Zum Profanbau Des 19. Jahrhunderts Im Ortenaukreis Der Ortenaukreis Als Zentraler Teil Mittelbadens Verfügt Nicht Nur Über
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Zum Profanbau des 19. Jahrhunderts im Ortenaukreis Der Ortenaukreis als zentraler Teil Mittelbadens verfügt nicht nur über einen besonders reichen, sondern auch besonders vielseitigen Bestand an profanen Bauwerken des 19. Jahrhunderts und ist daher in besonderer Weise geeignet, die Entwicklung des Profanbaus des letzten Jahrhunderts (bis 1914) sowie die hinter ihr stehenden Gedanken und Kräfte sichtbar werden zu lassen. Hans Jakob Wörner Das Land Baden, Napoleons geliebte und sogar besondere wenn man bedenkt, dass noch bis in mit seiner Familie verbundene Schöpfung, war die Mitte des 19. Jahrhunderts Hungersnöte bzw. bei seiner Gründung ein nicht nur aus heteroge- diesen nicht unähnliche Mangelzeiten vorkamen nen Teilen zusammengesetztes, sondern auch ar- und u. a. eine enorme Auswanderung nach Ame- mes Land. Wobei sich hier zeigte, dass Armut rika hervorriefen. nicht unbedingt vor Größen Wahnsinn bewahrt: Schon damals kam man auf die auch heute noch Als der „Organisator" Badens, von Reitzenstein, gehegte Idee, ein agrarisches Land könne sein Los 1806 in Warschau in das Hauptquartier des mit nur dadurch verbessern, dass es sich auf Sonder- seinem Feldzug beschäftigten Napoleon trat und kulturen in der Landwirtschaft verlege. Aus die- um die Erhebung Badens zum Königreich (unter sem Grunde wurde der Weinbau in Baden geför- Einbezug von schweizerischem Gebiet !) bat, dert, der Meerrettichanbau, der Zichorienanbau warf ihn Napoleon hinaus, sinngemäß mit dem und die Zichorienverarbeitung, besonders aber Bemerken, dies könne überhaupt nicht in Frage der Tabakanbau und die Tabakverarbeitung. Auch kommen, solange die Verhältnisse Badens nicht das große Werk der Rheinkorrektion von Johann wesentlich besser seien. Gottfried Tulla, das erst 1880 vollendet war, ge- Napoleon hatte damit zweifellos Recht, nament- schah nicht nur aus der Überlegung, dadurch lich auch, was die wirtschaftlichen Verhältnisse ständige Überschwemmungskatastrophen zu ver- angeht. Baden war als rein agrarisches Land arm, meiden, sondern insbesondere, um fruchtbares und vor allem seine gebirgigen Gegenden müs- Ackerland zu gewinnen. Der Gedanke der Son- sen als Notstandsgebiete bezeichnet werden, ins- derkulturen stammt aus verschiedenen Quellen, 2 Achern, lllenau. Mittelpavillon. er wurde jedoch besonders gefördert durch Frei- hin studierte er sodann in Karlsruhe bei Friedrich herr Carl Ludwig von Lotzbeck in Lahr, der selbst Weinbrenner Architektur. Danach entschloss er ein großer Tabakanbauer und -verarbeiter war. sich, in Baden zu bleiben und in den badischen In Lahr ließ der Zichorienfabrikant Jakob Ferdi- Staatsdienst einzutreten. Tätig zunächst in Lahr, nand Lenz 1808 (Planung wohl gemeinsam von wurde er 1821 Bauinspektor beim staatlichen Friedrich Weinbrenner und seinem Schüler Jo- Bauamt in Offenburg, 1832 Bezirksbaumeister in hann Heinrich Voss) eine schlossartige Anlage er- Freiburg und 1844 zum Baurat ernannt. Sein richten, in deren Zentrum das klassizistische Her- Grabmal steht auf dem alten Friedhof in Freiburg. renhaus steht und vor dem sich ehrenhofartig Johann Heinrich Voss hat im Gebiet des Ortenau- eine symmetrische Anlage von Flügelbauten er- kreises eine für die damalige Zeit enorme Anzahl hob, die der Fabrikation diente. Vom Herrenhaus von Bauten errichtet, eine Fülle von Kirchen bei- aus hatte der Fabrikant direkten Ausblick auf die der Konfessionen, jedoch auch Profanbauten, Fabrikationsstätten, jedoch auch auf die Anbau- unter ihnen die bei weitem größte Anlage, wel- flächen. Die Zichorie hingegen erbrachte offen- che in dieser Zeit gebaut wurde, die Heilanstalt ll- bar bei weitem nicht den erhofften Ertrag, Jakob lenau in Achern. Es kann für Baden als überaus Ferdinand Lenz hatte sich mit der aufwendigen typisch gelten, dass in der 1. Hälfte des 19. Jahr- Anlage übernommen und musste sie schleunigst hunderts Bauaufgaben fast ausschließlich von verkaufen an Freiherr Carl Ludwig von Lotzbeck, staatlichen Architekten geplant wurden. Es muss dessen Einkommen vor allem aus dem Tabakan- als große Ausnahme und Neuerung bezeichnet bau und der Tabakherstellung kam. Die Zigarren- werden, dass gegen Mitte des Jahrhunderts bei herstellung war nicht nur marktgängig gewor- zwei großen katholischen Kirchenbauten in Lahr den, sie bot außerdem noch den großen Vorteil, und Oberkirch nicht-staatliche Architekten tätig dass an ihrer Herstellung die ganze Familie betei- wurden (die Brüder Greiff). Und selbst dies wurde ligt wurde, der Bauer baute die Tabakpflanze an nur möglich durch das mehr als bedauerliche und erntete sie, die Familie einschließlich der Kin- Spannungs-Verhältnis zwischen Staat und katho- der wickelte die Zigarren und verkaufte sie, meist lischer Kirche zu jener Zeit in Baden, wobei diese an das am besten bezahlende Holland. Architekten staatlicherseits auch der (als Be- schimpfung gemeinten) Bezeichnung, sie seien Der Architekt Johann Heinrich Voss „von durchaus ultramontaner Gesinnung", nicht entgingen. Der Architekt Johann Heinrich Voss (1783-1849) spielt im Baugeschehen der 1. Hälfte des 19. Die Heilanstalt lllenau in Achern Jahrhunderts in Mittelbaden eine zentrale Rolle. Er war ein Sohn des großen Homer-Übersetzers Eine Anlage von ganz besonderer Art aber ist die Johann Heinrich Voss. Geboren 1783 in Eutin, er- lllenau in Achern. Sie ist bei weitem die größte lernte er, in der Jugend kränklich, zunächst das bauliche Anlage, welche in dieser Zeit in Mittel- Handwerk des Kunstschreiners. Auf Goethes Rat baden errichtet wurde und vor allem eine Anlage, 176 die ihre Verwirklichung den für jene Zeit umwäl- Burg Ortenberg zend modernen Erkenntnissen der Psychiatrie verdankt. Der aus Pforzheim stammende Arzt Nur mühsam gelangte Baden in der 1. Hälfte des Christian Roller (1802-1878) entdeckte als einer 19. Jahrhunderts zu wirtschaftlichem Wachstum, der Ersten und vertrat in Schriften und Vorträgen wofür nicht zuletzt trotz einer auf französischen unermüdlich, dass das Einpferchen von Geistes- Grundlagen beruhenden, fortschrittlichen Ver- kranken in völlig ungeeignete Gebäude, die der fassung von 1818 die noch immer bestehenden Staat aus weggenommenem Kirchenvermögen rechtlichen Hemmnisse verantwortlich waren zufällig übrig hatte, nicht nur einen groben Miss- (Gewerbefreiheit erst 1862). Da wurde es natur- stand darstelle, sondern eine mögliche Heilung gemäß besonders begrüsst, wenn Fremde mit gänzlich verunmögliche und damit die Patienten großem Vermögen nach Baden kamen, sich hier vollends ruiniere. Er hielt „...einen solchen geisti- niederließen, als große Mäzene und Bauherren gen Mord für weit grässlicher als einen Todt- wirkten und ihrer Umgebung Arbeit und Brot ga- schlag". Rollers Auffassung, beharrlich vorgetra- ben. gen, wurde vom badischen Staat, obwohl er Zu diesem Personenkreis gehörte der baltische durch Vormärz und Wirtschaftsdepression sicher- Adlige Gabriel Leonhardt von Berckholtz (1781- lich andere Sorgen hatte, Ernst genommen. Der 1863). 1781 in Riga geboren, kam er durch Erbe Staat verstärkte diese Ansicht noch, indem das In- und kaufmännische Tätigkeit zu großem Vermö- nenministerium feststellte, dass in der bisherigen gen, das ihn 1825, durchaus im Stil des Adels Art von Kasernierung die Patienten: „statt Hei- im zaristischen Russland, dazu veranlasste, mit lung und Linderung...zu finden, immer tiefer her- seiner Familie „auf Reisen zu gehen". 1830 ließ absinken zum thierischen Blödsinn und auf diese er sich in Karlsruhe nieder, dort las er im Ver- Weise vollends geistig gemordet werden". Der kündblatt, dass die Großherzogliche Hofdomä- badische Staat trat an die Spitze der Entwicklung, nenkammer das „herrschaftliche Ortenberger stellte die für seine Verhältnisse enormen Geld- Schlossrebgut" zum Verkauf versteigere. Er be- mittel zur Verfügung, Johann Heinrich Voss ent- auftragte Hofbanquier von Haber, für ihn zu warf und erbaute die lllenau als erste badische bieten, und erhielt den Zuschlag. Damit kam er „Irrenanstalt", 1839 wurde in Anwesenheit von 1833 in den Besitz nicht nur von Reben, sondern Großherzog Leopold der Grundstein gelegt, auch einer großen mittelalterlichen Burgruine. 1842 die Anlage in Betrieb genommen. Was nun einsetzte, kann für einen baltischen Ad- Johann Heinrich Voss konzipierte die lllenau als ligen kaum typischer sein. Die baltischen Adligen, klassizistische Schloss-Anlage. In der Mitte ste- meist deutschstämmig, hielten in ihrem seit dem hen, anstelle des Corps de Logis, Versammlungs- 18. Jahrhundert zum Kaiserreich Russland gehö- saal und Kapelle, davor ein von Säulenreihen ein- gefasster Ehrenhof. Um diese Mittelachse ent- wickeln sich symmetrisch langgestreckte, hell be- lichtete Flügelbauten mit mehreren großen In- nenhöfen. Weiter entfernt folgen, ebenfalls im Wesentlichen symmetrisch. Nebenbauten, die der Versorgung und der Landwirtschaft dienen. Die gute Unterbringung in freundlichen, hellen Räumen, die bewusste Einbeziehung der reizvol- len Landschaft im Übergang von der Rheinebene zum Schwarzwald und sogar die Mitarbeit in Gar- ten und Landwirtschaft wurden von Johann Chri- stian Roller ganz bewusst als Bestandteil der The- rapie eingesetzt, was für die damalige Zeit von re- volutionärer Modernität war. Dass die lllenau den Prinzipien des Schlossbaus folgt, in Wirklichkeit eine klassizistische Schlossanlage ist, blieb nicht verborgen, wurde doch geschrieben :"Der erste riesige Narrenpalast auf deutschem Boden...so wuchtig wie des Großherzogs Schloss". Die Farbe der Gebäude war zwar nicht so rot wie ihr heuti- ger, aus den 1950er Jahren stammender An- strich, jedoch spricht auch