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Sendung vom 19.09.2006, 20.15 Uhr

Dr. Thomas Goppel Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst im Gespräch mit Werner Reuß

Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-forum. Unser heutiger Gast ist Dr. Thomas Goppel, Mitglied des Bayerischen Landtags seit 1974 und Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Ich freue mich, dass er hier ist, herzlich willkommen, Herr Staatsminister. Goppel: Hallo, Herr Reuß. Reuß: "Politik ist die Kunst, das Notwendige möglich zu machen", sagte Herbert Wehner, einst legendärer Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Und Norbert Blüm, der langjährige Minister unter Kanzler Helmut Kohl, meinte einmal: "Politik ist Handwerk, nicht Mundwerk!" Was ist Politik für Dr. Thomas Goppel? Goppel: Die Möglichkeit, jeweils aus unterschiedlichen Lösungsvorschlägen im Gespräch mit anderen die richtige Lösung auszusuchen und sie dann auch durchzusetzen. Reuß: "Politik ist die Durchsetzung des Notwendigen im Einklang mit den Betroffenen", haben Sie einmal gesagt. Das klingt nach Pragmatismus, das klingt auch konfliktmildernd, wenn ich das einmal so formulieren darf. Ist das Ihr Politikverständnis? Goppel: Mein Politikverständnis habe ich wohl ein klein wenig von der Art und Weise meines Vaters, um nicht zu sagen von der Art und Weise, wie meine Eltern Politik gemacht haben, übernommen. Sie haben morgens das Haus verlassen – unter all den Eindrücken und Problemen, die in einer Familie auftreten können – und dann war es, als ginge ein Ruck durch sie. Wenn mein Vater von zu Hause wegging, dann war er den ganzen Tag über letztlich komplett weg von uns: Dafür hat er sich aber jedem zugewandt, der auf ihn zugekommen ist, um zu sehen, ob er ihm helfen kann. Das hat mir ungeheuer imponiert. Ich versuche das zwar nicht zu imitieren, aber ich versuche immerhin, das auf meine Weise so zu machen. Ich finde jedenfalls, Politiker sind Pulsfühler. Reuß: Für jeden Politiker, der erfolgreich sein will, ist es sicherlich notwendig, dem Volk auch aufs Maul zu schauen, wie man salopp sagt. Nun gibt es aber diesen schönen Satz von Erwin Teufel, der einmal gesagt hat: "Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, wird bald Witwer sein!" Besteht die Gefahr, dass man dann, wenn man dem Volk zu sehr "aufs Maul schaut", diesem nach dem Munde redet? Wie groß ist die Gefahr des Populismus in der Politik und wie schützt man sich davor? Goppel: Ich glaube, dass der Populismus letztlich keine große Gefährdung darstellt. Denn Populismus ist ja eigentlich etwas, das einen Politiker den ganzen Tag überlegen lässt, wie er am schnellsten und am besten mit anderen im Reinen ist. Er denkt dann aber nicht mehr über die Sache nach. Genau deswegen wird er dann jedoch sehr schnell abgewählt. Dieser Satz mit dem Witwer ist also eine gute Beobachtung von Erwin Teufel. Ich glaube vielmehr, es ist notwendig, sich mit den Menschen anzufreunden. Wenn man das tut, dann ist man gelegentlich vielleicht ein bisschen zu freundlich und zu aufgeschlossen oder auch zu muffig, weil man bestimmte Leute möglicherweise nicht leiden kann, aber im Prinzip ist man dann auf einem guten Weg: Man orientiert sich am Umfeld! Denn man steht ja mit jedem Schritt, den man macht, dem einen näher und dem anderen gegenüber ist man ferner, distanzierter. Das heißt, der Wechsel bleibt garantiert. Reuß: Da Sie schon so lange in der Politik tätig sind und so viele verschiedene Funktionen innehatten, versuche ich noch ein bisschen an den Insider heranzukommen, ihm noch ein paar Geheimnisse zu entlocken. "Es gibt in der Politik Menschen, die sagen zehn Mal so viel, wie sie wissen, und es gibt solche, die nur ein Zehntel von dem sagen, was sie wissen." Dieser Satz stammt vom amtierenden Vizekanzler Franz Müntefering. Gilt also doch das Bonmot von Generalfeldmarschall Moltke, der einmal sagte: "Alle, was man sagt, muss wahr sein, aber nicht alles, was wahr ist, muss man sagen." Goppel: Da hat Moltke sicherlich recht gehabt. Es ist sogar so, dass man nicht nur nicht alles sagen muss, was wahr ist, sondern man darf nicht alles sagen, was wahr ist. Denn damit würden gelegentlich die Möglichkeiten verschüttet werden, etwas zu entwickeln. Die Menschen leben nämlich nicht zu einem geringen Teil in allem, was sie tun, von Träumen. Wenn jemand zu mir in die Sprechstunde kommt, dann geht es oft genau darum. Sprechstunde halten ist übrigens etwas, das ich besonders gerne und auch regelmäßig mache, eigentlich jede Woche einmal. Da kann sich jeder melden und über sein Anliegen sprechen. Ich muss da natürlich manchmal zugeben, dass ich von bestimmten Dingen im Zusammenhang mit diesen Anliegen nichts verstehe. Aber das bedeutet doch immerhin, dass ich aufgeschlossen bleibe für das, was die Menschen bewegt. Gerade in diesem Bereich ist es sehr, sehr notwendig, sich selbst ganz zurückzunehmen und den anderen kommen zu lassen. Und ich stelle fest, dass jeder, der bei mir landet, im Prinzip subjektiv eine Geschichte erzählt, die objektiv oft ganz anders aussehen kann. Das lehrt einen selbst, dass man in fast allem nicht objektiv, sondern subjektiv unterwegs ist – selbst dann, wenn man sich um Objektivität bemüht. Reuß: "Politik kann so etwas wie eine Sucht werden", sagte Ihr Parteikollege Horst Seehofer. Teilen Sie seine Auffassung? Kann Politik süchtig machen? Goppel: Ich glaube, der Umgang mit Menschen macht süchtig. Wenn man Spaß daran hat, zusammen mit anderen Dinge zu entwickeln, dann verlernt man mit der Zeit, dass man das auch alleine und isoliert können muss. Man ist dann also darauf angewiesen und auch darauf aus, dass man möglichst häufig mit anderen zusammen ist. Dass Politik süchtig macht, ist aber meines Erachtens trotzdem der falsche Ausdruck dafür. Ich erlebe Horst Seehofer ja häufig, wenn er unterwegs ist – in den früheren Jahren etwas mehr als heute, aber immerhin –, und kann daher sagen: Bei Horst Seehofer ist das genauso wie bei mir und wie es z. B. auch Schauspielern geht: Wir brauchen den Beifall! Reuß: "Glaubwürdige Politik bedeutet für mich Verlässlichkeit gegenüber den Partnern und Mut zur Verantwortung". Dieser Satz stammt auch von Ihnen. Heißt "Mut zur Verantwortung", dass man manchmal auch Entscheidungen gegen Mehrheiten in der Bevölkerung treffen muss? Goppel: Gegen Mehrheiten in der Bevölkerung Entscheidungen zu treffen, ist ganz schwierig. Aber gegen die geltende Meinung muss man nicht selten stehen. Ich habe dabei z. B. so einen Fall in den letzten Monaten vor Augen. Es ging um die Neustrukturierung unserer Universitätslandschaft. Da gibt es wichtige und exzellente Leute, die uns raten, bestimmte Teile des universitären Angebots wegzulassen. Beim Weglassen ist dann natürlich niemand mein Freund. Wenn es hingegen darum geht, neue Angebote zu machen, dann kann ich mich vor Freunden kaum retten. Die Wahrheit liegt nun einmal in der Mitte: Ab und zu muss man eben auch einsam sein. Man kann sich in der Politik auch nicht in der Weise retten, wie das teilweise in der Wirtschaft mit den Unternehmensberatungsfirmen gemacht wird: Man lässt die Unternehmensberater das sagen, was man selbst eigentlich sagen möchte, sich aber nicht zu sagen traut, weil es zu negativ sein könnte. Die positiven Dinge sagt man dann jedoch sehr wohl gerne selbst. Nein, in der Politik ist das nicht möglich: In der Politik muss man das Unangenehme schon selbst sagen. Reuß: Kommen wir zu Ihrem Fachbereich. Wenn man darüber nachliest, dann stellt man fest, dass das eigentlich ein riesiger Bereich ist. Sie sind zuständig für zehn Universitäten, für 22 staatliche Fachhochschulen, für fünf staatliche Kunsthochschulen und für eine Reihe weiterer Hochschulen in kommunaler, kirchlicher oder privater Trägerschaft. Darüber hinaus sind Sie zuständig für die Bereiche Kunst und Kultur, für die Forschungseinrichtungen usw. Insgesamt investiert der Freistaat Bayern in seinem Haushalt in diesen Bereich jährlich rund vier Milliarden Euro. In Ihren Verantwortungsbereich fallen z. B. auch staatliche Bibliotheken, die staatlichen Archive, das Staatstheater, verschiedene Museen, der Denkmalschutz usw. Wenn ich das alles so überblicke, dann möchte ich Sie gerne fragen, was Ihnen dabei mehr Last und was mehr Lust ist. Ich hoffe, ich bringe Sie damit nicht in eine unangenehme Lage. Haben Sie einen Lieblingsbereich? Goppel: Nein, denn Lust und Freude macht mir alles. Wenn man in der Politik ist, dann geht es meiner Meinung nach wohl zunächst einmal vor allem darum, sich frei zu halten dafür, in bestimmten Gestaltungsbereichen unterwegs zu sein. Wenn man die Gestaltung als die übergreifend wichtige Aufgabe sieht, dann gibt es eigentlich nichts, was einem eine Last wäre. Denn selbst wenn einem inhaltlich etwas nicht so liegen würde, steht doch der Gestaltungsgedanke immer im Vordergrund. Das macht z. B. bereits einen Unterschied zum Umweltministerium aus, in dem ich ja auch einmal gewesen bin. Dort geht es nämlich sehr, sehr oft "nur" um die Verhinderung von Entwicklungen, die bereits gestern eingeleitet worden sind; es geht darum, bestimmte Dinge wieder abzubauen usw. Denken Sie nur einmal an die Abwasserproblematik: Das ist oft sehr, sehr diffizil, das dann wieder umzulenken. Im Universitätsbereich jedoch gibt es immer die Möglichkeit, auf einer anderen Ebene "die gute Seite" zur Entfaltung zu bringen und sie sich entwickeln zu lassen. Gut, man muss natürlich auch dort immer wieder bestimmte Widerstände überwinden, aber in diesem Ministerium habe ich wirklich an allem Freude. Reuß: Die Bildungspolitik ist ja ein eminent wichtiger Bereich, zumal in der Landespolitik, da die Bildung ja Ländersache ist. Stimmt denn der Satz von Hans Schwier, der in den siebziger Jahren Kultusminister in Nordrhein- Westfalen war und einmal gesagt hat: "Bildungspolitik ist ein Teil von einer Kraft, die stets das Gute will und oft Probleme schafft." Goppel: Dieser Satz ist sicherlich nicht verkehrt, aber er stellt doch eine Verallgemeinerung dar, die ich so nicht gelten lassen würde. Bildungspolitik ist der Versuch, jedem Menschen den Freiraum zu schaffen und zu erhalten, den er braucht, um sich bestmöglich entfalten zu können. Das heißt, dass für jeden Menschen ein anderer Freiraum vorhanden sein muss. Und das bedeutet wiederum, dass man möglichst nah am Menschen entscheiden muss. Deswegen ist es auch gut, dass wir auf dem Gebiet der Bildungspolitik nicht jemanden in Berlin beauftragen, der dann in Kiel dasselbe Urteil abgibt wie in München. Dafür ist Deutschland einfach zu groß. Deswegen ist die föderative Ordnung, deswegen ist die Länderzuständigkeit hier etwas ganz Spannendes. Sie müssen sich ja nur einmal all diese Studien wie PISA, TIMMS usw. genau anschauen: Es gewinnen dabei in Europa immer nur Staaten zwischen fünf und 15 Millionen Einwohnern! Staaten mit 80 Millionen Einwohnern gewinnen diese Vergleichsstudien nie! Sie können gar nicht an die erste Stelle gelangen, weil in so großen Staaten viel zu viel in der Vereinheitlichung untergeht, was sich in der Vereinzelung anders entfalten kann. Reuß: Sie beschäftigen sich ja schon sehr lange mit Bildung, mit Bildungspolitik. Sie waren ja auch bereits lange Jahre Staatssekretär in diesem Ministerium, in dem Sie heute Staatsminister sind. "Bildung ist Teilhabe, die mehr ist als Teilhabe am Erwerbsleben; Bildung ist Teilhabe am Leben", sagte der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau. Was ist Bildung für Thomas Goppel? Goppel: Bildung ist der Zustand, von dem aus man die Welt beurteilt und sich der Kritik der anderen stellt. Reuß: Ich würde an diesem Punkt unseres Gesprächs gerne eine inhaltliche Zäsur machen und unseren Zuschauern den Menschen Thomas Goppel näher vorstellen. Sie sind am 30. April 1947 in Aschaffenburg geboren, also ganz im Nordwesten Bayerns, im Regierungsbezirk Unterfranken. Aschaffenburg hat heute etwa 70000 Einwohner und ist eine kreisfreie Stadt. Sie sind der Vierte von fünf Söhnen und um Ihr familiäres Umfeld zumindest ein bisschen verstehen zu können, muss man selbstverständlich Ihren Vater erwähnen. Er war Jurist, praktizierte zunächst als Anwalt und war in der Kommunalpolitik tätig. Ab 1954 saß er im Bayerischen Landtag und war von 1962 bis 1978 Bayerischer Ministerpräsident. So lange war keiner vor ihm und bisher auch keiner nach ihm Ministerpräsident. Hat man es als Kind mit einem solchen Vater eher leichter oder eher schwerer? Goppel: Wenn man selbst so ein wenig in die Jahre kommt und im Laufe der Zeit ein klein wenig Lebenserfahrung gesammelt hat, dann weiß man, dass man es dadurch leichter gehabt hat. Davor, während all der Jahre der eigenen Entwicklung, glaubt man jedoch regelmäßig, dass man es schwerer hat. Das geht mir sogar heute noch so, denn es gibt genügend Dinge, bei denen ich mir sagen kann: "Eigentlich könnte ich das auch lockerer, leichter haben. Da müsste jetzt nicht immer der Hinweis auf den Vater kommen!" Aber jede Anstrengung, die man auf diese Weise zusätzlich abverlangt bekommt und dann auch meistert, ist am Ende eine Erleichterung. Das ist eben etwas, das man erst mit zunehmendem Lebensalter registriert. Ich bin heute selig, wirklich selig darüber und ausgesprochen erfreut, dass ich in diesem Elternhaus habe aufwachsen dürfen: mit Eltern, die ein Maß an Toleranz hatten, das ich sonst nirgends erlebt habe. Dabei waren sie jedoch gleichzeitig ungeheuer standpunkttreu. Und das ist ja eigentlich auch die Definition von Toleranz: selbst einen Standpunkt haben, aber andere nicht anfeinden, wenn und weil sie anderer Überzeugung sind. Dieses unendliche Maß an Toleranz und Standpunktreue ist etwas, das mir heute ungemein hilft. Reuß: Ihr Vater kam ursprünglich aus Regensburg, Ihre Mutter aus Bad Bentheim in Niedersachsen. Auf die Frage, was Sie an Ihren Eltern bewundern, haben Sie einmal gesagt: "Bei meinem Vater die Toleranz und Liberalität eines abgeklärten Menschen, bei meiner Mutter die Standfestigkeit im Glauben und in der Welt." Wer hat die Kinder mehr geprägt, der Vater oder die Mutter? Goppel: Jeder auf seine Weise, hier gibt es kein Entweder-Oder. Es gibt Bestandteile, die nur die Mutter geprägt hat, denn mein Vater war ja auch selten dabei, weil er meistens unterwegs gewesen ist. Und dann gibt es natürlich auch Dinge, die sich automatisch vom Vater her ergeben haben. Ich glaube, die Beschreibung mit Toleranz und Standfestigkeit im Glauben sagt ganz deutlich, wie das war. Den Vater hat man beobachtet, z. B. auch über das Fernsehen, obwohl es damals natürlich noch nicht so viel Fernsehen gegeben hat, aber immerhin. Die Mutter hingegen hat man sozusagen live erlebt. Mein kleiner Bruder hat z. B. mal in der zweiten Klasse, als er auf einem Formblatt gefragt wurde, ob der Vater in der Familie leben würde, angekreuzt: "lebt nicht in der Familie". Meine Mutter wurde daraufhin gefragt, warum er das geschrieben hätte. Sie wusste es nicht und fragte dann wiederum ihn selbst. Er meinte damals nur: "Ei, der kommt doch nur zum Schlafen heim!" So war es tatsächlich. Reuß: Sie sind in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen, in dem der Glaube tradiert und gepflegt wurde. Ich habe gelesen, dass Sie bereits im Alter von sieben Jahren ministriert haben. Hat Sie das geprägt? Goppel: Ich glaube schon. Ich habe z. B. auch in eigenwilligen und besonderen Situationen ministriert. Ich war von Anfang an niemand, der quasi nur im 17. Glied im Doppel mit dem Leuchter mitgelaufen wäre. Nein, ich habe fast immer irgendwelche etwas exotischen Geistlichen, die ansonsten keine Ministranten vertragen haben, begleitet. Ich habe da immer leise geläutet, nur leise gesprochen und war besonders freundlich im Umgang mit diesen Geistlichen. Das war immer schon mein Metier: Ich war immer schon quasi als Adlatus eines Geistlichen mit dabei. Dabei habe ich viel gelernt. Was mich ganz sicherlich besonders geprägt hat, ist diese andere Umgangsform miteinander, weil man ja in der Sakristei und in der Kirche doch ein ganzes Stück mehr an Noblesse an den Tag legen muss und z. B. all die Rauferei nicht im Vordergrund steht. Das hat mir sicherlich geholfen. Reuß: Bis kurz vor dem Abitur wären Sie, wie man nachlesen kann, auch gerne Pfarrer geworden. Sie sollen mal gesagt haben: "Wenn es das Zölibat nicht gäbe, wäre ich heute Pfarrer." Goppel: Ja, das habe ich sicherlich gesagt. Reuß: Wären Sie im Rückblick auch heute noch gerne Pfarrer? Goppel: Der geistliche Beruf hat mich immer interessiert. Das ist auch ein Stückchen mehr als Politik. Denn da geht es ja um die Auslegung von Dingen, mit denen man selbst und alleine im Unreinen ist: Wer kann schon von sich sagen, dass er wüsste, wie der Himmel aussieht. Und dennoch muss man als Geistlicher jeden Tag darüber sprechen. Die Politik ist in diesem Sinne nicht weit weg davon, denn auch dort muss ich ja den Leuten klar machen, dass es einen Sinn macht, morgen wieder anzupacken und da zu sein. Der geistliche Beruf hat es dabei ein kleines bisschen leichter: Beim Pfarrer erwarten die Leute nicht, dass er das nachweisen, dass er das beweisen kann. In der Politik hingegen erwarten die Menschen, dass bestimmte Dinge morgen dann auch tatsächlich so sind. Ich unterscheide das gelegentlich und etwas vereinfachend unter folgendem Gesichtspunkt: Wir Politiker sind fürs Wohl zuständig, die Pfarrer fürs Heil. Ich glaube, so ganz verkehrt liege ich da nicht. Reuß: Ihr Vater war äußerst erfolgreich und auch sehr beliebt als Ministerpräsident. 1974 erzielte er bei der Landtagswahl mit 62,1 Prozent das bisher höchste Ergebnis, das eine Partei in der Bundesrepublik Deutschland bei einer Landtagswahl jemals erreicht hat. Haben Sie von ihm auch viel für Ihre politische Arbeit gelernt? War er Ihnen ein Vorbild? Goppel: Er war mir ein Vorbild, auch wenn er nie auch nur ein einziges Mal von sich aus in irgendeiner Weise eingegriffen hätte. Das hat er nie gemacht. Wir haben fast alles auf ganz unterschiedlichen Wegen gemacht: Als ich 1974 für den Landtag kandidierte, geschah das auf Wunsch und Aufforderung von CSU-Freunden. Mein Vater meinte dazu: "Das lässt du bleiben! Vater und Sohn im gleichen Parlament, das geht nicht! Das ist nicht in Ordnung!" Ich sagte zu ihm jedoch: "Du kandidierst in der Oberpfalz, ich kandidiere in Oberbayern. Das muss dich doch nicht stören." Als ich dann drin war im Landtag, war damit das Hauptproblem erledigt. Aber es gab trotzdem immer so eine gewisse Distanz. Es war ungewöhnlich, dass in dem eigentlich behüteten Raum, den die Familie für jemanden darstellt, der sich sonst permanent draußen in der Welt bewegt, plötzlich ein weiteres Familienmitglied in der gleichen Riege unterwegs war. Seither glaube ich so ein klein bisschen nachvollziehen zu können, wie es älteren Unternehmern geht, die ihren Sohn mit ins Geschäft nehmen. Das ist doch ein Blick über die Schulter, den man nicht so ganz leicht verkraftet. Das habe ich vor allem gemerkt, als ich dann bei Franz Josef Strauß 1986 ins Kabinett gekommen bin: Es hat dem Vater sehr zu schaffen gemacht, dass da plötzlich jemand – zwar in einer ganz anderen Position, aber eben doch aus dem Kabinett – ähnlich berichten konnte, wie er das 16 Jahre lang gemacht hatte, wenn er bei uns zu Hause über das Kabinett berichtet hat. Da tritt man in Bereiche der Intimsphäre des Vaters oder, je nachdem, der Mutter hinein und das ist dann nicht so ganz selbstverständlich. Ich glaube, daran hat man als Betroffener ganz schön zu beißen. Reuß: Kommen wir zurück zu Ihrer Biographie. Sie haben zunächst in Aschaffenburg die Schule besucht und dann in München Ihr Abitur gemacht. Anschließend haben Sie in Würzburg Philologie und Geschichte studiert und für das Lehramt an Volksschulen in München. Darüber hinaus waren Sie auch noch in Salzburg, wo Sie Pädagogik und Philosophie studierten und wo Sie 1982 auch promovierten. Weil mich das sehr interessiert hat, habe ich nachgelesen, dass Sie über bayerische und österreichische Lehrpläne promoviert haben. Ab 1970 waren Sie dann auch als Lehrer tätig. Woher kam der Impetus, als Lehrer tätig werden zu wollen? Goppel: Ich glaube, diese drei Dinge liegen einfach nahe beieinander. Da fehlt eigentlich nur noch ein Beruf, nämlich Ihrer, der Beruf des Journalisten. Wenn man diese vier Berufe nebeneinander stellt, dann stellt man fest, dass das ganz, ganz ähnliche berufliche Tätigkeiten sind. Der Geistliche, der Politiker, der Lehrer und der Journalist sind alle vier damit beschäftigt, Botschaften zu übersetzen oder auch Botschaften weiterzugeben und dabei Überzeugungsarbeit zu leisten und Freunde zu gewinnen. Ich glaube, das ist in all diesen vier Bereichen gleich. Es gibt noch einen fünften Beruf, der mich interessiert hätte, das ist der Konfektionär gewesen: Das ist im Prinzip das Ausstaffieren mit bestimmten Dingen und damit letztlich wieder das Gleiche, je nachdem, aus welcher Richtung man das betrachtet. Mir hat es jedenfalls von Anfang an unheimlichen Spaß gemacht, Menschen zu erleben und ihnen Ratschläge zur Veränderung zu geben. Mir geht es nicht darum, sie zu verändern, denn das muss jeder selbst machen, aber es ging und geht mir doch darum, so ein Stück weit Ratschläge zu geben und zu sagen: "Lass uns doch mal probieren, ob wir nicht auch einen anderen Weg gehen können." Mit anderen zusammen ein Stück dieser Strecke gemeinsam zu gehen, war das, was mich immer schon gereizt hat. So war das 1970 dann auch im Schuldienst. Es gibt ja nicht wenige unter den Kollegen, die mir gelegentlich nachsagen, dass ich mir den Zeigefinger ganz stark angeeignet hätte und ihn mir nicht abgewöhnen könne. (lacht) Reuß: Im Alter von 20 Jahren sind Sie 1967 in die CSU eingetreten. Unter normalen Umständen würde man sagen, Sie haben sich sehr früh politisch engagiert. Da Sie aber aus einem sehr politischen Elternhaus kamen, muss man sagen: So früh war das nun auch wieder nicht. Denn Ihr Vater war damals ja bereits Ministerpräsident in Bayern. Wie hat eigentlich Ihr Vater auf Ihren Parteieintritt reagiert? Gab es da Ratschläge von ihm? Sie haben es vorhin ja schon ein wenig angedeutet: Hat er Ihnen diesen Parteieintritt anempfohlen? Oder hat er Ihnen abgeraten? Goppel: In die CSU eingetreten bin ich nicht, weil mein Vater oder die Eltern irgendwie darauf gedrängt hätten. Nein, ganz im Gegenteil. Ich bin eingetreten, weil es eben um diese Ratschläge ging, von denen ich vorhin gesprochen habe, um die Frage der Beteiligung. In der Gemeinde Krailling, in der wir wohnten, ging es damals um einen umstrittenen Bürgermeisterkandidaten. Die eine Hälfte der CSU wollte ihn, die andere Hälfte nicht. Es gab damals innerhalb kürzester Zeit einen Mitgliederzuwachs in Hundertmannstärke. Da wurden wirklich Hunderte Männer und Frauen geworben, in die CSU einzutreten, um bei der Aufstellung des Bürgermeisterkandidaten mitzustimmen. Ich war nicht für denjenigen, der damals aufgestellt werden sollte. Damals wurden sogar Kranke aus den Krankenhäusern geholt für die Abstimmung. Es ist also nicht so, dass sich das alles erst in den letzten Jahren so entwickelt hätte. Ich bin damals in die CSU eingetreten und habe dann natürlich schon auch immer aufmerksam verfolgt, wie das in anderen Fällen abläuft. Am Anfang waren meine Brüder nicht Mitglieder in der CSU; heute sind, wenn ich das richtig weiß, alle in der CSU. Das hat sich bei ihnen also erst so nach und nach ergeben. Aber es gab nie einen Druck des Elternhauses. Wir haben zu Hause verhältnismäßig auch gar nicht so viel über Politik gesprochen. Wir haben allerdings viel kommentiert, was der Vater an Politik mit nach Hause gebracht hat. Der Fernsehapparat hat also auch unsere Diskussionskultur verändert. Reuß: Sie haben es schon gesagt, 1974 wurden Sie erstmals in den Bayerischen Landtag gewählt. Das war eigentlich eine recht kuriose Situation: Sie selbst waren der jüngste Abgeordnete der CSU-Fraktion, Ihr Vater der älteste Abgeordnete. Wie wurden Sie denn von den Fraktionskollegen aufgenommen als Jüngster und als Sohn des Ministerpräsidenten? Goppel: Dass ich der Jüngste war, hat nichts ausgemacht. Ich glaube, es ist bis heute noch so, dass das eigentlich gar nichts ausmacht. Das ist wohl eher etwas, das vor allem die Journalisten wahrnehmen und das vielleicht auch im Publikum wahrgenommen wird. Gut, vielleicht war man dort, wo man kandidiert hat, ein bisschen stolz darauf, dass man den jüngsten Abgeordneten stellt. Dass ich der Sohn des amtierenden Ministerpräsidenten war, hat man jedoch schon gespürt. Das ist nie direkt aufgebrochen und es hat auch nie irgendwo besonderen Ärger deswegen gegeben, aber es gab doch immer eine gewisse Vorbehaltskapazität, aufgrund deren man damit rechnen musste, dass die Kollegen – manchmal auch nur hinter vorgehaltener Hand – gesagt haben: "Der meint wohl, weil er aus dieser Familie kommt, könnte er sich dieses und jenes leisten!" In der ersten Legislaturperiode habe ich nicht darunter gelitten: Es wäre falsch, das zu behaupten. Aber es war doch so eine gewisse Belastung, von der ich vorhin gesprochen habe. Heute kann ich jedoch sagen: Hätte ich damals diese Belastung nicht gehabt, hätte ich damals nicht diese Anforderung gehabt, auf so etwas Rücksicht nehmen zu müssen und mich dann auch ein Stück weit danach zu verhalten, dann hätte ich bestimmte Sachen einfach nicht so gut gelernt. Es ging also darum, ein bisschen bescheidener zu sein, damit niemand den Eindruck gewinnt, ich wäre quasi nur ein "Botschafter des alten Herrn"; es ging auch darum, ein bisschen einfallsreicher zu sein, wenn ich etwas durchsetzen wollte, weil die Leute sonst ja nur gesagt hätten: "Ach, das kannst du deinem alten Herrn zu Hause erzählen, was soll das?" Das ist also alles damals hinzugekommen. Ich will das mal dabei bewenden lassen, aber es gab jedenfalls eine Reihe von Veränderungen bei mir, die kein anderer so erlebt hat. Diese Vorbehalte haben natürlich auch dazu geführt, dass ich mich manchmal ein bisschen mehr anstrengen musste, als das die Regel gewesen ist. Wenn man mit einem guten Ergebnis aus dem Stimmkreis kommt, dann hat man ja doch ein gewisses besseres Standing. In meinem Fall war das aber überhaupt nicht zu spüren und zu merken. Denn ein gutes Wahlergebnis hatte ich ja mitgebracht. Das erste Wahlergebnis 1974 verdanke ich ganz sicher meinem Namen und meinem Vater. Das war eindeutig nachweisbar, weil ich ja quer durch ganz Oberbayern in jedem Stimmkreis rund 2000 Stimmen bekommen habe. So etwas hat es später nie wieder gegeben. 1978, als ich dann alleine auf der Liste stand, denn da gab es ja den Alfons Goppel als Kandidaten bereits nicht mehr, war das sofort ganz anders. Von da an musste ich wirklich auf eigenen Füßen stehen. Und dafür bin ich natürlich auch dankbar. Reuß: 1986 wurden Sie, noch unter Ministerpräsident Franz Josef Strauß, Staatssekretär und 1990 dann unter Ministerpräsident Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten. In Ihre Zeit als Staatsminister fiel auch der Maastrichtvertrag, der die Europäische Währungs- und Wirtschaftsunion vorbereitete. Aber das bedeutete eben auch mehr Kompetenz für das Europaparlament – und für das Europa der Regionen, für das Sie immer stark eingetreten sind. Es kam dabei zu diesem Ausschuss der Regionen, in dem sich eben auch die einzelnen deutschen Bundesländer wiederfinden. Wie stark war denn der Einfluss der Bundesländer auf diese Verhandlungen? Goppel: Der war am Anfang nicht besonders stark. Im Prinzip haben sich damals eigentlich nur zwei Bundesländer besonders aus dem Fenster gelehnt. Es gab aber auch noch ein drittes Bundesland, das immer Interesse bekundet hat. Die zwei, die sich aus dem Fenster gelehnt haben, waren Baden- Württemberg und wir. Mitgemacht hat dabei eigentlich immer auch Nordrhein-Westfalen. Denn diese drei Länder haben ja auch die Größe von anderen selbstständigen europäischen Ländern wie z. B. Österreich, Niederlande, Belgien usw. Luxemburg kann man hier schon gar nicht mitrechnen, denn das liegt hierbei ja ungefähr auf dem Niveau des Saarlandes. Deswegen ist das Selbstbewusstsein der großen deutschen Bundesländer ein bisschen anders. Sie empfinden es natürlich auch als eine Herabwürdigung, wenn man z. B. mit 17 Millionen Einwohnern in Europa nichts zu melden hat, während andere mit 350000 Einwohnern wie z. B. Luxemburg eine volle Stimme haben. Dieser Unterschied musste einfach aufgelöst werden. Unter dieser Vorgabe waren wir damals diejenigen, die das vorangetrieben haben. In den Beratungen in den Jahren 1990 bis 1994 war das sehr spannend. Ich stand damals oft an der Seite von Theo Waigel, der das für uns ja auf bundespolitischer Ebene vorangetrieben hat. Er war dann ja in der Nachfolge von Franz Josef Strauß auch Parteivorsitzender. Das war damals wirklich sehr, sehr spannend – auch an der Seite von Max Streibl. Denn diese Sache mit den Regionen war ja im Prinzip sein Verdienst: Er hat damals mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, dass es nicht nur einen Sinn macht, Bayern auszubauen, sondern dass es notwendig ist, Bayern in Europa präsent zu machen. Der Ausbau und die Technisierung Bayerns waren ja das Werk meines Vaters und dann das von Franz Josef Strauß. Streibl hat dafür gesorgt, dass Bayern in Europa einen besonderen Stellenwert hat. In der kurzen Zeit, in der er Ministerpräsident war, wurde dieser Ausschuss der Regionen gegründet. Danach dann kam , der diese Europäisierung, diese Globalisierung und diese Technisierung zusammenfasste in ein neues, modernes Konzept, das sich z. B. auch an den Hochschulen inhaltlich niederschlägt. Unter meinem Vater sind damals diese Universitäten gegründet worden, unter Franz Josef Strauß die Fachhochschulen. Bei Max Streibl fand dann diese Ausrichtung nach Europa hin statt und unter Edmund Stoiber gab es dann diese große Hightech-Offensive und die Privatisierungen. Es gab dieses Umdenken, es ging weg von der reinen staatlichen Eigenständigkeit, die gelegentlich schon auch mal etwas protzig mit dem Satz auftrat: "Mir san mir und schreiben uns uns!" Stattdessen ging es in eine gänzlich neue Form, sodass wir heute sagen können: "Wir Bayern sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Fortschritts, weil sich bei uns viele Dinge entwickeln, die anderswo so nicht gedacht werden!" Das entsteht eben, wenn man in der Mitte Europas sitzt und jede Woche mindestens ein paar Hundert Menschen entdecken, wie schön es bei uns ist – und dann bei uns bleiben. Reuß: Sie waren dann auch Umweltminister, bevor Sie 1999 Generalsekretär der CSU wurden. Der ehemalige CSU-Vorsitzende Theo Waigel hat die Eigenschaften eines CSU-Generalsekretärs einmal folgendermaßen beschrieben: "Mut braucht er und Durchsetzungsvermögen, Erfahrung im Management und ein Gespür für den sozialen Wandel." Zudem sei der CSU-Generalsekretär nach Ansicht von Theo Waigel so etwas wie der Minenhund der CSU, der dem Parteivorsitzenden den Rücken frei halten muss und der bei aller Sensibilität nicht zu zart besaitet sein darf: "Er muss hungrig sein auf Schlachtengetümmel!" Ist das eine richtige Beschreibung? Passt die eigentlich zu Ihrem Naturell? Goppel: Ach, wenn man nur lange genug sucht, dann findet man auch bei mir all die Eigenschaften, die der Theo Waigel da beschrieben hat. Man kann allerdings keine Beschreibung eines Menschen abgeben, wenn man seine Funktion beschreibt. Denn es ist immer noch so, dass der Mensch es ist, der bestimmt, was gemacht werden kann. Ein Vorsitzender, der sich einen Generalsekretär holt, beschreibt damit auch in einem gewissen Umfang die Dinge, die dabei erledigt werden müssen. Das kann man an den Personen der CSU-Generalsekretäre der Reihe nach anschaulich machen. Gerold Tandler ist mit Edmund Stoiber nicht vergleichbar, ist mit Max Streibl nicht vergleichbar, der ja auch mal Generalsekretär gewesen ist, und ich bin sicherlich nicht mit Markus Söder vergleichbar. Wir hatten bzw. haben ganz unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte. Ich bin im Verhältnis zur Beschreibung, mit der Sie soeben Theo Waigel zitiert haben, sicherlich ein wenig anders. Theo Waigel spricht hier vom "Hunger", während ich nicht mehr darauf aus war, möglichst viel in mich hineinzuschlagen und möglichst meinen Hunger zu stillen. Nein, mir war eher daran gelegen, dafür zu sorgen, dass zur rechten Zeit etwas zum Essen zur Verfügung steht, damit dieser Hunger gar nicht erst aufkommt. So ein bisschen anders war ich sicherlich. Man kann die Personen in diesem Amt also nicht vergleichen. Für mich war immer das Wichtigste, dass der Generalsekretär in dem Augenblick, in dem der Chef nicht dabei ist, das Sagen hat, und wenn er dabei ist, der Sekretär ist. Wenn man diese Unterscheidung macht, dann hat das zur Folge, dass man dabei nie verlernt hat zu dienen. Gleichzeitig hat man aber auch nach und nach Sicherheit bekommen in der Frage des Kommandos. Reuß: Seit 2003 sind Sie Wissenschaftsminister. Der ehemalige IG-Metall- Vorsitzende Klaus Zwickel meinte einmal: "Viele Hochschulen sind im übertragenen Sinne auf McDonalds-Niveau: Massenabfertigung in mäßiger Qualität." Hat er Recht? Auf welchem Stand, in welchem Zustand sind die Hochschulen in Deutschland und in Bayern? Goppel: Ich müsste da natürlich zuerst einmal fragen, wo denn der Herr Zwickel seine Weisheit her hat. Es gibt allerdings Länder in Deutschland, in denen das stimmt, wie ich ausdrücklich unterschreiben würde. Aber für die bayerischen Hochschulen gilt das nicht. Dies hat allerdings nichts mit den einzelnen Ministern zu tun, die für die Hochschulen zuständig sind. Nein, das hat etwas mit unserer Mentalität zu tun. Unsere Mentalität ist geprägt davon, dass wir ein Binnenstaat sind: Wir haben keinen Meereszugang, wir haben keine Fluchtwege. Wir müssen also immer dableiben, wir müssen also immer alle Probleme hier vor Ort lösen. Reihum gibt es dazu noch jede Menge anderer Länder, die uns z. T. blockieren können. Ich glaube, so eine Verortung beeinflusst den Menschen in seiner ganzen Haltung. Stellen Sie mal einen Hamburger neben einen Münchner und lassen die beiden miteinander diskutieren. Sie werden genau das ganz schnell merken: Wer den Rücken frei hat, wer niemanden im Rücken stehen hat, weil dort das Meer ist, der ist schon sehr viel selbstsicherer unterwegs als der andere. Derjenige, der mittendrin steht, muss immer Rücksicht darauf nehmen, dass es von links und rechts Hiebe und Schläge geben kann. Daher verhält er sich anders. Kommunikativer ist jedenfalls der Mensch aus dem Binnenland und nicht derjenige mit dem freien Rücken. Das muss man ganz klar und realistisch so sehen. Von daher haben wir also ein gutes Verhältnis. Unsere Hochschulen sind in einem guten Zustand. Sie befinden sich alle elf – denn die Eichstätter katholische Hochschule muss man mitrechnen, obwohl Sie vorhin von zehn Universitäten gesprochen haben – in gutem Zustand. Alle elf bayerischen Hochschulen befinden sich im ersten Drittel des Rankings. Manche liegen dabei eher am Ende des ersten Drittels, aber die beiden Münchner Universitäten sind ganz vorne mit dabei. Würzburg und Erlangen haben unglaublich aufgeholt. Und die anderen, die Neugründungen, sind angesichts der Tatsache, dass sie eben Neugründungen sind, ebenfalls in guter Position. Alle befinden sich also im ersten Drittel des Rankings der Universitäten Deutschlands und in der ersten Hälfte der Universitäten auf der ganzen Welt. Wir können uns also sehr wohl sehen lassen. Und unsere Studierenden, es sind im Vergleich zu anderen Ländern ein paar weniger, haben einen großen Vorteil: Wer bei uns an der Hochschule anfängt, bekommt am Ende auch ein Examen. Denn in den anderen Ländern schmeißt man bis dahin ein Drittel raus. Reuß: Sie haben eine große Hochschulreform umgesetzt. Seit dem 1. Juni 2006 ist sie in Kraft. Damit werden die Eigenverantwortung und die Entscheidungsfähigkeit der Hochschulen gestärkt. Sie haben von der tiefgreifendsten Reform des Hochschulrechts seit dem ersten bayerischen Hochschulgesetz von 1973 gesprochen. Wir Journalisten sind nun einmal so: Ich greife einfach das heraus, was sehr umstritten ist, nämlich die Einführung der Studiengebühren. Bei dieser Frage kann man die Diskutanten sofort spalten in Befürworter und in Gegner. Ab 2007 muss jeder Student an der Fachhochschule zwischen 100 und 500 Euro und jeder Student an der Universität zwischen 300 und 500 Euro pro Semester bezahlen. Die genaue Höhe kann die Hochschule jeweils selbst festlegen und dieses Geld bleibt auch bei der Hochschule. "Ich halte die 500 Euro für vertretbar", haben Sie gesagt. Die Opposition hält dagegen und sagt: "Sozialverträgliche Studiengebühren gibt es nicht!" Wieso war denn die Einführung der Studiengebühren notwendig? Goppel: Was die Aussage der Opposition betrifft, muss ich natürlich widersprechen. Denn letztlich ist das natürlich eine Frage der Einstellung zum Leben. Wenn man davon ausgeht, dass die Gesellschaft die Verpflichtung hat, jedem – egal, ob er selbst leistungsfähig ist oder nicht – eine bestimmte Grundausstattung zuzuordnen, wenn man also sozialdemokratisch denkt, dann bedeutet das, dass man jeden Leistungsfähigen so oft schröpft, bis auch alle anderen das haben, was er hat. Das kann aber nicht sein! Deswegen bin ich ein absoluter Gegner dieser Argumentation. Ich glaube, dass wir mit diesen 500 Euro im Semester, das sind 80 Euro im Monat, endlich aufholen, was uns fehlt. Dieses Geld wird ja verlangt für die bessere Ausstattung der Hochschulen in der Lehre – also nicht für irgendetwas anderes wie meinetwegen irgendwelche verblasenen Dinge oder die Bezahlung von Professoren, denn der Finanzminister soll dieses Geld ja nicht bekommen. Mit den Studiengebühren erhalten wir also einen Betrag, der sicherstellt, dass wir endlich aufholen, was uns fehlt. Die tüchtigen amerikanischen Universitäten wie z. B. Harvard oder Stanford oder die englischen Universitäten wie z. B. Oxford sind uns deswegen alle überlegen, weil sie in den Organisationsformen des Studiums kleine Betreuungsgruppen haben. Das ist ihr Hauptvorteil. Wenn man im Verhältnis eins zu fünf unterrichtet oder ein Labor betreibt statt im Verhältnis eins zu sechzig oder gar eins zu achtzig, wie das bei uns der Fall ist, muss am Ende das Ergebnis besser sein, das ist überhaupt keine Frage. Der zweite Punkt ist: Diese Universitäten wählen ihre Studierenden selbst aus. Der angenommene Student ist dann verpflichtet zu zahlen. Dort zahlt er aber u. U. das Zehn- oder Zwanzigfache dessen, was wir nun bei uns verlangen wollen. Reuß: Darf ich an dieser Stelle nachfragen? Wird es denn bei diesen 500 Euro bleiben? Es gibt ja auch Stimmen wie z. B. vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, das sagt: "Das kann nur ein Einstieg sein!" Diesem Institut zufolge wird man in fünf, sechs Jahren bei den Studiengebühren wohl bei Größenordnungen von 2500 Euro sein. Goppel: Für das Grundstudium glaube ich das nicht. Dort, wo es um Spitzenleistungen geht, jedoch sehr wohl. Wenn also jemand ein Grundstudium abgeschlossen hat und anschließend noch eine Spezialisierung durchführen möchte, dann wird das auch meiner festen Überzeugung nach teurer. Das ist aber auch jetzt immer schon bezahlt worden. Da wird es also Steigerungen geben. Aber die Einführung ins Studium als Bestandteil der Ausbildung wird wohl nicht teurer werden. Ich habe mich bei dem, was wir tun, an der Meisterprüfung orientiert. Bei den Meisterprüfungen gibt es kleinere Betreuungsrelationen: Dort hat ein anderer Meister eben Zeit für seinen Schützling. Dieser Schützling zahlt aber pro Jahr für die Meisterschule 5000 Euro! Wenn man diesen Betrag als Grundlage nimmt, dann kann man sagen, dass ein Studierender in zehn Semestern ebenfalls 5000 Euro zu bezahlen hat, nämlich für jedes Semester ein Zehntel dieses Betrages, denn er hat ja in seinem Studium größere Betreuungsrelationen. Denn eins zu eins gibt es nur in der Musik und vielleicht noch aus unterschiedlichen Gründen in der Theologie. Aber alle anderen Studienrichtungen haben größere Betreuungsrelationen. Wenn man diese Relation also kleiner machen möchte, dann muss man auch vom normalen Studenten dafür einen finanziellen Beitrag verlangen. Das, was der Handwerker zahlen kann, muss auch der andere zahlen. Ich halte das für ein Gebot der Fairness. Ich bin auch ein Gegner des Wortes "Studiengebühren". Denn ich halte das für einen falschen Ausdruck: Wir haben es hier nicht mit Abwasser zu tun oder mit der Straßenbenutzung. Stattdessen haben wir es zu tun mit einem Beitrag, der vom Einzelnen geleistet wird, damit die Ausbildung in ihrem Charakter für ihn individueller gestaltet werden kann. Deswegen mischen wir uns ja auch nicht ein in die Form der Studienbeitragseinführung und der anschließenden Vergabe der Gelder innerhalb der Hochschulen. Das überlassen wir alles den Hochschulen selbst. Wir mischen uns nicht ein in die Überprüfung der Ausgaben. Auch das macht alleine die Hochschule. Und vielleicht haben wir auch deswegen unserem Vorgehen gegenüber mehr Aufgeschlossenheit erreicht, weil wir die jungen Damen und Herren von Anfang an in die Entwicklung mit einbezogen haben. Denn das ist nicht in jedem Bundesland gleichermaßen geglückt. Reuß: Ein anderes großes Problem sind die Studentenzahlen. Derzeit studieren in Bayern etwa 250000 junge Menschen. Bis zum Jahr 2014 erwarten Sie einen Anstieg um 75000 bis 80000 auf dann 330000 Studenten. Bis 2014, das klingt nach einer langen Zeitspanne, aber letztlich geht das alles doch rasend schnell und deswegen muss man die Weichen auch jetzt bereits stellen. Wie gehen Sie mit diesem Ansturm um? Und Sie haben dann ja auch noch durch den doppelten Abiturjahrgang im Jahr 2011 ein zusätzliches Problem, denn aufgrund der Verkürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre wird es im Jahr 2011 einen doppelten Abiturjahrgang geben. Gibt es bereits Pläne für dieses Jahr? Goppel: Wir sind kräftig mit dabei, das aufzubauen, auch wenn das im Moment kaum spürbar ist. Der erste Ansatz war die Evaluierung der Hochschulen nach ihrer Qualität, um zu sehen, ob sie für diese Zeit gerüstet sind. Es geht dabei eben auch darum, Leerläufe abzubauen. Deswegen sind wir hier bereits mittendrin. Wir sind mittendrin durch den Innovationsfonds, der alle Erneuerungsbereitschaft der Hochschulen belohnt und alles Beharren auf alten Zuständen ein Stück weit bestraft, denn durch diesen Innovationsfonds werden Stellen umgeschichtet. Und dies in Hunderterzahlen! In den kleinen Universitäten werden das zehn, 20 oder 30 Stellen sein, aber an der LMU und der TU in München, also an den beiden großen Universitäten in Bayern, sind das jeweils 150, 200 Stellen im Jahr, die sich da in ganz anderen Feldern wiederfinden. Wir sind auch dabei, an den Kunsthochschulen ein Stück Differenzierung vorzunehmen und zu schauen, dass sie nicht in jedem Bereich ein Angebot nebeneinander haben. Stattdessen sollen sie lieber die besten Leute aus aller Welt hierher holen und sich dann meinetwegen in Würzburg oder in Nürnberg oder in München jeweils spezialisieren. Dort, wo bis jetzt die Spitzenleistung für die nächsten Jahre nicht garantiert ist, wo nicht garantiert ist, dass aus mittelprächtigen Leistungen wirklich Spitzenleistungen werden, bitten wir darum, generell umzubauen. Da streite ich z. B. gerade mit den Augsburgern: Die Augsburger sind gut – nach dem Maßstab von Gestern. Aber der Maßstab von Morgen lässt uns nicht genügend Geld, um an vier Standorten diese hohe Qualität zu halten. Und dann ist eben der Kleinste dran! Daran muss sich jetzt jeder gewöhnen: Wer es nicht optimal kann, der geht! Das gilt in der Wirtschaft schon seit ewigen Zeiten, denn das ist marktwirtschaftliches Prinzip und das übertragen wir nun auf die Hochschulen. Der zweite Punkt ist: Wir geben den Professoren den Auftrag zusätzliche Lehrstunden zur Verfügung zu halten, sodass insgesamt die Vorlesungskapazität zunimmt. Wir nutzen aber auch die Möglichkeiten der virtuellen Hochschule. Wir nutzen also die Möglichkeit, Vorlesungen und Ähnliches über das Internet abzuhalten und nicht mehr nur in direktem räumlichen Kontakt. Und wir sind mit meinem Kollegen Siegfried Schneider aus dem Kultusministerium in einer Arbeitsgruppe heftig dabei vorzubereiten, dass eine bestimmte Zahl von Lehrerstellen später der Universität zur Verfügung gestellt wird, wenn diese Lehrer, die heute noch in der Schule arbeiten, eines Tages in Pension gehen. Reuß: Aber geht das alles alleine mit Verdichtung und Umschichtung? Oder brauchen Sie nicht auch tatsächlich noch ordentlich zusätzlich Geld? Goppel: Sie meinen fresh money, wie das heutzutage neudeutsch so schön heißt. Ja, wir brauchen selbstverständlich auch mehr Geld, aber das bekommen wir ja auch. Wir haben ein Jahr lang mitgespart mit den anderen im Haushalt: Das war im Jahr 2004. Wir haben damals fünf Prozent eingespart – während alle anderen Ressorts zehn und teilweise sogar 15 Prozent einsparen mussten. Das ging dann zu unseren Gunsten: Wir haben uns also mit nur fünf Prozent Einsparung einigermaßen gut gestellt. Seit 2005 und 2006 nehmen wir wieder um 7,2 Prozent zu. Die nächsten Jahre werden ähnlich geprägt sein. Der Finanzminister jammert zwar, wenn er nur meinen Namen hört oder wenn er schon wieder die Daten meines Ministeriums bei sich auf dem Tisch liegen hat. Aber mit ihm zusammen ist trotzdem eine gute Entwicklung eingeleitet worden. Wenn wir jetzt in die Haushaltsverhandlungen gehen, dann liegen wir hoffentlich wieder ein Stück weit vor den anderen. Im Moment haben wir jedenfalls den höchsten Zuwachs im Haushalt. Was mir jedoch noch Kopfzerbrechen macht, ist die Frage, wie wir mit der Kapazität an Räumlichkeiten und ähnlichem zurechtkommen werden. Denn dort haben wir einen echten Stau, der noch nicht abgebaut ist. Da gibt es noch eine Menge zu tun. Aber wir fangen jetzt nach langem, zähem Ringen auch an, z. B. die Münchner Medizinszene neu zu ordnen und dort, wo es nicht notwendig ist, auch nicht zu renovieren. Wir werden also die Münchner Kapazitäten ein bisschen in die Gesundheitspolitik mit einbeziehen, damit wir nicht mehr als notwendig kardiologische Betten oder psychiatrische Betten usw. haben und damit landesweit die Versorgung richtiggestellt ist und entsprechend vorgesorgt wird. Das sind meiner Meinung nach wesentliche Bestandteile, die man heute nicht unterschätzen darf. Und dann kommt eben auch noch die Autonomie der Hochschulen dazu. Darüber haben wir ja jetzt noch gar nicht gesprochen. Bis zur ersten Neuerung des Gesetzes im Jahr 1999, die noch Hans Zehetmair gemacht hat, befanden sich die Hochschulen ja in direkter staatlicher Abhängigkeit: Im Ministerium wurde entschieden, wie es an den einzelnen Hochschulen weitergeht. Wir haben 1999 eine Experimentierklausel eingeführt, die die Technische Universität in München genutzt hat: mit einem eigenständigen Hochschulrat, also mit einer Art von Aufsichtsrat oben drüber; mit größerer Selbständigkeit in der Hochschulleitung; mit mehr Möglichkeiten innerhalb der Fakultäten, bestimmte Dinge auszuarbeiten; mit einer größeren Selbständigkeit in der Frage der Berufung von Professoren usw. Das wird jetzt mit diesem neuen Gesetz für alle gleichermaßen wichtig und notwendig. Das heißt, das Ministerium zieht sich zurück. Das ist ein klein bisschen so ähnlich, wie das Wolfgang Bötsch vor wenigen Jahren mit der Post gemacht hat. Die Frage ist, ob am Ende der Minister noch notwendig sein wird. Aber das wird sich zeigen. Reuß: Aber so ganz zurückgezogen hat sich das Ministerium ja nicht. Denn es gibt ja auch den Wunsch der Universitäten, die gerne die Vollautonomie gehabt hätten z. B. bei der Berufung von Professoren. Wieso sind die Universitäten nicht ganz in die Autonomie entlassen worden? Goppel: Um es ganz ehrlich zu sagen: Sie sind es in Wirklichkeit! Diese Knödelei, die da der eine oder andere loslässt, wenn er mir sagt, er hätte es gerne, dass ich nicht einmal mehr über die Berufungsliste drüber schaue, macht deutlich, dass da jemand ein bisschen arg selbstherrlich ist. Wer da hingegen ein gutes Gespür hat, wird dankbar dafür sein, dass der Minister oder das Ministerium bei einer Berufungsliste am Ende noch einmal sagt: "Achtung! Habt ihr denn erstens, zweitens, drittens usw. bedacht?" Er müsste dankbar dafür sein, dass es eine Institution gibt, die ohne Scheu und ohne Rücksichtnahme auf irgendwelche Mitglieder im Haus, also an der Hochschule, noch einmal einen Blick auf diese Liste wirft. Wir könnten das auch mit demokratisch gewählten Gremien machen, das ist keine Frage. Aber das dauert dann halt viel länger. In unserer Regelung ist es so, dass da einer drübergeht, nämlich der zuständige Referent, und der Minister dann nachschaut – und in 14 Tagen können wir sagen, dass das erledigt ist. Wenn es schwierig wird, wird das eben nicht so sein. Bei den Regelungen in anderen Bundesländern ist es so, dass da jeweils zehn Leute zusammengerufen werden müssen. Das machen die Niedersachsen und die Hessen so. Sie müssen dann jeweils ganze Gremien aufrufen, damit die sich mit dieser Thematik befassen. Das ist meiner Meinung nach nicht so gut. Ich finde also, unser Weg ist doch der bessere. Reuß: Ich würde gerne noch das Stichwort Exzellenzinitiative ansprechen. Bund und Länder versuchen hier mit knapp zwei Milliarden Euro die universitäre Spitzenforschung zu fördern. Knapp gefragt: Besteht nicht die Gefahr, dass es in absehbarer Zeit an den Universitäten eine Zweiklassengesellschaft geben wird? Wird es da einerseits die sehr Guten geben, die eh schon gefördert werden und von nun an noch stärker gefördert werden, und andererseits die Finanzschwachen, die eh schon Schwierigkeiten haben? Wird das also zu Lasten der Lehre in der Breite gehen? Goppel: Daran sehen Sie, dass man alles von zwei Seiten aus betrachten kann, also im Licht und im Schatten. Sie haben das jetzt sozusagen von der Schattenseite aus beschrieben. Im Licht gesehen heißt das: Es gibt Hochschulen, die, wenn sie sich anstrengen, ungeheuere Zusatzmittel für sich werben können. Wenn die Anstrengung der Hochschule also zunimmt, dann gehen die Mittel das nächste Mal an sie. Wenn ihre Anstrengung nachlässt, dann verliert sie diese Mittel oder bekommt sie erneut nicht. Ich finde, dass der Wettbewerb, der hier organisiert ist, die einzige Möglichkeit ist, um sicherzustellen, dass alle unsere Hochschulen für sich eine Qualifikationsschubsituation schaffen können, mit der sie an die erste Stelle kommen können. Ein guter Beleg ist dafür unser Elitenetzwerk. Das ist in Bayern erfunden worden und im Prinzip ist ja das Bundesmodell nichts anderes als eine nachgeholte bundesweite Initiative, wie wir sie in Bayern bereits unter Hans Zehetmair eingeführt hatten. Wir haben da heute fast alle unsere Hochschulen drin. Selbst Eichstätt, die private Hochschule, ist an einem solchen Elitenetzwerk beteiligt. Alle stehen im Wettbewerb darum und es gibt niemanden mehr, der nicht entsprechende Modelle einreicht. Alle sind daran interessiert, in dieses Netzwerk hineinzukommen. Das ist die Form der Zukunft! Jeden Tag sich aufs Neue daran zu beteiligen, dass man an die Futtertröge rankommt. Eine Grundausstattung wird aber in jedem Fall bleiben. Die letzten zehn Prozent gibt es jedoch nur bei entsprechender Qualität. Reuß: Ganz zum Schluss noch eine persönliche Frage. "Der echte Name für Glück ist Zufriedenheit", so sagte einmal der französische Philosoph Henri Frédéric Amiel. Sind Sie demnach ein zufriedener und auch ein glücklicher Mensch? Goppel: Ich weiß nicht, wie man das beschreiben soll. Ich bin während des Tages meinem Empfinden nach häufig glücklich. Das heißt, ich habe den Eindruck, dass es gelungen ist, eine Situation so zu meistern, wie sie nach meiner Vorstellung ideal sein könnte. Das kann sich aber im Laufe des Tages korrigieren, wenn mir jemand anders sagt, dass ich mich täusche. Dieser Moment des Glücks muss aber sein, damit man neue Schubkraft bekommt. Die Zufriedenheit hingegen nimmt eigentlich eher Schubkraft weg, lässt einen sich zurücklehnen und sagen: "Das hast du doch fein gemacht!" Glück ist mir da lieber, weil dabei alles immer wieder neu hinterfragt wird und weil mich das immer wieder aufs Neue stimuliert, morgen zu testen, ob ich nicht doch noch zulegen kann. Der Zufriedene ist mir also ein bisschen zu langweilig. Reuß: Das war ein schönes Schlusswort. Herr Staatsminister, ich darf mich ganz herzlich für Ihr Kommen bedanken und würde gerne mit zwei kurzen Zitaten von Ihnen enden. Das erste Zitat beschreibt meiner Meinung nach ganz gut Ihr politisches Amtsverständnis und lautet: "Wenn es eine Tätigkeit gibt, die den Sachbegriff 'Beruf' präzise beschreibt, dann ist das die eines Parlamentariers. Von den Wählern mehrheitlich berufen geht man dem Auftrag auf Zeit nach." Das zweite Zitat beschreibt ein bisschen Ihre Einstellung zum Leben und Sie selbst haben es mal als Ihr mögliches Motto bezeichnet. Es lautet: "Den Verstand im Herzen und das Herz auf der Zunge tragen." Noch einmal ganz herzlichen Dank, Herr Staatsminister. Verehrte Zuschauer, das war unser alpha-forum, heute mit Dr. Thomas Goppel, dem Bayerischen Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Herzlichen Dank für Ihr Interesse und fürs Zuschauen und auf Wiedersehen.

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