Aus Roter Dämmerung Verlag Der I

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Aus Roter Dämmerung Verlag Der I Aus roter Dämmerung Verlag der I. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und Berlin Carl Worms: Du bist mein, Ein Zeitroman Geheftet M. 4 — In Leinenband SDt. s.— $fyOttt5 friert. Roman aus der Gegenwart. 2. Auslage Geheftet M 4.— In Leinenband M, s.— Die Stillen im £(ttlbc. Drei Erzählungen aus dem Winkel Inhalt: Unser Kind — FiniS Poloniae — Sonnenbrüder Geheftet M. 3.— In Leinenband M, 4 — Erdkinder. Roman 3. Auflage Geheftet M. 3.so In Leinenband M. 4.so Überschwemmung, eine baltische Geschichte, 2. Auflage Geheftet M. 2.so In Leinenband M, 3.so Aus roter Dämmerung. Baltische Skizzen Inhalt: Ich bleibe — Die Mutter — Prinz Erich — Der große Hintergrund — Ter Seelenretter — Ein krankes Mädchen Gehestet M. 2.so In Leinenband M 3.so Aus roter Dämmerung Baltische Skizzen von Carl Worms i Stuttgart und Berlin 1906 I. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger Alle Rechte vorbehalten Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschast in Stuttgart Inhalt Seite Ich bleibe 7 Die Mutter 27 Prinz Erich 35 Der große Hintergrund 101 Der Seelenretter 109 Ein krankes Mädchen 179 Ich bleibe I ^urch die Ostseelande ritt der Tod, ein Menschen- fchickfal war für einen Pfifferling feil und so viele Lebens- lichter wurden ausgeblasen, daß es düster im Lande wurde wie unter dicht verästelten Waldbäumen in der Zeit zwischen zwei Blitzen. Das war im Jahre 1560, in den Mittfasten. Der Moskowiter hatte im Lande gehaust und die Tatem von Kasan dazu, die Wölfe auf der Jagdspur des Bären, um die Wette hatten sie ge- säckt und gepfählt. — Schlauer aber als beide war der Fuchs mit eingezogener Rute ihnen nachgeschlichen, der Undeutsche im eignen Lande, der es zuerst gegen den Reußen, dann aber mit ihm gehalten hatte. Nun tötete und stahl er, was die aus der Moskau den Deutschen noch nicht getötet uud gestohlen hatten. Statt roter Espenblätter — Blutstropfen im Moose, statt der Sternschnuppen fallende Feuerfunken, zuckender Brandschein am Horizont statt des Sonnenunterganges. Die Flüsse trugen langsam sich drehende Leichen, die Gesichter aufwärts, mit ausgehöhlten Augen und ab- geschnittenen Nasen. Denn auch die Weiber der Urt- deutschen hatten nachgeholfen bei Meuchelmord und Leichenschund. 10 Ich bleibe Der Tod ritt durch die Ostseelande. Im hagern, wachsgelben Gesicht stand ihm ein stummes Erbarmen geschrieben, aber die Menschen verstanden es nicht und heulten gegen ihn auf, wenn der Huf seines Falben sie traf. Nicht im Dünensande, nicht auf staubiger Heerstraße hinterließ er eine Spur, als ob er nur auf Nebel und Wolken ritt. Als gepanzerter Ordensritter saß er zu Roß, einsam, groß, um seine Schenkel spielte der weiße Mantel mit dem schwarzen Kreuz. Und vor ihm auf dem Sattel lag die nackte Leiche eines jungen Weibes, rauhen Strohkranz um die Lenden. Schwer wuchtete sein Eisenhandschuh auf ihren Brüsten, die Haarspitzen schleiften im Sande, ihr starrer Blick schien die Mohnblüten zu zählen, die mit aufdringlich roten Augen aus den Ackerfurchen am Wege hervorschauten. Finsternis senkte sich auf den gemordeten Tag, und in ihr lebte nur noch der heisere Schrei lüsterner Nebel- krähen und der Lockruf ranzender Wölfe. Aufseufzeud nahm der Forst den stillen Reiter in seine entweihten Schatten auf. Hand hob sich wider Hand, Faust stritt wider Faust. Es waren im Lande mehr Parteien als Zwetschen am Baum im fruchtbarsten Herbst. Mehr als Gebet und Treueid galten Kraut und Lot. Und es geschah eine Flucht, wie noch keine gewesen war, durch Brache und Busch, schneller als der Zug fortziehender Wildschwäne über Föhrenkronen. In den Komtureieu, in Domherrn- Häusern und festen Edelhösen der Stiftsritter bargen sich die einen, andere verschanzten sich im Hakelwerk steingrauer Ordensburgen, und nicht als die letzten zogen Ich bleibe 11 andere noch weiter über Land. Sicheres Logement wurde immer seltener zwischen Peipus und Baltenmeer. Hatte der Bauer jüngst noch am Steigbügel der Tatern das Laufen gelernt, jetzt nach ihrem Abzug wurde er ein Hakenschütz im Graben sonder Furcht und ein Stegreifritter sonder Tadel auf gestohlenem Gaul. — Da war am Rande des Wildmoors eine deutsche Siedlung, so recht eingewiegt vom Rauschen uner- forschten Ursorstes, worin die Wildkatze noch blutdürstig umherbirschte. Aber die Waldmauer war zurückge- wichen vor Obstbäumen und entwässerten Roggenfeldern. Eine Schmiede glühte aus stiller Tannennacht hervor, über dem Backsteinbau einer kleinen Kirche kreiste der Storch. Und da war, außerhalb der Dorfgemarkung, fern von den Hütten der Undeutschen, ein trotziger, spitzer Palissadenzaun und dahinter das Waldhaus des deut- scheu Wildnisbereiters, von Hopfenranken zugedeckt. Braun und straff war der Mann, bis zum Leibgurt reichte sein leicht ergrauter Bart, und ein dröhnendes Lachen trug er in sich, daß der Häher verstummte, wenn es unter den hundertjährigen Wipfeln zu hören war. Schob er seinem Pferde die Trense ins Maul, so hielt es zitternd still, und trieb er den Bolzen in den Lauf seiner Armbrust, so mußte ein Waldtier wohl daran glauben. Und da war eine deutsche Mutter, breithüftig und herb, die nahm vom Leben mit, was sie vom Leben zu fordern hatte. Sechs Buben hatte sie ihm geboren, der jüngste war sechs Jahre alt. Dem war die Sonne Nährerin und Wartsrau gewesen und für das Wiegenlied 12 Ich bleibe mußte die Singdrossel sorgen. Denn die Mutter mußte helfen im Kampf mit widerspenstigem Ackerboden, Raub- tieren und feindlichen Nachbarn. Das Faustrohr wußte sie so sicher zu handhaben, wie beim Ausschneiden der Waben das Messer im Honigbaum. Nur wenn die Knaben zu ungebärdig wurden, holte sie die Haselrute hervor und hielt deutsche Zucht aufrecht zwischen vier deutschen Wänden. Das schrittweise Erobern des Bodens, die häufigen Geburten gaben ihr ein Herrenrecht im Hause, ein trotziges Übergewicht über ihre Umgebung. Unter blühenden Obstbäumen schritt sie dem Frühling entgegen wie eine Königin, ein unsichtbares Diadem im dunkeln Haar. Den Undeutschen ging sie grüßend über den Weg, ohne je zu vergessen, woher sie stammte. Nun war das Notstandsjahr da. Es war die Zeit, wo sonst die Junker Reiher und Kranich beizten, jetzt aber hatte das Wild keine Sorge und Gefährde. Denn im Walde erwachte unheimliches Leben besonderer Art. Der Herbststurm schaukelte Meu- schenleiber an den Bäumen, mit bläulichen Lippen grinsten die Toten noch den kommenden Winter an. Verdrossen sein Rüstzeug putzend, saß der Wildnisbereiter am Herdfeuer bei seinem Weibe. Die Knaben schliefen in der Kammer. Ein Waldkauz schrie vor dem er- leuchteten Fenster. Der Mann horchte auf und zog die buschigen Brauen hoch. „Niemals im Herbst," sagte er halblaut, „hörte ich das Leichenhuhn noch so kurz vor Mondaufgang. Und auf den Kiefern haben die Hexenbesen zu reichlich an­ Ich bleibe 13 gesetzt. Das kann Fäulnis im Holzstand geben, Fäulnis im Lande. „Bist abergläubisch, hast du Angst?" Sie sprach es spöttisch vor sich hin, aber ihrer Stimme fehlte der Klang. Auch sie horchte auf den Wehlaut des Bogels. Zornig warf er den Kopf zurück und sah von seinem Schemel auf. Fest und lang sah er ihr ins Ge- sicht, von unten herauf. Durch die halb offene Tür drang das verträumte Sachen eines ihrer Kinder. Da blitzten ihre Augen in die seinen hinein, sie beugte sich herab und zauste sein graues Haar. Sie wollte ihn so rauh, wie er war. „Unser Bischof ist ein vorsichtiger Herr," rief er mit kurzem Lachen. „Als ich ihm den Bienenzins brachte, meinte er, die Weiber und Kinder sollten hinter Mauer und Verhau. Unterwegs traf ich auf einen reisigen Zug in Helm und Krebs. Sie sagten, der Herrmeister ziehe sein Aufgebot au die Grenze heran." „Sind wir der Junker Soldreiter oder des Ordens Pflichtverwandte? Müssen deine Söhne hinter dem Kalbsfell herlaufen? Ihren Grund und Boden sollen sie verteidigen, er hat eiu Recht an Schutz und Schirm." „Und wenn die Undeutschen in hellem Haufen über uns kommen?" „Dann der vorletzte Schuß für mich, der letzte für dich, und die Rache für unsere Brut. Ich bleibe." Stumm zog er sein tapferes Weib zu sich heran. Der warme Schein des knisternden Kohlenhaufens lag auf ihren Wangen uud der Mond, der durch die Flurtür lugte, streifte seine sehnige Gestalt. Er hatte sich an 14 Ich bleibe den Gedanken gewöhnt, daß die Zeit heimlichen Liebe­ lebens vorübergehe. Aber eine wilde Zärtlichkeit faßte ihn nun, daß er ihr danken mußte für seine Kinder und für all das Verschwiegeue Glück. Über sie geneigt sprach er leise weiter an ihrem Ohr. Aber sie schüttelte den Kopf: „Noch nicht, noch nicht. Eins will ich dir noch schenken, ein Notstandskind, und ein Knabe sollte es sein. Wir haben Kinder nötig. Sie mögen uns erinnern an all die Pein, welche wir um die neue Heimat erdulden müssen. Sie sollen ernten, was wir säten." Hoch ausgerichtet stand sie im kalten Schein des erdfernen Mondes, aber ihr Auge hatte Wärme und Glanz, daß er staunen mußte. Er sah sie wieder jung wie damals, als er ihr den Gürtel löste, schimmernd von bläulichem Stahl. Ein roter Glasstein hatte zwi- sehen den Falten ihres weißen Gewandes gefunkelt. Stumm löschte er das Feuer und folgte ihr. Vor dem Kammerfenster stand eine Silberweide, so ganz in Mondlicht getaucht, daß auch die andere Seite ihrer spitzen Blätter wie Silber glänzte. Und sie hielt inne mitten in leisem Rauschen. Auch der Kauz schrie nicht mehr. II Auf weichen Sohlen schritt von nun an durch das weltferne Siedlerhaus jener keusche, unsagbar zärtliche Reiz, der solch einem Spätling voranzugehen pflegt. Das ist ein wortloses Blicken, ein stilles Sichfreuen sicheren Besitzes und zuletzt doch immer das stolze Glücksgefühl Ich bleibe 15 zweier Menschen, weil sie ihre Jugend noch mit starken Armen halten können. Der Winter zog seine weißen, weichen Flockenschleier vom tiefgrünen Nadelwalde, die Schneeschmelze ver- wandelte das Moor in einen aufgeregten, sturmgetrosse- nen See. Der Frühling, die Segenszeit des Keimens, brach über erstaunte Menschen und die gebärende, fruchttragende Erde herein. „Wißt ihr's schon?" fragte die deutsche Mutter ver- stöhlen, prüfte die geschwollenen Knospen am Birnbaum und legte sie an ihre Wange. „Wißt ihr?" Und sie beugte sich zu den gelbweißen Spitzen auf den braunen Gartenbeeten herab.
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