Titel Der Tote von Zimmer 317 Es war eine politische Affäre, die das Land vor 20 Jahren erschütterte wie keine andere zuvor: Uwe Barschel belog die Nation und starb in einem Hotel in Genf. War es Selbstmord oder Mord? Antworten müssen in seinem Leben zu finden sein – in seinem Doppelleben.

Polizeifoto des toten Barschel: „Die Antworten auf die vielen offenen Fragen konnte man nur in Deutschland finden“

ie Sache mit den Asservaten ist ihm Wille ist vermutlich der beste Barschel- übte, wie Psychologen sagen. Nun hängt er ein bisschen peinlich. Der Leitende Kenner Deutschlands. Er war von Amts der Mordtheorie an, für die er allerdings DOberstaatsanwalt grinst, er deutet wegen jahrelang mit den Ermittlungen im weder Motiv noch Täter vorweisen kann. mit einer Kopfbewegung zum Schrank hin, Todesfall befasst. Er gehört der SPD an, Dafür sprechen aber aus seiner Sicht Un- der gegenüber vom Schreibtisch steht, und die zu Barschels Lebzeiten von der schles- gereimtheiten wie zum Beispiel der abge- holt den Schlüssel hervor. wig-holsteinischen CDU als fünfte Kolon- rissene zweitobere Knopf an Barschels Was vom letzten Tag im Leben des Dr. Dr. ne des Ostens denunziert wurde. Wille Hemd: „Versuchen Sie mal“, sagt Wille, Uwe Barschel übrig blieb, lagert hinter Nuss- glaubte sich in seinem Drang zur Wahr- „bei hochgezogener Krawatte den zweiten holzfurnier zwischen Aktenordnern und heitsfindung behindert und verfolgt. Ein Knopf von oben selber abzureißen. Das Büchern: sein letztes Hemd, seine letzte Buch über seine Jahre mit Barschel hat er geht einfach nicht.“ Hose, die Krawatte, zwölf Toilettenartikel geschrieben, aber er darf es nicht auf den Vor Willes Augen läuft die Tat in der und dazu die Schuhe, die er am 11. Oktober freien Markt bringen; das hat ihm sein Vor- Nacht zum Sonntag folgendermaßen ab: 1987 trug, dunkelbraune Herrenschnürschu- gesetzter, Generalstaatsanwalt Erhard Rex, Mindestens zwei Täter betäuben Barschel, he mit Ledersohle, rechts stärker abgelaufen untersagt. heben den Bewusstlosen in die Bade- als links, Marke Lloyd. Ministerpräsidenten- Mittlerweile ist Wille nicht mehr über- wanne und flößen ihm dann einen tödli- schuhwerk, das 20 Jahre nach Barschels Tod zeugt davon, dass Barschel am 11. Oktober chen Wirkstoff ein. Nur so lässt sich, sagt hier im Büro von Oberstaatsanwalt Hein- 1987 so sehr am Ende war, dass er Selbst- er, das prämortale Hämatom an der Stirn rich Wille in Lübeck zu besichtigen ist. mord beging – einen Bilanzselbstmord ver- erklären, der Abdruck eines fremden

46 41/2007 Zerbrochenes Weinglas Barschels Schuhe

Riss in der Knopfleiste des Hemds Whisky-Fläschchen MONIKA ZUCHT (R. O. + R. U.) MONIKA ZUCHT (R. O. Beweisstücke im Fall Barschel: Alles reine Glaubenssache?

Schuhs auf dem Badewannenvorleger, die entstanden sind. Im Landeskriminalamt Tatortberichte zur Verfügung. Alles reine Giftrückstände im Whisky-Fläschchen und Kiel beträufelten sie die Schuhe mit Haut- Glaubenssache? eben dieser abgerissene Hemdknopf. giften, um „das Migrationsverhalten der So ist das immer wieder in dieser merk- Der Lübecker Oberstaatsanwalt hat farbgebenden Substanzen aus dem Schuh würdigsten aller Affären, die je über die die Ermittlungen im Fall Barschel vor fast Dr. Barschels“ zu untersuchen. Bundesrepublik hereingebrochen ist. Ein zehn Jahren abgeschlossen, aber er kommt Mord oder Selbstmord? Willes Vorge- leibhaftiger Ministerpräsident gibt der Na- nicht los davon. Wer sonst stellt sich frei- setzter Erhard Rex ist ein entschiedener tion sein Ehrenwort und hält zugleich ein willig die Schuhe eines Toten in den Gegner der Mordtheorie. „Dr. Barschel ist paar Mitarbeiter zu Falschaussagen an, um Schrank? nicht gewaltsam zu Tode gebracht wor- nicht als Lügner aufzufliegen. Eine Affäre Die Ermittler haben vielerlei Anstren- den“, schreibt er in einem 50 Seiten langen im kleinen, beschaulichen, zurückgeblie- gungen unternommen, diese Schuhe zum Bericht zum 20. Todestag. „Das Hotelzim- benen Schleswig-Holstein handelt von Ruf- Sprechen zu bringen. Sie haben sie zerlegt mer war völlig aufgeräumt und zeigte kei- mord am politischen Gegner und unter- und zahlreichen Untersuchungen unterzo- ne Spuren von Gewalteinwirkung, keine gräbt das Vertrauen in die demokratisch gen. Im Lederinstitut Gerberschule in Abwehrspuren Dr. Barschels waren er- gewählten Vertreter im ganzen Land auf Reutlingen haben sie Wasser und Löse- sichtlich, keine klassischen Tötungshand- lange Zeit. mittel über sie gekippt, um Aufschluss zu lungen haben stattgefunden.“ Am Anfang ist die Barschel-Affäre ein erlangen, wie die merkwürdigen Verfär- Beiden Staatsanwälten stehen dieselben überschaubarer Fall mit einem Schurken, bungen auf der Matte vor der Badewanne Akten, dieselben Ermittlungen, dieselben einem Handlanger namens Reiner Pfeiffer

der spiegel 41/2007 47 Titel MONIKA ZUCHT Genfer Hotel, Barschel-Zimmer, „Bitte nicht stören“-Schild: Von Rot auf Grün

DER ERMITTLER bei und sieht ein grünes Barschel gewartet. Immer wieder – „quasi Heinrich Wille, Leitender Oberstaatsanwalt Schild an der Tür: „Bit- im Halbstundentakt“ – ging Knauer hoch Er führte in Lübeck zwischen 1994 und 1998 ein Verfahren te Zimmer aufräumen“. zu Zimmer 317 und klopfte an die Tür, „gegen Unbekannt“ wegen Mordes durch. Er glaubt auch Sie überlegt kurz, ob sie ohne Resonanz. Seine Redaktion erwarte- persönlich, dass Uwe Barschel im Beau-Rivage vergiftet wurde. 317 noch vor der Mit- te von ihm ein Interview mit dem zurück- tagspause aufräumen getretenen Ministerpräsidenten. Barschel soll, verschiebt es dann hatte den Rückflug nach Deutschland, das und einem Opfer, Björn Engholm. Am aber auf später. Um kurz nach elf Uhr be- wussten die Journalisten, für 14.45 Uhr ge- Ende sind viele Fragen wieder offen. Ist tritt der Zimmerkellner Ludovic Erba das bucht. Die Zeit lief ihnen davon. Barschel vielleicht sogar das Opfer eines Zimmer, um die Minibar aufzufüllen. Das „Dreh doch einfach das Türschild um. Komplotts seines Werkzeugs Pfeiffer und Türschild, so Erba, habe Grün gezeigt. Dann geht das Personal rein, und wir wis- der SPD? Oder ist Barschel beides, erst Um 11.30 Uhr kommt Esteves aus der sen, ob er überhaupt noch da ist“, habe er Täter, dann Opfer? Und ist der Tote in der Mittagspause zurück und will jetzt 317 auf- zu Knauer gesagt, so erinnert sich heute Badewanne, den ein „Stern“-Reporter ent- räumen. Das Türschild hängt aber mit der der Fotograf Anders. Knauer sei hoch- deckt, nicht doch von gedungenen Mör- roten Seite nach außen. gegangen und habe die grüne Seite nach dern vergiftet worden? Das Rätsel um das Türschild ist eines außen gehängt. Knauer dagegen sagte von vielen, das Barschel den Ermittlern aus, er habe womöglich aus Versehen das Genf, am 11. Oktober 1987 hinterlässt. Warum wechselte es von Rot Schild gewendet. auf Grün und dann wieder auf Rot? Woll- Kurz danach muss der Zimmerkellner DAS TÜRSCHILD VOR ZIMMER 317 te jemand die Entdeckung des Toten pro- das Zimmer betreten haben. Gegen 12 Uhr Gegen neun Uhr an diesem Sonntagmor- vozieren? Und ein anderer sie danach geht dann auch Knauer rein. Die Tür war gen steht der „Stern“-Reporter Sebastian verhindern? Oder fiel das Schild einfach offen, 317 war nicht abgeschlossen. Er ruft Knauer vor der Tür zu Zimmer 317 im Ho- herunter und wurde falsch herum wieder laut, ob jemand da sei, und geht weiter. Er tel Beau-Rivage. An der Klinke hängt ein aufgehängt – zweimal hintereinander? sieht Barschels rechten Schuh im Flur, rotes Schild „Bitte nicht stören“. Der „Stern“-Reporter Knauer und der nicht ordentlich hingestellt, sondern acht- Um kurz vor elf geht das Zimmer- Fotograf Hanns-Jörg Anders hatten seit los in die Ecke geworfen. Er sieht das un- mädchen Anne-Marie Esteves an 317 vor- sechs Uhr morgens im Frühstückssaal auf berührte Bett und entdeckt handschriftli-

48 der spiegel 41/2007 Anders vor. Der Fotograf geht unruhig auf habe ich gefragt, ob er mich verarschen dem Flur auf und ab, er bemerkt, dass ihn will. Dann habe ich versucht, ihn zu stabi- der Sicherheitsmann eines australischen lisieren. Bist du sicher, ist er wirklich tot?, Diamantenhändlers beobachtet. Anders habe ich ihn gefragt. – Ja, sagte Knauer, ich will nicht auffallen, er geht wieder in die habe ihn nicht angefasst, aber ich bin mir Lobby. sicher, der ist tot.“ Aufgelöst taucht Knauer kurze Zeit spä- Bremer kennt Knauer seit Jahren, er ter auf. Er sagt, dass Barschel tot in der Ba- weiß, dass er nicht „einer dieser Brecher“ dewanne liege. ist. Er hatte bewusst „einen sensibleren Knauer lässt sich eine kleine Nikon Reporter“ nach Genf geschickt, einen, der Autofocus von Anders geben. Auf dem es verstand, sich Barschel höflich zu Film sind noch Urlaubsfotos aus Däne- nähern. „Was wir jetzt angefangen haben, mark, das letzte Negativ zeigt eine tote müssen wir auch zu Ende führen. Du gehst Möwe am Strand. jetzt zur Hoteldirektion und sagst ihnen Ein letztes Mal, so erzählt es Anders, Bescheid. Aber sieh zu, dass die Filme vor- geht Knauer ins Zimmer 317 und fotogra- her in Sicherheit gebracht werden und zu fiert den Schlafraum, das Bett, die Notizen uns kommen, weil das eine Wahnsinnsge- auf dem Nachttisch, den toten Minister- schichte ist.“ präsidenten in der Badewanne. Er durch- Kurz vor 13 Uhr benachrichtigen die quert das Badezimmer, um den besten „Stern“-Leute den Hotel-Portier, im Zim- Blickwinkel zu finden. Es ist feucht und mer 317 liege ein Toter in der Badewanne. warm, die Wasseroberfläche in der Wanne Der Portier versucht zunächst, die Besitzer spiegelglatt. Als er Zimmer 317 verlässt, des Beau-Rivage zu benachrichtigen. Dann zeigt das Türschild wieder die rote Seite. erst ruft ein Angestellter die Polizei an. Sebastian Knauer, der mittlerweile beim Knauer und Anders werden als Verdächtige SPIEGEL angestellt ist, erinnert sich an- verhört. Knauer kann die Filme unbemerkt ders an den Ablauf der Ereignisse an die- dem Schweizer Journalisten Frank Garbely sem Sonntagmorgen: Er sei nur dreimal, übergeben, der für den „Stern“ arbeitet. anstatt viermal, ins Zimmer gegangen; er Kurz darauf ruft Chefredakteur Bremer habe schon beim dritten Mal das berühm- den kommissarischen Ministerpräsidenten te Foto geschossen, das um die Welt ging. Henning Schwarz (CDU) in Kiel an, um Es war genau 12.45 Uhr, wie die Uhr an ihm mitzuteilen, dass zwei „Stern“-Repor- Barschels Arm zeigt. Dies gab er auch den ter Barschel tot in Genf gefunden hätten Ermittlern in Genf und später in Lübeck zu und dass alles nach Selbstmord aussehe. Protokoll. Schwarz bedankt sich für den Anruf und Knauer hatte „so ein richtiges Schweiß- legt auf. perlengesicht, als er wieder rauskam“, sagt Um 15.29 Uhr meldet Associated Press Anders im Rückblick. Er geht mit ihm kurz als erste Nachrichtenagentur: „Eil – Bar- vors Hotel, um Luft zu schnappen und sich schel tot aufgefunden.“

OLAF JANDKE / CARO (M. O.) / CARO OLAF JANDKE zu beraten. Björn Engholm, den Barschel als Wi- und wieder auf Rot Wenig später klingelt bei „Stern“-Chef- dersacher fürchtete und wüst bekämpfen redakteur Heiner Bremer das Telefon. ließ, sitzt gerade bei seinem Parteifreund che Aufzeichnungen auf dem Nachttisch. Knauer ist dran. „Er sagte mir, da oben Norbert Gansel auf dem Sofa, als ihn die „Treffen mit R. R. hat geklappt“, steht auf liegt der Barschel tot in der Wanne. Knau- Nachricht aus Genf erreicht. Er erklärt eine einem Blatt und: „Ich bin sicher, dass er er machte einen ziemlich mitgenommenen Stunde später: „Dieser Tod, von dem ich kommt mit dem Bild.“ Eindruck“, erzählt Bremer heute. „Erst heute Nachmittag erfahren habe, hat mich Barschels Gedankenwelt auf sieben ka- rierten Blättern eines gebundenen Notiz- blocks – die Hoffnung, einen Informanten zu treffen, der ihm Beweise liefert, die ihm zur Rehabilitierung verhelfen. Deshalb ist er von Gran Canaria, aus dem Kurzurlaub mit seiner Frau, nach Genf geflogen. Knauer verlässt den Raum und geht zu Anders, der in der Lobby wartet. Beide beschließen, die Unterlagen her- auszuholen und auf dem Flur zu fotogra- fieren. Knauer geht wieder in Barschels Zimmer, holt die Aufzeichnungen und hält sie, einige Meter von 317 entfernt, unter eine Lampe im Flur. Anders fotografiert mit einer seiner drei Nikon-Kameras. „Ich habe Knauer gesagt, ich gehe nicht in ein fremdes Hotelzimmer“, sagt Anders heute. Noch immer wissen beide nicht, wo Bar- schel ist. Wieder geht Knauer gegen 12.30 Uhr ins

Zimmer 317, um die Notizen zurückzule- / STERN ZÜRICH / DPA KEYSTONE gen. Er bleibt diesmal lange, so kommt es Barschel auf dem Flughafen Genf (10. Oktober 1987): „Treffen mit R. R. hat geklappt“

der spiegel 41/2007 49 nen. Zwei deutsche Reporter finden einen vor kurzem zurückgetretenen Minister- präsidenten eines deutschen Bundeslandes tot in der Badewanne, aber niemand will Genaueres in Erfahrung bringen? „Die Antworten auf die vielen offenen Fragen im Fall Barschel konnte man, wenn über- haupt, nur in Deutschland finden“, sagt heute Bernard Bertossa, der ehemalige Genfer Generalstaatsanwalt. „In Genf, wo er sich zufällig wenige Stunden aufgehalten hat, war nicht zu klären, ob es ein Motiv für Mord oder Selbstmord gab. Wir wuss- ten ja gar nichts über Barschels Leben.“ Auch deshalb ist die Affäre, der Bar- schel seinen Namen gab, die längste, die Deutschland je erlebt hat. Zwei Parla- mentarische Untersuchungsausschüsse in Schleswig-Holstein haben sich damit be- schäftigt. Sieben Jahre nach dem Tod in

DPA Genf nahmen auch die Staatsanwälte hoch Kontrahenten Barschel, Engholm in Kiel (September 1987): Affäre ohne Gewinner im Norden endlich Ermittlungen auf: Im Keller der Lübecker Staatsanwaltschaft ste- tief erschüttert. Mein Mitempfinden gilt stimmung der Todesstunde wichtig gewe- hen 58 Hauptakten und 51 Bände Son- den Angehörigen.“ sen wäre; sie vergleichen den Schuhab- derakten zum Tod des Uwe Barschel. Reiner Pfeiffer, Barschels Mann fürs druck auf der Badematte nicht mit dem Der Anwalt der Familie Barschel, die ganz Grobe, erfährt an seinem Urlaubsort Abdruck von Knauers Schuh, womit sich von Anfang an der Mordtheorie anhing, in Portugal vom Tod – und weint. hätte klären lassen, ob unbekannte Dritte beantragte vor kurzem, am 23. Juli, die Der Chef des DDR-Auslandsgeheim- im Zimmer waren; sie schießen unbrauch- Wiederaufnahme des Verfahrens bei der dienstes HVA, Werner Großmann, ordnet bare Fotos vom Tatort, was jede Rekon- Generalbundesanwältin – zwei Jahrzehnte in Ost-Berlin an, sämtliche Informationen struktion erschwert; bei der Obduktion nachdem alles anfing, nachdem ein Jour- zum Tode Barschels zusammenzutragen. werden nicht genügend Mengen vom Ma- nalist namens Reiner Pfeiffer in der Kieler Später wird die HVA sowohl im Besitz des geninhalt und vom Urin konserviert, ein Staatskanzlei seinen Dienst antrat. Obduktionsgutachtens als auch eines sie- Hindernis für spätere Ermittlungen. Pfeiffer schrieb die anonyme Steuer- benseitigen Berichts über die Todesum- Viele Merkwürdigkeiten von Anfang an. anzeige, die den SPD-Spitzenkandidaten stände sein, den das Bundeskriminalamt Das Bundeskriminalamt und das Landes- Björn Engholm zu Unrecht der Steuerhin- anfertigen ließ. kriminalamt Schleswig-Holstein schicken terziehung bezichtigte. Er beauftragte Pri- In Genf nimmt die „Brigade criminelle“ zwar Beamte nach Genf, aber die haben vatdetektive mit der Beschattung des SPD- unter der Leitung der 31 Jahre alten keine Kompetenz, selbst zu ermitteln. Sie Spitzenkandidaten, er rief ihn als „Dr. Claude-Nicole Nardin die Ermittlungen sind Beobachter, stellen kaum Fragen, sie Wagner“ an, um ihm mitzuteilen, er habe auf. Die eigentlich für ihre Umsicht schauen nur zu. möglicherweise Aids. Ein paar Tage vor berühmten Schweizer gehen erstaunlich Noch erstaunlicher: In Deutschland er- der Landtagswahl in Schleswig-Holstein schlampig vor. Sie messen die Temperatur wägt zu diesem Zeitpunkt keine Strafver- kam Pfeiffer zum SPIEGEL und erzählte des Badewassers nicht, was für die Be- folgungsbehörde, Ermittlungen anzuord- von den dunklen Machenschaften, die er,

Barschels langer Schatten Chronik der Kieler Affäre DER FALL BARSCHEL um den 18. Juli Engholm erkun- DIE VORGESCHICHTE digt sich bei einem Kripo-Be- 7. September Erster SPIEGEL-Bericht. Engholm er- amten nach den Umständen stattet über Anwalt Peter Schulz Anzeige gegen 2. Dezember 1986 Der Springer- um den 11. Februar Barschel der Bespitzelung vom Februar. Unbekannt. Abends: Jansen, Nilius und Schulz Journalist Reiner Pfeiffer tritt seinen erkundigt sich bei Finanz- treffen Pfeiffer im Lübecker Lysia-Hotel. Nachts: Dienst als „Medienreferent“ von Staatssekretär Carl Hermann 21. Juli Geheimtreff Pfeiffer/ Schulz informiert Engholm über das Gespräch. Ministerpräsident Uwe Barschel an. Schleifer nach den Folgen der Nilius: Bei diesem oder einem 8. September Pfeiffer soll angeblich in anonymen Steueranzeige ge- anderen Juli-Treffen übergibt Barschels Auftrag eine Wanze besorgen. 14. Januar 1987 Pfeiffer kon- gen Engholm. Pfeiffer einen Brief, in dem Bar- taktiert die Bremer Detektei schel für den Flugzeugabsturz 9. September Treffen von Pfeiffer, Nilius und Schulz in ; Pfeiffer geht zum SPIEGEL. Piel, die den SPD-Spitzen- 22. April Pfeiffer bittet den von Lübeck verantwortlich ge- kandidaten Björn Engholm Bremer SPD-Finanzsenator macht wird. Nilius gibt den Brief ausforschen soll. Claus Grobecker, Verbindung an den „Stern“ weiter. zur Kieler SPD herzustellen. 12. September 22. Januar Pfeiffer denunziert 24. Juli Engholm befragt einen Pressemeldungen Engholm in einem anonymen Finanzbeamten nach der anony- 31. Mai Barschel überlebt, über den SPIEGEL- Schreiben an das Finanzamt Lü- men Steueranzeige vom Januar. Titel „Barschels beck als Steuerhinterzieher und schwerverletzt, einen Flug- zeugabsturz in Lübeck. schmutzige Tricks“. schickt eine Kopie an Barschel. August Pfeiffer liefert der SPD in- Jansen behauptet terne CDU-Wahlkampfunterlagen. wahrheitswidrig, 10. Februar Die Polizei ertappt 16. Juli Erstes verbürgtes Engholm informiert SPD-Landes- zum ersten Mal zwei der Detektive, die Eng- Geheimtreffen Pfeiffers mit chef Günther Jansen über Obser- von den Vorwürfen holm beschatten. SPD-Sprecher Klaus Nilius. vation und Steueranzeige. zu hören.

50 der spiegel 41/2007 so sagte er, im Auftrag des Ministerpräsi- hard Füllner, ein CDU-Kreis- denten ausgeführt habe. präsident in Lauenburg. Barschel wehrte sich gegen die Vorwür- Fortan gibt es den Dr. Dr. fe, gab der deutschen Öffentlichkeit auf ei- Uwe Barschel in doppelter Aus- ner dramatischen Pressekonferenz sein Eh- gabe. Er ist der gläubige Fami- renwort. Ein Ehrenwort, das nur wenige lienvater, dessen Kinder Block- Tage hielt. Seine Partei ließ ihn in Rekord- flöte und Klavier spielen, wenn geschwindigkeit fallen. Seinen Tod in Genf Besuch kommt. Er ist der Ehe- verstand sie, wie damals die übergroße mann, dessen Frau in der CDU- Mehrheit der Deutschen, als Eingeständnis Wahlkampfzeitung Rezepte für der Schuld. Maraschino-Kirschtorte verrät. Die Barschel-Affäre ist auch singulär, Er ist der Familienmensch, der weil sie nur Verlierer kennt. Die Sozial- eine Ahnengeschichte der Bar- demokraten mussten zugeben, dass ihr schels schreibt, mit der Wid- Pressesprecher weit vor der Veröffent- mung: „Möge meine kleine Fa- lichung im SPIEGEL Kontakt zu Pfeiffer milienchronik allen Barschels gehalten hatte. Sehr viel später kam her- ein Gefühl der Zusammen- aus, dass Pfeiffer lange nach der Affäre un- gehörigkeit geben.“ ter konspirativen Umständen 50000 Mark Eine Frau aus altem Adel, von der SPD bekommen hatte. Björn Eng- vier Kinder, konservativ, werte- holm musste 1993 von allen politischen treu, ein Politiker so ehrenwert, Ämtern zurücktreten, auch er hatte früher wie sich die CDU im ganzen von den Machenschaften gewusst, als er Land versteht und gibt. Uwe in einem Untersuchungsausschuss ausge- Barschel Mustermann. sagt hatte. Und dann gibt es den ande- Der Fall Barschel ist ein Lehrbeispiel für ren Barschel. Den Ministerprä- Machtvergessenheit und Machtversessen- DER INFORMANT sidenten, der immer wieder heit in der Demokratie. Und für den Preis, Reiner Pfeiffer, ehemaliger Medienreferent der CDU trotz vollen Terminkalenders den Menschen dafür bezahlen. Er arbeitete in der Kieler Staatskanzlei und löste die stundenweise von der Bild- Barschel-Affäre aus, als er Anfang September 1987 fläche verschwindet; nicht ein- DER DOPPELTE BARSCHEL den SPIEGEL über schmutzige Tricks informierte. mal seine Leibwächter wissen MONIKA ZUCHT dann, wo er sich aufhält. Ein Uwe Barschel war ungemein ehrgeizig und Mann, süchtig nach Tabletten, ungemein intelligent. Er war immer schnel- nig später heiratet der doppelte Doktor offenbar scharf auf schnellen Sex. Immer ler als andere, darauf gründete sein Selbst- Freya von Bismarck, eine entfernte Ver- wieder, so sagen Mitarbeiter, habe er sich bewusstsein. wandte aus der weitverzweigten Familie Frauen zuführen lassen. Aufstieg aus kleinen Verhältnissen, Jura- des Reichskanzlers. Mehr Aufstieg in kür- „Mein Bruder“, sagt Eike Barschel, „hat Examen mit 24. Politik früh als Beruf: Mit zerer Zeit geht nicht. kein Privatleben gehabt.“ 27 Regierungsbeauftrager für Jugend und Die Familie erwirbt ein weitläufiges An- Einer seiner Fahrer erzählt die Ge- Sport, Dienstwagen, Sekretärin und Mit- wesen in Mölln. Im privaten Kreis steckt schichte vom Fünf-Mark-Stück, einer Ma- arbeiterstab dazu. Mit 29 Fraktionschef im Barschel seine Ziele so ab: Er wolle „erster rotte des Ministerpräsidenten. Wenn Bar- Kieler , gefördert vom großen Präsident der Vereinigten Staaten von Eu- schel im Dienstwagen unterwegs ist, wirft grauen Biedermann der schleswig-holstei- ropa“ werden. „Er konnte konsequent sein er manchmal hinten auf der Rückbank die nischen CDU, . We- bis zur Brutalität“, sagt sein Freund Mein- Münze in die Luft, fängt sie auf und be-

DIE „SCHUBLADEN-AFFÄRE“ 13. September Die Landtagswahl 11. Oktober Barschel wird 18. März Der SPD-Bundes- in Schleswig-Holstein endet mit tot in seinem Hotelzimmer Januar 1993 Pfeiffers Ex-Geliebte Elfi Jabs tagsabgeordnete Norbert einem Patt. Engholm behauptet in Genf aufgefunden. informiert den „Stern“, Pfeiffer habe aus Gansel erfährt von Rechts- wahrheitswidrig, erstmals von den einem „SPD-Fonds“ Geld bekommen. anwalt Schulz, dass dieser Vorwürfen zu hören. Engholm am 7. September November Mitarbeiter Barschels 1. März Jansen teilt mit, er habe Pfeiffer 1987 nach dem Treffen im 18. September Barschel gibt in einer nehmen falsche eidesstattliche 1988 und 1989 durch Nilius jeweils Geld Lysia-Hotel informiert hat. Pressekonferenz sein „Ehrenwort“, Versicherungen zurück, die sie überbringen lassen, das seine Frau und Pfeiffers Vorwürfe seien haltlos. auf Drängen des Ministerpräsi- er zu Hause in einer Schublade ange- 23. März Jansen tritt als denten abgegeben hatten. spart hätten. Insgesamt Sozialminister zurück. 25. September Barschel kündigt sind es 50000 Mark. seinen Rücktritt zum 2. Oktober an. In den Tagen zuvor waren CDU- Februar 1988 Der Unter- 10. März Ein Unter- 23. April Das Kieler Land- Parteifreunde von ihm abgerückt. suchungsausschuss suchungsausschuss gericht spricht Barschels beendet seine Arbeit: zur Aufklärung der stellvertretenden Regie- 2. Oktober Der Landtag setzt einen Barschel gilt als Urheber „Schubladen-Affäre“ rungssprecher Herwig Untersuchungsausschuss ein. der Machenschaften. wird eingesetzt. Ahrendsen vom Vorwurf der Falschaussage frei. 9. Oktober Die CDU-Fraktion fordert 15. März Nilius erklärt Barschel auf, sein Landtagsmandat 8. Mai Die SPD gewinnt die öffentlich, dass er den 3. Mai Engholm tritt als niederzulegen. Jansen und Nilius Landtagswahl mit absoluter Untersuchungsausschuss SPD-Vorsitzender, Kanz- berichten erstmals über Kontakte Mehrheit. Engholm wird 1987 in mehreren Punk- lerkandidat und Minister- zu Pfeiffer. Ministerpräsident. ten belogen hat. präsident zurück.

der spiegel 41/2007 51 Titel fiehlt dem Chauffeur: „Wir müssen dre- den hochdotierten Notargeschäften, mit hen, wir fahren woanders hin.“ denen er auf den Fluren des Was ging da in ihm vor? prahlte? Oder diese Episode, die an einem Mor- Eines davon könnte an einem Sonntag gen in Hamburg spielt. Barschel bittet sei- begonnen haben. Ein früherer Kanzleikol- nen Fahrer, er möge ihn im „Vier Jahres- lege Barschels, der heute zurückgezogen in zeiten“ absetzen und warten. Es vergehen Norddeutschland lebt und seinen Namen zwölf Stunden, bis er wieder heraus- nicht veröffentlicht sehen möchte, erinnert kommt. Kommentarlos. sich an einen Anruf, der ihn aus der Wo- Er fährt auch immer wieder in die DDR, chenendruhe riss. Moll und Barschel hätten anscheinend auch spontan und ohne An- von ihm verlangt, er solle sofort nach Ham- meldung, was für Politiker wie ihn unüb- burg kommen, es gehe um ein „wichtiges lich war. Er scheint sich im zweiten deut- Geschäft“, das keinen Aufschub dulde. schen Staat sicher zu bewegen, ohne Angst In der Hansestadt trifft der Mann die vor Erpressung durch die Stasi, ohne beiden „ganz konspirativ“ in einem Ho- Angst, die seltsamen Reisen könnten sich telzimmer. Barschel und Moll hätten „mit zum Skandal auswachsen und somit sei- Verschwörermiene“ über einem Stapel Ak- ner Karriere schaden, auf die er alles setzt. ten gebrütet. Es sei dabei um „den Ver- Auch beruflich gibt es ihn doppelt, den Uwe Barschel. Neben der Politik ist er Notar in einer Kieler Sozietät.

Kiel, im Frühjahr 1976 DIE GESCHÄFTE DES NOTARS Am Eingang des Bürohauses am Sophienblatt 46 wird ein neues Firmenschild ange- bracht, die Notariats- und Rechtsanwaltskanzlei Moll bekommt einen neuen Kolle- gen: Dr. Dr. Uwe Barschel. Von ihm verspricht sich die Sozietät Werbung und neue Mandanten aus dem Umkreis von Politik und Wirtschaft. Barschel verdient in seinem bürgerlichen Beruf zusätzlich Geld und schafft sich eine Al- ternative zur Politik. Er ist jung, erst 32 Jahre alt, doch eine unübersehbare Größe in Schleswig-Holstein. Hans Michael Moll, der Namensgeber der Kanzlei, kennt Barschel aus der CDU. Er ist eine schillernde Figur im kleinen norddeutschen Bundesland. Als CDU-Rats-

herr und Wirtschaftsdezer- ERDMANSKI LUDWIK nent der Stadt Kiel unterhält Familie Barschel*: Maraschino-Torte und Ahnengeschichte er zuverlässige Kontakte zur Baubranche; als Vizepräsident des Bun- kauf von Hubschraubern in den arabischen deswehr-Reservistenverbandes pflegt er Raum“ gegangen – „womöglich nach enge Beziehungen zu den Streitkräften. Saudi-Arabien“. Mehr wissen wollte der Dabei wird Moll den Ruf nicht los, in Waf- Kanzleikollege damals nicht, für den Fall, fengeschäfte verwickelt zu sein. dass ihm Polizei oder Staatsanwaltschaft Barschel besitzt kein eigenes Büro in der kompromittierende Fragen stellen würden. Kanzlei, er arbeitet zu Hause. Was genau Allerdings ist er nie deswegen vernommen er macht, lässt sich heute nicht mehr her- worden. ausfinden. Lediglich einige Grundstücks- Das ist verwunderlich, denn die Sonn- beurkundungen – unter anderem in tagsepisode wäre ein erster Hinweis, Aumühle bei Hamburg – sind mit akkura- dass an den Gerüchten über Barschels ter schwarzer Schrift und rotem Datums- Geschäftsbeziehungen in den Nahen und stempel für die Jahre 1976 und 1977 im Notariats-Register auf seinen Namen ein- * Uwe Barschel, Ehefrau Freya mit Kindern Hauke und getragen, mehr nicht. Was aber ist mit Maike, 1987.

52 der spiegel 41/2007 Titel

Mittleren Osten etwas dran sein könnte. habe. Sein Freund erzählt ihm allerdings aber viel Geld für Barschel, den jungen Auch ein Blick in die notariellen Urkun- nichts über den Inhalt oder die Klienten. Landtagsfraktionschef, der eine rasch denrollen beim Kieler Amtsgericht, für die So bleibt offen, ob es das Libyen-Geschäft wachsende Familie unterhalten muss und Öffentlichkeit nicht zugänglich, könnte wirklich gab oder Barschel wieder einmal das Anwesen in Mölln abzahlen soll. neue Erkenntnisse zutage fördern – aber ein Opfer seines übergroßen Geltungs- Fast neun Jahre nach Barschels Tod kein Ermittler hat offenbar je Aktenein- drangs geworden war. tauchten neue Indizien fürs geheimnisvol- sicht beantragt. Vielleicht hätten sie dort Einiges spricht dafür, dass Barschel dies- le Geschäft auf. Am 1. Juli 1996 meldete eine andere Spur entdeckt – eine, die nach mal nicht übertrieben hatte. Die Kanzlei sich ein CDU-Mitglied aus Bremen bei der Libyen führt. verfügte offenbar noch über andere Ver- Staatsanwaltschaft Lübeck. Er hatte in den Fünf Personen aus Barschels Umgebung, bindungen in die arabische Welt. So flog siebziger Jahren Konferenzen organisiert, darunter ein enger Freund, einer seiner ein Anwalt der Sozietät im Jahr 1977 mit zu denen sich die CDU-Fraktionschefs aus Referenten, ein Anwaltskollege, ein CDU- einem Kieler Baulöwen und früheren Re- den Bundesländern trafen. Eines Tages – Mann und Freya Barschel, haben gegen- gierungsdirektor über Rom nach Tripolis. der Mann meint, es sei auf der Treppe des über dem SPIEGEL bestätigt, dass Bar- Gemeinsam mit einem Libyer, so erzählt Bremer Park Hotels gewesen – habe ihm schel auch Libyen-Geschäfte erwähnt der Anwalt heute, seien sie in einem Mer- Barschel gesagt, er könne an einer der habe. Einmal habe er ihn darum gebeten, cedes durch die nordafrikanische Wüste nächsten Konferenzen nicht teilnehmen, erzählt der ehemalige Referent, eine an- gebraust, um „Rohbauten“ zu besichtigen da er „den Verkauf von Lkw nach Libyen waltliche Sprechstunde für ihn zu über- und „Vertragswerke zu prüfen“. Mehr darf protokollieren müsse“. nehmen, da er verhindert sei – er müsse er zu diesem Geschäft nicht sagen, er un- In den Unterlagen der Konrad-Ade- geschäftlich nach Nordafrika. terliegt noch immer der anwaltlichen nauer-Stiftung fanden die Ermittler wirk- Dazu steuert einer der wenigen Bar- Schweigepflicht. lich einen entsprechenden Termin im März schel-Freunde, der Kieler Politikwissen- In dieser Zeit lernt Barschel Karl Josef 1977, für den der Name Barschel durchge- schaftler Ulrich Matthée, eine Episode aus Ballhaus kennen, den Geschäftsführer der strichen war. eigenem Erleben bei. Barschel lud ihn zum Hamburger Kosmetikfirma Schwarzkopf. Die Fahnder, einmal hellhörig, befragten Essen ins Kieler Schloss ein, um mit ihm Bald schon gründen die beiden gemein- die Witwe Freya Barschel, ob sie denn von den Abschluss seines ersten großen No- sam die Stiftung Herzogtum Lauenburg. solchen Geschäften etwas gehört habe. tarvertrages zu feiern. Matthée erinnert Jeder von ihnen bringt 25000 Mark Stif- „Frau Barschel erinnerte, dass ihr Mann sich, dass der Vertrag mit „einem Geschäft tungskapital ein. Das ist eine überschau- einmal von einer ‚lukrativen‘ Beurkundung im Zusammenhang mit Libyen“ gestanden bare Summe für einen Spitzenmanager, erzählt habe“, heißt es im Protokoll der „Wir haben viel geweint“ Christian Albrecht Barschel, 27, über den Tod in Genf und seine Überzeugung, dass sein Vater Opfer eines Mordes wurde

SPIEGEL: War es Ihrer Ansicht nach die mit drinhängt. Am Ende ist es wohl Mord oder Selbstmord? ein Mischmasch aus allem. Barschel: Mord, davon bin ich über- Ich gehe davon aus, dass die Mörder zeugt. Man liest viel, und manche Mo- nur ausführende Organe waren. Sie ha- tive kommen in Frage, aber sich auf ben einen Auftrag erfüllt. Mein Vater den oder die Täter festzulegen fällt wollte kurz vor seinem Tod auf einer schwer. Pressekonferenz sein Wissen über Din- SPIEGEL: Was macht Sie so sicher? ge preisgeben, die über seinen Kopf Barschel: Es ist ein Bauchgefühl. An- hinweg geschehen sind, vor und wäh-

SPIEGEL TV dererseits bin ich sein Sohn und habe rend seiner Amtszeit. Das hat gewis- Barschel seine Gene. Ich wäre nicht der Typ, sen Funktionsträgern und Institutionen der sagt: „Tschüss Leben“ und vier Angst gemacht. SPIEGEL: Herr Barschel, Sie waren sie- Kinder und eine Frau im Stich lässt. SPIEGEL: Glauben Sie, das Geheimnis ben Jahre alt, als Ihr Vater starb. Wie Das hätte mein Vater nie getan, und er um den Tod Ihres Vaters wird jemals haben Sie von seinem Tod erfahren? hat es auch nicht getan. gelüftet? Barschel: Mein Onkel Eike oder meine SPIEGEL: Vielleicht ist der Gedanke an Barschel: Mittlerweile kann ich nicht Tante haben es mir gesagt. Ich war mit Selbstmord für Sie unerträglich? mehr daran glauben. Da ist so vieles meinen Geschwistern bei ihnen in Yens Barschel: Ich käme damit klar, wenn es vertuscht und verschlampt worden. Wo bei Genf zu Besuch. Wir haben viel denn so wäre, es ist aber nicht so. Für sollen handfeste Beweise noch her- geweint und konnten es gar nicht be- mich sprach nie etwas für Selbstmord. kommen? Der Tod meines Vaters wird greifen. Jeder, der sich damit beschäftigt, muss mich sicher mein ganzes Leben be- SPIEGEL: Sprechen Sie mit Ihren Ge- zu dieser Schlussfolgerung kommen. schäftigen. Ich möchte die Verantwort- schwistern über den Tod des Vaters? SPIEGEL: Wer könnte der Mörder, wer lichen fragen können: Warum haben Barschel: So gut wie gar nicht. Wahr- könnten die Mörder sein? Sie uns Kindern den Vater genommen? scheinlich aus Rücksichtnahme, damit Barschel: Es wurde so viel spekuliert, Ich hätte gern Klarheit und Gewissheit der Schmerz nicht immer wieder auf- über die CIA, den , die Stasi, über das Schicksal meines Vaters. kommt. den BND, über die deutsche Politik, Interview: Anna Sadovnikova

54 der spiegel 41/2007 Barschel-Geburtstagsfeier in Warnemünde (13. Mai 1982)*: „Wir bringen den MP später zurück“

Unterredung. Es sei um Geschäfte mit langten Hinweis auf den Pogeezer Mil- Die Firmen von Klaus Reeckmann, mitt- Staaten des Nahen Ostens gegangen, mit lionär achtlos ab: „Da eine Beurkundung lerweile 71 Jahre alt, gehörten vor der Israel oder Libyen. Am Ende sei die Beur- letztlich nicht zustande gekommen sein Wende „zu den großen Nummern“ im kundung jedoch offenbar geplatzt. Freya soll, scheinen weitere Ermittlungen nicht Ost-West-Handel, wie ein Berliner Ober- Barschel fiel dazu noch ein, dass dieses angezeigt“, steht in den Akten der Lü- staatsanwalt sagt. Geschäft im Zusammenhang mit einem becker Staatsanwaltschaft. Reeckmann dirigierte ein Unterneh- Bekannten ihres Mannes aus Pogeez ge- Dabei führt die Biografie von Klaus mensgeflecht. Seine Firmen hießen „Mul- standen habe. Sie wusste nicht mehr seinen Reeckmann direkt in die Grauzone zwi- ti-Transoceanica-Trade“, „Unischiff“ oder Namen, sie erinnerte sich aber an sein schen Kapitalismus und Planwirtschaft, „Lüdex“. Sie versorgten zum Beispiel das schönes Anwesen an einem See. dorthin, wo sich damals westdeutsche Ge- Warnemünder Renommierhotel Neptun Einer der Ermittler fuhr mit der Witwe schäftsleute mit dem „Bereich Kommer- mit Westwaren. nach Pogeez, einen Ort am Westufer des zielle Koordinierung“ (KoKo), den der Ein ehemaliger Reeckmann-Angestell- Großen Ratzeburger Sees, doch sie fand berüchtigte DDR-Devisenbeschaffer Alex- ter erinnert sich noch „an mehrere Anru- das Haus nicht wieder. Beim Grübeln fiel ander Schalck-Golodkowski leitete, auf fe aus dem Büro Barschel“. Die Sekretärin ihr immerhin ein anderes Detail ein, der halblegale oder auch gänzlich illegale Hän- habe dann ausgerichtet, dass „Herr Bar- schöne Reibeputz im Flur der Villa. So gut del einließen. schel gern Herrn Reeckmann sprechen habe der Reibeputz ihrem Mann würde“. Worum es dabei ging, weiß und ihr selbst gefallen, dass sie der Angestellte nicht, „weil bei sol- ihn auch bei sich in Mölln hätten chen Gesprächen sofort die Bürotür anbringen lassen, von derselben zugeschlagen wurde“. Malerfirma. Und so war es der Reeckmann lebte offenbar nicht Reibeputz, bei dem der Mörtel mit schlecht von der deutsch-deutschen einem besonderen Reibebrett auf- Teilung. „Reeckmann protzte mit getragen wird, der die Ermittler seinem Reichtum“, schrieb IMB weiterbrachte. Denn der Handwer- „Tonio Kröger“ an seine Führungs- ker konnte sich noch gut an den offiziere. Er besitze „drei riesen- Eigentümer der Villa in Pogeez er- große Güter“ und „diverse Kunst- innern: Klaus Reeckmann. gegenstände“, darunter „sechs bis Was jetzt geschah, gehört zu den acht kleine Radierungen von Cas- Merkwürdigkeiten der Ermittlun- par David Friedrich“ und einen gen über das Leben Barschels: „echten Picasso, den er wahr- Während die Fahnder vielen toten scheinlich jetzt für zwei Mio DM Spuren nachgehen und keine Scheu verkaufen wird“. vor Verschwörungstheorien ken- Reeckmanns langjähriger Kom- nen, haken sie den detektivisch er- pagnon und Mitgesellschafter war Peter Lüdemann. Der – inzwischen verstorbene – Kaufmann aus Ham- * Mit dem damaligen Kieler Justizminister Karl

Eduard Claussen und Familienministerin Anne- ZENIT LANGROCK / AGENTUR PAUL burg diente auch der DDR-Aus- marie Schuster. Hotel Neptun in Warnemünde: Zimmer mit Rundbett landsspionage, Deckname „Kauf-

der spiegel 41/2007 55 Titel DER SPIEGEL DDR-Gast Barschel (vorn M.) vor VEB „Aerosol Automat“ bei Karl-Marx-Stadt (1984), bei einem Empfang in Ost-Berlin*: „Der hat der Industrie mann“. Der IM, so notierte die Stasi, habe Bei mindestens zwei der sechs Stapelläufe wertvoller Elektronik in die Sowjetunion „Kenntnis von Abschöpfungsvorgängen auf der Mathias-Thesen-Werft in Wismar hohe Gewinne, die Aufmerksamkeit inter- von führenden Persönlichkeiten der BRD“. waren ranghohe Vertreter der Union dabei: nationaler Strafverfolgungsbehörden und Nach Angaben eines langjährigen Fir- die Minister Karl Eduard Claussen (Justiz) den Spitznamen „Moneten-Müller“ in der men-Insiders handelten Reeckmann und und Henning Schwarz (Bundesangelegen- Embargo-Branche sicherte. Lüdemann über ihre Unternehmen „so un- heiten), dazu der Pogeezer CDU-Mann gefähr mit allem, was nicht niet- und nagel- Meinhard Füllner aus Barschels Heimat- Berlin, 26. April 1984 fest war“. Aus der DDR importierten sie kreis Herzogtum Lauenburg. „waggonweise“ Lübzer Bier oder metallene „Das ist ein erfolgreicher, einheimischer BARSCHEL UND DIE DDR Werkzeugkästen. Im Gegenzug schickten Geschäftsmann“, sagt der ehemalige Minis- Das Hotel Stadt Berlin ist ein 123 Meter ho- sie Maschinenteile, Armaturen oder Schiffs- ter Claussen heute über Reeckmann. „Und her Klotz am Alexanderplatz. Aus dem ausrüstung in den Osten. Die Provisionen natürlich kannte Barschel ihn auch.“ „Panorama-Salon“ im 37. Stock haben die für solche Geschäfte flossen auch über Fir- „Gut möglich, dass Reeckmann für die Gäste einen beeindruckenden Blick auf die men in Liechtenstein oder in der Schweiz. CDU gespendet hat und dass Uwe Verträ- geteilte Stadt. Gegen 20 Uhr ist der Minis- Ein Mitarbeiter aus der Firmengruppe, ge für ihn beglaubigt hat“, mutmaßt ein terpräsident Uwe Barschel eingetroffen, an der Reeckmann beteiligt war, erzählt CDU-Mann aus dem Herzogtum Lauen- begleitet von seinem Referenten Gerd- heute, dass er mehrmals verbotene Elek- burg. Auch andere Unions-Politiker sagen, Harald Friedersen und seinem Freund Karl tronik nach Ost-Berlin geschmuggelt habe. sie hätten von diesem Gerücht gehört. Josef Ballhaus, dem Geschäftsführer des Nach der Wende ermittelte die Staatsan- Und Klaus Reeckmann, was sagt er Schwarzkopf-Konzerns. Er richtet den waltschaft Berlin gegen Lüdemann wegen dazu, etwa zu den mutmaßlichen Partei- Empfang aus. Verstoßes gegen Embargo-Bestimmungen spenden? „Dazu möchte ich nichts sagen.“ Unter den Gästen sind hochrangige Ver- bei der Lieferung von Hochleistungsrech- Er ist wortkarg, wenn die Sprache auf Bar- treter der ostdeutschen Planwirtschaft, nern des Typs Microvax III an die Ost-Ber- schel kommt. Er gibt knapp zu, dass er ihn eine eher außergewöhnliche Zusammen- liner HVA-Firma F. C. Gerlach (Aktenzei- kannte ( „Wer kannte ihn nicht?“), aber er setzung für Besuch aus dem Westen. Ruth chen: 2 Js 1378/92). Zur Anklage kam es habe „zu keinem Zeitpunkt“ Geschäfte Lerche ist da, die Chefin der KoKo-Fir- nicht. mit ihm gemacht. Es könne höchstens sein, ma Asimex und HVA-Offizierin, dazu Ende der siebziger Jahre stieg Reeck- dass Barschel als Notar mal „was beur- Manfred Panse, der zigarrerauchende mann in ein Geschäft mit der DDR ein, kundet“ habe, „einen Grundstückskauf- Hauptgeschäftsführer der Forum Handels- bei dem es um den Kauf von sechs Fracht- vertrag“, ja, das sei denkbar. gesellschaft, auch ranghohe Vertreter vom schiffen des Typs MBC ging, ein Großauf- Reeckmann und seine Familie kauften Kosmetik-Kombinat Berlin. Man tauscht trag im Wert von mindestens 130 Millionen manchmal ganze Dörfer in Schleswig-Hol- Freundlichkeiten aus: „Sie haben hier Mark. In Westdeutschland gab es Kritik stein auf, Gut Stendorf bei Eutin etwa, wunderbare historische Pflastersteine.“ am Geschäft, da die Werften in Hamburg oder auch Gut Marutendorf, das Reeck- Natürlich fehlen an diesem Abend auch oder Kiel in der Krise steckten. Auf manns Sohn im Juli 1989 an einen anderen die „Inoffiziellen Mitarbeiter“ der Stasi Reeckmanns gute Beziehungen zur CDU weltweit aktiven Osthändler für mehr als in Schleswig-Holstein wirkte sich das um- 19 Millionen Mark verkaufte: an Richard * Am 26. April 1984 mit Schwarzkopf-Manager Karl Josef strittene Geschäft wohl nicht negativ aus. Müller, der sich durch den Schmuggel Ballhaus und Asimex-Chefin Ruth Lerche.

56 der spiegel 41/2007 DER SPIEGEL einen echten Freundschaftsdienst erwiesen“

nicht. Einer davon ist IMB „Schreiber“. die Lübecker Staatsanwalt- DER FREUND Er zieht Barschel in ein Gespräch „von Ju- schaft, fuhr Barschel seit Karl Josef Ballhaus, Manager der Firma Schwarzkopf rist zu Jurist“; später wird er seinen August 1979 in die oder Er lernte Barschel Mitte der Siebziger kennen und Führungsoffizieren vom „außerordentlich durch die DDR. 11-mal im gründete mit ihm eine Stiftung. Er förderte die Karriere lockeren Auftreten“ des Ministerpräsiden- Berlin-Transit, 8-mal zu Be- des Politikers nach Kräften. Ballhaus starb im Jahr 2000. ten berichten. „Der hat der Industrie einen suchsreisen, jedesmal von echten Freundschaftsdienst erwiesen“, sagt der Stasi überwacht. er heute. „Barschel hat Ballhaus geholfen, Immer wieder aber gab es Hinweise, Barschel erklärte sein Interesse an der seine Produkte in der DDR abzusetzen.“ Barschel sei auch unkontrolliert in die DDR damit, dass er dort „Ahnenfor- Vor dem Empfang im 37. Stock hatte der DDR eingereist. Je nach Informant sollten schung“ betreibe oder „Biotope“ besichti- Ministerpräsident seinen Freund bei der die kleinen Fluchten konspirativen Tref- ge. Das ist nicht falsch. Er besuchte unter Besichtigung des VEB „Aerosol Automat“ fen oder amourösen Eskapaden dienen. anderem Verwandte und blätterte in Kir- in der Nähe von Karl-Marx-Stadt begleitet. Barschels Gier nach flüchtigen Aben- chenbüchern für seine 81-seitige Familien- Ballhaus’ Firma verhandelte über ein teuern war unter seinen Mitarbeitern kein chronik oder ließ sich von Revierförstern größeres Exportgeschäft mit der DDR. Geheimnis. durch Naturschutzgebiete führen. Bei der Feier im Hotel werden auch Fo- Ein langjähriger Personenschützer be- Aber was zog Barschel wirklich in die tos geschossen. Die Schnappschüsse lagen richtet zum Beispiel, die Beamten hätten DDR? jahrelang, eingeklebt in ein grünes Album daheim im Westen manchmal Barschels Horst Rißmann ist ein fröhlicher Mann aus Kunstleder, in einem Keller in Berlin- Visitenkarten an Frauen verteilen müssen. und ein loyaler Chauffeur. Zwölf Jahre lang Treptow. Die Fotos haben historischen „Der Ministerpräsident hatte regelmäßig war er der Fahrer des Ministerpräsidenten Wert, denn sie zeigen erstmals Barschel mit Frauengeschichten und nutzte jede Gele- Gerhard Stoltenberg. Er mochte ihn, mit Vertretern aus dem Außenhandels-Impe- genheit“ – ob auf Gran Canaria, beim dem Nachfolger aber kam er nicht zurecht. rium von Alexander Schalck-Golodkowski. CDU-Bundesparteitag in Köln oder in der „Barschel wäre am liebsten immer überall Um 23.35 Uhr, so notiert die Stasi am DDR. mit Blaulicht vorgefahren, so etwas hätte 26. April 1984, trifft der Ministerpräsident Die Bodyguards gerieten gelegentlich in Stoltenberg nie gemacht“, sagt Rißmann, nach dem Empfang gemeinsam mit Ball- die Klemme, weil ihr Chef plötzlich un- der heute Rentner ist und in Kiel-Altenholz haus im Ost-Berliner Palasthotel ein. Bar- auffindbar war. „Barschel verschwand ein- lebt. schel hatte am nächsten Morgen um neun fach von der Bildfläche, gemeinsam mit Rißmann erzählt eine typische Episode, Uhr sein erstes Treffen mit Günter Mittag, seinem Fahrer“, erzählt einer von ihnen. die sich am 16. November 1982 zugetragen der im SED-Politbüro für Angelegenhei- Das sei vor allem an Wochenenden vorge- haben soll. Barschel sei in den Wagen ge- ten der Wirtschaft zuständig war. kommen. Ein Fahrer Barschels habe dem stiegen und habe ihm gesagt: Wir fahren Barschel, der Kommunistenfresser, und Leibwächter dann gesagt, dass es bei die- Richtung Lübeck. „Auf der Autobahn hat die DDR: Ausgerechnet in diesem ande- sen Touren auch ins Warnemünder Hotel er dann plötzlich gesagt, wir fahren Rich- ren deutschen Staat, in dem jeder 60. Bür- Neptun gegangen sei. Barschel habe dort tung Grenze“, erinnert sich Rißmann. Ein- ger für die Stasi arbeitete, verlor sich im- immer ein „italienisches Zimmer mit fach so, von jetzt auf gleich, in die DDR. mer mal wieder die Spur des Ministerprä- Rundbett“ gewünscht, sagt ein ehemaliger Problemlos hätten sie die deutsch-deut- sidenten. Insgesamt 19-mal, so errechnete Empfangsdirektor. sche Grenze passiert und seien weiter nach

der spiegel 41/2007 57 Stube“ des Neptun-Hotels in Warnemün- de, vor einem grünen Cocktail mit einem überaus langen Strohhalm. Und dann gibt es diese Episode von ei- nem Samstag im Jahr 1983. Damals, er- zählt der Fahrer Prosch, habe er auf dem Parkplatz des Neptun-Hotels gestanden, als ein brauner Lada vorgefahren sei. Bar- schel habe ihm befohlen: „Proschi, fahren Sie dem mal hinterher.“ Über verschlungene Nebenstraßen habe sie der Lada zu einem mit Maschendraht umzäunten Gelände gelotst. „Wir fuhren zu einer Baracke, die blassblau, blassgelb und blassweiß gestrichen war. Das mittle- re Areal auf dem Gelände war eingezäunt, BARSCHELS „BEKANNTER AUS POGEEZ“ da stand eine Halle. Barschel ging dort rein Stapellauf in Wismar (1982), Schiffsmakler Klaus Reeckmann und blieb ungefähr eine Stunde.“ Dann sei Er war vor der Wende in den Kauf von sechs DDR-Frachtern involviert und hatte beste er wieder herausgekommen und ins Auto Verbindungen in die schleswig-holsteinische CDU. Uwe Barschel kannte den Kaufmann gestiegen und habe die Anordnung zur offenbar so gut, dass er ihn gemeinsam mit seiner Frau Freya privat besuchte. Rückfahrt ins Neptun gegeben.

FOTOS: HANJO VOLSTER / DER SPIEGEL VOLSTER HANJO FOTOS: Die Ermittler, denen Prosch die Episode zu Protokoll gab, glaubten lange, die Ba- Rostock gefahren. Barschel habe sich auf noch heute“, habe Barschel ihn ange- racke könnte in Kavelsdorf stehen, auf dem dem Marktplatz absetzen lassen, er sei im herrscht. Gelände des Waffenlagers der KoKo-Firma Auto sitzen geblieben und habe dann Bar- Vor der dunklen Toreinfahrt zum Bar- Imes. Beweisen ließ sich das nicht. schel in einer „Gruppe von 10 bis 15 Per- schel-Anwesen habe ihn schon ein Mann Was also machte Barschel in der DDR? sonen“ stehen sehen. Nach einer Drei- erwartet, erzählt er, und das sei jener ge- Vielleicht war er nur einer, der Geschäfte viertelstunde sei ein Mann zu ihm ans Auto heimnisvolle Mann vom Rostocker Markt- für seinen Freund Ballhaus einfädeln woll- gekommen und habe ihm gesagt: „Sie kön- platz gewesen. „Ich gehe sowieso hoch zu te, der die großen Cracks im Ost-West- nen schon mal nach Schleswig-Holstein Frau Barschel, geben Sie mir die Tasche“, Handel kannte. Vielleicht wollte er so eine zurückfahren, wir bringen den MP später habe er gesagt. Er habe gehorcht und kei- Spinne im deutsch-deutschen Netz sein zurück.“ Der Chauffeur, ohnehin von den ne Fragen gestellt. wie Franz Josef Strauß, sein Vorbild im Sü- Eskapaden seines Chefs genervt, fuhr al- Rißmann und Barschel hielten es nicht den, der einen Milliardenkredit für die lein nach Kiel. lange miteinander aus. Bald war Karl- DDR einfädelte und sich in der Gunst von Wenige Wochen nach diesem Ausflug Heinz Prosch Barschels Stammfahrer, bis Schalck-Golodkowski sonnte. brachte Rißmann den Ministerpräsidenten zu seinem Tod. Barschel nannte ihn Wahrscheinlich würden die Akten des zum Hamburger Flughafen. Dort habe ihm „Proschi“. DDR-Auslandsgeheimdienstes HVA erhel- Barschel eine Tasche mit Schmutzwäsche Jetzt sitzt Prosch in seiner Wohnung in len, worum es Barschel in der DDR ging, gegeben, die er noch am Abend nach Kiel und blättert in einem Fotoalbum: Bar- doch sie sind zum größten Teil vernichtet Mölln bringen sollte. Rißmann machte den schel in seiner Dienst-Limousine, Barschel worden. Heute gibt es nur noch die Einwand, er könne den Auftrag am nächs- bei einer Parteiveranstaltung in Kiel. Ein Sira-Datenbank, eine Art elektronischer ten Tag erledigen, dann müsse er ohnehin anderes Foto zeigt ihn am 13. Mai 1982, Schlagwortkatalog, der digitale Karteikar- nach Mölln fahren. „Nein, das machen Sie seinem 38. Geburtstag, in der „Russischen ten zu verschwundenen Geheimberichten mit Datum, Quelle und kurzer Inhalts- angabe enthält. 86 Treffer spuckt Sira unter dem Such- begriff Barschel aus. Die elektronisch er- fassten Einträge beginnen im Oktober 1982. In den ersten fünf Jahren werden nur 24 Informationen gespeichert, im Wahl- kampfjahr 1987 steigt die Zahl dann rapide an. Vor allem die Quelle „Friedrich“ be- ginnt zu sprudeln: Insgesamt 40 Sira-In- formationen berufen sich auf „Friedrich“, der Details über den Wahlkampf oder den Landesparteitag der CDU liefert. Der Su- perspitzel ist allerdings gar kein Spitzel. Die Hauptverwaltung Aufklärung der Sta- si buchte offensichtlich viele der abgehör- ten Telefongespräche im Westen unter „Friedrich“ ab. Vor allem drei geheime Quellen lieferten „KAUFMANN“ UND „MONETEN-MÜLLER“ laut Sira Berichte über Barschel: Hinter Peter Lüdemann, Richard Müller dem Decknamen „Kolbe“ steckte wohl ein Die Geschäftsleute waren im Ost-West-Handel aktiv. Lüdemann war zudem gemeinsam Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der mit dem Barschel-Bekannten Klaus Reeckmann Inhaber mehrerer Handelsfirmen. Gegen DDR in Bonn namens Klaus Z. „Kolbe“ in- Lüdemann wurde wegen Verstoßes gegen die Embargo-Bestimmungen ermittelt. formierte Ost-Berlin über Interna aus dem Kieler CDU-Landesvorstand. Drei Berich-

60 der spiegel 41/2007 nanzstaatssekretär Carl-Hermann Schlei- fer säßen ja im Aufsichtsrat des Konzerns. Barschel hebt den Hörer ab und ruft Mi- nister Biermann an. Er spricht kurz mit ihm, legt auf und sagt zu Höver: Der weiß auch nichts. Der Journalist hat das Gefühl, der Ministerpräsident sei ehrlich über- rascht von der Frage nach den Blaupausen. „Aber ich weiß bis heute nicht, ob das echt war oder Staatsschauspielerei“, sagt er. Am nächsten Tag lösen die „Kieler Nachrichten“ mit ihrem Artikel eine der großen Affären der achtziger Jahre aus. Zwei Untersuchungsausschüsse des Bun- destags werden sich mit dem Skandal be- schäftigen. Am Ende wird niemand bestraft – weder Lobbyisten noch Firmen. Und dennoch wabert die Affäre weiter, denn sie wird mit dem Tod von Barschel verknüpft. Dafür sorgt die Familie Bar- schel, vor allem Freya Barschel, die Witwe, die nie an einen Selbstmord glaubte: Sie DER FAHRER macht düstere Anspielungen auf das Ge- Karl-Heinz Prosch schäft mit den Blaupausen. Sie zielt auf Er chauffierte den Ministerpräsidenten häu- die alles beherrschende Figur der schles- fig in die DDR und galt als einer seiner wig-holsteinischen Politik, auf Gerhard loyalsten Mitarbeiter. Barschel nannte ihn Stoltenberg, der einmal Barschels Mentor „Proschi“. Den Ermittlern erzählte er nach und Vorgänger als Ministerpräsident war: Barschels Tod über einen merkwürdigen Vor- „Er war sehr enttäuscht, dass Herr Stol- fall bei einem Aufenthalt im Hotel Neptun. tenberg ihm bei seiner Amtsübergabe ge- wisse Dinge nicht mitgeteilt hat. Er fühlte Auszug aus Proschs Reisepass sich alleingelassen. Es ging dabei um die

MONIKA ZUCHT Mitteilungen, die seiner Auffassung zufol- ge nötig gewesen wären zum Themen- te schickte die Quelle „Krüger“, bei der es sechs Wochen ist der Redakteur einem komplex HDW/U-Boot-Affäre“, gibt sie sich um den Stasi-Offizier Alfred V. ge- Skandal auf der Spur. Die Kieler Ho- 1995 zu Protokoll. handelt haben dürfte. Dazu wurde offen- waldtswerke-Deutsche Werft (HDW) sol- Bei einem Gespräch mit dem SPIEGEL bar auch ein Westler von der Stasi abge- len illegal Baupläne für U-Boote an Süd- im Sommer 2007 fügt Freya Barschel eine schöpft – ein FDP-naher Unternehmer aus afrika geliefert haben, ein klarer Bruch des Erinnerung hinzu: „Er sagte, ich stehe Lübeck war unter der Tarnbezeichnung Embargos, das die Vereinten Nationen nicht dahinter, ich bin nicht für Waffen. „Wanderer“ registriert. über den Apartheidstaat verhängt haben. Ich muss damit leben und kann mich kei- „Bussard“, eine weitere Quelle, saß im Höver kommt allerdings nicht weiter, sei- nem anvertrauen.“ Was ihr Mann damals Bundeskriminalamt in Wiesbaden; dahin- ne Recherche steckt fest. Niemand kann im Sinn hatte, weiß sie nicht. Über Einzel- ter verbarg sich die Verwaltungsangestell- oder will die Erzählungen seiner Infor- heiten seiner Regierungsgeschäfte sprach te Karin Z. „Bussard“ besorgte später ein manten bestätigen. Barschel nicht mit seiner Frau. Er beließ es Gutachten zu den Todesumständen in Hochrangige Mitglieder der Bonner Re- bei dunklen Andeutungen. Genf. gierung Kohl/Genscher versuchen eine Dass Barschel in Genf keines natürli- Im Vorfeld der Kieler Affäre steigen die Veröffentlichung kurz vor der Bundes- chen Todes starb, sondern aus Gründen Sira-Einträge sprunghaft an. Vom 24. Au- tagswahl zu verhindern. Die Konkurrenz des Geschäftes mit Südafrika einem Mord gust 1987 an, knapp zwei Wochen vor arbeitet auch an der Enthüllung des Ge- zum Opfer fiel: Diese Theorie gibt es in „Waterkantgate“, meldet sich „Friedrich“ schäfts. Deshalb wollen die „Kieler Nach- zwei extremen Varianten. fast täglich zu Wort, oft mit auffällig lapi- richten“ die Affäre am nächsten Tag ver- Erste Variante: Uwe Barschel ist ein in- dar titulierten „Hinweisen zum Wahl- öffentlichen, mit einer Stellungnahme des tegrer Ministerpräsident, der von Gerhard kampfgeschehen in Schleswig-Holstein“. schleswig-holsteinischen Ministerpräsiden- Stoltenberg ein schweres Erbe übernom- Im gleichen Takt steigt die „Prioritätsstufe“ ten Uwe Barschel. men hat. Im Amt erhält er nach und nach der Meldungen, ein Gradmesser für die Höver fängt Barschel in einer Sitzungs- Informationen über dubiose Geschäfte sei- Bedeutung der Geheimdienstberichte – pause im Landtag ab. Er müsse mit ihm nes Vorgängers. Weil er damit droht, sein und ein Indiz dafür, dass die DDR mögli- über illegale Waffenlieferungen nach Süd- Wissen preiszugeben, wird er in Genf um- cherweise vor der ersten SPIEGEL-Veröf- afrika sprechen, sagt er. „Nicht hier, in gebracht. fentlichung über den heraufziehenden meinem Büro“, antwortet er. Zweite Variante: Uwe Barschel ist ein Skandal Bescheid wusste? Sie gehen ins Amtszimmer des Minis- Mann, der sein Wissen in Geld verwan- terpräsidenten, den einzigen abhörsiche- deln möchte. Dafür bieten ihm illegale Ge- Kiel, 25. November 1986 ren Raum der Landesregierung. Barschel schäfte die Chance, und dabei geht er Ver- schließt wortlos die Fenster, dann setzt er sprechen ein, die er nicht einlösen kann. BARSCHEL UND DIE BLAUPAUSEN sich. Nein, er wisse nichts von einem ille- Deshalb muss er sterben. Vom Verlagshaus der „Kieler Nachrichten“ galen Geschäft der HDW mit Südafrika, Aber wer soll ihn dann ermordet haben, bis zum Landtag am Düsterbrooker Weg sagt er. Aber ob an Hövers Verdacht etwas im einen wie im anderen Fall? sind es anderthalb Kilometer. Peter Höver sei, lasse sich rasch klären, denn Wirt- Eike Barschel berichtet im Winter 1995 braucht dafür nur ein paar Minuten. Seit schaftsminister Manfred Biermann und Fi- den Staatsanwälten, sein Bruder habe ihm

62 der spiegel 41/2007 Titel

größten Arbeitgeber oben im Norden, ver- U-Boot-Bauer HDW in Kiel sucht vieles, um einen U-Boot-Auftrag aus Südafrika zu bekommen. Für derartige Lieferungen braucht HDW eine Sondergenehmigung des Bundes- sicherheitsrates, dem unter anderen der Bundeskanzler, der Finanzminister und der Außenminister angehören. Die Uno hat ja ein Embargo über Südafrika ver- hängt. Im März 1983 beginnen die HDW und das beteiligte Lübecker Ingenieurbüro IKL in Bonn mit Sondierungen für die Ge- nehmigung. Die Manager und ihre Lobby- isten werben für das Projekt bei Kanzler , bei Finanzminister Stolten- berg und Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Zunächst wird den Managern signali- siert, dass sie durchaus Baupläne, soge- nannte Blaupausen, und einzelne Kompo- nenten liefern dürften, doch am Ende be- kommen sie die Genehmigung nicht. In ein illegales Geschäft verwandelte es sich erst, als die Manager versuchten, die Baupläne für das U-Boot und ein entspre- chendes Modell im Maßstab 1:5 ohne Ge- nehmigung des Bundessicherheitsrates nach Südafrika zu liefern. Zwischen dem 10. Oktober 1984 und dem 19. Juni 1985 wandern U-Boot-Blaupausen im Diploma- tengepäck von Kiel ans Kap. Ein HDW- Ingenieur wechselt in dieser Zeit zur süd- afrikanischen Firma Sandock Austral, die später die U-Boote bauen soll. Die HDW behauptete hinterher, sie hät- te nicht alle Blaupausen geliefert. In zwei Untersuchungsausschüssen und einigen halbherzigen Ermittlungsverfahren ließ sich nicht mehr Wahrheit über dieses ob- skure Geschäft herausfinden. So bleibt auch ungeklärt, ob den Regierungen in Kiel oder Bonn Informationen über die il- legalen Lieferungen vorlagen, ob sie das Geschäft stillschweigend duldeten oder ihm sogar voranhalfen. DER AUFKLÄRER Für eine Affäre dieses Kalibers war das Norbert Gansel, Obmann im Bonner Blaupausen-Untersuchungsausschuss Interesse an Aufklärung offenbar gering. Jahrelang versuchte der Sozialdemokrat, Licht in das umstrittene Südafrika-Geschäft Am 26. November 1986 erscheint der mit U-Boot-Bauplänen aus Kiel zu bringen. Anfangs hielt er es für möglich, dass Artikel in den „Kieler Nachrichten“ mit Barschel in der Schweiz Selbstmord beging, mittlerweile aber glaubt er eher an Mord. der Überschrift: „Barschel: Von HDW-Ge-

MARCUS KRÜGER / ACTION PRESS (O.); KRÜGER / ACTION MARCUS MONIKA ZUCHT (U.) schäft mit Pretoria nichts bekannt“. Aber zwei Tage später, am 28. November, er- „ausgesprochen schockierend“ von Stol- an ihn wachhalten und daraus Theorien klärt Carl-Hermann Schleifer, der Staats- tenberg erzählt. Er habe „sich politisch von entwickeln. Barschel – ein Opfer seines sekretär im schleswig-holsteinischen Fi- Herrn Stoltenberg bewusst hintergangen“ Wissens über bisher unbekannte Hinter- nanzministerium und HDW-Aufsichtsrat, gefühlt. Nein, er habe nicht über U-Boote gründe des U-Boot-Deals? dass die Staatskanzlei sehr wohl über das gesprochen, aber er habe von HDW gere- Recherchen des SPIEGEL führen zu ei- Südafrika-Geschäft informiert gewesen sei det und dass er als Ministerpräsident für nem Namen, der beide Affären miteinan- – und damit indirekt auch Barschel. Dinge einstehen müsse, über die er nicht der verbinden könnte – den Fall Barschel „Ich habe schon damals nicht verstan- informiert gewesen sei. Details kennt auch und den Skandal um die illegalen Blau- den, wie er so etwas behaupten konnte“, Eike Barschel nicht. pausen. Der Name lautet Prinsloo und sagt Schleifer heute. Er habe die Staats- Das Motiv für den Mord sei im politi- taucht auch im Todesermittlungsverfahren kanzlei informiert, dass er den Irrtum be- schen Umfeld seines Bruders zu suchen, in Lübeck auf. richtigen und deshalb der Presse gegen- sagt er. In Deutschland sei nie „die ge- Alles beginnt in Kiel, Anfang der acht- über eine entsprechende Erklärung abge- samte Wahrheit auf den Tisch gekommen“. ziger Jahre. HDW ist noch ein Staats- ben werde. Uwe Barschel neigte zu Prahlereien und konzern, über die Salzgitter AG gehören Der Ministerpräsident hat wohl vom Ge- erging sich offenbar ziemlich oft in An- 75 Prozent des Unternehmens dem Bund, schäft gewusst, wenn auch womöglich deutungen und Rätseln. Verständlich, dass 25 Prozent dem Land Schleswig-Holstein. nicht von seinem illegalen Teil. Die Ge- die Witwe und der Bruder die Erinnerung Das Management der HDW, einer der nehmigung war jedoch allein die Sache der

64 der spiegel 41/2007 dere Primslov. Gansel hatte 1988 die Na- men öffentlich gemacht und sich damit eine Strafanzeige eingehandelt. Heute ist er überzeugt, dass er die Handschrift falsch gelesen hat und dass der Kurier nicht Primslov, sondern Prinsloo hieß. Diese Spur führt ins Zentrum der Blaupausen-Affäre. Steenkamp war ein Offizier und Geheimdienstmann, offiziell Erster Sekretär für Konsularangelegenhei- ten an der südafrikanischen Botschaft in Bonn, und genoss diplomatische Immu- nität. Heute lehnt er Auskunft über den Fall ab. Ein „Prinsloo“ trat nur einmal als Kurier auf. Ein Mitarbeiter an der süd- afrikanischen Botschaft dieses Namens war bei der deutschen Regierung nicht akkreditiert. Vieles spricht dafür, dass es sich um einen vertrauenswürdigen Ge-

MONIKA ZUCHT legenheitsboten ohne Diplomatenstatus handelte. Der südafrikanische Wildhüter, der DIE WITWE Ballhaus erzählte, Barschel sei ermordet Freya Barschel worden, wäre auch für die Lübecker Er- Sie gab sich von Anfang an felsenfest davon überzeugt, dass ihr Mann Opfer einer mittler leicht aufzuspüren gewesen. Jaco- Verschwörung geworden war. Vor kurzem forderte sie über ihren Anwalt die Generalbundes- bus Prinsloo aus Pretoria gehört zu den anwältin auf, die Ermittlungen wieder aufzunehmen, um den Fall zu klären. berühmtesten Großwildjägern Südafrikas. „Natürlich kannte ich Ballhaus gut“, sagt Prinsloo. Beinahe jährlich komme er Bundesregierung. „Meines Wissen hatte Neun Monate vergehen, bevor die Lü- nach Deutschland und habe den Schwarz- Barschel mit den U-Booten für Südafrika becker Staatsanwälte Ballhaus zu einer kopf-Manager, der im Jahr 2000 starb, null Komma null zu tun“, sagt der damali- zweiten Vernehmung am 23. Februar 1996 früher oft in Duvensee besucht. Dort habe ge HDW-Vorstand Peter Hansen-Wester. zu Hause in Duvensee besuchen. Er wie- er auch Uwe Barschel kennengelernt. „Er Und so finden sich in den Unterlagen derholt seine Aussage, korrigiert sich war beeindruckend und sprach sehr gut der Untersuchungsausschüsse alle mögli- nur in einem Punkt: Der Wildhüter habe Englisch.“ Wenn er es recht bedenke, sei er chen Politiker wieder, von Stoltenberg bis nicht gesagt, er arbeite für den südafrika- sogar bei Barschel zu Hause gewesen. „Er Kohl. Nur einer spielte kaum eine Rolle: nischen Geheimdienst, er habe vielmehr wohnte doch in Mölln“, sagt er. Barschel. offengelassen, in wessen Sold er stehe. Aber Barschel, Mord, Südafrika, Mossad In den Akten der Lübecker Staatsan- Dafür nennt er diesmal den Namen des – nein, davon habe er nichts gesagt. Eben- wälte taucht schon 1995 ein Name auf, der Jägers: Jacob Prinsloo aus Johannisburg, so wenig habe er jemals etwas mit Ge- die Blaupausen mit dem Ministerpräsiden- damals ungefähr 40 Jahre alt, schlank und heimdiensten, U-Booten oder Kurierdiens- ten verbinden könnte. Am 11. Mai er- drahtig. ten zu tun gehabt. scheint Barschels Freund Karl Josef Ball- Im Oktober 1996 machen die Ermittler Alles nur Zufall? Norbert Gansel kann haus zur Vernehmung in Lübeck. Nach einen Prinsloo in Deutschland aus, aber das nicht glauben: „Ich kannte Barschel zweieinhalb Stunden ist die Befragung vor- Alter und Beruf passen nicht. Die Beamten und habe nie eine tragende Rolle von ihm bei, doch er möchte noch etwas hinzufü- versuchen, einen anderen Jacob Prinsloo in Rüstungsgeschäften gesehen. Früher gen, außerhalb des Protokolls. Danach fer- in Südafrika zu finden – über die Telefon- habe ich gesagt, es war wohl eher Selbst- tigen die Beamten einen Vermerk an, der auskunft in Kapstadt, das war’s an Mühe. mord. Heute scheint mir mehr für Mord zu als Blatt 3918 in die Akte wandert. Im Abschlussbericht heißt es 1997: „Mit sprechen.“ Früher sei er häufiger geschäftlich in Rücksicht auf die sehr allgemeine Art des Der Ministerpräsident und die Kreise, Südafrika gewesen, erzählt Ballhaus. Dabei Hinweises wurde von weiteren Ermittlun- die er zog: Es ist immer wieder das Dop- habe er auch an mehreren Safaris teilge- gen abgesehen.“ pelleben von Dr. Dr. Uwe Barschel, das zu nommen, immer mit demselben Wildhüter, Im Spätsommer 2007 sitzt Norbert Spekulationen einlädt. Es ist der Barschel- der sonst den südafrikanischen Präsidenten Gansel im Garten seines Hauses in Kiel. Er Konjunktiv, dieses Wenn-ihr-wüsstet-was- und andere hohe Politiker führe. Er, Ball- studiert vergilbte Akte und Ausschuss- ich-Weiß gegenüber seinen Freunden und haus, und der Wildhüter seien im Lauf der berichte, die seit fast 20 Jahren in einer der Familie, der aufhorchen lässt. Es ist Jahre Freunde geworden. Kiste an einem sicheren Ort lagerten. Vor sein anscheinend unstillbares Verlangen, 1988 habe ihn der Mann in Deutschland ihm liegt eine handschriftliche Tabelle des größere Räder zu drehen, als ihm in Kiel besucht. Am späten Abend, bei einer Fla- Kieler Finanzamts. Gansel, der Sozialde- aufgegeben ist: Deshalb traut man ihm vie- sche Whisky, habe ihm der Wildhüter ge- mokrat, saß im Untersuchungsausschuss, les, wenn nicht alles zu. Markus Dettmer, standen, er habe für den südafrikanischen den der Bundestag wegen der Blaupausen- Sven Röbel, Britta Sandberg Geheimdienst gearbeitet. Affäre einrichtete. Jetzt stellt er sich die „Wie kam Uwe Barschel ums Leben?“, Frage, ob er damals ein „n“ für ein „m“ habe er ihn gefragt. – „Es war Mord“, habe und ein „o“ für ein „v“ gehalten hatte. IM NÄCHSTEN HEFT: der Gast geantwortet. Wie er darauf kom- Es gab zwei Kuriere, die die Blaupausen Die Affäre in Kiel – Wie Reiner Pfeiffer me? Sein Geheimdienst habe sehr gute im Auftrag der Südafrikaner entgegennah- zum SPIEGEL kam – Die Ermittlungen in Verbindungen zu den Kollegen vom israe- men und den Empfang quittierten. Der der Schweiz und in Deutschland. lischen Mossad, habe er geantwortet. eine hieß Jan Albertus Steenkamp, der an-

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