M. ZUCHT / Barschels letzter Aufenthalt Hotel Beau-Rivage in Genf: Zehn Jahre Fahndung nach der Rotweinflasche Aktenzeichen 33247/87 ungelöst Die letzten Tage im Leben des Uwe Barschel / Von Thomas Darnstädt ine Flasche Beaujolais Le Chat Botté hinuntergespült wurden – eine tödliche Seit zehn Jahren geht das jetzt so. Die Jahrgang 1985 – das wär’s. Heinrich Dosis Schlaftabletten etwa. Spuren aus dem dritten Stock des ver- EWille, Weinfreund und Leitender Eine Flasche Beaujolais Le Chat Botté staubten Hotels am Genfer See führen um Oberstaatsanwalt in Lübeck, fahndet sogar 1985 bestellte Uwe Barschel um 18.30 Uhr die ganze Welt. Sie enden oft bei Waffen- im Urlaub nach dem roten Tropfen aus am Abend des 10. Oktober 1987 in Zimmer händlern, Geheimagenten, nahöstlichen Frankreich. Doch Beaujolais hebt kaum je- 317 des Genfer Hotels Beau-Rivage. Es ist Potentaten, oft im Nichts. mand so lange auf. die letzte zuverlässige Information aus dem War es Mord? Der zurückgetretene Lan- Dabei würde ein Schlückchen schon Leben des gescheiterten Kieler Minister- desvater könnte Opfer der Stasi, der Ma- genügen. Wille würde es asservieren, ei- präsidenten. fia, einer international agierenden Gruppe nen Vorgang zum Aktenzeichen 705 Js Am nächsten Vormittag lag Barschel tot von Waffenhändlern, des , der Iran- 33247/87 anlegen,Weinexperten und Che- in der Badewanne. Vergiftet von einer Contra-Verschwörer, der Christlich De- miker beauftragen, Gutachten erstellen Überdosis Schlaftabletten. Und die Rot- mokratischen Union Deutschlands gewor- lassen. weinflasche war verschwunden. den sein. Für all dies gibt es, im Ernst, Zeu- Wichtig wäre etwa der Säuregehalt des Mittlerweile wird im Beau-Rivage ein gen,Vernehmungsprotokolle, Ermittlungs- Rebsaftes. Er ließe Schlußfolgerungen zu Beaujolais des Jahrgangs ’95 serviert. Und in vorgänge. über die Reaktionen im Magen des Trin- der norddeutschen Heimat Barschels ist Er- Warum bekommen die Ermittler nicht kers. Diese wiederum könnten Hinweise mittler Wille mit seiner Ermittlungsgruppe heraus, warum dieser Mann gestorben ist? liefern auf den pH-Wert im Urin. Genf noch immer auf Spurensuche in den Wie kann es einem toten Provinzpolitiker So wären wichtige Informationen zu ge- entlegensten Winkeln seines größten Falles: gelingen, fragen sich Ermittler, „die Profis winnen über die Zersetzungsgeschwindig- Was geschah in der Nacht vom 10. auf den von der Staatsanwaltschaft ein Jahrzehnt in keit von Chemikalien, die mit dem Wein 11. Oktober im Zimmer 317? Atem zu halten?“

44 der spiegel 41/1997 Titel in Barschels Amtszeit, Finanzminister in Rostock war der Umschlaghafen der DDR Bonn. mußte bei für graue Geschäfte mit Embargo-Gütern wichtigen Entscheidungen gefragt werden. und Waffen. Ein Zufall, daß es Biedermann Auch den illegalen Handel mit U-Boot- Barschel immer mal nach Rostock zog? Blaupausen zwischen der Kieler Howaldts- Merkwürdige Selbstquälerei: Der Möllner werke Deutsche Werft AG (HDW) und dem Familienvater feierte sogar seinen Geburts- Rassisten-Regime in Südafrika Mitte der tag mehrfach unter Stasi-Bewachung in achtziger Jahre fingerte die Bonner DDR-Gaststätten. Machtzentrale weitgehend an Barschel vor- Rund ein Dutzend verschiedene Spuren bei.Angebrüllt habe sich der große mit dem zu illegalen Waffen- und Embargo-Ge- kleinen Schwarzen in Kiel, weil er zunächst schäften führen die Lübecker Ermittlungs- nicht eingeweiht wurde, berichten Zeugen. akten auf. Alles, wie der im Streit um die Denn auch dafür war der Mann aus der Eulen- spiegel-Stadt Mölln eine Die Kieler Mischung: ein bißchen Nummer zu klein. Die Politik, ein bißchen Stasi, ein bißchen Weltpolitik fand ohne Bar- Waffenhandel, Weiber und Valium. schel statt, die illegale erst recht. Das große Geheimnis des Uwe Barschel: weitere Verfolgung solcher Spuren zurück- daß er viele kleine Geheimnisse hatte. Eins getretene Generalstaatsanwalt Heribert davon war sein suchtartiger Konsum von Ostendorf betont, Hinweise, denen nur eine Beruhigungstabletten, ein anderes seine Gier „verminderte Beweisbedeutung“ zukommt. nach oberflächlichen sexuellen Kontakten. Eher Gerüchte, Auskünfte vom Hörensa- „Erpreßbar“, sagen die Lübecker Er- gen, journalistische Räubergeschichten. mittler, war er so und so – gerade für die Doch die Masse macht auch die Ermitt- Stasi, die den Kieler Innenminister und spä- ler nachdenklich. Können sich so viele teren Ministerpräsidenten auf seinen zahl- Spinnereien und Räubergeschichten aus losen Lustreisen in die DDR ständig bespit- purem Zufall häufen? Und: Hinweise auf zelt hat, am Tag und besonders in der Nacht. Verstrickungen Barschels gab es nicht erst Das war ja nicht nur Neugier. Eine der nach seinem Tod. Aufgaben der Mielke-Behörde war es Aber als Barschel noch lebte und re- schließlich, die deutsch-deutschen Millio- gierte, wurden solche Tips als reiner Un- nengeschäfte operativ zu unterstützen, die sinn abgetan, zum Beispiel der Hinweis ei- da mit der Kieler Waffenschmiede HDW nes Vermögensberaters aus dem Schwei- liefen, einem Staatsunternehmen. zer Städtchen Fürigen.

DPA Unübersichtliche kleine Geheimnisse, Der Fürigener hatte einem deutschen Kieler Ministerpräsident Barschel (1987)* nicht die große Nummer, haben den rätsel- Steuerfahnder bei einer Vernehmung er- „Glaubt mir denn niemand mehr?“ haften Christdemokraten offenbar mit zählt, „höchste Persönlichkeiten“ aus der dem Waffenhandel verbunden. Wie Bie- Kieler Staatskanzlei hätten ihn um Ver- Rätsel Barschel: Über keinen toten Poli- dermann die Brandstifter, so hatte der mittlungen von Waffengeschäften mit dem tiker seit Kennedy haben so viele so scharf Kieler Ministerpräsident das Waffen-Bu- Iran gebeten. Dumm Tüch, hätte man an nachgedacht wie über den einstigen Kieler siness im eigenen Haus. Da war die HDW, der Waterkant zu solchen Behauptungen Regierungschef. Doch was für ein Vergleich. für deren Auftragslage und Arbeitsplätze gesagt. John F. Kennedy war einer der geheim- der Regierungschef Barschel Verantwor- Doch 1994, als dem Kasseler Steuer- nisvollsten und mächtigsten Männer der tung trug, da war – lächerlicher Zufall? – fahnder die alte Geschichte wieder einfiel, Welt. Uwe Barschel war ein Christdemo- der kleine Flughafen Hartenholm, den sich sah man das etwas anders. Inzwischen hat- krat aus Mölln am Elbe-Lübeck-Kanal. später dubiose Geschäfts- ten verschiedene Tips des „Das Dunkel“, das der Anwalt der Bar- leute unter den Nagel ris- Schweizers in anderer Sa- schel-Hinterbliebenen, Justus Warburg, sen: Iraner, amtsbekannt che sich als verblüffend über der Sache sieht, ist gerade deshalb so als Ausrüster der nahöstli- zuverlässig erwiesen. undurchdringlich, weil Barschel so ein klei- chen Kriegsarsenale. Die Kieler Mischung: nes Licht war. Da gab es halbseidene Ein bißchen Politik, ein Große Schurken und große Politiker ha- Gegengeschäfte mit Alex- bißchen Stasi, ein bißchen ben klare Pläne und illustre Gegner; das ander Schalck-Golod- Waffenhandel, Weiber macht es leicht, über sie zu urteilen. Bar- kowskis DDR-Außen- und Valium, das hat etwas schel aber war nichts von beidem so rich- handelsimperium. Das Bedrohliches, einen ran- tig – und wohl doch von jedem ein bißchen, Kreuzfahrtschiff „Astor“ zigen Mafiageruch. Das ist eine besondere Kieler Mischung. beispielsweise kaufte eine zugleich das Klima, in Die Recherchen im Vorleben des westdeutsche Reederei dem Männer wie Reiner schmächtigen Kieler Provinzfürsten mit für kurze Zeit von Süd- Pfeiffer und Gert Postel dem doppelten Doktortitel führen überall afrika. Die HDW motzte ihre Chance wittern. hin – nur nicht in die große Politik. es unter dem Namen „Ar- Der ehemalige Springer- Regieren durfte Barschel nie so richtig. kona“ für den Endabneh- Journalist Pfeiffer und Das große Wort hatte immer der große mer DDR auf. Die Um- wahrscheinlich auch sein Stoltenberg, einst Landesvater und, baukosten sind nie Freund, der mehrfach ver- berechnet worden – was urteilte Betrüger und

* Auf seiner „Ehrenwort-Pressekonferenz“ am 18. Sep- war die Gegenleistung M. SCHRÖDER / ARGUM Hochstapler Postel, haben tember. Schalck-Golodkowskis? Lübecker Ermittler Wille den Kieler Geheimniskrä-

der spiegel 41/1997 45 mer 1987 in die „Waterkantgate-Affäre“ ge- ritten. Es sei nicht beweisbar, so befand 1995 der 2. Untersuchungssauschuß kompakt auf 600 Seiten Abschlußbericht, daß Barschel an den schmutzigen Tricks seines Medienrefe- renten Pfeiffer beteiligt war. Der große Drahtzieher war der kleine Doktor offenbar auch hier nicht – wenn auch der politisch Verantwortliche. Zudem war die Aktion schon deshalb ein Reinfall, weil verschie- dene SPD-Leute vorher eingeweiht waren. Nichts ist einfach im Dunstkreis Bar- schels. Hätte er die Verantwortung für eine Affäre, die wirklich das Wortspiel mit Wa- tergate erlaubte, dann hätte er nach sei- nem Tod zumindest eines hinterlassen: ein klares Selbstmordmotiv. Doch Barschel war ein Inszenierer und Barschel auf Gran Canaria*: „Steif und formell“ Kulissenschieber. Er hat ein Durcheinander von Geheimnissen, Erfindungen und Be- schuldigungen hinterlassen, Nährboden für immer neue Szenarien und Geschichten. Selbst der Bundeskanzler kommt darin vor. Das war auch der Grund, warum jüngst den Kieler Justizminister Gerd Walter anrufen ließ, um sich über den Eifer der Lübecker Barschel-Ermittler zu be- schweren. Auch im Kanzleramt gelten die Barschel-Akten noch immer als spannende Lektüre. Und mit Befremden hatte Kohl zur Kenntnis genommen, daß die Hintermänner einer angeblichen Verschwörung gegen den Kieler Ex-Ministerpräsidenten in des Kanz- lers Freundeskreis gesucht wurden. Willes Aufklärer, nicht zu bremsen, stei- gen der heißen Geschichte immer noch nach: Der Anfang September in Baden-Ba- den verhaftete Mafioso Sabatino Ciccarel- li soll sich im Juli 1987 in Bonn in einem Re- staurant mit Verschwörern von der CDU getroffen haben. Die Unionschristen hätten den angeblichen Mafia-Mann um Hilfe bei der Beseitigung Uwe Barschels gebeten. Schon die Verschwörerliste macht deut- lich, daß im Kopf irgendeines der Beteilig- ten etwas durcheinandergegangen sein muß. Der damalige Bonner Oberbürger- meister Hans Daniels habe dabeigesessen, ebenso der von Barschel kaltgestellte Kie- ler Regierungssprecher Gerd Behnke. Als Ciccarelli-Vertraute stand ebenfalls auf der Liste eine Frau, „die dem Freundeskreis in der Familie von Bundeskanzler Helmut Kohl zugehört“ (Ermittlungsakten). Die Geschichte bekommt etwas Gewicht, weil der Zeuge, der sie den Er- mittlern zugetragen hat, der Ex-Mafioso Vincenzo Esposito, ein ansonsten zuver- lässiger Informant der deutschen Mafia- Ermittler ist. Das Bundeskriminalamt hat ihn unter Zeugenschutz gestellt. Espositos Aussage ist es zu verdanken, daß auch Ciccarelli kürzlich verhaftet werden konnte.

* 1984 bei der Einweihung eines Denkmals zur Eröffnung der Hotelanlage Bahía Feliz, mit spanischen Gastge- M. ZUCHT / DER SPIEGEL bern. Barschel-Urlaubsdomizil auf Gran Canaria: Partys auf dem Löwenhügel

46 der spiegel 41/1997 Titel Vielleicht ging es bei der Verschwörung heimen Botschaften, die Spuren, die zu erkannte ihn sofort. „Ein bißchen gestreßt gar nicht um Barschel, hat Esposito da et- Barschels letztem Geheimnis, seinem Tod sah er schon aus.“ Sie wußte es aus der Zei- was falsch verstanden? Nein, ganz be- in der Wanne führen. Oder sie erweisen tung. „Irgendwas war da, mit seinem Eid.“ stimmt, beharrte der Zeuge, er habe sich sich als seine letzte Finte, mit der er sich er- Da war was: Das „Ehrenwort“ vom 18. den Namen Barschel gemerkt, weil er so trickste, daß wenigstens sein schwarzes September, er habe mit Reiner Pfeiffers ähnlich klinge wie eine Salatmayonnaise, Ende eine Spur in der Geschichte hinter- schmutzigen Tricks nichts zu tun, hatte sich die er besonders schätze. läßt. in wichtigen Punkten als unwahr erwiesen. Ein paar Tage später tauchte Esposito So oder so enthüllen die letzten drei Barschel hatte von seinem Amt zurück- abermals bei den Ermittlern auf, diesmal Tage im Leben des Uwe Barschel die treten müssen – und nun war er da, geflo- hatte er die Mayonnaisen-Flasche dabei. Tragödie eines gescheiterten Politikers. hen aus dem Kieler Hexenkessel, nur we- Da, bitte: „Becel“. Italienisch spricht man Die Spurensuche beginnt im Sand. Der nige Vertraute kannten sein Urlaubsziel, den Markennamen wie „Betschel“ aus. schwarze Sand am Strand von Bahía Feliz, die Telefonnummer hatte er im verschlos- Batschel wie Betschel, na ja. einer Ferienanlage auf Gran Die Mayonnaisen-Spur ist leider noch Canaria, ist aus Vulkangestein schlechter, als sie klingt. Becel, so erfuhren und färbt nicht ab. Doch er Niemand kann sich erinnern, die Barschel-Forscher, ist mit seinem klebt an den Füßen wie Koh- den prominenten Bewohner von Nr. 12 Salatdressing erst seit 1990 auf dem lenstaub. Und wer am Swim- gesehen zu haben. Markt. mingpool des Hotels „Orquí- Rätsel Batschel. Nun will sich Wille auf dea“ vorbei ins Restaurant den Weg nach Italien machen, um Er- läuft, hinterläßt schwarze Spuren wie ein senen Couvert seinem Staatskanzleichef leuchtung bei den Hintermännern des ver- Schornsteinfeger im Dienst. Hans-Günter Hebbeln hinterlassen. Ein hafteten Ciccarelli zu suchen. Ein Mord- Hier tappelte er abends lang, Uwe Bar- Wendepunkt in seinem Leben. Barschel komplott der eigenen Partei gegen den lä- schel, wenn er zum Essen ging. Er war im wollte seine Ruhe. stigen Trickser aus Kiel? „Bei Barschel“, so Haus seines Freundes Rolf Lechner, des „Ich habe versucht, ihn in Ruhe zu las- lautet der Ratschluß der Ermittler, „kann Berliner Bauunternehmers, oft zu Gast. sen“, sagt Gisela Sanchez. Sie setzte das man nie wissen.“ Vom Hinterausgang des Ferienhauses in Ehepaar an der Autozufahrt zu der Anla- Sogar Kriminalisten geht es so, daß sie ir- den Felsen hoch über dem Meer eine stei- ge „Villas Atlanticas“ ab. Die Barschels gendwann Mitgefühl, manchmal sogar Mit- le Treppe hinunter, ungesehen von den wohnten in Nummer 12. Und Frau Sanchez leid mit ihren Opfern bekommen. Doch Gästen der schlichteren Ferienapparte- hatte für den Flüchtling Barschel noch eine der Ministerpräsident a. D. läßt auch nach ments, ins anonyme Getümmel des Ho- gute Nachricht: „Es wird Sie niemand seinem Tode solche Gefühle kaum auf- telrestaurants: „Er mochte halt nicht so stören. Das Telefon ist kaputt.“ kommen. Wie er starb, ob er litt – das hat gern den Kontakt zu den Gästen, er hat Den ganzen folgenden Tag, Mittwoch, nach zehn Jahren Spurensuche bald den immer einen Bogen um die Anlage ge- den 7. Oktober, war Barschel telefonisch Charakter einer Denksportaufgabe, nichts macht“, berichtet die Leiterin der Ferien- nicht erreichbar. Niemand kann sich erin- mehr von Tragik. siedlung, Gisela Sanchez: „Und im Meer nern, den prominenten Bewohner von Nr. Da ist Barschel vor, der Mann, der, gebadet hat er auch nie.“ 12 gesehen zu haben. wenn’s paßte, so gern weinte. Nichts hat Frau Sanchez kannte den Gast seit Jah- Er habe sich entspannt, aber schlecht ge- der Geheimnisträger aus sich herausgelas- ren, ein merkwürdiger Gast, den merkte schlafen, viel gelesen, sagt seine Frau sen – selbst seine Ehefrau Freya berichtet man sich: „Der war immer so komisch steif Freya. Und um sich dabei zu helfen, habe pietätvoll von seiner Kälte: Nein, sie habe und formell – auch im Urlaub.“ er die Tavor-Dosis noch ein wenig erhöht. nichts von dem gewußt, was in den letzten Natürlich trug er Schlips und dunklen An- Frau Barschel wußte möglicherweise Tagen in ihrem Mann vorgegangen ist: „Er zug, als er am Abend des 6. Oktober 1987 um nicht, wieviel ihr Mann damals schluckte: erzählte ja nie etwas.“ 20.35 Uhr mit seiner Frau aus dem Iberia- vier Tabletten am Tag im Durchschnitt. Ta- Auf dem unbenutzten Bett im Hotel- Flugzeug kletterte und im Flughafen von Las vor ist ein starkes Medikament, etwa fünf- zimmer 317 lag am Morgen des 11. Oktober Palmas zum Kofferband strebte. Unter der mal so stark wie Valium. Eine Menge, die aufgeschlagen eine deutsche Ausgabe der Menge der Ankömmlinge im Urlaubslook nach Ansicht von Experten von schwerer gesammelten Erzählungen von Jean-Paul muß er leicht herauszufinden gewesen sein. Sucht zeugt. Sartre. Das Buch lag auf Seite 98, mitten in Frau Sanchez jedenfalls, die den Gast auf Auch Valium 5 nahm Barschel auf Re- der Erzählung „Herostrat“. Bitte von Lechner vom Flughafen abholte, zept seines Hausarztes Dr. Tjan Thian-Fong Der Namensgeber der Sar- seit seinem Rücktritt vor fünf tre-Geschichte war ein trauri- Tagen. Und in die Reiseapo- ger Held der Griechen. Im Jah- theke hatte der Doktor dem re 356 vor Christus zündete er Ex-MP noch Ärztemuster des einen Tempel an, um – was ihm Beruhigungsmittels Diazepam gelang – wenigstens auf diese und den Müdemacher Azu- Weise in die Weltgeschichte tranquil gepackt, für alle Fälle. einzugehen. Vielleicht war dieser Mitt- Hat Barschel denen, die woch wirklich der letzte Ur- nach seinen Spuren suchen, laubstag im Leben Barschels: eine Botschaft hinterlassen? ein Tag zwischen Bougain- Oder war es wieder nur ein villeen und Palmen im Liege- Trick, die Inszenierung der Ge- stuhl am kleinen Pool. Einmal schichte von jemandem, der im sei ihr Mann zum Strand ge- Tode noch bei den Philosophen gangen, erzählt seine Frau: die nachliest? diskrete Hintertreppe runter, Das aufgeschlagene Buch: vorbei an der Dusche, die heu- So waren die letzten Tage im te so alt aussieht, als hätte sie

Leben des Uwe Barschel. Ent- FOTOARCHIV D. EISERMANN / DAS damals schon getropft, drüber weder finden sich hier die ge- CDU-Politiker Stoltenberg, Barschel (1987): Barschel oder Betschel? das verrostete Schild, das die

der spiegel 41/1997 47 Titel lows und einer brülligen Autobahn, ver- rottete Tomatenfelder im Rücken. Was suchte Barschel auf dieser ständig schwülen Insel? Heißt das Stichwort auch hier wieder Waffenhandel? Da gibt es Hotelportiers, die versichern, sie hätten Barschel zusammen mit Kaschog- gi gesehen. Dumm Tüch. Und der Geld- koffer, den Barschel mit seinem Diploma- tenpaß nach Informationen spanischer Er- mittler von Gran Canaria in die Schweiz ge- bracht haben soll? Aberwitzig.Aber: Solche Legenden gedeihen auf einer Insel, die sich für Agentengeschichten jeder Art zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes bald so gut eigne- te wie etwa das damals geteilte Berlin. Denn Gran Canaria ist ebenso wie Ber- lin ein Stützpunkt des legalen und illegalen Ost-West-Geschäfts gewesen. Auf der Insel hatte die Hochseeflotte der UdSSR ihren größten Stützpunkt auf nichtsozialistischem Boden. Und jedem ordentlichen Geheim- dienst-Chef leuchtete es ohne weiteres ein, daß in den Sowjet-Kühlhäusern auf der In- sel nicht nur Fischstäbchen auf Eis lagen. In den Akten der Lübecker Ermittler fin- det sich der Hinweis, daß 1987, kurz vor

M. ZUCHT / DER SPIEGEL Barschels letztem Urlaub, der ostdeutsche Barschel-Freund Jessen: „Der wirkte etwas fertig“ Staat in Las Palmas eine Firma gegründet hat: ein Unternehmen mit dem weltläufi- Benutzung dem Surfclub vorbehält: habe der Steinmetz die Gedenktafel um- gen Namen International Atlantica Cana- „Members only“. metzeln müssen, weil die Staatskanzlei in ria. Geschäftszweck: das Vermakeln von Barschel war hier ja wirklich so eine Art Kiel am Text wieder und wieder herumre- DDR-Schiffen. Member. Der Kieler gehörte zu einer Her- digiert habe. Später hat dann der örtliche Das ist plausibel, der Firmengründer war renrunde um den Baulöwen Lechner, die Tui-Chef einen Kranz für den toten Dr. Dr. ein rühriger Manager im Ost-West-Ge- sich hier regelmäßig traf. Die Deutschen an der Tafel niederlegen lassen. schäft mit großen Kähnen: der Rostocker kamen nicht nur zur Urlaubszeit, sondern Uwe Barschels Hinkelsteine dokumen- Chef des DDR-Unternehmens „Schiffs- ebenso im Januar, wenn in Spanien das tieren trefflich die Zusammenhänge von commerz“, Claus-Dieter Junge, in der Ber- Dreikönigsfest gefeiert wird. Von wilden Politik und Kommerz auf der Kanaren- liner Gauck-Behörde auch bekannt als Sta- Gelagen berichten Mitarbeiter der Anla- insel, wie sie sich auch in der Topographie si-Agent „Tonio Kröger“. ge, von Prostituierten, die die Herren sich niederschlagen. Gegenüber dem Bau- Junge, der bei staatsanwaltschaftlichen mit dem Auto aus Las Palmas kommen löwenhügel ist der richtige Löwenhügel, Vernehmungen beteuert, mit Barschel nie- ließen – „zwei Weiße, eine Schwarze“. der Monte León, auf dem die Politik zu mals etwas zu tun gehabt zu haben, war Natürlich war Barschel zu solchen Ver- Hause ist. gleichwohl in Kiel gut bekannt. Er war der anstaltungen ohne seine Familie angereist. Da machen Minister aus Madrid Urlaub, Mann, der im Auftrag des DDR-Devisenbe- Und der Schwarzkopf-Manager Karl- da ist Helmut Schmidt zu Gast, da hat Ju- schaffers Alexander Schalck-Golodkowski Josef Ballhaus, der seinem Freund und Mi- stus Frantz sein Haus, der Musiker, der wie- den dubiosen Deal mit HDW um die nisterpräsidenten die Bespitzelung Eng- derum Politik, Kommerz und Kunst fein ver- „Astor“ alias „Arkona“ durchgezogen hat. holms bezahlt hat, begleitete ihn mehrfach. binden kann. Auch der weltbekannte Waf- Geheimdienstinformationen besagen, Die Männerfreundschaften, die hier ge- fenhändler Adnan Kaschoggi unterhält hier daß Junges weltläufige Firma auf Gran schlossen wurden, haben ihre Spuren hin- einen Wohnsitz. Natürlich terlassen. Noch heute können die Feri- ist er nie zu sehen. engäste aus Schweden und England, die Barschel strebte stets Gran Canaria ist ebenso wie Berlin das Hotel „Orquídea“ regelmäßig besetzt zum Löwenhügel, über Ju- ein Stützpunkt des legalen und illegalen halten, in der Nähe des Swimmingpools stus Frantz, mit dem er da- Ost-West-Geschäfts gewesen. ein Monument bewundern, das aussieht heim das Schleswig-Hol- wie eine eilig aus Beton gegossene Hin- stein-Festival organisiert kelstein-Sammlung. Jeder Hinkelstein soll hatte, fand er den Zugang zu Partys, auf Canaria nicht nur DDR-Schiffe vermakelt eine Provinz Spaniens verkörpern. denen es keine Parteien mehr, nur noch habe, sondern auch Embargo-Geschäfte Eine in grauen Fels gehauene Tafel er- Deutsche gab.Auf Erinnerungsfotos sitzen betrieb. klärt den Sinn: Da habe zur Eröffnung des fröhlich zusammen der Sozialdemokrat Biedermann und die Waffenhändler: Ist Hotels 1984 ein Treffen spanischer Regio- Helmut Schmidt, der Manager Ballhaus es Zufall, daß sich am schwarzen Strand nalpolitiker stattgefunden – im Beisein des und ein Mitglied aus Barschels Kabinett. von Gran Canaria dieselbe Kieler Gesell- Bauherrn Rolf Lechner und des Dr. Dr. Merkwürdige Runde. Da besiedeln er- schaft wiederfindet – wenn auch bei schö- Uwe Barschel, Ministerpräsident eines folgreiche Männer eine Oase des Billig- nerem Wetter? Landes hoch oben im Norden, wo der At- tourismus am schwarzen Strand von Bahía Die Gran-Canaria-Mischung wird berei- lantik Nordsee heißt. Feliz. Sie verbringen ihre besten Tage auf chert durch einen Namen, der in Barschels Mehrfach, erzählt einer der Organisato- einem kargen Fleckchen mit künstlich be- letzten Tagen immer wieder irgendwo auf- ren des Public-Relations-Treffens von 1984, wässertem Rasen zwischen Schlichtbunga- taucht: Werner Mauss. Der Geheimagent

50 der spiegel 41/1997 Titel

Urlauber Barschel auf Gran Canaria (im Frühsommer 1986): Zwei Weiße, eine Schwarze hatte ein paar Jahre zuvor häufig auf der Jessen ist überzeugt, daß Barschel nicht Jedenfalls, so beschloß der Untersu- Insel zu tun. Im Auftrag deutscher Ermitt- freiwillig aus dem Leben geschieden ist. chungsausschuß am Donnerstag früh, müs- ler und im Einvernehmen mit der spani- Der deutschstämmige Kanarier war in se Uwe Barschel aus dem Urlaub vorzeitig schen Regierung versuchte er von hier aus, Barschels letzten Tagen Dolmetscher, Tele- zurückkehren und sich verantworten. die MPAIAC zu unterwandern, eine Terror- fonist und guter Geist der Ferienanlage Zur gleichen Zeit, morgens um acht, ge- organisation, die die Unabhängigkeit der Bahía Feliz. Jessen kann sich genau an den lang es in der Kieler Staatskanzlei Barschels Kanarischen Inseln von Spanien betrieb Tag erinnern, an dem alles über Barschel Sekretärin Brigitte Eichler endlich, in Gran und mutmaßlich Kontakte zu deutschen hereinbrach: Donnerstag, der 8. Oktober – Canaria durchzukommen. Sie hatte die Terroristen hatte. „da habe ich ihn das letzte Mal gesehen“. Nummer der Bahía-Feliz-Verwaltung auf- Auch für andere Einsätze hatte der deut- An diesem Donnerstag war das Telefon getrieben, wo Frau Sanchez residierte. Am sche Privatdetektiv mit den vielen Pässen in der Villa Lechner immer noch kaputt. Telefon meldete sich Oscar Jessen. seine Basis auf Gran Canaria. Sonst hätte es wohl schon in aller Frühe „Ich wußte gar nicht, daß der Doktor Hier warb er eine Mitarbeiterin, die für ständig geläutet. Denn in der Heimat war da war“, berichtet Jessen, „und nun soll- ihn später jahrelang die deutsche Linken- ein Sturm losgebrochen. te ich ihn ganz schnell ans Telefon brin- Szene ausspionierte. Kontakte machte der Die bild-Zeitung erschien an diesem gen.“ Jessen schickte einen Mitarbeiter Dunkelmann auf der schattigen Terrasse Tag mit der Schlagzeile: „Sensation in Kiel des Wachdienstes der Ferienanlage den des Hotels „Reina Isabel“ in Las Palmas. – Barschel unter Verdacht“. Am Vortag hat- Hügel rauf zur Villa Nr. 12, um Barschel zu Auf eben dieser Terrasse spricht Oscar Jes- te Finanzminister Roger Asmussen uner- alarmieren. wartet eingeräumt, Barschel Der Verwaltungstrakt ist ein ganzes Stück habe wohl schon im Februar weg vom Baulöwen-Hügel, und so verging „Ein Mann fragte nach Dr. Barschel, den Finanzstaatssekretär die Zeit, während Jessen seinen Telefon- er bat um Rückruf, es war eine Nummer Schleifer angerufen und sich dienst in der Zentrale weiter verrichtete. mit Schweizer Vorwahl.“ erkundigt, was aus der an- Noch bevor Barschel eintraf, erzählt Jessen, onymen Steueranzeige gegen sei ein zweiter Anruf für ihn gekommen: Björn Engholm geworden sei. „Ein Mann fragte nach Dr. Barschel, er bat sen Ramirez, 70, über seinen Freund Uwe Von der Anzeige, die den SPD-Spit- um Rückruf.“ Jessen notierte die Nummer Barschel. Die leise Musik, die aus der Hal- zenmann zu Unrecht der Steuerhinterzie- – natürlich weiß er sie nicht mehr, aber er le des Luxushotels dringt, das Rauschen hung bezichtigte, habe er erst aus dem ist sicher: „Es war eine Nummer mit des Atlantiks, der an den hier ausnahms- spiegel erfahren, hatte Barschel noch auf Schweizer Vorwahl.“ Das hat sich der Dol- weise weißen Strand vor den Tischen der Ehrenwort-Pressekonferenz versichert. metscher schon deshalb gemerkt, weil „ko- schlägt, überdecken diskret die Gespräche. Und nun erinnerte sich Finanzminister mischerweise der Anrufer hochdeutsch „Sie haben den Doktor in die Wanne ge- Asmussen plötzlich, was Schleifer ihm sprach – und nicht schweizerdeutsch“. legt“, sagt der Rentner und nickt mit sei- von einem Telefonat mit Barschel erzählt Jessen schrieb einen Zettel mit der nem freundlichen, großen Gesicht. hatte. Schweizer Nummer und legte ihn für Bar-

54 der spiegel 41/1997 schel zu dem Zettel mit der Kieler Rückruf- Deshalb ist es so wichtig, den Anruf aufzu- Bitte. Als Barschel kam, war nicht mehr klären. viel Zeit zur Begrüßung. Jessens berühmter Freya Barschel, später befragt, ob sie Freund sagte nur schnell, er habe nachher sich erinnern könne, sagt: „Mein Mann hat noch „eine persönliche Bitte“. Dann mir an diesem Tag erzählt, daß dieser In- schnappte er sich die Zettel und setzte sich formant aus der Schweiz angerufen habe.“ – wie er das schon früher öfter getan hatte Daß dieser Anruf Bedeutung haben – zum Telefonieren in eins der freien Büros. mußte, wurde der Ehefrau schon gleich Von seiner Telefonzentrale aus sah Jes- nach dem Tod ihres Mannes klar: Die Büro- sen, daß vom Apparat hinter der ver- chefin Sanchez erinnert sich, daß Frau Bar- schlossenen Tür ein sehr langes Telefonat schel am Sonntag aufgelöst zu ihr gekom- geführt wurde. Vermutlich hat Barschel men sei und sich nach dem Schweizer An- sich mit seinem Kanzleichef Hebbeln ver- ruf erkundigt habe. Gemeinsam hätten sie binden lassen und sich über das Desaster dann nach Jessens Zettel gesucht, alle Pa- daheim informiert. pierkörbe ausgeleert, sogar die Putzfrau Dann, erinnert sich Jessen, ging die Tür angerufen. Der Zettel ist nie wieder auf- auf, Barschel guckte heraus und machte getaucht. ein Zeichen, er müsse noch mal telefonie- Als Barschel am Donnerstag die Bürotür ren. Tür wieder zu – nun offenbar die wieder öffnete, wirkte er allerdings keines- Nummer in der Schweiz. Bis heute ist über wegs erleichtert. Das zweite Gespräch sei re- dieses Gespräch nichts bekannt. Spekula- lativ kurz gewesen, erinnerte sich Jessen, tionen sind erlaubt. und der Doktor habe hinterher nicht gut ausgesehen: „Der wirkte etwas fer- tig.“ Also verlangte er, typisch Bar- schel, nach ein paar Pillen. Er kön- ne schlecht schlafen, erklärte er Jessen, er brauche ein Schlafmittel. Der treue Jessen half. Er be- auftragte eine Angestellte des Hotels Orquídea, bei Manuel Fer- reres Gimenez anzurufen. Ferre- res war der Betriebsarzt der An- lage. Wenn ein Mitarbeiter für „ei- nen wichtigen Kunden, der nicht schlafen kann“, etwas braucht, dann wußte Ferreres schon, wor- um es ging, auch wenn er den Pa-

M. ZUCHT / DER SPIEGEL tienten nie gesehen hatte: „Ich Hotel-Chefin Sanchez meinte, ihm Noctamid verordnen „Der hat hier ein Verwirrspiel gemacht“ zu sollen“, erklärte Dr. Ferreres später der Polizei. VERSION EINS Am Telefon war Eike Barschel, der Während die Orquídea-Mitarbeiterin Bruder mit Wohnsitz in Yens bei Genf, gebürtig wie sich um die Arznei bemühte, hielt Barschel Uwe in Berlin-Glienicke, also frei von jedem Gisela Sanchez’ Büro in Atem. Er bestell- Schweizer Dialekt. Bruder Barschel war zu dieser te einen Flug nach Zürich und wahr- Zeit Finanzchef des Deutsch-Schweizer Techno- scheinlich weiter nach . Und die logie-Konzerns Wild Leitz. Auch Waffentechnolo- Sekretärin Rena Helene Menke meinte sich gie gehörte zu dessen Programm. Eike könnte zu später zu erinnern, er habe auch gesagt, Bruder Uwe gesagt haben: Es gibt dringenden warum: Weil er jemanden in der Schweiz Gesprächsbedarf wegen Geschäften, an denen treffen müsse. Es ist aber auch denkbar, du und ich Interesse haben. Deine Schwierig- daß er von dem geplanten Treffen erst am keiten in Kiel könnten Auswirkungen auf meine Nachmittag erzählt hat. Pläne haben. Bitte komm her und laß uns reden. Dann setzte der ehemalige Ministerprä- sident ein bitteres Fernschreiben an den Hat Eike Barschel an diesem Donnerstag Finanzminister Roger Asmussen auf, das in Gran Canaria angerufen? Der Bruder be- Frau Menke umgehend abschrieb und nach streitet das. Kiel schickte:

VERSION ZWEI Am Telefon ist ein Mann, der sich Lieber Roger, „Roloff“ nennt, obgleich er zu erkennen gibt, daß ich habe von Deiner Aussage telefonisch er eigentlich anders heißt. Er gibt sich als Be- erfahren, ich bin sehr bestürzt, nicht etwa, kannter Reiner Pfeiffers aus und bietet Barschel weil ich Deine Lauterkeit anzweifele, Du an, bei einem Treffen in der Schweiz Entla- hast sicher nach bestem Wissen ausgesagt. stungsmaterial zu liefern. Aber warum hast Du mir von Deiner Er- innerung an Dein Telefongespräch mit Version zwei wäre der erste und einzige Schleiffer in den letzten Wochen während Hinweis auf die Existenz Roloffs, der nicht der vielen Treffen mit mir nie etwas ge- allein auf Behauptungen Barschels fußt. sagt? Warum bist Du nicht zu mir gekom-

der spiegel 41/1997 55 men? Du weißt doch: Ich habe mein Eh- renwort gegeben und an Eides Statt versi- chert, daß ich von der Anzeige erst aus dem SPIEGEL erfahren habe. Ich weiß nicht, was Schleiffer aussagen wird. Wenn er sich so erinnert wie Du, warum ist er nicht zu mir gekommen? Er hat sich sogar noch vor seinem Urlaub von mir persön- lich in meinem Amtszimmer verabschie- det. Aber er hat mit keinem Wort erwähnt, daß er früher einmal mit mir über die An- zeige gesprochen hat. Das stimmt auch nicht. Ich bin sehr betrübt und hoffe, daß sich schnell alles aufklären wird.

Es sei, erinnert sich Jessen, ziemlich schnell ein Telex zurückgekommen. Eine Antwort von Asmussen? Ungeklärt: Bar- schel habe sich nicht nur die Antwort, son- dern auch alle Durchschläge von der Te- lexrolle reißen lassen und mitgenommen. Gefunden wurde der Text nie. M. ZUCHT / DER SPIEGEL Apotheker Hussein, Barschel-Rezept (l.): Ein wichtiger Kunde, der nicht schlafen kann

Der kleine, schmächtige, traurige Bar- „Er hat mir zum Abschied gesagt, er schel umarmte den bärengroßen Jessen, so kommt bestimmt nach San Mateo.“ Der – fest er konnte. Das hatte der noch nie sich umgebracht? – Niemals. gemacht. Noch am Vormittag, Jessen war zum Jessen und Barschel kannten sich seit Kofferpacken verschwunden, das Nocta- Jahren. Der Prominente aus Deutschland mid-Rezept war an der Hotelrezeption ab- Mittlerweile war es gegen elf Uhr. Der behandelte den ehemaligen Angestellten gegeben worden, machte sich Barschel zu Gast agierte noch immer im Bürotrakt. des Konsulats in Las Palmas freundlich, Fuß auf den Weg zur Apotheke. „Barschel war ein wichtiger Gast“, erklärt aber von oben herab. Jessen war stolz auf Das ist schon ein Stück am Meer ent- Frau Sanchez, „er konnte hier schon Un- die Zuwendung des Politikers. „Für Dr. lang, der Appartement-Komplex, in dem terstützung erwarten.“ Auch bei früheren Barschel“, sagt er heute noch, „tue ich al- Mahmoud Hussein Dib El-Hussein seine Besuchen hat Barschel oft Frau Menke für les.“ Medikamente verwaltet, gehört zu einer sich arbeiten lassen. Telefonkosten wurden Wenn Barschel in der Villa Lechner anderen Ferienanlage. Hätte er nichts dem Freund des Miteigentümers Lechner residierte, dann durfte Jessen ihn oft zur Wichtigeres zu tun gehabt? Seiner Frau zu natürlich nicht in Rechnung gestellt. Siesta besuchen. Gemeinsam tranken sie berichten von den erschütternden Neuig- Während sich Frau Menke um einen Flug dann einen Rotwein im schattigen Patio keiten aus Kiel? Das Schweizer Telefonat? nach Zürich bemühte, rief Barschel erneut in des Hauses. Dazu gab es Tapas. Der Dok- Wollte er nicht wenigstens mal Mittag Kiel an und ließ seinen Rechtsberater, den tor erzählte dem Dolmetscher dann etwas essen? Professor Erich Samson, aus der Sitzung des übers Leben – „Politik ha- Untersuchungsausschusses herausrufen. Das ben wir nur gestreift“. Gespräch muß, folgt man Samson, be- „Ich muß nach Kiel, für Der kleine, schmächtige, traurige drückend gewesen sein. ein paar Tage, ein paar Din- Barschel umarmte den bärengroßen Der Rechtsprofessor machte Barschel ge richtigstellen – und dann Jessen, so fest er konnte. das ganze Ausmaß der Affäre deutlich – komme ich zurück.“ Dies, falsches Ehrenwort, falsche Eidesstattliche erinnert sich Jessen und Erklärungen, Strafverfahren, sogar dro- nickt heftig mit seinem dicken Kopf, habe Die Gier nach Tabletten muß übermäch- hender Parteiausschluß. Barschel, berichtet der Freund zum Abschied gesagt. tig gewesen sein. Und möglicherweise ging Samson, habe am Telefon geweint. Jessen hat mit seiner Frau eine Finca in der Pillenvorrat aus Kiel schon zu Ende. Auf die anwaltlichen Ratschläge des Pro- San Mateo in den Bergen. Dem Bürger- Noctamid ist kein Stoff, mit dem sich einer fessors, daß man den Vorwürfen ja einiges meister des Dorfes hatte Oscar Jessen Ra- wie Barschel hätte umbringen können. Der entgegenhalten könne, soll Barschel geant- mirez noch am selben Tag eine streng ver- Wirkstoff Lormetacepam – später auch in wortet haben: „Meinen Sie, das bringt noch trauliche Mitteilung gemacht: In wenigen Resten im Körper des Toten gefunden – was?“ Tagen schon werde der bekannte Politiker gehört zur selben Gruppe wie die Chemi- Jessen mußte weg, bei aller Freundschaft. aus Deutschland auf die Insel zurückkeh- kalien, die sich in Tavor oder Valium finden. Er wollte seine Frau auf eine Pilgertour ren und dann ihn, Oscar Jessen Ramirez, Wer nach diesen Tranquilizern süchtig nach Lourdes begleiten und dazu das Flug- auf seiner Finca in San Mateo besuchen. ist, verträgt schadlos große Rationen. zeug aufs Festland nehmen. Zum Abschied Der Bürgermeister möge schon mal die Der Fremde, der in den frühen Mittags- geschah etwas, was Jessen verblüffte. notwendigen Vorbereitungen treffen. stunden in die Apotheke kam und den der

60 der spiegel 41/1997 Titel Apotheker Hussein auf Bildern annähernd sicher als Barschel wiedererkannte, habe höflich „Buenos días“ gesagt und das Re- zept für eine 20er-Packung des Beruhi- gungsmittels vorgelegt. Dann habe der Kunde plötzlich gefragt, ob er davon noch eine Schachtel mehr haben dürfe – ohne Rezept. Natürlich habe Hussein abgelehnt. Irgendwann nach dem Ende der Mit- tagspause erschien der Problemgast dann wieder in der Ferienanlage bei Frau Men- ke. Was mit dem Ticket sei. Leider sei Zürich am Samstag schon aus- gebucht, sagte Frau Menke. Daraufhin Bar- schel etwa: „Egal, dann eben ein Flug über Madrid oder Genf, der, den ich treffen will, kommt überall hin.“ Da ist er: „Der, den ich treffen will.“ Wo kommt er plötzlich her? Wenn es nicht der Anrufer aus der Schweiz war, welche anderen Anrufe hat Barschel an diesem Tag noch bekommen? Sie müssen ja alle über das Sekretariat von Frau Sanchez gelaufen sein. Eike Barschel, der Bruder, der sich im nachhinein auf die Spurensuche nach dem mutmaßlichen Mörder machte, erzählt: „Am Donnerstag nachmittag hatte mein Bruder ein oder mehrere Ferngespräche mit einem Dritten. Das waren lange Fern- gespräche.“ Bruder Eike kann seine Weisheit nur von Freya Barschel haben. Ihr Mann, bestätigt die, habe an diesem Nachmittag vom An- rufer Roloff erzählt. Niemand in der Verwaltung, sagt im nachhinein Frau Sanchez, könne sich erin- nern, daß Barschel mit einem Roloff jemals telefoniert habe – weder an diesem Nachmittag noch sonst irgend- wann. Unendlich oft sei sie ja danach ge- fragt worden. Frau Sanchez, die heute noch Chefin der Anlage ist, kannte ihren Gast gut genug, um zu wissen, „daß der hier ein Verwirr- spiel mit allen gemacht hat“. Der steife Mann mit den kleinen Geheimnissen habe „den Roloff doch nur erfunden“. Darum, sagt Gisela Sanchez, habe sie damals „die ganze Sache gleich als Selbst- mord abgelegt“. Also: Genf. Frau Menke buchte nach- mittags die Verbindung für den Samstag, die Barschel sich dann auch in seinen Ter- minkalender notierte:

10.30 Uhr ab Las Palmas IB 554 15.15 Uhr an Genf und weiter für Sonntag, den 11.: 11.00 Uhr ab Genf LH 1855 nach 13.15 Uhr ab Frankfurt LH 065 14.30 Uhr an Hamburg

Und so schrieb er es auch in einem Te- lex an Hebbeln in Kiel, als er am nächsten Morgen, es war der 9. Oktober, wieder bei Frau Menke auftauchte:

der spiegel 41/1997 Lieber Herr Hebbeln, ich treffe am Sonntag in Hamburg ein. An- kunft: 14.20 Uhr mit LH 026 von Frankfurt. Sollten Sie es für zweckmäßig halten, daß ich direkt nach Kiel fahre, z. B. um mit Prof. Samson zu sprechen, so veranlassen Sie bitte folgendes: Herr Scheller soll mich abholen und aus Mölln einen Koffer mit folgendem Inhalt zum Flughafen bringen: Tagesanzug, Oberhemd, Krawatte, Unter- wäsche, Socken, Schuhe. Ich werde im Sommeranzug eintreffen, Mantel habe ich bei mir, ebenfalls Nacht- und Waschzeug. Schröders werden Hr. Scheller zeigen, wo er alles findet. Wenn ich erst Montag in Kiel sein muß, was mir lieber wäre, wür- de ich zunächst nach Mölln fahren und dort übernachten. Dann wäre nur die Ab- holung zu klären. Herzlichen Dank. Mfg Uwe Barschel.

Auch an den Kieler CDU-Fraktionsvor-

sitzenden Klaus Kribben mußte Rena Men- M. ZUCHT / DER SPIEGEL ke in Barschels Auftrag ein Telex absetzen Kuoni-Reisebüro in Las Palmas: Begleiter stumm in der Ecke

Barschel-Flugticket, Terminkalender: „Ich werde im Sommeranzug eintreffen“

– das war allerdings in einem anderen Ton schel Entlastungsmaterial anzubieten können bei seiner Idee, er sei Opfer eines gehalten: hatte. Komplotts geworden. Der schleswig-hol- An diesem Vormittag hatte die Sanchez- steinische Landesvorsitzende der SPD, Ich werde Sonntag nachmittag in Schles- Mitarbeiterin Marta van Geeteruyen- Günther Jansen, und sein Pressesprecher wig-Holstein eintreffen und am Montag, Ibañez den Telefondienst seit 8 Uhr mor- Klaus Nilius räumten vor Journalisten ein, d. 12.10.1987, wenn gewünscht, allgemein gens. Während sie da gesessen habe, sei sie hätten von dem Intrigenspinner und zur Verfügung stehen. Die öffentlichen nur ein Anruf für Barschel gekommen – Barschel-Gehilfen Pfeiffer schon vor der Ratschläge über Mandatsniederlegung von jemandem, den sie für einen Journali- Landtagswahl gewußt. habe ich sehr wohl vernommen. Ich wär’ sten gehalten habe. Auftragsgemäß habe Es konnte also stimmen, was Barschel der Letzte, der meiner Partei Schwierig- sie darum gesagt: „Barschel? Kenne ich bis dahin nur gemutmaßt hatte: Die SPD keiten bereiten wollte. nicht.“ Die Information über diesen Anruf wußte schon viel früher von den schmut- habe sie darum auch nicht weitergegeben. zigen Tricks, die Reiner Pfeiffer gegen Eng- Leider bin ich jetzt in meinem Kampf für Das mag schon sein – aber seit neun Uhr holm angezettelt hatte. die Erhellung der vollen Wahrheit fast auf früh ging das Telefon in der Villa Lechner Noch kurz vor seiner Flucht ins Refugi- mich allein gestellt, aber ich werde kämp- wieder. Frau Barschel merkte es daran, daß um Gran Canaria hatte Barschel in einem fen, damit die volle Wahrheit ans Licht auf der Lechner-Leitung Hans-Erich Bilges Zeitungsinterview signalisiert, daß er sol- kommt. Aufgrund einer Information, die anrief, geschäftsführender bild-Redakteur che Vermutungen hegt: Es müsse geklärt ich vor einigen Tagen erhalten habe und aus Bonn. Er bat um Rückruf. werden, „ob die Aussage der zeit stimmt, der ich noch am Wochenende persönlich Barschel war zu dieser Zeit noch immer daß Pfeiffer schon lange vor der spiegel- nachgehen werde, könnte ich vielleicht mit den Telexen beschäftigt. Doch er rief Information mit seinen Geschichten an die schon am Montag einen wesentlichen Bei- Bilges, den er offenbar für eine Art Sprach- SPD herangetreten ist und an wen genau“. trag zur Aufklärung leisten. rohr nach Deutschland hielt, prompt „Glaubt mir denn niemand mehr“ – das zurück. Der Journalist zitierte den Politiker Gefühl muß ihn begleitet haben, als er bald Anders als in dem weinerlichen anschließend mit Sätzen der Verzweiflung: nach dem Bilges-Telefonat schweigend mit Telegramm am Vortag gibt sich der Ab- „Glaubt mir denn niemand mehr? Was soll seiner Frau in die Inselhauptstadt Las Pal- sender nun kämpferisch – so, als wäre in- ich denn machen?“ mas fuhr. zwischen tatsächlich ein ermutigender An- Dabei gab es in Kiel an diesem Tag Neu- Der Chauffeur der Ferienanlage José ruf von jemandem eingetroffen, der Bar- igkeiten, die Barschel hätten bestärken Chil Valido fuhr das Ehepaar in die Calle

64 der spiegel 41/1997 Titel Franchi-Roca 9. Dort ist das Reisebüro Genf nach Frankfurt und weiter nach Ham- Kuoni, und dort wollten die Barschels das burg um 11.00 Uhr gebucht war. Flug-Num- Ticket für den morgigen Flug nach Genf mer LH 1855. Und ebenso hatte er in seinem abholen und bezahlen. Text an Kribben angekündigt, er sei „Sonn- Allerspätestens um 11.40 Uhr, so be- tag nachmittag“ wieder daheim. harrte der Fahrer Valido in mehreren poli- Nun aber stand die Verbindung von zeilichen Vernehmungen, habe er die Fahr- Genf nach Frankfurt LH 1857 auf dem gäste vor dem Reisebüro abgesetzt und sei Ticket – der nächste Flieger in derselben zurückgefahren. Was dann geschah, ist bis Richtung. Und mit dieser späteren Verbin- heute rätselhaft und widersprüchlich. dung wäre er erst gegen 18.30 Uhr in Ham- Freya Barschel erzählt: Sie sei umgehend burg gewesen – von „Nachmittag“ konnte zusammen mit ihrem Mann in das Reise- da nicht mehr die Rede sein. büro gegangen. Ihr Mann habe das Ticket be- Irgendwann nach Absendung des Telexes kommen. Anschließend seien sie in der Alt- an Kribben muß Barschel also umgebucht stadt von Las Palmas Fisch essen gegangen. haben. Kein Ermittler hat offenbar diese Björn Rustad, der Angestellte des Rei- Frage jemals überprüft. Spekulationen sind sebüros, erinnert sich anders. Um 14.30 erlaubt. Uhr, also nach der Mittagspause, habe Bar- schel an diesem Freitag das Reisebüro be- VERSION EINS Barschel hat in einem (weiteren) treten – ohne seine Frau, dafür in Beglei- Telefonat am Freitag mit seinem Informanten den tung eines „wohl spanischen“ Mannes. Eindruck gewonnen, es könnte sich lohnen, mehr Der Begleiter habe sich stumm in einen Zeit für ein (weiteres) Treffen einzuplanen, und Sessel gesetzt, während Barschel das Ticket darum umgebucht. in Empfang genommen und mit seiner Kre- ditkarte bezahlt habe. Sein „unendliches VERSION ZWEI Barschel war zweimal im Reise- Bedauern“ drückte Rustad dem Kunden büro. Das erste Mal mit seiner Frau um 11.40 Barschel aus: daß es nicht gelungen sei, ihn Uhr. Beim oder nach dem Fischessen hat er dann auf die Maschine nach Zürich zu bringen. den unbekannten Spanier getroffen, der ihn dazu Das ist es noch heute, was Rustad be- bewegt hat, seine Reisetermine zu ändern. Dann wegt, wenn er auf diesen Tag angespro- war er – während seine Frau in Las Palmas an- chen wird: „Daß ich es nicht geschafft deres erledigte – mit dem Begleiter zum zweiten habe, Herrn Barschel ein Ticket nach Mal bei Kuoni, um sich ein Ticket mit dem neu- Zürich zu besorgen.“ en Termin ausstellen zu lassen. Was wäre gewesen, wenn er es geschafft hätte? Wäre Barschel auch in Zürich ge- VERSION DREI Barschel hatte den Rückflug von storben? Oder ist der Tod in Genf nichts Genf nach Deutschland von vornherein im Wis- weiter als die zufällige Folge eines Organi- sen gebucht, daß er ihn nicht mehr antreten wür- sationsproblems? Rustad mag nicht de, weil er in Genf sterben wollte. Die Umbu- mehr darüber reden: „Die Sache hat mich chung in letzter Minute wäre dann ein Verwirr- schon zu viele Stunden meines Lebens ge- spiel, um die Verwirrung noch größer zu machen. kostet.“ Jedenfalls, sagt der Reisebüromann, Von allen drei Varianten wirkt die drit- habe Barschel dann sein Genf-Ticket ge- te, die Selbstmordversion, am wenigsten nommen und sich verabschiedet. Der un- glaubhaft. Ein zum Selbstmord Entschlos- bekannte Begleiter, ein Mann so um die 30, sener mag ja in der Lage sein, zum Schein habe ihm freundlich die Tür aufgehalten, einen Lufthansa-Flug nach dem Datum sei- und beide gingen von dannen, niemand nes vorhergesehenen Todes zu buchen, weiß wohin. doch noch mal umbuchen? Wen hätte er Auf dem Ticket in Barschels Briefta- damit verwirren wollen? sche waren folgende Flüge als fest gebucht Während Barschel in Las Palmas unter- ausgedruckt: wegs ist, entwickelt sich daheim in Kiel die Lage für ihn zur Katastro- phe: Kurz vor 13 Uhr wurde „Unendliches Bedauern, daß ich es sein Telex an Kribben in die nicht geschafft habe, Herrn Barschel ein laufende Fraktionssitzung Ticket nach Zürich zu besorgen.“ hineingereicht. Es machte den Unmut über den Ab- wesenden nur noch größer. Las Palmas/Genf: 10. Oktober 10.30 Uhr Seit 36 Stunden, tönte der Fraktionschef, sei Barschel nicht mehr zu erreichen gewe- Genf/Frankfurt: 11. Oktober 14.45 Uhr sen. Statt dessen habe er ein Telefon-Inter- Frankfurt/Hamburg: 11. Oktober 17.15 Uhr view mit der bild-Zeitung geführt. Die Fraktion entzog dem ehemaligen Minister- Da ist ein Unterschied zu der Notiz präsidenten Dr. Dr. Uwe Barschel das Ver- in seinem Terminkalender und zu seinen trauen per Beschluß. Der Fraktionsvorstand Angaben im Telex an Hebbeln vom Vor- wurde beauftragt, Barschel zu bitten, daß mittag. der sein Landtagsmandat niederlege. Noch am Vormitttag hatte Barschel den Das Kribben-Telex löste Aktivitäten Eindruck erweckt, daß der Weiterflug von auch in Hamburg aus. Ein fixer stern-Fo-

der spiegel 41/1997 65 Titel tograf hatte sein Zoom-Objektiv auf den Hotel „Le Richemond“, gleich nebenan Fernschreib-Text aus Gran Canaria scharf vom „Beau-Rivage“, wo Barschel einen gestellt, der nun auf dem Tisch des Frakti- Tag später ein schlichtes Einzelzimmer onschefs in Kiel lag. Das Foto, schnell ent- nehmen würde. wickelt und vergrößert, brachte die Re- Aber vorerst war Barschel noch immer porter auf die Spur des für verschollen ge- unbekannten Aufenthalts in Las Palmas. haltenen Skandalpolitikers. Erst gegen Abend kam er zusammen mit Beim stern lief die Recherche an. Die seiner Frau in einem Taxi zurück in die Vil- Information, daß Barschel am kommenden la Lechner. Unbekannt ist bislang, was der Wochenende zurückkommen würde, das von Enttäuschung, Angst, Kampfesmut, Telex-Kürzel des Absenders in Gran Cana- Hoffnung und wohl auch von Wut getrie- ria – das genügte schon. Ein bene Ex-Ministerpräsident stern-Mann fand Zugang in dem Inselstädtchen so zu einem Buchungscompu- lange gemacht hat. ter der Lufthansa. Die Jagd Viel spricht dafür, daß begann. Barschel abermals damit Barschel streifte noch beschäftigt war, Pillen auf- immer durch Las Palmas, zutreiben. „Der ist ja in den als auch in Genf sich letzten Tagen hier herum- etwas tat. Da landete um gelaufen wie ein kranker 13.32 Uhr aus Frankfurt ein Hund und hat jeden Geschäftsjet der Düssel- angebettelt“, erinnert sich dorfer Charterfirma Evex ein Ex-Mitarbeiter der mit dem Kennzeichen Ferienanlage, der ihn da- D-CD RB. mals gut kannte. Mehrere Drinnen saßen als Passa- Bedienstete des Unter- giere der Geheimagent nehmens, nicht nur

Werner Mauss und seine AP Jessen, hätten sich um Frau Ida. Und der Pilot Privatagent Mauss Schlafmittel für Barschel Dieter Bürscher erinnert bemüht. sich an einen dritten Fluggast, einen Liba- Der Wachmann Santiago beispielswei- nesen, der öfter mal mit Mauss durch die se, so der Ex-Mitarbeiter, habe sich um Welt geflogen sei. Pharmaka kümmern müssen, einen pro- Wenige Minuten später flog der Jet – minenten Berater des Unternehmens mit nachdem zumindest der Libanese ausge- guten Beziehungen auf der Insel habe Bar- stiegen war – nach Zürich weiter. Am sel- schel ebenfalls gebeten. Santiago reagiert ben Tag noch kehrte er mit Mauss an Bord unwirsch, es gebe „von damals nichts zu nach Genf zurück. erzählen“. Und der Bahía-Feliz-Berater ist Mauss-Anwalt Karl Egbert Wenzel, ein viel zu professionell, um etwas über seine Stuttgarter Rechtsprofessor, hat bislang Klientel zu verraten. noch jedem Journalisten gerichtlich ver- Doch da gibt es einen Freund der Phar- bieten lassen, seinem Mandanten in der ma-Connection, der ist Apotheker in Las Chronik des Barschel-Todes auftreten zu Palmas. Sein Laden ist in der Nähe des lassen. „Absoluter Unfug“, so Wenzel, sei San Telmo Parks. Und dort habe, so berich- die Unterstellung, Mauss’ Ankunft in Genf tet der Ungenannte, so mancher aus Bahía habe irgend etwas mit Barschel zu tun. Feliz Zugang zu den Räumen hinter dem Niemals, ließ Mauss mitteilen, habe sich Tresen. Zumindest damals sei das so ge- sein Weg mit dem des gescheiterten Mini- wesen. sterpräsidenten von Schleswig-Holstein ge- Da ist ein bißchen zu oft von Tabletten kreuzt. die Rede. Barschel hatte sich ja gerade am Der Eifer, mit dem Mauss und sein Pro- Vortag ganz offiziell per Rezept mit 20 fessor sich wehren, macht schon wieder Noctamid versorgt. Selbst ein Süchtiger seines Kalibers kann ja nicht pausenlos Valium „Der ist in den letzten Tagen schlucken. herumgelaufen wie ein kranker Hund Kein Ermittler ist jemals und hat um Tabletten gebettelt.“ dieser Tabletten-Connec- tion nachgegangen. Speku- lationen sind erlaubt. neugierig. Eine Verschwörung, wittert der Agent, sei da im Gange gewesen, nicht ge- VERSION EINS Barschel wollte sich auf Vorrat gen Barschel, sondern gegen ihn: „Ich bin eindecken, weil er nicht wußte, welcher Streß in überzeugt, daß Barschel nach Genf gelockt den nächsten Tagen noch auf ihn zukommen wurde, um ihn mit mir zusammenzubrin- würde und wann er seinen Hausarzt wiedersehen gen und zu fotografieren.“ Das Zentrum würde. der Verschwörung wittert Mauss in Ham- burg. Beim stern. VERSION ZWEI Barschel bereitete seinen Selbst- Tatsächlich mieteten Herr und Frau mord vor, den er – wie er wußte – mit Wirkstof- Mauss an diesem Tag die Junior-Suite im fen wie Valium nicht durchführen konnte. Er

der spiegel 41/1997 69 Titel bemühte sich darum, aufzutreiben. Mölln angerufen und ein ähnliches An- Und die fand er auch unter den alten Beständen gebot gemacht habe. Was tun? habe der der Pillen-Connection in der Apotheke von Las Pal- Bruder gefragt. mas. Der Mann, der mit ihm im Reisebüro war, Folke Junker berichtet, sie habe sich Be- könnte ebenfalls mit der Beschaffung der Ta- denkzeit ausgebeten, sie hatte wohl vor, bletten zu tun gehabt haben. einen Freund der Familie um Rat zu fragen, der beim Hamburger Staats- schutz arbeitet. Schwester Folke riet dringend Es wurde noch viel telefo- vom Besuch in Genf ab. Ein Treffen mit niert an diesem Abend. Kurz Roloff sei zu gefährlich. nach 20 Uhr rief im Hotel

Noga-Hilton in Genf eine M. ZUCHT / DER SPIEGEL fließend französisch spre- Barschel-Bruder Eike Die zweite Variante wäre die Lösung des chende Frau an und fragte, ob ein Herr Rätselhafter Anruf Rätsels Barschel. Mit einemmal wäre er- Uwe Barschel abgestiegen sei. „Wer hätte klärt, wie Barschel an die Barbiturate ge- wissen können“, fragt Bruder Eike im nach- fährlich. Ein Foto von Barschel mit dem langte, die im Körper des Toten gefunden hinein, „daß Uwe Barschel ein Zimmer in Pfeiffer-Mann könnte kompromittierend wurden und die offiziell in Westeuropa diesem Genfer Hotel bestellt hatte?“ sein. Außerdem, sagt Folke Junker, habe nicht mehr im Handel waren, sondern nur Gute Frage. Im Hilton hatte Barschel sie noch eine Bemerkung in Erinnerung noch in der DDR oder Osteuropa. Er hat- tatsächlich schon öfter gewohnt, aber gehabt, die Barschel ihr gegenüber beim te sie womöglich vom grauen Markt in Las dafür, daß er diesmal überhaupt ein Hotel letzten Zusammentreffen gemacht habe: Palmas, weil er von Anfang an vorhatte, in Genf hatte reservieren lassen, gibt es daß „Killer käuflich sind“. sich in einem Hotelzimmer das Leben zu keinen Anhaltspunkt. Der Bruder habe versprochen, sich alles nehmen. Kurz vor 22 Uhr läutete das Telefon in noch mal zu überlegen, wenn auch der In- Zurück zu den beweisbaren Ereignissen der Villa Lechner: Der Hausherr war am formant sicher schon auf dem Weg nach des 9. Oktober. Am frühen Abend, wieder Apparat. Rolf Lechner rief aus Bad Rei- Genf sei. „Instinktiv“, sagt die Schwester, im Haus am Meer, rief Barschel seine chenhall an, wo er auf einer Dienstreise in habe sie gespürt, daß er das Treffen unbe- Schwester Folke Junker in Kiel an. einem Hotel wohnte, das seiner Firma dingt gewollt habe. Die Schwester berichtet, Uwe Barschel gehörte. So friedlich, so pünktlich um Mitter- habe ihr von einem geheimnisvollen Anruf Lechner wollte sich nach dem Schicksal nacht endet die Chronik aus dem vorletz- eines Mannes mit dem Pseudonym Roloff seines Freundes Uwe erkundigen. Der ten Tag im Leben Barschels? Keine Ver- am Vortag berichtet. Der habe sich mit schien ausgesprochen aufgeräumt. Barschel schwörungen, keine Spur zum Waffen- „Landesregierung Roloff“ gemeldet und erzählte abermals von dem Informanten, handel heute? habe Material angeboten, das Pfeiffer be- den er morgen in Genf treffen wollte. Lech- Doch, da war noch was. An diesem lasten und Barschel entlasten sollte. ner: „Es gab keinerlei Anhaltspunkte dafür, 9.Oktober, morgens um 10.35 Uhr, hatte Der Mann, habe ihr Bruder erklärt, daß er freiwillig aus dem Leben scheiden eine automatische Kamera auf der Olym- komme von Frankfurt mit dem Auto zu wollte.“ Der Urlauber sei „geradezu opti- pia-Straße in München den Pkw STA- einem Treff nach Genf und wolle nichts mistisch und euphorisch“ gewesen. K 370 geblitzt, der – so das Verwarnungs- weiter als die Erstattung der Fahrtkosten. Noch ein Anruf um Mitternacht. Schwe- formular der Polizei – „die Haltelinie o,7 Es sei, habe Uwe gesagt, derselbe, der ster Folke riet dringend vom Besuch in Sekunden nach dem Umschalten auf Rot schon mal im September zu Hause in Genf ab. Ein Treffen mit Roloff sei zu ge- überfahren“ hat. Nur 20 Mark Verwar- nungsgeld sollte es kosten. Doch statt der 20 Mark ging bei der Po- lizei alsbald der empörte Brief des Kfz- Halters ein. Josef Messerer aus Söcking bei Starnberg erklärte, sein Auto und er seien an diesem Freitag gar nicht im Lande ge- wesen, sondern in Genf. Messerer, der im internationalen Waf- fenhandel tätig gewesen sein soll, legte zum Beweis gleich eine Kopie seines Terminka- lenders vom 9. Oktober 1987 bei. Tatsäch- lich ist darauf ein Termin in Genf mit den Namen der vielleicht prominentesten Waf- fenhändler der Welt verzeichnet. „Prof. Chong Li“, steht da, darunter: „Rafi-Dust“ und „Mohajedi“. Dann: Ah- med Chomeini, der Sohn des iranischen Ajatollahs. Als letzter Name auf der Treff-Liste vom 9. Oktober taucht der Name „Barschel“ auf. Daneben ein Pfeil auf die Spalte des 10. Oktober. Neben dem Pfeil handschrift- lich das Wort „Ende“.

Im nächsten Heft Zwei Terminkalender in Barschels Gepäck

ACTION PRESS ACTION – Mutmaßungen über Roloff – Die letzte Flughafen Las Palmas: „Ein paar Dinge richtigstellen“ Nacht im Beau-Rivage.

70 der spiegel 41/1997