Jan Schröder Politische Aspekte Des Naturrechts in Der
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Jan Schröder Politische Aspekte des Naturrechts in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts: Die Begründung des staatlichen Rechtserzeugungsmonopols Einführung In der modernen rechtshistorischen Literatur ist die folgende Ansicht über das rationale Naturrecht verbreitet: Das sogenannte „Vernunftrecht" seit der Mitte des 17. Jahrhunderts soll eine verweltlichte Sozialethik darstellen, eine Art univer- salrechtliches Minimum in dem unentscheidbar gewordenen Religionskonflikt. „Die Besonderheit des neueren Vernunftrechts", so liest man etwa bei Franz Wie- acker1, „ist... seine methodische Emanzipation von der Moraltheologie und seine Erhebung zu einer selbständigen profanen Sozialethik. Die Voraussetzung dieser Emanzipation", schreibt Wieacker, „war freilich die durch die große Glaubens- spaltung erzwungene Entkonfessionalisierung eines Naturrechts, das in den Glaubens-, Verfassungs- und Kolonisationskriegen der Epoche die gemeinsame Sprache einer auch mit geistigen Waffen geführten Auseinandersetzung bleiben mußte." Das Naturrecht war danach also eine Art Religionsersatz, eine universale, überpositive Wertordnung. Das klingt auf den ersten Blick plausibel, aber es drän- gen sich doch bald verschiedene Einwände auf: Das Naturrecht soll die gemein- same Basis für Katholiken und Protestanten gewesen sein - aber überraschender- weise stammen die maßgeblichen Lehrwerke fast durchweg von Protestanten und nicht von Katholiken. Das Naturrecht soll eine verbindliche überpositive Rechts- grundlage gewesen sein - aber in keiner frühneuzeitlichen Epoche findet man eine solche Fülle positiver Gesetzgebung wie in der des Vernunftrechts. Das Natur- recht war übernational - aber es mündet kaum mehr als 100 Jahre nach Hobbes und Pufendorf in eine Nationalisierung der Rechtsordnungen, wie sie bis dahin auf dem europäischen Kontinent unbekannt war. Wenn einem solche Zweifel einmal gekommen sind, dann lassen sie sich nicht mehr so ohne weiteres unterdrücken. Ich meine in der Tat, daß das Vernunftrecht 1 Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (Göttingen 21967) 266f. Vgl. auch (jedoch stärker differenzierend) Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I (München 1988) 269 f. 20 Jan Schröder Wesenszüge trägt, die mit der Etablierung einer „profanen Sozialethik" überhaupt nichts zu tun haben, ja ihr geradezu entgegenwirken. Ebenso viel oder vielleicht sogar mehr als zur Begründung einer universellen Ethik und eines überpositiven Rechts hat das Naturrecht (jedenfalls in der Staatslehre) m. E. zur Rechtfertigung des positiven Rechts beigetragen. Es begründet, wie ich es nennen möchte, ein staatliches Rechtserzeugungsmonopol. Diese positivistische und legalistische Tendenz wird zwar in der modernen Literatur hier und da erkannt2. Aber die rechtstheoretischen und die verfassungsgeschichtlichen Dimensionen dieses Phä- nomens werden nach wie vor unterschätzt. Man muß sehen, daß die überpositive naturrechtliche Staatslehre das positive Recht aufwertet und damit paradoxer- weise eine der Wurzeln des modernen Rechtspositivismus ist (das ist die rechts- theoretische Dimension). Und indem sie als positives Recht nur das staatliche Ge- setz anerkennt, bahnt sie den Weg in den modernen Gesetzgebungsstaat (das ist die verfassungsgeschichtliche Dimension). Um diese Behauptungen zu beweisen, möchte ich zunächst den naturrecht- lichen Gedankengang skizzieren, der zur Begründung des staatlichen, positiven Gesetzes führt (I). Ich versuche dann zu zeigen, wie sich im Laufe des späten 17. und des 18. Jahrhunderts das staatliche Gesetz gegenüber anderen Formen der positiven Rechtserzeugung (Statutenrecht, Gewohnheitsrecht) und schließlich so- gar gegenüber dem Naturrecht selbst durchsetzt, und zwar eben gerade auf der Grundlage der naturrechtlichen Theorie (II). Ich beschränke mich dabei auf die Entwicklung in Deutschland und - was die naturrechtliche Staatslehre angeht - auf die insofern wohl einflußreichsten Theoretiker des mittleren und späten 17. Jahrhunderts, nämlich Thomas Hobbes, Samuel Pufendorf, Christian Thoma- sius und Justus Henning Böhmer. I. Die Begründung des staatlichen Rechtserzeugungsmonopols in der naturrechtlichen Staatslehre Zum Rechtserzeugungsmonopol des Staates führt folgender Gedankengang: Im vorstaatlichen Zustand ist kein Mensch vor den bösen Neigungen des anderen sicher3. Die Existenz des Naturrechts reicht nicht aus, da - wie Hobbes sagt - „die 2 S. bereits Sten Gagner, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung (Stockholm u.a. 1960), der von einem „Gesetzespositivismus" (72, 76) Christian Wolfis spricht. Vgl. auch die Beobachtungen Dietmar Willoweits zum Beginn eines positivistischen Denkens im 17. Jahr- hundert (Der Usus modernus oder die geschichtliche Begründung des Rechts. Zur rechts- theoretischen Bedeutung des Methodenwandels im späten 17. Jahrhundert, in: ders. [Hrsg.], Die Begründung des Rechts als historisches Problem [München 2000] 229-245) undJ. Schrö- der, Naturrecht (wie Anm. 61) 433. 3 Thomas Hobbes, De cive (1642), Vorwort an den Leser 69f.; cap. 1, § 12, 83 f. (ich zitiere die Übersetzung und Seitenzahlen der deutschen Ausgabe: Vom Menschen. Vom Bürger, eingel. und hrsg. von Günter Gawlick [Hamburg 1994]). Politische Aspekte des Naturrechts 21 bloße Erkenntnis der natürlichen Gesetze doch nicht jedem sofort die Sicherheit ihrer Befolgung gibt"4. Deshalb müssen sich die Menschen in einer Einrichtung vereinigen, die Schutz vor dem bösen Willen der einzelnen gewährt. In dieser Ein- richtung muß ein Wille herrschen (sei es der einer Einzelperson oder der einer Versammlung)5, der sich am gemeinen Wohl orientiert6. Der wichtigste Ausdruck dieses Willens ist das positive Gesetz. Hobbes definiert es als „die Gebote des mit der höchsten Gewalt im Staate Betrauten in bezug auf die zukünftigen Handlun- gen der Bürger"7. Diese Ansichten sind nicht, wie man in der rechtshistorischen und philosophi- schen Literatur noch immer lesen kann8, ein Spezifikum von Hobbes als einem positivistischen Einzelgänger. Bei Pufendorf und Thomasius findet sich ganz der- selbe Hobbessche Gedankengang, daß nämlich Ursache des Staates der Schutz vor Übeln ist, die dem einen Menschen vom anderen drohen (Pufendorf)9, bzw. die Furcht (Thomasius)10; daß das Naturrecht nicht ausreicht, um ein rechtmäßiges Verhalten der Menschen zu erzwingen11; daß ein gemeinsamer, am Gemeinwohl orientierter, Wille geschaffen werden muß12, dessen Ausdruck vor allem das Gesetz ist. Dementsprechend steht auch bei Pufendorf und Thomasius an der Spitze der Majestätsrechte die Gesetzgebungsgewalt13. Ihre Bindung an das „Ge- meinwohl" ist nicht sehr wirkungsvoll, da allein der Herrscher definiert, was dem Gemeinwohl dient14. Konsequenterweise übernehmen dann Pufendorf und Tho- masius, wie fast alle deutschen Juristen des späten 17. und des 18. Jahrhunderts, auch den positivistischen Gesetzesbegriff Hobbes': Die positiven Gesetze sind 4 T. Hobbes, (wie Anm. 3) cap. 5, § 1, 124. 5 T. Hobbes, (wie Anm. 3) cap. 5, § 6,128. 6 T. Hobbes, (wie Anm. 3) cap. 13, § 2, 205. 7 T. Hobbes, (wie Anm. 3) cap. 6, § 9, 135. 8 Zum Einfluß Hobbes' auf Pufendorf s. jetzt aber Fiammetta Palladini, Pufendorf - disce- polo di Hobbes (Bologna 1990); auf Thomasius: Peter Schröder, Naturrecht und absolutisti- sches Statsrecht. Eine vergleichende Studie zu Thomas Hobbes und Christian Thomasius (Berlin 2001). 9 Samuel Pufendorf, De iure naturae et gentium libri octo (erstmals 1672), üb. 7, cap. 1, § 7, 634 (ich zitiere nach der Neuausgabe in: Gesammelte Werke, Band 4, hrsg. von Frank Böh- ling [Berlin 1998]). 10 Christian Thomasius, Institutiones iurisprudentiae divinae (1688) (Halle 71730, 2. Ndr. Aalen 1994) lib. 3, cap. 6, §§ 12 und 15, 386f. 11 S. Pufendorf, (wie Anm. 9) lib. 7, cap. 1, § 8, 635 f.; C. Thomasius, (wie Anm. 10) lib. 3, cap. 6, § 24, 388. 12 S. Pufendorf, (wie Anm. 9) lib. 7, cap. 2, § 5,642 (ein Wille); lib. 7, cap. 9, § 3, 736 (Gemein- wohl); C. Thomasius, (wie Anm. 10) lib. 3, cap. 6, §§ 27 und 28, 389 (ein Wille); lib. 3, cap. 6, § 163,408 (Gemeinwohl). 13 S. Pufendorf, (wie Anm. 9) lib. 7, cap. 4, § 2,667; C. Thomasius, (wie Anm. 10) lib. 3, cap. 6, § 146,406; aber auch schon T. Hobbes, (wie Anm. 3) cap. 6, § 18,145 („Die Kennzeichen die- ser höchsten Staatsgewalt sind der Erlaß und die Aufhebung der Gesetze ..."). 14 S. Pufendorf, (wie Anm. 9) lib. 7, cap. 6, § 13, 77, auch lib. 8, cap. 1, § 5 mit Hinweis auf T. Hobbes, (wie Anm. 3) cap. 12, § 1,193. 22 Jan Schröder „Dekrete des Oberherrschers"15, die auch auf seiner „nackten Willkür" beruhen können (Pufendorf)16. Von dem alten, wertbezogenen Gesetzesbegriff, wonach Gesetz nur eine vernünftige oder gerechte Regelung sein kann17, ist nichts mehr übrig. Nur Justus Henning Böhmer sieht die Dinge etwas anders18, definiert den Staat dann aber letztlich auch als Zusammenschluß zum sichereren und ruhigeren Leben der Menschen19, in dem ein Wille herrschen muß20, und rechnet gleichfalls mit der Notwendigkeit positiver Gesetze21. Zwei Gesichtspunkte treten also in dieser Lehre vom positiven Gesetz beson- ders hervor: Einmal, daß das positive Gesetz neben dem Naturrecht nötig ist, daß mit dem Naturrecht allein sozusagen „kein Staat zu machen ist". Zweitens, daß das positive Gesetz nur eine einzige Quelle hat, den Staat, in dem eben nur ein, dem Gemeinwohl verpflichteter, Wille herrschen darf. Der zweite Gesichtspunkt wird bedeutsam für die Lehre vom Statuten- und vom Gewohnheitsrecht, der ich mich jetzt zuwende, der erste für das Verhältnis von Naturrecht und positivem Recht überhaupt (dazu am Ende). 15