76. 10. Juli 1974
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SPD – 07. WP Fraktionssitzung: 10. 07. 1974 (Tonbandtranskript) 76. 10. Juli 1974: Fraktionssitzung (Tonbandtranskript) AdsD, SPD-BT-Fraktion 7. WP, 6/TONS000027. Titel: »Fraktionssitzung am 10. 07. 1974«. Beginn: 11.15 Uhr. Aufnahmedauer: 02:10:49. Vorsitz: Wehner. Sitzungsverlauf: A. TOP 1: Politische Berichte: Bundeskanzler Schmidt (Beziehungen EG – USA; KSZE; Hochschulpolitik und Hochschulrahmengesetz; Preissteigerungen in Deutschland; Wirt- schafts- und Konjunkturpolitik in den Ländern der EG; deutsch-französische Beziehun- gen; deutsch-sowjetische Beziehungen; Beziehungen zur DDR; Haushalt 1975; Rücktritt von Bundesminister Eppler, Binnenkonjunktur; Steuerreform). B. Politischer Bericht von Finanzminister Apel (Haushalt 1975) und dem Parlamentari- schen Staatssekretär Glotz (Hochschulrahmengesetz). – Aussprache der Fraktion. – TOP 2: Informationen. C. TOP 3: Bericht aus der Fraktionsvorstandssitzung (Vermittlungsausschuss; SPD- Medienbeteiligungen; Verfassungsmäßigkeit Reform Paragraph 218 StGB). – TOP 4: Aktuelles aus den Arbeitskreisen. D. Vorbereitung der Plenarsitzungen: TOP 5: Vorbereitung und Ablauf der Plenarsitzun- gen. – TOP 6: Ergebnis Vermittlungsausschuss – Steuerreformgesetz. – Aussprache der Fraktion dazu. – TOP 7: Antrag zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des 5. Straf- rechtreformgesetzes (Reform des Paragraphen 218 StGB). – Verschiedenes. [A.] Wehner: Die Sitzung ist eröffnet. Wir haben heute sechs Krankmeldungen. Ich sag’s deswegen, weil das für Abstimmungen beträchtlich ist. Von der FDP haben wir gehört, dass es zwei sein werden. Wir müssen also alle, alle da sein bei diesen Abstimmungen. Die Tagesordnung liegt vor. Wird das Wort dazu gewünscht? Unter politischen Berich- ten, wir sind ja daran gehalten, dass um 14 Uhr das Plenum beginnt, wird also der Bun- deskanzler, der Bundesminister der Finanzen und aus einem speziellen Grund kurz Peter Glotz, nämlich Hergang Hochschulrahmengesetz, die Fraktion unterrichten und zur Diskussion stellen. Das Wort hat der Bundeskanzler. Schmidt (Hamburg): Liebe Freunde, ich fange meinen Bericht mit ein paar außenpoli- tischen Bemerkungen an, um sodann über die allgemeinen Themen der Innenpolitik überzugehen auf die Steuerreform im Besonderen. Die mannigfachen außenpolitischen Kontakte der letzten Wochen rechtfertigen zwei Feststellungen. Erstens, dass es in Europa nach einer Reihe von kritischen Monaten, ausgelöst durch insbesondere wirt- schaftliche kritische Zuspitzungen in einer Reihe von Ländern, jetzt wieder vorangeht mit der europäischen Entwicklung und ebenso rechtfertigen unsere außenpolitischen Kontakte eine positive Stellungnahme hinsichtlich der Entwicklung des europäisch- amerikanischen Verhältnisses. Um mit dem Letzteren zu beginnen, egal ob es geht um die sehr heiß umstritten gewe- senen, scheinbar erstklassigen Themen der Konsultationsprozeduren zwischen der EG und Amerika oder ob es geht um die Vorstellungen von der Substanz und von dem Verlauf der Verhandlungen in Genf unter dem Stichwort Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa oder um andere Gebiete wie Energie, das ich aus- drücklich nennen will, auf all diesen Feldern hat sich in den letzten Wochen – nicht zuletzt auch durch den Regierungswechsel in Paris, nicht zuletzt auch durch Einsicht Copyright © 2020 KGParl 1 SPD – 07. WP Fraktionssitzung: 10. 07. 1974 (Tonbandtranskript) auf der anderen Seite des Atlantik, nicht zuletzt durch unsere vermittelnde Rolle ge- genüber allen beteiligten Partnern – ein durchgreifender Wandel ergeben. Ich glaube, dass man sagen darf, dass das Misstrauen der vergangenen Monate über die Absichten auf dieser Seite des Atlantik oder über die Absichten auf der anderen Seite des Atlantik, dass dieses Misstrauen beseitigt worden ist, dass die amerikanische Truppenpräsenz in Europa förmlich verankert worden ist, dass die amerikanische Sicherheitsgarantie er- neut bestätigt wurde und dass man keine Sorgen hat wegen – und auch nicht zu haben braucht – wegen der europäisch-amerikanischen Konsultationen in der Zukunft. Ich möchte ein Wort auch sagen zur Entwicklung innerhalb der europäischen Wirt- schaftsgemeinschaft. Die neue französische Regierung hat ein Stabilitätsprogramm in Gang gesetzt, das seiner Anlage nach, wie auch einer Reihe von Details wegen, als eine Paralleloperation – wenn auch mit einem Jahr Verzögerung – angesprochen werden darf zu dem Stabilitätsprogramm, das wir hier im Mai vorigen Jahres in Gang gesetzt haben und von dem ja die deutschen Arbeitnehmer und die deutschen Konsumenten wie auch die deutschen Unternehmungen nach wie vor insofern einen ganz großen Vorsprung zugute haben, nach wie vor mit einem großen Vorsprung hinsichtlich unse- rer deutschen Preise davon profitieren. Im Augenblick sind die Lebenshaltungskosten für den letztabgelaufenen Monat in Deutschland gesunken auf 6,9 Prozent. Dieses ist für fast alle Regierungen der Welt ein unglaublicher Rekord in Bezug auf die Niedrig- keit dieser Inflationsrate, zum Beispiel für den französischen Staatschef – ich bitte das nicht zu drucken – fast unverständlich und die haben dann sogar den Verdacht geäußert unter der Hand, als ob wir die Statistiken geschönt hätten. Was wir nicht getan haben. Nun wird ja, offen gesagt, das nicht so günstig bleiben in den nächsten Monaten. Es wird wegen der statistischen Vergleichsbasis, die im August sehr viel besser ist, als sie noch im Juni/Julei war, im August/September ein bisschen nach oben gehen, aber es kann mit Sicherheit gesagt werden, dass überhaupt keine Sorge zu bestehen braucht, dass dieses ganze Geschwätz von der Zehn-Prozent-Grenze, was wir in den ersten Wochen und Monaten des Jahres für dann wirklich sich als Geschwätz auch herausstel- len wird. Wir sind bei 7,5 oder was angefangen am ersten Monat des Jahres und es ist stetig heruntergegangen auf 6,9. Es wird sich wieder ein bisschen nach oben entwickeln im Herbst, aber dann wieder nach unten entwickeln, und andere Regierungen in Euro- pa fühlen sich nun schon ernsthaft unter Druck gesetzt durch diese deutsche Entwick- lung. Die Franzosen versuchen also nachzuziehen. Giscard hat gestern vor dem deut- schen Fernsehen und vor deutschen Journalisten eine Glückwunschadresse an uns aus- gesprochen wegen dieser erfolgreichen Stabilitätspolitik und hat die Erwartung ausge- sprochen, dass sie zum Jahresende eine ähnliche Entwicklung in Frankreich eingeleitet haben wollen. Die ist ein bisschen optimistisch, füge ich hinzu. Ich glaube, er kann froh sein, wenn er zu Ostern bis auf zwei Prozent an unsere Raten herangekommen ist, und er läuft dabei natürlich auch Risiken. Er läuft dabei, genau wie wir mit unserer Stabili- tätspolitik, innenpolitische Risiken, wo seine Wähler nun allerdings in der anderen Hälfte des französischen innenpolitischen Spektrums zu finden sind, als unsere Wähler in unserem innenpolitischen Spektrum zuhause waren. Wir haben die Arbeitnehmer sehr geschont bei diesem Stabilitätsprogramm. Ich denke an Konjunkturzuschlag. Ich denke an Investitionssteuer. Wir haben sie sehr geschont mit der einzigen Ausnahme der Mineralölsteuererhöhung. Er versucht ein Gleiches, aber ob ihm das innenpolitisch so abgenommen werden wird in Frankreich, das ist eine andere Frage, über die ich hier keinen Kommentar geben will. Tatsache ist, dass das Umschalten Frankreichs auf Stabilität nun gemeinsam mit dem vorwegmarschierten deutschen Beispiel in einer Reihe von europäischen Hauptstädten die Besorgnis einer Copyright © 2020 KGParl 2 SPD – 07. WP Fraktionssitzung: 10. 07. 1974 (Tonbandtranskript) Achse Paris – Bonn auslöst. Wir leugnen das natürlich nachhaltig, dass eine solche Ab- sicht besteht. Im Übrigen schadet es aber nichts, wenn andere Leute sich durch diese gemeinsame Stabilitätspolitik ein bisschen unter Druck gesetzt fühlen, und es haben inzwischen entsprechend reagiert in ihrer nationalen Wirtschaftspolitik die Holländer und auch die Belgier. Auf holländischen und auf belgischen Wunsch habe ich mich mit den beiden Ministerpräsidenten je einzeln getroffen, mit den Uyl und mit Tindemans, auf seinen Wunsch auch mit Wilson. Die wirtschaftliche Entwicklung im Lande von Wilson sieht mir nicht ganz so deutlich und zielstrebig geführt aus, wenn ich das hier offen sagen soll. Die deutsch-französischen Konsultationen, die dieses Jahr etwas vor- gezogen worden sind, eigentlich hätten sie im Herbst sein sollen, aber wir haben sie vorgezogen, weil sie im April wegen der Krankheit Pompidous ganz ausgefallen waren, haben eine sehr weitgehende Übereinstimmung herbeigeführt. Man kann mit Sicherheit sagen, dass es gegenwärtig keinerlei bilaterale Probleme zwischen Frankreich und Deutschland gibt, die der Erwähnung wert seien. Sicherlich gibt es Probleme, die Frankreich mit einer Gemeinschaft von Ländern hat, sei es im Nordatlantischen Bünd- nis, sei es innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, sei es in Bezug auf die Energiepo- litik. Das gibt es gewiss, aber es gibt keinerlei deutsch-französische Probleme von ir- gendeiner Bedeutung gegenwärtig. Im Gegenteil, die beiden Regierungen sind sich in zunehmendem Maße bewusst geworden in den letzten beiden Tagen, die sehr informel- le, aber dafür eben auch tiefgehende Gespräche mit sich gebracht haben, sind sich be- wusst geworden, wie sehr wir übereinstimmen. Mir liegt am Herzen, eines hier deutlich zu sagen, ohne dass damit ein Wort der Kritik an Personen verbunden sein darf, mit denen wir es früher in Paris zu tun gehabt haben. An der proeuropäischen Gesinnung der gegenwärtigen französischen Regierung kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Das ist kein Attentismus,