3. Der Bahnbau (1909 œ 1912)

In manchen Veröffentlichungen ist zu lesen, die waren es 100 Meter. In der EBO finden sich da- Strecke Dümpelfeld - Lissendorf - Jünkerath sei rüber hinaus eine Reihe weiterer Vorgaben, die für eine Hauptbahn gewesen, andere sprechen von Haupt- und Nebenbahnen unterschiedlich waren. In einer Nebenbahn. In der offiziellen Mitteilung der § 13 findet man zum Beispiel den Passus, dass Eisenbahndirektionen Köln und Saarbrücken zur ‚Kreuzungen von Hauptbahnen mit anderen Bah- Eröffnung der Strecke heißt es unter anderem: ‚Am nen in Schienenhöhe… nicht angelegt werden dür- 1. Juli 1912 werden nachstehend genannte normal- fen —, in § 17 heißt es, dass ‚ Abteilungszeichen spurige Bahnstrecken als Nebenbahnen dem Be- (Anmerkung: Kilometersteine) in Abschnitten von triebe übergeben:…— . Danach handelte es sich also 100 m (bei Nebenbahnen von 1000 m) — anzubrin- um eine Nebenbahn. Bei näherem Hinsehen tun gen sind. Die Auflistung der Unterschiede von sich aber Fragen auf. Eine Nebenbahn, die zwei- Haupt- und Nebenbahnen könnte fortgesetzt wer- gleisig ausgebaut wurde und bei der es keine den. schienengleichen Übergänge gab? Das ist doch sehr unwahrscheinlich und dies sind nur zwei Bei- Doch woran machte man zu Beginn des 20. Jahr- spiele dafür, dass die Bezeichnung ‚Nebenbahn— hunderts überhaupt fest, ob eine Strecke als Haupt- für die Ahrstrecke doch mehr als merkwürdig er- oder Nebenbahn gebaut wurde? scheint.

Bild 22: Plan aus der Zeit des Bahnbaus: Längenschnitt im Bereich der Bahnhöfe Kerpen und Walsdorf SAMMLUNG J OACHIM B ECKER

Die Unterscheidung in Haupt- und Nebenbahnen Entscheidend für den Charakter einer Bahnlinie war war notwendig, um einerseits eine hohe Leistungs- zunächst, ob die Bahn einen Bestandteil des Net- fähigkeit der Hauptbahnen sicherzustellen und an- zes für den durchgehenden Verkehr darstellte. dererseits den Bau billiger Nebenbahnen zu ermög- Konnte dies bejaht werden, stand bereits fest, dass lichen, denn die Unterschiede bei Planung und Bau die Strecke nur als Hauptbahn gebaut werden waren erheblich. Die relevanten Vorschriften finden konnte. Doch auch, wenn diese Frage verneint sich in der am 1. Mai 1905 in Kraft getretenen Ei- oder nicht eindeutig beantwortet werden konnte, senbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) und kamen weitere Aspekte zum Tragen. War zum Bei- beziehen sich in der Hauptsache auf Steigungen, spiel durch die Ansiedlung von Industrien oder Radien, Achslasten und natürlich die Spurweite. Schaffung von touristischen Attraktionen künftig ein entsprechend hoher Verkehr zu erwarten oder gab So war die stärkste zulässige Steigung für Haupt- es militärische Aspekte, wurde die Bahn als Haupt- bahnen 1 : 80 (auf 80 Meter Länge höchstens ei- bahn gebaut. Hatte die Bahn jedoch nur eine regio- nen Meter Steigung), bei Nebenbahnen 1:25. Der nale Bedeutung, baute man sie als Nebenbahn. kleinste zulässige Radius durfte bei Hauptbahnen Unter Berücksichtigung aller Aspekte steht eindeu- 300 Meter nicht unterschreiten, bei Nebenbahnen tig fest, dass die Strecke Dümpelfeld - Lissendorf -

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Jünkerath als Hauptbahn gebaut wurde. Sicher ist 3.1 Grund und Boden für die Bahn allerdings auch, dass das Verkehrsaufkommen au-

ßerhalb der Kriegszeiten die Bezeichnung Haupt- Wie bereits erwähnt, mussten die Gemeinden das bahn nicht rechtfertigte. Doch dazu später mehr. für den Bahnbau benötigte Land kostenlos abge- Die erste Vermessung und ungefähre Festlegung ben. Der Fiskus rechtfertigte diese Forderung mit des Verlaufes fand 1906 statt. So einfach, wie sich der Steigerung der Wirtschaftskraft entlang der das liest, waren diese Arbeiten sicherlich nicht, Bahnstrecke, der Wertvermehrung von Grund und denn die Landschaft an der oberen stellte die Boden, besserer Ausbeute von Naturschätzen usw. Planer vor große Herausforderungen. Bei der Pla- All das sollte letztendlich zu einer Erhöhung des nung einer Bahn wie der Ahrstrecke galt es wichti- Wohlstands, zu einer Steigerung des gewerblichen ge Aspekte zu berücksichtigen. Lebens und nicht zuletzt der Steuerkraft in der Re-

gion führen. Wenn man von den Widerständen eini- Neben dem Anfangs- und Endpunkt der Strecke ger weniger Gemeinden absieht, funktionierte die sind natürlich die Orte beziehungsweise die Bahn- kostenlose Abgabe auch überwiegend reibungslos, höfe zu berücksichtigen, die die Strecke berühren denn schließlich hatte man lange auf die Bahn ge- soll. Darüber hinaus spielen aber noch andere Din- wartet und die Vorteile des Bahnbaus auch und ge eine Rolle, zum Beispiel topographische Gege- insbesondere für die Gemeinden lagen auf der benheiten. Es stellten sich viele Fragen: Soll eine Hand. Bereits beim Bahnbau floss Geld in die Ge- Gebirgsformation umfahren werden, ist ein Ein- meindekassen. Bauholz wurde benötigt, Steine, schnitt sinnvoll oder ist ein Tunnel die bessere Lö- Sand, Kies und andere Materialien, die den Ge- sung? Eignet sich das Gebirge überhaupt für den meindegrundstücken entnommen wurden und de- Tunnelbau? Welches ist die kostengünstigste Lö- ren Preise durch den höheren Bedarf zwangsläufig sung? stiegen. Dazu kamen höhere Steuereinnahmen

durch das steigende Einkommen der Menschen in Bachläufe müssen überquert, mögliches Hochwas- der bislang nicht gerade mit Reichtum gesegneten ser berücksichtigt werden und vieles mehr. Manch- Region. Nach dem Bahnbau waren Einnahmen mal ist ein Bach einfach im Weg und so wurde die durch den Fremdenverkehr, die Ansiedlung von Ahr an der Strecke Dümpelfeld - Lissendorf - Jün- Betrieben und die damit verbundenen Gütertrans- kerath gleich an mehreren Stellen einfach verlegt, porte etc. zu erwarten. um Platz für die Bahn zu schaffen.

Bei den Grundstücken, die sich im Privatbesitz be- Auch Straßen und Wege traf diese Maßnahme, sie fanden, lag die Sache anders. Die Eigentümer wur- mussten über-, unterquert oder verlegt werden. Bei den, soweit man sich im Vorfeld nicht einigen konn- all dem galten konsequent die Vorgaben über die te, enteignet und finanziell entschädigt. Der Grund- maximale Steigung und Mindestradien und das erwerb der benötigten Flächen ging auch hier über- alles bei einem notwendigen Platzbedarf für eine wiegend problemlos vonstatten, da man für die ört- zweigleisige Strecke mit ihrer ganzen Infrastruktur. lichen Verhältnisse relativ großzügige Preise zahl-

te. Nur vereinzelt kam es zu gerichtlichen Ausei- Dies detailliert zu planen, war zu Beginn des 20. nandersetzungen. Diese hatten allerdings keine Jahrhunderts keine leichte Aufgabe. Das techni- aufschiebende Wirkung, denn es ging nicht um die sche Büro Karl Sternsdorff in Mainz begann am 1. Frage, ob das Grundstück zur Verfügung gestellt April 1907 mit den genauen Vorarbeiten. Im An- werden musste, sondern darum, in welcher Höhe schluss daran fand die Festlegung der Achse und der Eigentümer entschädigt wurde. Wenn es zu die Aufnahme der Querprofile durch die Königliche höheren Entschädigungen kam, zahlte man diese Eisenbahndirektion Köln statt. im Anschluss an das Gerichtsurteil nach.

Gleichzeitig wurden die Landvermessungen vorge- Dieses Eiltempo führte nicht selten zu Problemen, nommen und die Festlegung der Flächen, die an weil die Grundstücke durch den Bahnbau zum Zeit- den Eisenbahnfiskus übergingen. Damit konnten punkt der Gerichtsverfahren teilweise bereits so die Landkäufe beziehungsweise die Enteignungs- stark verändert worden waren, dass eine gegebe- verfahren beginnen. nenfalls erforderliche zweite Schätzung durch an- dere Sachverständige gar nicht mehr möglich war.

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Bild 23: Einladung des Enteignungskommissars zu einer Eigentümerversammlung in Ahrdorf ERNA L EYENDECKER / S AMMLUNG M ANFRED J EHNEN

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Für den Bereich Ahrdorf sind Prozessakten erhal- Rieder ./. Eisenbahnfiskus ten geblieben, die einen guten Einblick in die Vor- gehensweise bei Enteignungen ermöglichen. Zu- Im vorliegenden Fall ist das dann auch geschehen. nächst wurden die Eigentümer der betroffenen Peter Josef Rieder, ein aufrechter Mann aus Ahr- Grundstücke mit einem Schreiben - wie links im dorf im Kreis Schleiden, wollte sich die aus seiner Bild dargestellt - des so genannten Enteignungs- Sicht zu niedrigen Schätzungen der Grundstücks- kommissars aus Aachen zu einer Versammlung preise nicht gefallen lassen und ging bis zum Ober- geladen. In der Ladung heißt es: landesgericht in Köln. Als der Prozess zu Ende war, waren längst die ersten Züge über die neue ‚In dem zur Enteignung von Grundeigentum für den Bahnstrecke gefahren. Hier die Chronologie der Bau der Eisenbahn von Dümpelfeld nach Lissen- Ereignisse: dorf innerhalb der Gemeinde Ahrdorf eingeleiteten Verfahren habe ich im Auftrag des Königlichen Re- 27.06.1910: gierungspräsidenten in Aachen zur Verhandlung gemäß §§ 25 ff. des Enteignungsgesetzes vom 11. Der Enteignungskommissar lädt zu einem Termin Juni 1874 (Vorbereitung der Entschädigungsfest- zwecks Vorbereitung der Entschädigungsfeststel- stellung) den Termin anberaumt auf Freitag, den 8. lung ein. Der Termin ist für den 8. Juli 1910, 09:30 Juli 1910, vormittags ² 10 Uhr in Ahrdorf in der Uhr, anberaumt. Ort der Handlung ist die Gastwirt- Gastwirtschaft Romes. Jeder beteiligte Grundei- schaft Romes in Ahrdorf. gentümer erhält eine besondere Ladung. Alle übri- gen Beteiligten werden hierdurch aufgefordert, ihre 08.07.1910: Rechte im Termin wahrzunehmen. Beim Ausblei- ben der Geladenen wird ohne deren Zutun die Ent- In Ahrdorf finden ‚Abschätzungsverhandlungen— schädigung festgestellt und wegen Auszahlung statt. Daran nehmen die Sachverständigen sowie oder Hinterlegung derselben verfügt werden. Als die Betroffenen teil. Sachverständige sind geladen: Gutsbesitzer Horbach in Richterich 22.07.1910: Oberförster v. Goerschen in Gemünd Steuerinspektor Ruland in Blankenheim Der ‚Entschädigungsfeststellungsbeschluss— wird Es sollen enteignet werden...— . getroffen. Gegen diesen Beschluss, der die Höhe der von der Staatseisenbahnverwaltung zu zahlen- Im Anschluss an diesen Termin wurde die Ent- den Entschädigung festlegt, können die Betroffe- scheidung per Entschädigungsfeststellungsbe- nen binnen drei Tagen Beschwerde einlegen oder schluss schriftlich zugestellt, gegen den die Eigen- innerhalb von sechs Monaten klagen. tümer innerhalb von sechs Monaten Klage erheben konnten. 22.08.1910:

Peter Josef Rieder schreibt eine Beschwerde an den Bezirksausschuss in Aachen zur Weitergabe an den Minister der öffentlichen Arbeiten in Berlin. Darin beklagt er sich über die Höhe der Entschädi- gung und über das Verfahren an sich. Die Sachver- ständigen hätten keine Kenntnis über die örtlichen Verhältnisse gehabt und es habe kein Termin an Ort und Stelle stattgefunden. Außerdem seien die Grundstücke durch den Bahnbau bereits so verän- dert, dass eine Begutachtung sehr schwierig sei. Ein Schreiben fast aller von Enteignung betroffener Eigentümer an den Regierungspräsidenten, in dem Bild 24: Der Verhandlungsort: das Gasthaus Ro- ein weiterer Termin mit ortskundigen Sachverstän- mes in Ahrdorf digen erbeten wird, sei bislang nicht beantwortet SAMMLUNG M ANFRED J EHNEN worden.

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Auch auf dieses Schreiben bekommt Peter Josef 20.12.1910: Rieder keine Antwort. Rechtsanwalt Giesen reicht Klage beim Königlichen 28.08.1910: Landgericht Aachen ein. Statt der angebotenen 3.205,53 Mark verlangt Giesen eine Entschädigung Über 30 Eigentümer schicken ein Schreiben ähnli- von 6.553,28 Mark. In der Klagebegründung wer- chen Inhaltes an den Bezirksausschuss in Aachen. den alle Argumente noch einmal vorgetragen und anstelle der von der Eisenbahnverwaltung in An- 13.09.1910: spruch genommenen Gutachter drei Sachverstän- dige aus der Region vorgeschlagen. Peter Josef Rieder schreibt im Auftrag von insge- samt 33 Eigentümern einen Brief an den Landwirt- 14.01.1911: schaftsminister in Berlin. Darin wiederholt er die angeführten Argumente und bittet den Landwirt- Rechtsanwalt Janssen aus Aachen beantragt, die schaftsminister daran mitzuwirken, dass ein zweiter Klage abzuweisen. Janssen verteidigt die bisheri- Enteignungsfeststellungstermin anberaumt wird. gen Gutachter und die gezahlte Entschädigung und Als Sachverständige sollten die auftreten, die bei lehnt einen der vorgeschlagenen Alternativ- den Begutachtungen in den benachbarten Ort- Gutachter wegen Befangenheit ab. schaften , Müsch, und Nohn im Kreis sowie Ahütte, Niederehe, Kerpen, 21.01.1911: Leudersdorf usw. im Kreis Daun mitgewirkt hatten. Giesen antwortet auf das Schreiben des Rechtsan- 20.09.1910: waltes der Bahnverwaltung und bringt zwei weitere Sachverständige ins Spiel. Nun ist die Gegenseite Das Landwirtschaftsministerium leitet das Schrei- wieder am Zug. ben vom 13. September an das Ministerium der öffentlichen Arbeiten weiter. Dieses antwortet, dass 04.02.1911: es nicht befugt sei, die Entscheidung des Be- zirksausschusses Aachen über die Grundentschä- Nachdem sich die Parteien über die Gutachter ver- digung zu ändern oder eine nochmalige Abschät- ständigt haben, werden diese vom Gericht offiziell zung durch andere Sachverständige zu veranlas- ernannt und beauftragt, das Gutachten zu erstellen. sen. Man stellt den Eigentümern anheim, den Kla- geweg zu beschreiten. 11.04.1911:

04.10.1910: Die Sachverständigen einigen sich auf eine neue Entschädigungshöhe. Peter Josef Rieder unternimmt einen letzten Ver- such der außergerichtlichen Einigung. Er schlägt 12.08.1911: der Enteignungsfeststellungskommission vor, für ihn eine gleichwertige Wiesen- bzw. Ackerfläche zu P.J. Rieder lässt nicht locker. Er erklärt über seinen kaufen. Dafür stellt er die festgesetzte Entschädi- Anwalt, dass er mit dem Gutachten der gerichtlich gung in Höhe von 3.205,53 Mark zur Verfügung. bestellten Sachverständigen teilweise nicht einver- standen ist. Eine Antwort auf dieses Schreiben bekommt er nicht. 28.10.1911:

24.10.1910: Das Gericht bittet die Gutachter um Stellungnahme.

Die Zeit läuft für den Eisenbahnfiskus. P.J. Rieder 26.02.1912: entschließt sich, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen und schaltet Carl Giesen, Rechtsanwalt Die Gutachter erklären schriftlich, dass sie bei ihrer in Aachen, ein. Einschätzung bleiben.

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09.05.1912: Zinsen. Als Begründung wird die Unzulänglichkeit der Gutachten angeführt. Erneut wird der Beweis Anwalt Giesen erklärt, dass man nach wie vor nicht durch sachkundige Zeugen gefordert, weil das einverstanden ist und benennt Zeugen, die den Grundstück zum Zeitpunkt der Begutachtung be- höheren Wert der Grundstücke bestätigen können. reits fast vollständig abgebaggert war. Darüber hin- aus sei, so der Anwalt von Herrn Rieder, die Kos- 31.05.1912: tenverteilung nicht gerechtfertigt.

Das Landgericht Aachen spricht das Urteil ‚Im Na- November / Dezember 1912: men des Königs!— Die Entschädigungssumme wird auf 3.886,94 Mark festgesetzt, 681,41 Mark mehr Zwischen den Parteien werden mehrere Schriftsät- als bei der Entscheidung der Kommission. Aller- ze ausgetauscht, aus denen sich kaum neue Argu- dings soll P.J. Rieder 4/5 der Kosten des Verfah- mente ergeben. rens tragen. 21.01.1913:

Das Oberlandesgericht Köln spricht das Urteil. Die Berufung der Kläger wird zurückgewiesen. Einzige Änderung: Die Kosten des Rechtstreits trägt jede Partei zur Hälfte. Von seinem Teilerfolg blieb am Ende also kaum etwas übrig für den streitbaren Peter Josef Rieder. Für ihn besonders ärgerlich: Bis zur ersten Instanz hatte er für einige Eigentü- mer mitgeklagt. Zu dieser Zeit waren noch viele Leute kaum des Lesens und Schreibens mächtig und einen Anwalt konnte und wollte sich keiner leis- ten. Ganz anders war Peter Josef Rieder. Seine Briefe an die an dem Verfahren beteiligten Parteien sind eindrucksvoll. Dabei zeigte er auch keine Angst vor den Institutionen. 1910 wandte er sich in einem zweiseitigen Brief direkt an den Minister der öffentlichen Arbeiten. Jedenfalls werden die ande- ren Eigentümer froh gewesen sein, dass Peter Jo- sef Rieder auch für sie in die Auseinandersetzung mit dem Eisenbahnfiskus ging. Dadurch, dass er auch im Auftrag der anderen Eigentümer handelte, hatte er eine Menge Arbeit. Er musste Vollmachten einholen, die Beteiligten jeweils benachrichtigen etc. Seine Bemühungen wurden ihm nicht gedankt. Sein Anwalt schreibt am 7. September 1912:

Bild 25: Urteil des Landgerichts Aachen vom 31.05.1912 ‚Daß Sie für Ihre Bemühungen, die Sie um die übri- in Sachen Rieder ./. Eisenbahnfiskus gen Beteiligten gehabt haben, nur Undank ernten, ERNA L EYENDECKER / S AMMLUNG M ANFRED J EHNEN bedaure ich sehr; es geht aber meistens so. Die Leute haben doch alle etwas mehr bekommen, als 19.07.1912: die Eisenbahn ursprünglich geben wollte… Ich ha- be Verschiedenen auch vorgehalten, daß Sie sich Peter Josef Rieder geht in die Revision beim Ober- um die Beteiligten die denkbar größte Mühe gege- landesgericht Köln. Die Revision bezieht sich nur ben und nicht den Undank verdient hätten, den auf die Entschädigung für eines der strittigen man Ihnen jetzt anscheinend entgegenbrächte.— Flurstücke. Rieder fordert für dieses Flurstück vom Eisenbahnfiskus weitere 578,60 Mark nebst 4% So ist das wohl im Leben.

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3.2 Ausschreibung und Baubeginn Das rund 140 Seiten umfassende Verdingungsheft enthielt 18 Anlagen:

Ungeachtet aller Streitigkeiten und Querelen be- 1. Einen Angebotsvordruck, der ausgefüllt und gann am 1. April 1909 der Bau der neuen Bahnli- unterschrieben werden musste nie. In Antweiler, als dem Mittelpunkt der Strecke 2. Verzeichnis der Schürflöcher und späteren Sitz der Bahnmeisterei, wurde ein 3. Abschriften der geologischen Gutachten der Baubüro eingerichtet. Es war im Haus der Witwe Tunnel (Insuler Tunnel, Schulder Tunnel, Hürth untergebracht. Die Strecke wurde in fünf Lo- Ruppenberg-Tunnel) se eingeteilt, die man öffentlich ausschrieb. Der 4. Allgemeine Vertragsbedingungen für die Bahnbau muss damals ein lukratives Geschäft ge- Ausführung von Erd-, Fels-, Rodungs- und wesen sein, wenn man sieht, aus welchen Regio- Böschungsarbeiten nen die sich um die Aufträge bewerbenden Unter- 5. Besondere Vertragsbedingungen für die Aus- nehmer kamen. führung des Bahnkörpers einschließlich der

Nebenarbeiten Das erste Baulos, über das umfangreiche Unterla- 6. Vorschriften für die Ausführung von Erd- und gen erhalten geblieben sind, umfasste folgende sonstigen Arbeiten zur Herstellung des Abschnitte: Bahnkörpers einschließlich der Nebenanla-

gen ¢ das Gleisdreieck in Dümpelfeld, das heißt die 7. Vorschriften für die Ausführung von Erd- und Verbindung von Block Liers zum Bahnhof Düm- Maurerarbeiten zu Staatsbauten pelfeld und die Verbindung zwischen Block Liers 8. Vorschriften für die Ausführung von Beton- und Block bauwerken, insbesondere Betongewölben ¢ den 5,6 Kilometer langen Streckenabschnitt von 9. Vorschriften für die Ausführung von Wegebe- Dümpelfeld nach festigungen 10. Ergänzung zu den Vorschriften für die Wege- befestigungsarbeiten, insbesondere gültig für Provinzialstraßen 11. Besondere Bedingungen für die Ausführung von Tunnelbau-Arbeiten 12. Vorschriften für die Lieferung von Bruchstei- nen 13. Vorschriften für die Lieferung von Werkstei- nen 14. Vorschriften für die Lieferung von Ziegelstei- nen 15. Vorschriften für die Lieferung von Sand 16. Vorschriften für die Lieferung von Kalk 17. Normen für die einheitliche Lieferung und Prüfung von Portland-Zement Bild 26: Auszug aus dem ‚Verdingungsheft— für das 18. Besondere Bedingungen für Ausführung Los I der Strecke Dümpelfeld - Lissendorf wasserdurchlässiger Gewölbe- und Tunnel- SAMMLUNG O SWALD M AUEL , E ISENBAHNFREUNDE J ÜNKERATH Abdeckungen Ausgeführt werden sollten Erd-, Fels-, Rodungs-, Böschungs- und Wegebefestigungsarbeiten, kleine- Lagepläne, Längen- und Querprofile, Baupläne für re Maurerarbeiten, Futter- und Stützmauern, We- die Gebäude und ähnliche Unterlagen waren dem geunter- und -überführungen, Durchlässe, größere Verdingungsheft nicht beigegeben. Diese Unterla- Brücken sowie Tunnel. Alles wurde bis ins kleinste gen konnten entweder in den Geschäftsräumen der Detail geplant. Die Planungsunterlagen wurden - Königlichen Bauabteilung in Antweiler (Ahr) oder bis auf die Pläne etc. - in einem Verdingungsheft bei dem Bauassistenten Schlagwein in Dümpelfeld abgelegt, das jeder interessierte Unternehmer an- eingesehen werden. fordern konnte.

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Doch der Verdingungsanschlag enthielt noch weite- ‚Da auf eine termingerechte Fertigstellung der Ar- re Vorgaben. Dem Unternehmer wurden Schürfgru- beiten der größte Wert gelegt werden muß, können ben zugewiesen, aus denen er das benötigte Mate- nur leistungsfähige und in den fraglichen Arbeiten, rial entnehmen konnte. Ansprechpartner vor Ort, besonders in Felsarbeiten, größeren Brücken- und mit denen man auch Besichtigungstermine für die Tunnelbauten, nach jeder Richtung erfahrene Un- Schürfgruben sowie sonstige Fragen besprechen ternehmer berücksichtigt werden.— konnte, waren neben den Beamten der Bauabtei- lung in Antweiler so genannte Bauaufsichtsbeamte, Je nach Umfang der auszuführenden Arbeiten wur- die in Dümpelfeld bzw. Insul stationiert waren. de eine Auflistung der vorhandenen Arbeitsgeräte, Maschinen und Arbeitskräfte verlangt, die zum Ein- Mit Angebotsabgabe musste der Bieter Probestü- satz kommen sollten. Der Unternehmer war auch cke der zur Anwendung kommenden Materialien verpflichtet, auf Verlangen einen vollständigen Ar- einreichen, so zum Beispiel Bruchsteine, Klinker für beitsplan zur Genehmigung vorzulegen und bei Gewölbe, Ziegelsteine, Werksteine aus Basaltlava. Bedarf diesen auch abzuändern. Alle Vorgaben Die Bauabteilung behielt sich vor, weitere Proben waren darauf ausgerichtet, dass die Bahnverwal- vom Unternehmer anzufordern. Die Proben muss- tung jederzeit die Kontrolle und ein Eingriffsrecht ten am damaligen Bahnhof Dümpelfeld der Strecke bei den Bauarbeiten hatte und das komplette Risi- - Adenau angeliefert werden. ko beim Unternehmer lag. Damit dieser all diese Vorgaben nicht durch schlechte Behandlung oder Waren die Proben genehmigt, wurden die Bezugs- schlechte Bezahlung der Arbeiter wettmachen quellen im Verdingungsanschlag festgeschrieben konnte, gab es auch in dieser Hinsicht eindeutige und für das Los I schließlich folgende Bezugsquel- Vorschriften und Auflagen. len für die zu verwendenden Baustoffe vereinbart: Der Unternehmer verpflichtete sich, seinen Arbei- ¢ Bausteine, soweit nicht die örtlichen verwendet tern gutes Trinkwasser sowie heißes Wasser zum werden konnten, sowie Sand, Kies, Kleinschlag, Kaffeekochen unentgeltlich auf der Baustelle zur Ziegelsteine und Klinker: Firma Schöneberg, Verfügung zu stellen. Alkohol war hingegen strengstens verboten und auch in den Kantinen ¢ Sand oder Basaltsplitt, Kleinschlag, Pflaster, sollte der Ausschank von Alkohol möglichst einge- Prellsteine und Randsteine: Basalt AG, Linz schränkt werden. Dass die letzte Vorgabe, bzw. die ¢ Zement: Dyckerhoff & Söhne, Amöneburg oder dringende Empfehlung der Bahnverwaltung kaum gleichwertige Firma des Rheinisch- bis gar nicht eingehalten wurde, geht aus vielen Westfälischen Zementsyndikats zeitgenössischen Berichten hervor. Der übermäßi- ¢ I-Träger, eiserne Geländer, Dübel etc.: Firma ge Alkoholgenuss in den arbeitsfreien Zeiten führte des Westfälischen Stabeisen-Syndikats zu vielen Problemen. Neben der Verpflegung ¢ Gusseiserne Muffenrohre: Deutsches Gussei- musste der Unternehmer sich auch um regen- und sen-Syndikat, Köln sturmsichere Unterkünfte für seine Arbeiter küm- ¢ Zementrohre: Dyckerhoff Widmann, Biebrich mern. Wörtlich heißt es:

Für andere Werkstoffe galten Vorgaben bezüglich ‚Bei den ungünstigen Besiedelungsverhältnissen des Abbaugebietes. Bei Auflagersteinen aus Granit im oberen Ahrtale hat der Unternehmer dieser Fra- hieß es zum Beispiel: ‚...nach noch vorzulegenden ge besondere Aufmerksamkeit zu schenken und Proben aus süddeutschen Brüchen.— Für Werkstei- sofort unmittelbar nach der Zuschlagserteilung die ne und Platten waren Mayener Brüche vorgeschrie- erforderlichen Schritte einzuleiten.— ben. Auch Mindestlöhne sind keine Erfindung der heuti- Die Vorgaben der Baubehörden befassten sich gen Zeit. Hier zeigte die Bahnverwaltung eine au- aber nicht nur mit dem Material für den Bahnbau. ßerordentlich soziale Haltung. Der Unternehmer Auch auf die Erfahrung der Unternehmer wurde musste sich verpflichten, sowohl seinen eigenen Wert gelegt. Im Verdingungsanschlag hieß es: Arbeitern als auch den in Anspruch genommenen Tagelöhnern einen festgesetzten Lohn zu zahlen.

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Pro Arbeitsstunde erhielten: len Insul und Liers links an Dümpelfeld vorbei in Richtung Remagen als auch rechts über Dümpel- ¢ ein Schachtmeister: 85 Pfennig feld nach Adenau fahren. ¢ ein Vorarbeiter oder Polier: 75 Pfennig ¢ ein Mineur oder Bergmann: 65 Pfennig nach Remagen ¢ Maurer, Zimmerleute, Steinhauer oder Schlos- ser: 60 Pfennig ¢ ein ‚gewöhnlicher— Arbeiter: 43 Pfennig

Diese Bezahlung war für Eifeler Verhältnisse au- nach Jünkerath ßerordentlich gut. Andererseits behielt sich die Bahnverwaltung vor, die Entlassung von Arbeitern zu verlangen, wenn diese vertragsbrüchig wurden oder sich an ‚ordnungsfeindlichen Bestrebungen— beteiligten. nach Adenau

All das, und noch viel mehr, musste der Unterneh- Bild 27: Schematische Darstellung des Gleisdreiecks mer, der den Zuschlag bekam, unterschreiben und Dümpelfeld mit altem und neuem Dümpelfelder Bahn- auch die Pläne und Zeichnungen vor Baubeginn hof schriftlich anerkennen. Für die ordnungsgemäße Für die Anlage des Gleisdreiecks wurde die beste- Erfüllung der übernommenen Verpflichtung musste hende Bahntrasse verlegt und um rund 5 Meter er eine Kaution, in der Regel in Höhe von fünf Pro- erhöht. Der Bahndamm zog sich mitten durch den zent der Vertragssumme, stellen. Ort. Der alte Bahnhof wurde aufgegeben und durch einen neuen, der jetzt südlich des Ortes lag, er- Den Zuschlag für dieses erste Baulos erhielt setzt. Durch die veränderte Trassenführung stan- schließlich die Firma Wilhelm Bruch, Kanalbau AG, den nunmehr einige Häuser im Weg. Die Eigentü- Berlin. Zwischen dem höchsten und dem niedrigs- mer dieser Häuser erhielten eine Entschädigung ten Angebot soll ein Unterschied von 865.000 Mark und bauten an anderer Stelle neu. Die betroffenen bestanden haben. Gebäude wurden inklusive Grund- und Kellermau- ern abgerissen, noch brauchbare Bauteile zunächst Nun konnte es endlich losgehen. Für einige Bewoh- gelagert und später soweit wie möglich beim Bahn- ner der Region hieß das zunächst einmal, dass sie bau wieder verwendet. ihre Häuser verlassen mussten, denn neben Wie- sen- und Ackerflächen standen auch einige Häuser Das Ortsbild Dümpelfelds veränderte sich durch im Gelände des Bahnkörpers. den Bahnbau völlig. Vom Abriss betroffen waren folgende Gebäude: Besonders Dümpelfeld war davon betroffen, denn dort veränderte sich durch den Bahnbau das ganze 1. Gehöft der Witwe Hillenbrandt mit einem Wohn- Ortsbild. Während die alte Ahrtalbahn Remagen - haus und einem Anbau (Stall und Abort) Adenau mit dem damaligen Bahnhof Dümpelfeld 2. Gehöft des Karl Köffer mit einem Scheunenge- noch an den Ort und das Gelände angepasst war, bäude und einem offenen Holzschuppen kam die neue Bahn ganz anders daher, denn Düm- 3. Gehöft des Peter Fuchs mit einem Wohngebäu- pelfeld war plötzlich ein wichtiger Eisenbahnknoten- de, einem Wirtschaftsgebäude sowie einer punkt. Die alte Ahrtalbahn erhielt von Remagen bis neun Meter langen Mauer Dümpelfeld ein zweites Gleis und Dümpelfeld bilde- 4. Gehöft der Witwe Auel mit einem Wohngebäu- te gleichzeitig den Ausgangspunkt der neuen Bahn- de, zwei Anbauten, einer Scheune und einem strecke Dümpelfeld - Lissendorf - Jünkerath. Um Backofen einen reibungslosen Verkehr zu gewährleisten, soll- 5. Gehöft des Joh. Zerwas mit einem Wohngebäu- te in Dümpelfeld ein Gleisdreieck angelegt werden, de und einem Wirtschaftsgebäude. das es ermöglichte, ohne ein Umsetzen der Lok, in jeweils zwei Richtungen zu fahren. Von Jünkerath Auch andernorts mussten Häuser abgerissen oder kommend, konnte man sowohl über die Blockstel- umgebaut werden. Beispielsweise wurden wegen

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der Brandgefahr bei Häu- sern, die nahe am Bahn- damm standen, die damals noch häufig anzutreffenden Strohdächer durch Ziegel- oder Schieferdächer er- setzt.

Überall an der Strecke be- gann nun rege Bautätigkeit. Der Eisenbahnbau erforder- te viele Erdbewegungen, denn das Gelände, das den Schienenstrang aufnehmen sollte, musste möglichst eben sein. Die Streckenpla- ner berücksichtigten, dass die ausgehobenen Boden- massen der Bahneinschnit- te in nahe anschließenden Bahndämmen wieder ein- gebaut werden konnten. Dieser ‚Massenausgleich— ersparte Bodentransport sowie Entnahme- und Ab- satzstellen.

Beim Bahnbau ging es da- mals schon relativ modern zu. Für die Arbeiten, bei denen man mehrere Millio- nen Kubikmeter Erde be- wegte, wurden moderne Maschinen wie Pressluft- hämmer und Dampfbagger verwendet. Sobald das Ge- lände soweit vorbereitet war, übernahmen Feldbah- nen den Transport. Sie be- Bild 28: Auszug aus dem ‚Verdingungsheft— für das Los I der Strecke Dümpelfeld - förderten Erde, Baumaterial Lissendorf. Am linken Bildrand ist das Gleisdreieck bei Dümpelfeld eingezeichnet. und Arbeiter leicht und Die gestrichelte Linie stellt die alte Streckenführung der Linie Remagen - Adenau schnell an den gewünsch- dar ten Ort. SAMMLUNG O SWALD M AUEL , E ISENBAHNFREUNDE J ÜNKERATH

Neben den Maschinen half Dynamit. Tag für Tag man die Fotos vom damaligen Eisenbahnbau an- durchhallten zahlreiche Detonationen die sonst so schaut, fallen sofort die Heerscharen von, häufig ruhige und zeugten von den Sprengungen, mit etwas verwegen aussehenden, Arbeitern auf, die denen man versuchte, dem mächtigen Gestein sich stolz dem Fotografen präsentierten. Sie reprä- Herr zu werden. Trotz dieser modernen Technik sentieren den damals in der Region so empfunde- waren immer noch viele Arbeitskräfte erforderlich. nen Aufbruch in eine neue Zeit. Etwa 2000 Arbeiter beschäftigte der Bau der Stre- cke Dümpelfeld - Lissendorf - Jünkerath. Wenn

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3.3 Das Jahrhunderthochwasser vom 13. Juni 1910

Am 15. August 1909 begann der Bauunternehmer Verwüstungen spotten jeder Beschreibung. Das Wilhelm Bruch in Los I mit der Anlage einer Feld- Ahrtal glich am vorigen Montag bis hinauf zur Mün- bahn von Dümpelfeld bis Schuld. Dazu mussten dung unterhalb Ahrdorf einem See. Telephon und unter anderem eine Reihe von Behelfsbrücken über Telegraph sind zerstört. Die schöne Ahrstraße ist die Ahr gebaut werden. Der Fertigstellungstermin dutzendmale auf weite Strecken tief aufgewühlt, war für den 1. Mai 1910 vorgesehen, doch es gab ausgewaschen, fast unpassierbar. Stellenweise ist unerwartete Schwierigkeiten. Beim Bau der Be- sie ganz verschwunden. Felsen im Straßenkörper helfsbrücken ging man aus Kostengründen allzu hat das Wasser sogar gesprengt. Der Fahrverkehr leichtfertig vor. Die Einheimischen, die wussten, wird auf Wochen im Ahrtal unmöglich sein. Die alte dass die Ahr bei Hochwasser zu einem reißenden Ahrbahn, sowie der neue Bahnbau sind auch Strom werden kann, warnten den Unternehmer gründlich mitgenommen worden. Dämme, Brücken Bruch eindringlich davor, die Brücken in der ge- und Unterkunftshäuser sind zerstört worden. Der planten Form zu bauen. Doch Wilhelm Bruch neue Bahnbau war Bundesgenosse des wütenden schlug alle Warnungen in den Wind. Wörtlich soll er Wassers. Dieses riß die Brücken und die Kantinen gesagt haben: ‚Das dumme Bächlein leite ich mir zusammen, entführte die mächtigen Bauhölzer, die durch mein Hosenbein— . Seinen Leichtsinn sollte er Kieswagen und setzte sie vor den Brücken, in den bitter bezahlen. Nach einem starken Regen im No- Talengen und vor den Dörfern wieder an. Dann vember 1909 wurden die zu leicht gebauten Be- stieg das Wasser immer höher und mit gewaltigem helfsbrücken über die Ahr zum ersten Mal wegge- Druck sprengte es die Brücken, stürzte in die Dör- rissen. Insgesamt sollen fast alle Brücken während fer und über die Fluren. Die an der Bahnlinie gele- der Bauzeit vier Mal zerstört worden sein. genen Baubureaus und Kantinen sind mit dem gan- zen Inhalte weggeschwemmt. Man schätzt die Zahl Die Katastrophe passierte dann am 13. Juni 1910. der Toten über 80. Aber mit den Leichenopfern hat Wochenlang hatte es geregnet und der Boden sich das Unwetter nicht begnügt. Es entführte den konnte kaum noch Wasser aufnehmen. In der Wiesen, Feldern und Gärten den Mutterboden und Nacht vom 12. zum 13. Juni gingen mehrere länger überschüttete sie fußhoch mit Steingeröll, verwüs- andauernde Wolkenbrüche nieder. Ahbach, Nohner tete Gras, Frucht, Kartoffeln und den Boden auf Bach, Trierbach, Adenauer Bach und Ahr schwol- Jahre. Selbst unzählige Obstbäume im schönen len rasch an und traten über ihre Ufer. In Müsch Ahrwiesental entwurzelte es. Dann stürzten sich die erreichte die Flut gegen 3:00 Uhr morgens ihren Wasser auf blühende Dörfer, setzten sie meterhoch Höchststand, im 29 km entfernten gegen unter Wasser, vertrieben Menschen und Vieh aus 07:00 Uhr. Die leichten Behelfsbrücken über die ihrem Heim mitten in der Nacht. Von Adenau bis Ahr wurden weggerissen, das Bauholz staute sich Dümpelfeld, von der Ahrmündung bis Neuenahr- an den festen Eisenbahn- und Straßenbrücken und Heimersheim erblickt man nur ein entsetzliches führte so zu einem zusätzlichen Ansteigen des Trümmerfeld. Fast jedes Dorf in dem gesegneten Wassers. Diesem Druck waren einige der dadurch Ahrtal hat eine verlorene Brücke zu beklagen. Auch entstandenen —Dämme“ nicht gewachsen. Brücken die Ahrbrücke und die uralte Brücke bei Altenahr, brachen und es kam zu einer Flutwelle. Fast das die jahrhundertelang den Stürmen getrotzt hat, sind gesamte Baumaterial zwischen Antweiler und Düm- zusammengestürzt. Am 15. Juni rückte Militär mit pelfeld wurde weggeschwemmt, die Orte Müsch Automobilen herbei, um den Leuten Nahrungsmittel und Schuld teilweise zerstört. und Hilfe zu bringen. Die Pioniere arbeiteten an den Brücken, schlugen neue über den immer noch In der Ahrdorfer Schulchronik wird am 20.06.1910 reißenden Strom, stützten wankende und sinkende zu dem Unglück folgendes berichtet: ab. Bis unter die Arme standen die wackeren Sol- daten unter Wasser und mühten sich ab, vorläufig ‚Ein schwerer Schicksalsschlag hat das herrliche wenigstens Stege für den notwendigsten Verkehr Ahrtal in der Nacht vom 13. auf den 14. Juni getrof- herzustellen. Dem Schreckensjahr 1804 werden die fen. An der oberen Ahr ging ein fürchterlicher Wol- Bewohner der Ahr das Kometenjahr 1910 anglie- kenbruch nieder. Die durch das Unwetter und das dern. Davon werden noch Kinder und Kindeskinder dadurch herbeigeführte Hochwasser verursachten erzählen.—

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Auf der nächsten Seite sind im Bild die Reste der geräumt, Brücken neu gebaut, Feldbahnen neu Kantine Schober bei Müsch zu sehen. Der damali- angelegt werden. ge Pfarrer von Antweiler beschrieb die dramati- schen Ereignisse im Umfeld der Kantine wie folgt: Als Folge der Naturkatastrophe war die Firma Bruch gezwungen, Konkurs anzumelden. Hierzu ‚Die Kantine unterhalb von Müsch schwamm weg. beigetragen haben vielleicht auch die unerwartet Die Insassen, Bahnarbeiter aus dem Ausland und großen Hang- und Bergrutschungen, die erst durch die Kinder des Kantinenwirtes Schober, kamen um. umfangreiche Flussregulierungen und Entwässe- Ein Arbeiter kam morgens auf den Trümmern der rungsstollen aufgehalten werden konnten. Im Be- Kantine auf Antweiler zugetrieben und konnte reich des Bahnhofs Schuld mussten die Pläne ge- glücklich einen Baum ersteigen in den Gärten von ändert werden, da man statt, wie vermutet auf Fels, Antweiler, auf dem er blieb, bis er gegen Montag- auf Lehm und Sand traf. Deshalb waren flachere mittag gerettet werden konnte. Frau Schober wurde Böschungswinkel und damit verbunden größere von der Brücke von Antweiler nach dem Land zu Erdbewegungen auszuführen als geplant. Die Fer- geschleudert und rettete sich. Ihr Mann geriet in die tigstellung des Bauloses I wurde der Firma Lenz & Sturzwellen der zusammengebrochenen Ahrbrücke Co. in Berlin übertragen. Allerdings scheint die Fir- und ertrank unter Hilferufen.— ma Bruch das eingeleitete Konkursverfahren über- standen zu haben. Abrechnungsunterlagen aus Die in der Literatur zu findende Zahl der Toten dem Jahre 1913 tragen den Stempel der Firma Wil- schwankt zwischen 52 - die standesamtlich regis- helm Bruch Kanalbau Aktiengesellschaft. triert sind - und 140. Die Identifizierung der Leichen gestaltete sich sehr schwierig, da viele Leichen Ähnliche Schwierigkeiten wie in Los I gab es auch entstellt waren und zudem viele der Toten nicht aus in den anderen Baulosen. Am Bahnhof Antweiler der Region kamen; die meisten toten Bahnarbei- ter waren Ausländer. Sie wurden auf den Friedhö- fen in Antweiler und Schuld unter großer An- teilnahme der Bevölkerung beerdigt. Auch Vertreter der Eisenbahndirektion waren bei dem Trauerakt Bild 29: Ausschnitt aus einer Abrechnungszeichnung vom 19.03.1913 mit einem zugegen. Stempel der Firma Wilhelm Bruch SAMMLUNG E ISENBAHNFREUNDE J ÜNKERATH Die Katastrophe machte viele Menschen obdachlos. Nicht nur die Baracken rutschte ein angeschnittener Berg mit einer Ge- der Arbeiter waren weggespült und zerstört, auch schwindigkeit von drei Metern pro Jahr ab. Erst viele Häuser der einheimischen Bevölkerung waren durch Verlegung des Flusses, durch tiefe Entwäs- unbewohnbar. Das Unglück löste eine große Hilfs- serungsstollen, die in den Berg hineingetrieben bereitschaft bei der Bevölkerung aus. Die Spenden wurden und durch künstliche Befestigung des Fu- in der Rheinprovinz und den Nachbarprovinzen ßes gelang es allmählich, den Berg endgültig zum erbrachten knapp 500.000 Mark. Dazu kamen Ent- Stillstand zu zwingen und die Bahn gegen Ver- schädigungen durch die Regierung. Nun ging es schiebungen dauerhaft zu sichern. Ein unerwarte- ans Aufräumen. Wie bereits in der Ahrdorfer Schul- tes Hindernis bildete auch der dolomitartige Kalk- chronik erwähnt, setzte man zur Unterstützung der stein des mittleren Devon bei Hillesheim, der we- Aufräumarbeiten, aber auch um Plünderungen zu gen seiner großen Härte nur unter Schwierigkeiten verhindern, Militär ein, so zum Beispiel eine Kom- zu sprengen war. Die vielen und teilweise wuchti- panie des Rheinischen Pionierbataillons Nr. 8 mit gen Stützmauern an der Strecke zeugen von den 138 Mann sowie ein Zug von 35 Mann mit einem Problemen, auf die die Baumeister damals stießen. Hauptmann und vier Offizieren. Der Zeitplan für das gesamte Projekt geriet ins Wanken. Es musste auf-

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Bild 30: Vom Hochwasser beschädigte Müscher Mühle SAMMLUNG A LFRED G ERHARTZ

Bild 31: Kantine Schober bei Antweiler nach der Hochwasserkatastrophe, im Vordergrund (mit Hund) die Kantinen- wirtin Schober, die Mann und Kinder bei dem Unglück verlor

SAMMLUNG H EIMATMUSEUM A DENAU

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Bild 32: Vom Hochwasser zerstörte Brücke in Schuld SAMMLUNG A LFRED G ERHARTZ

Bild 33: Beerdigung von Unglücksopfern auf dem Friedhof in Schuld SAMMLUNG H EIMATMUSEUM A DENAU

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3.4 Raue Gesellen aus aller Herren Länder bauen die Bahn

Trotz des Einsatzes von Dampfbaggern und ande- gutes und sicheres Einkommen. Und nicht nur das: rer, damals moderner Technik waren viele Arbeiter Manch ein Arbeiter konnte nach Fertigstellung der erforderlich, um ab 1909 die großen Bahnprojekte Bahn als Rottenarbeiter, Weichenwärter oder in in der Eifelregion zu realisieren. Man schätzt, dass anderer Funktion bei der Eisenbahn eine dauerhaf- etwa 2000 Arbeiter allein beim Bau der Strecke te und krisenfeste Beschäftigung finden. Dümpelfeld - Lissendorf - Jünkerath beschäftigt waren. Parallel zu dieser Strecke wurde der Neu- Es liegt jedoch auf der Hand, dass diese Arbeit bau der Strecke Jünkerath - Losheim - Weywertz, nicht nur von Einheimischen geleistet werden konn- der Neubau der Strecke Hillesheim - Gerolstein und te, denn neben der Tatsache, dass die Zahl der zur der zweigleisige Ausbau der Ahrtalbahn von Rema- Verfügung stehenden Menschen nicht ausreichte, gen bis Dümpelfeld in Angriff genommen. Ab 1910 kam noch hinzu, dass man Spezialisten brauchte, kam sogar noch der Bau der Strecke Ahrdorf - die in der Eifel nicht oder nicht in ausreichender Blankenheim hinzu. Zahl zur Verfügung standen. Besonders beim Brü- cken- und Tunnelbau waren Experten not- wendig, die es zum Teil noch nicht ein- mal in Deutschland in ausreichender Zahl und mit entsprechen- der Fachkenntnis gab.

Und so kamen zu den vielen Einheimi- schen viele Arbeits- kräfte aus anderen Regionen Deutsch- lands aber auch Gastarbeiter aus aller Herren Länder in die Eifel, deren Bewoh- ner bis dahin weitge- hend unter sich Bild 34: Bahnbau bei Müsch geblieben waren. Die meisten Arbeiter brachte man SAMMLUNG G ERHARD E NGLISCH in einfachen Baracken unter, einige wohnten aber auch bei Gastfamilien in gemieteten Zimmern. Ein Heer von Arbeitern war erforderlich, um diese Arbeit zu bewältigen. Viele Einheimische bekamen Man kann sich vorstellen, dass das nicht immer die Möglichkeit, sich beim Bahnbau ihr Brot zu ver- ohne Probleme ablief. Der Arbeitsdruck war groß, dienen. Man brauchte viele Menschen, die mit Ha- man lebte auf engstem Raum und die Möglichkei- cke und Schaufel umgehen konnten, aber auch ten, sich in der Freizeit sinnvoll zu beschäftigen, gute Handwerker wie Maurer, Zimmerleute, Schrei- waren gering. Verschiedenste Mentalitäten prallten ner usw. aufeinander und auch der Alkohol spielte eine Rol- le. Trotz aller Bemühungen seitens der Bahnver- Schaut man sich die Bauwerke an, die beim Bahn- waltung, den Alkoholkonsum auch in der Freizeit bau entstanden sind, ist man immer wieder beein- der Arbeiter zu reglementieren, kam es immer wie- druckt von der zeitlosen Schönheit und der guten der zu Trinkgelagen, die nicht selten in Schlägerei- handwerklichen Ausführung. Für die Menschen in en und Messerstechereien endeten. der Region bedeutete die Arbeit bei der Bahn ein

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Ein Auszug aus der Ahrdorfer Schulchronik vom Es sind harte Worte, die Lehrer Peter Schilk da- 01.03.1910 erlaubt einen Einblick in die damalige mals wählte. War es wirklich so extrem, wie der Stimmungslage und in die sozialen Veränderungen, Ahrdorfer Lehrer das damals beschrieben hat? die mit dem Eisenbahnbau einhergingen: Es scheint so, denn auch anderen zeitgenössi- ‚Der Bau der Bahnstrecke Dümpelfeld - Hillesheim schen Berichten zufolge soll es ziemlich rau zuge- - Lissendorf, der schon jahrelang geplant war, hat gangen sein. Das Eifelvereinsblatt beschrieb im seit einigen Monaten feste Gestalt angenommen. Juni 1912 die Verhältnisse so: Nachdem der Unternehmer Berger am 10. Oktober v. J. mit der Strecke Antweiler - Ahrdorf begann, ‚Tausende von Arbeitern, einheimische und auslän- wurde heute auch der Bau der Strecke Ahrdorf - dische, stellten sich ein. Letztere meist verwegene Kerpen durch den Unternehmer Kranz in Angriff Gesellen aus aller Herren Länder, von zweifelhaf- genommen. Außer einheimischen Arbeitern sind tem Vorleben, aber zäher Schaffenskraft. Heißblüti- Leute aus aller Herren Länder beim Bahnbau be- ge Italiener, heimtückische Kroaten mit lose sitzen- schäftigt: Italiener, Böhmen, Kroaten, Griechen, Tiroler usw.

Wie in allen Orten, die an oder in der Nähe der im Bau begriffenen Bahnstrecke liegen, so herrscht jetzt auch in dem sonst so stillen Ahrdorf ein be- wegtes Leben. Um Raum für den Bahnhof und Ma- terial für den Bahndamm zu gewinnen, muß ober- halb der Ahrbrücke buchstäblich ein Berg versetzt werden. Tag und Nacht ist zu diesem Zwecke eine große Baggermaschine in Tätigkeit und drei Loko- motiven sind mit der Beförderung der geschaufel- ten Erde beschäftigt. Der Bahnbau ist für die Dorf- bevölkerung eine reiche Einnahmequelle.

Abgesehen davon, daß die Arbeitskräfte gut be- zahlt werden (Tagelöhner erhalten zwischen 3 - 4 Mark pro Tag), erhalten Leute, die Miet-, Schlaf- oder Kostgänger halten können, ein Heidengeld. Alte, verfallene Häuser, die kaum noch einer menschlichen Wohnung ähnlich sehen, bringen pro Jahr 360 M Miete ein.

Den Wirten und Geschäftsleuten regnet das Geld Bild 35: Der italienische Schachtmeister Luigi Colonello geradezu in den Schoß, da viele Bahnarbeiter, be- SAMMLUNG J OSEF M ÜLLER sonders Italiener und noch mehr die sogenannten ‚Monarchen“ ‚von der Hand in den Mund“ leben, dem Messer. Den sauer verdienten Wochenlohn wie man zu sagen pflegt. Die Sache hat freilich schickten viele ehrlich den fernen Lieben; ebenso auch ihre Schattenseiten. Mit dem vielen Geld wird viele verjubelten ihn beim Kantinenwirte am Sonn- auch Gift unter die Landbevölkerung getragen. Das tag und Montag. Rausch erzeugt Roheiten; eine so leicht verdiente Geld wird auch ebenso leicht stattliche Reihe Jährchen Gefängnis ist das Ergeb- wieder ausgegeben, da die Putz- und Genußsucht nis der zahlreich vorgekommenen Schlägereien erwacht, und das Beispiel der leichtlebigen und Stechereien. —Eisenbähner“, die mit wenigen Ausnahmen keinen Gott und kein Gebot mehr zu haben scheinen, ist Nicht wenig Blut ist aber auch geflossen, und man- keineswegs geeignet, den religiösen und kirchli- cher brave Bursche hat sein Leben lassen müssen chen Sinn zu beleben und die Sittlichkeit des Vol- durch die bei solchem Bahnbau unvermeidlichen kes zu heben.— Betriebsunfälle..."

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Die Geschichte von Luigi Colonello und seinem seiner Frau eine Wohnung bei Familie Dockter in Sohn Italo Nohn. Schnell freundeten sich die italienische und die deutsche Familie an. Am 26. November 1911, Nicht alle ausländischen Arbeiter waren solch raue gegen Ende der Bahnbauarbeiten an der Strecke und verwegene Gesellen, wie es die Chroniken Dümpelfeld - Lissendorf, wurde Luigi Colonello Va- darstellten. Es entwickelten sich viele Freundschaf- ter eines Jungen, der den Namen Italo bekam. Pate ten zwischen Einheimischen und den fremden Ar- wurde Franz Dockter. Der in Nohn geborene Italo beitern. Beschäftigt man sich ein wenig mit Famili- wurde später Schwergewichtsboxer und lebte in enforschung, stellt man fest, dass sogar Ehen zwi- den Vereinigten Staaten. schen fremden Bahnarbeitern und einheimischen Frauen geschlossen wurden, und dass die Bahnar- Anlässlich eines Kampfes gegen den damaligen beiter dann in der Eifel blieben. Deutschen Meister Vincenz Hower schrieb Franz Dockter aus Nohn 1935 an die Redaktion der deut- Wer es sich leisten konnte, brachte seine Familie schen Zeitung ‚Neuer Tag— und bat darum, zu er- gleich mit. Ein gutes Beispiel für den gebildeten, mitteln, ob es sich bei diesem Italo Colonello um hoch qualifizierten und freundlichen Gastarbeiter den Mann handelt, der in Nohn geboren wurde. Die war Luigi Colonello, ein aus Italien stammender Reporter fragten ihn… und tatsächlich: Er war es. Schachtmeister. Ein Schachtmeister hatte eine ge- Das führte dann dazu, dass Italo seinen Geburtsort hobene Position, er war Aufseher über eine Arbei- Nohn besuchte. Jedenfalls hat er das im Interview terabteilung. Der Bahnbau zog die Familie Colonel- damals angekündigt. Italo Colonello starb am 14. lo in die Eifel. Luigi war in einem Streckenabschnitt März 1985 in Los Angeles. Seinen Kampf gegen unweit der Nohner Mühle tätig und so bezog er mit Vincenz Hower am 8. Februar 1935 hatte er übri- gens verloren.

Was ist nun aus Schacht- meister Luigi Colonello ge- worden? Nach dem Bau der Strecke Dümpelfeld - Lissen- dorf zog er weiter zur nächs- ten Baustelle. Das war nichts Ungewöhnliches, schließlich hatte der Bahnbau damals Hochkonjunktur und Spezia- listen waren gefragt. Ein paar Jahre später, um 1917, führte ihn sein Weg wieder in die Eifel, und zwar an die Stre- cke Prüm - St. Vith, wo Bau- arbeiten auszuführen waren. Colonello wohnte damals mit seiner Familie bei Habscheid.

Dort kam es zu einem tragi- schen Unglück. Eine Tochter von Luigi Colonello - sie hieß Amabile - kam bei einem Ei- senbahnunglück ums Leben. Danach verliert sich die Spur des italienischen Schacht- meisters Luigi Colonello. Bild 36: Schachtmeister Luigi Colonello (auf den Gleisen) auf seiner Baustelle unweit der Nohner Mühle SAMMLUNG J OSEF M ÜLLER

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Bild 37: Zeitung ‚Neuer Tag— mit dem Bericht über das Interview mit Italo Colonello Bild 38: Boxer Italo Colonello setzt sich in Pose SAMMLUNG J OSEF M ÜLLER

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Bild 39: Bau des Hochbehälters für die Lokomotiv- und Trinkwasserversorgung am Bahnhof Hillesheim SAMMLUNG H EINZ R EGNERY

Bild 40: Bahnbau bei Niederehe SAMMLUNG G ERTA H ILGERS

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3.5 Tunnelbau an der Ahrstrecke - eine besondere Herausforderung

Die Strecke Dümpelfeld - Lissendorf - Jünkerath Vollausmauerung des Profils geschritten werden, war auch in Bezug auf den Tunnelbau außerordent- mit Ausnahme der Sohle. lich interessant. Sechs Tunnel mussten durch die Eifeler Felsen getrieben werden, allesamt auf dem Vor der Baubeschreibung, die weitere Probleme zu rund 18 Kilometer langen Streckenabschnitt von Tage bringt, soll kurz die grundsätzliche Bauweise Dümpelfeld bis Ahrdorf. der Tunnel an der Strecke Dümpelfeld - Lissendorf erläutert werden. In der damaligen Zeit gab es ver- Voraussetzung für die Planung von Tunnelbauvor- schiedene Tunnelbaumethoden, die man nach den haben ist die genaue Kenntnis der geologischen Ländern benannte, in denen sie hauptsächlich ent- Beschaffenheit des Gebirges: Festigkeit, Gesteins- wickelt worden waren. So unterschied man die schichtung und -zusammensetzung, Wasserfüh- deutsche, die belgische und die österreichische rung, auftretende Drücke usw. All das hat Einfluss Methode. Welche Methode dann konkret zur An- auf die Ausführung und damit auch auf die Kosten wendung kam, entschied man nach den örtlichen der Bauarbeiten. Deshalb wurden auch im Vorfeld geologischen Verhältnissen. der Ausschreibung dieser Arbeiten geologische Gutachten angefertigt, die genau auf diese Aspekte eingingen. Am Beispiel des Schulder Tunnels, der sich im Ort Schuld befindet und auch heute noch vorhanden und gut zu sehen ist, soll der Tunnelbau auf der Strecke Dümpelfeld - Lissendorf näher be- leuchtet werden.

Laut des geologischen Gutachtens bestand das Gebirge, durch das der Tunnel führen sollte, aus Grauwackensandstein und dünnschichtigem, ge- bändertem Grauwackeschiefer mit Einlagerungen von Grauwackensandstein. Wasseraustritt aus die- sen Schichten wurde weder am Steilhang des westlichen noch des östlichen Tunnelmundloches beobachtet und bei der kleinen Tunnelfläche - der Tunnel sollte ja nur 142 m lang werden - auch nicht Bild 41: Skizze zur österreichischen Methode des Tun- erwartet. Da außerdem der Tunnel im spitzen Win- nelbaus; Ausschnitt aus einem Tunnelbuch der Strecke kel durch die flach gelagerten, immerhin festen Ge- Dümpelfeld - Lissendorf steine führen sollte, gab es aus Sicht der Geologen SAMMLUNG O SWALD M AUEL , E ISENBAHNFREUNDE J ÜNKERATH keine Bedenken.

Im September 1909 begann der Bau des Tunnels. Alle Tunnel an der Ahrstrecke wurden, von einzel- Das Gebirge fand man im Wesentlichen so vor, wie nen Abschnitten abgesehen, durchweg nach der so im Gutachten beschrieben. Allerdings war über den genannten österreichischen Methode mit Kronbal- Felsschichten eine starke Verwitterungsschicht aus ken erstellt. Dabei wird ein Sohlstollen vorangetrie- Lehm vorhanden, die beim Bau des Tunnels infolge ben, der dann nach und nach vergrößert wird. Da- anhaltender Niederschläge und Wasserzuführung ran schließt sich das Aufschlitzen bis zum First an. aus einer alten schadhaft gewordenen Wasserlei- Von dort aus erfolgt der Vollausbruch. tung in Bewegung geriet und infolgedessen eine besondere Verstärkung und eine Ausmauerung der Die Art des Tunnelbaus wurde durch die in den Bauzonen in reinem Zementmörtel erforderlich Ausschreibungsunterlagen enthaltenen machte. Auch wegen der an der Luft stark zur Ver- ‚Besonderen Bedingungen für die Ausführung von witterung neigenden, eingelagerten Tonschiefer- Tunnelbau-Arbeiten— vorgegeben. Dort heißt es: schichten musste auf der gesamten Länge zu einer

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