„Freunde, Wo Ist Das Motiv?“
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K. HAMANN / DIAGONAL STERN Lübecker Barschel-Ermittler Wille, toter Barschel (1987): Arbeitshypothese Mord Barschel „Freunde, wo ist das Motiv?“ Der größte Polit-Krimi der deutschen Nachkriegsgeschichte wird wiederaufgerollt: Fahnder prüfen, ob der ehemalige Kieler Ministerpräsident Uwe Barschel nicht doch umgebracht wurde. Wilde Komplott-Theorien werden erneut gesponnen, und Staatsanwälte kämpfen mit einem Wust noch immer offener Fragen. ag der Jurist auch gelegentlich der Behördenleiter, und der Künstler der Ermittler jetzt mit aller Macht be- dösen, jeder Zeuge fühlt sich bei hat offensichtlich die Magie von Ma- treibt. M ihm doch stets beobachtet: Hein- gritte nachgeahmt. Der Vorgang trägt ein altes Akten- rich Wille, Leitender Oberstaatsanwalt, Rene´ Magritte, der 1967 gestorbene zeichen, 705 Js 33247/87. Nun soll end- hat an die Wand seines Lübecker Büros Surrealist und Schöpfer skurriler Wel- lich geklärt werden, wie der frühere ein bizarres Poster geheftet. Zwei große ten, hätte seine Freude an Willes spek- schleswig-holsteinische Ministerpräsi- braune Pupillen in einem Auge schauen takulärstem Fall. Denn Magrittes Spiel dent Uwe Barschel vor sieben Jahren dem Strafverfolger über die Schulter. mit Schein und Sein spiegelt sich auch im Genfer Hotel „Beau-Rivage“ zu „Das Auge des Gesetzes“ sei das, sagt in dem neuen Verfahren wider, das Tode kam, wo seine Leiche in der Ba- kurz vor seinem Tod an einem Waf- Lokal fenhändler-Treffen teilgenommen. Ein angeblich von der Stasi abge- fangenes angebliches Telegramm der und Rabbi CIA, das letzte Woche kursierte, per- Die Waffenhändler-Theorie sifliert die Waffenhändler-Theorie. „Jerry nahm Perch mit zu Temple“, soll ein Agent gekabelt haben, „und In einem Papier hat der Bundes- traf um 21.30 Uhr Lokal und Rabbi.“ nachrichtendienst Ende Dezember Perch heißt Barsch auf englisch, ein vermeintliche Hinweise auf heiße möglicher Codename für Barschel. Geschäfte Uwe Barschels notiert. Doch das Telegramm ist nach BND- Doch dessen angebliche Visiten im Einschätzung eine Fälschung. DDR-Waffenlager Kavelstorf etwa Ernsthaft wollen sich die Lübecker haben sich längst als Unsinn heraus- Ermittler um alte U-Boot-Geschäfte gestellt. der Howaldtswerke-Deutsche Werft „All diese Hinweise“, räumt Edu- AG (HDW) in Kiel kümmern. Die ard Lintner aus dem Bundesinnenmi- HDW hatte damals Streit mit dem nisterium ein, „haben sich als nicht Iran um eine Anzahlung in Höhe von zutreffend erwiesen.“ 250 Millionen Mark für nicht geliefer- Von ähnlicher Qualität sind auch ADN te Kriegsschiffe. Barschel hatte sich Behauptungen, Barschel habe in Genf Waffenlager Kavelstorf für HDW-Interessen engagiert. DER SPIEGEL 1/1995 33 . DEUTSCHLAND Emissäre aus dem Orient Die Geheimdienst-Theorie Im Herbst 1987, als Uwe Bar- schel starb, fand in Genf eine der größten Geheimdienstaktionen al- ler Zeiten statt. Es ging um die Freilassung von über 20 Geiseln, die im Libanon von religiösen Gruppen und Kidnapperbanden festgehalten wurden. Fast alle westlichen Geheim- dienste hatten Abordnungen ge- schickt, auch das sowjetische KGB DPA war vertreten; es wimmelte von Barschel-Flugzeugwrack (1987): Ermittlungen in dichtem Nebel Emissären aus dem Orient. Aus Deutschland mit dabei waren Bun- dewanne seines Zimmers gefunden wur- Ob beim Absturz eines Privatflug- desnachrichtendienst, Verfas- de. zeugs in Lübeck-Blankensee, 1987, den sungsschutz und der geheimnisum- Seit kurzem recherchieren zwei nur Christdemokrat Barschel schwer witterte Agent Werner Mauss. Staatsanwälte, unterstützt von vier Kri- verletzt überlebte, möglicherweise das Mit Wissen deutscher Behörden minalbeamten, den nach wie vor myste- ehemalige Ministerium für Staatssicher- versuchte Mauss, zwei verschlepp- riösen Fall. Selbst über die jüngsten heit seine Hände im Spiel hatte, wollte te deutsche Manager frei zu be- Festtage wurde gearbeitet, denn seit vorige Woche etwa Eduard Lintner wis- kommen. An jenem Herbsttag, als vorletzter Woche lautet die Arbeits- sen, Parlamentarischer Staatssekretär Barschel in Genf eintraf, residierte hypothese nicht mehr Selbstmord, son- im Bonner Innenministerium. der Detektiv neben Barschels Ho- dern Mord. Auf diesen aufregenden Einfall sind tel, dem „Beau-Rivage“. Damit kommt erneut Bewegung in vor dem Christsozialen schon andere ge- Irgendwie, so eine Verschwö- die größte politische Kriminalaffäre kommen. Problem nur: Die Maschine rungstheorie, sollen die Geheim- der deutschen Nachkriegsgeschichte. In prallte gegen einen Sendemast, den si- dienstler und vor allem Mauss in Serie stehen nun Vernehmungen und cher nicht die Stasi hochgezogen hat; den Tod verstrickt gewesen sein. Hausdurchsuchungen an, allerorten auch für den damals liegenden Boden- Mitglieder des Krisenstabes, den werden wieder alte Theorien hin und nebel ist sie kaum verantwortlich zu ma- die Bundesregierung damals gebil- her gewendet, nach denen Barschel sich chen. det hatte, schließen nicht selbst getötet ha- In Scharen melden sich Tipgeber im allerdings aus, daß ben soll, sondern Op- Bonner Kanzleramt. Gelangweilte Häft- der Agent in die Af- fer von Verschwörun- linge wollen bei Helmut Kohl persönlich färe verwickelt sein gen wurde. ihre Barschel-Ideen loswerden; der is- könnte. Der Super- Schon in der näch- raelische Geheimdienst Mossad teilte detektiv sei rund um sten Woche werden der Regierung offiziell mit, daß die The- die Uhr observiert Spezialisten des Bun- sen des phantasiebegabten Buchautors worden, weil die desnachrichtendien- Victor Ostrovsky über israelische Hin- deutschen Behörden stes (BND), des Bun- termänner beim Tod des Uwe Barschel das Phantom Mauss desamtes für Verfas- Hirngespinste seien. unter Kontrolle ha- sungsschutz und des Allen halbwegs möglichen Theorien ben wollten. Generalbundesan- gehen nun die Lübecker Beamten mit Die Lübecker walts den Lübecker deutscher Akribie zu Leibe. Bis ins De- Staatsanwälte wollen Staatsanwälten ihre tail zeichneten sie zunächst einmal den dies nun überprüfen DPA geheimsten Erkennt- Tatortfundbericht vom 11. Oktober und die Beamten ver- Mauss nisse vortragen. 1987 nach. Eigentlich Routine, doch die nehmen. Ungelöst ist Der BND hatte den Strafverfolgern Ermittler zählten in den Erkenntnissen auch die Frage, warum Barschel vor sechs Wochen erste Erkenntnisse der Genfer Polizei gleich 30 Widersprü- 1983 Verfassungsschützern erzählt über seine Quellen aufgelistet. Ende vo- che. „Mindestens“, sagt eine mit dem hatte, östliche Geheimdienste riger Woche lieferte der Dienst ein wei- Fall betraute Hauptkommissarin. Die wollten ihn anwerben. Der Verfas- teres Fünf-Seiten-Skript ab. Die gewag- Spurensicherung der Schweizer war sungsschutz protokollierte den ten Papiere heizten prompt die Phanta- schlampig bis desaströs. Verdacht unter dem Namen sie der Betroffenen wie der Außenste- Zeitangaben, etwa über die erste Be- „Tauschhandel“. Möglicherweise henden an. Längst geklärte Fragen wer- nachrichtigung der Polizei, fehlen. Die hatte Barschel jedoch, wie die Ge- den nun noch einmal gestellt. Aufnahmen, die der Polizeifotograf ge- heimdienstler vermuteten, „un- Die Liste der möglichen Barschel- macht hat, waren unterbelichtet und un- durchsichtige Kontakte im Ost- Mörder wächst dabei immer wei- brauchbar – einem Untersuchungsbe- West-Gestrüpp“ und wollte im Fall ter. Bulgarische Killer, russische Ge- richt wurden 168 nachgestellte Bilder einer Enttarnung mit einer derart heimdienstler und deutsche Kol- beigefügt. Etliche Finger- und Handab- vorbereiteten Legende aufwarten. legen aus dem Osten rangieren ganz drücke, die im Hotelzimmer gefunden vorn. wurden, konnten nicht identifiziert oder 34 DER SPIEGEL 1/1995 einer bestimmten Person zugeordnet Im dichten Nebel greifen Ermittler werden. gern zum Lehrbuch. Die Lübecker Offen blieb auch die Herkunft rot- Strafverfolger waren vorige Woche erst brauner Flecken auf dem nassen Bade- mal damit beschäftigt, ein sogenanntes wannenvorleger oder der Verbleib einer Beziehungsgeflecht zu entwickeln. Zu Flasche Rotwein, die Barschel geordert wem pflegte der Ex-Ministerpräsident hatte. Wie frischer Schmutz an seine welche Kontakte? „Vielleicht wußte Schuhe kam, war für die Genfer Ermitt- Barschel etwas“, unkt Staatsanwalt Wil- ler erst gar kein Thema. le, „was anderen gefährlich werden Die Lübecker Staatsanwälte haben konnte.“ sich die Köpfe heiß geredet, ob in Genf In der Tat gibt es Haarrisse des Zwei- ein Kartell der Vertuscher am Werk fels, ob sich der Christdemokrat wirk- war, das planvoll die Aufklärung verhin- lich selbst getötet hat. Grundlage für das derte, oder ob lediglich das Mittelmaß neue Verfahren ist ein Gutachten des Regie führte. Zürcher Toxikologen Hans Branden- Bei allen Verschwörungstheorien berger. Der emeritierte Professor war bleibt eine Frage, die sich Experten wie zu dem Ergebnis gekommen, es sei Bernd Schmidbauer, Staatsminister im „sehr unwahrscheinlich“, daß Barschel Kanzleramt, vorige Woche in vertrauter „noch handlungsfähig war“, als ein töd- Runde stellten: „Freunde, wo ist das liches Medikament namens Cyclobarbi- Motiv?“ tal in seinen Körper gelangte. Zwar gibt es viel Geraune über Bar- Brandenbergers These: Barschel sei schels Beziehungen zu Waffenhändlern von drei vergleichsweise harmlosen Arz- (siehe Seite 33), über Verschwörungen neimittelwirkstoffen so betäubt gewe- von Geheimdienstlern (siehe Seite 34) sen, daß er das starke Schlafmittel nicht oder den Einsatz von Sterbehelfern mehr selbst habe schlucken können. beim Suizid (siehe unten). Nichts davon Zwei Münchner Professoren, darun- ist aber bewiesen. ter der Toxikologe Ludwig von Meyer, telzimmer