Der Tote Von Zimmer

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Der Tote Von Zimmer Titel Der Tote von Zimmer 317 Es war eine politische Affäre, die das Land vor 20 Jahren erschütterte wie keine andere zuvor: Uwe Barschel belog die Nation und starb in einem Hotel in Genf. War es Selbstmord oder Mord? Antworten müssen in seinem Leben zu finden sein – in seinem Doppelleben. Polizeifoto des toten Barschel: „Die Antworten auf die vielen offenen Fragen konnte man nur in Deutschland finden“ ie Sache mit den Asservaten ist ihm Wille ist vermutlich der beste Barschel- übte, wie Psychologen sagen. Nun hängt er ein bisschen peinlich. Der Leitende Kenner Deutschlands. Er war von Amts der Mordtheorie an, für die er allerdings DOberstaatsanwalt grinst, er deutet wegen jahrelang mit den Ermittlungen im weder Motiv noch Täter vorweisen kann. mit einer Kopfbewegung zum Schrank hin, Todesfall befasst. Er gehört der SPD an, Dafür sprechen aber aus seiner Sicht Un- der gegenüber vom Schreibtisch steht, und die zu Barschels Lebzeiten von der schles- gereimtheiten wie zum Beispiel der abge- holt den Schlüssel hervor. wig-holsteinischen CDU als fünfte Kolon- rissene zweitobere Knopf an Barschels Was vom letzten Tag im Leben des Dr. Dr. ne des Ostens denunziert wurde. Wille Hemd: „Versuchen Sie mal“, sagt Wille, Uwe Barschel übrig blieb, lagert hinter Nuss- glaubte sich in seinem Drang zur Wahr- „bei hochgezogener Krawatte den zweiten holzfurnier zwischen Aktenordnern und heitsfindung behindert und verfolgt. Ein Knopf von oben selber abzureißen. Das Büchern: sein letztes Hemd, seine letzte Buch über seine Jahre mit Barschel hat er geht einfach nicht.“ Hose, die Krawatte, zwölf Toilettenartikel geschrieben, aber er darf es nicht auf den Vor Willes Augen läuft die Tat in der und dazu die Schuhe, die er am 11. Oktober freien Markt bringen; das hat ihm sein Vor- Nacht zum Sonntag folgendermaßen ab: 1987 trug, dunkelbraune Herrenschnürschu- gesetzter, Generalstaatsanwalt Erhard Rex, Mindestens zwei Täter betäuben Barschel, he mit Ledersohle, rechts stärker abgelaufen untersagt. heben den Bewusstlosen in die Bade- als links, Marke Lloyd. Ministerpräsidenten- Mittlerweile ist Wille nicht mehr über- wanne und flößen ihm dann einen tödli- schuhwerk, das 20 Jahre nach Barschels Tod zeugt davon, dass Barschel am 11. Oktober chen Wirkstoff ein. Nur so lässt sich, sagt hier im Büro von Oberstaatsanwalt Hein- 1987 so sehr am Ende war, dass er Selbst- er, das prämortale Hämatom an der Stirn rich Wille in Lübeck zu besichtigen ist. mord beging – einen Bilanzselbstmord ver- erklären, der Abdruck eines fremden 46 der spiegel 41/2007 Zerbrochenes Weinglas Barschels Schuhe Riss in der Knopfleiste des Hemds Whisky-Fläschchen MONIKA ZUCHT (R. O. + R. U.) MONIKA ZUCHT (R. O. Beweisstücke im Fall Barschel: Alles reine Glaubenssache? Schuhs auf dem Badewannenvorleger, die entstanden sind. Im Landeskriminalamt Tatortberichte zur Verfügung. Alles reine Giftrückstände im Whisky-Fläschchen und Kiel beträufelten sie die Schuhe mit Haut- Glaubenssache? eben dieser abgerissene Hemdknopf. giften, um „das Migrationsverhalten der So ist das immer wieder in dieser merk- Der Lübecker Oberstaatsanwalt hat farbgebenden Substanzen aus dem Schuh würdigsten aller Affären, die je über die die Ermittlungen im Fall Barschel vor fast Dr. Barschels“ zu untersuchen. Bundesrepublik hereingebrochen ist. Ein zehn Jahren abgeschlossen, aber er kommt Mord oder Selbstmord? Willes Vorge- leibhaftiger Ministerpräsident gibt der Na- nicht los davon. Wer sonst stellt sich frei- setzter Erhard Rex ist ein entschiedener tion sein Ehrenwort und hält zugleich ein willig die Schuhe eines Toten in den Gegner der Mordtheorie. „Dr. Barschel ist paar Mitarbeiter zu Falschaussagen an, um Schrank? nicht gewaltsam zu Tode gebracht wor- nicht als Lügner aufzufliegen. Eine Affäre Die Ermittler haben vielerlei Anstren- den“, schreibt er in einem 50 Seiten langen im kleinen, beschaulichen, zurückgeblie- gungen unternommen, diese Schuhe zum Bericht zum 20. Todestag. „Das Hotelzim- benen Schleswig-Holstein handelt von Ruf- Sprechen zu bringen. Sie haben sie zerlegt mer war völlig aufgeräumt und zeigte kei- mord am politischen Gegner und unter- und zahlreichen Untersuchungen unterzo- ne Spuren von Gewalteinwirkung, keine gräbt das Vertrauen in die demokratisch gen. Im Lederinstitut Gerberschule in Abwehrspuren Dr. Barschels waren er- gewählten Vertreter im ganzen Land auf Reutlingen haben sie Wasser und Löse- sichtlich, keine klassischen Tötungshand- lange Zeit. mittel über sie gekippt, um Aufschluss zu lungen haben stattgefunden.“ Am Anfang ist die Barschel-Affäre ein erlangen, wie die merkwürdigen Verfär- Beiden Staatsanwälten stehen dieselben überschaubarer Fall mit einem Schurken, bungen auf der Matte vor der Badewanne Akten, dieselben Ermittlungen, dieselben einem Handlanger namens Reiner Pfeiffer der spiegel 41/2007 47 Titel MONIKA ZUCHT Genfer Hotel, Barschel-Zimmer, „Bitte nicht stören“-Schild: Von Rot auf Grün DER ERMITTLER bei und sieht ein grünes Barschel gewartet. Immer wieder – „quasi Heinrich Wille, Leitender Oberstaatsanwalt Schild an der Tür: „Bit- im Halbstundentakt“ – ging Knauer hoch Er führte in Lübeck zwischen 1994 und 1998 ein Verfahren te Zimmer aufräumen“. zu Zimmer 317 und klopfte an die Tür, „gegen Unbekannt“ wegen Mordes durch. Er glaubt auch Sie überlegt kurz, ob sie ohne Resonanz. Seine Redaktion erwarte- persönlich, dass Uwe Barschel im Beau-Rivage vergiftet wurde. 317 noch vor der Mit- te von ihm ein Interview mit dem zurück- tagspause aufräumen getretenen Ministerpräsidenten. Barschel soll, verschiebt es dann hatte den Rückflug nach Deutschland, das und einem Opfer, Björn Engholm. Am aber auf später. Um kurz nach elf Uhr be- wussten die Journalisten, für 14.45 Uhr ge- Ende sind viele Fragen wieder offen. Ist tritt der Zimmerkellner Ludovic Erba das bucht. Die Zeit lief ihnen davon. Barschel vielleicht sogar das Opfer eines Zimmer, um die Minibar aufzufüllen. Das „Dreh doch einfach das Türschild um. Komplotts seines Werkzeugs Pfeiffer und Türschild, so Erba, habe Grün gezeigt. Dann geht das Personal rein, und wir wis- der SPD? Oder ist Barschel beides, erst Um 11.30 Uhr kommt Esteves aus der sen, ob er überhaupt noch da ist“, habe er Täter, dann Opfer? Und ist der Tote in der Mittagspause zurück und will jetzt 317 auf- zu Knauer gesagt, so erinnert sich heute Badewanne, den ein „Stern“-Reporter ent- räumen. Das Türschild hängt aber mit der der Fotograf Anders. Knauer sei hoch- deckt, nicht doch von gedungenen Mör- roten Seite nach außen. gegangen und habe die grüne Seite nach dern vergiftet worden? Das Rätsel um das Türschild ist eines außen gehängt. Knauer dagegen sagte von vielen, das Barschel den Ermittlern aus, er habe womöglich aus Versehen das Genf, am 11. Oktober 1987 hinterlässt. Warum wechselte es von Rot Schild gewendet. auf Grün und dann wieder auf Rot? Woll- Kurz danach muss der Zimmerkellner DAS TÜRSCHILD VOR ZIMMER 317 te jemand die Entdeckung des Toten pro- das Zimmer betreten haben. Gegen 12 Uhr Gegen neun Uhr an diesem Sonntagmor- vozieren? Und ein anderer sie danach geht dann auch Knauer rein. Die Tür war gen steht der „Stern“-Reporter Sebastian verhindern? Oder fiel das Schild einfach offen, 317 war nicht abgeschlossen. Er ruft Knauer vor der Tür zu Zimmer 317 im Ho- herunter und wurde falsch herum wieder laut, ob jemand da sei, und geht weiter. Er tel Beau-Rivage. An der Klinke hängt ein aufgehängt – zweimal hintereinander? sieht Barschels rechten Schuh im Flur, rotes Schild „Bitte nicht stören“. Der „Stern“-Reporter Knauer und der nicht ordentlich hingestellt, sondern acht- Um kurz vor elf geht das Zimmer- Fotograf Hanns-Jörg Anders hatten seit los in die Ecke geworfen. Er sieht das un- mädchen Anne-Marie Esteves an 317 vor- sechs Uhr morgens im Frühstückssaal auf berührte Bett und entdeckt handschriftli- 48 der spiegel 41/2007 Anders vor. Der Fotograf geht unruhig auf habe ich gefragt, ob er mich verarschen dem Flur auf und ab, er bemerkt, dass ihn will. Dann habe ich versucht, ihn zu stabi- der Sicherheitsmann eines australischen lisieren. Bist du sicher, ist er wirklich tot?, Diamantenhändlers beobachtet. Anders habe ich ihn gefragt. – Ja, sagte Knauer, ich will nicht auffallen, er geht wieder in die habe ihn nicht angefasst, aber ich bin mir Lobby. sicher, der ist tot.“ Aufgelöst taucht Knauer kurze Zeit spä- Bremer kennt Knauer seit Jahren, er ter auf. Er sagt, dass Barschel tot in der Ba- weiß, dass er nicht „einer dieser Brecher“ dewanne liege. ist. Er hatte bewusst „einen sensibleren Knauer lässt sich eine kleine Nikon Reporter“ nach Genf geschickt, einen, der Autofocus von Anders geben. Auf dem es verstand, sich Barschel höflich zu Film sind noch Urlaubsfotos aus Däne- nähern. „Was wir jetzt angefangen haben, mark, das letzte Negativ zeigt eine tote müssen wir auch zu Ende führen. Du gehst Möwe am Strand. jetzt zur Hoteldirektion und sagst ihnen Ein letztes Mal, so erzählt es Anders, Bescheid. Aber sieh zu, dass die Filme vor- geht Knauer ins Zimmer 317 und fotogra- her in Sicherheit gebracht werden und zu fiert den Schlafraum, das Bett, die Notizen uns kommen, weil das eine Wahnsinnsge- auf dem Nachttisch, den toten Minister- schichte ist.“ präsidenten in der Badewanne. Er durch- Kurz vor 13 Uhr benachrichtigen die quert das Badezimmer, um den besten „Stern“-Leute den Hotel-Portier, im Zim- Blickwinkel zu finden. Es ist feucht und mer 317 liege ein Toter in der Badewanne. warm, die Wasseroberfläche in der Wanne Der Portier versucht zunächst, die Besitzer spiegelglatt. Als er Zimmer 317 verlässt, des Beau-Rivage zu benachrichtigen. Dann
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