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M. ZUCHT / DER SPIEGEL Barschels letzter Aufenthalt Hotel Beau-Rivage in Genf: Zehn Jahre Fahndung nach der Rotweinflasche Aktenzeichen 33247/87 ungelöst Die letzten Tage im Leben des Uwe Barschel / Von Thomas Darnstädt ine Flasche Beaujolais Le Chat Botté hinuntergespült wurden – eine tödliche Seit zehn Jahren geht das jetzt so. Die Jahrgang 1985 – das wär’s. Heinrich Dosis Schlaftabletten etwa. Spuren aus dem dritten Stock des ver- EWille, Weinfreund und Leitender Eine Flasche Beaujolais Le Chat Botté staubten Hotels am Genfer See führen um Oberstaatsanwalt in Lübeck, fahndet sogar 1985 bestellte Uwe Barschel um 18.30 Uhr die ganze Welt. Sie enden oft bei Waffen- im Urlaub nach dem roten Tropfen aus am Abend des 10. Oktober 1987 in Zimmer händlern, Geheimagenten, nahöstlichen Frankreich. Doch Beaujolais hebt kaum je- 317 des Genfer Hotels Beau-Rivage. Es ist Potentaten, oft im Nichts. mand so lange auf. die letzte zuverlässige Information aus dem War es Mord? Der zurückgetretene Lan- Dabei würde ein Schlückchen schon Leben des gescheiterten Kieler Minister- desvater könnte Opfer der Stasi, der Ma- genügen. Wille würde es asservieren, ei- präsidenten. fia, einer international agierenden Gruppe nen Vorgang zum Aktenzeichen 705 Js Am nächsten Vormittag lag Barschel tot von Waffenhändlern, des Mossad, der Iran- 33247/87 anlegen,Weinexperten und Che- in der Badewanne. Vergiftet von einer Contra-Verschwörer, der Christlich De- miker beauftragen, Gutachten erstellen Überdosis Schlaftabletten. Und die Rot- mokratischen Union Deutschlands gewor- lassen. weinflasche war verschwunden. den sein. Für all dies gibt es, im Ernst, Zeu- Wichtig wäre etwa der Säuregehalt des Mittlerweile wird im Beau-Rivage ein gen,Vernehmungsprotokolle, Ermittlungs- Rebsaftes. Er ließe Schlußfolgerungen zu Beaujolais des Jahrgangs ’95 serviert. Und in vorgänge. über die Reaktionen im Magen des Trin- der norddeutschen Heimat Barschels ist Er- Warum bekommen die Ermittler nicht kers. Diese wiederum könnten Hinweise mittler Wille mit seiner Ermittlungsgruppe heraus, warum dieser Mann gestorben ist? liefern auf den pH-Wert im Urin. Genf noch immer auf Spurensuche in den Wie kann es einem toten Provinzpolitiker So wären wichtige Informationen zu ge- entlegensten Winkeln seines größten Falles: gelingen, fragen sich Ermittler, „die Profis winnen über die Zersetzungsgeschwindig- Was geschah in der Nacht vom 10. auf den von der Staatsanwaltschaft ein Jahrzehnt in keit von Chemikalien, die mit dem Wein 11. Oktober im Zimmer 317? Atem zu halten?“ 44 der spiegel 41/1997 Titel in Barschels Amtszeit, Finanzminister in Rostock war der Umschlaghafen der DDR Bonn. Gerhard Stoltenberg mußte bei für graue Geschäfte mit Embargo-Gütern wichtigen Entscheidungen gefragt werden. und Waffen. Ein Zufall, daß es Biedermann Auch den illegalen Handel mit U-Boot- Barschel immer mal nach Rostock zog? Blaupausen zwischen der Kieler Howaldts- Merkwürdige Selbstquälerei: Der Möllner werke Deutsche Werft AG (HDW) und dem Familienvater feierte sogar seinen Geburts- Rassisten-Regime in Südafrika Mitte der tag mehrfach unter Stasi-Bewachung in achtziger Jahre fingerte die Bonner DDR-Gaststätten. Machtzentrale weitgehend an Barschel vor- Rund ein Dutzend verschiedene Spuren bei.Angebrüllt habe sich der große mit dem zu illegalen Waffen- und Embargo-Ge- kleinen Schwarzen in Kiel, weil er zunächst schäften führen die Lübecker Ermittlungs- nicht eingeweiht wurde, berichten Zeugen. akten auf. Alles, wie der im Streit um die Denn auch dafür war der Mann aus der Eulen- spiegel-Stadt Mölln eine Die Kieler Mischung: ein bißchen Nummer zu klein. Die Politik, ein bißchen Stasi, ein bißchen Weltpolitik fand ohne Bar- Waffenhandel, Weiber und Valium. schel statt, die illegale erst recht. Das große Geheimnis des Uwe Barschel: weitere Verfolgung solcher Spuren zurück- daß er viele kleine Geheimnisse hatte. Eins getretene Generalstaatsanwalt Heribert davon war sein suchtartiger Konsum von Ostendorf betont, Hinweise, denen nur eine Beruhigungstabletten, ein anderes seine Gier „verminderte Beweisbedeutung“ zukommt. nach oberflächlichen sexuellen Kontakten. Eher Gerüchte, Auskünfte vom Hörensa- „Erpreßbar“, sagen die Lübecker Er- gen, journalistische Räubergeschichten. mittler, war er so und so – gerade für die Doch die Masse macht auch die Ermitt- Stasi, die den Kieler Innenminister und spä- ler nachdenklich. Können sich so viele teren Ministerpräsidenten auf seinen zahl- Spinnereien und Räubergeschichten aus losen Lustreisen in die DDR ständig bespit- purem Zufall häufen? Und: Hinweise auf zelt hat, am Tag und besonders in der Nacht. Verstrickungen Barschels gab es nicht erst Das war ja nicht nur Neugier. Eine der nach seinem Tod. Aufgaben der Mielke-Behörde war es Aber als Barschel noch lebte und re- schließlich, die deutsch-deutschen Millio- gierte, wurden solche Tips als reiner Un- nengeschäfte operativ zu unterstützen, die sinn abgetan, zum Beispiel der Hinweis ei- da mit der Kieler Waffenschmiede HDW nes Vermögensberaters aus dem Schwei- liefen, einem Staatsunternehmen. zer Städtchen Fürigen. DPA Unübersichtliche kleine Geheimnisse, Der Fürigener hatte einem deutschen Kieler Ministerpräsident Barschel (1987)* nicht die große Nummer, haben den rätsel- Steuerfahnder bei einer Vernehmung er- „Glaubt mir denn niemand mehr?“ haften Christdemokraten offenbar mit zählt, „höchste Persönlichkeiten“ aus der dem Waffenhandel verbunden. Wie Bie- Kieler Staatskanzlei hätten ihn um Ver- Rätsel Barschel: Über keinen toten Poli- dermann die Brandstifter, so hatte der mittlungen von Waffengeschäften mit dem tiker seit Kennedy haben so viele so scharf Kieler Ministerpräsident das Waffen-Bu- Iran gebeten. Dumm Tüch, hätte man an nachgedacht wie über den einstigen Kieler siness im eigenen Haus. Da war die HDW, der Waterkant zu solchen Behauptungen Regierungschef. Doch was für ein Vergleich. für deren Auftragslage und Arbeitsplätze gesagt. John F. Kennedy war einer der geheim- der Regierungschef Barschel Verantwor- Doch 1994, als dem Kasseler Steuer- nisvollsten und mächtigsten Männer der tung trug, da war – lächerlicher Zufall? – fahnder die alte Geschichte wieder einfiel, Welt. Uwe Barschel war ein Christdemo- der kleine Flughafen Hartenholm, den sich sah man das etwas anders. Inzwischen hat- krat aus Mölln am Elbe-Lübeck-Kanal. später dubiose Geschäfts- ten verschiedene Tips des „Das Dunkel“, das der Anwalt der Bar- leute unter den Nagel ris- Schweizers in anderer Sa- schel-Hinterbliebenen, Justus Warburg, sen: Iraner, amtsbekannt che sich als verblüffend über der Sache sieht, ist gerade deshalb so als Ausrüster der nahöstli- zuverlässig erwiesen. undurchdringlich, weil Barschel so ein klei- chen Kriegsarsenale. Die Kieler Mischung: nes Licht war. Da gab es halbseidene Ein bißchen Politik, ein Große Schurken und große Politiker ha- Gegengeschäfte mit Alex- bißchen Stasi, ein bißchen ben klare Pläne und illustre Gegner; das ander Schalck-Golod- Waffenhandel, Weiber macht es leicht, über sie zu urteilen. Bar- kowskis DDR-Außen- und Valium, das hat etwas schel aber war nichts von beidem so rich- handelsimperium. Das Bedrohliches, einen ran- tig – und wohl doch von jedem ein bißchen, Kreuzfahrtschiff „Astor“ zigen Mafiageruch. Das ist eine besondere Kieler Mischung. beispielsweise kaufte eine zugleich das Klima, in Die Recherchen im Vorleben des westdeutsche Reederei dem Männer wie Reiner schmächtigen Kieler Provinzfürsten mit für kurze Zeit von Süd- Pfeiffer und Gert Postel dem doppelten Doktortitel führen überall afrika. Die HDW motzte ihre Chance wittern. hin – nur nicht in die große Politik. es unter dem Namen „Ar- Der ehemalige Springer- Regieren durfte Barschel nie so richtig. kona“ für den Endabneh- Journalist Pfeiffer und Das große Wort hatte immer der große mer DDR auf. Die Um- wahrscheinlich auch sein Stoltenberg, einst Landesvater und, baukosten sind nie Freund, der mehrfach ver- berechnet worden – was urteilte Betrüger und * Auf seiner „Ehrenwort-Pressekonferenz“ am 18. Sep- war die Gegenleistung M. SCHRÖDER / ARGUM Hochstapler Postel, haben tember. Schalck-Golodkowskis? Lübecker Ermittler Wille den Kieler Geheimniskrä- der spiegel 41/1997 45 mer 1987 in die „Waterkantgate-Affäre“ ge- ritten. Es sei nicht beweisbar, so befand 1995 der 2. Untersuchungssauschuß kompakt auf 600 Seiten Abschlußbericht, daß Barschel an den schmutzigen Tricks seines Medienrefe- renten Pfeiffer beteiligt war. Der große Drahtzieher war der kleine Doktor offenbar auch hier nicht – wenn auch der politisch Verantwortliche. Zudem war die Aktion schon deshalb ein Reinfall, weil verschie- dene SPD-Leute vorher eingeweiht waren. Nichts ist einfach im Dunstkreis Bar- schels. Hätte er die Verantwortung für eine Affäre, die wirklich das Wortspiel mit Wa- tergate erlaubte, dann hätte er nach sei- nem Tod zumindest eines hinterlassen: ein klares Selbstmordmotiv. Doch Barschel war ein Inszenierer und Barschel auf Gran Canaria*: „Steif und formell“ Kulissenschieber. Er hat ein Durcheinander von Geheimnissen, Erfindungen und Be- schuldigungen hinterlassen, Nährboden für immer neue Szenarien und Geschichten. Selbst der Bundeskanzler kommt darin vor. Das war auch der Grund, warum Helmut Kohl jüngst den Kieler Justizminister Gerd Walter anrufen ließ, um sich über den Eifer der Lübecker Barschel-Ermittler zu be- schweren. Auch im Kanzleramt gelten die Barschel-Akten noch immer als spannende Lektüre. Und mit Befremden hatte Kohl zur Kenntnis genommen, daß die Hintermänner einer angeblichen Verschwörung gegen den Kieler Ex-Ministerpräsidenten in des Kanz-