Dr. Gerhard Stoltenberg Bundesminister Ad Im Gespräch Mit Werner Reuß Reuß
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 17.10.2000 Dr. Gerhard Stoltenberg Bundesminister a.D. im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, herzlich willkommen bei Alpha- Forum. Zu Gast ist heute Dr. Gerhard Stoltenberg, langjähriger Ministerpräsident in Schleswig-Holstein und ehemaliger Bundesminister. Herzlich willkommen, Herr Dr. Stoltenberg. Stoltenberg: Guten Tag. Reuß: Sie waren schon unter den Kanzlern Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, Sie waren über elf Jahre lang Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, Sie waren Bundesfinanzminister – das Königsministerium, wenn man so will – und Bundesverteidigungsminister: Hand aufs Herz, gab es ein Amt, das Ihnen dabei ganz besonders viel Freude gemacht hat? Stoltenberg: Ach, eigentlich war jede Aufgabe lohnend, und ich habe bei jeder dieser Aufgaben auch ganz gute Erinnerungen – neben manchen Blessuren oder Rückschlägen, die es im politischen Leben eben auch immer wieder einmal gibt. Insgesamt habe ich also positive Erinnerungen daran. Es hat mir natürlich besondere Freude bereitet, dass mich Ludwig Erhard mit 37 Jahren in das Wissenschaftsministerium berufen hat. Ihm war ich schon deswegen verbunden, weil ich ja in meinem Berufsweg habilitierter Hochschullehrer in Kiel war: Ich war Dozent für Neue Geschichte gewesen und kannte daher die Universitäten ziemlich gut. Das war auch eine Zeit, in der die Wissenschaft in Deutschland Rückenwind hatte, in der die Zweifel an der modernen Wissenschaft nicht so stark waren wie später. Es gab auch keinesfalls diese Aggressivität, wie wir sie bis heute z. B. in der Auseinandersetzung um die Kernenergie erleben. Damals hatte der Deutsche Bundestag z. B. einstimmig ein Atomgesetz verabschiedet: Das alles ist heute so gar nicht mehr vorstellbar. Aber auch die anderen Aufgaben und vor allem natürlich die Aufgabe, im eigenen Heimatland Ministerpräsident zu sein, haben mir ebenfalls viel Freude bereitet. Reuß: Würden Sie sagen, dass Sie ein Pflichtmensch sind? Gibt es für Sie so etwas wie die Freude an der Pflicht? Stoltenberg: Es gibt schon auch Freude an der Pflicht. Mein Lebensweg war natürlich zum einen sehr stark durch mein Elternhaus geprägt. Er war aber auch geprägt durch die sehr frühen Jugenderfahrungen des Krieges, der Diktatur und der Zerstörung. Das hat mich schon ein Stück weit geprägt. Ich habe das ja auch im letzten Jahr in einem Buch, das durch die Zusammenfassung einer großen Zahl von Aufsätzen von mir im Schleswig- Holsteinischen Zeitungsverlag – der größten Zeitungsgruppe im Norden – entstanden war, im Einzelnen beschrieben. Man kann also meinen Lebensweg nicht ganz abtrennen von dieser frühen Erfahrung, von diesem Schrecken des Krieges und der Diktatur, von dieser falschen Politik. Ich bin eigentlich schon als Gymnasiast und dann als Student zu dem Ergebnis gekommen, dass es die Aufgabe meiner Generation sein wird, sich nun wirklich für ein demokratisches, ein freiheitliches Deutschland einzusetzen, das in der Gemeinschaft der Nationen erneut seinen Platz findet. Und das hat mich dann auch früh in die Politik gebracht: Ich bin ja schon mit 25 Jahren Landtagsabgeordneter geworden und dann mit 28 Jahren Abgeordneter des Bundestages. Im Übrigen bin ich 1955 in Bayern zum Bundesvorsitzenden der Jungen Union gewählt worden. Das geschah – ein wenig zu meiner eigenen Überraschung – auf einer Bundestagung der Jungen Union in Augsburg. Dadurch bin ich auch sehr früh in den Parteivorstand der CDU gekommen, wo ich die großen alten Männer der Union wie Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und die anderen der Gründergeneration sehr früh kennen lernte. Das hat mein Leben in der Tat bereichert. Reuß: Sie sind Holsteiner und haben selbst einmal den Staatsrechtler Lorenz von Stein zitiert, der den Holsteiner so charakterisiert: "Kein Stamm des deutschen Volkes übertrifft ihn an Zähigkeit in dem Festhalten des einmal Erkannten oder Beschlossenen." Zeugt das von Entschiedenheit? Zeugt das von Prinzipientreue oder auch ein wenig von Sturheit? Stoltenberg: Ich bin Holsteiner – allerdings von der mütterlichen Seite aus auch Schleswiger. Ich bin also in beiden Teilen meines Heimatlandes verankert. Die Schleswiger werden von Lorenz von Stein, der im Übrigen selbst ein Schleswiger war, weil er aus dem Bereich um Eckernförde kam, als etwas beweglicher und geistesoffener geschildert. Nein, es ist schon etwas dran: Die Holsteiner haben eine ziemliche Standfestigkeit und möglicherweise manchmal auch eine etwas fehlende Flexibilität, was dann als Sturheit gilt. Das mag es bei mir beides geben, aber das Schleswiger Element kommt eben auch dazu. So ungefähr würde ich das jedenfalls selbst bewerten. Reuß: Spitzenpolitiker kommen nicht umhin, dass ihnen auch Etiketten verpasst werden. Der langjährige, legendäre SPD-Fraktionschef im Bundestag, Herbert Wehner, nannte Sie einmal den "großen Klaren aus dem Norden". Hat Sie diese Bezeichnung getroffen? Fühlten Sie sich dadurch richtig beschrieben? Stoltenberg: Ich empfand das nicht als Kränkung. Nun ist das ja auch der Markenname eines sehr bekannten Spirituosenprodukts aus Flensburg, und insofern gehörte auch nicht viel Phantasie dazu, diesen Namen einmal auf Politiker anzuwenden. Nein, das war für mich nie eine kränkende Bemerkung gewesen – auch nicht aus dem Mund von Herbert Wehner. Reuß: Ich würde unseren Zuschauern nun gerne den Menschen Gerhard Stoltenberg etwas näher bringen. Sie sind am 29. September 1928 in Kiel geboren. Ihr Vater war Pastor, Ihre Mutter Lehrerin. Wenn Sie sich an Ihre frühe Kindheit zurückerinnern: Was kommt Ihnen da in Erinnerung? Wie war Ihr Elternhaus? Stoltenberg: Die frühe Kindheit war eine besonnte Kindheit. Mein Vater war Pastor in einer besonders schönen und auch landschaftlich besonders reizvollen Gemeinde in Ostholstein. Manche Menschen kennen ja den Weissenhäuser Strand oder die Hohwachter Bucht: Das sind heute ganz beliebte Orte des Fremdenverkehrs. Damals war das alles noch still und wenig erschlossen. An diese frühe Kindheit, an das Pastorat in Hohenstein, an den wunderschönen großen Garten, die unendlich vielen Besucher, die zu uns kamen – meine Eltern hatten nämlich ein sehr gastfreundliches Haus –, erinnere ich mich mit großer Freude. Das war wirklich schön. Danach zogen wir nach Bad Oldesloe, wo ich letztlich aufgewachsen bin: Da begann dann aber doch in meiner frühen Jugend die Eintrübung durch die Erfahrungen des Krieges, der schrittweise auch unsere Stadt ergriffen hat. Mein Elternhaus ist dann auch bei einem der letzten schweren Bombenangriffe im April 1945 noch ziemlich beschädigt worden. Die ganze Familie kam jedoch aus all den Schrecknissen des Krieges wieder heil und unversehrt zusammen: Wir haben es wirklich als eine Gnade empfunden, als ein Geschenk, dass für uns in unserer Heimatstadt in einer Zeit ein Neuanfang möglich wurde, in der so erschreckend viele Menschen ihre Heimat verloren hatten. Reuß: Wie gesagt, Ihr Vater war Pastor, und Sie sind auch christlich erzogen worden. Welche Rolle spielte der Glaube für Sie persönlich und auch für Ihre Politik? Stoltenberg: Ich bin bewusst in meiner evangelischen Kirche verankert: Ich bin Christ, auch wenn ich nicht mit allen politischen Bewegungen in meiner Kirche sonderlich einverstanden war – aber das ist nicht das Wichtigste. Ja, der Glaube ist mir wichtig. Reuß: Ihr Vater war vier Jahre lang Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen, im Zweiten Weltkrieg wurde er dann als Militärpfarrer dienstverpflichtet: Welche Rolle spielte denn zu Hause im Gespräch der Krieg? Welche Rolle spielte die Politik? Hatten Sie ein politisches Elternhaus? Stoltenberg: Meine Eltern waren eigentlich nie aktiv politisch tätig: weder vor 1933 noch nach 1933 und auch nicht nach 1945. Mein Vater hatte das Amtsverständnis, dass sich ein Pastor nicht demonstrativ einseitig politisch binden, sondern für alle Menschen da sein sollte. Dennoch wurde in der Familie schon auch gelegentlich über Politik geredet: Noch mehr natürlich, als ich dann selbst in die Politik ging, denn da gewann die Politik in den häuslichen Debatten mit meinen Eltern noch an Stellenwert. Reuß: Gab es da immer eine Übereinstimmung mit dem, was Sie politisch vertreten haben? Stoltenberg: Ach, nicht immer im Einzelnen, aber in der Grundrichtung schon. Reuß: Bis 1944 besuchten Sie die Oberschule in Bad Oldesloe. Sie wurden von Ihren Mitschülern, wenn ich das richtig nachgelesen habe, der "Lord" genannt. Warum? Stoltenberg: Da müssten Sie schon meine Mitschüler fragen, denn das kann ich selbst nicht so ganz sicher bewerten: Ich war in meiner Klasse vielleicht doch so ein bisschen Meinungsführer. Wir hatten auch neben einigen nicht sonderlich eindrucksvollen einige sehr gute Lehrer: Das galt auch für die Zeit nach 1945, als ich dann wieder zur Schule ging, um mein Abitur zu machen. Vor allem unser Deutschlehrer in diesen Jahren war exzellent: Durch ihn haben wir die große klassische Literatur auch mit ihren moralischen Kategorien oder Konflikten sehr gut kennen gelernt. Diese Verankerung in der Literatur war eine Bereicherung für mich, die bis heute für mich wichtig ist – wenn ich auch nicht ganz so viel an Belletristik lese, wie das vielleicht manche andere tun. Reuß: Sie wurden mit 15 Jahren noch zur Marine als Flakhelfer einberufen. Wie haben Sie als so junger Mensch das Ende dieses Krieges erlebt? Stoltenberg: Ich war ja zum Schluss des Krieges noch auf einem Flugplatz im Norden Schleswig-Holsteins ganz dicht an der dänischen Grenze. Dort waren die modernsten neuen Strahlflugzeuge