprojekt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe nach rund fünf Jahren abgeschlossen und Ausstellungsfläche zur Verfügung. im September 2014 neu eröffnet werden.

Der Neubau des LWL -Museums Münster beeindruckt durch seine Architektur.

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Austausch des entführten CDU-Politikers Peter Lorenz vor 40 Jahren „Das wird man

nie wieder machen!“ von Ulrike Zander

Am Morgen des 28. Februar 1975 traf das erste Lebenszeichen des entführten CDU-Landes- vorsitzenden Peter Lorenz im West-Berliner Büro der Deutschen Presse-Agentur ein. Die „Bewegung 2. Juni“ forderte die Freilassung mehrerer gefangener Terroristen und legte ihrem Schreiben ein Foto von Lorenz bei. Die Entführer setzten eine Frist von 24 Stunden fest und drohten mit der Ermordung des CDU-Politikers, falls die Forderungen nicht erfüllt würden. Erstmals wurde die Bundesregierung von Terroristen herausgefordert − und gab nach.

Am Abend desselben Tages fand unter dem Vorsitz von nen annullieren, die bei Demonstrationen anlässlich des Bundeskanzler im Bonner Kanzlerbun- Todes von Holger Meins in Berlin verhaftet worden waren. galow ein Gespräch des informellen Krisenstabs statt, an Bewusst hatte die „Bewegung 2. Juni“ keinen Gefangenen dem Vertreter aller im Deutschen Bundestag repräsen- ausgewählt, der wegen Mordes inhaftiert war. Die Forde- tierten Parteien teilnahmen, darunter der CDU-Partei- rungen waren genau so gestellt worden, dass die Bundes- vorsitzende Helmut Kohl und der Regierende Bürgermeis- regierung sie noch erfüllen konnte. ter West-Berlins Klaus Schütz. Doch der Bundeskanzler lag mit hohem Fieber im Bett und war kaum ansprech- Dem Terror nachgeben? bar: „Alle waren sich einig: Wir tauschen aus. Aber sie brauchten den Bundeskanzler dazu, der sollte seine Zu- Zwei nach dem Tod von Holger Meins inhaftierte De- stimmung geben. Da wurde ich mit Hilfe von Spritzen monstranten wurden freigelassen; die Terroristen durch meinen Leibarzt wieder einigermaßen hergestellt, , Gabriele Kröcher-Tiedemann, Ingrid das heißt, ich konnte wieder denken und sprechen − und Siepmann, Rolf Pohle und Rolf Heißler begleitete der habe zugestimmt. (...) Aber ich habe am nächsten Morgen ehemalige Regierende Bürgermeister von West-Berlin begriffen: Das darf man nicht machen. Das wird man nie Pfarrer in einem Flugzeug in den Süd- wieder machen“, erinnert sich Helmut Schmidt in einem jemen. Der ehemalige Rechtsanwalt und Mitbegründer Gespräch mit dem museumsmagazin im Juni 2013 an die der RAF lehnte den Austausch ab. Am Entführung. 4. März 1975 hatte die Bundesregierung die Bedin- gungen der Entführer vollständig erfüllt; im Austausch Bewegung 2. Juni ließ die „Bewegung 2. Juni“ Peter Lorenz am selben Tag nachts in einem Park frei. Die Terroristen hielten die Währenddessen saß Peter Lorenz in einem − von der Bundesrepublik nunmehr für erpressbar: Knapp zwei „Bewegung 2. Juni“ sogenannten − Volksgefängnis, im Monate später überfiel die RAF die deutsche Botschaft Keller eines als Secondhand-Geschäft getarnten Ladens in Stockholm und verlangte die Freilassung von 26 In- in Berlin-Kreuzberg, direkt gegenüber dem Kreuzberger haftierten. Doch Bundeskanzler Schmidt hatte eine Ent- Parteibüro. Die „Bewegung 2. Juni“ war eine linksextre- scheidung getroffen, die sein weiteres Handeln prägen mistische Terrororganisation, die sich nach dem 2. Juni sollte: „Die Lorenz-Entführung hat bei mir zu dem Ent- 1967 benannt hatte, als Benno Ohnesorg in West-Berlin schluss geführt, nie wieder nachzugeben. Der erste Test bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von auf diesen Willen erfolgte in Stockholm. Olof Palme rief Persien erschossen worden war. Am 27. Februar 1975 − bei mir an und fragte: ,Was soll ich tun?‘ Und ich habe drei Tage vor der West-Berliner Landtagswahl − ent- geantwortet: ,(...) Ich kann Dir keinen Rat geben. Ich je- führten Mitglieder der Gruppe den Spitzenkandidaten der denfalls werde nicht austauschen.‘“ Mit der Entführung West-Berliner CDU, Peter Lorenz, um sechs Terroristen des Arbeitgeberpräsidenten am aus dem Gefängnis freizupressen. Zusätzlich sollte die 5. September 1977 sollte diese Haltung Schmidts auf die Bundesregierung die Urteile gegenüber den Gefange- für ihn härteste Probe gestellt werden.

Sitzung des Krisenstabs Drei der fünf freigepressten Terroristen am 28. Februar 1975 warten am 3. März 1975 während einer Fernseherklärung der mitinhaftierten Am 28. Februar 1975 beherrscht Inge Siepmann auf ihren Abflug in den die Entführung von Peter Lorenz Südjemen: Rolf Heißler (2.v.li.), Verena die Medien (o.). Becker (Mitte, verdeckt), Rolf Pohle (re.).

40 museumsmagazin 1.2015 museumsmagazin 1.2015 41 inzukunft imbilde 2 3 1 1 „Schamlos? Sexualmoral 2 Größtes Passagierflugzeug der Welt im Wandel“ in Bonn Der Premierenflug der A380, den Airbus wegen technischer Die Schauspielerin Hildegard Knef erregte Anfang der 1950er Probleme mehrfach verschieben musste, fand am 27. April Jahre noch Aufsehen, als sie in einer Filmszene kurz nackt 2005 vor tausenden Zuschauern statt. Das bislang größte Pas- zu sehen war. Heute erreichen die Schilderungen sadomaso- sagierflugzeug startete vom Flughafen Toulouse-Blagnac mit chistischer Praktiken in der Roman-Triologie Shades of Grey dem bis dahin höchsten Startgewicht eines zivilen Verkehrs- Millionenauflagen. Die Ausstellung „Schamlos? Sexualmoral flugzeuges: 421 Tonnen. Der knapp vierstündige Flug verlief im Wandel“ der Stiftung Haus der Geschichte wird ab Ende ohne Probleme − die sechsköpfige Besatzung landete sanft Mai 2015 im Haus der Geschichte in Bonn präsentiert und wieder in Toulouse. Zweieinhalb Jahre später konnte die A380 beleuchtet mit rund 900 Objekten die tief greifenden Verän- ihren ersten Passagierflug absolvieren. derungen von Sexualmoral und Geschlechterbeziehungen in Deutschland seit 1945. 3 Neue Publikation zum Tränenpalast Mediendemokratie Traurige Abschiede gaben dem Ort seinen Namen: Nach dem Bau der Mauer am 13. August 1961 errichtete das SED-Re- von Ulrich Op de Hipt gime am Bahnhof Friedrichstraße in Ost-Berlin ein Grenzabfer- tigungsgebäude, das der Volksmund „Tränenpalast“ nannte. Eine neue Begleitpublikation zur dortigen Ausstellung „Grenz- Die gegenseitige Jagd von Medien und Politik veranschaulicht der Karikaturist Erfahrungen. Alltag der deutschen Teilung“ beleuchtet die Ge- Burkhard Mohr in seiner Zeichnung vom September 2012. Politiker sind auf Presse, schichte des Gebäudes sowie die Auswirkungen von Grenze Rundfunk, Fernsehen und digitale Medien angewiesen. Sie können die Menschen und Teilung auf das Leben der Menschen. weitestgehend nur über die Medien erreichen und müssen deren Bedingungen und Formaten gerecht werden, um ihre politischen Botschaften verbreiten zu können. Nur ein medienwirksamer Auftritt verschafft die gewünschte Aufmerksamkeit. Auch die Medien stehen unter Erfolgsdruck: Im Kampf um hohe Einschaltquoten, Auflagen Autoren S. 4 u.r. • LWL -Museum Münster / Elisabeth und Reprofotografie / Axel Thünker, Bonn: impressum Nicht gekennzeichnete Beiträge: Deiters-Keul: S. 38, 39 l. • LWL -Museum S. 40 o. • Stiftung Haus der Geschichte der und Werbeeinnahmen versuchen sie über Personalisierung und Skandalisierung von Stiftung Haus der Geschichte Münster / Hanna Neander: S. 39 r. • Magunia, Bundesrepublik Deutschland / Axel Thünker, Politik dem vermeintlichen Massengeschmack entgegenzukommen. Herausgeber der Bundesrepublik Deutschland Martin, Bonn: S. 3, 4 o.r., 20– 22, 23 o., 35 M., Bonn: S. 28 / 29, 42 u.r. • ullstein bild: S. 30 M. Schleiner + Partner Kommunikation GmbH 36 o.l., 37 l. • picture alliance: S. 4 l., 6 / 7, • Walther, Maren / Stiftung Haus der Geschichte, Schwaighofstraße 18 Abbildungen 15 l., 16 / 17, 27 o.r., 40 u. • picture alliance / Bonn: S. 23 u. • Zander, Ulrike, Köln: S. 27 u. 79100 Freiburg • Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Klaus-Dieter Heirler: S. 8 • Punctum / • ZDF / Guido Engels: S. 18 l. • ZDF / Willi Weber: Telefon: 07 61 / 7 04 77 0 Deutschland / Aussenministerium des Alexander Schmidt, Leipzig: S. 10, 11 u., S. 18 r., 19 • Zumbusch, Jennifer, Bonn: S. 36 r. Burkhard Mohr wurde 1959 in Köln geboren, arbeitete nach dem Studium Fax: 07 61 / 7 04 77 77 Staates Israel: S. 25 o., 27 o.l. • Airbus 32, 33 o.r., 34 / 35 o. • Punctum / Bertram der Malerei und Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München und der Internet: www.schleiner.de S.A.S. 2011 (Computer rendering by Fixion): Kober, Leipzig: S. 9 u. • Punctum / Stefan Vertrieb E-Mail: [email protected] S. 42 o.r. • atelier42 visuelle kommunikation, Hoyer, Leipzig: S. 2 / 3, 9 o., 11 o., 32 / 33 Stiftung Haus der Geschichte Académie des Beaux-Arts in Charleroi (Belgien) seit 1988 als Karikaturist. Er ist unter Halle / Saale: Titel (Schriftzug), S. 5 o.M. (Hintergrund), 33 M. und u.r. • Schmidt, der Bundesrepublik Deutschland anderem für die , das , den , im Auftrag der • Berliner Zeitung: S. 40 o. • BILD: S. 14 o.r. Carola: S. 24/25 • SCHWIND‘ Agentur für Süddeutsche Zeitung Handelsblatt General-Anzeiger Bonn Stiftung Haus der Geschichte und u.l., 15 o. r. und u.r. • BUNTE: S. 13 Zukunftskommunikation, Bonn: S. 5 o.r. Nachdruck und auszugsweise Verwen­dung, die Stuttgarter Zeitung, die Neue Osnabrücker Zeitung, die Sächsische Zeitung sowie der Bundesrepublik Deutschland • BÜRO WEISS, Christoph Bebermeier, und u.l. und M. • Smetek, Wieslaw, auch für elektronische Zwecke, ist nur mit Museumsmeile Berlin: S. 5 o.l. • ©DEFA-Stiftung: S. 34 / 35 u. Hamburg: S. 12 / 13 • ©DER SPIEGEL ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung die Zeitschrift Cicero tätig. Der Künstler lebt und arbeitet in Königswinter. Willy-Brandt-Allee 14 • dpa: S. 42 l. • facebook Inc.: S. 30 r. 42 / 2010: S. 14 o.l. • Stiftung Haus der der Heraus­geber gestattet. Für unverlangt 53113 Bonn • Fotolia/ Sandy Schulze: Titel (Hintergrund) Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- eingesandte Manu­skripte und Originale Internet: www.hdg.de • Frommann-Czernik, Barbara, Bonn: S. 37 r. land, Berlin: S. 5 u.r. • Stiftung Haus der übernehmen die Heraus­geber keine Haftung. • GLÜCKLICHER MONTAG / Sandra Strauß: Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- Die nächste Ausgabe erscheint am 27. Mai 2015. > www.hdg.de unter: Sammlungen / Karikaturengalerie Redaktion S. 34 l. • Golden Girls Filmproduction & land / Franziska Gottschling, Berlin: S. 31, Auflage 10.000 Dr. Ulrike Zander Filmservices GmbH: S. 35 r. • Hellenkamp, 34 u. M. • Stiftung Haus der Geschichte ISSN 1610-3556 Michael Schleiner (S+P, V.i.S.d.P.) Frank: S. 26 • Jazzfest Bonn: S. 44 • Kura- der Bundesrepublik Deutschland / Burkhard torium Unteilbares Deutschland: S. 30 l. Mohr: S. 43 • Stiftung Haus der Geschichte Internet • LWL -Museum Münster / Christian Richters: der Bundesrepublik Deutschland, Objekt- www.museumsmagazin.com 42 museumsmagazin 1.2015 museumsmagazin 1.2015 43 JfB15_HdG_A4.indd 1 Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch Schirmherr:

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