Renate Schmidt Bundesfamilienministerin A.D
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 12.12.2008, 20.15 Uhr Renate Schmidt Bundesfamilienministerin a.D. im Gespräch mit Hans Oechsner Oechsner: Liebe Zuschauer, ich begrüße Sie zu einer neuen Ausgabe von alpha- Forum. Zu Gast ist heute Renate Schmidt, SPD-Politikerin und ehemalige Bundesministerin. Frau Schmidt, Politik ist eine Droge und von einer Droge kommt man meistens nur sehr schlecht los. Sie jedoch kommen offenbar ganz gut los davon. Sie werden demnächst 65 Jahre alt und mit 65 schicken Sie sich selbst in Pension, indem Sie nicht mehr zur Wahl antreten. Haben Sie nicht Angst, in ein tiefes Loch zu fallen? Schmidt: Da habe ich überhaupt keine Angst. Es wäre vielleicht ein tiefes Loch gewesen, wenn ich nach meiner Zeit als Ministerin sofort ins absolute Aus gegangen wäre in der Politik. Ich hatte aber das große Glück, dass ich für den Wahlkreis Erlangen noch einmal kandidieren durfte, dass ich also in den letzten Jahren wieder Abgeordnete gewesen und damit z. B. als BAföG-Berichterstatterin sozusagen zu meinen Ursprüngen in der Politik zurückgekehrt bin. Im Vergleich zu meiner Tätigkeit als Ministerin war das doch sehr viel weniger anspruchsvoll. Ich freue mich jedenfalls auf die Zeit nach der Politik, denn ich bin ein Mensch, der sich ein Leben neben der Politik immer sehr, sehr gut hat vorstellen können. Oechsner: Aber sich das vorzustellen und das dann wirklich zu haben ist doch ein Unterschied. Im Augenblick haben Sie vermutlich noch einen vollen Terminkalender, auch wenn das alles nicht mehr so heftig ist, wie das noch vor einigen Jahren der Fall gewesen ist. Schmidt: So ist es. Oechsner: Der volle Terminkalender teilt einem die Zeit ein, gibt einem aber auch das Gefühl von Wichtigkeit. Wie wird das hinterher sein? Schmidt: Erstens habe ich außerhalb der Politik eine ganze Menge Interessen. Zweitens habe ich eine große Familie, die sich zumindest zu einem gewissen Teil freut, dass ich mehr Zeit habe. Mein Mann sieht es manchmal etwas skeptisch, dass ich dann womöglich sehr viel mehr zu Hause sein werde, weil er glaubt, dass ich mit meiner ganzen Energie ihn zu sehr beanspruchen könnte. Aber da muss er sich keine Sorgen machen. Ich lese sehr gerne, ich habe eine große Zahl von Interessen. Insofern mache ich mir also keine Sorgen. Und ich habe auch noch eine ganze Reihe von kleineren Aufgaben, die ich über das Mandat hinaus weiterhin erfüllen werde. Oechsner: Diese Frage lag mir selbst schon auf der Zunge: Wenn Sie dann plötzlich zu Hause sitzen mit all der Energie, die Sie bisher in Ihrem politischen Leben gezeigt haben, dann könnte es für Ihren Partner tatsächlich gar nicht so leicht werden. Da kann es schon sein, dass er sich hin und wieder denkt: "Mensch, so eine kleine Energieableitung in Form einer Aufgabe wäre schon nicht schlecht für sie." Schmidt: Diese "kleinen Ableitungen" wird es ja auch geben, d. h. ich werde nicht 24 Stunden rund um die Uhr zu Hause sein. Oechsner: Und die Öffentlichkeit wird Ihnen nicht fehlen? Schmidt: Nein. Ich arbeite jedenfalls im Moment daran, wieder unbekannt zu werden. Solche Gespräche wie das hier sind diesem Ziel natürlich nicht unbedingt förderlich. Oechsner: Das wollte ich gerade fragen: Wie macht man denn so etwas? Schmidt: Doch, man kann so etwas tatsächlich machen. Das schafft man z. B. dadurch, dass man viele Anfragen von Medien negativ bescheidet und nur noch das macht, was einem wirklich wichtig ist. Das, was wir heute hier machen, fand ich ganz schön, aber ansonsten sage ich sehr, sehr viele Dinge ab. Ich arbeite wirklich daran, wieder unbekannt zu werden. Ich freue mich immer, wenn die Menschen nicht mehr so ganz genau wissen, wo sie mich eigentlich hintun sollen. Oechsner: Gut, heute in der Maske hier bei uns war es noch nicht so. Auf die Frage, ob Sie eitel seien, haben Sie einmal geantwortet: "Ich bin so eitel wie alle, die in der Öffentlichkeit stehen." Schmidt: Ja, so wie Sie vermutlich auch. Oechsner: Wir sprechen aber heute nur von Ihnen! Werden Sie sich denn tatsächlich relativ komplett aus der Öffentlichkeit zurückziehen? Oder haben Sie Ehrenämter? Werden Sie irgendwo Beraterin oder Beirätin? Denn manche Politiker scheiden zwar aus der aktiven Politik aus, haben hinterher aber genauso viele Termine wie vorher. Schmidt: Ich möchte darauf achten, dass mein Terminkalender deutlicher leerer ist. Aber er wird nicht ganz leer sein. Ich bin z. B. mit Barbara Stamm und Rudolf Seiters im Ethikbeirat des Deutschen Lotto- und Totoblocks, wo wir uns um Spielsucht und ähnliche Dinge kümmern. Wir kümmern uns dort aber auch darum, dass das Glücksspielmonopol des Staates erhalten bleibt, weil das die beste Möglichkeit ist, dieser Sucht entgegenzuwirken. Darüber hinaus bin ich gerade berufen worden als Ombudsfrau von Vodafone für Datenschutz und andere Anfechtungen, denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgesetzt sein könnten. Auch das wird eine Aufgabe sein, die über das Mandat hinausgeht. Und ich kandidiere für den Vorstand der Organisation "Gegen Vergessen - Für Demokratie", in der z. B. Hans-Jochen Vogel sehr aktiv gewesen ist. Ich bin in einem Beirat von La Roche für Rheumaerkrankungen usw. Das sind alles keine Tätigkeiten, die einen terminlich permanent in Anspruch nehmen würden, die einen aber doch in einem gewissen Ausmaß in Anspruch nehmen – was wiederum zur Beruhigung meines Mannes beiträgt. Aber das sind keine Termine, die in hohem Ausmaße öffentlichkeitswirksam sind. Insofern wirkt das alles also nicht dem entgegen, was ich vorhin gesagt habe: dass ich daran arbeite, wieder unbekannt zu werden. Oechsner: Sie meinen, ich sollte so langsam anfangen, Ihnen das zu glauben. Schmidt: Richtig. Oechsner: Sie haben in Ihrer politischen Arbeit ja weit mehr als ein Vierteljahrhundert SPD miterlebt, genauer gesagt waren das sogar deutlich über 30 Jahre. Sie haben, wie es sich bei der SPD gehört, eher ganz links angefangen. Schmidt: Das stimmt. Oechsner: Und wo sind Sie heute gelandet? Normalerweise wird man ja etwas ruhiger und "wandert" daher eher in die Mitte. Schmidt: Es gibt Punkte, bei denen ich nach wie vor wohl eher links bin. Es gibt andere Punkte, bei denen ich in meiner Partei zu den eher Konservativen gehöre. Insgesamt würde ich mich heute als ein typisches Mitte-Mitglied einschätzen. In manchen Punkten habe ich meine Positionen gar nicht verändert und bin damit innerhalb der SPD ganz einfach weiter in die Mitte gewandert. In anderen Punkten habe ich sie verändert. Insgesamt würde ich also sagen, Renate Schmidt ist eine Mitte-Frau, ist nach wie vor, denn das war ich immer, eine Pragmatikerin, weil ich auch schon als Linke immer erkannt hatte, was wirklich durchsetzbar ist, was vernünftig ist und was weniger vernünftig ist. Wie gesagt, bei manchen Positionen bin ich nach wie vor eher eine Linke. Oechsner: Sie haben sich also in all diesen Jahren doch auch ein kleines bisschen verändert. Hat sich denn die SPD in dieser Zeit auch verändert? Wie hat sie sich denn verändert? Schmidt: Die SPD ist heute nicht mehr so ganz unverwechselbar. Als ich 1972 in die SPD eingetreten bin, gab es noch sehr klare Lager: Da gab es auf der einen Seite das konservative Lager und auf der anderen Seite die Sozialdemokraten, da gab es noch die Liberalen, die in höherem Ausmaß Sozialliberale waren. Und die Grünen gab es damals noch überhaupt nicht. Diese Unverwechselbarkeit der großen Volksparteien, denn diese Veränderung gilt ja nicht nur für die SPD, ist heute nicht mehr in diesem Ausmaß gegeben. Es ist natürlich auch eine große Schwierigkeit, wenn man nicht mehr eindeutig zu identifizieren ist. Ich glaube aber, dass das gar nicht mehr geht, weil sich nämlich auch die Union der SPD in einem hohen Umfang angenähert hat. Die Auswirkungen der momentanen Finanzkrise werden uns noch lange Zeit begleiten: Das ist eine Krise, die der Sozialdemokratie eigentlich in ihr Gedankengut hineinspielt. Dies wiederum zwingt die anderen Parteien, sich stärker sozialdemokratischem Gedankengut anzunähern. Das alles sind also Dinge, die für uns auf der einen Seite positiv sind, denn man will ja etwas erreichen. Auf der anderen Seite sind sie aber parteipolitisch betrachtet nicht unbedingt positiv für uns, weil das bedeutet, dass man mit anderen zusammen in einen Topf geworfen und damit verwechselbarer wird. Oechsner: Das ist das eine Problem, das man bekommen kann. Das andere Problem hat die SPD in ihrer Geschichte ja auch schon mehrfach erlebt, dass sich nämlich die Linke abspaltet, dass es also links nicht nur die SPD gibt, sondern auch noch andere Parteien, und die SPD dadurch automatisch kleiner wird. Schmidt: Das ist so. Als damals die Grünen entstanden, haben ja manche geglaubt, dass das nur eine vorübergehende Erscheinung wäre. Ich will das zwar nicht gleichsetzen mit der heutigen Zeit, aber ich glaube doch, dass das begrenzte Zeiträume sein werden. Oechsner: Sie meinen damit die heutigen Linken? Schmidt: Ja, das hat etwas mit Personen zu tun und ich glaube, dass wir irgendwann wieder zusammenkommen werden. Gut, das wird sicherlich nicht in den nächsten zwei, drei Jahren geschehen. Oechsner: Glauben Sie denn, dass sich auch dieses Problem mit den Volksparteien eines Tages wieder lösen wird? Die großen Parteien versuchen ja beide schon seit Jahren, immer weiter in die Mitte zu rücken, versuchen immer mehr Mainstreampolitik zu machen, um möglichst viele Wähler "aufzusaugen". Dabei geschieht aber gleichzeitig das, was Sie soeben geschildert haben: Die beiden Volksparteien werden verwechselbar. Schmidt: Die Volksparteien mussten immer versuchen, möglichst viele zu erreichen, sie mussten sich immer auf die Mitte konzentrieren. Sie mussten immer versuchen, von der Mitte aus ihre jeweilige Richtung zu umfassen. Das wird aber heute schwieriger, auch weil die Bevölkerung, die Wählerinnen und Wähler, viel individualistischer sind. Es gibt heute Menschen, die von ihrem Gedankengut her ein bisschen grün, ein bisschen sozialdemokratisch, ein bisschen konservativ und auch ein bisschen liberal sind. Sie entscheiden sich dann auch von Fall zu Fall, welche Partei am besten in ihr Gedankengut hineinpasst.