Konrad Adenauer Und Seine Zeit
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Veröffentlichung der Konrad-Adenauer-Stiftung - Archiv für Christlich-Demokratische Politik - Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart Konrad Adenauer und seine Zeit Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers Band II: Beiträge der Wissenschaft Herausgegeben von Dieter Blumenwitz • Klaus Gotto • Hans Maier Konrad Repgen • Hans-Peter Schwarz Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart ISBN 3-421-01778-6 © 1976 Deutsche Verlags-Anstalt GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: Druckerei Georg Appl, Wemding Printed in Germany Inhalt Vorwort 9 Vorskizze 2 (1961 - 1962) zum Adenauer-Porträt von Ernst Günter Hansing 11 INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN IN DER ÄRA ADENAUER Klaus Schwabe Konrad Adenauer und die Aufrüstung der Bundesrepublik (1949 bis 1955) 15 Thilo Vogelsang Großbritanniens Politik zwischen Mendes-France und Adenauer im August/September 1954 37 Lothar Ruehl Adenauers Politik und das Atlantische Bündnis - eine schwierige Balance zwischen Paris und Washington 53 Helga Haftendorn Adenauer und die Europäische Sicherheit 92 Andreas Hillgruber Adenauer und die Stalin-Note vom 10. März 1952 111 Rainer Salzmann Adenauers Moskaureise in sowjetischer Sicht r 131 Dieter Blumenwitz Der Adenauer-Bulganin-Brief und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjet• union 160 Boris Meissner Adenauer und die Sowjetunion von 1955 bis 1959 192 Peter H. Merkl Das Adenauer-Bild in der öffentlichen Meinung der USA (1949 bis 1955) 220 Dieter Oberndörfer John Foster Dulles und Konrad Adenauer 229 Thomas Jansen Die Entstehung des deutsch-französischen Vertrages vom 22. Januar 1963 249 DAS POLITISCHE SYSTEM DER BUNDESREPUBLIK IN DER ÄRA ADENAUER Rudolf Wildenmann Die soziale Basis der Herrschaft Konrad Adenauers 275 Werner Kaltefleiter Die Entwicklung des deutschen Parteiensystems in der Ära Adenauer . 285 Konrad Repgen Finis Germaniae: Untergang Deutschlands durch einen SPD-Wahlsieg 1957? 294 Klaus Gotto Der Versuch einer Großen Koalition 1962 316 Hans Buchheim Die Richtlinienkompetenz unter der Kanzlerschaft Konrad Adenauers . 339 Dolf Sternberger Erprobung der Staatsorgane 352 Alexander Hollerbach Zur Entstehungsgeschichte der staatskirchenrechtlichen Artikel des Grundgesetzes 367 Wilhelm Henle Die Ordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern 25 Jahre Bundesf inanzgeschichte 383 Dieter Mahncke Adenauer und die Hauptstadt Berlin: Das Verhältnis Berlins zum Bund 1949 bis 1956 402 Wolfgang Jäger Adenauers Einwirkung auf die programmatische Entwicklung der CDU 1945 bis 1949 in der Frage der Wirtschaftsordnung 427 Heinz Hurten Die Frankfurter Hefte und Konrad Adenauer 453 Hans Günter Höchens Adenauer als Sozialpolitiker 466 Karl Forster Deutscher Katholizismus in der Adenauer-Ära 488 DAS BILD ADENAUERS HEUTE Elisabeth Noelle-Newnann Die Verklärung Adenauer und die öffentliche Meinung 1949 bis 1976 523 Werner Weidenfeld Konrad Adenauer - im Vorurteil der Zeitgenossen und im Urteil der Geschichte 555 Golo Mann Konrad Adenauer - gewandeltes Bild? 576 Hans-Peter Schwarz Der unbekannte Adenauer Einige Aufgaben künftiger Forschung 589 Abkürzungsverzeichnis 611 Personenregister 613 Sachregister 625 Herausgeber-und Autorenverzeichnis 707 HANS GÜNTER HOCKERTS Adenauer als Sozialpolitiker I. Primat der Außenpolitik? Folgt man einer verbreiteten Ansicht, so war der erste Bundeskanzler ,,an Wirtschafts- und Sozialpolitik desinteressiert" (W. Hennis). ,,Er dachte in außenpolitischen Maßstäben und ordnete ihnen die innenpolitischen Aufgaben durchaus unter", so lautet eine Bilanz (F. Messerschmid), die sich durch eher vorsichtige Formulierung von einer Vielzahl weit schärfer pointierter Urteile (z. B. Th. Sonnemann) absetzt. Sein britischer Biograph T. Prittie spricht von einem „Mangel an Interesse und Tatkraft", den Adenauer ,,generell auf sozial• politischem Gebiet an den Tag" gelegt habe. Der absolute Vorrang des außen• politischen Interesses, so sieht es K. D. Bracher, habe es dem Kanzler „offenbar unmöglich" gemacht, ,,seine starke Position für eine weiterblickende Innen- und Sozialpolitik einzusetzen". Das Paket versäumter gesellschaftspolitischer Reformen in der Erbschaft der Adenauer-Regierung betrachtet H.-D. Ortlieb als einen Sprengsatz, der Ende der sechziger Jahre, von der studentischen Protestbewegung mit Lunte versehen, unter gefährlichen Stoß Wirkungen de• toniert sei - ohne übrigens zu fragen, ob die internationale Dimension der Protestbewegung diese Reduktion auf nationale Wirkfaktoren nicht von vorn• herein fragwürdig macht. Da Adenauer ,,als einziger genügend Autorität besessen" habe, um dieser Entwicklung entgegenzutreten, weist Ortlieb ihm ein gerüttelt Maß persönlichen politischen Versagens zu1. Nun ist unbestritten, daß Adenauer die Zügel der Außenpolitik fest in der Hand gehalten hat. Dies gilt zumal für die Anfangsjahre, als er in Personalunion die Ämter des Kanzlers und Außenministers bekleidete (1951-1955). Als Außen• minister trat er erst ab, als mit der Ratifizierung der Pariser Verträge der wichtigste Abschnitt seines außenpolitischen Konzepts realisiert war: Über• windung des Besatzungsstatuts und Einbindung des souveränen westdeut• schen Staates in die westeuropäische Union und den Nordatlantik-Pakt. Es wird eine These der folgenden Ausführungen sein, daß Adenauer diese außen• politische Grundlegung des westdeutschen Staates durch eine komplementäre sozialpolitische Grundlegung zu ergänzen versucht hat. Gleichwohl blieb der Zwang, auf Veränderungen im internationalen System einzuwirken und zu reagieren, ständig eine mächtige Triebfeder seines politischen Handelns: vor allem die Sorge, daß die Bundesrepublik als Opfer eines Arrangements zwi• schen den USA und der Sowjetunion in die russische Einflußsphäre geraten könnte; und gegen Ende seiner Kanzlerschaft traten Planungen und Sondierun• gen hinzu, wie durch eventuelle Bereitschaft zu völkerrechtlicher Anerken• nung der DDR neuen Realitäten auf eine Weise Rechnung getragen werden könne, die die Gegenseite zu rechtlich abgesicherten politischen und humanitä• ren Konzessionen zwingen würde2. Adenauer als Sozialpolitiker 467 Der hohe Stellenwert der Außenpolitik in Adenauers politischer Gesamtlei• stung steht also nicht in Frage; um so weniger, als die existentiellen Folgewir• kungen außenpolitischer Entscheidungen auch auf Seiten der sozialdemokrati• schen Opposition als vorrangig eingeschätzt wurden - so vorrangig, daß die Außenpolitik unter dem Einfluß Kurt Schumachers „zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie einen Rang erhielt, den man als Primat bezeichnen kann'0. Ähnlich wie dem Kanzler hat dies seinem großen Gegenspieler Schumacher den Vorwurf eingetragen, daß er die Wirtschafts• und Sozialpolitik gegenüber der Außen- und Wiedervereinigungspolitik als bloßes „Anhängsel" betrachtet habe4. Freilich: ob gegen Adenauer oder gegen Schumacher gewendet, in jedem Fall übersieht der Vorwurf überbetonter Außen- und vernachlässigter Innenpolitik, daß zwischen beiden Politik-Feldern ein unauflöslicher Zusammenhang be• steht - zumal in einer Zeit, in der sich „Außenpolitik als Gegensatz innenpoliti• scher, sozialökonomischer Prinzipien bietet und zur Blockbildung eben solcher Prinzipien tendiert"5. Sowohl für den Kanzler wie für den Oppositionsführer stand außer Frage, daß mit der Festlegung außenpolitischer Rahmenbedingun• gen zugleich eine fundamentale Vorentscheidung über Form und Stabilität der inneren Ordnung getroffen werde. Erst diese Dimension hat den außenpoliti• schen Richtungskämpfen zwischen Regierung und Opposition jene kompro• mißlose Härte und leidenschaftliche Intensität gegeben, die als „Primat der Außenpolitik" oder „Desinteresse an Innenpolitik" zu interpretieren, irrefüh• rend wäre. So war Adenauers Kampf um Eingliederung der Bundesrepublik in den wirtschaftlich-militärisch-politischen West-Block unter Prädominanz der USA zugleich Teil der Durchsetzung einer liberalkonservativ-privatwirt• schaftlichen Gesellschaftsordnung; umgekehrt sah die Opposition in eben die• ser Eingliederung eine entscheidende Schwächung der Chancen für eine soziali• stische Umgestaltung Deutschlands. Es bestätigt diesen Zusammenhang, daß die Verfechter „antikapitalistischer Strukturreformen" in der heutigen Bun• desrepublik die außenpolitischen Grundentscheidungen der Adenauer-Ära, insbesondere die Einbindung in die westliche Militärallianz, auch deshalb zu revidieren suchen, um sich einer „lästigen Fessel der innenpolitischen Gestal• tungsfreiheit" zu entledigen6. Adenauers Außenpolitik kann also ohne die zumindest hypothetische Annah• me eines Interesses an der inneren Struktur der Bundesrepublik nicht gedacht werden. Im folgenden wird geprüft, inwieweit sich dieses Interesse in einem der zentralen Handlungsbereiche des modernen Staates - der Politik sozialer Sicherung - manifestiert hat. Dabei geht es zunächst einmal um den Versuch, ein Stück empirisch gesicherten Bodens zu gewinnen. Dieser fehlt bisher nahezu ganz, weil die Adenauer-Forschung sich bisher viel mehr als Adenauer selbst dem „Primat der Außenpolitik" gebeugt hat. II. Methodische Vorbemerkung Die Untersuchung hat davon auszugehen, daß es keinen von Adenauer verfaß• ten oder autorisierten Text gibt, der als Generalschlüssel für seine sozialpoliti• sche Gedankenwelt genutzt werden kann. Für die Außenpolitik hat sich sein - 468 Hans Günter Hockerts unabgeschlossenes - Memoirenwerk als ein solcher Schlüssel erwiesen. Innen- und Sozialpolitik finden dort nur beiläufig Erwähnung, was übrigens nicht als Beweis des Desinteresses gewertet werden kann, denn ein innenpolitischer