Deutschland

ABGEORDNETE „Das gibt Krieg“ Das innerparteiliche Gerangel um aussichtsreiche Startpositionen für die Bundestagswahl 2002 hat begonnen. Weil das Parlament schrumpft, toben die Machtkämpfe besonders heftig. igentlich haben die in Kassel allen im gleichen Maße. Als Faustregel gilt: Eine Aus seiner Sicht geht die im Februar 1998 Grund, stolz auf ihren Hans zu sein. Position weit vorn auf einer Landesliste ist beschlossene Verkleinerung zu weit: „Für EHat sich doch einer von ihnen, ein der Königsweg in den kleinen Parteien. In die Arbeit in Berlin sind die 598 Leute spröder Nordhesse, im Computer-Tempo den großen richten sich dagegen die Be- wahrscheinlich genug, aber in den neuen vom Buchhaltertyp zum weltweit geach- gehrlichkeiten zuerst auf einen Wahlkreis. Ländern verschwindet ein wichtiges Stück teten Finanzpolitiker emporgerechnet. Pech für die Aspiranten, wenn jetzt ein politischer Repräsentanz vor Ort.“ Doch in Berlin oder sonst wo mag Hans Revier wegfällt – wie in Frankfurt am Main. Gleich 4 ihrer bisher 21 Direktmandate Eichel reüssieren, wie er will, daheim in In der Hessen-Metropole werden aus drei büßen die Sachsen ein. Im schwarzen Erz- Kassel heißt der siegreiche Volksvertreter Wahlkreisen zwei, und schon prallen die gebirge muss deshalb der Ingenieur Gün- Gerhard Rübenkönig. Als dem direkt ge- Kandidaten parteiintern aufeinander. So- ter Baumann gegen seinen Unionsfreund wohl die SPD-Abgeordnete Gud- und Berufskollegen Wolfgang Dehnel an- run Schaich-Walch als auch ihr treten. Dehnel, der schon dem ersten ge- Kollege Klaus Wiesehügel fordern samtdeutschen 1990 angehörte, den neuen Wahlbezirk Frankfurt hat zwar ältere Rechte. Aber Baumann I, der große Teile ihrer bisherigen zeigt sich kämpferisch. „Man hat mich ge- Territorien umfasst, für sich. rufen, da kann ich jetzt beim besten Willen Gute Gründe haben beide, sie nicht aufhören“, betont er. Außerdem habe spielen politisch in der ersten er 1998 ohne Not den Posten als Bürger- Liga. Schaich-Walch amtiert seit meister seines Heimatstädtchens Jöhstadt der Kabinettsumbildung vom Ja- aufgegeben. nuar als Parlamentarische Staats- Um eine diskrete Einigung sind die sekretärin im Gesundheitsminis- CDU-Promis in der sächsischen Landes- terium. Wiesehügel repräsentiert hauptstadt bemüht. Weil ein Wahlbezirk als Bundesvorsitzender der Bau- im Dresdner Umland aufgeteilt wird, rich- gewerkschaft starke Kräfte des lin- ten sich die begehrlichen Blicke des Abge- ken Parteiflügels. Führende So- ordneten Rainer Jork auf das Territorium zialdemokraten haben den Ge- seines Dresdner Nachbarn . werkschafter erst 1998 für den Um offenen Streit zu vermeiden, sagt der

DEUTSCHER BUNDESTAG (l.); N. MICHALKE BUNDESTAG DEUTSCHER Bundestag angeworben. „Nun ehemalige sächsische Umweltminister und SPD-Kontrahenten Rübenkönig, Eichel: „Ich trete an“ lasse ich mich nicht einfach weg- führende Reformer der Ost-Union Vaatz, schicken“, bollert Wiesehügel. habe er mit Jork „strenges Stillschweigen wählten SPD-Bundestagsabgeordneten zu Schaich-Walch kontert: „Das gibt Krieg.“ über diese Angelegenheit“ vereinbart. Ohren kam, der Minister wolle ihm seinen Fast die Hälfte der jetzt Wahlkreis abluchsen, schaltete Rübenkönig entfallenden Wahlkreise geht auf stur: „Ich trete 2002 wieder an.“ in den neuen Ländern verlo- Es ist Wahlkampfzeit. Überall in ren. Das liegt daran, dass die Deutschland sind innerparteiliche Macht- Anzahl der Einwohner mit kämpfe um chancenreiche Kandidaten- deutschem Pass die wichtigs- plätze für den nächsten Bundestag ent- te Kennziffer bei der politi- brannt. Wer vom Herbst kommenden Jah- schen Revierbildung ist. Der res an Strippen und Strippchen im Berliner bundesweite Durchschnitts- Reichstag ziehen darf, wird vielerorts wert von 250000 Staatsbür- schon heute ausgekungelt. gern pro Bezirk darf um Die vor jeder Wahl üblichen Rangeleien höchstens 25 Prozent über- beginnen diesmal besonders früh und bein- oder unterschritten werden. hart, weil sich das Parlament eine frei- Weil die ostdeutsche Bevöl- willige Schrumpfkur verordnet hat. Der kerung schrumpft, muss sich nächste Deutsche Bundestag wird deutlich auch die Anzahl ihrer Volks- kleiner sein als seine Vorgänger: Die An- vertreter verringern. zahl der Volksvertreter soll, so haben es die Der baden-württembergi- Abgeordneten noch zu Zeiten der Regie- sche SPD-Abgeordnete Ha- rung von Kanzler beschlos- rald Friese, der die neue po- sen, von 656 auf 598 zurückgehen. litische Landkarte mitgestal- Auf beiden Wegen, die ins Hohe Haus tet hat, sieht im Osten nun führen, ist deshalb das Gedrängel so dicht „brutale Konsequenzen“. wie lange nicht mehr. Nicht nur die Anzahl der Wahlkreise schrumpft um neun Pro- Plenarsitzung im Reichstag zent, auch die Listenplätze verringern sich „Man hat mich gerufen“

28 der spiegel 16/2001 Im benachbarten Thüringen rasseln die SPD-Abgeordneten aus Weimar und aus Jena aneinander, weil ihre Bezirke zwangs- vereinigt werden. Der Weimarer Theologe Edelbert Richter will nur dann zurückzie- Falscher Elan hen, „wenn wir in irgendeiner Weise ei- nen Ersatz für mich finden“. Die Fronten Die SPD wirbt für eine Verlängerung der Legislaturperiode des sind für Richter klar: Sein Konkurrent, der Bundestags auf fünf Jahre. thüringische SPD-Chef Christoph Mat- schie, werde „eher den Landesvorsitz auf- er Aufrührer war längst in „Das tatsächliche Problem wird in geben als das Bundestagsmandat“. den Osterurlaub entschwunden, dieser Diskussion nicht einmal gestreift: Auch für die Grünen, die mit den DDR- Dals die Parteien erkannten, Der Wähler hat in unserer Zuschauer- Bürgerrechtlern vom Bündnis 90 fusioniert dass er ihnen ein dickes Ei ins Nest demokratie sowieso viel zu wenig zu haben, wird künftig höchstens noch eine gelegt hatte. „Ein wichtiges Vorha- sagen, und jetzt soll er auch noch sel- Hand voll Ostdeutscher nach Berlin ziehen. ben ist die Verlängerung der Wahl- tener sein Parlament wählen dürfen“, Bundesschatzmeister Dietmar Strehl hat periode des Deutschen Bundestags stichelt der Verwaltungsrechtler und schon verschiedene Szenarien ausgetüftelt, auf fünf Jahre“, beschied der Chef Parteienkritiker Hans Herbert von welche Wahlergebnisse 2002 wie viele Man- der SPD-Fraktion im Bundestag, Pe- Arnim. date über die Landeslisten einbringen. ter Struck, die Vorsitzenden der ande- Zwar hält auch Arnim eine Verlän- Würde etwa das Ergebnis der Bundes- ren Parlamentsfraktionen zu Beginn gerung der Wahlperiode im Grunde für tagswahl 1998 exakt wiederholt (Grüne bei der Karwoche. Zugleich forderte er sinnvoll. Aber nicht als ersten Reform- 6,7 Prozent), verlöre die Ökopartei insge- die Kollegen zu einem Gedanken- schritt. Denn der stärke allein die poli- samt zwar lediglich 4 ihrer bisher 47 Sitze. austausch in dieser Sache „Anfang tische Klasse, nicht aber die Macht der Aber: Bis auf ein sicheres Mandat aus Sach- Mai“ auf. Bürger. Zunächst, fordert Arnim, soll- sen wären die vier weiteren ostdeutschen Damit alle kapierten, wie man risi- ten die Parteien ihre intern erstellten Listenplätze nur knapp bestätigt. Ein deut- kolos mehr Demokratie wagt, legte Kandidatenlisten für die Bundestags- licher Zuwachs der PDS zu Lasten der Grü- Struck seinem Brief den Beschluss des wahl in den einzelnen Bundesländern nen würde 2002 diese Posten auffressen. SPD-Parteivorstands zum „Ausbau der abschaffen. Besorgte grüne Mandatsträger aus der Beteiligungsrechte“ der Bürger bei – Seit Jahrzehnten klagen Politiker wie ganzen Republik haben sich bereits infor- als hätten die anderen nicht alle selbst die Bundespräsidenten Richard von mieren lassen, wie ihre Chancen stehen. In solche Papiere. Weizsäcker und sein Nachfolger Ro- dem aktuellen Strehl-Szenario, das auf Strucks Vorschlag klingt revolu- man Herzog, die Hinterzimmer-Kun- Umfragedaten vom vergangenen Monat tionärer, als er ist: 11 von 16 Bun- geleien bei der Vorauswahl der Volks- beruht (Grüne bei 6,5 Prozent), erzielt die desländern wählen bereits im Fünf- vertreter, die über die Landeslisten und kleine Regierungspartei nur noch 41 Sitze. Jahre-Rhythmus. Und das Europa- nicht über ein Direktmandat ins Parla- Besonders hart umkämpft sind die aus- parlament amtiert seit 1979 jeweils für ment einrücken, beeinträchtigten die sichtsreichen Positionen für grüne Männer diese Zeitspanne. Bürger in ihrer Möglichkeit, das ge- Die Begründung für die wünschte politische Personal direkt längere Legislaturperiode auszusuchen. Schlankheitskur fürs Parlament leuchtet ein: Sie biete Doch daran wollen die Sozialdemo- WAHLKREISE MANDATE mehr Zeit für effektive, kraten bisher so wenig ändern wie alle 1987 – letzte nicht vom scheelen Blick anderen Parteien. Und vom Kumulie- Bundestagswahl vor der 248 518* auf die nächste Wahl ge- ren und Panaschieren – jener kompli- Wiedervereinigung trübte Arbeit. Warum also zierten Wahltechnik, die es dem nicht auf Bundesebene? Wähler erlaubt, von den Listen abzu- Eigentlich ist auch die weichen – ist in Strucks Vorstoß schon 1998 – gesamtdeutsche * Bundestagswahl 328 656 CDU dafür, will es jetzt gar nicht die Rede. nur nicht so recht beken- Dabei haben einige Länder den nen. Generalsekretär Lau- Wählern längst eingeräumt, bei Kom- renz Meyer bekundete munalwahlen ihre Stimmen entweder Wahlkreisreform 2002 299 598 „keine grundsätzliche Ab- konzentriert auf einen Kandidaten zu lehnung“ des Struck-Vor- häufeln oder sie nach Gusto auf meh- *ohne Überhangmandate, 1987 mit West-Berliner Abgeordneten schlags. Im Prinzip ja, so rere Listen zu verteilen. die Haltung der Christde- „Wenn es tatsächlich um mehr De- mokraten – aber ohne die von mokratie geht, darum also, politische der SPD gleichzeitig geforderte Erbhöfe abzutragen, hört der Drang Einführung „plebiszitärer Ele- der Parteien regelmäßig auf“, spottet mente auf Bundesebene“, wie Arnim. Struck den Kollegen Fraktions- Ob der Vorstoß des Sozialdemokra- vorsitzenden in seinem Schrei- ten Struck für eine verlängerte Bun- ben vorformulierte. destagsperiode konsensfähig ist, steht Ein solches Junktim wollen dahin: Dafür müsste das Grundgesetz auch der grüne Koalitionspart- geändert werden. Und das geht nur mit ner und die oppositionellen einer Zweidrittelmehrheit im Parla- Freien Demokraten. Kritiker in- ment. So viel Gemeinsamkeit scheint des halten diese Verbindung für vorerst unwahrscheinlich: Im nächsten

H.-G. OED Augenwischerei. Jahr wird gewählt. Rüdiger Scheidges

der spiegel 16/2001 29 C. MATHES / CARO (l.); W. LANGENSTRASSEN (r.) LANGENSTRASSEN (l.); W. / CARO C. MATHES Metzger Schlauch W. SCHUERNG(l.); M.-S. UNGER (r.) W. Özdemir Kuhn Grüne Kontrahenten „Es wird zwei Verlierer geben“ in Baden-Württemberg – denn selbst bei einem guten Wahlergebnis geht ein Platz für sie verloren. Die vier bisherigen männ- lichen Abgeordneten – Rezzo Schlauch, , Cem Özdemir und Os- wald Metzger – streben alle wieder nach Berlin; der aus dem Ländle stammende Bundesvorsitzende Fritz Kuhn will wohl ebenfalls in seiner Heimat kandidieren. Wirtschaftsexperte Metzger, der 1994 und 1998 auf dem künftig fast aussichts- losen Listenplatz acht in den Bundestag einzog, kündigt schon an: „Ich werde dies- mal weiter oben antreten.“ Eine Einigung im Vorfeld hält Metzger für unwahr- scheinlich: „Es wird zwei Verlierer geben.“ Der grüne Jungstar , Parlamentarischer Staatssekretär im Ver- braucherministerium, sieht die kipplige Lage vor allem als Ansporn. Der Hesse ist die Nummer vier auf der Landesliste, eine Position, die 2002 ebenfalls riskant wird. „Fällt der vierte Listenplatz, haben wir eben keine gute Politik gemacht“, sagt Berninger als guter grüner Realissimo. Für Finanzminister Hans Eichel ist der interne Wahlkampf nach den ersten Vor- stößen Richtung Kassel noch nicht been- det. Die SPD-Regularien schreiben vor, dass nur der sich auf der Landesliste absi- chern kann, der auch in einem Wahlkreis kandidiert. Deshalb werde Eichel, sagt des- sen Berater Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, mit dem renitenten Wahlkreis-Inhaber Rübenkönig „noch ein Gespräch führen“. Und wenn das nichts bringe, dann wür- de sich Eichel eben doch oben auf die Liste setzen lassen – auch ohne Wahl- kreis. Die Beschlusslage der SPD, sagt Schmidt-Deguelle, würde „dann eben geändert“. Dietmar Pieper

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