Name Und Macht
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1 Fjodor Uspenskij NAME UND MACHT DIE WAHL DES NAMENS ALS DYNASTISCHES KAMPFINSTRUMENT IM MITTELALTERLICHEN SKANDINAVIEN 2 3 4 5 INHALTSVERZEICHNIS VORWORT 7 EINLEITUNG 9 I. ÜBERKOMMENE UND ÜBERNOMMENE NAMEN 17 II. EINE FOLGENREICHE NAMENWAHL: Olaf der Heilige und sein Sohn Magnus der Gute 27 III. POTENTIELLE USURPATOREN: anerkannte und nichtanerkannte Thronprätendenten namens Magnus 37 IV. BASTARD UND „MUTTERSÖHNCHEN“: Magnus Erlingsson und Svein-Magnus Estridson 61 V. ZUM KÖNIG GEBOREN — ZUM KÖNIG GEMACHT: Önund-Jakob und sein Bruder Emund 83 VI. DER EINSATZ DES NAMENS IM SPIEL DER POLITIK 101 FAZIT 115 BIBLIOGRAPHIE 119 NAMENREGISTER 131 STAMMTAFELN 153 6 7 VORWORT Der Dank des Verfassers geht zuerst an Dr. Jens Eike Schnall (Bonn) für dessen unabdingbare Hilfe bei den Korrekturen zu diesem Band. Bei der Fertigstellung dieser Abhandlung standen mir folgende Freunde auf unterschiedlichste Weise bei: Aleksander Busygin (Moskau), Yurij Kagar- lickij (Moskau), Tatjana Polskaja (Uppsala), Vladimir Rybakov (Moskau), Prof. Svante Strandberg (SOFI, Uppsala). Ich danke ihnen von Herzen für ihre wert- volle und freundschaftliche Hilfe. Für wertvolle Ratschläge und Auskünfte danke ich Prof. Dr Anatoly Liberman. Ich danke auch meinem Lehrer auf dem Gebiete der germanischen (bzw. skandinavischen) Sprachen und Literatur, Prof. Dr. Olga Alexandrovna Smir- nickaja, die mein Interesse für die Forschung geweckt hat und meine Studien stets mit liebenswürdiger Anteilnahme begleitete. Besonderen Dank schließlich schulde ich meiner Familie, insbesondere meiner Frau, Dr. Anna Litvina und meinem Vater, Prof. Dr. Boris Uspenskij, die mich in jeder Weise unterstützt haben. Ihnen widme ich diese Arbeit. Moskau, August 2003 8 9 „Man untersucht nicht das Wesen des Namens, sondern das Wesen der Namengebung...“ [Keil 1931, 107] EINLEITUNG 10 11 Die vorliegende Forschungsarbeit widmet sich der Rolle des Eigen- namens in der Geschichte des mittelalterlichen Skandinaviens. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Frage, wie die Namen der Mitglieder des Königs- geschlechts ausgewählt wurden: In der Namensgebung für den Thronfolger spiegelt sich in erstaunlicher Weise beinahe die ganze Geschichte der skandi- navischen Halbinsel vom 11. bis zum 13. Jahrhundert wider. Diese Zeit, die unmittelbar auf die Christianisierung folgt, ist eine der markantesten und bedeutendsten für die skandinavische Kultur. Christentum und heidnische Elemente bestanden noch lange nebeneinander und wurden synkretistisch miteinander verbunden. So wurden die Kinder nach der Christianisierung Skandinaviens weiterhin nach ihren heidnischen Vorfahren be- nannt und erhielten auf diese Weise noch als Christen die althergebrachten, heidnischen Namen. Die heidnischen Sippennamen waren außerordentlich beständig und die Namenwahl für ein Kind war bestimmten Regeln unterworfen. Diese Regeln waren natürlich nicht völlig starr und unwiderruflich, jedoch musste das Kind, um der Welt seiner Sippe anzugehören, einen Sippennamen erhalten. Die Namenwahl war ein historischer Moment — fast immer wurde der Name zu Ehren eines verstorbenen Vorfahren verliehen und band das Kind in die Sippen- geschichte ein. Der Brauch, einen Nachkommen nach einem verstorbenen Ver- wandten zu benennen, überlebte den Glauben an die Seelenwanderung um mehrere Jahrhunderte und bleibt ein eigentümliches Relikt solcher archaischen Vorstellungen. In erster Linie betraf dies Kinder, die später die Rolle des Erben ein- nehmen sollten. Sie wurden in der Regel nach ihrem Großvater, Urgroßvater, Onkel oder einem anderen nahen Verwandten der männlichen Linie genannt. Manchmal konnte das Kind unter Umständen auch nach einem Vorfahren der weiblichen Linie oder nach einem Freund der Sippe benannt werden. Nur in einigen Ausnahmefällen ist ein Name durch keinerlei Sippenverbindungen erklärbar. Jedoch sollte durch die Namensgebung ursprünglich die Verbindung des Haupterben mit der Sippe hergestellt werden. Eine besonders bedeutsame Angelegenheit war die Namenwahl in Adels- familien, vor allem in der Königsfamilie. In der christlichen Epoche gilt der Name weiterhin in vielerlei Hinsicht als Instrument der Zukunftsplanung. Das Schicksal eines Sprösslings des Königsgeschlechts, seine Aussichten auf den Thron, hingen wesentlich davon ab, ob er den „richtigen“ Namen erhalten hatte. Wer über die Namen der skandinavischen Könige spricht, berührt un- weigerlich so umfangreiche und schwierige Probleme wie die Ordnung der Thronfolge, das Schicksal des Sippenkultes im Mittelalter, die Beziehung zwischen der Kirche und dem königlichen Herrscher oder die Auffassung von ehelicher Geburt. Zwar kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit natürlich keine dieser Fragen einer detaillierten Betrachtung unterzogen werden, doch ist 12 das Thema ‚Namenwahl‘ ein Punkt, in dem verschiedene historische und philologische Probleme zusammenlaufen, die Implikationen des Namens erlauben es, alle diese Probleme aus einer Perspektive unter einem Gesichts- punkt zu betrachten. Ein solcher richtiger Name war innerhalb einer skandinavischen Königs- familie nicht nur ein Sippenname sondern auch ein dynastischer Name. Worin unterschied sich nun der dynastische Name vom Sippennamen? Der Sippen- name unterstreicht und verstärkt in gewisser Weise die erwünschten verwandt- schaftlichen Verbindungen. Bei der Wahl des dynastischen Namens sollten auch politische Beziehungen des zukünftigen Monarchen berücksichtigt werden, unter dem Aspekt, welche Verwandten ihm in politischer Hinsicht nützlich werden könnten — lebende Familienmiglieder ebenso wie längst verstorbene Vorfahren. Von wesentlicher Bedeutung waren in den Königsfamilien neben den realen Vorfahren auch eine Vielzahl legendärer Urväter und Sippen- begründer, wobei sich die Verbindung zu ihnen als ebenso wichtig erweisen konnte wie zu den nächsten Verwandten. Darüber hinaus wurde in Skandinavien schon verhältnismäßig früh die Idee der „Verwandtschaft“ zwischen den herrschenden Dynastien in Europa angenommen. Manchmal fand diese „Verwandtschaft“ in realen matrimonialen Verbindungen Verwirklichung, manchmal auf der „virtuellen“ Ebene der Legenden. Somit sicherte in der Königsfamilie der dynastische Name wie Sippen- name die Verbindung des Stammhalters zu seiner Sippe unter Einbezug näherer Verwandter, mythischer Vorfahren und mächtiger Nachbarn. Die Sippen- beziehungen waren für den Monarchen noch wichtiger als für den gewöhnlichen Menschen, so dass mythische Herrscher in die eigene Sippe eingegliedert wurden. Damit erweisen sich die dynastischen Namen einerseits als konservativer als einfache Sippennamen (nämlich was die Verwendung von Namen tatsächlicher Vorfahren anbelangt), während sie andererseits auch offener für Neuerungen sind (nämlich was die Namen mythischer Vorfahren oder angeheirateter Herrscher betrifft). * Die Wahl des richtigen Namens für den Sohn des Monarchen war also eine ausgesprochen schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe. Der zu- künftige Herrscher sollte von den Adligen, dem Thing und dem Kriegsgefolge anerkannt werden — denn der skandinavische König war in dieser Epoche nicht einfach nur Regent des Staates, sondern in erster Linie Feldherr und Heerführer. Die Anerkennung durch das Volk und damit die Legitimierung seiner Macht war bei der Thronbesteigung so unverzichtbar wie in jedem Konflikt. Verein- facht gesagt wurde König derjenige, der zum Königsgeschlecht gehörte, durch das Thing gewählt und vom Volk anerkannt wurde. Wenn sich die Wahl bot, wurden die verschiedenen Vorzüge der Prätendenten einander gegenüber ge- stellt. Der richtig gewählte Name war unter den Vorzügen nicht der letztrangige. 13 Ein herrschender König bemühte sich offenbar immer, die Zukunft und das dynastische Schicksal seiner Kinder zu bestimmen, wenn er ihren Namen aus- wählte. Er wandte sich an das Thing, an alle seine Untertanen und sprach in einer eigenen „Sprache der Namen“, einer Sprache, die dem Auditorium ver- ständlich war. Der Thronfolger musste zu jedem Thing des Landes reisen und dessen Unterstützung erlangen, wobei auch der dynastische Name half, denn der Name war ein Zeichen der direkten Willensbekundung des vorangegangenen Herrschers. Die Wahl des zukünftigen Regenten wurde in der Regel unter einer Reihe möglicher Prätendenten — Mitgliedern der Königsfamilie — getroffen. Alle männlichen Nachkommen der Könige, in erster Linie die Brüder des regierenden Königs und seine Söhne, konnten Anspruch auf den Thron erheben. Die Thronfolge konnte gleichermaßen horizontal (von Bruder zu Bruder) wie vertikal (von Vater zu Sohn) verlaufen. Zudem konnte die Herrschaft im Land auf einen einzigen Erben übergehen oder unter allen vollberechtigten Mit- gliedern der Königsfamilie, die auf den Thron Anspruch erhoben, aufgeteilt werden. In einer solchen Situation bestimmte der Name den Vorrang beziehungsweise die Nachrangigkeit des Neffen gegenüber dem Onkel, des Bruders gegenüber dem Bruder. Die Rolle des regierenden Königs bei der Wahl seines Nachfolgers war zweifellos groß: Er selbst gab in der Regel seinen Kindern den Namen, und er hatte zu entscheiden, wer nach ihm die Macht über- nehmen sollte. In der Macht des Königs lag es außerdem, ein neugeborenes Kind als seinen Sohn anzuerkennen oder nicht. Uneheliche Kinder, die von ihren Vätern anerkannt worden waren, genossen in Skandinavien noch lange nach der Christianisierung Rechte, die sich nur wenig von denen der ehelich geborenen Kinder unterschieden. Im großen und ganzen erweist sich die Frage der ehelichen Geburt im heidnischen wie im christianisierten Skandinavien als überaus komplex