32 | FACHARTIKEL AQUA & GAS N o 6 | 2020

ACQUEDOTTO REGIONALE DEL MENDRISIOTTO (ARM)

EIN GEMEINSCHAFTSPROJEKT FÜR DIE WASSERVERSOR- GUNG KÜNFTIGER GENERATIONEN IM MENDRISIOTTO

Als Wasserschloss Europas verfügt die Schweiz über umfangreiche Wasserressourcen. In der Region Mendrisiotto ist das Wasser dennoch häufig knapp, vor allem während der Sommermonate – also dann, wenn die Verbräuche höher sind und die Wassermengen der Quellen auf ein Minimum absinken. Klimawandel und Nutzungskonflikte innerhalb der Wasserschutzzonen erhöhen die Ri- siken und den ungesicherten Status der Wasserversorgung zusätzlich. Das Konsortium «Acque- dotto Regionale del Mendrisiotto» ist die solidarische Antwort darauf: So garantieren der Bau der Seewasser-Aufbereitungsanlage und die Verlegung der Hauptleitung Trinkwasser für die gesamte Bevölkerung und die zukünftigen Generationen des Mendrisiottos.

Marco Maffi*, Konsortium Acquedotto Regionale del Mendrisiotto (ARM)

HINTERGRUND

Bereits zu Beginn der 1970er-Jahre wurde über ein Seewasser- RÉSUMÉ werk für den Bezirk diskutiert. 1975 wurde das Inge- nieurbüro Mario Malfanti vom Departement für Volkswirtschaft ACQUEDOTTO REGIONALE DEL MENDRISIOTTO (ARM): beauftragt, ein entsprechendes Konzept für Brauchwasser zu UN PROJET COMMUN DE DISTRIBUTION D’EAU RÉGIONALE erarbeiten. Entlang der Seewasserleitung waren punktuell Ent- Déjà en 1975, il était question d'un systeme d'approvvisionnement nahmestellen vorgesehen, um das Rohwasser aufzubereiten und en eau du lac dans le district tessinois de Mendrisio afin de faire in die kommunalen Trinkwassernetze einzuspeisen. face aux pénuries qui sévissent particulièrement durant les mois Zehn Jahre später setzte der Staatsrat eine Arbeitsgruppe ein, um estivaux. Après quarante ans de discussions, les parties prenantes die Wasserversorgung im Bezirk Mendrisio zu untersuchen. Das ont enfin réussi à trouver une solution durable et acceptée par tous 1989 vorgelegte Ergebnis bestätigt die Notwendigkeit des Baus afin de garantir une distribution d’eau sûre, de qualité et suffisante. einer alternativen Wasserversorgung mit Seewasserentnahme, Le projet se base sur deux principes: le premier est la diversi- um den Trinkwasserbedarf für das gesamte Gebiet zu decken. fication des sources d’eau potable afin d’obtenir et de valoriser Im darauffolgenden Jahr übergab der Staatsrat die Planung für des sources sûres tout en désaffectant celles qui présentent des das Seewasserwerk an das Ingenieurskonsortium Malfanti, Co- conflits insolubles dans leurs zones de protection. Le deuxième metti und Lucchini & Borra. Das Projekt ging 1992 zum ersten principe est la construction d’une station d’alimentation avec de Mal in die Beratung, im Mai 1994 legte das Ingenieurskon- l’eau du lac afin de seconder les sources à conserver et de rempla- sortium den endgültigen Bericht vor. Im selben Jahr trat das cer celles qui seront abandonnées. La construction de l’installation Kantonsgesetz zur Wasserversorgung in Kraft. Dieses sieht se divise en deux phases: la section zéro (raccordement de toutes vor, dass Quellnutzungen sowie Arbeiten zur Gewährleistung les ressources d’eau et échange d’eau entre les communes) et la einer sicheren Trinkwasserversorgung im Kantonalen Wasser- section lac (station de traitement de l’eau potable). La station de potabilisation d’eau du lac qui doit voir le jour à * Kontakt: [email protected] disposera d’une performance de traitement quotidienne de 20 000 m3 d’eau et couvrira les besoins de la région, qui compte un peu plus de 50 000 habitants. La fin du projet est prévue pour 2026. AQUA & GAS N o 6 | 2020 WASSER | 33 versorgungsplan (PCAI) festgelegt sind. einer Seewasseraufbereitungsanlage 2015 nahm das Konsortium seine Arbeit Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben als Hauptversorgungsquelle, was eine auf. setzte das Konsortium die Entwicklung schrittweise Stilllegung der kommunalen des PCAI für den Bezirk Mendrisio fort. Quellen bedeuten würde. Ende 2005 bil- GUT DING WILL WEILE HABEN In der Zwischenzeit reichten die Ge- deten die fünf verantwortlichen Gemein- Am Ende hat es gut vierzig Jahre ge- meinden Mendrisio und Castel San Pie- den für die Wasserleitungen , braucht, um zu einer gemeinsamen tro aufgrund gravierender Probleme bei Ligornetto, Mendrisio, Lösung zu finden, die eine gesicherte der Wasserversorgung ein vorläufiges und die Arbeitsgruppe Seewasser- Wasserversorgung für mehr als 50 000 Baugesuch für eine Seewasseraufberei- leitung (GAL) mit dem Ziel, eine Lösung Einwohner gewährleistet (Fig. 1). tungsanlage in Riva San Vitale ein. Mit zur Umsetzung des PCAI zu finden. Mit- diesem Vorstoss wollten die Gemeinden hilfe der zuständigen Kantonsbehörden DAS PROJEKT den ersten Projektabschnitt vorziehen. und der technischen Unterstützung des 1996 folgte das reguläre Baugesuch, das Ingenieurbüros Andreoli & Colombo SA Die hauptsächliche Zielsetzung des Pro- am 4. Juni 1997 bewilligt wurde. Die Bau- aus Bellinzona und auch unter Einbezug jekts ist, Wasser in hoher Qualität und arbeiten wurden zwar nie aufgenommen, der Gemeindeverwaltungen suchte die ausreichender Menge für das gesamte aber die mehrfach erneuerte Bewilligung GAL eine vernünftige und nachhaltige ARM-Gebiet (Mendrisiotto), auch in Zei- hat nach wie vor ihre Gültigkeit. Lösung, die sowohl eine sichere Wasser- ten von hohem Verbrauch und begrenz- 1998 legte das Ingenieurskonsortium den versorgung für die gesamte Bevölkerung ter Wasserführung der Quellen, zu ge- Entwurf des Wasserversorgungsplans für gewährleisten als auch der Forderung währleisten. Das Projekt basiert auf zwei den Bezirk Mendrisio vor. In der Folge nach dem weitgehenden Erhalt der Quel- Grundsätzen: wurden neue Studien erstellt, die wirt- len nachkommen würde. schaftlichen Aspekte eingehender un- Drei Jahre später, 2008, lag das fertigge- Grundsatz 1 tersucht und die Trinkwasserkosten pro stellte Dokument «Überprüfung und Ent- Die Diversifizierung der Trinkwasser- Kubikmeter analysiert. wicklung des Projekts» vor. Nach erneu- quellen, um sichere und auf vernünftige 2002 begann ein weiteres Beratungsver- ten Studien und Analysen, insbesondere Weise betreibbare Trinkwasserquellen fahren, schliesslich nahm sich 2005 der zur Qualität des Seewassers, stand 2014 zu erhalten und aufzuwerten. Quellen an Staatsrat der Sache an. Bedauerlicherwei- der vom Staatsrat genehmigten Variante Standorten mit potenziellen Verunreini- se stiess das Projekt mit einem Investi- des Kantonalen Wasserversorgungsplans gungsrisiken, für die kein konkretes Ge- tionsvolumen von ca. 40 Mio. Franken für den Bezirk Mendrisio (PCAI-M 2014) fahrenmanagement möglich ist, werden nicht auf die Zustimmung aller sechzehn nichts mehr im Wege. stillgelegt. damals beteiligten Gemeinden. Diese Zuvor genehmigten die Gemeinderäte äusserten teils abweichende Ansichten 2013 die Gründung des Konsortiums Ac- Grundsatz 2 zum Versorgungsplan, vor allem was die quedotto Regionale del Mendrisiotto ARM, Bau der neuen, unentbehrlichen Seewas- Stilllegung der kommunalen Quellen be- um die geplanten Arbeiten des PCAI um- seraufbereitungsanlage zur Unterstüt- traf, in die sie investiert hatten. Denn im zusetzen sowie den Betrieb nach Fertig- zung der beibehaltenen Quellen und als Zentrum des PCAI stand die Umsetzung stellung der Bauarbeiten sicherzustellen. Ersatz für die stillgelegten.

Fig. 1 Chronologie «Acquedotto Regionale del Mendrisiotto» 34 | WASSER AQUA & GAS N o 6 | 2020

Das Konzept, mit den kommunalen Quel- UMSETZUNGSPLAN tausch zwischen den verschiedenen Ge- len und dem Seewasser für eine Diversi- meinden vor; die zweite Phase, «Etappe fikation somit für mehrere Standbeine Als Körperschaft mit der Aufgabe, die im See», umfasst den Bau der Entnahme- und zu sorgen, ist die wahre Stärke des ARM- PCAI-M 2014 vorgesehenen Arbeiten zu Trinkwasseraufbereitungsanlage in Riva Projekts. Dank der gemeinsamen Heran- planen, umzusetzen und zu betreiben, San Vitale (Fig. 2). gehensweise aller Beteiligten ist es gelun- wurde wie erwähnt das Konsortium ARM Der Kostenvoranschlag für die Abschnit- gen, eine nachhaltige, einvernehmliche gegründet, das sich in streng alphabeti- te «Null» und «See» liegt bei knapp über und sichere Lösung zu erarbeiten. Der scher Reihenfolge wie folgt zusammen- 50 Mio. Franken, wovon ca. 17% durch Sinn für Verantwortung und Solidarität setzt: , Breggia (beschränkt auf kantonale Subventionen gedeckt sind. konnte sich zum Wohle der ganzen Bevöl- die Ortsteile und Sag- Zusätzlich zur Umsetzung der gemein- kerung der Region gegen die Interessen no), (ohne die Ortsteile schaftlichen Anlagen führt das Konsor- einzelner Gemeinden durchsetzen. Und Campora, Casima und Monte), Chiasso, tium ARM die Überwachung der Tempe- dies mit besonderem Augenmerk auf die , Mendrisio, Morbio Inferiore, ratur, des gelösten Sauerstoffs und der Umwelt und auf eine sparsame Wasser- , Riva San Vitale, Stabio und Trübung des Seewassers in einer Tiefe verwendung. Darüber hinaus ist die neue . von 25 bzw. 35 m mittels der im Rahmen Seewasserentnahme ein unverzichtbarer Der Bau der Anlagen ist in zwei Phasen der PCAI-Variante installierten Mess- Bestandteil, um die gegenseitige und soli- unterteilt. Die erste Phase, «Etappe Null» station fort. 2017 wurden die Wasser- darische Hilfe bei der Wasserversorgung genannt, sieht die Vernetzung aller Was- analysen wieder aufgenommen und auf zu gewährleisten. serressourcen und somit den Wasseraus- Mikroverunreinigungen ausgeweitet. Es bestätigte sich, dass das Wasser des Lu- ganersees sich für die Trinkwasseraufbe- reitung und -verteilung eignet.

ETAPPE NULL Die Vernetzung der kommunalen Wasser- leitungen umfasst den Bau der Hauptlei- tung für den Wassertransport von Nord nach Süd, die diversen Verbindungen zwischen den Gemeinden und die Abga- bestation Coldrerio. Die Hauptleitung beginnt an der Fluss- mündung des Laveggio in Riva San Vi- tale und folgt dem rechten Ufer bis zum Pozzo Prati Maggi. Die Trasse verläuft zunächst unter der neuen Strada Indust- riale in Rancate und im weiteren Verlauf entlang des Autobahnanschlusses Men- drisio. Nach Erreichen der Abgabestati- on Coldrerio in der Deponie Valle della Motta folgt sie der Autobahn Richtung Süden. Nahe der Kirche Sant’Antonio zweigt sie nach rechts ab und folgt nach dem Kreisel von Pobbia di Novazzano der Via Passeggiata bis in die Nähe des Endpunktes, Pozzo Prà Tiro in Chiasso. Die Gesamtlänge beträgt ca. elf Kilo- meter. Der Durchmesser der Leitung aus duktilem Gusseisen beträgt auf den ersten 2,5 km bis zum Pozzo Prati Maggi 500 mm und auf den restlichen 8,5 km 400 mm. Sie ist bei Bedarf in der Lage, den gesamten Spitzendurchfluss von 267 l/s ohne nennenswerten Druckabfall zu befördern. Mit dem Verlegen der Hauptleitung wurde 2016, zusammen mit der Autobahnbau- stelle EP26, die Umstrukturierung der Anschlussstelle Mendrisio begonnen (Fig. 3). Bis heute wurden ca. 3,5 km fertigge- Fig. 2 Übersichtsplan der Hauptarbeiten des Acquedotto Regionale del Mendrisiotto (ARM) stellt. Vor der Gründung des Konsortiums AQUA & GAS N o 6 | 2020 WASSER | 35

decken würde, wenn die Quellen mit den nicht mehr zu bewältigenden Nutzungs- konflikten stillgelegt werden. Vor allem nicht in Zeiten, wenn der Verbrauch sehr hoch ist (also dann, wenn die Quellwas- sermenge ohnehin schon knapp ist), oder auch dann, wenn Zwischenfälle oder Pannen auftreten. Die einzige Lösung, um eine ausreichende Wasserzufuhr für das gesamte Gebiet zu gewährleisten, bleibt somit die Seewasserentnahme. Die zukünftige Seewasseraufbereitungs- anlage wird in Riva San Vitale entstehen, etwas nördlich der Battuta. Mit ihrer Auf- bereitungskapazität von 20 000 m³ Was- ser pro Tag wird sie den Bedarf der Re- gion mit etwas über 50 000 Einwohnern decken können. Das aus einer Tiefe von ca. 40 m ent- nommene Seewasser wird vor der Ver- teilung in einem Multibarrierensystem aufbereitet. Dieses umfasst verschiedene Einzelschritte, damit die Einhaltung der Fig. 3 Verlegen der Hauptleitung DN 400 in der Anschlussstelle Mendrisio (2017) Qualitätsanforderungen für Trinkwasser gewährleistet werden kann. Die Trink- wasseraufbereitungsanlage sieht folgen- de Behandlungsschritte vor: – Vorfiltration und Pumpen – Ultrafiltration – Ozonung – Filtration über Aktivkohle – abschliessende Desinfektion

Bei der Aufbereitung handelt es sich um eine Kombination von mehrstufi- gen Schritten, die zu einem sehr hohen Sicherheitsniveau und einer tadellosen Qualität beim Endprodukt führen. Die Dimensionierung der einzelnen Be- handlungsschritte, ihr Verhalten und die verschiedenen Prozesskonfigurationen werden anhand von Versuchen auf einer Pilotanlage für Wasseraufbereitung für die Dauer von mindestens einem Jahr analysiert. Der Beginn ist für Spätsom- Fig. 4 Abgabestation Coldrerio (2020) mer 2020 geplant. Zusätzlich zur Trinkwasseraufberei- hatten die einzelnen Gemeinden die Ver- tungen, hat eine Speicherkapazität von tungsanlage umfasst die Etappe See legung von anderen gemeinschaftlichen 1500 m³, verteilt auf zwei Betonkammern die unterseeische Transportleitung ent- Leitungen vorweggenommen, entweder mit je 750 Kubikmeter. Mit Beendigung lang der Seestrecke zwischen Ronchi in weil sich die Gelegenheit bot (zeitgleiche der Bauarbeiten, geplant für die zweite Dentro und der Mündung des Laveggio Ausführung mit anderen Infrastruktur- Hälfte 2020, wird das Konsortium ARM auf einer Gesamtlänge von 1,7 km. Die arbeiten) oder aus der Notwendigkeit he- den ersten Grundstein für den Austausch Leitung wird einen Durchmesser von raus (Anschluss zwischen Chiasso und von Wasser zwischen den Gemeinden ge- 500 mm haben und auf dem Seegrund Morbio Inferiore infolge der Verunreini- legt haben. ballastiert. gung des Pozzo Polenta). Die Abgabestation Coldrerio (Fig. 4), ETAPPE SEE GEPLANTE INBETRIEBNAHME: 2026 ausgestattet mit einem Reservoir zum Die Wasserbilanz hat einmal mehr be- Die Fertigstellung des ARM-Projekts in- Pumpen und zur Verteilung des Wassers stätigt, dass die zur Verfügung stehen- klusive Umsetzung der Seewasseraufbe- auf die diversen kommunalen Wasserlei- de Wassermenge den Bedarf nicht mehr reitungsanlage ist für 2026 geplant.