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Sendung vom 08.02.2005, 20.15 Uhr

Erich Böhme Journalist im Gespräch mit Klaus Kastan

Kastan: Herzlich willkommen zu alpha-forum. Unser heutiger Gast hat verschiedene Kennzeichen und Merkmale. Eines ist die gepunktete Krawatte: Sie kennen sie vermutlich aus dem Fernsehen, denn er trägt sie wirklich in jeder Fernsehsendung. Sein anderes Merkmal ist seine Brille: Mit ihr spielt er entweder herum oder sie sitzt ihm meist sehr weit unten auf der Nase. Im Moment ist das aber gar nicht so, denn im Moment sitzt die Brille ganz normal auf seiner Nase. Böhme: Das war einmal. Heute habe ich eine Gleitsichtbrille und dafür stolpere ich nun den ganzen Tag. Kastan: Jetzt haben Sie ihn schon gehört. Also, die Brille ist ein wichtiges Kennzeichen von ihm. Meistens hat er sie unten auf der Nase sitzen gehabt und dann über die Brille hinweg seine Gesprächspartner sehr skeptisch angesehen. Böhme: Das war eine schöne Brille. Kastan: Denn Sie haben auch nicht immer alles geglaubt, was Ihnen Ihre Gesprächspartner so alles erzählt haben. Das dritte Merkmal wäre ein Rotweinglas. Aber so gute Rotweine, wie Sie sie trinken, haben wir hier im Bayerischen Rundfunk natürlich nicht. Außerdem ist es jetzt Vormittag, denn wir zeichnen diese Sendung am Morgen auf. Und da trinken wir einfach noch keinen Rotwein. Klar ist jedenfalls, unser Gast ist heute Erich Böhme. Was hat denn der Rotwein, was der Weißwein nicht hat? Böhme: Der Rotwein ist bei zunehmendem Genuss immer gesünder. Das haben Wissenschaftler längst erprobt. Insbesondere waren das Naturwissenschaftler der Universität Bordeaux, und denen glaube ich. Ein schöner Bordeaux, ein Pomerol ist etwas, das sediert, das ruhig macht und einem ein langes Leben garantiert. Und darauf muss ich ja jetzt auch schon ein wenig Acht geben, denn irgendwann kommt auch mein Ende. Kastan: Das ist klar und so, wie bei jedem anderen Menschen auch. Böhme: Wir schieben es allerdings noch etwas raus. Kastan: Sie sind Journalist mit Leib und Seele, wie man sagen kann. Ich hatte neulich eine Gesprächspartnerin, auch in dieser Sendereihe alpha-forum, die voller Stolz zu mir gesagt hat: "Ich bin keine Journalistin mehr, ich habe jetzt ein Buch geschrieben und bin daher jetzt Publizistin bzw. Autorin." Sie jedoch legen schon Wert auf den Begriff "Journalist", oder? Böhme: Ob man sich Publizist nennen kann, hängt einfach von der Auflage ab: Wenn sie mit ihrem Buch eine hohe Auflage hat, dann schenke ich ihr den Publizisten. Ansonsten ist das ein ordentlicher Beruf, der Journalist. Ich wollte schon von Kind an Journalist werden. Mein Vater wollte allerdings einen Kaufmann aus mir machen. Wir schlossen einen Kompromiss und er sagte zu mir: "Du studierst zuerst Nationalökonomie und danach darfst du diesen Larifari-Beruf machen." Damals hat man noch auf seine Eltern gehört. Und so habe ich eben von Anfang an Journalismus betrieben. Kastan: Ein Zitat von Ihnen lautet: "Ich bin ein unheilbarer Journalist, da schneidet man auch mit 70 keine Fingernägel und Hecken oder zählt Wolken, da geht's einfach weiter." Das heißt, Journalist ist man immer, oder? Böhme: Ja, es geht allerdings nicht ganz so weiter, es wird schon etwas weniger. Und das ist auch gut so. Denn man kann den Leuten einfach nicht zumuten, dass man zum Schluss mit 75 Jahren immer noch den Opa spielt, der alles besser weiß. Aber meine Kolumne beispielsweise, ich denke, ich darf diese Reklame hier machen, in der "Abendzeitung" aus München läuft noch jede Woche. Das macht mir großen Spaß, denn man ist einfach durch und durch Journalist. Jetzt, bei diesem Parteitag der CSU juckt einen natürlich das Fell, sich das anzuschauen und zu sehen, wie Stoiber aus der Schlinge herauskommt. So etwas bekommt man nie wieder los, das ist einfach diese Journalistenkrankheit. Kastan: Das hat man einfach. Sie sagten schon, Sie wollten von Kindheit an Journalist werden. Sie sind Jahrgang 1930 und damit sind Sie aufgewachsen in der Nazizeit und in der Kriegszeit. Wie haben Sie das heute in Erinnerung? Böhme: Ich habe in Erinnerung, dass wir in die Schule gegangen sind; ich habe in Erinnerung, dass wir als Pimpfe Uniform tragen mussten. Und ich habe die Erinnerung, dass 1945, als die Amerikaner den Westen Deutschlands eroberten, wir zu den Kiosken gestürzt sind, als die ersten Zeitungen rauskamen, um dort zu lesen: Die Welt ist ja größer, als wir dachten. Wir sind befreit worden – gut, es gab auch welche, die gesagt haben, wir seien besiegt worden... Kastan: Was haben Sie gedacht? Böhme: Ich hatte das Gefühl, wir sind befreit worden. Ja, ich bin so ein Individualist, wissen Sie: Das ist eine unangenehme Eigenschaft, man eckt nämlich immer an. Von da an hatte ich jedenfalls die Idee, selbst auch Journalist werden zu wollen: "Ich will den Leuten etwas vermitteln können, was ich selbst in meiner Jugend nicht vermittelt bekommen habe, weil ich als Pimpf nur für den 'großen Führer' da sein musste." Kastan: Sie haben einmal geschrieben, Sie seien in einem liberalen Elternhaus aufgewachsen. So habe ich das zumindest nachgelesen. Böhme: Ja, das stimmt. Mein Vater war allerdings ein kleiner Mitläufer, wie man nicht verschweigen darf. Das war einfach die Zeit! Aber an sich waren meine Eltern sehr liberal. Wie gesagt, nach dem Krieg meinte mein Vater zu mir, ich sollte es eines Tages besser haben als er und deshalb Kaufmann werden. Das war für mich jedoch die abscheulichste Aussicht überhaupt. Als ich ganz klein gewesen bin, wollte ich natürlich wie jedes Kind Müllmann werden. Nur Kaufmann wollte ich nie werden. Kastan: Aber vielleicht hätten Sie als Müllmann auch Karriere gemacht. Böhme: Ja, beispielsweise in Köln. Kastan: Warum in Köln? Böhme: Ach, Köln ist von der Müllmafia doch geradezu durchseucht. Kastan: Richtig. Aber aufgewachsen sind Sie ja in Frankfurt. Dort ist es mit der Müllmafia wohl nicht ganz so schlimm. Böhme: Ja, ich habe auch in Frankfurt studiert und bin dann zu einer Nachrichtenagentur gekommen. Denn das war damals eine Zeit, in der man keine Volontäre genommen hat. Da war einfach nichts zu machen in Richtung Volontariat: Die Zeitungen hatten kein Geld – wahrscheinlich war es damals schon so wie heute. Kastan: Sie sind also zu den Vereinigten Wirtschaftsdiensten gegangen. Böhme: Ja, ich hatte mir zunächst einmal die Fußsohlen platt gelaufen: von Zeitung zu Zeitung zu Zeitung, aber es war nichts zu machen. Und dann bin ich eben Agenturjournalist geworden. Ich hatte Nationalökonomie studiert und wurde dann Journalist: Da war klar, dass ich für Wirtschaftsdinge zuständig war. Ich habe also Börsenkurse gesammelt und Börsenberichte geschrieben usw. Und so ging das dann langsam ein bisschen bergauf. Kastan: Sie haben sich jedenfalls in Ihrem Leben immer ein gutes Netzwerk an Informanten aufgebaut und gesichert. Das heißt, Sie sind nicht immer nur vor den Türen gestanden und haben gewartet, bis von irgendeinem Offiziellen irgendetwas erklärt wird. Stattdessen... Böhme: Der beste Journalist sitzt mit hinter dieser Tür, ohne dass es die anderen merken. Kastan: Sie hatten jedenfalls immer Ihre guten Quellen. Und eines Tages hat das dann auch der "Spiegel" gemerkt und gesagt: "Den holen wir uns!" Denn 1958 sind Sie zum "Spiegel" gegangen. Böhme: Ich bin über die "Deutsche Zeitung" zum "Spiegel" gekommen. Die "Deutsche Zeitung" war eine liberale Zeitung, die damals in Stuttgart erschienen ist. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat jedoch diese Zeitung aufgekauft – und dann ist der Böhme von dort weggegangen als Individualist. Ich wollte nämlich nicht nur für eine Seite schreiben. Ich ging also zum "Spiegel": zunächst einmal als Wirtschaftskorrespondent in Bonn und dann als Bürochef in Bonn. So bin ich schön langsam, ohne viel dafür zu tun, die Treppe raufgestolpert. Kastan: Wie wichtig war der "Spiegel" für Deutschland in den fünfziger Jahren? Böhme: Ungeheuer wichtig, ganz ungeheuer wichtig. Denn das war eine Zeit, in der man wirklich das Bedürfnis hatte, hinter die Kulissen zu kucken. hat da halt eine amerikanisch-englische Tradition aufgegriffen: Das ist ein Journalismus, der mehr sehen will als nur das, was bei einer Pressekonferenz verlautbart oder bei einem offiziellen Statement verlesen wird. Investigativer Journalismus: Das war was Neues und das hat eben auch den eigentlichen Charme des "Spiegels" ausgemacht. Kastan: In den sechziger Jahren waren Sie dann natürlich auch beim Spiegel. 1962 gab es ja die berühmte Spiegel-Affäre. Böhme: Ja, das waren "lustige Ereignisse". Kastan: Wenn man mal so ins Nachkriegsdeutschland zurückschaut, dann kann man durchaus sagen, dass das eines der ganz wichtigen Ereignisse gewesen ist. Denn dieses Ereignis hat Deutschland geprägt und man findet es inzwischen auch in allen Geschichtsbüchern wieder. Wenn ich richtig informiert bin, dann ist damals auch Ihre Wohnung durchsucht worden. Böhme: Ja, mein Büro, meine Wohnung. Man hatte einen generellen Zugriff auf alles und jeden. Obwohl ich selbst damit ja überhaupt nichts zu tun hatte. Denn ich war zu der Zeit ja noch reiner Wirtschaftsjournalist. Das war aber wurst. Es wurde wirklich alles durchsucht, es wurde zerniert. Strauß, der damalige Verteidigungsminister, hat natürlich im Hintergrund gestochert: "Legt Sie lahm, sie nützen uns nichts!" Dass das alles so positiv für uns ausgegangen ist, wurde dann wirklich zu einem Wiegenlied für die deutsche Demokratie. Kastan: Der Anlass für diese "Spiegel"-Affäre, also für die Tatsache, dass Polizei und Staatsanwaltschaft Redaktionsräume und Wohnungen durchsucht haben - der Herausgeber Augstein und der Chefredakteur Conny Ahlers wurden sogar festgenommen -, bestand darin, dass man im "Spiegel" über atomare Planungen der Bundeswehr berichtet hatte. Böhme: Ja, und zwar gerade über die schlecht gerüstete Bundeswehr. "Bedingt abwehrbereit", so hieß damals der Titel dieses Artikels. Kastan: Darin ging es auch um das Natomanöver Fallex. Böhme: Richtig. Kastan: Diese ganze Affäre war jedenfalls unglaublich spektakulär. Später hat sich das alles jedoch völlig in Nichts aufgelöst, weil man von der Staatsanwaltschaft aus zugegeben musste, dass der "Spiegel" nicht wie unterstellt Geheimnisverrat betrieben hätte. Das war vielmehr ganz normaler kritischer und gut recherchierter Journalismus gewesen. Böhme: Ja, das war sehr ordentlich recherchiert. Ich will nicht abstreiten, dass wir dabei auch das eine oder andere Papier in die Hand bekommen haben: Auch Offiziere haben manchmal den Durchblick und sagen zu einem Journalisten, "Schau dir das mal an hier!". Insofern löste sich damals diese Sache für den Spiegel in Wohlgefallen auf. Für die Demokratie war es ein Gewinn. Und für Strauß war es der erste große Abrutscher seines Lebens. Kastan: Trotzdem haben Sie dann später zu ihm immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt, wenn ich mich nicht täusche. Böhme: Ja, das war sehr komisch. Er war ein stockkonservativer Mann, aber ich konnte mich auf seinen Konservatismus verlassen. Und er konnte sich darauf verlassen, dass wenn der Böhme kommt, er mit ihm auch offen reden kann. Strauß konnte sich darauf verlassen: "Wenn ich sage, schreib das nicht, dann schreibt er das auch nicht. Oder er schreibt es doch und gesteht es mir dann am nächsten Montag." Das war nämlich sehr getrennt zwischen uns beiden: Privat hatten wir ein freundschaftliches Verhältnis, er hat mich in Frankreich besucht und meine vielen Besuche hier in München gingen alle auf ihn zurück und eigentlich auf sonst nix. Das hat ihn jedoch nicht belehrt, anders zu denken als erlernt. Und das hat mich nicht belehrt, anders zu denken, als ich denke, nämlich liberal. Kastan: Zu Helmut Kohl hatten Sie diese Nähe nie. Böhme: Zu Beginn schon. Kastan: Helmut Kohl hat dem "Spiegel" nämlich nie ein Interview gegeben. Böhme: Doch. Kastan: Stimmt, in der Anfangszeit, aber später dann nicht mehr. Böhme: Als er damals Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz wurde, meinte er wohl: "Der 'Spiegel' kann mir eigentlich nur nützen in meiner großen Auseinandersetzung, die ich mal mit dem Strauß haben werde!" Diese beiden Antipoden haben nämlich geglaubt, mit dem "Spiegel" spielen zu können. Kohl hat das zu lange gedacht. Ich glaube, er war dann enttäuscht, dass er von uns nicht so bedient worden ist, wie er sich das vorgestellt hatte. Wir hingegen haben geglaubt zu erkennen – und in vielen Punkten haben wir ja auch Recht behalten –, dass Kohl eigentlich "Birne" gewesen ist. Denn wir haben ja damals dieses Spezifikum "Birne" für ihn erfunden. Ich glaube, es stammt ursprünglich von Wilhelm Busch: Er hatte damals Napoleon III. als Birne gezeichnet. Na gut, er mochte das nicht. Er war jedenfalls ein glatter Gegensatz zu Strauß. Mit Strauß konnte man streiten und danach haben wir dann zusammen ein Bier oder, noch viel lieber, Champagner getrunken. Der Kohl jedoch konnte das nicht ab. Für ihn gab es nur Freund oder Feind: "Wer nicht für mich ist, den muss ich bekämpfen!" Und so hatten wir halt ein ungutes Verhältnis zueinander. Aber davor hatte ich ja ein viel schöneres Verhältnis zu einem deutschen Kanzler gehabt, nämlich zu Willy Brandt, mit dem ich, wie ich für mich in Anspruch nehmen möchte, befreundet gewesen bin – ohne ihn jedoch geschont zu haben. Denn der "Spiegel" war es gewesen, der damals so ein Titelbild gebracht hatte wie z. B. "Ein Denkmal bröckelt". Da hat er natürlich schon auch dumm gekuckt. Aber er war eben ein großer Mann: Er hat das geschluckt. Kastan: Adenauer kannten Sie natürlich auch. Böhme: Ja, aber damals war ich natürlich noch ein junger Pinsel: Es konnte sich daher kein Verhältnis aufbauen zwischen uns. Man konnte nur staunen, was dieser Mann geschaffen hat, und konnte nur bedauern, dass er zu sehr der Restauration anhing. Kastan: Sie haben es schon gesagt, Sie nehmen für sich in Anspruch, zu Adenauer ein freundschaftliches Verhältnis gehabt zu haben. Legendär sind da ja Ihre Spaziergänge mit ihm... Böhme: Zu Brandt! Kastan: Entschuldigung. Was hatte ich gesagt? Böhme: Zu Adenauer. Kastan: Nein, um Gottes Willen, das war ein Versprecher. Böhme: Adenauer wäre nie mit mir spazieren gegangen. Kastan: Das glaube ich auch nicht. Er hätte Sie höchstens zum Rosenschneiden vergattert. Sie hatten jedenfalls zu Willy Brandt ein legendär gutes Verhältnis. Und legendär sind auch die Gespräche, die Sie mit Willy Brandt geführt haben und die dann als Interview erschienen sind im "Spiegel". Wissen Sie denn, wie viele Gespräche das eigentlich insgesamt waren? Böhme: Nein, wenn Sie mir vorher gesagt hätten, dass Sie mich das fragen werden, dann hätte ich das nachgeschlagen. Kastan: Aber es waren jedenfalls sehr, sehr viele. Böhme: Als ich damals vom "Spiegel" wegging, haben mir die Spiegel-Leute so ein Gedenkbuch gemacht mit allen meinen Artikeln und Spiegelgesprächen. Es waren jedenfalls unzählige. Ich bin oft mit ihm spazieren gegangen: Er war ein Mann, den ich für absolut integer gehalten habe, weil er das, was er gesagt hat, auch wirklich selbst geglaubt hat. Er hatte darüber hinaus sehr gute Umgangsformen und er war didaktisch hoch begabt. Ich muss in dem Zusammenhang ja nur einmal an Bundestagssitzungen denken, in denen er seine Ostpolitik erklärt hat: Da war es im Plenum des Bundestages mäuschenstill! Darin lag seine große Stärke. Kastan: Vor allem dann, wenn er mit dem Rücken zur Wand stand, musste er aus sich herauskommen. Böhme: Ja, natürlich. Kastan: Auch Leute, die ihn gut kannten, sagen Willy Brandt allerdings nach, dass er sogar in seinem Umfeld immer sehr viel Wert auf Distanz gelegt hat. Das heißt, es war schwierig, eine wirklich nahe Beziehung zu ihm aufzubauen. Böhme: Ja, er konnte sehr wohl auch eine halbe Stunde aus dem Fenster schauen, wenn er sich mit einem unterhalten hat. Es kamen immer die richtigen Antworten, aber es war Distanz da. Eine dicke Verbrüderung, denke ich, wäre mit ihm jedenfalls nie drin gewesen. Kastan: Er hat Ihnen auch als dem Ersten wichtige politische und persönliche Dinge erzählt. Wenn ich richtig informiert bin, hat er Ihnen als dem Ersten von seiner Krankheit erzählt, von den Schwierigkeiten, die er mit seinem Herzen hat. Er hat Ihnen als dem Ersten erzählt, dass er sich von seiner Frau Ruth scheiden lassen wird, dass er mit Brigitte Seebacher zusammengehen und sie auch heiraten wird. Haben Sie damals denn bereits einschätzen können, wie bedeutsam das war? Böhme: Also, die Seebacher-Brandt-Sache kam ja erst nach seinem Abdanken als Kanzler. Man muss in diesem Zusammenhang aber auch Folgendes sehen. Er hatte von 1969 bis zur Wahl 1972 eine große Erfolgssträhne. War das 1972? Jetzt muss ich doch wirklich überlegen. Kastan: 1972 war die Bundestagswahl mit dem Slogan "Willy wählen". Böhme: Richtig, es stimmte schon, das war damals seine große Triumphwahl. Und danach hat er einen katastrophalen Fehler gemacht: Er hat sich für ein Jahr zurückgelehnt. Er hat sich gesagt: "So, jetzt habe ich diese Bundestagswahl gewonnen, meine Ostpolitik läuft, jetzt lasse ich das alles" – von Sozialpolitik usw. hat er eh nicht viel verstanden – "mal hauptsächlich von den anderen machen!" Und dann kam aber dieser Jahreswechsel 1972/73: Die ÖTV unter Heinz Kluncker hat der Regierung elf Prozent Lohnerhöhung abgenötigt. Danach dann gab es ein regelrechtes Abrutschen der Nationalökonomie. Da haben dann sowohl Karl Schiller wie auch Alex Möller, also die beiden Minister, gestrampelt. Sie waren ja sozusagen die Adepten der neuen Wirtschaftspolitik. Die beiden sind dann ja auch von Bord gegangen. Und Brandt war plötzlich desinteressiert. Den Ausschlag für seinen wirklichen Abgang im Jahr 1974 gab nicht so sehr die Affäre Guillaume. Diese Affäre hätte er schon noch verschmerzt, denn er hat einmal zu mir auch den Satz gesagt: "Dann hat er halt was ausspioniert. Dann hat er denen eben gemeldet, dass ich keinen Krieg anfange. Das ist ja auch schon was wert." Die Guillaume-Affäre und das strenge Regiment des Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner zusammen haben ihn zum Resignieren gebracht. Das war der eigentliche Grund, weshalb er aufgehört hat. Die Freundschaft und dann auch die Heirat mit Brigitte Seebacher lagen ja bereits nach seiner Kanzlerschaft. Kastan: Sie haben vorhin von den Jahren 1972 und 1973 gesprochen: Das war die Zeit, in der Sie Ihren absoluten Karrieresprung gemacht haben. Sie waren Bürochef des "Spiegels" in Bonn und wurden dann Chefredakteur als Nachfolger von Günter Gaus. Günter Gaus ging nämlich nach Ostberlin als "Ständiger Vertreter" der Bundesregierung. Er machte also den Schritt vom Journalismus in die Politik. Hätten Sie sich diesen Schritt auch für sich vorstellen können? Böhme: Nie! Ich wollte nie auf der anderen Seite der Theke stehen. Dazu bin ich einfach zu stark Journalist. Günter Gaus, ein guter Freund von mir, wollte einfach immer etwas bewegen: Er wollte Politiker sein. Man darf sich den "Spiegel" ja nicht so als monolithischen Block vorstellen, denn das ging ja auch immer in Wellenbewegungen auf und ab. Bevor Gaus beim "Spiegel" Chefredakteur geworden war, war das politische Niveau des "Spiegels" ein wenig abgesackt. Gaus hat es dann wieder hochgezogen, dies aber eher im Sinne einer Verwirklichung sozialdemokratischer Grundsätze. Gaus hat dann vehement dafür gestritten, dass ich Chefredakteur werde, obwohl meine Idee eher Folgende gewesen ist: "Hol den 'Spiegel' wieder aus dem 'SPD-Gefängnis' heraus, mach ihn für alle Politiker offen." Denn man muss als Journalist mit jedem reden, man muss versuchen, jeden zu verstehen. Und kann dann eben auch jeden kritisieren. Wenn ich denn schon über eigene Verdienste reden soll, was ich nicht gerne tue: Ich denke, das wäre immerhin mein Ziel gewesen. Kastan: Was haben Sie denn geändert im "Spiegel"? Wie haben Sie das umsetzen können? Böhme: Das war ja dann auch nicht mehr die Zeit, in der die SPD partout Regierungspartei werden wollte: Sie war es dann nämlich schon. Es war daher nun höchste Zeit nachzuprüfen, was die SPD von ihren Versprechen eingelöst hat und ob die anderen Parteien nun untergehen oder nicht. Es gab also die Möglichkeit abzuwägen zwischen der Regierung und der Opposition. Das bedingte wiederum, dass der Chefredakteur mit allen reden kann. Ich denke, das war es. Das war meiner Meinung nach der Grund, warum der "Spiegel" seinerzeit aus einer gewissen Talsohle herausgekommen ist. Kastan: Trotzdem hat der "Spiegel" sein Image, gerade in konservativen Kreisen, er sei links, nicht verloren. Böhme: Das ist doch aber vorbei. Das ist vorbei, die Leute sollen ihn einfach mal lesen und ihn mit Konkurrenzprodukten vergleichen. Und dann sollen sie sich eine Meinung bilden. Wenn sie dann zu der Meinung kommen, der "Spiegel" sei links, in Gottes Namen, dann ist es eben so, wenn sie so denken. Vielleicht stehen sie aber auch einfach so weit rechts, dass sie den "Spiegel" für links halten müssen. Kastan: Linke Politiker würden ja wahrscheinlich widersprechen, wenn jemand behaupten würde, der "Spiegel sei links. Böhme: Natürlich, die sagen, der "Spiegel" ist nicht kämpferisch genug, nicht links genug, nicht sozial genug usw. Das ist doch gut, wenn die Kritik von links und von rechts kommt. Kastan: In Ihre Zeit fielen die großen Affären, die im "Spiegel" und vom "Spiegel" aufgedeckt wurden. Ich glaube, die größte Affäre war wohl die Barschel-Affäre Ende der achtziger Jahre. Da hat wohl selbst Ihr Herausgeber Rudolf Augstein zunächst einmal nicht alles geglaubt, was der "Spiegel" damals Sensationelles berichtet hat. Böhme: Also, wir bekamen die Nachricht, dass jener Pfeiffer, der Medienreferent von Barschel, der eigentliche Stocherer sei. Es ging ja darum, diesen neu heraufdämmernden Star aus dem Norden, Björn Engholm, fertig zu machen. Diese Informationen kamen praktisch eine Woche zu spät zu uns. Wir hatten davor über diese Barschel-Machenschaften schon einmal geschrieben: dass er Telefone abhörte, dass er Sand ins Getriebe warf usw., dass er also lauter Dinge tat, die man im Wahlkampf nicht machen sollte. Die endgültige Bestätigung dessen kam aber erst am Freitag vor dem Wahlsonntag der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Da habe ich etwas Außergewöhnliches gemacht, etwas, über das andere urteilen sollen, ob es korrekt oder nicht korrekt gewesen ist. Ich habe nämlich diese Titelgeschichte von uns, die ja erst am Montag, also einen Tag nach der Wahl, erscheinen sollte, bereits vor dem Sonntag an die Presse gegeben, sodass in der Öffentlichkeit bereits zum Wahlsonntag der "Barschel-Titel" des "Spiegels" erschien. Zu diesem Zeitpunkt war Augstein in Urlaub in St. Tropez. Von dort aus hat er mich gefragt: "Erich, gehst du nicht zu weit?" Noch Montags, in der Redaktionskonferenz, als Barschel bereits praktisch ohne Stuhl da saß, sagte er zu mir: "Erich, bist du da nicht zu weit gegangen?" "Nein, nein, was stimmt, stimmt. Basta!", habe ich ihm geantwortet. Er hat aber damals gleichzeitig mit Journalisten von der "Zeit" ein großes "Zeit-Gespräch" gemacht, und zwar als Konserve. Er hat die Redakteure der "Zeit" dafür extra nach St. Tropez einfliegen lassen. Augstein machte dies für den Fall, dass ich auf die Fresse fliege, denn er konnte dann sagen: "Tja, das ist falsch gelaufen, pater peccavi!" Es ist aber nicht falsch gelaufen, es war alles richtig. Es hat sich alles bestätigt. Das war natürlich schon eine Stärkung und ein Triumph des Chefredakteurs, der an jenem Freitag und Samstag die Nerven behalten hatte. Kastan: Andere Affären waren z. B. die Coop-Affäre, die Flick-Affäre usw. Böhme: Die Flick-Affäre hat mir für lange Zeit die Feindschaft des Grafen Lambsdorff eingetragen. Danach dann hat mir jedoch seine Art, mit mir umzugehen, meine Hochachtung abgenötigt. Nach einiger Zeit ist er nämlich in einem Restaurant auf mich zugegangen und hat gesagt: "Auch Feinde müssen wieder miteinander reden!" Das war eine tolle Sache. Kohl hat das bis zum heutigen Tag nicht fertig gebracht. Wenn ich Kohl sehe, dann begrüße ich ihn und dann sagt er: "Guten Tach!" – und dreht mir seinen Rücken zu. Das macht den Unterschied zwischen Menschen von Qualität und Menschen von minderer Qualität. Der Titel von uns mit dem Grafen Lambsdorff drauf war schon ein tolles Ding gewesen. Ich will aber nicht verschweigen, dass ich... Kastan: Das war im Zusammenhang mit der damaligen Parteispendenaffäre bzw. der Flick- Affäre, die der "Spiegel" aufgedeckt hat. Graf Lambsdorff ist in diesem Zusammenhang, wenn ich mich recht erinnere, sogar verurteilt worden. Böhme: Ja, natürlich, selbstverständlich. Kastan: Da ist also einiges aufgedeckt worden, das wichtig war. Böhme: Ja, da ist einiges aufgedeckt worden und Gott sei Dank bin ich dabei nicht auf die Nase gefallen. Aber ich will Ihnen gerne erzählen, dass ich auch einige Male auf die Nase gefallen bin. Kastan: Tun Sie das. Böhme: Denn ein Journalist muss sich auch zu seinen Fehlern bekennen. Gut, ein Beispiel dafür. Es gab damals in Herrn Waldheim einen Präsidenten der Republik Österreich... Kastan: ... der dann später UN-Generalsekretär wurde. Böhme: Nein, das war er davor gewesen. Nachdem er UN-Generalsekretär gewesen war, wurde er österreichischer Staatspräsident. In dieser Zeit tauchten dann mit einem Mal Gerüchte auf, Waldheim hätte auf dem Balkan während der Kriegswirren keine tolle Rolle gespielt: eher eine Rolle, in der er die Nazis begünstigte. Er hat dies aber immer alles dementiert. Das war wirklich ein sehr eigenartiges Spiel. Wenn man z. B. gesagt hat: "Waldheim war auf dem Balkan", dann hat er gesagt, "Ich war nie auf dem Balkan!" Wenn man gesagt hat: "Waldheim trug damals eine Wehrmachtsuniform", dann hat er gesagt, "So etwas habe ich nie getragen!" Wir haben ihm das alles aber nachweisen können, indem wir Stück für Stück die entsprechenden Dokumente ans Licht gezogen haben. Erst ganz zum Schluss sind wir dem Kastellan eines Militärmuseums in Belgrad zum Opfer gefallen: Er hat uns gefälschte Dokumente übergeben, in denen es geheißen hat, Waldheim sei an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen. Und dann hat eben Böhme seinen Hut genommen – er war ja auch nur noch so klein mit Hut – und ist nach Wien gefahren und hat sich entschuldigt. Wir haben ans Rote Kreuz eine große Summe bezahlt und haben das alles bei uns im Blatt korrekt veröffentlicht. Kastan: Sie haben sich also zu diesem Fehler bekannt. Böhme: Ja, das muss man. Kastan: Das ist wahrscheinlich das Beste, was man machen kann in einer solchen Situation. Böhme: Ja, es hat doch gar keinen Sinn, sich in so einem Moment zu verstecken – denn sonst würden Sie doch heute einen kleinen Zettel aus der Tasche holen und mir nachweisen, dass ich damals gelogen habe. Kastan: Wie war Ihr Verhältnis zu Rudolf Augstein, dem Gründer des "Spiegel", der im Jahr 2002 verstorben ist? Ich glaube, Ihr Verhältnis war nicht immer gleich gut. Augstein war jedenfalls immer der Chef, darauf hat er Wert gelegt. Böhme: Augstein war immer der Chef, ist es immer geblieben. Er hätte diese Rolle des Chefs nie abgegeben. Gut, kleinbeigegeben hat er oft: Wenn er z. B. einen Artikel geschrieben hatte und ich zu ihm gesagt habe, "Du, das ist aber nicht Pulitzer-Preis verdächtig", dann hat er diesen Artikel auch durchaus mal weggeworfen. So war das also nicht. Aber er war der Chef im Haus. Er wollte am Schluss das Sagen haben, auch wenn das oft nur ein Formelles gewesen ist. Und danach kann man sich ja richten. Ich hatte jedenfalls unglaublich große Freiheiten. Und wir waren befreundet, herzlich befreundet, bis zu seinen letzten Tagen. Obwohl er natürlich schon auch manches krumme Ding gemacht hat. Ich hatte Ihnen ja schon gesagt, dass er z. B. mit der "Zeit" ein Interview parat gelegt hat, um sich von mir absetzen zu können, wenn es denn notwendig gewesen wäre. Kastan: Das war dann Gott sei Dank nicht notwendig. Böhme: Genau, dieser Artikel ist einfach in der Schublade verschwunden. Kastan: Im Verhältnis zwischen Ihnen beiden muss es aber doch zumindest einen Knacks gegeben haben: Das war in der Zeit, als ein neuer Geschäftsführer für den "Spiegel Verlag" berufen werden sollte. Dafür waren auch Sie im Gespräch. Augstein hat aber gesagt, Sie würden das nur werden, wenn es da noch einen zweiten Geschäftsführer gibt, nämlich den Werner Funk. Böhme: Ja, richtig. Kastan: Das hat Ihnen natürlich nicht gepasst, oder? Böhme: Es war nicht so sehr mein Veto: Die Belegschaft hätte das nicht hingenommen, denn sie wollte den Funk zu dieser Zeit nicht. Ich habe also zu Rudolf Augstein gesagt: "Es hat doch keinen Sinn, dass wir jetzt eine Geschäftsführer- Chefredakteur-Einrichtung machen, bei der das Haus nicht mitzieht. Das muss schon d'accord sein." Sein Hintergedanke war nämlich gewesen, damit den Funk zu etablieren. Von heute aus gesehen war das vielleicht sogar ein Fehler von Augstein. Denn Werner Funk ist dann ja mein Nachfolger als Chefredakteur geworden. Funk blieb aber nicht arg lange, denn schon bald hat ihn Augstein "gefenstert", weil er ihm zu selbständig wurde. Man musste also Augstein gegenüber immer so eine Art von Gleichgewichtssituation herstellen: Man musste ihn anerkennen als den Boss und doch machen, was man wollte! Gut, so etwas gibt es beim Bayerischen Rundfunk ja auch. Kastan: Das wird es mit Sicherheit fast überall geben. 1989 kam es zum Bruch zwischen Ihnen. 1989 ging es natürlich um die Wiedervereinigung, als die Mauer fiel. Sie schrieben dazu einen Artikel mit dem Titel... Böhme: "Ich will nicht wiedervereinigt werden." Kastan: Genau. Es gibt ja in einigen Zeitungen so Fragebögen, die prominente Persönlichkeiten ausfüllen dürfen. In einem dieser Fragebögen haben Sie einmal Folgendes geantwortet: Auf die Frage, was Ihr größter Erfolg gewesen sei, sagten Sie, das sei genau dieser Artikel gewesen. Auf die Frage, was Ihre größte Fehlentscheidung gewesen sei, meinten Sie, das sei die Veröffentlichung dieses Artikels gewesen. Böhme: Na, da haben Sie doch ein schönes Bonmot gefunden. Aber diese Sache war natürlich viel differenzierter und schwieriger. Einerseits muss man nämlich sagen, dass dieser Beitritt mit dem Umtauschwert eins zu eins, dass dieses Hals-über- Kopf-Hineinrennen der größte Unfug gewesen ist. Und die "blühenden Landschaften" sind ja in den letzten 14, 15 Jahren und bis heute nicht gekommen. Dies voraussehend war ich der Meinung: "Ja, man kann eine freundliche Nachbarschaft pflegen, man kann diese beiden Staaten näher und näher aneinander heranbringen und man kann auch dieses Fenster der Verwundbarkeit des Ostens ausnutzen für sich." Denn der Osten hat ja ein Angebot nach dem anderen gemacht: "Wollt Ihr die DDR haben? Sie darf sogar in die NATO eintreten." Dies hat dann zwei Dinge ausgelöst. Erstens hat das bei Kohl die Vorstellung ausgelöst, dass er auf diese Weise – wenn er "den Mantel der Geschichte ergreift" – für unendliche Zeiten Wahlsieger sein werde. Er ist also nicht so sehr der Schöpfer der deutschen Einheit gewesen, sondern derjenige, der die Gelegenheit beim Schopf gepackt hat. Es war natürlich sein gutes Recht als Politiker, das zu machen. Man hätte das alles freilich ein bisschen überlegter machen sollen. Es gibt ja diesen Artikel 134 oder 143 des Grundgesetzes – es kann sein, dass mir da jetzt mein Alter etwas Falsches einsagt –, in dem es heißt, es können sich zwei souveräne deutsche Staaten zusammenschließen. Da würde man dann Verhandlungen machen, bei denen jeder seine Bedingungen stellt und dann gäbe es die Einheit. Oder es gibt die andere Möglichkeit namens "Konföderation", bei der man diese beiden Staaten langsam zusammenwachsen lässt. Keine dieser beiden Optionen ist gewählt worden. Stattdessen hat man komischerweise einen anderen Artikel der Verfassung genommen und gesagt: "Es gibt einen Beitritt!" Nun, wer irgendwo beitritt, muss natürlich immer die Bedingungen des anderen akzeptieren. Und das war und ist die Achillesferse dieser Wiedervereinigung. Am Vorabend des großen Spruchs von Kohl, "Es wird eins zu eins umgetauscht und der Fall ist erledigt!", saßen ja der Bundesbankpräsident Pöhl und der stellvertretende Staatsbankpräsidenten der DDR zusammen. Sie haben sich gefragt, wie sie das mit dem Umtauschkurs machen sollen: "Vielleicht ein Steuervorbehaltsgebiet oder oder oder..." Das wäre dann ein Vorgehen gewesen, wie man es seinerzeit auch mit der Saar gemacht hatte. Die beiden gingen auseinander und wollten am nächsten Tag weiterberaten. Aber an diesem Morgen hat Kohl verkündet: "Die Einheit ist da. Der Vertrag steht. Der Umtausch wird eins zu eins gemacht. Es wird blühende Landschaften geben im Osten!" Dies war der Kardinalfehler. Entschuldigung, wenn ich so lange darüber rede, aber das ist nun einmal etwas komplizierter. Richtig wäre eine langsame Annäherung gewesen: Dabei hätte man versuchen müssen, die Vorteile dieser beiden Wirtschaftsgebiete, der eine Staat hatte ja eine Westbindung und der andere die Ostbindung, miteinander zu koppeln. Man hätte das durch unterschiedliche Löhne, durch unterschiedliche Wechselkurse usw. machen können. Damit wäre das alles langsam zusammengewachsen. Das wäre richtig gewesen und das sage ich auch heute noch. Mein Denkfehler dabei war jedoch: Die Leute in der DDR wollten das nicht! Sie wollten rüber, sie wollten reisen, sie wollten über die Mauer, sie wollten sich das größere Auto kaufen, sie wollten ihre Banane haben... Kastan: Und sie wollten die D-Mark haben. Böhme: Genau. Diesem Ansturm war aber nun keiner gewachsen. Vielleicht erinnern Sie sich noch: Kohl hat damals an Weihnachten 1989/90 ja dieses Zehnthesenpapier gemacht. Die zehnte These lautete damals auch nur, man könne an eine Konföderation denken. So weit war ich damals also von Kohl eigentlich gar nicht weg – was mir aber weder schadet noch nützt. Kastan: Auf alle Fälle wurden Sie dann doch wiedervereinigt. Böhme: Ich wurde wiedervereinigt und bin dann in den "Osteinsatz" gegangen. Kastan: Genau. Augstein war, wenn ich richtig informiert bin, ziemlich verärgert über diesen Artikel von Ihnen. Böhme: Er hat dann in der darauf folgenden Woche einen sehr honorigen Artikel von sich selbst in den "Spiegel" gesetzt: Man könne ganz anderer Meinung sein, aber man müsse jeden Satz veröffentlichen, den Böhme veröffentlicht hat. Wir waren also hinsichtlich der politischen Bewertung dieser Angelegenheit unterschiedlicher Meinung, aber wir haben uns dennoch sehr hoch geschätzt. Und ich bin auch nicht als begossener Pudel vom "Spiegel" weggelaufen. Kastan: Es flogen also nicht die Fetzen nach diesem Artikel. Böhme: Nein, überhaupt nicht. Die Fetzen konnten bei ihm gar nicht fliegen – vielleicht wenn man ihm ein Bier vorenthalten hätte, dann wären möglicherweise die Fetzen geflogen. Kastan: Augstein hat ja 1993 in einem Interview mit der Zeitschrift "Tempo" – diese Zeitschrift gibt es heute nicht mehr – auf die Frage, wie er denn den Weggang von Böhme verkraftet habe, geantwortet: "Schreiben Sie, ich vermisse ihn!" Böhme: Wir haben uns beide vermisst. Wir haben uns ja oft gesehen. Wir haben oft zusammengesessen. Aber dann war das eben vorbei. Kastan: Wie in einer richtigen Männerfreundschaft. Böhme: Ja, die gemeinsame Basis war dann nicht mehr da, das ist klar. Als ich weggegangen bin, war ich genau 60 Jahre alt. Ich habe zu ihm gesagt: "Rudolf, dann lösen wir das jetzt auf." Das Durchschnittsalter des Spiegel-Lesers lag damals, wenn ich mich nicht täusche, bei 42 Jahren. Wenn der Chefredakteur schon 60 ist, dann geht es einfach nicht mehr: "Lassen wir es also sein!" Augstein sagte dann zu mir: "Ja, wenn du meinst. Du kannst noch so lange bleiben, wie du willst, du kannst aber auch sofort gehen." "Gut, dann gehe ich sofort!" Kastan: Und damit begann eine neue Karriere bei Ihnen. Böhme: Ja, aber ich habe mir damals doch nicht träumen lassen, dass das kommt, dass das Fernsehen plötzlich auf mich hüpft. Kastan: Sie waren danach dann aber auch noch Herausgeber der "Berliner Zeitung", einem früheren SED-Blatt. Böhme: Es war so: Ich bin Ende 1989 raus aus dem "Spiegel", Anfang 1990 hatte ich meinen 60. Geburtstag. Und da rief bei mir eines Tages eine kleine Produktionsgesellschaft an: Sie machten für Sat.1 "Talk im Turm". Diese Sendung klappte aber nicht, weder die erste noch die zweite Folge. Und deshalb hat der Geschäftsführer bei mir zu Hause angerufen und dabei allerdings meine Frau angetroffen. Er meinte zu ihr: "Weiß der Erich nicht einen, der das machen kann?" Sie meinte: "Ach, ich frag ihn mal." Daraus hat sie dann aber eine "Emser Depesche" gemacht, denn als ich vom Einkaufen zurückgekommen bin, hat sie zu mir gesagt: "Die lassen anfragen, ob du das nicht machen möchtest." Ich meinte dann nur noch: "Ach Gott, wenn sie mich schon fragen. Schlimmer als eine Redaktionskonferenz beim 'Spiegel' kann das auch nicht ausgehen." Und so war ich dann 14 Jahre lang jeden Sonntag Moderator. In der letzten Zeit war ich das sogar zwei Mal in der Woche, Sonntags und Montags. Kastan: "Talk im Turm" war die erste Sendung, die Sie gemacht haben. Böhme: Ja, das war meine erste Sendung. Ich bin dann aber auch mal dem Fred Kogel zum Opfer gefallen, der damals diesen Jugendwahnsinn bei Sat.1 eingeführt hat: Es müssen alle so jung sein wie die Zuschauer! Na, man sieht ja, was daraus geworden ist. Und da bin ich eben zu N-TV gewechselt und habe diese Sendung unter dem neuen Titel "Talk in " weitergeführt. Und ich habe dort auch noch den "Grünen Salon" mit meinem "verrückten" Freund Eggert gemacht. Kastan: Der übrigens auch schon hier war in alpha-forum. Böhme: Ist wahr? Aber da ist doch nichts stehen geblieben, denn wenn der erst einmal anfängt... Kastan: Na, auch er ist vom Moderator unterbrochen worden. Es war jedenfalls so, dass Sie beide ganz gut zusammengepasst haben. Nicht geschafft hat es damals an Ihrer Seite jedoch die Sandra Maischberger. Böhme: Richtig, das war im ersten Jahr dieser Sendung. Kastan: Waren Sie da zu sehr Pascha und sie zu sehr kleines Mädchen? Warum hat das nicht funktioniert? Böhme: Es hatte ja damit angefangen, dass diese Sendung zwei Leute machen sollten. Im erste Jahr waren das Frau Schöller und ich. Das klappte aber nicht. Und dann kam Sandra dazwischen. Damals war sie noch ein ganz junges Kind und deshalb haben mir gemeint: "Ah, das geht gut, der alte Esel und die junge Gans, die machen das!" Sie hat dann aber einen Fehler gemacht, wie ich glaube. Sie hat mir zu viel hinterhergeredet. Ich hatte halt mehr Erfahrung, aber sie wollte dann eben auch die Erfahrene sein. Eigentlich hätte sie jedoch eher Fragen stellen sollen oder im Sinne der jüngeren Generation dazwischen gehen. Das war also auch nichts. Später hat sie das dann eingesehen. Manchmal beschimpft sie mich noch deswegen, manchmal auch nicht. Wir sind jedenfalls eng befreundet. Wenn Sie eine politische Sendung alleine moderiert, wenn sie nur einen Gast hat, wie das bei N-TV ja immer noch üblich ist bei ihr in der Sendung, dann ist sie hervorragend. Aber so eine Universal-Talkmasterin ist sie auch nicht. So, das war das. Und dann habe ich eben den Rest alleine gemacht. 14 weniger zwei sind 12 Jahre, in denen ich meine Sonntage dem deutschen Fernsehpublikum geopfert habe. Kastan: Viele große Politiker und Prominente waren bei Ihnen zu Gast. Trotzdem gab es auch Flops. Eine Sendung, an die ich mich immer noch gut erinnern kann... Böhme: Oh, jetzt kommt's! Kastan: Sie wissen schon, welche Sendung ich meine: Das war die Sendung mit Jörg Haider. Er sollte ursprünglich in der ARD auftreten, aber die ARD hat dann gesagt: "Nein, wir machen das jetzt doch nicht!" Böhme: Die Christiansen hat gesagt: "Der kommt nicht zu mir in die Sendung!" Ich habe jedoch gemeint: "Warum, vor dem müssen wir doch keine Angst haben." Aber ich war da zu leichtfertig. Das heißt, die Zusammensetzung der Runde war falsch. Die Runde war nicht vorbereitet genug. Kastan: Da saßen in dieser Runde damals Ralph Giordano, Michael Glos... Böhme: ... Freimut Duve. Der Glos hat dem Haider ja eher noch die Stange gehalten. Das war eine Sendung, in der mir einer meiner Gäste weggelaufen ist, nämlich der Ralph Giordano. Ach, die wollten alle so nett mit diesem Jungen umgehen. Kastan: Sie wollten jedenfalls Jörg Haider entzaubern und dann hat er Sie entzaubert. Böhme: Und sich auch! Das denke ich schon. Wer dem da auf den Leim gegangen ist, dem war ohnehin nicht zu helfen. Das muss ich heute sagen – zu meinem Selbstschutz. Kastan: Er hat jedenfalls immer sehr viel Applaus bekommen vom Publikum im Studio. Dort saßen nämlich viele seiner Anhänger. Das alles hat das natürlich noch verstärkt. Böhme: Klar, die hatte er mitgebracht. Er hat diese Claqueure alle mitgebracht. Kastan: Waren Sie nach dieser Sendung sehr enttäuscht? Waren Sie wütend auf sich und haben gemeint, Sie hätten sich doch noch besser darauf vorbereiten müssen? Wie haben Sie reagiert hinterher? Was haben Sie gedacht nach dieser Sendung? Böhme: Das ist sehr schwer. Ich habe hinterher einen Aufsatz geschrieben und versucht mich zu verteidigen und gesagt: "Man muss den Menschen zeigen, wie er wirklich ist, denn alles andere hat keinen Sinn." Es ist ja so: In einer solchen Sendung kann man ihm doch keine Fakten vorhalten. Man kann ihm nicht sagen: "Sie haben doch dieses und jenes gesagt!" Denn darauf hätte er nur gemeint: "Nein, das habe ich nie gesagt!" Und da säße man dann als Moderator schon wieder dumm da, weil er nachfragen würde, woher man diese Aussage hätte. Das heißt, ich würde dann auf der Antwort draufsitzen und müsste angeben, woher ich das habe. Daraufhin könnte er dann wieder sagen: "Stimmt nicht, dort war ich gar nicht." Solche Befragungen gehen mit so einem Menschen einfach nicht. Es war jedenfalls ein Fehler zu glauben, man könne ein intellektuelles Gespräch mit einem Rechten wie Haider führen. Und der Haider ist halt so ein kleiner Finkler, was ja hoffentlich kein beleidigendes Epitheton ist. Kastan: Vielleicht hört oder schaut er nicht zu. Böhme: Ja, wahrscheinlich schaut er solche Sendungen eh nicht an. Kastan: Es hat dann danach bei Ihnen so einen langsamen Rückzug ins Private gegeben. Sie sind dann nämlich an Krebs erkrankt. Ich kann das deshalb so offen ansprechen, weil Sie ja selbst auch immer offen darüber gesprochen haben. Böhme: Ja, ich hatte wirklich einen krachenden Krebs. Ich hatte zwei schwere Tumore, bin zwei Mal schwer operiert worden. Ich habe Chemotherapie gemacht und Bestrahlung und ich habe all das miterlebt, was da an Unannehmlichkeiten so mit dazu gehört. Das Ergebnis ist nun, dass ich nach insgesamt sieben Jahren Erkrankung in den letzten beiden Jahren absolut frei von Krebs gewesen bin. Aber ich habe halt die "Kollateralschäden" zu tragen. Das heißt, die Bestrahlung hat innen drin in mir so viel kaputt gemacht, dass ich bis heute darunter leide. Der Krebs ist weg, aber ich leide unter den Bestrahlungsfolgen. Na gut, aber im Moment sitze ich ja noch ganz munter hier. Kastan: Ja, absolut, Böhme ist wie immer. Da gibt es ja diesen Satz von Ihnen: "Mir sind die Haare ausgefallen, aber keine Sendung!" Böhme: Ja, ich hatte wirklich einen Plattkopf. Ich habe keine einzige Sendung in dieser Zeit ausfallen lassen. Ich bin wirklich mit Glatzkopf in die Sendung gegangen. Viele Leute haben dann natürlich wieder gesagt: "Was hat der denn jetzt für eine Marotte! Jetzt lässt er sich schon wie ein Zwanzigjähriger den Schädel kahl scheren!" Kastan: Das hatte allerdings ganz andere Gründe. Böhme: Ja, das hatte in der Tat ganz andere Gründe. Kastan: Wichtig waren für Sie, wenn Sie heute so zurückblicken, schon auch immer die Frauen, oder? Sie waren insgesamt vier Mal verheiratet. Böhme: Ja, ich mag Frauen. Ich konnte aber nicht immer etwas dazu, dass es eine Neue gegeben hat. Meine erste Frau habe ich richtiggehend verlassen, das stimmt – wegen einer Redakteurin. Meine zweite Frau verstarb mir allerdings an einer Hirnblutung. Danach dann habe ich ein drittes Mal geheiratet. Diese dritte Frau ist mir allerdings eines Tages davongelaufen, weil sie sich gedacht hat, ich wäre ihr nun doch zu alt. Kastan: Sie waren über 30 Jahre älter sie. Böhme: Sie war 34 Jahre jünger als ich. Und jetzt bin ich ein viertes Mal verheiratet: Das ist sozusagen mein Beitrag zur Wiedervereinigung, zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen. Kastan: Sie sind verheiratet mit Angelika Unterlauf. Im Westen ist sie gar nicht so bekannt, aber in den neuen Ländern kannte man sie natürlich. Böhme: Sie war und ist dort bekannt wie ein bunter Hund bzw. eine bunte Hündin. Kastan: Sie war, wie ich mal irgendwo gelesen habe, Honeckers Antwort auf Dagmar Berghoff: Sie war die Chefsprecherin bei der "Aktuellen Kamera", einer legendären Nachrichtensendung in der DDR. Böhme: Es gab zwar keine Chefsprecherin, aber sie war eigentlich schon die Vorzeige-Nase dieser Veranstaltung. Kastan: Sie haben sich bei Sat.1 kennen gelernt, einem Sender, für den Sie beide gearbeitet haben. Böhme: Ja, das stimmt. Als sich die Deutsche Demokratische Republik "fröhlich" auflöste, ist sie in den Westen gegangen und hat wieder richtig als Reporterin gearbeitet. Sie war dann zwölf oder 14 Jahre, das weiß ich jetzt gar nicht so genau, Reporterin für das Morgenmagazin von Sat.1. Kastan: Unter anderem hat sie dabei auch Interviews mit Ihnen gemacht. Böhme: Ja, die meisten Interviews, die sie geführt hat, hat sie mit mir geführt. Kann sein, dass sie mich gemocht hat, es kann aber auch sein, dass ich was zu sagen gehabt habe. Ich war ja auch ein bunter Hund, denn ich war ehemaliger Chefredakteur des "Spiegels", kam aus dem Westen und habe dann als Herausgeber diese "Rote- Socken-Zeitung" übernommen: Ich war nämlich vier Jahre lang Herausgeber der "Berliner Zeitung". Ich rechne mir das wirklich hoch an – ich muss mich hier ja auch mal loben –, denn diese Zeitung wäre meines Erachtens untergegangen als Ost- Zeitung, wenn da nicht so ein Wessi wie ich eingestiegen wäre, ein Wessi, an dem man interessiert war: "Was macht der mit dieser Zeitung? Was wird daraus?" Na gut, da habe ich halt auch große Sprüche geklopft und gesagt: "Wir machen die Washington Post von Deutschland!" Das ist sie natürlich nicht geworden. Aber diese Zeitung lebt bis heute. Kastan: Diese Zeitung lebt und Sie sind inzwischen mit Angelika Unterlauf verheiratet. Geheiratet haben Sie beide letzten Sommer. Böhme: Ja, das stimmt. Kastan: Gibt es denn bei Ihnen zu Hause viele politische Kontroversen? Böhme: Ja, wir haben Kontroversen über ihre Zeit in der DDR. Denn sie hat diesen ganzen Apparat doch zu gut gekannt und ihn eigentlich auch gehasst. Sie war zwar Nachrichtensprecherin, aber da war doch auch ewig eine Zerrissenheit in ihr. Sie musste ja das Westfernsehen jeden Tag anschauen. Sie hatten die "Aktuelle Kamera", in der sie auftrat, um halb acht abends. Davor um sieben Uhr war das ZDF mit "heute" dran. Wenn man das jeden Tag sieht, dann wird einem natürlich klar, dass die Dinge doch etwas anders aussehen. Innerhalb der Redaktion der "Aktuellen Kamera" gab es dann ewig diese Kämpfe, diese Dinge so durchzubringen, dass doch noch ein Funke Wahrheit bestehen bleibt. Aber diese Funke Wahrheit ist oft nicht mehr übrig geblieben. Und dann dieses Bespitzelt- Werden. Sie sagt, man war damals als Nachrichtensprecherin immer und grundsätzlich von mindestens zehn IM umgeben, egal wohin man ging. Westreisen waren verboten für sie. Sie durfte dann ganz gegen Ende der DDR eine Westreise machen: Das haben sie ihr sozusagen als Trostpflaster genehmigt kurz vor der Wiedervereinigung, als in der DDR schon alles den Bach runter ging. Sie hat dann Verwandte in Bayern, in Rosenheim besucht. Sie kam dort an, ihr Onkel holte sie am Bahnhof ab und sagte zu ihr: "Komm mal mit, hier, zu diesem Fotoautomaten!" Sie meinte nur: "Was, werde ich hier auch gleich wieder fotografiert und erfasst?" "Nein, komm mit zum Fotografieren, denn morgen fahren wir entweder nach Venedig oder nach Paris!" Da hat sie dann zum ersten Mal in ihrem Leben in den Westen herübergekuckt, was sie allerdings nicht hätte tun dürfen. Sie ist sich sicher, dass sie auch dabei beobachtet worden ist. Danach dann ging aber eh schon bald alles den Bach runter in der DDR: Es kam der 9. November und dann war Feierabend. Kastan: Da war dann alles aus. Später haben Sie sich dann irgendwann kennen gelernt und nun sind Sie verheiratet. Böhme: Ja, kennen gelernt haben wir uns über die Interviews. Da ging es aber nur um solche Dinge wie die Herausgeberschaft bei der "Berliner Zeitung", über den Besuch des amerikanischen Präsidenten in Berlin damals usw. Und sie ist zwei Mal bei mir in der Talkshow gewesen: Sie war einfach immer schön zum Vorzeigen, dieses Ost-Gesicht! Wir Journalisten kannten dieses Gesicht ja ohnehin eher als die übrige Bevölkerung im Westen: Denn natürlich haben auch wir unsererseits die "Aktuelle Kamera" angeschaut. Wir wollten doch wissen, was die Brüder da drüben so verzapfen. Kastan: Ich würde Ihnen zum Schluss gerne eine ganz doofe Frage stellen. Böhme: Das kann ich mir nicht vorstellen. Kastan: Sie wissen ja selbst als Talkmaster, dass einem nicht jede Frage wirklich gelingt als Moderator. Wenn Sie nach dem Krieg in der DDR aufgewachsen wären, hätten Sie dann auch in der DDR Karriere gemacht? Böhme: Das ist keine doofe Frage, das ist eine Frage, die mich in Verlegenheit bringt. "Nach dem Krieg" heißt ja, nach Hitlers Untergang in Blut und Asche. Da war jedenfalls in mir das Gefühl erwacht, du musst die Welt kennen lernen, du musst mehr von ihr sehen und lernen und du musst vielleicht auch dazu beitragen, dieses Wissen wiederum in die Welt zu bringen. Drüben jedoch ging es ziemlich nahtlos von einem strengen Regime ins andere: Da war also der Übergang nicht so harsch. Möglicherweise hätte ich dann halt versucht, irgendwo in einer kleinen Nische etwas für die Wahrheit zu tun. Ich wüsste ja nicht, was ich sonst geworden wäre. Denn Journalismus ist nun einmal dummerweise mein Beruf. Ich habe bei der "Berliner Zeitung" dann später viele Kollegen kennen gelernt, die in so einer Nische gelebt haben. Journalist bleibt ja Journalist: Ein Journalist erschnuppert was und will dem nachgehen. Aber die Menschen und damit auch die Journalisten in der DDR waren halt anders erzogen. Dazu fällt mir eine schöne Geschichte ein, sie hat mit dem Palast der Republik in Berlin zu tun, als ich noch Herausgeber der "BZ" war. Es hieß nämlich eines Tages, im Palast der Republik würden noch sieben Hausmeister leben, es würde noch geheizt werden in dieser Ruine usw. Ich habe gesagt: "Los, da schicken wir einen Reporter hin! Der soll einen Report machen, wie es da drin aussieht!" Am anderen Tag kam jedoch der ausgesandte Reporter an und meinte: "Das ging nicht. Das Gebäude ist abgeschlossen!" Und da habe ich gesagt: "Siehst du, das unterscheidet uns!" Der Westjournalist wäre nämlich nicht angekommen und hätte gesagt: "Da darf man nicht rein, da ist ja zugesperrt!" Nein, der wäre ganz sicher irgendwie hineingekommen, denn auch ein solches Haus hat ja mehrere Eingangstüren. Und so hätte er dann auch darüber schreiben können. Ich habe also einen Westkollegen beauftragt, das zu machen – und die Sache lief. Natürlich ging's! Das macht den Unterschied aus. Die Kollegen in der ehemaligen DDR waren kontemplativer: Sie saßen, wenn sie gute Journalisten waren, in ihrer Ecke und haben nachgedacht. Kastan: Und das ändert sich natürlich jetzt im Laufe der Zeit alles. Böhme: Ja, natürlich. Kastan: Wir sind schon am Ende unseres Gesprächs angekommen. Böhme: Ach, wie schade. Kastan: Ich bedanke mich sehr, sehr herzlich bei Ihnen, dass Sie zu uns ins alpha-forum gekommen sind. Unser Gast in der heutigen Ausgabe von alpha-forum war der Journalist Erich Böhme.

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