SPD – 07. WP Fraktionssitzung: 10. 07. 1974 (Tonbandtranskript)

76.

10. Juli 1974: Fraktionssitzung (Tonbandtranskript)

AdsD, SPD-BT-Fraktion 7. WP, 6/TONS000027. Titel: »Fraktionssitzung am 10. 07. 1974«. Beginn: 11.15 Uhr. Aufnahmedauer: 02:10:49. Vorsitz: Wehner.

Sitzungsverlauf: A. TOP 1: Politische Berichte: Bundeskanzler Schmidt (Beziehungen EG – USA; KSZE; Hochschulpolitik und Hochschulrahmengesetz; Preissteigerungen in Deutschland; Wirt- schafts- und Konjunkturpolitik in den Ländern der EG; deutsch-französische Beziehun- gen; deutsch-sowjetische Beziehungen; Beziehungen zur DDR; Haushalt 1975; Rücktritt von Bundesminister Eppler, Binnenkonjunktur; Steuerreform). B. Politischer Bericht von Finanzminister Apel (Haushalt 1975) und dem Parlamentari- schen Staatssekretär Glotz (Hochschulrahmengesetz). – Aussprache der Fraktion. – TOP 2: Informationen. C. TOP 3: Bericht aus der Fraktionsvorstandssitzung (Vermittlungsausschuss; SPD- Medienbeteiligungen; Verfassungsmäßigkeit Reform Paragraph 218 StGB). – TOP 4: Aktuelles aus den Arbeitskreisen. D. Vorbereitung der Plenarsitzungen: TOP 5: Vorbereitung und Ablauf der Plenarsitzun- gen. – TOP 6: Ergebnis Vermittlungsausschuss – Steuerreformgesetz. – Aussprache der Fraktion dazu. – TOP 7: Antrag zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des 5. Straf- rechtreformgesetzes (Reform des Paragraphen 218 StGB). – Verschiedenes.

[A.] Wehner: Die Sitzung ist eröffnet. Wir haben heute sechs Krankmeldungen. Ich sag’s deswegen, weil das für Abstimmungen beträchtlich ist. Von der FDP haben wir gehört, dass es zwei sein werden. Wir müssen also alle, alle da sein bei diesen Abstimmungen. Die Tagesordnung liegt vor. Wird das Wort dazu gewünscht? Unter politischen Berich- ten, wir sind ja daran gehalten, dass um 14 Uhr das Plenum beginnt, wird also der Bun- deskanzler, der Bundesminister der Finanzen und aus einem speziellen Grund kurz , nämlich Hergang Hochschulrahmengesetz, die Fraktion unterrichten und zur Diskussion stellen. Das Wort hat der Bundeskanzler. Schmidt (Hamburg): Liebe Freunde, ich fange meinen Bericht mit ein paar außenpoli- tischen Bemerkungen an, um sodann über die allgemeinen Themen der Innenpolitik überzugehen auf die Steuerreform im Besonderen. Die mannigfachen außenpolitischen Kontakte der letzten Wochen rechtfertigen zwei Feststellungen. Erstens, dass es in Europa nach einer Reihe von kritischen Monaten, ausgelöst durch insbesondere wirt- schaftliche kritische Zuspitzungen in einer Reihe von Ländern, jetzt wieder vorangeht mit der europäischen Entwicklung und ebenso rechtfertigen unsere außenpolitischen Kontakte eine positive Stellungnahme hinsichtlich der Entwicklung des europäisch- amerikanischen Verhältnisses. Um mit dem Letzteren zu beginnen, egal ob es geht um die sehr heiß umstritten gewe- senen, scheinbar erstklassigen Themen der Konsultationsprozeduren zwischen der EG und Amerika oder ob es geht um die Vorstellungen von der Substanz und von dem Verlauf der Verhandlungen in Genf unter dem Stichwort Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa oder um andere Gebiete wie Energie, das ich aus- drücklich nennen will, auf all diesen Feldern hat sich in den letzten Wochen – nicht zuletzt auch durch den Regierungswechsel in Paris, nicht zuletzt auch durch Einsicht

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auf der anderen Seite des Atlantik, nicht zuletzt durch unsere vermittelnde Rolle ge- genüber allen beteiligten Partnern – ein durchgreifender Wandel ergeben. Ich glaube, dass man sagen darf, dass das Misstrauen der vergangenen Monate über die Absichten auf dieser Seite des Atlantik oder über die Absichten auf der anderen Seite des Atlantik, dass dieses Misstrauen beseitigt worden ist, dass die amerikanische Truppenpräsenz in Europa förmlich verankert worden ist, dass die amerikanische Sicherheitsgarantie er- neut bestätigt wurde und dass man keine Sorgen hat wegen – und auch nicht zu haben braucht – wegen der europäisch-amerikanischen Konsultationen in der Zukunft. Ich möchte ein Wort auch sagen zur Entwicklung innerhalb der europäischen Wirt- schaftsgemeinschaft. Die neue französische Regierung hat ein Stabilitätsprogramm in Gang gesetzt, das seiner Anlage nach, wie auch einer Reihe von Details wegen, als eine Paralleloperation – wenn auch mit einem Jahr Verzögerung – angesprochen werden darf zu dem Stabilitätsprogramm, das wir hier im Mai vorigen Jahres in Gang gesetzt haben und von dem ja die deutschen Arbeitnehmer und die deutschen Konsumenten wie auch die deutschen Unternehmungen nach wie vor insofern einen ganz großen Vorsprung zugute haben, nach wie vor mit einem großen Vorsprung hinsichtlich unse- rer deutschen Preise davon profitieren. Im Augenblick sind die Lebenshaltungskosten für den letztabgelaufenen Monat in Deutschland gesunken auf 6,9 Prozent. Dieses ist für fast alle Regierungen der Welt ein unglaublicher Rekord in Bezug auf die Niedrig- keit dieser Inflationsrate, zum Beispiel für den französischen Staatschef – ich bitte das nicht zu drucken – fast unverständlich und die haben dann sogar den Verdacht geäußert unter der Hand, als ob wir die Statistiken geschönt hätten. Was wir nicht getan haben. Nun wird ja, offen gesagt, das nicht so günstig bleiben in den nächsten Monaten. Es wird wegen der statistischen Vergleichsbasis, die im August sehr viel besser ist, als sie noch im Juni/Julei war, im August/September ein bisschen nach oben gehen, aber es kann mit Sicherheit gesagt werden, dass überhaupt keine Sorge zu bestehen braucht, dass dieses ganze Geschwätz von der Zehn-Prozent-Grenze, was wir in den ersten Wochen und Monaten des Jahres für dann wirklich sich als Geschwätz auch herausstel- len wird. Wir sind bei 7,5 oder was angefangen am ersten Monat des Jahres und es ist stetig heruntergegangen auf 6,9. Es wird sich wieder ein bisschen nach oben entwickeln im Herbst, aber dann wieder nach unten entwickeln, und andere Regierungen in Euro- pa fühlen sich nun schon ernsthaft unter Druck gesetzt durch diese deutsche Entwick- lung. Die Franzosen versuchen also nachzuziehen. Giscard hat gestern vor dem deut- schen Fernsehen und vor deutschen Journalisten eine Glückwunschadresse an uns aus- gesprochen wegen dieser erfolgreichen Stabilitätspolitik und hat die Erwartung ausge- sprochen, dass sie zum Jahresende eine ähnliche Entwicklung in Frankreich eingeleitet haben wollen. Die ist ein bisschen optimistisch, füge ich hinzu. Ich glaube, er kann froh sein, wenn er zu Ostern bis auf zwei Prozent an unsere Raten herangekommen ist, und er läuft dabei natürlich auch Risiken. Er läuft dabei, genau wie wir mit unserer Stabili- tätspolitik, innenpolitische Risiken, wo seine Wähler nun allerdings in der anderen Hälfte des französischen innenpolitischen Spektrums zu finden sind, als unsere Wähler in unserem innenpolitischen Spektrum zuhause waren. Wir haben die Arbeitnehmer sehr geschont bei diesem Stabilitätsprogramm. Ich denke an Konjunkturzuschlag. Ich denke an Investitionssteuer. Wir haben sie sehr geschont mit der einzigen Ausnahme der Mineralölsteuererhöhung. Er versucht ein Gleiches, aber ob ihm das innenpolitisch so abgenommen werden wird in Frankreich, das ist eine andere Frage, über die ich hier keinen Kommentar geben will. Tatsache ist, dass das Umschalten Frankreichs auf Stabilität nun gemeinsam mit dem vorwegmarschierten deutschen Beispiel in einer Reihe von europäischen Hauptstädten die Besorgnis einer

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Achse Paris – Bonn auslöst. Wir leugnen das natürlich nachhaltig, dass eine solche Ab- sicht besteht. Im Übrigen schadet es aber nichts, wenn andere Leute sich durch diese gemeinsame Stabilitätspolitik ein bisschen unter Druck gesetzt fühlen, und es haben inzwischen entsprechend reagiert in ihrer nationalen Wirtschaftspolitik die Holländer und auch die Belgier. Auf holländischen und auf belgischen Wunsch habe ich mich mit den beiden Ministerpräsidenten je einzeln getroffen, mit den Uyl und mit Tindemans, auf seinen Wunsch auch mit Wilson. Die wirtschaftliche Entwicklung im Lande von Wilson sieht mir nicht ganz so deutlich und zielstrebig geführt aus, wenn ich das hier offen sagen soll. Die deutsch-französischen Konsultationen, die dieses Jahr etwas vor- gezogen worden sind, eigentlich hätten sie im Herbst sein sollen, aber wir haben sie vorgezogen, weil sie im April wegen der Krankheit Pompidous ganz ausgefallen waren, haben eine sehr weitgehende Übereinstimmung herbeigeführt. Man kann mit Sicherheit sagen, dass es gegenwärtig keinerlei bilaterale Probleme zwischen Frankreich und Deutschland gibt, die der Erwähnung wert seien. Sicherlich gibt es Probleme, die Frankreich mit einer Gemeinschaft von Ländern hat, sei es im Nordatlantischen Bünd- nis, sei es innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, sei es in Bezug auf die Energiepo- litik. Das gibt es gewiss, aber es gibt keinerlei deutsch-französische Probleme von ir- gendeiner Bedeutung gegenwärtig. Im Gegenteil, die beiden Regierungen sind sich in zunehmendem Maße bewusst geworden in den letzten beiden Tagen, die sehr informel- le, aber dafür eben auch tiefgehende Gespräche mit sich gebracht haben, sind sich be- wusst geworden, wie sehr wir übereinstimmen. Mir liegt am Herzen, eines hier deutlich zu sagen, ohne dass damit ein Wort der Kritik an Personen verbunden sein darf, mit denen wir es früher in Paris zu tun gehabt haben. An der proeuropäischen Gesinnung der gegenwärtigen französischen Regierung kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Das ist kein Attentismus, sondern das ist eine sehr ernst gemeinte Bemühung, die – und den zweiten Satz füge ich jetzt sehr viel leiser hinzu und nicht fürs Kommuniqué – die natürlich in Rechnung stellen muss die politi- sche Zusammensetzung der Koalition, auf die sich die Regierung Giscards und Chiracs stützt. So dass also aus innenpolitischen Gründen Frankreich sicherlich mehr Zeit brauchen wird für manches, was in Richtung Europa dort getan werden soll und heute schon gedacht wird, als die französische Regierung im Augenblick nach außen zu er- kennen geben kann, uns aber zu erkennen gegeben hat und ich sage noch einmal, ich möchte diese Sätze nicht im Kommuniqué wiederfinden. Ich muss einen Satz hinzufügen, über die Beziehung zu den östlichen Nachbarn und zur Sowjetunion. Das Gespräch mit der Sowjetunion war zu keinem Zeitpunkt unter- brochen und ist nahtlos fortgesetzt worden, und ich füge hier in Klammern – auch nicht fürs Kommuniqué – hinzu, dass ich sehr herzlich darum bitte, dass unsererseits alles vermieden wird, um nach dem 13. Juli, wenn das Gesetz über das Umweltschutz- bundesamt im Bundesrat angenommen sein wird, alles vermieden wird, um unsererseits daraus keine Sache von großer publizistischer Bedeutung zu machen. Klammer zu und nicht fürs Kommuniqué. Dass hier eine mögliche Erschwernis im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion liegen kann, auch natürlich im Verhältnis zur DDR, dürfte für jeden erkennbar sein. Umso sorgfältiger sollten wir unsere eigenen Worte wählen in dieser Sache. Ich betone aber nochmal, dass das Ge- spräch mit der Sowjetunion zu keinem Zeitpunkt in diesem Frühjahr unterbrochen war, und wie mir scheint, wie mir scheint, sich positiv entwickeln kann. Das Gespräch mit der DDR wird, das ist auf beiden Seiten die Absicht, im Laufe der allernächsten Zeit, das heißt während der Saure-Gurken-Zeit wieder aufgenommen werden.

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Wenn ich auf das innenpolitische Feld übergehen darf: Die Fraktion weiß besser, als ich es beurteilen kann, was es für die Hochschulpolitik bedeutet, dass die Obstruktionspo- litik der Opposition die Fertigstellung im Bundestag noch vor den Parlamentsferien verhindert hat, einer Obstruktionspolitik zulasten Dritter wie mir scheint. Ich bin nicht ganz sicher, ob wir das im Vorgefühl der Ferien oder angesichts der Tatsache, dass die meisten von uns wohl schon ein bisschen Ferien einkassiert haben und da auch schnell wieder hinwollen, und wenn die heutige Sitzung vorbei ist, bin nicht ganz sicher, ob wir die Entwicklung um das Hochschulrahmengesetz publizistisch schon ausreichend und richtig beleuchtet haben. Eine Bemerkung machen zum Haushalt 1975. Das Kabinett hat eine ungewöhnliche Sparanstrengung gemacht, um den vorhersehbaren finanzwirtschaftlichen sowohl als auch Kaufkrafteffekt der Steuer- und Kindergeldreform, der ab 1. Januar eintreten wird, überhaupt erst zu ermöglichen. Eine ungewöhnliche Sparanstrengung, die den normalen Haushalt verglichen mit dem Haushalt 1974 auf eine Zuwachsquote von 6,2 Prozent herunterbringt. Wenn ihr einrechnet, dass der Bund erhebliche Kindergeldzah- lungen zu leisten haben wird ab 1. Januar 1975, und wenn ihr zweitens einrechnet, dass wir natürlich in Bezug auf diese finanzwirtschaftlichen Ergebnisse der Steuerreform und der Kindergeldreform davon ausgehen müssen und wohl auch dürfen, dass Länder und Gemeinden in entsprechender verhältnismäßiger Weise herangezogen werden zur teilweisen Finanzierung des Kindergeldes, nämlich über den Mehrwertsteuerausgleich, so ist doch immerhin der Haushalt des Bundes 1975 mit einer Zuwachsrate von 8,8 Prozent ungewöhnlich niedrig angesichts der letzten zwei, drei, vier Inflationsjahre, denen auch die Bundesrepublik trotz ihrer relativ rekordniedrigen Inflationsraten aus- gesetzt gewesen ist. Bei einer solch engen Zuschneidung des Haushalts für ’75, die immer noch große Fi- nanzierungsrisiken enthält, weil nämlich die Verhandlungen mit den Ländern und den Gemeinden über den Ausgleich der Finanzlasten noch gar nicht begonnen haben, ge- schweige denn abgeschlossen worden sind, und da für uns große Risiken drinstecken in Milliardengrößenordnungen. Und weil zweitens selbst bei einer Zuwachsrate von 8,8 Prozent eine bisher noch nicht erreicht gewesene Kreditaufnahme am Kapitalmarkt notwendig bleibt, ein Haushalt also trotz dieses enormen Sparwillens, der sich nieder- geschlagen hat in den Ausgabetiteln und -kapiteln, immer noch mit erheblichen Risiken behaftet, der hat natürlich dazu zwingen müssen und dazu führen müssen, dass auf fast allen Gebieten – vielleicht mit der einzigen Ausnahme des Bundespräsidialamtes und des Bundesverfassungsgerichtes – im Übrigen auf allen Gebieten, in allen Einzelplänen Abstriche unvermeidlich waren. Und das Kabinett hat sich sehr lange mit diesen not- wendigen Abstrichen beschäftigt. Ihr wisst, dass dies bei einem Ressortminister zu der Konsequenz geführt hat, dass er meinte, in seinem Ressort die Abstriche, die das Kabinett ihm zumuten musste, nicht mitverantworten zu sollen. Ich will das nicht kritisieren. Ich will dazu sagen, es ist etwas Normales in einer Demokratie, zumal in einer parlamentarischen Demokratie, dass Minister über Meinungsverschiedenheiten, in denen sie sich nicht durchgesetzt haben, ihren Rücktritt anbieten und dass er angenommen wird. Dies ist früher schon vorgekommen. Das wird auch in Zukunft vorkommen. Ich begrüße sehr, dass durch die Verlautbarungen, die aus seinem Munde oder aus seiner Feder stam- men, an den Tagen danach sehr darum gebeten hat, und ich teile diese seine Auffassung, dass daraus nicht nachträglich, dass da hinein nicht nachträglich etwas hineininterpre- tiert wird und nichts daraus gemacht wird, was nicht von vornherein drin war und nicht angelegt war.

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In einem Punkt möchte ich hier deutlich sagen, dass falsche Vorstellungen zum Teil in den Zeitungen gedruckt worden sind. Die deutsche Entwicklungshilfe wird tatsächlich nach der gegenwärtig vom Kabinett beschlossenen mittelfristigen Finanzplanung jeden- falls, die, wie jeder weiß, alle Jahre geändert werden muss, aber nach der gegenwärtig beschlossenen mittelfristigen Finanzplanung wird die deutscherseits geleistete Entwick- lungshilfe 1978 etwas mehr als das Doppelte von dem sein, was wir ’73, nämlich im letzten Jahr, gezahlt haben. Dies ist eine erkleckliche Entwicklung, die eben auch dazu führt, dass die Steigerungsraten in all den fünf Jahren der mittelfristigen Finanzplanung deutlich, zum Teil ungewöhnlich hoch über der allgemeinen durchschnittlichen Steige- rung des Haushalts liegen. Die Ernennung von hat eine Reihe von sehr intelligenten Kommentaren ausgelöst. Ich will mich zu all diesen taktischen Geschich- ten, die die Leute da hereingeheimnist oder herausgelesen haben, gar nicht äußern, außer dass ich mit Befriedigung feststelle, dass alle diese Kommentare zum Schluss zu dem Ergebnis kommen, dass das eine gute Wahl gewesen ist und darauf kommt es letz- ten Endes an. (Beifall.) Ich will im Zusammenhang mit dem Haushalt die Bemerkung, die ich bei den Preisen schon machte über den Herbst 1974, noch einmal aufgreifen und sagen, dass die Stabili- tätsprogramme anderer EG-Länder, zum Beispiel die französischen, belgischen, hol- ländischen Stabilitätsbemühungen und zusätzlich die italienischen oder falls die italieni- schen nicht so gut funktionieren würden, die zwangsläufig eintretenden Folgen in Ita- lien natürlich dazu führen können, dass in einer fühlbaren Weise die ausländischen Aufträge für die deutsche Industrie zurückgehen können in dem Maße, in dem andere Volkswirtschaften sich disziplinieren und aufhören, mehr zu verbrauchen, als sie selber produzieren oder als sie selber verdienen, in dem Maße also, in dem sie weniger impor- tieren, um es zu verbrauchen, in dem Maße schlägt sich das bei uns nieder als ein Rück- gang unserer ausländischen Order oder Auftragseingangszuwächse. Die deutsche Volkswirtschaft ist sehr stark orientiert auf Investitionsgüter und es kann also ein sol- cher Rückgang an Auftragseingängen aus dem Ausland, gegenwärtig stützen ja diese Exportüberschüsse jedenfalls unsere Beschäftigungskonjunktur, es kann das eine Reihe von Unternehmen zusätzlich zu den strukturbedingten Schwächen, die zum Beispiel infolge der Drosselung des Energieverbrauchs aller Welt bei der Automobilindustrie eingetreten sind, VW ist nur ein prototypisches Beispiel, wo sich unternehmenspoliti- sche Fehler addieren zu der allgemeinen Lage dieser Branche, es kann das also im Herbst zu gewissen Gefährdungen der Beschäftigungslage führen. Das ist jedenfalls theoretisch nicht auszuschließen. Wir sind darauf vorbereitet, in solchem Falle etwas zu tun. Wir wollen das aber heute nicht ankündigen. Wir wollen niemandes Erwartungen schüren. Wir wollen auch die preispolitischen Erwartungen im Augenblick nicht wieder auf Inflationssignale stellen. Im Gegenteil: wir sind ja froh, dass die allgemeine Inflationsmentalität zurückgeht in unserem Lande. Was man auch in Gesprächen mit Unternehmern sowohl als auch in Gesprächen mit unseren gewerkschaftlich führenden Kollegen spüren kann. Für den Fall aber, dass so etwas eintreten sollte, wären wir vorbereitet. Ich sage nur das Stich- wort Konjunkturausgleichsrücklagen, von denen wir inzwischen – Bund und Länder zusammen – zehn Milliarden angesammelt haben, ein unglaublich großer Betrag, mit dem man beinahe die halbe Welt aus den Angeln heben könnte, wenn das notwendig wäre. Das ist ein unglaublicher Betrag, ich sage das noch einmal, müsst euch mal den Beschäftigungsmultiplikator vorstellen, von zehn Milliarden Investitionen, nicht im Traum würde man daran denken, die alle auszugeben. Große Vorsorge getroffen. Für

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das Jahr 1975 werden wir uns wie alle Industriegesellschaften darauf einstellen müssen, dass unsere realen Produktionszuwächse kleiner sein werden als in den vergangenen Jahren, vielleicht nicht sehr viel besser als 1974. Auf jeden Fall ist für 1975 eine Stär- kung der Binnennachfrage angezeigt, die wird dann ja auch zur Verringerung der Ex- portüberschüsse führen, eine Verstärkung der Binnennachfrage, die eben durch Steuer- reform und Kindergeldreform in Gestalt oder in der Größenordnung von zwölf Milli- arden eintreten wird. Damit ist das Stichwort gefallen zu dem letzten Gegenstand, über den ich ein paar Bemerkungen machen wollte. (Unruhe.) Das, was ich zum Hochschulrahmengesetz versucht habe anzudeuten, gilt jedenfalls für das ganze Thema Steuerreform. Es ist uns bisher nicht ausreichend gelungen, dieses fachlich sehr komplizierte, sehr verästelte Thema so in politisch verständliches Deutsch zu übersetzen, dass es draußen verstanden werden kann. (Vereinzelter Beifall.) Wenn ich sage »uns«, dann meine ich mit »wir« die Bundesregierung, aber auch die Fraktion, auch die Partei, auch die einzelnen Angehörigen der Fraktion. Mir scheint, es müssen die folgenden Punkte herausgeholt werden und der Holger Börner mit seinen Leuten – und die Regierung mit ihren Einrichtungen – wird dazu Schützenhilfe leisten und das Finanzministerium, dass das nun in den nächsten Tagen herausgeholt wird, da wir ja voraussehen, dass am Freitagmorgen im Bundesrat die dortige Einstimmenmehr- heit die Sache zum Scheitern bringen wird. Der erste Punkt, der herausgeholt werden muss, ist der, dass die Opposition zum großen Teil ihre positiven Punkte aus den Be- schlüssen, den Mehrheitsbeschlüssen des Deutschen Bundestages herausgeholt hat unter Abweichung von ihren eigenen vorher veröffentlichten Vorstellungen und Ent- würfen, Kindergeldreform beispielsweise, Kinderbeträge, dass sie einfach abgeschrieben haben, um dann obendrauf zu setzen zweitens eine Reihe von Punkten, die insbesonde- re zugunsten der Einkommensbezieher in der Größenordnung von 100 000 Mark und drüber wirken. Dies muss mit zahlenmäßigen Beispielen belegt werden. Ich glaube, man muss auch herausheben, dass es sich letztlich um ein verantwortungsloses Spiel handelt insofern, als eine ohne politische Führung dastehende Oppositionskoalition, die inzwischen drei Gesetzentwürfe vorgelegt hat, nämlich zwei nacheinander im Bun- destag, zwei sogenannte Inflationsentlastungsgesetzentwürfe, im Bundesrat einen Ge- setzentwurf des Freistaates Bayern, und wie wir hören, wollen sie am Freitag ein viertes Mal ein Paket von Gesetzen einbringen, und in Wirklichkeit handelt es sich darum, dass hier immer andere Leute innerhalb der CDU/CSU um die Führung in der Wirt- schaftspolitik ringen. Der Ministerpräsident von Mainz, Herr Kohl, hätte am 1. Juli nach der Kleiderordnung des Vermittlungsausschusses dort den Vorsitz zu übernehmen gehabt. Er hat sich davor gedrückt und ist in Urlaub gefahren und hat den Alex Möller gebeten, das doch bitte vertretungsweise für ihn weiterzumachen. Jetzt wird am Freitag, wenn der Bundesrat die Sache ablehnt, die herausgekommen ist im Vermittlungsausschuss, wird die Bundes- regierung ein zweites Mal den Vermittlungsausschuss anrufen müssen, denn wir kön- nen den Bundesrat ja nicht anders als durch den Vermittlungsausschuss zu einem Kompromiss bringen. Jetzt haben wir schon gehört, Herr Kohl sei auch diesmal nicht zur Verfügung. Als ich ihn neulich versuchen wollte, telefonisch zu erreichen, war er im Ausland und da würde er gleich wieder wegfahren, denn dann würde er in ein ande- res Ausland fahren, hörte ich. Das ist ja symptomatisch. Stattdessen sind dort im Ver- mittlungsausschuss tätig Leute von dem großen Kaliber dieses Herrn Stoltenberg und

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dieses Herrn aus Baden-Württemberg, dessen Name ich immer vergesse, weil er sonst nicht so einprägsam war bisher. (Zwischenruf.) Nein, nicht Filbinger, wie heißt er denn, hier dieser – (Zwischenruf.) nein, der Steuerdemagoge. (Zwischenruf.) Häfele. Häfele und dann der Gaddum, der Gaddum und ganz aus dem Hintergrund der Filbinger. Dabei weiß man, dass die Finanzbeamten in Stuttgart dem Filbinger ge- sagt haben, du musst schon 1974 einen Sparhaushalt machen, dein Geld reicht nicht aus. Das ist dem völlig egal. Das wird auch ’75 bei ihm nicht reichen. Die versuchen alle, innerhalb ihrer eigenen Partei sich zu profilieren gegenüber dem jeweils anderen, der grade einen anderen Gesetzentwurf gemacht hat, und letztendlich tun sie dies zulasten der Steuerzahler, insbesondere – das will ich mal ganz deutlich sagen – derjenigen Gruppen von Steuerzahlern, für die Arbeitnehmer im Wesentlichen die Sozialdemokra- tische Partei steht, beziehungsweise kleiner Mittelstand, für die im Wesentlichen die Freie Demokratische Partei fühlt, dass sie hier ’ne gewisse Verantwortung trägt. Dieses herauszuarbeiten anhand von Zahlenbeispielen, scheint mir außerordentlich wichtig und ist meine große Bitte an die Fachleute in der Regierung, in der Fraktion, dass das geschehe und dass das nicht nur geschieht in einer Form, dass es die Wirtschaftsredak- teure der Tageszeitungen verstehen können, sondern in einer Form geschieht, dass es die politischen Redakteure verstehen können und dass es die politischen Sekretäre der Unterbezirke verstehen können. Letzter Punkt: Die CDU/CSU weiß, dass ihre Vorschläge – selbst wenn man sie nicht alle zusammennimmt, sondern jeden Vorschlag einzeln betrachtet – zu einer abermali- gen Belastung der öffentlichen Haushalte in der Größenordnung mehrerer Milliarden führen wird. Sie wissen, dass das nicht finanziert werden kann. Das heißt, sie pokern hoch und sie hoffen, zum Schluss vielleicht die sozial-liberale Koalition in die Ecke treiben zu können, in die Zwangslage versetzen zu können, dass wir dann die Mehr- wertsteuer erhöhen, was einen Befreiungsschlag um rund fünf Milliarden bringen wür- de. Die Bundesregierung, ich wiederhole das, hat nicht die Absicht, dies zu tun, und ich wäre herzlich dankbar, wenn wir auch überall in unserer Argumentation klarmachen würden, dass das, was die CDU/CSU letztlich zugunsten der oberen Schichten be- treibt, darauf hinausläuft, dass alle es über eine Erhöhung der Preise um ein Prozent bezahlen sollen. Denn das bedeutet die Mehrwertsteuererhöhung, dass alle Preise in Deutschland um ein Prozent teurer werden, wahrscheinlich um etwas mehr, weil bei dieser Gelegenheit natürlich überall in den Preisen nach oben aufgerundet wird und deswegen wollen wir das nicht. Ich will aber dem Gespräch der Fachleute hier nicht weiter vorgreifen. Ich meine, man soll vorsichtig sein mit den Zugeständnissen, die man macht, auch in der Publizistik. Zugeständnisse müssen zum Schluss gemacht werden, wenn das Paket, und das wird ein Kompromisspaket sein, unterschrieben werden kann. Sonst werden im Vorwege viele Zugeständnisse eingeheimst, als selbstverständlich angesehen und zum Schluss muss man dann immer noch welche oben drauflegen. Hier muss auch gerechnet wer- den, was die Einnahmeausfälle für die öffentlichen Hände angeht. Wir können nämlich den Bundeshaushalt nicht noch mehr beschneiden als auf 8,8 Prozent Zuwachsrate. Dies ist ausgeschlossen. Wir haben ihn so weit beschnitten, wie es nur denkbar war. Da ist keine Luft drin. Hat auch keinen Zweck, dem Bundeshaushalt eine globale Minder-

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ausgabe aufzuerlegen oder dergleichen. Da ist keine Luft mehr drin. Und deswegen muss nun, was die Ausfälle durch Steuerreform und Kindergeldreform angeht, was die Ausfälle in den staatlichen Haushalten angeht, auch eine Grenze gezogen werden. Ich muss eine sehr betrübliche Mitteilung an den Schluss dieser Sache setzen. Kinder- geldreform und Steuerreform sollen zum 1. Januar in Kraft treten. Die Finanzämter müssen sich darauf einstellen. Das heißt, wir können uns nicht Zeit lassen, bis der Bun- destag im September wieder zusammentritt, um das dann im Oktober im Bundesrat und Vermittlungsausschuss zu haben, sondern dies muss während des Sommers ge- schehen. Die Bundesregierung wird noch am Freitag, wenn – wie ich erwarte – der Bundesrat das Vermittlungsergebnis ablehnt, noch am Freitag erneut den Vermittlungs- ausschuss anrufen, und nach unserem Wunsch sollte er dann mit der größtmöglichen Beschleunigung zusammentreten. Das wird auch von Herrn Kohl abhängen. Und nach unserer Vorstellung sollte dann während des Sommers ein Ergebnis erreicht werden, das Bundestag und Bundesrat akzeptieren müssen. Ich hoffe, dass sie es akzeptieren können, und dann muss es auch geschehen. Das heißt, ihr müsst damit rechnen, dass es wegen dieser Obstruktionstaktik der Herren Länderminister im Bundesrat zu einer erneuten besonderen Sitzung des Bundestages im Laufe der Sommerferien kommt. Mit dieser wenig erfreulichen, aber politisch unausweichlichen Schlussnote möchte ich den Bericht hier beenden. (Beifall.) Wehner: Bloß eine Frage: Wird gewünscht, jetzt unmittelbar Fragen stellen oder Be- merkungen machen zu können oder sollen wir sofort Apel bitten, zusätzlich politischen Bericht zu geben? So ist die Meinung. [B.] Wehner: . Apel: Genossen, die Haushaltsberatungen im Kabinett haben unter einer ganz besonde- ren Dramatik gestanden. Die Notwendigkeit, den Globalhaushalt in seiner Steigerungs- rate auf 8,0 oder 6,2 – wenn wir das, was uns als Stundung gegeben hat, mit einrechnen – zu beschränken, war nicht allein bedingt von der Notwendigkeit her, konjunkturpolitisch den Familienlastenausgleich auf der Ausgabenseite des Bundes- haushaltes aufzufangen, nicht allein dadurch, sondern bedingt dadurch, dass wir auch vor Familienlastenausgleich, vor Familienlastenausgleich und vor Steuer und ohne Steuerreform im Haushaltsjahr 1975 eine Nettokreditaufnahme benötigt hätten – ich lasse jetzt die 2,5 Milliarden von Walter Arendt draußen – von 11,4 Milliarden D-Mark. Wenn wir die 2,5 Milliarden, die uns Walter Arendt gestundet hat, abziehen, ist das immer noch eine Größenordnung, die über der Nettokreditaufnahme liegt, die wir für das Haushaltsjahr 1974 brauchen. Ihr seht also, hier liegt das große Problem des Bun- deshaushaltes 1975 auf der Einnahmenseite, und ich muss darauf hinweisen, ohne die Zahlen hier jetzt breitzutreten, dass ich nicht davon ausgehen kann aufgrund der Be- rechnungen, die wir angestellt haben, dass die Haushalte ’76 und folgende auf der Ein- nahmenseite so viel besser aussehen werden. Wir werden also auch die nächsten Haus- halte unter das Gebot absoluter Sparsamkeit bei den öffentlichen Ausgaben stellen müssen. Wenn Familienlastenausgleich und Steuerreform dazukommen, werden die Dinge noch schwieriger. Umso wichtiger ist, das zu beherzigen, was gesagt hat, in der Tat die Ausgaben und die Kosten der Steuerreform in der Größen- ordnung, wie sie zurzeit sind, unbedingt zu begrenzen. Ihr werdet mich fragen, woran liegt das, dass sich 1974 und dann zunehmend 1975 die Einnahmenseite des Bundes so verändert? Es liegt daran, dass wir für 1975 die Voraus-

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schätzung bei den Steuereinnahmen um rund vier Milliarden zurücknehmen mussten. Hier drückt sich noch nicht und keineswegs eine konjunkturelle Annahme abschwä- chender Konjunktur aus, sondern sehr viel stärker die Tatsache, dass weniger Kraftstoff verbraucht wird in unserem Lande. Effektiv wird weniger Auto gefahren und damit weniger Benzin und Dieselkraftstoff konsumiert, und hier drückt sich aus die Tatsache, dass unsere Konjunktur vom Export getragen wird, und wir – wie ihr wisst – bei Ex- porten die Umsatzsteuer, die Mehrwertsteuer zurückerstatten müssen. Und es drückt sich in diesem Einnahmenrückgang auch aus die Tatsache, dass wir bei den Verhand- lungen mit den Bundesländern eine Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Län- dern gefunden haben, die uns Ausnahmeeinfälle gebracht hat und es drückt sich natür- lich hier auch aus der Ausgabenanstieg insbesondere durch die Lohnrunde 1974, aber auch durch viele strukturelle Verbesserungen, die gemacht worden sind. Das heißt also, wir sind sehr beengt von der Einnahmenseite her und nach Steuerreform und der An- nahme, dass sie nicht teurer wird, dass sie in etwa so teuer bleibt wie sie zurzeit ist und unter Einrechnung dessen, was wir gestundet bekommen haben von den Rentenversi- cherungsträgern, werden wir dennoch im Haushaltsjahr 1975 eine Nettokreditaufnah- me von 14,6 Milliarden rund brauchen. Das ist rund doppelt so viel, als wir im Haus- haltsjahr 1974 ansetzen. Von daher gab es – ob es mir gefiel oder nicht – die Notwendigkeit, in der Tat auch auf der Ausgabenseite sehr restriktiv vorzugehen und die Haushaltssteigerungsraten zu beschränken. Genossen, ihr alle wisst, dass der Bundeshaushalt auf der Ausgabenseite nur bedingt flexibel ist. Wir haben rund zehn Milliarden D-Mark Ausgaben mehr im Bundeshaushalt 1975, über die wir überhaupt nicht debattieren können, weil sie gesetz- lich festgeschrieben sind. Zuschüsse zu den Rentenversicherungen, Kriegsopferversor- gung, Wohnungsbauprämien, Berlinhilfe – alles dieses ist festgeschrieben, so dass das, was an Bewegungsmasse bei den Haushaltsberatungen vorhanden war, sehr grob ge- sprochen drei Milliarden war, über was man debattieren konnte, was über die Ressorts zu verteilen war. Und das musste dann dazu führen, dass wir das Ganze sehr knapp gehalten haben. Ich gehe davon aus, dass alle von euch inzwischen die Pressemitteilung des Finanzministeriums gesehen haben, so dass ihr die Zuwachsraten für die einzelnen Ressorts zur Kenntnis genommen habt. Ich will deswegen an diesem Punkt darauf nicht eingehen, will aber darauf aufmerksam machen, dass natürlich einige Zuwachsra- ten dennoch ein nicht ganz korrektes Bild geben. So werden manche meinen, die Zu- wachsrate von fast 13 Prozent für das Finanzministerium sei typisch, der Finanzmini- ster hätte sich bei dieser Gelegenheit selbst saniert. Dieses ist falsch. In dieser Zuwachs- rate steckt die Kapitalaufstockung für VEBA drin, das heißt im Endeffekt Schaffung des nationalen Ölkonzerns. Wenn ihr das abzieht, sind wir bei einer Steigerungsrate von gut drei Prozent. Die Steigerungsrate von minus drei Prozent bei Wirtschaft ist auch eine verfälschte, denn hier muss man in Vergleich setzen das Haushaltsjahr ’74, bei dem die Verstromungshilfe in Zukunft wegfällt, weil wir eine andere gesetzliche Rege- lung gefunden haben und auch das einmalige Strukturprogramm natürlich die Ver- gleichsbasis verfälscht. Nehmen wir dieses beim Haushalt ’74 raus, so steigt der Wirt- schaftsetat beträchtlich. Das zentrale Problem dieses Haushaltsentwurfs, das sieht ja jeder auf den ersten Blick, ist der Verkehrshaushalt. Hier in der Tat stehen wir vor unübersehbaren Problemen. Nur, liebe Genossinnen und Genossen, dieses ist einer der Großverbraucher. Dass natürlich dieser Großverbraucher besonders zur Ader gelassen werden musste, ist klar. Insgesamt kann ich aber hier sagen, eine gewisse Streckung im Bundesfernstraßenbau, eine gewisse bescheidene Streckung im Ausbau der S- und U-Bahnsysteme wird not- wendig werden. Der Kern wird nicht getroffen. Die Minussteigerungsrate dieses Haus-

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haltes ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass wir die Bundesbahn knapp halten. Hier liegt aber auch ein unübersehbares Haushaltsrisiko. Letzte Bemerkung, denn zum Haushalt des BMZ hat Helmut Schmidt bereits das ge- sagt, was hier gesagt werden sollte. Schließlich werdet ihr ja auch wohl noch Fragen haben. Schließlich der Haushalt des Verteidigungsministers: er steigt um 3,6 von Hun- dert. Wir müssen hier noch natürlich mit einbeziehen das, was in anderen Haushaltsti- teln steckt, aber eine Steigerungsrate von sechs von Hundert, die dann herauskommt, ist natürlich dennoch eine Steigerungsrate, liebe Genossinnen und Genossen, die so brillant nicht ist, und uns sicherlich international mit Fragen konfrontiert. Insgesamt haben wir diese Acht-v. H.-Linie gehalten. Ich wiederhole erneut das, was ich eingangs gesagt habe. Auch der Bundeshaushalt 1976 wird von der Einnahmenseite her unter massivem Druck stehen. Deswegen müssen wir bereits heute uns sehr genau überlegen, was wir uns noch zumuten können und was nicht. Und eins, liebe Genossinnen und Genossen, können wir in Zukunft auch nicht mehr machen: in dem Maße wie bisher hier Gesetze beschließen mit dem Argument, es würden ja Länder und Gemeinden bezahlen. Die Finanzenge ist bei Ländern und Gemeinden genauso, so dass diese Art von Argumentation in Zukunft nicht mehr Platz greifen darf. Schönen Dank. (Beifall.) Wehner: Danke. Sollen wir das noch kurz ergänzen durch Peter Glotz’ Bericht zu dem vorläufigen Schicksal Hochschulrahmengesetz? Peter Glotz! Glotz: Genossinnen und Genossen, der Tatbestand ist der, dass die CDU/CSU im Ausschuss, nachdem wir geschäftsordnungsmäßig – was unser Recht war, wie uns die Präsidentin bestätigt hatte – abgestimmt hatten, dass nun die zweite und dritte Beratung im Ausschuss weitergehen sollte, auszog. Die Genossen im Ausschuss haben sich dann dafür entschieden, dass es nicht sinnvoll sei, hinsichtlich der Lage im Bundesrat, dies ist ja ein Zustimmungsgesetz, ohne Beteiligung der Union dieses Gesetz im Ausschuss fertig zu machen, dann vermutlich auch ohne Beteiligung der Union im Plenum dar- über zu verhandeln. Dies hätte das Gesetz wahrscheinlich zum Scheitern gebracht. Ich kann mich dieser Beurteilung in diesem Punkt nur anschließen. Zweitens, Genossen, wir wollen jetzt, und das ist das, was die Zukunft betrifft, im Sommer in einer Runde von intensiven Gesprächen mit den Kultusministern auch der anderen Seite noch einmal ausloten, was möglich ist und was nicht möglich ist. Die Verschiebungsabsicht der Union rührte vor allem daher, dass die Abgeordneten, die das hier vertreten sollten im Bundestag, nicht genau wussten, wie ihre politische Führung letztlich das Schicksal dieses Gesetzes entscheiden will, dass sie nicht Zeit genug hatten zur Rückkopplung. Deswegen haben die unter gar keinen Umständen dieses Gesetz vor der Sommerpause machen wollen. Sie selbst wissen, dass aufgrund verschiedener wichtiger offener Fragen das Gesetz notwendig ist, aber es ist natürlich immer noch denkbar, dass die politische Führung der Union sagt, ein solcher Erfolg im Bereich der Bildungspolitik soll dieser Koalition nicht gegönnt werden. Wir wollen das noch auslo- ten, aber der Streit um das Verfahren verdeckt ein wenig, dass wir in der Sache ein gan- zes Stück weitergekommen waren in den letzten Wochen. Das will ich hier noch deutlich machen; und dann will ich noch eine Bemerkung zu dem machen, was der Bundeskanzler zur publizistischen Behandlung gesagt hat. Abge- sehen davon, dass die Fraktion ihrerseits versucht hat, deutlich zu machen Obstruktion, würde ich es für richtig halten, Helmut Schmidt, wenn jetzt die ganze Diskussion um das Verfahren nicht mehr in den Vordergrund gestellt würde, sondern wenn man jetzt um die Inhalte weiter diskutieren würde. Ich glaube, dass hier der entscheidende Ein- stieg die Frage des Hochschulzugangs ist, weil hier Millionen von Menschen betroffen

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sind, wirklich betroffen sind und die CDU einsehen muss, dass die heutige Lösung in zwei, drei Jahren mit Sicherheit nicht mehr politisch tragbar ist, auch nicht für sie. Das muss unser politischer Punkt sein und da ist natürlich richtig, was der Bundeskanzler sagt. Dieses Thema Zugang muss man so verständlich spielen, wie es auch bei der Steu- erreform notwendig ist, und darf es nicht in diesem fachlichen Jargon abhandeln, wie dies sicherlich manchmal passiert ist. Letztens Genossen: Viele von euch werden gelesen haben, dass die Kulturpolitikerin der FDP, um mich jeglicher Bewertungen dabei zu enthalten, Frau Hamm-Brücher, gestern eine Pressekonferenz gegeben hat und dort einen neuen Plan oder einen alten Plan von sich neu vorgestellt hat und gesagt hat, nun brauchen wir dieses Gesetz über- haupt nicht mehr und wir machen ein ganz neues Zulassungsgesetz. Lasst mich dazu zwei Dinge sagen. Erstens, den Gedanken, den sie äußert, der ist auf eine Frist von 20, 30 Jahren drei Viertel richtig, dass dieses in diesem Herbst oder irgendwann in absehba- rer Zeit in unserer politischen Landschaft zu verwirklichen sei, ist – wenn ich das in diesem Kreis hier sagen darf – absolut unsinnig. Dies ist in keiner Weise machbar. Es ist natürlich jetzt genau zu prüfen, Genossen, und das ist das Entscheidende, ist dies, was ich aus genauer Kenntnis der Dame für möglich halte, ein Alleingang – (Unruhe.) ja, ich meine damit meine Tätigkeit im Bayerischen Landtag, um alle Zweifel auszu- schließen, die auch sonst gar nicht aufkommen können, Wilfried [Penner]. – Ist dies ein Alleingang oder ist dies rückgekoppelt mit anderen Teilen der Freien Demokraten? Wir haben ja hier zum Schluss mit der FDP-Bundestagsfraktion, zum Schluss auf der Ebene der Fraktionsführungen einen Kompromiss erzielt, der alle offenen Punkte nun dann festgemacht hatte. Ich würde es für sehr sinnvoll halten, wenn diese Frage in einem der nächsten Koalitionsgespräche, die auf höchster Ebene stattfinden, noch einmal ange- sprochen würde. Wir können das vorher auch noch abchecken. Jedenfalls ist es meiner Auffassung nach in unserem politischen Interesse, wir müssen dieses Gesetz über die Runden bringen nach dem Sommer und wir können uns auf die Strategie, die Frau Hamm-Brücher hier einschlägt, unter gar keinen Umständen einlassen. Aus diesem Grund muss dieses insgesamt auch mit der Koalition abgeklärt werden. Herzlichen Dank. (Beifall.) Wehner: Danke. Bevor ich frage, wer das Wort wünscht, ich hätte die Bitte, dass die Punkte der Ausführungen, die – sowohl was den Bundeskanzler betrifft als auch den Bundesminister der Finanzen betrifft als auch jetzt Peter Glotz – verwertbar sind für Argumentation, notfalls in der Form der von ihnen korrigiert autorisierten Bandauf- nahmewiedergabe unseren Mitgliedern der Fraktion zur Verfügung gestellt werden. Der Bundeskanzler hat erklärt, er wäre damit einverstanden. Ich glaube, wir müssen das machen. Wer wünscht das Wort? Karl Liedtke. Liedtke: Peter, Peter Glotz, in Ergänzung zu deinen Ausführungen: Am 23. September wird der Innenausschuss ein Hearing über die Hochschullehrerbesoldung veranstalten und nach unserer jetzigen Planung werden wir am 7. November das zweite Besol- dungsvereinheitlichungs- und Neuregelungsgesetz verabschieden mit der Hochschul- lehrerbesoldung. Es ist politisch unvernünftig, Genossinnen und Genossen, wenn man über die Besoldung entscheidende Personalstrukturen der Hochschule festlegt. Das geht hinein bis in Bereiche der Mitbestimmung. Es ist vernünftig, wenn man über ein Hochschulrahmengesetz die Strukturen festlegt, damit die Personalstruktur und als Folgerecht die notwendige Besoldung. Ich sage das hier. Hier ist vielleicht im Zusam- menspiel, Peter, möglicherweise nochmal ein Hebelarm, um das Hochschulrahmenge-

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setz im Wissenschaftsausschuss wieder in Fahrt zu bringen. Ich darf aber auch meine Skepsis äußern. Ich habe Bedenken, dass also vor den Hessenwahlen mit dem Koaliti- onspartner da allzu viel Movement noch hineinzubringen ist. Ich sage nur, wir werden das im Timing so erstellen, vielleicht gibt’s da noch eine Möglichkeit, das Gesetz zu retten. Wehner: Wer wünscht? Bitte, Heinz Junker. Junker: Ich musste einen Augenblick raus, um zu telefonieren. Ich weiß nicht, ob ich was frage, was angesprochen ist. Es gab Berichte über Vorhaben, auf dem Automobil- sektor etwas zu unternehmen im Sinne von Anregungen – stand, glaube ich, gestern oder vorgestern in der Zeitung. Ist da was dran oder sind das wieder so Zweckgerüchte, die in die Gegend gestreut werden? Wehner: Bitte Peter Conradi. Conradi: hat mehrfach darauf hingewiesen, dass die Arbeitslosig- keit, wo vorhanden, struktureller Art und nicht konjunktureller Art ist. Der Bundes- kanzler hat nun heute erneut darauf hingewiesen, dass möglicherweise im Herbst Mittel zur Verfügung stehen, Mittel eingesetzt werden müssen, um eine sich anbahnende Entwicklung dann zu verändern. Die Frage ist eigentlich mehr an den Fraktionsvor- stand. Wird im Herbst dann die Möglichkeit bestehen, in dieser Fraktion einmal aus- führlich zu diskutieren über die Kriterien, nach welchen solche Mittel dann eingesetzt werden? Denn wenn diese Arbeitslosigkeit vor allem struktureller Art ist, dann kann sie ja wohl nicht mit allein konjunkturellen Mitteln bekämpft werden, sondern dann muss man sich hier über strukturellen Kriterien unterhalten. Wehner: Wir werden ja, weil die Frage so gestellt worden ist, hier anfangen mit der normalen Herbstsitzungsreihe, mit Haushalt und das heißt, der wird eingebracht am 18. September. Gestern hat [man] auf einem Teilgebiet, das aber grade im Zusammen- hang mit den Fragen, die du jetzt hier aufgeworfen hast, unbedingt erörterungsbedürf- tig ist, mit und seinem Staatssekretär darüber gesprochen, dass – weil die am 12./13. [auf] ihrer letzten Klausur im Rahmen ihres Verkehrsministeriums den letzten Schliff gegeben haben werden – wir nach Möglichkeit zum Beispiel vorweg- nehmen den Arbeitskreis, das heißt Wirtschaft und Verkehr, auch mit einer gewissen Beteiligung von Finanz{…}, wenn es geht anregen, vor dem Eintritt in die normalen Sitzungen sich mit dem, was dort erörtert worden ist, wozu sie sich zur Verfügung stellen, eingehend zu befassen. Das würde die Gesamtdiskussion, die unvermeidlich ist, zu dem Fragenkomplex, den du anschneidest, erleichtern, wenn auch nicht erübrigen, aber erleichtern und deswegen wiederhole ich das hier. Ehrenberg hatte es übernom- men, mit den Genossen, dem Arbeitskreisvorsitzenden und den anderen Einschlägigen zu reden, dass man möglicherweise am Sonntag, dem 12., und Montag, dem 13., eine solche Klausurtagung dieses Arbeitskreises macht oder am Montag allein, ohne den Sonntag vorzuschalten. Nur, das wäre ein Teil dessen, worauf es dir und sicher auch anderen ankommt und um das wir wohl nicht herumkommen. Ich will es hier nicht erläutern. Kurt Gscheidle hat das genau gesehen, wo da auch in Bezug auf – falls not- wendig – sogenannte Konjunkturspitzen gewisse Schwierigkeiten auftauchen, die man rechtzeitig sehen und versuchen muss zu reduzieren. Wird weiter das Wort gewünscht? . Huber: Ich wollte fragen, ob das Steuerreformpaket unter 6 diskutiert werden soll? Sonst hätte ich dazu jetzt etwas zu sagen. Wehner: Nö, Antje, ich dachte, dass wir den Bericht vom Rainer [Offergeld], wir wer- den ja die andere Sache hoffentlich bald hinter uns haben, für sich nehmen. Sonst krie-

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gen wir das alles durcheinander. Vielleicht sind noch andere Fragen. Bitte, Simpfendör- fer. Simpfendörfer: Bezogen auf die Antwort des Bundeskanzlers, dass an den Gerüchten über die Stützung der Automobilbranche nichts dran sei, habe ich heute Morgen ver- sucht, in den Zeitungen ein Dementi dessen zu lesen, was gestern in mehreren Zeitun- gen da an Spekulation war. Ein solches Dementi ist nicht erfolgt. Ich würde es für wün- schenswert halten, wenn wirklich nichts dran ist, dass es auch klar gesagt wird. Denn sonst schaffen wir einen Erwartungsdruck und es wird immer weiter darüber geredet und irgendwann im Herbst müssen wir dann doch noch etwas machen, was weitere Steuerausfälle möglicherweise bringen könnte, und die können wir nun tatsächlich nicht verantworten. Wehner: Wer wünscht weiter das Wort? Wenn nicht, dann rufe ich den nächsten Punkt auf. Wer wünscht Fragen zu anderen Gegenständen zu stellen? [C.] Wehner: Wenn nicht, dann rufe ich auf den Punkt 3. Ich will den Bericht auf das unbe- dingt Notwendige zusammendrängen. Es ist klar, dass wir uns heute mit der Situation Vermittlungsausschuss und nun weiter beschäftigt haben. Das wird sich im Bericht von Rainer Offergeld wiederfinden. Aber einige andere Punkte: Es wurde zum Beispiel die Frage gestellt, wieso auf der Tagesordnung der heutigen Plenarsitzung so viele Punkte stehen. Es handelt sich, abge- sehen von dem Zustimmungsgesetz zum Vertrag mit der ČSSR und zu dem mit einer Entscheidung verbundenen Bericht Vermittlungsausschuss, um Punkte, die sozusagen beim Ältestenrat anstanden und die unter der Voraussetzung dort aufgeführt worden sind, dass sie keiner Debatte, von keiner Seite [einer] Debatte bedürftig sind. Außerdem ist da noch draufzusetzen, das steht hier nicht, dass wir für eine Zeit jetzt ein stellver- tretendes Mitglied des Vermittlungsausschusses ersetzen müssen durch ein anderes, was im Plenum beschlossen werden muss. Ich sage gleich, dass anstelle von Manfred Schulte für die Zeit – unter uns gesagt – bis 10./11. August, aber der Vermittlungsausschuss wird ja wahrscheinlich und sicherlich in der Zwischenzeit tagen müssen, , die ja auch als Parlamentarische Geschäftsführerin in der Zeit den Dienst tut, nominiert wird. Wir haben außerdem es mit einer Frage zu tun gehabt, die jetzt außerhalb des Bereiches des Fraktionsvorstandes beantwortet werden musste, aber beantwortet worden ist, ob mit – wie es nach Pressegerüchten wohl zu sein scheint – mit der »Hannoverschen Neuen Presse« im Sommer etwas Ähnliches passieren würde wie seinerzeit in einem Sommer mit dem »Telegraph«. Auf diese Frage hat der Bundesgeschäftsführer der Par- tei geantwortet. Ich will seine Antwort hier wiedergeben, ohne dass ich sie auf Band aufgenommen habe, sondern mit nur notiert habe, nämlich dass nach der Auffassung und Kenntnis derjenigen, die es wissen müssten, diesen Gerüchten die Grundlage ent- behre. Zu der Frage, die wir hier unter dem Punkt 7 unserer Tagesordnung haben, Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Fünften Strafrechtsreformgesetzes, habe ich zu sagen, dass inzwischen die Kalamität aus der Welt geschafft worden ist durch die Zusage der CDU/CSU, dass sie diesen Punkt, es muss ein Beschluss gefasst werden, dass der Bun- destag sich da äußert in diesem Verfahren Bundesverfassungsgericht, dass dieser Punkt einvernehmlich auf die Tagesordnung heute kommt. Wir hätten es für sehr peinlich gefunden, wenn wir in diesem Punkt auch noch geschäftsordnungsgemäß Tagesord-

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nungspunkte betreffend hätten streiten müssen. In der Sache selbst wird dann ja noch Möglichkeit sein zu sagen, worum es geht. Ich will dem nicht vorgreifen. Wir hatten – wie gesagt – dann hauptsächlich das Ergebnis des Vermittlungsausschusses und der Fraktionsvorstand hat diesen Teil seine Erörterungen abgeschlossen mit dem Beschluss, dass der Fraktion die Annahme des Vermittlungsberichtes, der heute gege- ben werden wird, und zwar durch Schäfer, werden dann die Erklärungen der Koaliti- onsfraktionen von Rainer Offergeld und Frau Funcke, und ich weiß nicht, wer von der Opposition ihrerseits Erklärungen gibt, gegeben werden, dass diese Annahme empfoh- len wird aus den Gründen, die sich hier aus den Ausführungen des Bundeskanzlers ergeben. Wird das Wort gewünscht? Wenn nicht, dann bitte ich, falls es Aktuelles aus den Arbeitskreisen gibt, dies jetzt vorzubringen. [D.] Wehner: Scheint nicht, dann kommt der Punkt 5, Manfred Schulte, Ablauf der Plenar- sitzung. Schulte: Genossinnen und Genossen, ihr kennt wahrscheinlich inzwischen die Tages- ordnung aus euren Fächern. Eidesleistung. Zweiter Punkt ist der Vertrag, die Zurück- weisung des Einspruchs des Bundesrates gegen den Vertrag mit der Tschechoslowakei. Hier brauchen wir zur Zurückweisung die 249 Stimmen, die absolute Mehrheit. Wir haben vor, namentliche Abstimmung zu beantragen. Dies soll derjenige, der für uns die Erklärung abgibt, das wird Bruno Friedrich sein, mit beantragen. Ich habe inzwischen von der CDU gehört, dass dort Herr Marx reden wird. Er hat etwa, glaube ich, Zeit- vorstellungen zur Abgabe seiner Erklärung von 20 bis 30 Minuten. Punkt 3 ist dann das Vermittlungsergebnis. Hierzu wird zunächst Fritz Schäfer sprechen als Berichterstatter und dann geben die Fraktionen Erklärungen ab. Dies wird von uns Rainer Offergeld sein, der gleich ja noch was dazu sagt. Ich erfuhr von der CDU inzwischen, dass es Herr Häfele sein wird, der dazu die Erklärung abgibt, die sich in etwa dem gleichen zeitlichen Rahmen bewegen soll. Die anderen Tagesordnungspunkte: Wir haben hier zwei zweite Beratungen und Schlussabstimmungen [über] internationale Verträge, die wir normalerweise immer bei einer nächsten Bundestagssitzung miterledigen, um sie nicht zu lange liegen zu lassen. Die anderen Dinge sind EG-Fragen. Es gibt aber eine interfraktionelle Verabredung, dass, wenn – es ist ja nie ganz auszuschließen – jemand zu einem dieser Punkte doch glaubt, debattieren zu müssen, dass wir dann gemeinsam diesen Punkt absetzen wollen. Es kommt noch zusätzlich auf die Tagesordnung dieser euch auch als Drucksache vor- liegende Antrag das Verfassungsgericht betreffend und es ist seit einigen Minuten klar, dass dieser nicht in Form von Kampfabstimmung auf die Tagesordnung gezwungen zu werden braucht. Er wird ohne Debatte an den Rechtsausschuss überwiesen, ohne dass ich jetzt schon in der Lage wäre zu sagen, ob dieser Rechtsausschuss auch dann einbe- rufen wird. Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht nur einen kleinen Ausblick geben auf die erste Woche, wenn wir unsere Arbeiten hier wieder beginnen. Die CDU/CSU-Fraktion hat den Wunsch angemeldet, am Montag, dem 16. und Dienstag, dem 17., mit der Fraktion nach Berlin zu gehen und dort zu tagen. Nun haben wir als festen Wunsch angemeldet in den Besprechungen, dass in dieser ersten Woche der Haushalt gelesen werden soll. Es hat sich auch in Gesprächen mit der Regierung her- ausgestellt, dass dies vereinbar ist. Der Ablauf wäre dann wie folgt: Die Einbringungsrede würde dann gehalten am Mitt- wochmorgen. Der Mittwochnachmittag stände dann den Fraktionen noch zur Verfü- gung, wobei ich davon ausgehe, dass wir ja wahrscheinlich schon montags oder diens-

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tags hier unsere Arbeit beginnen, und dann würde die Debatte am Donnerstag und Freitag derselben Woche stattfinden, so dass sich in der großen Disposition nichts ver- ändern würde. Nur die Einbringungsrede Mittwoch, normalerweise hatten wir das so, dass wir die Einbringungsrede dann dienstags hatten, um eine längere Frist zwischen der Diskussion zu haben. Aber darauf verzichtet dann unter diesen besonderen Wün- schen die CDU/CSU-Fraktion. Dies ist alles, was ich zur heutigen Tagesordnung sagen kann. Ich bitte darum, Verständnis dafür zu haben, dass wir natürlich nicht auf Minu- ten etwa heute sagen können, wie lange diese Plenarsitzung dauern wird. Die Erklärun- gen, Berichterstattung nehmen natürlich ihre Zeit in Anspruch und ich bitte vor allen Dingen ganz herzlich alle Kollegen darum, doch von Anfang an im Plenum zu sein, und zwar auch im Plenum, nicht nur in den Wandelgängen. Ich glaube, dass wir das dann doch sehr schnell über die Bühne bringen. – Wir fangen um 14 Uhr mit der Sit- zung an. Wehner: Wird das Wort gewünscht? Dann bitte ich Rainer Offergeld. (Zwischenruf.) Ja, bitte. (Zwischenruf: Ich wollte nur fragen, ob eventuell schon der Termin für die mögliche Sondersitzung sich abzeichnet?) Nein, Genossen, das muss man und kann man nur beurteilen im Zusammenhang mit dem Bericht Rainer Offergelds. Ich habe grade mit dem Helmut noch mal darüber geredet, ohne dabei alle taktischen Erfordernisse frühzeitig auszupacken. Ein Termin steht annähernd als möglich fest, das ist der, dass der Vermittlungsausschuss am 18., das ist der früheste Termin, wieder zusammentreten wird, und das Verfahren kann eine Weile dauern. Es muss dann dem Ermessen der Regierung, wie die Aussichten sind, anheimgestellt werden. Für den Fall, dass ein drittes Mal angerufen werden muss bezie- hungsweise befunden werden muss über dieses, dass dann nicht sofort, unter Umstän- den wird das im August sein, wobei andere Termine sehr gegen August sprächen, aber einfach gepeilt und nicht so schnell im Juli, was den Bundesrat betrifft, das ging ja aus deiner Frage hervor, dass es um den ging. Aber völlig aus der Hand legen, kann man dieses Heft leider nicht. Nur ich nehme nicht an, dass das im Juli – jedenfalls nicht sehr früh im Juli, es könnte höchstens am Ende sein – stattfindet. Rainer Offergeld! Offergeld: Liebe Genossinnen und Genossen, ich bitte um Nachsicht, wenn ich eure Geduld jetzt länger als zwei Minuten in Anspruch nehmen muss. Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuss angerufen in insgesamt 13 Punkten zur Steuerreform, ge- wichtige Punkte, bei denen es um Milliarden geht, aber auch weniger wichtige Punkte, die mehr Spielmaterial waren. Der Vermittlungsausschuss hat nach einer Generalaussprache eine Unterkommission, besetzt mit acht Mann, berufen, und zwar paritätisch jeweils Bundesländer vier Mann und Bundestag, aber auch Opposition und Regierungskoalition mit je vier Mann ver- treten. Selbstverständlich haben wir mit dem Bundeskanzler, mit dem Finanzminister gesprochen, bevor wir in dieser Unterkommission an die Arbeit gegangen sind. Ein eisernes Korsett haben wir dabei bekommen, einen eisernen Rahmen, der unsere Hand- lungsfähigkeit natürlich eingeschränkt hat, und das war der – darüber brauchen wir hier, glaube ich, nicht lange zu diskutieren – die Haushaltsausfälle dürfen vor allem für 1975 nicht größer werden, als in unseren Bundestagsbeschlüssen vorgesehen. Das war unsere Marschroute. Das war ein ganz wichtiger Punkt für uns. Die Beratungen im Unterausschuss haben viereinhalb Tage, so sicherlich an die 50 Stunden in Anspruch genommen. Das Klima insgesamt war angenehm. Es hat sich dort gezeigt, dass es in der

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CDU/CSU starke Kräfte gibt, die hier auf einen Kompromiss hinarbeiten, die einen Kompromiss wollen. Es hat sich auch gezeigt, dass es andere gibt, die weniger an einem Kompromiss Interesse haben. Die Frage war, sollen wir da fest, das heißt, es war gar keine Frage, aber dies muss hier noch mal gesagt werden. Es gibt die eine Möglichkeit, festzuhalten an dem, was wir beschlossen haben, nicht abzurücken mit der Konsequenz natürlich, dass die Steuerreform mit Sicherheit scheitern muss. Es gab die andere einzig realistische Möglichkeit, zu versuchen, hier aufeinander zuzugehen, zumal auch die Gegenseite in einigen Punkten sich beweglich zeigte. Wir sind dann nach langen Diskussionen, auch Diskussionen über die zu erwartenden Ausfälle, zu einem Vermittlungsvorschlag gekommen, und lasst mich in diesem Zu- sammenhang kurz etwas über die Diskussion hinsichtlich der Ausfallberechnungen sagen. Es schwirrte ja durch die Zeitungen die Behauptung der Gegenseite, der Opposi- tion, der CDU/CSU, dass die Ausfälle nach unserem Konzept sehr viel größer seien als ursprünglich berechnet. Dazu muss man sich dann erinnern, dass Gaddum noch vor drei, vier Wochen behauptet hat, die Ausfälle betrügen viel weniger, als wir zunächst berechnet haben. Also innerhalb von zwei Wochen haben die, weil es ihnen opportun erschien, ihre Argumentationsbasis völlig ausgewechselt. Zunächst sagen sie, die Regie- rung begeht einen Betrug. Die Steuerersparnisse betragen weniger als elf, nämlich nur sieben Milliarden Mark. Jetzt während des Vermittlungsverfahrens und parallel zum Vermittlungsverfahren sagen sie, die Ausfälle sind sehr viel größer, nämlich 15 Milliar- den Mark, um damit zu begründen, dass ihre Anträge auch vertretbar seien. Da darf niemand den Kopf verlieren. Die Berechnungen des Finanzministeriums sind ganz seriös. Die bestehen schon seit Monaten, sind eigentlich nie ernsthaft von der Opposi- tion angezweifelt worden bis zum jetzigen Augenblick, wo es ihnen opportun er- scheint. Diese Ausfallberechnungen des Finanzministeriums, die auch Grundlage unse- rer Beratungen sind, können weiterhin zugrunde gelegt werden. Genossinnen und Genossen, der Hauptpunkt, an dem das hakte, das habt ihr auch alle gelesen, waren dann zum Schluss die Vorsorgeaufwendungen und da zunächst einmal die Systemumstellung, die wir vorsehen. Wir wollen Abzug von der Steuer, was ins Deutsche übersetzt bedeutet, dass jeder für seine Sozialversicherungsbeiträge dann die gleiche Steuerersparnis hat. Die CDU will weiterhin Abzug von der Bemessungsgrund- lage, was bedeutet, dass bei steigendem Einkommen die Steuerersparnisse bei gleichen Abzügen wachsen. Da hat sich die Opposition völlig unbeweglich gezeigt. Frau Funcke hat dann schließlich nach langem Hin und Her, nach Diskussion vieler vermittelnder Vorschläge einen Vermittlungsvorschlag unterbreitet, der darauf hinausläuft, dass ein Sockelbetrag nach unserem System berücksichtigt wird, dass dann ein überschießender Betrag nach dem System, das die CDU/CSU bevorzugt, berücksichtigt wird. Es zeigte sich dann, dass in allen übrigen Punkten bis auf diese Vorsorgeaufwendungen, wo sie auch diesen Vermittlungsvorschlag nicht annehmen wollten, wohl eine Einigung zu erzielen wäre, dass es hier aber dann einfach hapert bei der Mehrheit der Opposition nach vielen Zwischenbesprechungen, die die notwendig hatten, und die Mitglieder des Vermittlungsausschusses der Regierungskoalition, also Länder- wie Bundestagsvertre- ter, haben beschlossen, dass wir nicht völlig ablehnen das Vermittlungsbegehren, son- dern tatsächlich zu einem nach unserer Auffassung fairen Kompromissvorschlag kom- men. Dabei war vor allem bei der FDP die Hoffnung, dass die Bundesratsmehrheit am Freitag doch noch zustimme. Ich halte diese Hoffnung für wenig begründet, wenn ich das hier offen sagen darf. Vielleicht darf ich jetzt, liebe Freunde, noch ganz kurz auf die einzelnen Punkte einge- hen, die anhand des Vermittlungsbegehrens des Bundesrates Vorsorgeaufwendungen,

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also Sozialversicherung, Lebensversicherungsbeiträge, dazu habe ich schon einige Wor- te gesagt, ein Kompromissvorschlag teils, teils vom System her. Beim Arbeitnehmer- freibetrag bleibt es nach dem Vermittlungsvorschlag bei dem, was wir beschlossen ha- ben, also 600 Mark mit Abzug von der Steuerschuld. Dann wollten die einen durchge- hend progressiven Tarif für 1977 haben. Da hat die Regierung im Vermittlungsaus- schuss zugesagt, dass sie, und zwar zum 1. 1. ’78, mit dem notwendigen Abstand von der nächsten Bundestagswahl prüfen werde, ob dieser Tarif möglich ist. Dann wollte die Bundesratsmehrheit einen Tarifbericht jedes Jahr haben, das heißt einen Bericht über die Entwicklung der Lebenshaltungskosten und die sich daraus ergebenden steu- erlichen Folgerungen. Da hat die Regierung zugesagt, im Finanzbericht ein Kapitel einzubauen, das über die Entwicklung der Steuerbelastung Rechenschaft ablegt. Dann ein nächster Punkt war das Anliegen, auch ein Anliegen unseres Koalitionspartners, der Verzahnung des BAföG mit einer steuerlichen Regelung. Praktisch gesagt für diejeni- gen, die grade über den BAföG-Förderungsgrenzen liegen, eine gewisse steuerliche Erleichterung, wenn sie Kinder in Berufsausbildung haben. Das war ein, wie gesagt, auch für unseren Koalitionspartner ein starkes Anliegen, deswegen als Vermittlungs- vorschlag ab 1976 auf der niedrigst denkbaren Basis dieser Freibeträge eine entspre- chende Regelung. Der Punkt 6 des Vermittlungsbegehrens, eine Erhöhung Werbungs- kostenpauschale bei Zinseinkünften wurde fallengelassen. Dann Punkt 7, eine mehr technische Sache, wurde auch fallengelassen. Bei Punkt 8 geht es um eine Verdopplung

des Freibetrages von Altersheiminsassen von 600 auf 1 200 Mark. Eine Sache für die Tränendrüsen, kostet nur fünf Millionen Mark. Wir meinten, auch hier der Opposition entgegenkommen zu sollen. Dann Punkt 9 des Bundesratsvermittlungsbegehrens wur- de nicht mehr aufrechterhalten, nachdem darüber diskutiert war. Punkt 10, da geht es um das Stichwort Sonderabschreibungen, Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Steuerrecht, eine technisch äußerst diffizile Sache, soll im Einführungsgesetz im Herbst, im Einführungsgesetz zur Einkommensteuerreform gelöst werden. Und schließlich bei der Vermögensteuer, beim Vermögensteuersatz, ein weiterer ganz gra- vierender Punkt neben den Vorsorgeaufwendungen, soll es nach dem Vermittlungsvor- schlag voll beim Regierungskonzept, beim Bundestagskonzept bleiben. Dabei geht es, das muss jeder wissen, um runde 1,5 Milliarden Mark Steuerausfälle. Das stand für uns überhaupt nicht zur Debatte, da auch nur einen Schritt nachzugeben. Schließlich der letzte Punkt, da geht es um einen Kindergeldbericht jährlich. Das soll natürlich dann Munition sein und geht dann nahe an eine Dynamisierung hin. Da wird die Regierung beim Sozialetat etwas einbauen über die Entwicklung der Lebenshaltungskosten und Kindergeld, ohne dass das dann in die Nähe einer Dynamisierung kommt. Dies sind die Vermittlungsvorschläge, Genossinnen und Genossen. Dabei muss gese- hen werden, es sind nur drei Punkte, bei denen es zu Gesetzesänderungen kommt, die also aufgenommen worden sind in den Vermittlungsvorschlag, über den wir abzustim- men haben. Es gibt weitere drei Punkte, wo die Regierung Erklärungen abgegeben hat, die dem entgegenkommen, was die Bundesratsmehrheit wollte, und die übrigen Punkte sind dann zumeist fallengelassen worden von der Bundesratsmehrheit. Wir haben uns also deutlich auf die zubewegt und das alles natürlich nur unter der Voraussetzung, dass die dann Ja dazu sagen. Das alles gilt natürlich in dem Augenblick nicht mehr, wo der Bundesrat am Freitag ablehnt. Das ist nicht etwa für uns die Geschäftsgrundlage für weitere Verhandlungen, bei denen man dann weitere Konzessionen einräumen müsste. Dies werde ich auch ganz klar in der Erklärung vor dem Bundestag heute Nachmittag sagen. Die Opposition – wenn ich dazu noch zwei Sätze sagen darf, das Wesentliche hat Hel- mut vorher schon erwähnt – hat ja jetzt ein Inflationsentlastungsgesetz eingebracht plus

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Kindergeld, was sie auch noch will. Das Ganze kostet 15 Milliarden Mark, muss jeder wissen. Das ist sicherlich weit über das hinaus, was vertreten werden kann, und da muss man die Opposition auch daran erinnern, dass ihre Finanzminister draußen in den Ländern klagen und dass die schon von Haushaltssicherungsgesetzen sprechen und dabei die Schuld immer auf den Bund abzuschieben versuchen. Da muss also ganz deutlich werden, dass die mit zweierlei Argumenten arbeiten, dass da mit verteilten Rollen gespielt wird. Dieses Inflationsentlastungsgesetz bedeutet die Gießkanne, liebe Genossinnen und Genossen. Ich habe den Eindruck und das ist ganz verständlich, dass mancher, der nicht so in der Problematik drinsteckt, langsam unsicher wird, was ist eigentlich richtig, unser Konzept oder das der Opposition. Wir haben ein Konzept, das gezielt diese Erleichterungen gewähren will, das viele soziale Gruppen berücksichtigt. (Unruhe.) Wir tun etwas, liebe Freunde, für die Kriegsbeschädigten. Wir tun etwas für die Halb- familien, also für die ledigen Mütter zum Beispiel. Wir tun etwas für die Altersentla- stung. Wir tun etwas für die Pensionäre. Wir erhöhen den Spitzensteuersatz. Wir wer- den künftig die Vermögenssteuer nicht mehr abzugsfähig haben bei der Einkommens- teuer. Wir werden ein ganzes Maßnahmenpaket zur Vereinfachung durchsetzen, wenn wir unser Konzept durchbringen. Das bedeutet rund zehn Millionen Bearbeitungsfälle für die Finanzämter weniger und zehn Millionen Arbeitnehmer weniger, die zum Fi- nanzamt müssen. Das alles steckt in unserem Konzept mit drin, wenn ich von den Vor- sorgeaufwendungen absehe, was die Opposition nicht in ihrem Konzept hat, von den 15 Milliarden, von den vier Milliarden Mehrkosten, insgesamt 15 Milliarden ganz zu schweigen. Und dies, meine ich, muss auch draußen offensiv vertreten werden und nicht nur von den Mitgliedern des Finanzausschuss, sondern auch von der Regierung. Dies ist weiter die Diskrepanz zu der CDU/CSU. Und wenn ihr fragt, wie das ganze weitergehen soll, es gibt sicherlich bei [der] Opposi- tion eine starke Gruppe, die an einem Kompromiss interessiert ist, weil sie das politi- sche Risiko, wenn das scheitert und dann zulasten der Opposition ausgeht, als sehr hoch einschätzen. Man wird auch im Vermittlungsverfahren relativ schnell, von der Sache her relativ schnell, von taktischen Überlegungen abgesehen, zu einer Einigung kommen können, weil die Probleme eingekreist sind, weil es nur noch eine große Pro- blemgruppe gibt. Das ganze Problem, das sich stellen wird, ist die Frage der finanziel- len Manövriermasse und diese Frage, liebe Genossinnen und Genossen, kann natürlich nicht entschieden werden ohne den Regierungschef, ohne den Finanzminister. Das wird das eigentliche Problem der zweiten Vermittlungsrunde sein, die wir nach meiner Voraussicht auf jeden Fall bekommen werden. Wehner: Dürfte ich vorschlagen, dass der Bericht von Rainer zu den Argumentations- unterlagen hinzukommt, vielleicht noch angereichert durch einige Zahlen, von denen wir vorhin gesprochen haben. Also Helmut Schmidt, Apel und wegen der anderen Sa- che Glotz – Hochschulrahmengesetz, Rainer Offergeld. Das würden wir dann so brin- gen, damit das hilfreich sein kann. Dieter Sperling hat sich gemeldet. Sperling: Genossinnen und Genossen, ich habe den Eindruck, dass wir unsere Steuer- reformvorstellungen durch die Kompromisse im Vermittlungsverfahren zunehmend demontieren. Ich sehe ein, dass dies von der Sache her unumgänglich ist, aber nach draußen bekommt es eine Wirkung, dass niemand mehr weiß, was eigentlich sozialde- mokratische Vorstellungen zur Steuerreformpolitik sind, und wir am Schluss vor einem Verständnis landen, das heißt, auch die Sozis haben ein Steuerentlastungsgesetz ge- macht, und dabei geht völlig verloren, dass wir für bestimmte soziale Gruppen ebenfalls mit unserer Steuerreform zur Steuerentlastung kommen wollten.

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Deswegen frage ich, ob etwa in der Regierung eine Rückzugsstellung aufgebaut wird, die sich dann aber als Angriffsstellung zeigen könnte. Dass wir sagen, wenn die CDU im Bundesrat dieser Vermittlung nicht zustimmt, man dazu übergeht und sagt, gut, mit diesem Bundesrat ist eine Steuerreform nicht zu machen. Wir werden Wahlkämpfe führen müssen, die einen Bundesrat bringen, mit dem man tatsächlich Steuerreform machen kann, und dann sagen, wir machen eine Steuerentlastung, aber diesmal im Ge- gensatz zur CDU tatsächlich zugunsten der Arbeitnehmer und mit einigen Freibeträ- gen, ich weiß, auch nur der Propaganda halber hochgedrückt, deutlich macht, wir wol- len für die Arbeitnehmer eine Steuerentlastung vor allen Dingen durchdrücken, denn die Lohnsteuern haben sich verzwanzigfacht seit ehedem, während andere Steuern erheblich geringer zugeschlagen haben. Von daher ist meine Frage, ob wir für das, was Öffentlichkeitsarbeit für die Sozialdemokraten sein könnte, eine andere Stellung bezie- hen können, wenn sich die CDU/CSU im Bundesrat halsstarriger zeigt, als es Rainer Offergeld anzunehmen scheint? Wehner: Ich glaube, ich muss Rainer Offergeld nicht interpretieren. Er nimmt das nicht an, das war auch während der ganzen Periode so. Die andere schwierige Frage, aber die beantworte ich nicht, mache nur darauf aufmerksam, wenn man schon, ehe der Bundestag heute beschlossen hat, was wir hoffen mit Mehrheit, den Mehrheitsbericht aus dem Vermittlungsausschuss anzunehmen, dies verkündet, was du eben sagst, kann man sich manches ersparen. Die Frage ist, ob dann das, was bisher gemacht worden ist, noch sinnvoll war. Aber Hans Apel! Apel: Genossen, ich möchte erstens etwas zum Genossen Sperling sagen und dann eine Bitte äußern. Genossen, Konrad Porzner hat eine Pressemitteilung des Ministeriums gemacht, die ihr alle habt. Ich hoffe wenigstens, dass sie ihr sie alle habt, und die zeigt, was die CDU/CSU jetzt getan hat und was sie will. Hier wird nämlich gesagt, dass sie das Kindergeld von uns abgeschrieben hat. Das ist eine ganz wichtige Geschichte dieses Papiers. Beim Grundfreibetrag dasselbe, hat den Arbeitnehmerfreibetrag so verändert, dass er in Zukunft den Hochverdienenden mehr gibt, weil er von der Bemessungs- grundlage abgezogen wird und beim Sparerfreibetrag was drauflegt und dafür fallen – und das ist unsere Argumentation, die müssen wir draußen durchziehen, und zwar brutal –, weg bei der CDU der Freibetrag, Anhebung des Freibetrages für Alleinste- hende mit Kindern. Da fällt eine Verbesserung der steuerlichen Behandlung der Kör- perbehinderten weg und Vorteile für die Alten. Das heißt also, die CDU gibt erstens vier Milliarden mehr aus, als wir es überhaupt können. Zweitens nimmt sie den gesam- ten sozialpolitischen Aspekt der Operation weg und drittens tut sie etwas für die, die sowieso viel verdienen. So werde ich morgen mit Konni zusammen, Konrad [Porzner] zusammen vor der Presse argumentieren, damit das mal deutlich wird. Und dieses hal- ten wir durch, diese Position, hier gibt’s überhaupt keine Kompromisse auf dieser Ebe- ne. Dass wir am Ende überlegen müssen, wie wir zusammenkommen, ist ja ganz klar, denn ich sage euch ganz offen, wir halten dieses noch lange durch, aber eine gescheiter- te Steuerreform bringt uns in Wahlkämpfen sehr wenig. Das muss ich hier also sagen. Ich bitte also sehr dringend, dieses Papier, heute sehr dringend, dieses Papier Pressemit- teilung, Nummer – steht nicht drauf – 6 574, dieses ist das entscheidende Papier, das ihr draußen braucht. Nun habe ich eine Frage und eine Bitte. Im Wesentlichen richtet sie sich an Rainer Offergeld. Ich hab’ Rainer so verstanden, dass wir im Plenum sagen wollen durch unse- ren Sprecher, dass das, was wir an Kompromissen gemacht haben, am Freitag spätestens nicht mehr zur Debatte steht. Wir müssen sagen am Freitag, denn bis zum Freitag bleibt das ja natürlich bestehen, weil dann die CDU abgelehnt hat. Hier möchte ich

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doch bitten zu überlegen, ob wir nicht etwas nuancieren müssen, Rainer. Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, dass der Kompromiss Funcke, obwohl er – das gebe ich zu – ein partielles Abgehen von sozialdemokratischer Grundposition bringt, dass wir diesen Kompromiss nicht ohne weiteres zurückziehen, weil er im Wesentlichen Anliegen unserer Partei weiterhin beibehält und, was auch wichtig ist, nicht teurer wird, wir aber sehr wohl sagen, dass wir zurückziehen und ab Freitag nicht mehr geltend ist diese Anschlussregelung an BAföG. Ich will das begründen. Wir muten in Zukunft denjenigen, die BAföG bekommen, zu, dass sie einen Teil der Beträge als Darlehen nehmen. Das ist eine echte Zumutung, dar- über müssen wir uns im Klaren sein. Auf der anderen Seite führen wir einen zusätzli- chen Freibetrag ein für Auszubildende, also auch für Millionäre. Dagegen wird zwar BAföG dann gegengerechnet, nur BAföG kriegen diese Herrschaften nicht, der wie ein Kinderfreibetrag wirkt und progressiv Steuererleichterungen bringt. Dieses ist erst mal schon sozialdemokratisch und sozialpolitisch mehr als bedenklich und dieses führt dazu, dass ab 1. 1. 1976, und dieser Haushalt, der steht ja vor der Tür und ich habe bei meinen einleitenden Bemerkungen darauf aufmerksam gemacht, wie schwer der sein wird, zu fahren sein wird, dass uns das 400 Millionen kostet. Und es ist für mich kein Trost, dass rund die Hälfte bei den Ländern als Steuermindereinnahme anfällt. Dieses ist für mich kein Trost. Ich habe also schweren Herzens dieser Geschichte dann schlussendlich zugestimmt, so unangenehm sie war. Aber ich bin der Meinung, Rainer, wir müssen erklären, diese Geschichte war im Rahmen des Kompromisses zähneknir- schend zu akzeptieren, ab Freitag gilt diese Regelung nicht mehr. Weil, dieses halten wir draußen nicht durch, Genossen. Dieses ist unvorstellbar, dieses Genossen klarzu- machen, dass das Arbeitnehmerkind, das ich mit Darlehen belasten muss, während also bei den Großverdienern dieses von der Steuer her vorab mal weggegeben wird. Ich gebe zu, Rainer, dass es Probleme gibt. Der Amtsrat im Finanzministerium, der ist grade an der Grenze. BAföG kriegt er nicht mehr. Von der Steuer kriegt er auch [von] keinem was. Da gibt’s Probleme. Man muss das sehen. Diese Grenzen, die wir überall einziehen, beim Wohngeld und bei BAföG und weiß der Kuckuck wo alles, die haben es in sich. Da müssen wir mal drüber nachdenken. Aber in diesem Punkt können wir in dieser Frage nicht nachgeben aus fiskalischen wie aus grundsätzlichen Überlegungen. Ich bitte deswegen den Sprecher unserer Fraktion zu sagen, dies war ein Kompromiss, dieses gilt nicht mehr. Während beim Funcke-Modell würde ich nuancierter argumen- tieren, weil das immerhin noch eine interessante Spielwiese ist, auf der wir die CDU noch eine Zeit lang grasen lassen sollen. Wehner: Antje Huber. Huber: Liebe Genossen, ich glaube, es ist völlig klar, dass über das, was wir heute zu sagen haben, [da] brauchen wir hier nicht mehr reden. Aber wenn Helmut Schmidt hier gesagt hat, wir sollten die Argumente noch einmal bringen oder zusammentragen, was die CDU in ihrem Steuerpaket hat und wen sie begünstigt, dann muss ich sagen, dies haben wir sehr oft getan. Was wir nicht oft genug getan haben, ist die Rolle des Bun- desrates deutlich zu machen und unseren Spielraum, den wir da haben. Und da finde ich, ist jetzt eine große Verunsicherung eingetreten, auch natürlich mit angeheizt durch Genossen wie Wredersdorf, die auch in der Sache dazu beigetragen haben, Unsicherheit zu sähen, ob unser Konzept nun wirklich das sozialere ist. Aber im Übrigen will ich mal sagen, ist also hier doch ein sehr ernstes Problem aufge- taucht. Rainer Offergeld hat das angedeutet. Ich will es auf die spitze Frage bringen, ob eine erneute Runde im Vermittlungsausschuss, und die sehen wir ja alle vor uns, ob die nicht einfach so zu benennen ist, die Sonderausgabenregelung nach CDU-Konzept

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kostet was. Und wenn die CDU nicht runtergeht von der Bemessungsgrundlage und das will sie nicht, dann kann sie nicht mit einer Sonderausgabenregelung bestehen, wo obendrauf an Finanzmasse nichts gepackt wird. Denn hier ist eine massive Kritik be- züglich der Abzugsfähigkeit der Sozialbeiträge bei berufstätigen Ehepaaren, bei Besser- verdienenden und auch im Allgemeinen. Hier ist eine so handfeste Kritik, wenn die CDU bei der Bemessungsgrundlage bleibt, und das will sie, dann braucht sie Masse, um etwas mehr anbieten zu können, als jetzt drin ist. Wenn wir diese Frage nicht deutlich sehen, wird die Runde keinen Erfolg haben, und wenn sie keinen Erfolg hat, dann will ich nur im Sinne von Sperling sagen, ohne das hier ausweiten zu wollen, dann sollten wir aber nicht die Ferien verstreichen lassen, ohne uns darüber klarzuwerden, was dann. Denn ein Sofortprogramm würde natürlich auch durch den Bundesrat müssen und würde auch noch andere Fragen aufwerfen, und was dann als Letztes noch übrig- bliebe, muss so rechtzeitig hier überlegt werden, dass wir nicht bis zum Herbst warten könnten. Wehner: Ich will das Wort niemand abschneiden und denkt bitte gelegentlich daran, dass zum Beispiel die von manchen heute wieder oder heute noch als schmerzlich emp- fundene Herausschälung Familienlastenausgleich/Kindergeld, dass die uns aufgezwun- gen worden ist von den Finanzministern sämtlicher Bundesländer, wobei die nicht CDU/CSU-geführten genauso hartnäckig, mindestens genauso hartnäckig waren. Mancher hat die Sitzung vielleicht schon nicht mehr in der Erinnerung, die in Gegen- wart Wertz’ hier stattfand, der sich ja kaum dazu geäußert hat. Das kommt komplizie- rend hinzu bei der ganzen Operation. Konrad Porzner! Porzner: Ich will ergänzen, was Hans Apel gesagt hat zu dem Stand, der dann am Frei- tag erreicht sein wird, wenn der Bundesrat abgelehnt hat. Dann ist alleinige Grundlage für weiteres Verfahren der Beschluss des Bundestages. Alle anderen Empfehlungen und Beschlüsse des Vermittlungsausschusses bestehen dann nicht mehr und es ist dann eine Frage der Fraktion und der Koalition, was sie aufgreifen will, und dazu gehört der Punkt nicht, von dem Hans Apel gesprochen hat, nämlich die Ausbildungsförderung. Das gilt aber dann auch für den anderen Teil, für die anderen Teile, nämlich was wir erklärt haben über Tarifbericht und Kindergeldbericht. Wobei ich euch sagen möchte, die Opposition kann mit ein paar Mitgliedern jeweils zu einer beliebigen Zeit die Bun- desregierung dazu zwingen, in Form einer Kleinen Anfrage, genau das zu sagen, was wir in einem Sozialbudget unter der Ziffer XY und im Finanzbericht – der sehr gut ist und der aber niemals die Öffentlichkeit erreicht, weil ihn niemand liest – unterbringen können, ohne dass sich dann darüber jemand aufregen muss und gleich von Indexklau- sel die Rede sein kann. Ich will etwas korrigieren in der Fraktion, weil ich feststelle, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, als ob wir mit der Steuerreform große Probleme für die Haus- halte schaffen würden und weil es ohne Steuerreform keine Haushaltsprobleme gäbe. Ihr selbst erinnert euch an die Debatten im Herbst ’73 und an die vielerlei Debatten im Jahr ’74, dass wir ohne den Hinweis auf die Steuerreform, die 1975 in Kraft treten soll, Steuersenkungen, die dann von allen Gruppen der Bevölkerung, auch denen, die uns nahestehen und Verbänden, Steuersenkungen gefordert worden wären, die wir hätten nicht abweisen können, und es wären in diesem Jahr Haushaltsprobleme entstanden nicht von gleicher Größenordnung wie im kommenden, aber von ähnlicher Größen- ordnung. Denn ein Inflationsentlastungsgesetz oder wie man das sonst nennen will oder Weihnachtsfreibetrag oder Arbeitnehmerfreibetrag, das alles aufzuhalten und zurückzustellen und abzulehnen ohne den Hinweis auf die Steuerreform, dazu hätten die Genossen in den Wahlkreisen und die Kollegen in den Betrieben nicht die Kraft

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gehabt. Deswegen also vermiest uns und euch und der Partei nicht die Steuerreform, weil sie mit Steuermindereinnahmen verbunden sein muss. Die Steuermindereinnah- men wären ohne Steuerreform früher auf uns zugekommen. Zweitens. Zahlenbeispiele: Die Union macht es sich insofern leicht, und es wird öffent- lich äußerst schwierig sein, das zu korrigieren, weil sie vier Milliarden Mark zusätzlich an Steuermindereinnahmen in ihren Gesetzentwürfen enthalten hat, vier Milliarden Mark mehr Mindereinnahmen oder Mehrausgaben, und diese vier Milliarden Mark mehr Mindereinnahmen konzentriert auf einen kleineren Teil, weil sie alle die sozialen Elemente, von denen Hans Apel eben gesprochen hat, nicht berücksichtigt lässt. Das heißt, um ein konkretes, für jeden verständliches Beispiel zu bringen: sie erhöht den

Grundfreibetrag von 1 680 auf 3 000 Mark, ändert sonst nichts am Tarif. Es bleibt also bei dem Steuersatz von 19 Prozent in den unteren Einkommensbereichen, so dass beim Beispiel der Union die Entlastung selbstverständlich für Arbeitnehmerhaushalte mit durchschnittlichen Einkommen größer ist, selbstverständlich größer ist. Wenn man vier Milliarden Mark oder darüber hinaus zusätzlich anbietet, kann man natürlich attrakti- ver arbeiten. Zugleich hält sie der Regierung vor und der Koalition, dass die Haus- haltsmindereinnahmen, die Haushaltsbelastungen im Zusammenhang mit der Steuerre- form zu groß sind. Zu den Terminen ist nichts mehr zu sagen. Das ist vorhin gesagt worden, dass das offen ist, dass das abhängt von dem Ergebnis der Sitzung am Freitag im Bundesrat und von den Verhandlungen, die dann im Vermittlungsausschuss weiter geführt werden müssen. Ich brauche die Sitzung nicht länger in Anspruch zu nehmen. Ich kann aber euch nur sagen, dass die Genossen im Vermittlungsausschuss das Maximum dessen haben halten können von dem, was die Partei auf dem Parteitag und die SPD innerhalb der Regie- rung und der Koalition durchgesetzt hat. Und am Freitag, wenn abgelehnt sein wird, wovon wir ausgehen müssen, ist Ausgangspunkt der Beschluss des Bundestages. Ich füge noch eins hinzu: Ich bin erst seit 1962 im Bundestag. Ich kann mich nicht erinnern, dass während eines Vermittlungsverfahrens noch vor Abschluss des Vermittlungsver- fahrens die beteiligten Länder, in dem Fall der Opposition, die beteiligten Länder Ge- setzentwürfe beim Bundesrat, bei der dortigen Stelle, eingebracht haben und die Mit- glieder des Vermittlungsausschusses insofern irregeführt haben, auch Mitglieder des Bundesrates. Es ist meiner Ansicht nach bisher in der Geschichte dieses Parlamentes und des Bundesrates nicht passiert. Aber diejenigen, die seit ’49 hier sind, wissen das vielleicht besser. Die Opposition hat, ich sage die Opposition, weil hierzu die Länder der CDU/CSU, auch wenn sie formal im Bundesrat nicht Opposition genannt werden, haben Gesetzentwürfe eingebracht und so getan, als ob es ihnen noch an einem Ver- mittlungsergebnis überhaupt läge. Es ist zu einem späteren Zeitpunkt, weil es uns im Augenblick materiell nicht hilft, für Leute, die über das Verhältnis von Verfassungsor- ganen zueinander zu reden haben, an der Zeit – nicht jetzt – darüber sich Gedanken zu machen. Dies ist eine bewusste, eine bewusste Aktion zur Reduzierung der Bedeutung des Bundestages und der Wahlergebnisse und der Entscheidung der Wähler, die zu den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag geführt haben. Dies ist eine, das Verhalten der Opposition führt dazu, dass letztlich Gesetze nur noch im Vermittlungsausschuss be- handelt werden können, eine bewusste Aktion gegen die Bedeutung des Bundestags. Aber das muss man später behandeln. Das hilft im Augenblick nicht weiter. Im Übrigen und noch eines: Uns liegen, ich ergänze, was Helmut Schmidt sagte, oder verdeutliche es, widersprüchliche Gesetzentwürfe des Bundesrats vor zum gleichen Sachverhalt. Auch das ist eine Zumutung für den Bundestag, dass er zweierlei Gesetz- entwürfe behandeln muss aus den gleichen Mehrheitsverhältnissen des Bundesrats, die

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sich in der Sache widersprechen. Warum wir das vorher nicht getan haben konnten, weil der Gesetzentwurf förmlich uns erst gestern Abend vorgelegen hat, und das Papier konnte nicht schneller verteilt werden als heute früh, weil man das schneller nicht ma- chen kann. Zahlenbeispiele bringen wir dann aufgrund der Berechnungen, die angestellt werden müssen, so früh es möglich ist. Wehner: Der Bundeskanzler. Schmidt (Hamburg): Ich bitte um Nachsicht. Ich möchte noch mal auf den Kollegen Sperling kommentierend zurückkommen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, hast du gesagt: eigentlich ergibt sich für mich, Sperling, dass mit diesem Bundesrat eine Steuerreform nicht möglich ist und deswegen sollten wir zu irgendeinem Zeitpunkt zu diesem Resümee kommend dann sagen, jetzt machen wir ein Inflationsentlastungsge- setz, aber für unsere Leute. Das war der politische Kern seiner Ausführungen. Nun muss ich dich auf eins deutlich hinweisen. Überhaupt kein Steueränderungsgesetz kommt nach dem deutschen Grundgesetz zustande ohne die Zustimmung der Mehrheit des Bundesrates, auch nicht das von dir genannte Steuerentlastungsgesetz zugunsten der Arbeitnehmer. Auch das würden sie dann natürlich ihrerseits scheitern lassen. Auch das würden sie ins Vermittlungsverfahren gehen lassen. Ich drücke mich noch anders aus. Wenn es dir nur darum geht, angesichts der Feststellung des Scheiterns der gesam- ten Steuerreformbestrebung die Schuld öffentlich auf die richtigen Schultern zu legen, dann könntest du das damit erreichen. Aber das ist alles, was du damit erreichst. Das heißt, du kannst diesen Versuch erst dann machen, wenn du wirklich das Vorhaben als gescheitert ansiehst. Dieses Letztere würde ich gegenwärtig keineswegs tun wollen. Keineswegs tun wollen! Ich komme darauf noch mal zurück. Ich denke, dass die Verantwortung, nehmen wir mal die CSU in Bayern. Die CSU in Bayern ist zum großen Teil eine Partei, deren Wähler Arbeitnehmer sind. Die CSU in Bayern kann sich – in Schleswig-Holstein ist das anders, die verstehen das vielleicht nicht alle und lassen sich davon dem Stoltenberg vernebeln –, in Bayern, das ist schon ein bisschen anders, geht das schon bis in die Führungsetage der bayerischen CSU, das Bewusstsein, dass sie letztlich auch ihrer eigenen Wählerschaft wegen irgendetwas zu- stande bringen müssen. Das gilt sicherlich auch für den Mann, den ich vorhin kritisiert habe, weil er dauernd in Urlaub ist, statt seine Pflicht zu tun im Verfassungsorgan, wo er dran ist mit dem Vorsitz seit dem 1. Juli. Da gibt’s eine erhebliche Verantwortung, wenn nicht eine staatspolitische, so doch eine Verantwortung gegenüber den eigenen Wählern. Deswegen würde ich es gegenwärtig für einen Fehler halten, wenn wir vor die Öffentlichkeit gehen würden und sagen würden, Steuerreform ist gescheitert. Das war nämlich unser Baby. Würde ich nicht empfehlen und würde im Augenblick den Ver- such im Ernst weiterbetreiben, Herbert ist ja noch weitergegangen, hat sogar noch von der Möglichkeit eines dritten Vermittlungsverfahrens gesprochen, ich würde das in vollem Ernst weiterbetreiben, wohlwissend, dass wir dabei auch durchaus unsererseits Trümpfe haben. Dies erste Vermittlungsverfahren ist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Art gegenseitigen Pokers gewesen der Regierungskoalition auf der einen mit einer Negativkoalition auf der anderen Seite, einer Verhinderungskoalition von Leuten von Provinzrang und zweiter Größenordnung, zweiter Klasse. Die erstklassigen Leute sind bisher nicht beteiligt auf der anderen Seite. Und sicher ist eine Bemerkung, die, ich glaube, es war Hans Apel zwischendurch ge- macht hat, auch richtig, dass man nicht alles gelten lassen muss, was gegenüber bisheri- gen Gesprächspartnern angedeutet worden ist als möglich für den Fall, dass ’ne Ge- samtunterschrift unter das Ding nicht zustande kommt, wenn man nun mit neuen Leu- ten zu tun haben könnte, und ich kann mir nicht denken, dass Herr Kohl das auf sich

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sitzen lassen wird, was heute Nachmittag über den Ticker läuft über seine Pflichten, die er nicht erfüllt. Er wird kommen müssen. Dann wird man also manches noch mal neu anfassen müssen. Trotzdem bleibt richtig, was Rainer Offergeld gesagt hat. Es geht im Grunde um einen dicken Komplex Vorsorgeaufwendungen, nicht wahr, und Sonder- ausgaben für Vorsorgeabfindungen. Das ist sicher richtig. Aber wir müssen auch wis- sen, Dieter Sperling, dass letztlich, wenn das Pokern aufhört und das ernsthafte politi- sche Aushandeln beginnt mit ernstzunehmenden Leuten, die auch was hinter sich ha- ben, diese Koalition krankt doch daran, diese Oppositionskoalition krankt doch daran, dass niemand für die verbindlich reden kann, ein führungsloser Laden gegenwärtig auch im Bundesrat, nicht nur im Bundestag, wenn also mit Leuten geredet wird, was ich hoffe, die etwas hinter sich haben und das verantworten können im eigenen Laden, was sie abmachen, dann wird ganz zweifellos nur ein Kompromiss dabei herauskom- men können. Was wir bisher hatten, ist eine Konfrontation zwischen sozial-liberaler Bundestagsmehrheit und christlich-demokratischer/christlich-sozialer schwarzer Bun- desratsmehrheit. Ein Konflikt von ähnlicher staatspolitischer Bedeutung, wie er nicht zwischen diesen beiden Verfassungsorganen, sondern auf andere Weise zwischen den Schwarzen und der sozial-liberalen Koalition im Frühjahr 1972, als es um die Ostpoli- tik [ging], ausgetragen wurde. Da ist durch den Weg des konstruktiven Vetos, des kon- struktiven Misstrauensvotums, Auflösung des Bundestages, der Wähler so sehr in die Vorhand gebracht worden, der Bürger ist so sehr in die Vorhand gebracht worden, weil er zu wählen hatte 1972, dass sie dann hinterher den Weg der Verhinderung der Ost- verträge über den Bundesrat nicht ernsthaft versucht haben, obwohl das natürlich durchaus eine für sie offene taktische Option gewesen wäre. Es hat dann ein Staat, näm- lich Bayern, das Verfassungsgericht nachgeschoben. Du erlebst im Grunde mit der gleichen staatspolitischen Qualität, wie eine Auseinan- dersetzung zwischen den Schwarzen und den Sozial-Liberalen um eine wichtige Frage, die damals im Bundestag und über die Wähler entschieden wurde, das Verfassungsge- richt hat dann noch so ein paar Schnörkel drangemacht, aber letztlich es nicht ändern können, nicht ändern wollen, weil es das nicht mehr ändern konnte, jedenfalls scheint mir, unter uns gesagt, diese Interpretation zulässig dessen, was das Verfassungsgericht gemacht hat. Diesmal wird der Weg beschritten, dass durch einen Konflikt zwischen diesen beiden Verfassungsorganen – Bundesrat und Bundestag – für die beiden gibt es keinen Schiedsrichter, sondern es war ein Konflikt zwischen den Mehrheiten dieser beiden Häuser, sieht das deutsche Grundgesetz nur einen einzigen Schiedsrichter vor. Das ist der Vermittlungsausschuss, der allein nicht handeln kann, sondern der hinterher sich der Zustimmung der Mehrheiten in beiden Häusern erfreuen muss, wenn seine Schiedsrichterei zu einem Ergebnis führt. Das heißt, ein Kompromiss ist unausweich- lich, wenn überhaupt was zustande gebracht werden soll. Bei jedem Steuergesetz, was wir machen, ist letztlich ein solcher Kompromiss unausweichlich. Das Ausmaß des Kompromisses, das heißt das Ausmaß dessen, was unsere Seite nachgeben muss kom- promissweise, und das Ausmaß dessen, was die andere, die schwarze Seite nachgeben muss im Wege des Aushandelns eines Kompromisses, dieses Ausmaß hängt nach mei- ner Überzeugung ganz entscheidend davon ab, was bis zu dem Tage, wo das unter- schrieben und abgestimmt wird, was bis zu dem Tage die eine oder die andere Seite auf dem Umweg über die öffentliche Meinung an Erwartungen oder an Druck, an Kritik oder an Zustimmung hat erzeugen können. Wir haben bisher in der öffentlichen Meinung keineswegs richtig ausgebeutet zum Beispiel, dass die CDU/CSU unter Beseitelegen aller ihrer früheren Vorstellungen voll auf unser, auf das materielle Quantum des Familienlastenausgleichs, des Kindergelds gegangen ist. Dieses wird auch im Kompromiss nie mehr gefährdet werden. Das steht

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mal fest. Da haben wir uns voll durchgesetzt. Wir haben das nicht richtig ausgeschlach- tet. Wir sind hier vielleicht ein bisschen zu fair oder zu anständig oder zu zurückhal- tend oder schon zu sehr in Ferienstimmung oder was weiß ich gewesen. Ich wiederhole meinen vorhin ausgesprochenen Appell. Das Ausmaß der Beeinflussung der öffentli- chen Meinung ist das einzige Instrument, um von daher im Vermittlungsverfahren das Ausmaß des eigenen Entgegenkommens abzuschwächen und das Ausmaß des gegneri- schen Entgegenkommens anzuheben, und ich wiederhole, dass es dazu notwendig ist, den Konflikt auf die wenigen entscheidenden Punkte, die holzschnittartig dargestellt werden müssen, zu popularisieren. Es ist gegenwärtig ein Konflikt unter Fachidioten, die niemand sonst versteht. Und deswegen ist eben notwendig, dass nicht nur die Ab- geordneten, die ja selber ihre Übersetzungsmöglichkeiten in das volkstümliche Deutsch in ihrem eigenen Kopf zur Verfügung haben, dass nicht nur die Abgeordneten die Pa- piere kriegen von denen, die hier gemacht werden, sondern aufgrund der heutigen Sit- zung, und die Konrad Porzner heute Nacht oder gestern Abend hat verteilen lassen, sondern darüber hinaus notwendig, dass auch zuhause lokal und regional damit Leute politisch beeinflusst werden, dass sich niederschlagen muss zum Beispiel in der Lokal- presse, zum Beispiel in gewerkschaftlichen Zusammenkünften, trotz der Saure- Gurken-Zeit, ich weiß, dass das schwierig ist, zum Beispiel in gewerkschaftlichen Ver- öffentlichungen. Man kann das ja so konzentrieren, wie das hier in den wenigen Stri- chen durch Apel und Porzner und Offergeld gemacht worden ist. Die politische Ein- wirkung auf diesen unvermeidlichen Kompromissprozess im Vermittlungsausschuss, ob über diesen Gesetzentwurf oder einen späteren im Sinne Sperlings oder einen, der dazwischen liegt, geschieht immer nur auf dem Umweg über die öffentliche Meinung. Deswegen hat zum Beispiel 1973 nach der Bundestagswahl die Bundesratsmehrheit darauf verzichtet, die Ostverträge noch einmal in eine solche Situation zu bringen. Die öffentliche Meinung stand eindeutig gegen sie. In der Steuerreformfrage muss ich unter uns leider sagen, ist die öffentliche Meinung nicht eindeutig genug. Wir haben das zu lange als eine Fachfrage behandelt und zu wenig als eine politische Frage behandelt, nicht. Und kleine Randbemerkung noch zu Wredersdorf, der hier erwähnt wurde: Ich würde auf den Bund der Steuerzahler wie auch auf den Bund der Deutschen Steuerbeamten, sogenannte Steuergewerkschaft, keine übertriebene Rücksichtnahme verwenden. Der Letztere ist Glied des Deutschen Beamtenbundes und im Übrigen muss man klar er- kennen, von welchen Motiven aus der Genosse Wredersdorf hier agiert. Für den ist die Steuerreformdebatte ein Vehikel zur Beförderung seiner Laufbahn- und Besoldungs- strukturvorstellungen. Nun muss man klar sehen, und das ist auch nichts Bösartiges, wenn man das dann mal enthüllt und mit dieser Enthüllung kann man dann auch seine ganze Argumentation beiseitelegen. Das ist es nämlich in Wirklichkeit. Bei allem Re- spekt vor dem großen Fachverstand von Wredersdorf, ich muss geradezu sagen, Hut ab, dass er es bisher verstanden hat, so große Teile der öffentlichen Meinung im Ergebnis für seine im Interesse seiner Steuerbeamten vorgebrachten Laufbahnreform-, Besol- dungsstrukturreformvorstellungen einzunehmen, ohne dass diejenigen, die die Zeitun- gen lesen mit den Äußerungen Wredersdorfs etwas anderes daraus lesen als sehr fach- männisch sich dartuende steuerreformpolitische Argumente. Es hilft nichts, man muss in solchem Fall auch mal – auch wenn es unser Genosse ist, ich weiß nicht seit wie viel Jahren –, da muss man dann ruhig mal ganz klar sagen, dieses ist ein Interessentenar- gument eines bestimmten Bereiches des öffentlichen Dienstes, der bei Gelegenheit der Steuerreformdebatte etwas für seine Beförderungsstruktur erreichen möchte. Wobei ich in Klammern sage, manches davon scheint mir nicht ganz unlegitimiert zu sein von dem, was Wredersdorf und seine Gewerkschaft will, wenn ich mir angucke, was andere

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Gruppen des öffentlichen Dienstes erreicht haben. Punkt. Klammer zu. Braucht man in dieser Debatte sonst nicht öffentlich zu sagen. Apel und Porzner und Offergeld und andere werden auch hier in Bonn direkt und die beiden Parteizentralen auch in Bonn direkt versuchen, zentral versuchen, die öffentliche Meinung mit holzschnittartiger Argumentation zu erreichen. Ich meine, das Prinzip, weswegen ich mich gemeldet habe, ist das, dass der Kompromiss nur auf dem Wege über die öffentliche Meinung in seiner Qualität noch beeinflusst werden kann. Wehner: Herta Däubler-Gmelin. Däubler-Gmelin: {…} (Zwischenruf: Mikrofon!) Es ist nur ’ne Zwischenfrage an den Bundeskanzler. Können wir nach dem, was du dort zu der öffentlichen Meinung gesagt hast und was ich also aus der Sicht meiner Provinz- blätter nur bestätigen könnte, damit rechnen, dass in nächster Zeit Helmut Schmidt im Fernsehen und Helmut Schmidt über die Nachrichtenagenturen etliches zur Steuerre- form und zu den Kompromissen sagen wird? Wehner: Sperling. Sperling: Helmut Schmidt, ich fühle mich von dir voll verstanden und das, was ich gesagt habe, war genau in die Richtung, genau in die Richtung gemeint, um die öffentli- che Meinung zu kämpfen. Da muss irgendwann kommen, black is beautiful für die Reichen, und dann dürfen nicht mehr so richtige Sachdarstellungen kommen, so ein- fach die für Abgeordnete schon zu lesen sind, nachdem wir uns so daran gewöhnt ha- ben, sondern es muss irgendwann das in bildhaften Darstellungen, ich sage nicht grafi- sche, weil dann wieder Linien kommen, mit denen keiner umgehen kann, sondern in

Geldhäuschen-Darstellungen kommen, dass zum Beispiel 22 Prozent von 20 000 Mark

4 400 sind, wenn es um Altersvorsorge nach unseren Vorstellungen geht, und 53 Pro- zent von 10 000 5 300 und das folglich ein niedrigerer sogenannter Altersvorsorgefreibe- trag bei der CDU mehr bringt für die Reichen. Wenn wir dies nicht in Bildchen umset- zen, sondern immer nur in Linien und Zahlen, dann kriegen wir es nicht rüber, und deswegen meine ich, müsste sowohl die Bundesregierung als auch die Parteizentrale sich mit einem Grafiker zusammensetzen, der dies in Geldscheinhäuschen oder Geld- stückhäuschen darstellt. Sonst wird das mit der ganzen Argumentation nichts. Wehner: Ja, Genossen – Gansel. Gansel: Eine Frage, die hoffentlich kurz und negativ beantwortet werden kann. Du hast etwas gesagt, Helmut, zu der Darstellung in der Presse. Das ist zwar relativ einfach für einen Bundeskanzler, der eine Redaktion besucht, hinterher ein positives Echo in einer Zeitung zu finden, gleich wer sie auch immer herausgibt. Für diejenigen von uns, die in ihren Wahlkreisen aber nur Monopolzeitungen haben, die meist CDU-Zeitungen sind, ist das überhaupt nicht möglich. Da wird von der CDU als Sprecher für die Steu- erreform Stoltenberg gebracht und von der SPD als Sprecher für die Steuerreform Wredersdorf. So ungefähr ist das. Nun gewöhnt man sich an diese Dinge langsam und weiß, dass man das also nur durch mühselige Arbeit und Versammlungen und so weiter und so fort, mit Flugblättchen versuchen kann, wieder wett zu machen. Aber wenn man dann noch gleichzeitig liest, dass es also ernste Überlegungen gibt, die Presse ge- wissermaßen mit der Gießkanne auch noch steuerlich zu begünstigen, dann gehen ei- nem wirklich die Haare zu Berge und ich möchte dich fragen, ob an diesen Gerüchten irgendetwas konkret und akut dran ist und ob so etwas überhaupt erwägbar ist, bevor wir ein vernünftiges Presserechtsrahmengesetz auf dem Tisch haben. Wehner: Bundeskanzler.

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Schmidt (Hamburg): Was die Frage von Norbert Gansel angeht, für meine Person und für mein Amt ist die Antwort einschränkungslos negativ. Die habe ich auch früher in meiner amtlichen Eigenschaft als Finanzminister so gegeben. Dass es die eine oder andere Person, die mit Recht der sozial-liberalen Koalition zugerechnet werden muss, auch gibt, die sich öffentlich anders geäußert hat, war Anlass zu deiner Frage. Ich habe es nicht übersehen und du hast es zur Notiz genommen und zum Ärgernis genommen. Ich kann das nicht ändern. Aber eine allgemeine aus der Gießkanne gegebene Steuerbe- günstigung für Zeitungsverlage halte ich für eine abstruse Fehlgeburt mit Konsequen- zen auf tausend anderen Feldern. Außerdem würde es nichts weiter bedeuten als einen kurzfristigen Zeitgewinn für die Tagespresse. Die Frage von Herta Däubler-Gmelin will ich so beantworten: Ich drücke mich nicht vor der öffentlichen Auseinandersetzung, nur habe ich mich bisher als eine Art Ge- fechtsreserve in dieser Sache betrachtet. Ich werde dann im Lauf des zweiten Vermitt- lungsverfahrens noch gebraucht. Wehner: Ja Genossen, es sind zurzeit keine weiteren Wortmeldungen. Ich wollte nur drei Bemerkungen machen. Erstens, was Kohls Vorsitzendenschaft im Vermittlungsaus- schuss betrifft, so dauert sie nach meiner Erinnerung vom 21. 5. bis 21. 8. Dass Kohl lange Zeit als Vorsitzender nicht amtierte, halte ich für seine politische List, mit der wir wenig anfangen können öffentlich, aber die man wenigstens wissen muss. Er wollte dort Gaddum auslaufen lassen, denn das wäre nicht möglich gewesen, es können nicht zwei von Rheinland-Pfalz dort agieren und insofern war das das Bequemere. Der wird sogar noch einstecken, dass er sich in der Zeit im Ausland aufgehalten hat. Wer hat das denn sonst nicht auch noch getan, wird er sagen, und außerdem sei er kostbar. Aber ich habe nichts dagegen, dass man ihm das sagt. Man muss nur wissen, dass ist eine operativ gemeinte Zurückhaltung von dem Mann. Zweitens, weil Helmut sagte, wir hätten eigentlich dieses Kapitel Kinder- geld/Familienlastenausgleich kaum in seiner ganzen Bedeutungsschwere positiv ausge- nützt. Es ist richtig. Nur muss man eines dabei verstehen. Dies war eine lange werdende und noch nicht abgeklungene Enttäuschung in der Fraktion und nicht nur in der Frak- tion, das hat sich dann übertragen, darüber, dass wir einheitlich, in diesem Falle konn- ten wir nicht sagen, durch die Schwarzen, sondern durch sämtliche Länderregierungen gezwungen worden sind, das, was so augenfällig Herzstück dieser Steuerreform hätte werden sollen, zu separieren. Das ist der eigentlich psychologische Grund dafür und das macht die Sache schwierig. (Vereinzelter Beifall.) Das müssen wir nun noch einmal nachholen, ohne dass wir dabei allen Leuten können nachträglich noch einmal in den verlängerten Rücken treten. Und es ist auch richtig zu sagen, dass die Sache auch von uns zu lange als eine Fachfrage und nicht so sehr als eine – sage ich frei übersetzt aus Helmut Schmidts Rede –, als soziale Frage behandelt haben. Das ist wahr und hier kommt Folgendes, das wir bisher nicht überwunden haben: Wir haben es mit jener Klientel zu tun, denen wir, wenn wir sagen die Reichen, noch lange nicht überzeugend jene Rückgratfestigkeit beibringen, weil, wo fangen die an? Die fangen an bei denen, die 26 000 im Jahr [verdienen]; sind das nach unserer Auffassung Reiche oder nicht? Da sind die Grenzen sehr fließend und diese ganzen Leute, ich will nicht sagen Mitte, weil man das falsch versteht als Mittelstand, das meine ich nicht. Alle diese Leute, die so in der Mitte des Lohn- und Gehaltsspektrums und aufsteigend dar- über liegen, die sind natürlich – ist ja gar nicht mal zu tadeln – anfällig für die Demago- gie Inflationsentlastung durch lineare Steuersenkung, und es gehört schon was dazu, sich hinzustellen und zu sagen, das sieht zunächst schön aus, aber dies ist das Unsozia-

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le. Denn dann kriegen die, die das meiste haben, auch das meiste an Entlastung und es bleibt nichts für das übrig, worauf es eigentlich ankommt. Sogar ein Blatt wie die »Frankfurter Allgemeine« hat am 8. Juni, das war nach der drit- ten Lesung, in einem Artikel, der insgesamt die Position der Opposition lyrisch und sachkundig tuend vertreten hat, am Schluss geschrieben, aber auch die Opposition hat ihre Schwächen. Das zum Beispiel haben wir überhaupt nicht ausgenützt. Ich weiß nicht, warum man das nicht ausnützt. Die paar Reden, die der eine oder andere hält, helfen da nicht drüber weg. Auch ihre Schwächen. Denn, und da haben sie genau auf die Achillesferse gezielt, wenn man Entlastung in dem Umfang und in dem Ausmaße nach der Art, wie die Opposition sie gegenüberstellt diesem Steuerreformkonzept, so verlangt und zum Maßstab macht, dann bleibt nichts für etwas anderes übrig. Beides zusammen, schrieb das schöne Blatt, geht nicht. So! Gibt es einen besseren Zeugen als uns? Und was den Bundesrat betrifft, aber wir sind ja in der Beziehung mit den Möglichkei- ten, die sich ergeben, sehr großzügig oder großmütig. Am selben Tag hat ein Blatt wie der »Kölner Stadtanzeiger« einen ganzen sachlich hervorragenden Leitartikel [zu] dem Problem Bundesrat, Steuerreform und Bundesrat, wo er ein Recht hat, in welchen Fra- gen, wo er aber über das hinausgeht, was auch für ihn ratsam wäre und am Schluss mit ganz harten, wenn auch fair geschriebenen Feststellungen über die Verfassungslage und über die Verzerrung der bundesstaatlichen Ordnung gesprochen. Hat das je von uns jemand ausgenützt? Weder Leute der sogenannten Landespolitik noch ist es hörbar sonst. Das muss nun gemacht werden. Das kann der einzelne Abgeordnete nicht. Das muss also ein Akkord werden. Das muss ein Akkord werden, der {…}, muss man sich in die Rollenverteilung hineinbegeben und es machen. Ich bin der Meinung, ich hab’ das einmal in einer Ministerbesprechung gesagt, die war damals aus Anlass des Jah- reswirtschaftsberichts, ich teile alle Erklärungen, die sie geben für die Lage, für unsere Entwicklung und auch für das, was bei uns vorteilhafter ist als in anderen Ländern ähnlicher Struktur und so weiter. Nur eines: wir stellen an die, um deren Vertrauen wir zu werben haben und das uns davonzufließen scheint, und das war damals im März bei bestimmten Wahlergebnissen so, stellen eine hohe Anforderung, nämlich – nur bitte ich, mich nicht zu steinigen – als wären wir in einem Staat mit nur einer Partei, die man also daran, wo man sagen kann, Normen werden erhöht und das und bis dahin werden die Zähne zusammengebissen. Bei uns gibt’s mehrere Parteien. Das soll ja auch so sein. Da können die Leute zeitweilig uns eins auswischen und wir können nur bestehen, wenn wir zeigen, dass das, was wir anzubieten haben, nicht nur ehrlich gemeint ist, sondern auch besser ist oder umgekehrt gesagt, besser ist und sogar ehrlich gemeint ist. Das ist unsere Problematik. Die wird uns in den nächsten Wochen ein wenig geringer unmittelbar an Badeanzügen und ähnlichen Sommerkleidungsstücken haften, aber um das kommen wir nicht herum. Ich nehme an, der Bundeskanzler – ich will von ihm keine Zensur haben, es sei denn eine negative, die stecke ich gerne ein – der Bundes- kanzler wird eine Reihe meiner, das sind ja keine Einwände, sondern meiner Überle- gungen nicht völlig abwegig finden. (Vereinzelter Beifall.) Wird noch das Wort gewünscht? Genosse Scheffler. Scheffler: Genossen, ich möchte auf eine Bemerkung zurückkommen, die Hans Apel zum BAföG gemacht hat. Ich bin der Auffassung, wenn wir ein Gesetz machen, das mehr Steuergerechtigkeit für die Arbeitnehmer beinhaltet, dann sollten wir sehen, dass das ganz besonders problematisch in den Grenzbereichen wird, wo einer noch Förde- rung bekommt und der andere schon nicht mehr. Und das ist ein Anliegen, das zweifel-

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los auch große Kreise unserer Wählerschaft betrifft, die sich grade mühsam über diese Grenze hinaus hochgearbeitet haben, werden nach diesen Vorlagen auch in Zukunft dann noch bestraft dafür, dass sie ihre Kinder zum Studium schicken und das auch noch selbst finanzieren. Wenn wir einmal die Relationen sehen auf der einen Seite von den Proportionen, was das BAföG uns an Geld kostet und auf der anderen Seite die 200 bis 400 Millionen, die du anführst, dann muss man sich allerdings auch fragen, ob es nicht eine Regelung gibt, dass man die ganz Reichen eben davon ausschließt. Aber man muss sich wirklich ernsthaft überlegen, ob man diese Randschichten nicht besserstellt, als das gegenwärtig der Fall ist. Wehner: Ich glaube, es handelt sich um ein Missverständnis der Äußerungen von Hans Apel. Aber die werden sich selber erklären können. Porzner! Porzner: {…} Wir haben überall im Steuerrecht Randprobleme, die dort, wo es durch Bundesleistungsgesetz und andere Leistungsgesetze, weil es Einkommensgrenzen gibt, nicht gelöst werden können, auf die Steuer zukommen, im Steuerrecht dann gelöst werden sollen. Überall Randprobleme. Und hier {…}. Mehr was das nicht und wir wussten auch und rechneten damit, dass es letztlich nicht zu einem Vermittlungsergeb- nis führen wird. Hier ging es darum, eines dieser Randprobleme – wie du es nennst – dieser Grenzprobleme sicher unbefriedigend anzufassen. Wir hatten ein halbes Dut- zend ähnlicher Probleme mit gleicher Größenordnung, was die finanzielle Auswirkung betrifft, im Finanzausschuss beraten, haben alles ablehnen müssen, alles ablehnen müs- sen. Auch dies im Finanzausschuss abgelehnt. Das war ein Punkt im Vermittlungsaus- schuss, der am Freitag wieder weg ist. Es ist ein Thema, wie man Leistungsgesetze ei- nerseits und steuerrechtliche Bestimmungen andererseits in vielen Bereichen kombinie- ren kann. Mit der Steuerreform selbst ist das alles nicht zu lösen. Wehner: Ja, Genossen, ich kann am Schluss nur darum bitten, dass ihr, wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen, aber mit jeweils einer aufgehobenen Hand stimmt für das, was heute in dem Bericht, den Schäfer gibt, vorgetragen wird. Dann geht der Zug wieder zurück. Bundesrat wird am 12. das Seine tun und schiebt den Zug wieder zu- rück an den Vermittlungsausschuss. Dann, Genossen, zu Punkt 7, Hermann Dürr. Dürr: Bei Verfahren vorm Bundesverfassungsgericht wie der jetzigen Nachprüfung des Fünften Strafrechtsreformgesetzes haben neben Bundesregierung, Landesregierungen auch der Bundestag ein Recht, sich zu äußern. Die Bundestagsmehrheit, die aufgrund eines Initiativgesetzes das Fünfte Strafrechtsreformgesetz beschlossen hat, sollte sich dazu äußern. Der entsprechende Antrag ist nicht in der routinemäßigen Form gefasst, sondern als selbstständiger Antrag deshalb, weil dem Bundestag die Klagebegründung von Karlsruhe deshalb noch nicht übersandt werden konnte, weil sie erst am Samstag in Karlsruhe eingegangen ist. Nach dem, was Manfred Schulte grad’ gesagt hat, wird es keinen Krawall drüber geben. Eventuell gibt uns die Sondersitzung des Bundestags die Möglichkeit, wenn die CDU mit Gewalt drauf besteht, fünf Minuten Blabla drüber im Rechtsausschuss zu sagen, kann sie es haben in der Sondersitzung, kommt dann aus dem Rechtsausschuss zurück und wird beschlossen. Wehner: Wird das Wort gewünscht? Wird nicht gewünscht. {…} Wird das Wort zu Verschiedenem gewünscht? Leider nicht. Danke. Ich schließe die Sitzung.

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