Plenarprotokoll 13/100

Deutscher

Stenographischer Bericht

100. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

- Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten deut- Fragestunde scher Seehäfen durch die geplante Anbin- dung Rotterdams an das deutsche Schie- - Drucksache 13/4403 vom 19. April nennetz bei Emme rich 1996 - MdlAnfr 12, 13 Rückgang des deutschen Bedarfs an Be- Lisa Peters F.D.P. strahlungskapazitäten am Hochflußreaktor Antw PStSekr Johannes Nitsch BMV 8870C, 8871 B (HFR) in Petten/Niederlande in den letzten ZusFr Lisa Peters F.D.P. 8870D, 8871C, Jahren 8872 B MdlAnfr 4 ZusFr Konrad Kunick SPD 8872 A Horst Kubatschka SPD ZusFr Dr. Barbara Hendricks SPD . . . 8872A, D Antw PStSekr Bernd Neumann BMBF 8867 B ZusFr Horst Kubatschka SPD 8867 C Durchreisevisa von Österreich und Kroa tien für rückkehrwillige Bosnienflüchtlinge Übermittlung des Rechtshilfe-Ersuchens MdlAnfr 14 des Berliner Kammergerichts zur Zeugen- Jörg Tauss SPD vernehmung des iranischen Geheimdienst- Antw StMin Dr. AA . . 8873 A ministers Fallahian nach Teheran; Vor- liegen von Erkenntnissen über seitens ZusFr Jörg Tauss SPD 8873 B der iranischen Regierung verantwortete ZusFr Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS Terroranschläge, z. B. im Fall Mykonos 90/DIE GRÜNEN 8873 D MdlAnfr 7 Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zurückweisung der auf dem Gelände der deutschen Botschaft in Jaka rta Schutz Antw PStSekr BMJ . . . 8868 B suchenden osttimoresischen Flüchtlinge ZusFr Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE durch das dort eingesetzte einheimische GRÜNEN 8869 A Wachpersonal; Verhinderung einer Verfol- ZusFr Norbert Gansel SPD 8869 C gung dieser Personen ZusFr Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS MdlAnfr 15, 16 90/DIE GRÜNEN 8869 D Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzierung und Fertigstellung des ICE- Antw StMin Dr. Werner Hoyer AA . . . 8874 A, B Streckenteils ,,Weddeler Schleife" bis 1998 und Erhaltung des ICE-Haltepunkts ZusFr Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS Braunschweig 90/DIE GRÜNEN 8874 C MdlAnfr 10, 11 Zurückweisung der auf dem Gelände der Bodo Seidenthal SPD deutschen Botschaft in Jaka rta Schutz Antw PStSekr Johannes Nitsch BMV . . 8870A, B suchenden osttimoresischen Flüchtlinge II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 durch das dort eingesetzte einheimische Dr. Klaus Röhl F.D.P 8884 B Wachpersonal; Verhinderung einer Verfol- Eva Bulling-Schröter PDS 8885 B gung dieser Personen Norbert Königshofen CDU/CSU . . . 8886A MdlAnfr 17, 18 (Köln) BÜNDNIS 90/DIE Ursula Burchardt SPD 8886 D GRÜNEN Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Antw StMin Dr. Werner Hoyer AA . . 8875A, B NEN 8887 D ZusFr Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ Dr. Peter Paziorek CDU/CSU 8888 D DIE GRÜNEN 8875 C Dr. Barbara Hendricks SPD 8890A ZusFr Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS Hans-Wilhelm Pesch CDU/CSU . . . 8890 D 90/DIE GRÜNEN 8875 C Marion Caspers-Merk SPD 8891 D Vorschriften zur Reglementierung von Josef Hollerith CDU/CSU 8892 C Kryptographie Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 8893 B MdlAnfr 22 Jörg Tauss SPD Nächste Sitzung 8895 C Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . 8876A ZusFr Jörg Tauss SPD 8876 A Anlage 1 - Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8897* A Gesamtausgaben sowie Einnahmeausfälle des Bundes aufgrund der Förderungsmaß- nahmen für Unternehmen in den neuen Anlage 2 Bundesländern, insbesondere Investitions- Anzahl der in Klein- und Mittelbetrieben hilfen und Sonderabschreibungen, seit beschäftigten Arbeitnehmer 1993; neu geschaffene Arbeitsplätze; An- teil westdeutscher Firmen MdlAnfr 1, 2 - Drs 13/4403 SPD -Dr. Gerald Thalheim MdlAnfr 29, 30 Hans Büttner (Ingolstadt) SPD SchrAntw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . 8897* D Antw PStSekr Dr. Norbert Lamme rt BMWi 8877A, C ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 8877A, D Anlage 3 ZusFr Peter Dreßen SPD 8878 C Ansiedlung der Führungsebene des BMVg in Berlin trotz anderslautenden Beschluß- Umfang des von der Bundesrepublik lage; Kopfstellen-Modelle in anderen Bonn Deutschland zu tragenden Ausfallrisikos -Ressorts für den in diesem Jahr von deutschen MdlAnfr 3 - Drs 13/4403 - Banken an Rußland vergebenen Kredit in Hans Wallow SPD Höhe von 4 Mrd. DM SchrAntw PStSekr Joachim Günther MdlAnfr 31, 32 BMBau 8898* B SPD Antw PStSekr Dr. Norbert Lamme rt BMWi 8878D, 8879C Anlage 4 ZusFr Otto Schily SPD 8878D, 8879 D Auswirkungen der israelischen Absper- rungsmaßnahmen auf die Entwicklungs- rt) BÜND- ZusFr Joseph Fischer (Frankfu zusammenarbeit mit den palästinensischen 8879B, 8880 D NIS 90/DIE GRÜNEN Gebieten ZusFr Dr. Barbara Hend ricks SPD . . . 8880 C MdlAnfr 6 - Drs 13/4403 - ZusFr Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE Hans Wallow SPD GRÜNEN 8881A SchrAntw PStSekr Klaus-Jürgen Hedrich BMZ 8898* D Tagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde betr. bundespolitische Konsequenzen Anlage 5 auf Grund der Freisetzung von Dioxi- Vordringliche Berücksichtigung der Rhein- nen anläßlich des Brandes von PVC, Neckar-Region beim Vorhaben der Deut- PCB und anderen Stoffen auf dem Düs- schen Bahn AG zum Ausbau des Kombi- seldorfer Flughafen nierten Verkehrs Dr. Jürgen Rochlitz BÜNDNIS 90/DIE MdlAnfr 8, 9 - Drs 13/4403 - GRÜNEN 8881 B Klaus Dieter Reichardt (Mannheim) CDU/ CDU/CSU 8882 B CSU Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 8883 B SchrAntw PStSekr Johannes Nitsch BMV 8899* A Deutscher Bundestag - 13. 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Anlage 6 Anlage 8 Anerkennung von durch sowjetische Mili- Höhe der nach Bayern und ins Saarland tärtribunale Verurteilten als politische geflossenen Bruttotransfers seit 1995 Häftlinge gem. Häftlingshilfegesetz MdlAnfr 25, 26 - Drs 13/4403 - MdlAnfr 21- Drs 13/4403 - Manfred Kolbe CDU/CSU SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 8899* C SchrAntw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 8900* A

Anlage 7 Zivilschutztaktische Gutachten über die Anlage 9 Mit-Nutzung der in Berlin geplanten Tun- Nachteile deutscher Werften durch Liefer- nel als Bunker; Sicherheitsbedenken hin- beschränkungen für Marineschiffe gegen- sichtlich terroristischer Gefährdungen; über Staaten der Asien-Pazifik-Region Subventionen nach dem Gemeindever- kehrsfinanzierungsgesetz MdlAnfr 27, 28 - Drs 13/4403 - MdlAnfr 23 - Drs 13/4403 - Michael Teiser CDU/CSU Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SchrAntw PStSekr Dr. Hein rich L. Kolb SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 8899* D BMWi 8900* C

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100. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Verehrte Kolle- lungskapazitäten am Hochflußreaktor Pe tten ist zu- ginnen und Kollegen! Ich eröffne die 100. Sitzung rückgegangen, weil die Forschungsarbeiten im Be- des 13. Deutschen Bundestages. reich Schneller Brüter beendet und im Bereich Leichtwasserreaktoren erheblich zurückgeführt wur- Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, den. möchte ich vorsorglich darauf hinweisen, daß wir die für die Fragestunde vorgesehene Zeit von zwei Stun- den auf gar keinen Fall ausschöpfen werden; nach Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage? - meiner Einschätzung benötigen wir nicht einmal Bitte. eine Stunde. Ich bitte deshalb die Parlamentarischen Geschäftsführer, sicherzustellen, daß die Redner für Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatssekretär, die anschließend vorgesehene Aktuelle Stunde überlappt sich der Neutroneneinsatz in Petten mit rechtzeitig anwesend sind, damit wir, wenn es geht, dem möglichen Arbeitsprogramm vom Forschungs- ohne Unterbrechung mit der Aktuellen Stunde be- reaktor München II? ginnen können.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Staatsse- kretär. Fragestunde

- Drucksache 13/4403 - Bernd Neumann, Parl. Staatssekretär beim Bun- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- desminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung nisteriums für Arbeit und Sozialordnung. Bei den und Technologie: Nein, im wesentlichen nicht. Hier Fragen 1 und 2 wird um schriftliche Beantwortung haben wir zwei verschiedene Arten von Neutronen- gebeten. Die Antworten werden als Anlage abge- quellen. Um es anders auszudrücken: In Petten ha- druckt. ben wir einen sogenannten Bestrahlungsreaktor, der zur Bestrahlung von Mate rial und zur Erforschung Auch die Frage 3 aus dem Geschäftsbereich des der Auswirkungen solcher Bestrahlungen vorgese- Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen hen ist, während es sich bei dem geplanten Reaktor und Städtebau soll schriftlich beantwortet werden. in München, FRM II, um einen sogenannten Strahl- Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. rohrreaktor handelt, bei dem es im wesentlichen darum geht, die inneren Strukturen von Materialien Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesmi- zu untersuchen, wie es beispielsweise durch ein Mi- nisteriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und kroskop geschieht. Natürlich gibt es immer be- Technologie auf. Zur Beantwortung steht der Parla- stimmte Synergieeffekte, aber im Prinzip ist der tech- mentarische Staatssekretär Bernd Neumann zur Ver- nische Ansatz der Untersuchungen bei diesen bei- fügung. den Reaktoren unterschiedlich. Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Horst Ku- batschka auf: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zweite Zusatz- Aus welchen Gründen ist der deutsche Bedarf an Bestrah- frage. lungskapazitäten am Hochflußreaktor (HFR) in Petten in den Niederlanden in den letzten Jahren zurückgegangen? Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatssekretär, es Bitte, Herr Staatssekretär. wird in Deutschland immer von einer Neutronen- lücke gesprochen, die vorhanden sein soll. Inwieweit Bernd Neumann, Parl. Staatssekretär beim Bun- läßt sich Petten so einsetzen, daß diese Neutronen- desminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung lücke, die angeblich existieren soll, geschlossen wer- und Technologie: Der deutsche Bedarf an Bestrah- den kann? 8868 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Bernd Neumann, Parl. Staatssekretär beim Bun- Offenbar bezieht sich die der Agenturmeldung desminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung vom 28. März 1996 zugrunde liegende Erklärung des und Technologie: Die Aussage, die aus der Wissen- Kammergerichts Berlin darauf, daß die Bundes- schaft, vom Wissenschaftsrat selbst kommt, daß es in regierung im sogenannten ,, Mykonos"-Verfahren es Deutschland eine Neutronenlücke gebe, bezieht sich mehrfach abgelehnt hat, Ersuchen um Vernehmung auf die von mir bereits erwähnten sogenannten anderer - ich betone: anderer - Zeugen an die ira- Strahlrohrreaktoren, daß heißt Reaktoren, wie sie mit nische Regierung zu richten, und daß das Kammer- dem FRM II geplant sind oder wie wir sie in Greno- gericht daher davon ausging, daß entsprechende ble beim ILL haben. Bedenken der Bundesregierung auch der Weiterlei- tung eines Ersuchens um Vernehmung Fallahians Bei dieser Art von Reaktoren gibt es eine Lücke, entgegenstehen würden. einen Mangel an Strahlrohrkapazität für wissen- schaftliche Experimente und einen großen Bedarf Soweit die Bundesregierung entschieden hat, vom auch im Hinblick auf interessante, neue und wich- Kammergericht Berlin angeregte Ersuchen um Zeu- tige Forschungen. Dies bezieht sich nicht auf die A rt genvernehmung nicht an den Iran weiterzuleiten, und die Nutzungsmöglichkeiten eines Reaktors wie wurden diese Entscheidungen jeweils im Einzelfall in Petten, nämlich auf einen Bestrahlungsreaktor. Bei von den nach § 74 IRG zuständigen Resso rts der Bun- diesen Bestrahlungsreaktoren haben wir in Europa desregierung, das heißt vom Bundesjustizministe- ausreichende Kapazitäten. Es ist deswegen möglich, rium und dem Auswärtigen Amt, in Übereinstim- daß wir dort Aufträge reduzieren und daß wir den mung mit der ständigen Haltung der Bundesregie- deutschen Beitrag für Petten in den nächsten vier rung im Rechtshilfeverkehr mit dem Iran getroffen. Jahren deutlich einschränken. In einem der genannten Einzelfälle wurden sie mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 10. August 1995 gegenüber dem Kammergericht un- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor. ter anderem damit begründet, daß bei Stellung sol- cher Ersuchen durch Eröffnung der Möglichkeit, daß Die Frage 5 des Kollegen Kubatschka ist zurückge- sich der ersuchte Staat auf die Gegenseitigkeit be- zogen worden. riefe, die Gefahr bestünde, daß andere - ich unter- streiche auch hier das Wo rt „andere" - im betreffen- Die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundes- den Staat befindliche Personen in einer dem deut- ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit schen „ordre public" - das entspricht § 73 IRG - und Entwicklung wird schriftlich beantwortet. Die widersprechenden Weise gefährdet würden. Antwort wird als Anlage abgedruckt. Hieraus ergibt sich, daß nicht die Befürchtung, die Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- Weiterleitung des Ersuchens könne „Übergriffe ge- riums der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Par- gen im Iran lebende deutsche Bürgerinnen und Bür- lamentarische Staatssekretär Rainer Funke bereit. ger nach sich ziehen" , für die Entscheidung der Bun- Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Manfred Such desregierung ausschlaggebend war, sondern die Ge- auf: fährdungssituation, die sich aus einer im Zusammen- hang mit der Stellung solcher Ersuchen erforderli- Aufgrund welcher neueren Erkenntnisse und Erwägungen chen Gegenseitigkeitszusicherung ergeben könnte hat die Bundesregierung das Rechtshilfeersuchen des Berliner und die somit vor allem iranische Staatsangehörige Kammergerichts zur Zeugenvernehmung des iranischen Ge- heimdienstministers Fallahian nicht nach Teheran übermittelt betrifft. mit der Begründung, dies könne Übergriffe gegen im Iran leben- de deutsche Bürgerinnen und Bürger nach sich ziehen (Reuters, Das Gefährdungspotential ist somit ein völlig ande- 28. März 1996), obwohl der Generalbundesanwalt entsprechen- res als dasjenige, das bei der Prüfung der Beantra- de frühere Vorbehalte in der Bundesregierung gegenüber einem gung eines Haftbefehl gegen Minister Fallahian als „Befürchtungen rein Haftbefehls gegen Herrn Fallahian politischer Art " charakterisiert hat, welche die Bundesregierung durch den Generalbundesanwalt zugrunde gelegt „nicht mit Fakten anreichern konnte" (ZDF/heute-journal, wurde. 15. März 1996), und welche Erkenntnisse über seitens der irani- schen Regierung verantwortete Terroranschläge - etwa im Fall Ich komme nun zum zweiten Teil Ihrer Frage. Die „Mykonos" - lagen der Bundesregierung bereits am 7. Oktober 1993 vor, aufgrund deren Staatsminister bei Bemerkung Staatsminister Schmidbauers bezog sich seinem Treffen mit Minister Fallahian ausweislich des jetzt pu- auf die in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Zu- blizierten Gesprächsprotokolls (FAZ, 28. März 1996) Anlaß zu sammenhänge über die mögliche Urheberschaft ira- dem Vorschlag sah, daß zur „politischen Schadensbegrenzung . . . nischer Stellen bei den Anschlägen auf den früheren Teheran derartige Aktionen in Deutschland und Europa unter- lassen" solle? iranischen Ministerpräsidenten Bakhtiar in Pa ris und auf den iranischen Kurdenführer Ghassemlou in Wien sowie auf eine Auskunft des Bundesamtes für Rainer Funke, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Verfassungsschutz vom 22. Ap ril 1993 an den Gene- nister der Justiz: Herr Kollege, ich beantworte zu- ralbundesanwalt zum „Mykonos"-Verfahren. nächst den ersten Teil Ihrer Frage. Das Kammerge- richt Berlin hat der Bundesregierung kein an den Über die der Bundesregierung bekanntgeworde- Iran zu richtendes Rechtshilfeersuchen um Zeugen- nen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse und Hin- vernehmung des iranischen Geheimdienstministers weise ist die Parlamentarische Kontrollkommission Fallahian vorgelegt. Die Bundesregierung hat daher des Deutschen Bundestages seinerzeit wiederholt ein solches Ersuchen auch nicht ablehnen können. unterrichtet worden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8869

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel. Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, welche Ergebnisse im Zusammen- Norbert Gansel (SPD): Was hat die Bundesregie- hang mit dem Mykonos-Vorgang, den Sie eben er- rung, nachdem der Ermittlungsrichter beim Bundes- wähnten, hat der Bonn-Besuch des iranischen Vize gerichtshof am 14. März einen Haftbefehl gegen den Außenministers Mahmud Vaezi am Donnerstag und iranischen Geheimdienstminister Fallahian erlassen Freitag vergangener Woche insbesondere hinsicht- hat, unternommen, diesen möglicherweise auch in lich der mit Staatssekretär Ha rtmann im Auswärtigen Drittländern zu ergreifen, und wie ist diese Thema- Amt erörterten Möglichkeiten zur Aussetzung des tik, die in den Beziehungen zwischen Staaten ja Haftbefehls gegen Minister Fallahian erbracht? Wel- ziemlich einmalig ist - Haftbefehl gegen ein Mitglied che Informationen liegen der Bundesregierung über der Regierung eines Staates, mit dem man diplomati- kürzliche Medienberichte vor, wonach Fallahian sche Beziehungen unterhält -, bei dem Besuch des demnächst abgelöst werden soll - mit der Folge, daß stellvertretenden iranischen Außenministers Vaezi er den diplomatischen Schutz gegen den Haftbefehl im Auswärtigen Amt im Gespräch mit Staatssekretär verlöre? Hartmann behandelt worden? Oder geht das alles spurlos am Bundesjustizministerium vorbei? Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Staatsse- kretär. Rainer Funke, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- - nister der Justiz: Herr Kollege, Sie wissen, daß diese Frage mit der ursprünglich gestellten Frage des Rainer Funke, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister der Justiz: Herr Kollege, an den Gesprächen Herrn Kollegen Such überhaupt nichts zu tun hat. zwischen Herrn Vize-Außenminister Vaezi und (Norbert Gansel [SPD]: Doch!) Herrn Staatssekretär Ha rtmann habe ich nicht teilge- nommen. Nach meiner Kenntnis aber haben sich - Entschuldigen Sie, das, was ich zu erläutern ver- keine neuen Erkenntnisse ergeben. sucht habe, nämlich daß sich die Vernehmung von Zeugen im Mykonos-Verfahren nach §§ 73, 74 IRG Im Hinblick auf die mögliche Ablösung von Herrn richtet - in diesem Zusammenhang geht es um die Fallahian liegt uns nichts vor; das sind Spekulatio- Gegenseitigkeit zwischen der Bundesrepublik nen. Wir kümmern uns auch nicht um interne Ange- Deutschland und der Islamischen Republik Iran -, legenheiten fremder Regierungen. hat mit dem Haftbefehl gegen Herrn Minister Fal- lahian überhaupt nichts zu tun. Zweite Zusatz- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das habe ich versucht, hier auszuführen. Ich aber frage. bin gerne bereit, Ihnen diese Ausführungen auch noch einmal schriftlich zu geben. Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, welche Informationen liegen der Bun- desregierung nicht nur über die Gefährdung deut- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage, scher Staatsbürger im Iran, sondern auch hinsichtlich Frau Kollegin Dietert-Scheuer. der in den letzten Monaten deutlich angestiegenen Zahl der Fälle - nach meinen Informationen sind es Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ca. 3 000 - von Anschlägen und Repressalien gegen NEN): Wenn ich Ihre Antwort auf den ersten Teil der iranische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, Frage von Herrn Such richtig interpretiere, beziehen Europa und den USA, insbesondere über die Zahl Sie sich auf eine mögliche Gefährdung iranischer der seit Jahresbeginn eingeleiteten Strafverfahren Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Deutschland, anläßlich derartiger Übergriffe vor? Welche Maßnah- die sich aus dem Prinzip der Gegenseitigkeit in dem men wird die Bundesregierung kurzfristig ergreifen, Sinne ergibt, daß Haftbefehle und gegebenenfalls um einem derartigen Import iranischen Staatster- Auslieferungsersuchen von iranischer Seite gestellt rors nach Deutschland entgegenzuwirken sowie ira- werden könnten. Ich verstehe die Begründung nicht, nische Bürgerinnen und Bürger vor solchen Repres- warum das ein Hindernis darstellen soll, da es die salien effektiv zu schützen? Bundesregierung durchaus in der Hand hat, Auslie- ferungsersuchen zurückzuweisen. Rainer Funke, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister der Justiz: Herr Kollege, diese Frage steht in Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- keinerlei Zusammenhang mit der ursprünglich ge- Rainer Funke, nister der Justiz: Es geht nicht nur um die Gefähr- stellten Frage. Ich bin aber gerne bereit, zu versu- dung iranischer Staatsbürger, die sich in der Bundes- chen, die Daten, die Sie wünschen, von den Sicher- republik Deutschland aufhalten. Vielmehr kann es heitsbehörden zu erlangen. Ich werde sie Ihnen dann sich genauso um eine Gefährdung iranischer Staats- zuleiten. bürger im Iran handeln, wenn beispielsweise durch eine Zeugenvernehmung eines iranischen Zeugen in Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Bundesrepublik Deutschland ein Betroffener im Danke schön. Iran gerichtlich verfolgt werden sollte. 8870 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatzfra- deburg geführt werden, wobei in diesem Fall die seit gen mehr. Dezember 1995 fertiggestellte Trasse des Verkehrs- projekts Deutsche Einheit Nr. 5 benutzt wird. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- riums für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht der Nach Fertigung der Weddeler Schleife können Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch be- diese Züge von Braunschweig auf die dann in Be- reit. trieb befindliche Hochgeschwindigkeitsstrecke über Stendal nach Berlin geführt werden. Die Fragen 8 und 9 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatz- Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Bodo Sei- frage. denthal auf: Dann rufe ich die Frage 12 der Kollegin Lisa Peters Welche Gründe haben dazu geführt, daß die notwendige Fi- auf: nanzierungsvereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Verkehr und der Deutschen Bahn AG hinsichtlich der Welche konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung ein- „Weddeler Schleife" immer noch nicht vorliegt, und was ge- leiten, um die für die deutschen Seehäfen entstehenden erhebli- denkt die Bundesregierung zu tun, damit diese kurzfristig er- chen Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, die dadurch ent- reicht wird? stehen, daß die Niederlande eine neue Güterbahnstrecke „Be- tuwelijn" vom Hafen Rotterdam bis an das deutsche Schienen- Bitte, Herr Staatssekretär. netz bei Emmerich planen und für die Trassennutzung bis zur Jahrhundertwende auf niederländischem Gebiet auf Fahrweg kosten verzichten wollen sowie Betriebskostenzuschüsse für Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- - neue Ganzzugverbindungen vor allem in das mittel- und osteu- desminister für Verkehr: Das Bundesministerium für ropäische Hinterland gewähren wollen, und gegen welches ein- Verkehr hat im Einvernehmen mit dem Bundes- schlägige EU-Recht verstoßen die vom niederländischen Ver- kehrsministerium gewährten Beihilfen bei gleichzeitigem Fahr- ministerium der Finanzen im Dezember 1995 der wegkostenverzicht? vorgezogenen Baumaßnahme Kreuzung Weddeler Schleife mit der Bundesautobahn A 2 zugestimmt, so daß Baumaßnahmen an der Eisenbahnstrecke im Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- Zusammenhang mit dem sechsstreifigen Ausbau der desminister für Verkehr: Sehr geehrte Frau Peters, Bundesautobahn A 2 bereits vor dem Abschluß einer die Bundesregierung trägt im Rahmen der grundge- Finanzierungsvereinbarung möglich sind. setzlich festgelegten Kompetenzaufteilung nach dem Seeaufgabengesetz durch Bau und Unterhaltung der Nachdem die Deutsche Bahn AG Ende März 1996 see- und landseitigen Zufahrten neben den Küsten- dem Eisenbahn-Bundesamt, Unterlagen für den Ab- ländern zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit und schluß einer Finanzierungsvereinbarung für die damit auch zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit Weddeler Schleife vorgelegt hat, wird zur Zeit vom der deutschen Seehäfen bei. Eisenbahn-Bundesamt der Entwurf einer Finanzie- rungsvereinbarung vorbereitet, mit deren Abschluß Die Anbindung der Betuwe-Linie an das deutsche durch den Bund, vertreten durch das BMV und das Schienennetz ist in der Vereinbarung zwischen dem BMF, in Kürze gerechnet werden kann. Damit Bundesminister für Verkehr der Bundesrepublik könnte voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte Deutschland und dem Minister für Verkehr und Öf- 1996 mit dem Bau auf der gesamten Strecke begon- fentliche Arbeiten des Königreichs der Niederlande nen werden. über die Verbesserung des deutsch-niederländischen Schienengüter- und Schienenpersonenverkehrs vom 31. August 1992 geregelt. In der Vereinbarung ver- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatz- pflichtet sich die deutsche Seite zur rechtzeitigen frage. Schaffung der Schienenkapazitäten. Dieser Ver- Dann rufe ich die Frage 11 des Kollegen Bodo Sei- pflichtung hat die Bundesregierung mit dem Bundes- denthal auf: verkehrswegeplan von 1992 Rechnung getragen.

Kann die Bundesregierung Planungen der Deutschen Bahn AG Die entsprechenden Maßnahmen sind im Bedarfs- bestätigen, daß bei einer verzögerten Fertigstellung des Strek- plan für die Schienenwege enthalten. Dabei handelt kenteils „Weddeler Schleife" über 1998 hinaus die ICE-Linie 6 es sich in erster Linie um die Vorkehrungen für die Frankfurt-Berlin an Braunschweig vorbeiführt, und ist ihr be- kannt, wie Braunschweig weiterhin als ICE-Haltepunkt erhalten Schienenstrecke zwischen der deutsch-niederländi- bleibt? schen Grenze bei Emme rich und Oberhausen. Ihr Ausbau ist im „Vordringlichen Bedarf" enthalten. Bitte, Herr Staatssekretär. Die Deutsche Bahn AG beabsichtigt, den Ausbau in der Relation Emmerich-Oberhausen stufenweise Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- vorzunehmen. Auf deutscher Seite handelt es sich desminister für Verkehr: Auf Frage 11 antwortet die zunächst nur um eine intensivere Nutzung der be- Bundesregierung wie folgt: Die Angebotsgestaltung reits bestehenden Eisenbahninfrastruktur. im Fernverkehr fällt in die alleinige unternehmeri- sche Verantwortung des Vorstandes der Deutschen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage? - Bahn AG. Bitte. Auf Grund der vorhandenen Infrastruktur können zur Zeit Fernzüge von Frankfurt/Main bzw. von Lisa Peters (F.D.P.): Ich bedanke mich für diese Würzburg nach Berlin über Braunschweig und Mag- Antwort; aber ich habe in diesem Zusammenhang Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8871

Lisa Peters noch nach einigen weiteren Dingen gefragt. Viel- Lisa Peters (F.D.P.): Sie sagen, Sie wollten dafür leicht werden Sie diese Fragen auch beantworten. Sorge tragen. Ich frage nun sehr direkt, ob die Fra- Es geht um die Fahrwegkosten, die den Kern der gen, die Sie stellen, auch entsprechend unseren In- ganzen Frage darstellen. Wie die anderen Dinge tentionen beantwortet werden. Kann die Bundesre- ablaufen, ist mir bekannt. Mir geht es um den Wett- gierung also gewährleisten, daß es dann auch so ein- bewerb, und da würde ich von Ihnen gerne klare tritt, wie Sie es eben hier ausgeführt haben? Das ist Antworten hören. die große Sorge, die wir alle haben. Sie kennen das, ich muß hier nicht alles wiederholen. Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsi- Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- dent, mit Ihrer Erlaubnis würde ich dann gleich die desminister für Verkehr: Wir haben in ersten Ver- nächste Frage beantworten wollen. handlungen mit der niederländischen Regierung im Mai 1995 Forderungen vorgelegt, und auf die damals (Lisa Peters [F.D.P.]: Das ist auch hier schon gestellten Forderungen haben wir die Antwort erhal- enthalten!) ten, daß die Erhebung von Trassenpreisen vor dem - Dies ist Inhalt der nächsten Frage. Jahre 2000 eingeführt wird.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Erlauben muß Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Weitere Zusatz- das die Fragestellerin. Erlauben Sie, daß wir zur fragen? Frage 13 übergehen?

Lisa Peters (F.D.P.): Kann ich denn davon ausge- Lisa Peters (F.D.P.): Nur wenn der Herr Staatsse- hen, daß die Sorgen, die in den deutschen Häfen vor- kretär dann auch alles beantwortet, einschließlich herrschen - ich beziehe mich nur auf die Hamburger des Komplexes, der schon in Frage 12 enthalten ist, Lagerhaus Gesellschaft, die sie ja erst kürzlich wie- wäre ich damit einverstanden. Dann stünden mir vier der formuliert hat -, unberechtigt sind und daß man Zusatzfragen zu. von einem Konkurrenzdruck, der so, wie er im Mo- ment ist, eigentlich nicht sein sollte, weil die nieder- ländische Seite vielleicht diesbezügliche Bestimmun- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Sie wissen, ich kann darauf achten, daß geantwortet wird, aber nicht gen nicht so ausführt, wie es das EU-Recht vorsieht, darauf, was geantwortet wird. nicht sprechen kann?

Lisa Peters (F.D.P.): Gut. Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Verkehr: Die Bundesregierung kann nicht sagen, daß die Sorgen unberechtigt sind. Der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich rufe dann Bundesminister für Verkehr hat sich in einer Veran- also auch Frage 13 der Abgeordneten Lisa Peters auf: staltung in Hamburg gegen die „Einhafenpolitik", Welche Verhandlungen und Zusagen wurden durch die Bun- die der niederländischen Seite vorschwebt, entschie- desregierung hinsichtlich der Anbindung der niederländischen den gewandt und betont, daß Rotterdam neben Ham- Trasse an das deutsche Schienennetz getroffen oder sind beab- burg und Rostock nur einer der Haupthäfen Europas sichtigt, und wie steht die Bundesregierung zu der Forderung ist. des Zentralverbandes der Deutschen Seehafenbetriebe, mit den auf deutschem Gebiet erforderlichen Baumaßnahmen erst dann zu beginnen, wenn die Wettbewerbsverzerrungen beseitigt sind? Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Weitere Zusatz- frage. Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Verkehr: Zur Frage der nicht erhobe- Lisa Peters (F.D.P.): Was würden Sie mir als einer nen Fahrwegkosten und der Betriebskostenzu- Bundestagsabgeordneten des norddeutschen Rau- schüsse auf niederländischer Seite wird die Bundes- mes raten, weiter zu tun, und wie können wir der regierung in bilateralen Gesprächen sowie mit der ganzen Sache mehr Nachdruck verleihen? Ich brau- Europäischen Kommission darauf dringen, daß die che in dieser Sache die Hilfestellung der Bundesre- niederländische Regierung zur Erhebung von Tras- gierung. senpreisen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt - ich möchte betonen: nicht erst im Jahre 2000 - veran- laßt wird. Das ist ja in Ihrer Frage zum Ausdruck ge- Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- kommen. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, desminister für Verkehr: Die Bundesregierung wird ob die niederländischen Maßnahmen gegen gelten- darauf zu dringen haben, daß wir zu der Zusage, die des EU-Recht verstoßen. Im übrigen ist in dieser wir bereits erhalten haben, einen verbindlichen Ter- Frage ein Beschwerdeverfahren der Hamburger La- min bekommen. gerhaus Gesellschaft bei der Europäischen Kommis- sion anhängig gemacht worden. Lisa Peters (F.D.P.): Danke schön. Die letzte Zu- satzfrage spare ich mir auf. Ich habe ja insgesamt Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage? vier. 8872 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Ap ril 1996

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ist in Ordnung. - trotzdem davon aus, daß der Verkehr auf diesen Ei- Zusatzfrage, Herr Kollege Kunick. senbahnstrecken durchgeführt werden kann?

Konrad Kunick (SPD): Kann die Bundesregierung Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- zusagen, daß sie in die Hinterlandverbindungen der desminister für Verkehr: Durch intensivere Nutzung. deutschen Seehäfen mit solcher Geschwindigkeit in- vestieren will, daß sie diese gleichzeitig mit der An- bindung Rotterdams durch die Betuwelijn, die die Lisa Peters (F.D.P.): Ja, durch intensivere Nutzung. Bundesregierung nicht mehr kippen kann, vollen- Die käme ja dabei heraus. det? Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Staatsse- desminister für Verkehr: Ohne investive Maßnah- kretär, bitte. men, die wir im Gegenteil auf den Hinterlandverbin- dungen für die deutschen Häfen durchführen. Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Verkehr: Die Bundesregierung kann Lisa Peters (F.D.P.): Ohne investive Maßnahmen? zusagen, daß die im Drei-Jahres-Plan vorgesehenen investiven Maßnahmen für die Hinterlandverbindun- Parl. Staatssekretär beim Bun- gen - ich darf sie nennen: Hamburg-Büchen und Johannes Nitsch, desminister für Verkehr: Auf der Strecke Nieder- Uelzen-Stendal - vor den investiven Maßnahmen - lande-Oberhausen ohne investive Maßnahmen. Auf auf der Strecke Emmerich-Oberhausen realisiert den Hinterlandverbindungen zu den deutschen Hä- werden. fen hingegen werden wir die investiven Maßnahmen 1997 auf den beiden Strecken, die ich auf die Frage Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage, von Herrn Kunick genannt habe, beenden. Frau Hendricks. (Die Abgeordneten Dr. Barbara Hendricks [SPD] und Otto Schily [SPD] melden sich zu Dr. Barbara Hendricks (SPD): Wie will die Bundes- einer Zwischenfrage) regierung den Ausgleich zwischen den widerstrei- tenden Interessen, die aus der Frage der Kollegin Pe- ters hervorgingen, auf der einen Seite des Zentral- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Eine Zusatzfrage verbands der Deutschen Seehafenbetriebe, die ge- jeweils. fordert haben, mit den auf deutschem Gebiet erfor- (Otto Schily [SPD]: Es waren zwei Fragen!) derlichen Baumaßnahmen erst dann zu beginnen, wenn die Wettbewerbsverzerrungen auf der nieder- - Mit einer Zusatzfrage kann man zwei Fragen stel- ländischen Seite beendet sind, und auf der anderen len. Wenn man das aber nicht wahrgenommen hat, Seite der Anlieger an der deutschen Bahnstrecke, die kann man eine zweite Frage nicht nachschieben. Es ein hohes Gesundheitsschutzinteresse am notwendi- tut mir leid, aber es muß nun einmal feste Bräuche gen Lärmschutz haben, herstellen? geben. (Otto Schily [SPD]: Es waren doch zwei Fra Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- gen!) desminister für Verkehr: Die Bundesregierung hat die Dinge erwogen und führt sie durch, die ich so- - Es waren vier Zusatzfragen, und pro Abgeordneten eben in der Antwort auf die Frage des Abgeordneten ist eine Frage möglich. Es tut mir leid; das ist nun ein- Kunick genannt habe. Die weitergehenden Forde- mal so. rungen, die Sie stellen, sind sicherlich nicht im Inter- esse guter nachbarschaftlicher Beziehungen. Ich sehe mich vorsichtshalber einmal um. - Mir wird gesagt, wir können es auch so machen, daß pro Wir glauben, daß wir durch die Verhandlungen Frage eine Zusatzfrage möglich ist. über die Einführung von Trassenpreisen und deren Prüfung bei der EU, die ich im Zuge der Beantwor- Frau Kollegin Hendricks, möchten Sie noch? - tung der Frage von Frau Peters bereits genannt habe, Bitte. besser vorankommen und die nachbarschaftlichen Beziehungen auf einem besseren Niveau halten kön- Dr. Barbara Hendricks (SPD): Wie will die Bundes- nen. regierung dafür sorgen, daß die von der niederländi- schen Reichsregierung zunächst zugesagten Entla- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt die vierte stungsstrecken nach Norden und Süden, also Bent- Zusatzfrage von Frau Peters. heim-Oldenzaal auf der einen Seite und Venlo-Kal- denkirchen auf der anderen Seite, zeitgerecht ver- wirklicht werden? Lisa Peters (F.D.P.): Das, was die Kollegin gerade angesprochen hat, ist ein Problem; denn es handelt sich bis auf eine Strecke um bereits bestehende Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- Strecken. Das heißt, normalerweise wird do rt keine desminister für Verkehr: Diese Zeitabläufe habe ich Nachrüstung im Lärmschutz gewährt. Sie gehen jetzt nicht parat. Das möchte ich Ihnen gern schrift- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8873

Parl. Staatssekretär Johannes Nitsch lich beantworten, wenn Sie damit einverstanden Deswegen ist es so wichtig, daß wir die erwähnte sind. Vereinbarung treffen und daß sie auch recht bald un- terzeichnet wird. Die Bundesregierung bemüht sich (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Herzlichen bei unseren Partnern mit Nachdruck hierum. Dank!) Es ist wichtig, daß wir über die Forderung an un- ner hinaus einen klaren rechtlichen Rahmen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Noch eine Zu- sere Part satzfrage? - Das ist nicht der Fall. Dann danke ich haben, daß man auch mit gutem Willen einiges re- dem Herrn Staatssekretär. geln kann, insbesondere dann, wenn die Rückkehr von Flüchtlingen angesichts der individuellen Wohn- Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen situation, der sozialen Situation usw. im konkreten Amtes auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsmini- Fall so problemlos zu sein scheint. Ein klarer rechtli- ster Dr. Hoyer bereit. cher Rahmen würde gemäß Art . 4 Abs. 4 der Verein- Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Jörg Tauss barung vorsehen, daß eine - wie es im Bürokraten auf: deutsch leider heißt - zur Durchbeförderung über- nommene Person an die ersuchende Vertragspartei Was unternimmt die Bundesregierung, damit Österreich und zurückgegeben werden kann, wenn die Weiterreise Kroatien rückkehrwilligen Bosnienflüchtlingen nicht länger die oder die Übernahme durch den Zielstaat nicht mehr Heimkehr dadurch unmöglich machen, daß für diesen Perso- nenkreis keine Durchreisevisa durch die genannten Länder er- gesichert ist. Das wäre in dem von Ihnen beschriebe- teilt werden? nen Fall nicht das Problem. Herr Staatsminister. Darüber hinaus appelliert die Bundesregierung - aber an unsere Partner, daß in solchen Fällen unbüro- Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen kratisch und der Menschenwürde und einer humani- Amt: Herr Präsident! Herr Kollege, rückkehrwillige tären Lösung entsprechend gehandelt wird. ehemalige Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien er- halten schon jetzt in vielen Fällen die erforderlichen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. Transitgenehmigungen für eine Rückkehr. Inzwi- schen wurde eine Vereinbarung zwischen dem Bun- (SPD): Ist nach dem, was Sie sagen, desinnenministerium, dem Innenministerium der Re- Jörg Tauss Herr Staatsminister, zu befürchten, daß sich, nach- publik Kroatien, der Regierung der Republik Öster- dem noch keine zeitlichen Auskünfte gegeben wer- und dem Innenministerium der Republik Slo- reich den können, die Unterzeichnung verzögern wird, wenien über die Gestattung der Durchreise und oder kann man beispielsweise von festgelegten Tref- Durchbeförderung bosnisch-herzegowinischer Flücht- fen und von den Verfahrensfragen her absehen, daß linge ausgehandelt, deren Unterzeichnung bevor- die Unterzeichnung tatsächlich schon im Juni oder steht. Nach dieser Vereinbarung wird der derzeit Juli oder zu einem anderen möglichst frühen Zeit- noch erforderliche, beim kroatischen Regierungsamt punkt erfolgt? für Flüchtlinge zu stellende Antrag auf Bewi lligung der Durchreise entfallen. Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Das österreichische Innenministerium hat am Amt: Das kann ich zur Zeit nicht beantworten, weil 18. April 1996 mitgeteilt, daß es zum Abschluß der ich in der Vorbereitung auf diese Fragestunde davon Vereinbarung als Regierungsabkommen bereit ist. ausgegangen bin, daß die Unterzeichnung sehr schnell erfolgen kann. Ich entnehme Ihrer Frage Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege jetzt, daß Sie Informationen haben, daß es noch Hin- Tauss. derungsgründe gibt. Ich werde der Sache sofort nachgehen und Sie unverzüglich unterrichten. Jörg Tauss (SPD): Herr Staatsminister, mich würde (Jörg Tauss [SPD]: Danke!) interessieren, wie die Zeitabläufe sind - denn wir re- den hier über praktische Dinge - und wie Sie sich in Zusatzfrage, dem Zusammenhang erklären, daß heute morgen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: noch beispielsweise bosnischen Flüchtlingen aus Frau Dietert-Scheuer. meinem Wahlkreis, die gern zurückkehren wollen, die auch zurückkehren können, weil ihre Familien Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erfreulicherweise noch am Leben sind und ihre Häu- NEN): Herr Staatsminister, in diesem Zusammen- ser nur teilweise beschädigt sind, von der österreichi- hang ist mir die Information zu Ohren gekommen schen Botschaft mitgeteilt worden ist, daß es noch - ich weiß nicht, ob sie richtig ist -, daß bosnische längere Zeit in Anspruch nehmen wird, bis alle Ab- Flüchtlinge, die aus Skandinavien zu Erkundungsrei- klärungen erfolgen können. Welche Auskunft kön- sen in ihre Heimat fahren wollen, durchaus erhebli- nen wir diesen Menschen geben? che Probleme bei der Visaerteilung von seiten der Bundesrepublik haben. Können Sie dazu etwas sa- gen? Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Wir hören immer wieder von solchen Vorgän- gen. Von dem Vorgang heute morgen habe ich keine Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Kenntnis. Aber leider muß ich bestätigen, daß es sol- Amt: Das kann ich nicht. Auch wir fühlen uns natür- che Berichte aus den letzten Tagen und Wochen gibt. lich der humanitären Lösung dieses Problems ver- 8874 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Staatsminister Dr. Werner Hoyer pflichtet. Deshalb werde ich Ihrem Hinweis gerne kanntwerden der Informationen gegenüber dem in- nachgehen. Ich würde es bedauern, wenn ich die donesischen Geschäftsträger in Bonn protestiert und Frage positiv beantworten müßte. die zugesagte vollständige Aufklärung des Vorfalls angemahnt. Er hat die Erwartung ausgesprochen, daß die indonesische Regierung ihr Bedauern über Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine weiteren Zusatzfragen? - den Vorfall öffentlich bekundet. Ein entsprechender Protest wurde auch durch den Botschafter in Jaka rta Dann rufe ich die Frage 15 der Kollegin Dietert- eingelegt. Scheuer auf: Die indonesischen Stellen haben inzwischen er- Wie konnte es dazu kommen, daß acht Personen aus Osttimor, die schutzsuchend auf das Gelände der Deutschen Botschaft in klärt, daß der Ausreise der acht Osttimoresen nach Jakarta flüchteten, durch die einheimischen Wachmannschaften Portugal keine Hindernisse im Weg stünden. Die por- umgehend zurückgewiesen und den vor der Botschaft statio- tugiesische Regierung hat ihre Bereitschaft zur Auf- nierten indonesischen Sicherheitskräften überstellt wurden, ob- nahme erklärt. Die Ausreisemodalitäten werden wohl der Bundesregierung bekannt sein dürfte, daß Portugal die Einwohner von Osttimor als seine Staatsbürger anerkennt, in durch das IKRK in Genf koordiniert. Dies entspricht den vergangenen acht Monaten 72 Botschaftsflüchtlingen pro- dem inzwischen eingespielten und bewäh rten Vor- blemlos Zuflucht in Portugal gewährt hat und die Botschaften gehen bei früheren Botschaftsbesetzungen durch der anderen EU-Staaten unter der Zusicherung, alle Zuflucht- Osttimoreser in Jakarta. suchenden aufzunehmen, um eine freundliche Behandlung von osttimoresischen Flüchtlingen gebeten hatte? Alle für die baldige Ausreise der Osttimoresen er- forderlichen Vorbereitungen wurden inzwischen ge- Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen troffen. Durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen Amt: Frau Kollegin, wenn Sie erlauben, möchte ich wird sichergestellt, daß sich solche Vorgänge in Zu- gerne die beiden Fragen zusammen beantworten, kunft nicht wiederholen können. weil sie in einem inneren Zusammenhang stehen.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Sind Sie einver- standen? - Dann rufe ich auch die Frage 16 auf:

Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Be- Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- handlung der zurückgewiesenen Botschaftsflüchtlinge im Ge- NEN): Diese positive Entwicklung in diesem Fall wahrsam der Sicherheitskräfte vor, und wie kann die Bundesre- hatte ich bereits der Presse entnommen. Es ist aber gierung trotz evtl. anderslautender Auskünfte der indonesi- schen Behörden mit Sicherheit ausschließen, daß die Flüchtlinge ein grundsätzliches Problem. Welche Konsequenzen nicht doch im Gewahrsam der Sicherheitskräfte gefoltert und gedenkt die Bundesregierung aus dem Vorfall in be- mißhandelt wurden, wie dies nach Augenzeugenberichten so- zug auf ihren Einsatz für die Einhaltung der Men- fort mit der Verhaftung begann, im Fall einer Person sogar noch, schenrechte in Indonesien und speziell im Bereich während sie sich noch auf dem Gelände der Deutschen Bot- schaft befand? Osttimor zu ziehen?

Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Das Verhalten der Wachmannschaft beim Ein- Amt: Wir haben eine klare Haltung in dieser Frage dringen der acht Personen aus Osttimor war, auch und auch in der Frage der Asylgewährung und eines wenn dieses Eindringen morgens um 1 Uhr durch zuverlässigen Verfahrens, auf das sich Asylbewerber Übersteigen der Einfriedung erfolgte, nicht korrekt verlassen können müssen, wenn sie sich an unsere und ist unverzüglich vom Botschafter gerügt worden. Botschaften wenden. Ich denke, daß gerade im Hin- Er hat gleichzeitig Anordnungen getroffen, um kurz- blick auf den Zugang zu unserer Botschaft noch fristig Wiederholungen zu verhindern. Weiterge- einige Fragen zu klären sind. Das wird mit Sicherheit hende Konsequenzen sind in Vorbereitung. mit allem Nachdruck geschehen. Die Bundesregierung hat unmittelbar nach Be- kanntwerden des Vorfalles bei der indonesischen Re- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Weitere Zusatz- gierung gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte fragen? des Landes protestiert. Inzwischen haben die Bemü- hungen der Botschaft um vollständige Aufklärung, insbesondere ein Gespräch mit drei Personen, deren Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verletzungen in einem Militärhospital behandelt NEN): Beziehen sich mögliche Konsequenzen auch wurden und die zusammen mit den anderen fünf Be- auf den Bereich geplanter Waffenlieferungen nach troffenen bis zu ihrer bevorstehenden Ausreise nach Indonesien? Portugal faktisch unter der Obhut des IKRK stehen, ergeben, daß indonesische staatliche Sicherheits- kräfte bei dem Vorfall auf das Botschaftsgelände ge- Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen lassen wurden. Amt: Dieses Thema sehe ich damit in überhaupt kei- nem Zusammenhang. Es entzieht sich von daher ge- Gegen ihr Vorgehen ohne die nach dem Wiener genwärtig völlig der Beantwortungsmöglichkeit. Übereinkommen erforderliche Zustimmung des Mis- sionschefs und gegen Art und Weise ihres Vorgehens hat Staatssekretär Dr. von Ploetz auf Weisung von Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine weitere Bundesminister Dr. Kinkel unmittelbar nach Be- Zusatzfrage? - Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8875

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Dann rufe ich jetzt die Frage 17 des Kollegen Vol- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. ker Beck auf:

Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach indonesischem Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Recht die Forderung von Unabhängigkeit für Osttimor mit le- Bis wann können wir denn mit einer solchen konkre- benslanger Haft bestraft werden kann, wie dies nach Angaben ten Antwort rechnen? Ihre Ausführungen waren be- von Amnesty International im Fall von mindestens 24 in unfairen Gerichtsverfahren verurteilten politischen Gefangenen, die der- züglich sowohl der ergriffenen Maßnahmen als auch zeit eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen, geschehen ist, der Maßnahmen, die Sie noch ergreifen wollen, sehr und wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, daß die im allgemeinen. jetzt zurückgewiesenen Botschaftsflüchtlinge nach ihrer Freilas- sung durch die indonesischen Behörden nicht in nächster Zeit erneut verhaftet oder verfolgt werden, wie dies nach Angaben Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen von Amnesty International in der Vergangenheit mehrfach mit Amt: Die Maßnahmen, die hier ergriffen werden osttimoresischen Botschaftsflüchtlingen geschehen ist? könnten oder müßten, sind außerordentlich schwie- rig, weil sie im Grunde die gesamte Sicherheitslage Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen unserer Botschaften und Vertretungen im Ausland Amt: Herr Kollege Beck, es trifft in der Tat zu, daß und auf der anderen Seite den ungehinderten Zu- nach indonesischem Recht die Forderung nach Un- gang von Asylbewerbern zu unseren Vertretungen abhängigkeit eines Teils des Staatsterritoriums und betreffen. Es ist eine außerordentlich heikle Frage, damit nach indonesischer Auffassung auch Osttimors die einer seriösen Antwort bedarf. Deswegen möchte mit lebenslanger Haft bedroht ist. In der Vergangen- ich mich hier nicht auf einen Zeitraum von wenigen heit ist es immer nur dann zur Verurteilung nach die- Tagen festlegen. Ich kann Ihnen aber sagen, daß sem Straftatbestand gekommen, wenn die Forderun-- diese Angelegenheit uns auch im Auswärtigen Amt gen nach Unabhängigkeit von aktiven, konkreten so intensiv beschäftigt hat und beschäftigen wird, Handlungen begleitet waren. daß wir mit höchstem Nachdruck für eine Lösung sorgen werden. Die indonesischen Behörden haben gegenüber der Botschaft erklärt, daß einer Ausreise der Botschafts- besetzer nichts im Wege steht. Darüber hinaus hat Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Dietert die indonesische Seite erklärt, daß eine weitere Straf- Scheuer. verfolgung im Zusammenhang mit der Botschaftsbe- setzung nicht zu befürchten ist. Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ist Ihnen bekannt und wird auch in Ihre Über- Angesichts dieser Zusicherung und der Tatsache, legungen einbezogen, daß ein solches Problem, näm- daß die indonesischen Sicherheitskräfte der Bot- lich die Gefährdung von Leuten, die die Botschaft schaft die Namen der Betroffenen mitgeteilt haben, aufsuchen wollen - es müssen nicht unbedingt Leute ist mit erneuter Verhaftung oder Verfolgung nicht zu sein, die dort hinfliehen wollen; in bestimmten Län- rechnen. dern kann allein schon der politische Kontakt oder die Visaanfrage ein Problem werden -, auch in ande- ren Ländern besteht? Ich denke zum Beispiel an den Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatz- frage. Iran oder die Türkei, wo die deutschen Auslandsver- tretungen durchgängig von einheimischen Sicher- Dann rufe ich Frage 18 des Kollegen Volker Beck heitskräften bewacht werden und der Zugang über auf: diese geregelt wird.

Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung wegen dieses Vorfalles bei den Wachmannschaften der Botschaft zu zie- Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen hen, und wie beabsichtigt sie, in Zukunft - auch in anderen Län- Amt: Das ist in der Tat bekannt. Genau hier liegt die dern - zu gewährleisten, daß schutzsuchende Personen nicht Abwägung. Die Verhältnisse in Jaka rta und in vielen aufgrund der Anwesenheit einheimischen Sicherheitspersonals durch das Betreten deutscher Botschaftsgelände gefährdet oder anderen Städten dieser Welt zeigen, daß unsere Bot- daran gehindert werden? schaften ein schwerwiegendes Sicherheitsproblem haben, dem wir auch mit Hilfe der ausländischen Partner gerecht werden müssen. Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Der Botschafter hat auf entsprechende Weisung Auf der anderen Seite ist es sehr schwierig, den po- unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Vorfalls litischen Kontakt zu halten wie auch gegebenenfalls die erforderlichen Vorkehrungen für die unmittel- Asylanträge abliefern zu können. Weil hier eine ganz bare Zukunft getroffen. Über weitere Konsequenzen schwerwiegende Abwägung vorzunehmen ist, eig- wird unverzüglich entschieden, sobald die Untersu- net sich dies natürlich recht wenig zur öffentlichen chung des Vorfalls abgeschlossen ist. Wir müssen Darstellung. Deswegen lege ich Wert darauf, daß wir Ihnen dann im Nachgang zu der heutigen Frage- dieser Frage sehr seriös nachgehen und sie dann stunde darüber sicherlich noch im Detail berichten. auch mit Ihnen besprechen. Ich habe mich nach Rückkehr vom Allgemeinen Rat und der Regierungskonferenz gestern abend selber Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine weitere in diese Angelegenheit eingeschaltet und würde Zusatzfrage. Wert darauf legen, Ihnen auf Grund einer soliden Analyse die sich anbietenden Konsequenzen darstel- Die Fragen 19 und 20 werden schriftlich beantwor- len zu können. tet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. 8876 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Ap ril 1996

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ich danke dem Herrn Staatsminister. Dritte keinen Zugang haben. Dies ist für den Rechts- und für den Geschäftsverkehr natürlich von großer Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- Notwendigkeit. riums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner be- reit. Frage 21 wird schriftlich beantwortet. Die Ant- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Wir bedanken wort wird als Anlage abgedruckt. uns. Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Jörg Tauss auf: Jörg Tauss (SPD): Ich freue mich, wenn ich zur Treffen Pressemeldungen (siehe „Computerzeitung" Nr. 16, Aufklärung beitragen konnte. vom 18. April 1996, S. 24) zu, wonach der Bundesminister des Innern Vorschriften zur Reglementierung von Kryptographie für (Marion Caspers-Merk [SPD]: Was Pay-TV erforderlich hält, und wie sehen die Überlegungen zu diesen Vorschriften aus? mit den Fußballspielen macht!) - Das wäre beispielsweise eine verschlüsselte Über- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- tragung. minister des Innern: Herr Kollege Tauss, die Antwort lautet: Die Überlegungen der Bundesregierung zu Meine ergänzende Frage in diesem Zusammen- der Frage, ob eine Reglementierung von Kryptogra- hang ist, ob zu diesen Überlegungen auch gehört, phie erforderlich ist, sind zur Zeit noch nicht abge- daß wie in Frankreich, Rußland und zum Teil leider schlossen. Die Bundesregierung wird ihre Position in auch in totalitären Staaten möglicherweise ein Ver- dieser sehr komplexen Frage deshalb erst dann mit- bot von Kryptographie Bestandteil ihrer Überlegun- teilen, wenn sie sich hierzu eine fundierte Meinung gen ist. gebildet hat. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. minister des Innern: Das geht mir jetzt, ehrlich ge- sagt, ein bißchen weit. Selbstverständlich werden alle Facetten in unsere Überlegungen einbezogen. Jörg Tauss (SPD): Darf ich auch hier, Herr Staats- Sie wissen wie ich, daß es ein legitimes Interesse sekretär, die Nachfrage stellen, in welchem zeitli- gibt, die eigenen Daten zu schützen, daß aber auch chen Rahmen sich dies in etwa bewegt, zumal auch Vorkehrungen getroffen werden müssen, um bei- in der Öffentlichkeit bekanntgeworden ist, daß das spielsweise zu verhindern, daß Kriminelle diese Ver- bereits im Mai vorzustellende Multimediagesetz zu- schlüsselungsmöglichkeiten offensiv gegen die Ge- mindest in seinen Eckpunkten hierzu Aussagen tref- sellschaft und gegen den Bürger nutzen. fen soll, und halten Sie eine Verzögerung unter dem Gesichtspunkt, daß es gerade die Wirtschaft, aber natürlich auch p rivate Personen sind, die ein erheb- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das waren Ihre liches Interesse daran haben, daß der Verkehr auf beiden Zusatzfragen. den Datenautobahnen mit einem Höchstmaß an Da- Die Frage 23 wird schriftlich beantwortet. Die Ant- tensicherheit gewährleistet werden kann, nicht für wort wird als Anlage abgedruckt. problematisch? Um die letzte Frage geht es letztlich. Ich bedanke mich beim Herrn Staatssekretär. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- minister des Innern: Herr Kollege Tauss, wir sehen riums der Finanzen auf. die Problematik sehr wohl und wissen auch, daß die Angelegenheit natürlich dringlich wird. Gleichwohl Die Frage 24 ist zurückgezogen worden. sind wir bemüht, eine gründliche Analyse zu betrei- Die Fragen 25 und 26 werden schriftlich beantwor- ben, um dann eine Lösung bieten zu können, die tet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. wirklich allen Facetten standhält. Jetzt einen Zeit- punkt zu nennen wäre ziemlich spekulativ. Aber ich Dann kommen wir zu dem Geschäftsbereich des sage einmal, wie es auch schon der Kollege Friedrich Bundesministeriums für Wirtschaft. Zur Beantwor- getan hat: noch in diesem Jahr. Dabei gebe ich zu be- tung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär denken - das wissen Sie als Experte besser als ich -, Dr. Lammert zur Verfügung. wie rasant die Entwicklung auf diesem Sektor ver- läuft. Die Fragen 27 und 28 werden schriftlich beantwor- tet.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Weitere Zusatz- Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Hans Büttner frage. Vielleicht könnten Sie in Ihre Zusatzfrage im auf: Interesse des Präsidiums eine Erklärung einflechten, Wie hoch sind die jährlichen Gesamtausgaben sowie die Ein- was Kryptographie ist. nahmeausfälle des Bundes für die Jahre 1993, 1994 und 1995 aufgrund der Förderungsmaßnahmen für Unternehmen in den neuen Bundesländern, insbesondere durch den Investitionszu- Jörg Tauss (SPD): Bei der Kryptographie, Herr Prä- schuß, die Investitionszulage und die Sonderabschreibungen, sident, handelt es sich um ein Verschlüsselungsver- wie sie in Tabelle 22 des Jahresgutachtens 1995/96 des Sachver- fahren, das angewandt werden kann, um Nachrich- ständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aufgelistet sind, und wie viele Arbeitsplätze wur- ten, die beispielsweise im Internet übermittelt wer- den damit im produzierenden und im Dienstleistungsbereich ge- den, so beim Empfänger ankommen zu lassen, daß schaffen? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8877

Dr. , Parl. Staatssekretär beim stimmten Zahl von Arbeitsplätzen abstellt, kann Bundesminister für Wi rtschaft: Herr Kollege Büttner, auch nicht anschließend - jedenfalls nicht von uns - die Gesamtausgaben des Bundes für die Investitions- der Nachweis einer unmittelbaren Arbeitsplatzwir- förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe kung geführt werden. „Verbesserung der regionalen Wirtscha ftsstruktur" in den neuen Bundesländern betrugen 1993 3,05, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine weitere 1994 rund 3,2 und 1995 rund 3,07 Milliarden DM. Die Zusatzfrage? - Dann rufe ich die Frage 30 des Kolle- neuen Bundesländer haben komplementäre Mittel in gen Hans Büttner auf: gleicher Höhe ausgegeben. Wie hoch ist der Anteil westdeutscher Firmen, die die in Fra- In den jeweiligen Haushaltsjahren wurden Investi- ge 29 aufgeführten Fördermöglichkeiten wahrgenommen ha- tionsprojekte der gewerblichen Wirtschaft bewilligt, ben, und wie viele Arbeitsplätze wurden von diesen Firmen da- durch die die folgenden Arbeitsplätze neu geschaf- mit im produzierenden und Dienstleistungsbereich zusätzlich geschaffen, ohne daß entsprechende Arbeitsplätze in West- fen bzw. gesichert werden sollen - ich gebe der Über deutschland dafür abgebaut werden (Saldo aus neuen Arbeits- sichtlichkeit wegen nur, wenn Sie damit einver- plätzen Ost gegenüber abgebauten Arbeitsplätzen im Westen)? standen sind, die Gesamtzahlen an -: 1993 194 187, 1994 158 920 und 1995 95 847. Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Die Einnahmeausfälle des Bundes betrugen nach Bundesminister für Wi rtschaft: Herr Kollege, der Schätzungen aus dem Bundesministerium für Finan- Bundesregierung liegen keine Angaben im Rahmen zen auf Grund der Investitionszulage für Ausrü- der GA-Förderung vor, wie viele Arbeitsplätze in stungsinvestitionen in 1993 2,33, in 1994 2,10 und- westdeutschen Unternehmen auf Grund deren Enga- 1995 1,63 Milliarden DM sowie für Sonderabschrei- gements in den neuen Ländern abgebaut wurden. bungen in 1993 1,28, in 1994 1,59 und in 1995 Die Statistik über die Gemeinschaftsaufgabe enthält 2,71 Milliarden DM. Angaben über die im Rahmen allerdings Angaben über westdeutsche und ostdeut- dieser Förderung geschaffenen Arbeitsplätze liegen sche Betriebe, die in den neuen Ländern investiert nicht vor. haben. Als „ostdeutsche Bet riebe" werden dabei die- jenigen erfaßt, die ihren Sitz in den neuen Ländern haben und rechtlich selbständig sind. Auf der Basis Zusatzfrage. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: dieser Abgrenzung wollen westdeutsche Bet riebe einschließlich derer aus West-Berlin mit durch die Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Ist die Bundesre- GA geförderten Investitionen Arbeitsplätze in den gierung in der Lage und bereit, die direkten Auswir- neuen Ländern neu schaffen bzw. sichern. Das wa- kungen auf Arbeitsplätze, da ihr Erkenntnisse dar- ren 1993 19 709, 1994 18 972 und 1995 9 173. über jetzt noch nicht vorliegen, künftig zu erfassen und darzustellen? Angaben, ob und wie viele Arbeitsplätze gleichzei- tig im Westen abgebaut wurden, sind nicht vorhan- den. Aber ich sollte in diesem Zusammenhang dar- Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim auf hinweisen, daß die Förderregelungen der Ge- Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, ich meinschaftsaufgabe ausdrücklich vorsehen, daß die habe Ihnen gerade dargestellt, daß die Investitions- aus dem Verkauf der bisherigen Bet riebsstätte erziel- zuschüsse aus den Mitteln der Gemeinschaftsauf- baren oder erzielten Erlöse bei einer Verlagerungsin- gabe im unmittelbaren Zusammenhang mit den Ar- vestition von der Bemessungsgrundlage der GA-För- beitsplätzen stehen und daß dies sowohl bei der Be- derung abgezogen werden. Dadurch wirkt die Ge- willigung der Projekte als auch bei der anschließen- meinschaftsaufgabe der Verlagerung von Betriebs- den Auflistung des Fördereffektes identifizierbar ist. stätten aus Förderungsgründen - dahin gehend habe Die dazu vorliegenden Zahlen habe ich Ihnen vorge- ich Ihre Frage verstanden - ausdrücklich und wohl- tragen. weislich entgegen.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage.

(Ingolstadt) (SPD): Aber Sie haben Hans Büttner Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Halten Sie es an- diese Aussagen nicht für die Einnahmeausfälle auf gesichts der Tatsache, daß nicht nur GA-Mittel, son- Grund der Investitionszulagen und vor allem der dern auch Sonderabschreibungen in erheblichem Sonderabschreibungen machen können? Maße - wie Sie das vorhin aufgeführt haben - gel- tend gemacht wurden, nicht für notwendig, eine Bi- Dr. Norbe rt Lammert, Parl. Staatssekretär beim lanz zu erstellen, wie viele Arbeitsplätze in den Bundesminister für Wirtschaft: Das ist richtig, Herr neuen Ländern auf- und in den alten Ländern abge- Kollege, weil das Förderinstrumentarium nicht im- baut werden, weil man nur auf dieser Grundlage be- mer und schon gar nicht ausschließlich an Arbeits- urteilen kann, ob die Förderabsicht, die der Gesetz- platzwirkungen anknüpft, sondern in vielen Fällen geber beschlossen und die Bundesregierung auszu- auf Fördertatbestände abstellt, die dann Rechts- führen hat, auch wirklich erreicht wird? Es wäre doch grundlage für solche Zulagen oder auch Abschrei- ein unwirtschaftliches und im p rivaten Bereich über- bungsmöglichkeiten sind. Damit ist in der Regel haupt nicht hinnehmbares Verfahren, Fördermittel auch eine Arbeitsplatzwirkung verbunden. Aber da auszugeben, ohne zu wissen, ob das Ziel, das man die Förderung nicht auf dem Nachweis einer be- sich gesetzt hat, auch erreicht wird. 8878 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Peter Dreßen (SPD): Herr Staatssekretär, gibt es Bundesminister für Wirtschaft: Was den letzten Punkt denn überhaupt ein Controlling? Sie sprachen hier angeht, Herr Kollege, besteht selbstverständlich völ- von Milliarden D-Mark. Daher kann ich mir nicht lige Übereinstimmung zwischen dem von Ihnen vor- vorstellen, daß Sie da ohne Controlling auskommen. getragenen Anliegen und der Einschätzung und Vor- Sie müssen doch wissen, welchen Nutzen die ganzen gehensweise der Bundesregierung. Wir müssen ein Investitionen gehabt haben. gemeinsames Interesse daran haben, daß die Förder- mittel möglichst präzise den beabsichtigten Zweck Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim erreichen und daß sich die Förderwirkung in bezug Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, ich ver- auf Ost- und Westdeutschland nicht wechselseitig mute, daß Sie die Antworten, die ich gerade gegeben kompensieren. habe, zur Kenntnis genommen haben. Die in diesem Zusammenhang von Ihnen ange- (Peter Dreßen [SPD]: Ja, aber sie waren regte Arbeitsplatzbilanz ist aus den vorhin genann- unbefriedigend!) ten sowie aus einigen anderen Gründen nicht reali- stisch, auch wenn man sie für wünschenswert halten Es gibt nicht nur eine präzise Festlegung der Grund- mag. Denn eine solche Statistik könnte überhaupt lagen für Förderansprüche; es gibt auch eine präzise nicht berücksichtigen, welche der Arbeitsplätze, die Bewirtschaftung und Bewilligung von Anträgen und bei einer solchen Rechnung in Westdeutschland auf- eine sich daran anschließende Überprüfung der gegeben worden sind, auch dann in Westdeutsch- zweckgemäßen Verwendung bewilligter Mittel. land aufgegeben worden wären, wenn eine Verlage- Manche von Ihnen werden sich daran erinnern, rung dieser Betriebsstätten an einen Standort außer- daß wir vor etwa einem Jahr eine Generaldebatte so- halb der Bundesrepublik Deutschland oder auch die wohl hier in diesem Haus als auch in allen einschlä- ersatzlose Aufgabe ohne eine solche Förderung für gigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages ge- ein Engagement in den neuen Ländern erfolgt wäre. nau unter diesem Gesichtspunkt des Controlling Das heißt: Wir müssen bei dieser Förderung immer durchgeführt haben. Es ging dabei um die Frage, ob berücksichtigen, daß in einer gewissen, allerdings sichergestellt ist, daß die zur Verfügung gestellten nicht präzise bezifferbaren Weise in einem Teil dieser Mittel so präzise wie eben möglich dem gedachten Fälle die Aufrechterhaltung der Arbeitsplätze am Zweck zugeführt werden. Dabei haben wir damals, Standort Deutschland nur durch die Förderung er- übrigens alle miteinander, ein eher erstaunlich gutes folgt; ohne diese Förderung wären die Arbeitsplätze als ein etwa bedenkliches Maß an treffergenauer vielleicht gar nicht oder nur in einem begrenzten Mittelverwendung festgestellt. Umfang erhalten geblieben. Die Fragen des Kollegen Büttner gehen über die- sen Zusammenhang des Controlling weit hinaus und haben einen engeren Zusammenhang zwischen För- Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Aber halten Sie es angesichts Ihnen bekannter Fälle, die ich Ihrem dermittelvergabe und Arbeitsplatzeffekten zwischen Hause selber mehrfach vorgelegt habe und bei de- Ost und West zum Gegenstand. Das ist ein in der Tat nen Arbeitsplatzverlagerungen mit einem erhebli- wichtiges Problem, das sich aber in der Weise, wie es chen Arbeitsplatzverlust einhergegangen sind, nicht in der Frage zum Ausdruck kommt, nach unserer für dringend notwendig, wenigstens konkretere Hin- Einschätzung nicht lösen läßt. weise - angesichts von 19 000 Arbeitsplätzen, die Sie hier genannt haben, müßte das technisch möglich Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine weiteren sein - darauf zu geben, ob das Förderziel auch wirk- Zusatzfragen. - Dann rufe ich die Frage 31 des Kolle- lich erreicht worden ist? gen Otto Schily auf: In welchem Umfang trägt die Bundesrepublik Deutschland ein Ausfallrisiko für den in diesem Jahr von deutschen Banken Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim an Rußland vergebenen Kredit in Höhe von 4 Mrd. DM? Bundesminister für Wirtschaft: Wo immer wir solche Zusammenhänge selber sehen oder darauf aufmerk- sam gemacht werden, gehen wir diesen selbstver- Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim ständlich nach. Soweit sich daraus unter Berücksich- Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Schily, tigung der von mir gerade erläuterten nicht nur stati- die Bundesregierung gewährt eine Deckung nach stischen, sondern vor allen Dingen ökonomischen den Bürgschaftsbedingungen für ungebundene Fi- Abgrenzungsschwierigkeiten Verbesserungsmög- nanzkredite gemäß §9 Abs. i Nr. 2 Buchstabe a - um lichkeiten für das Förderinstrumentarium ergeben, es ganz präzise zu sagen - des Haushaltsgesetzes stehen wir solchen Überlegungen aufgeschlossen ge- 1996, wo es um die Indeckungnahme wirtschaftlicher genüber. und politischer Risiken geht. Die kreditgebenden Banken tragen hierbei für alle Risiken einen einheit- Im übrigen hat das an manchen Stellen auch be- lichen Selbstbehalt von 10 Prozent. reits zu einer Veränderung der Handhabung des För- derinstrumentariums gegenüber der Handhabung in Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Eine Zusatz- der Vergangenheit geführt. frage.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Eine Zusatz- Otto Schily (SPD): Herr Staatssekretär, trifft es zu, frage, Herr Kollege Dreßen. daß die Kreditvergabe bei der Bundesregierung als Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 24. Ap ril 1996 8879

Otto Schily streng vertrauliche Chefsache des Kanzleramtes be- Vor diesem Hintergrund Ihre Frage, ob die Bundesre- handelt worden ist, von der die meisten Kabinettsmit- gierung dies ausschließen könne, mit einem schlich- glieder und Staatssekretäre erst durch die Presse er- ten Nein zu beantworten, wäre vermutlich nicht fahren haben? (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ganz „unfalsch" !) Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim seriös. Bundesminister für Wirtschaft: Das kann ich nicht be- stätigen. Auf der anderen Seite, Herr Kollege Fischer, habe ich gerade auf den politischen Charakter dieser Ent- scheidung hingewiesen, der im übrigen natürlich Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die zweite Zu- nicht nur der einen, sondern auch der anderen Seite satzfrage. bekannt ist. Daraus ergeben sich nicht nur Erwartun- gen, sondern auch Verpflichtungen, an deren Einlö- sung die Bundesregierung keinen Zweifel hat. Otto Schily (SPD): Herr Staatssekretär, haben Sie bei der Vergabe des Kredits auch den Rat sachver- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ ständiger Personen in Anspruch genommen, darun- DIE GRÜNEN]: Das ist eine hochinteres ter möglicherweise auch ehemaliger Botschafter in sante Antwort gewesen! Ich bedanke mich!) Rußland, und ist Ihnen bekannt, daß der ehemalige Botschafter in Moskau Andreas Meyer-Landrut die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine weiteren Vergabe dieses Kredits als schockierend bezeichnet- Zusatzfragen. hat, weil dieser Kredit ohne Sicherheiten vergeben wird und weil er eigentlich nur eine Budgethilfe dar- Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Otto Schily auf: stellt, die vermutlich finanziell versickern wird und Trifft es zu, daß der genannte 4-Mrd.- DM-Kredit ohne Sicher- allenfalls als Wahlhilfe für den Präsidentschaftskan- heiten als „Budget-Hilfe" vergehen worden ist? didaten Boris Jelzin verstanden werden kann? Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wi rtschaft: Herr Kollege Schily, Dr. Norbe rt Lammert, Parl. Staatssekretär beim es handelt sich hier um zwei Teilkredite: Ein Teilkre- Bundesminister für Wirtschaft: Die konkrete Kritik, dit über 3 Milliarden DM dient der unmittelbaren Un- die Sie gerade zitiert haben, ist mir nicht bekannt. terstützung der Wirtschaftsreformen in der Russi- Aber mir ist selbstverständlich bekannt, daß es bei schen Föderation. Das ist, Herr Kollege Fischer, die diesen - wie übrigens bei manchen anderen mehr Zweckbestimmung dieses Kredits. Der zweite Teil- oder weniger vergleichbaren - Fällen der Kreditver- kredit über 1 Milliarde DM wird für konkrete Pro- gabe unter den tatsächlichen und vermeintlichen jekte gemeinsamen Interesses in der Russischen Fö- Fachleuten durchaus geteilte Auffassungen darüber deration verwendet. gibt, ob solche Kredite überhaupt und zu den jeweils vorgesehenen Konditionen vergeben werden sollten. (Otto Schily [SPD]: Der kleinere Teil, nicht?) Daß es sich hier - das ist ja der Gegenstand Ihrer - Der kleinere Teil. 3 Milliarden und 1 Milliarde: Frage - am Ende um eine politisch zu entscheidende 1 Milliarde ist weniger als 3 Milliarden. Frage handelt, ist offensichtlich, und sie ist unter Be- rücksichtigung der damit auf beiden Seiten verbun- Auf russischer Seite wird die Rückzahlung des Kre- denen Erwartungen an die weitere Entwicklung im dits durch eine Garantie der Regierung der Russi- Empfängerland in der Weise entschieden worden, schen Föderation abgesichert. wie es Ihnen bekannt ist. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage, Herr Kollege Fischer. Otto Schily (SPD): Herr Staatssekretär, haben Sie denn, was die Budgethilfe angeht, durch entspre- chende Vereinbarungen sichergestellt, daß dieser Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Milliardenkredit nicht für militärische Zwecke in GRÜNEN): Herr Staatssekretär, kann die Bundesre- Tschetschenien verwendet wird? gierung ausschließen, daß dieser Kredit an Rußland ganz oder teilweise zur Finanzierung des Krieges in Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Tschetschenien eingesetzt wird? Bundesminister für Wirtschaft: Ich habe, Herr Kol- lege Schily, sowohl in der Beantwortung der vorheri- gen Frage als auch in der Beantwortung der Frage Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim des Kollegen Fischer darauf hingewiesen, daß es sich Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Fischer, hier technisch um einen ungebundenen Finanzkredit Sie wissen, daß es sich hier um einen ungebundenen handelt und daß der Zweck dieser Kreditvergabe die Finanzkredit handelt. Förderung der Wirtschaftsreform in der Russischen (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Föderation ist. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. DIE GRÜNEN]: Eben! - Otto Schily [SPD]: Ja, eben!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. 8880 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Otto Schily (SPD): Herr Staatssekretär, wir reden in tuation die Entscheidungen haben treffen lassen, die dieser Woche ja über Sparmaßnahmen der Bundesre- die Bundesregierung getroffen hat. gierung. Halten Sie es eigentlich für angebracht, in einer solchen Situation einen Kredit in Höhe von (Beifall bei der CDU/CSU - Otto Schily 4 Milliarden DM - und darunter einen ungebunde- [SPD]: 4 Milliarden Wahlhilfe!) nen Kredit in Höhe von 3 Milliarden DM - mit unge- wissen Rückzahlungsfristen zu vergeben, und wie hoch schätzen Sie die Opportunitätskosten, die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Deutschland, also dem Bundeshaushalt, durch die Schily, machen Sie es mir nicht so schwer. Ich habe Vergabe dieses Kredites entstehen? eben schon einmal gesagt, ich kann darauf achten, daß geantwortet wird. Ich habe aber keinen Einfluß darauf, was geantwortet wird. Parl. Staatssekretär beim Dr. Norbert Lammert, Zusatzfrage, Frau Kollegin Hend ricks. Bundesminister für Wi rtschaft: Herr Kollege Schily, ich habe an der Unvermeidlichkeit der politischen Abwägung der Chancen und Risiken einer solchen Dr. Barbara Hendricks (SPD): Halten Sie, Herr Kreditvergabe in meinen vorherigen Antworten auf Staatssekretär, es vor dem Hintergrund der leider die gestellten Fragen überhaupt keinen Zweifel ge- sattsam bekannten militärischen Auseinanderset- lassen. Aber ich muß auch in Erinnerung rufen, daß zung auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion wir in der weiter zurückliegenden und in der jün- bzw. des heutigen Rußlands nicht für ein Versäumnis geren deutschen Geschichte einschlägige Erfahrun- der Bundesregierung, daß sie offenbar darauf ver- gen mit schließlich auch haushaltswirksamen Folgen zichtet hat, im Rahmen der Kreditvergabe Bedingun- bestimmter außenpolitischer und außenwirtschaftli- gen zu formulieren, die es ausschließen, daß diese cher Konstellationen gemacht haben. Diese Erfah- Kredite für militärische Nutzungen eingesetzt wer- rungen waren unter dem Gesichtspunkt der Frage, den? die Sie gerade gestellt haben, aus der Sicht der Bun- desregierung einer der Gründe für die politische Ent- scheidung, die ich hier erläutert habe. Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es gibt überhaupt kei- nen Anlaß, Frau Kollegin, zu spekulieren, daß die Otto Schily (SPD): Wie hoch die Opportunitätsko- Bundesregierung darauf verzichtet hätte, gegenüber sten - - der russischen Regierung ihre Vorstellungen bzw. Er- wartungen hinsichtlich des von Ihnen angesproche- nen Konflikts deutlich zu machen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Nein, nein.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage, Otto Schily (SPD): Ich habe eine Frage gestellt, die Herr Kollege Fischer. nun wirklich nicht beantwortet worden ist. Ich habe nach der Höhe der Opportunitätskosten gefragt und bekomme eine verschwommene Antwort. Ich habe Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE eine konkrete Frage gestellt, und ich verlange im GRÜNEN): Das ist eine interessante Erklärung von Parlament auch eine konkrete Antwort. Ihnen. Sie haben gerade gesagt, daß es überhaupt keine Veranlassung gibt, anzunehmen, daß diese (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vorstellungen nicht gemacht worden wären. Es DIE GRÜNEN) schließt sich die Frage an: Welche Vorstellungen hat denn die Bundesregierung gegenüber der russischen Ich habe nach der Höhe der Opportunitätskosten ge- Regierung im Zusammenhang mit einer möglichen fragt und danach, wie ein solcher Kredit im Zuge von Verwendung - die Sie vorhin nicht ausschließen Sparmaßnahmen zu legitimieren ist. Das war die konnten - der Kredite zur Finanzierung des Krieges Frage. Ich wollte keine wolkigen Auskünfte. in Tschetschenien vorgetragen? Würden Sie das dem Parlament mitteilen?

Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wi rtschaft: Ausweislich des Pro- Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim tokolls haben Sie mich gefragt, ob die Bundesregie- Bundesminister für Wirtschaft: Ich kann gegenüber rung es auf dem Hintergrund der anstehenden Ent- dem Parlament über das hinaus, was Gegenstand scheidungen über „Sparmaßnahmen" für vertretbar dieses Vertrages ist, den ich erläutert habe, keine halte, daß ... Ich wiederhole, was ich gesagt habe: weitergehenden Erklärungen abgeben - schon gar Hier ist politisch zwischen den Chancen und Risiken nicht zu Ihren Spekulationen darüber, wie die russi- einer solchen Kreditvergabe abzuwägen. Wir haben sche Seite diesen ungebundenen Finanzkredit ver- in der jüngeren wie in der weiter zurückliegenden wenden könnte. Ich frage mich, woher Sie eigentlich Geschichte, auch unter dem Gesichtspunkt dessen, die Grundlage für diese Art von Spekulation neh- was Sie als Opportunitätskosten ansprechen, unsere men, die Sie nun zur Beurteilung der mit der Ent- Erfahrungen gemacht, die uns unter Würdigung die- scheidung der Bundesregierung verbundenen Ab- ses Zusammenhangs auch und gerade in dieser Si- sichten machen wollen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8881

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage, geführt. Dies gilt vor allem für das bei Kabelumman- Herr Kollege Schlauch. telungen verwendete PVC, aber auch für dessen mögliche Begleitstoffe Chlorparaffine und PCBs. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie wissen genau, daß wir Leider ist hier erneut bewiesen worden, daß diese recht haben!) Stoffe beim Brand eben nicht nur Schwaden von Salzsäuregasen freisetzen, sondern vielmehr den Doch dies (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ganzen „Zoo" von Dioxinen und Furanen. Rezzo Schlauch ist der Bundesregierung seit langem bekannt. Sie hat Warum ist die Bundesregierung angesichts eines Be- jedoch im Gegensatz zu vielen Städten und einigen trages von 3 Milliarden DM, der schon benannt und Ländern bisher nicht gehandelt. bewertet worden ist, auf dem Hintergrund der ge- genwärtigen Diskussion nicht auf die Idee gekom- Der frühere Umweltminister Töpfer veranstaltete men, auszuschließen, daß auch nur eine müde Mark schon 1990 einen Dioxin-Kongreß, auf dem die Pro- für militärische bzw. für Kriegszwecke im Tschet- blematik der Kabelverschwelung diskutiert wurde. schenien-Konflikt eingesetzt wird? Das hätte doch Seitdem ist die Verschwelung von Kabeln in Anlagen nahegelegen. wegen des mit Dioxin verbundenen PVC-Problems unterbunden worden. Immerhin wurden sowohl im Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Umfeld von Kabelverschwelungs- wie auch von Kup- Bundesminister für Wirtschaft: Nach den hier nun ferrecyclinganlagen Dioxinmengen und -konzentra- mehrfach behandelten Beziehungen zwischen der tionen in Seveso-Dimensionen gefunden. Trotzdem Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Fö- wurde auf Druck der PVC-Lobby, auf Druck der che- deration einschließlich der Finanz- und Wirtschafts- mischen Industrie, aufbauend auf Lügen, dank einer beziehungen bestand für eine solche aus Ihrer Sicht willfährigen Bundesregierung, die dioxinrelevante angefragte Formalisierung überhaupt kein Anlaß. Kabelverschwelung - die ungewollt, aber eben auch zwangsläufig im PVC-Brandfall eintritt - weiter in Kauf genommen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Damit ist die Fra- gestunde beendet. Ich danke Ihnen, Herr Staatsse- Der Einsatz von PVC in öffentlichen Bauten und kretär. Versammlungsstätten bleibt daher auch sechs Jahre nach diesem Dioxin-Kongreß uneingeschränkt mög- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf: lich. Damit sind sowohl die amtierende Bundesregie- rung als auch die seit 1990 amtierenden Bundesum- Aktuelle Stunde welt- und Bundesbauminister nicht nur für die Kata- auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE strophe von Düsseldorf mitverantwortlich, sondern GRÜNEN auch für alle millionenschweren Schäden, die seit 1990 bei PVC-Bränden von Kunststofflagern, U- Bundespolitische Konsequenzen auf Grund Bahnhöfen und Krankenhäusern stattfanden. der Freisetzung von Dioxinen anläßlich des Brandes von PVC, PCB und anderen Stoffen Diese Schäden hätten allesamt vermieden werden auf dem Düsseldorfer Flughafen. können, wenn diese Bundesregierung der Empfeh- lung des Bund-Länder-Ausschusses für Umweltche- rt hat der Kol- Ich eröffne die Aussprache. Das Wo mikalien nachgekommen wäre, der schon 1992 for- lege Dr. Rochlitz, Bündnis 90/Die Grünen. mulierte:

Dr. Jürgen Rochlitz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Bauwesen sollten PVC-Produkte in solchen Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Verwendungsbereichen substituiert werden, in und Herren! Wir schulden es den 16 Todesopfern denen es bei Bränden auf Grund der möglichen und den mehr als 60 Verletzten von Düsseldorf, daß Dioxin- und Chlorwasserstoffbildung zu erhebli- wir auch im Bundestag die Brandkatastrophe an der chen Gefahren für Umwelt und Gesundheit Verantwortlichkeit der Bundesregierung entlang dis- kommt sowie aufwendige Sanierungsmaßnah- kutieren und aufarbeiten. Unser gemeinsames Ziel men erforderlich werden. Sofern weniger gefähr- muß es sein: Düsseldorf darf sich auch in abgewan- liche Substitutionsprodukte nicht zur Verfügung delter Form nicht wiederholen - weder auf Flughäfen stehen, müssen Maßnahmen eines vorbeugen- noch in Sporthallen, Kindergärten oder öffentlichen den Brandschutzes eine gleichwertige Sicherheit Verkehrsmitteln. gewährleisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Darauf hat bisher nur der Verband der Sachversiche- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der rer reagiert, nicht jedoch diese Bundesregierung. Die SPD und der PDS) Staatsanwaltschaft in Düsseldorf wird aus diesem Grunde auch zu klären haben, wer für die zusätzli- Die ersten Düsseldorfer Analyseergebnisse der chen Kunststoffbrandbeschleuniger wie Styropor Werte für Polychlordioxine und -furane in Höhe von und andere verantwortlich zu zeichnen hat. maximal 600 Mikrogramm pro Kilogramm Ruß, also mit dem 119fachen Überschreiten des Grenzwertes Wir wissen zwar, daß die beachtlichen freigesetz- der Gefahrstoffverordnung, zeigen: Die im Flughafen ten Dioxinmengen bei den betroffenen Menschen verbauten chlorhaltigen Kunststoffe haben zu einer noch keine akuten Wirkungen haben, aber doch dramatischen Verschärfung der Brandkatastrophe starke langfristige toxische Wirkungen haben kön- 8882 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Dr. Jürgen Rochlitz nen, zum Beispiel die Möglichkeit einer Erkrankung die Berufsfeuerwehr erst knapp eine halbe Stunde an Krebs und des Entstehens einer Immunschwäche. später alarmiert? Doch wir wissen ebenso, daß die Brandgase nicht Weiter drängt sich die Frage auf: Wurden heute nur aus dem die Atmung blockierenden Kohlenmon- geltende Brandschutzvorschriften nicht beachtet, die oxid bestehen. Die stärkeren Gifte sind das Salzsäu- eine Ausbreitung des Brandes hätten verhindern regas und die noch heftiger wirkenden Gemische können? Das sind Vorschriften, an die sich schon aus Kohlenmonoxid und eben dieser Salzsäure. Sie heute jeder p rivate Bauherr halten muß. Hierzu ge- sind es, die zu der großen Zahl von Toten beigetra- hören Brandabschnitte, nichtbrennbare Materialien, gen haben. Es ist nur zu hoffen, daß die Staatsan- Sprinkleranlagen im Deckenbereich und vieles an- waltschaft diesen Fakten und den wahren Verursa- dere mehr. chern mit Präzision nachgeht. Weiter kann man fragen, warum mehr an die Wir jedenfalls fordern - weil es genügend weniger Abwehr von Sabotage- und Terroranschlägen von problematische und preiswertere Alternativen gibt - außen als an die Sicherheit von innen gedacht erstens ein sofortiges Verbot des Neueinsatzes von wurde. Gerade die Panzerung der Außenhaut wurde PVC-Materialien in den der Bundesregierung unter- zur tödlichen Falle, da es keine Fluchtmöglichkeiten stehenden Bauten; gab. Dabei weiß jeder Hauseigentümer, daß er, wenn er sein Dachgeschoß ausbauen will, einen zweiten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fluchtweg einbauen muß, weil er sonst keine Bauge- nehmigung bekommt. zweitens, die Neuzulassung gefährlicher Baustoffe wie PVC für alle öffentlichen Versammlungsstätten -: von- Fragen über Fragen, die auch außerhalb der staats- Schulen über Kindergärten bis hin zu Bahnhöfen und anwaltschaftlichen Ermittlung beantwortet werden Flughäfen - zu verbieten; drittens, einen sofortigen müssen. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, son- Austausch von PVC-Materialien, insbesondere von dern darum, zukünftig Menschenleben zu schützen. PVC-ummantelten Kabeln, in den Atomkraftwerken Es geht um Vorsorge. Zum Schluß darf es nicht einen durchzuführen; viertens die in einer neuen Brand- Alleinschuldigen geben, nämlich den kleinen schutzkonzeption angelegte Planung eines Austau- Schweißer. sches von Alt-PVC in den sensiblen Brandbereichen Zur Vorsorgepflicht gehört zweifellos die Frage, der öffentlichen Gebäude. inwieweit die Gebäude verunreinigt sind. Hierzu gab Dies alles ist technisch machbar und hat weiterge- es schon kurz nach Bekanntwerden des Brandes die hende ökologische Vorteile. Das Plus an Sicherheit abenteuerlichsten Spekulationen und Mutmaßun- sollte uns Mehrkosten wert sein. Lassen Sie uns mit gen. Daß Dioxin austrat, steht außer Frage. Über die diesem Sicherheitsprogramm schon jetzt beginnen, Gefährlichkeit von Dioxin brauchen wir hier über- meine Damen und Herren. Die Zeit der Verharm- haupt nicht zu debattieren; das ist klar. Zu entschei- losung muß vorbei sein. Es muß endlich gehandelt den ist jedoch, ob die verseuchten Teile so entgiftet werden! werden können, daß der Flughafen seinen Bet rieb ohne Teilabriß wieder aufnehmen kann. Danke schön. Ich hielt es für unverantwo rtlich, daß schon kurz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach Bekanntwerden der Tragödie die NRW-Um- sowie bei Abgeordneten der PDS) weltministerin Höhn ohne weitere Prüfung den Ab- riß forderte. Das ist im Hinblick auf das duchzufüh- rende Prüfungsverfahren unse riös. Zur intellektuel- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der len Redlichkeit gehört, Prüfungsverfahren ergebnis- Kollege Professor Schulhoff, CDU/CSU. offen zu gestalten. Hier entstand der Eindruck, daß die Sorgfaltspflicht auf dem Altar der Ideologie ge- opfert werden sollte. Dieser Flughafenbrand eignet Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der sich nicht zum politischen Streit. Bewertung des Brandes auf dem Düsseldorfer Flug- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ hafen kann ich nur zur Zurückhaltung und Beson- NEN) nenheit aufrufen. Bisher steht lediglich fest, daß offensichtlich Schweißarbeiten den Brand auslösten, - Ich wiederhole: Dieser Flughafenbrand eignet sich es weiterhin Fehlverhalten mit fatalen Folgen und nicht zum politischen Streit. - Die Äußerungen von natürlich auch bauliche Mängel gab; dazu gehört Herrn Clement waren in dieser Beziehung direkt selbstverständlich PVC. wohltuend. Es drängen sich Fragen auf, die trotz laufender Vor einigen Jahren wurde bei einem Brand ein staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gestellt wer- Düsseldorfer U-Bahnhof in beträchtlichem Maße mit den müssen: Wieso war der Flughafenfeuerwehr Dioxin verseucht. Nach Reinigung konnte er sechs Wochen später wieder in Bet nichts von den Schweißarbeiten bekannt? Wie rieb genommen werden konnte es geschehen, daß noch eine halbe Stunde - ohne großes politisches Störmanöver. Werden also nach dem Brandalarm ein Vater mit seinem Kind mit U-Bahnhöfe anders betrachtet als Flughäfen? dem Fahrstuhl ins Inferno fahren konnte und dabei Ich will damit nichts unter den Teppich kehren. Im beide den Tod fanden? Wieso wurden Mitarbeiter Gegenteil: Die Wahrheit muß ans Licht. Wenn ernst- und Passagiere nicht sofort evakuiert? Warum wurde zunehmende Fachleute dazu raten - dabei denke ich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8883

Wolfgang Schulhoff nicht unbedingt an Herrn Wassermann -, dann wird Wer in solchen Fragen so operiert, kann im politi- abgerissen. Die Gesundheit der Benutzer hat Vor- schen Bereich kein Vertrauen als seriöser Pa rtner ge- rang. Die Fluggäste und die Mitarbeiter des Flugha- winnen. Das geht nicht! fens haben Anrecht auf ein Sicherheitssystem nach dem neuesten Stand der Technik. Es ist aber auch richtig, Herr Kollege Rochlitz, daß niemand auf dem Düsseldorfer Flughafen an den Noch einmal: Es muß sorgfältig geprüft und dann Auswirkungen von PVC-Emissionen gestorben ist. schnell entschieden werden. Es geht um die Existenz Nach dem amtlichen Teilbericht, der mir vorliegt, des Düsseldorfer Flughafens und damit einer gan- sind alle 16 Opfer, die wir zu beklagen haben, an zen Region, die sich im Wettbewerb mit Standorten Kohlenmonoxyd gestorben. Das ist im Rahmen der auch außerhalb unseres Landes, also außerhalb der Obduktion in der Zwischenzeit festgestellt worden. Grenzen der Bundesrepublik Deutschland, befindet. Aber es ist trotzdem richtig: Die PVC-Emissionen Es geht um Tausende von Arbeitsplätzen. Deshalb haben die Brandkatastrophe dramatisch verschärft an dieser Stelle mein Dank an die, die sofort begon- und vor allem ihre Folgen unglaublich erhöht. Das ist nen haben, den Betrieb wieder aufzunehmen. Ich der eigentliche Punkt. Das geht so weit, daß sich die danke ebenfalls den benachbarten Flughäfen Do rt Salzsäure bis in die Statik des Flughafengebäudes -mund und Bonn, die sogleich eingesprungen sind, hineinfrißt und dort erhebliche Schäden anrichten um die Verkehrssituation zu lösen. kann. Zum Schluß noch eine Bemerkung zum Verhältnis Deshalb müssen wir in aller Klarheit diese Form von Mensch und Technik: Alles Perfektionsstreben der Verharmlosung zurückweisen. schützt uns nicht vor menschlichem Versagen und damit vor Unglücken. Wir stehen hinterher meistens Die 16 Opfer gebieten es, daß wir alle Fragen auf- sehr fassungslos da. Deshalb gibt es oft nur eine Er- arbeiten und klären, und zwar unabhängig davon, kenntnis, die Richard von Weizsäcker wie folgt for- wer subjektiv Schuld hat. mulierte: Ich will ein paar wichtige Punkte nennen. Der Der wichtigste Sinn, den wir Menschen Katastro- erste wichtige Punkt ist: Wir müssen Konsequenzen phen abgewinnen können, ist das Innehalten zur daraus ziehen, daß immer mehr Häuser voller Kabel- Selbstüberprüfung. schächte sind und diese Kabelschächte zu einer ge- waltigen Entzündungsgefahr bei Bränden werden Ich danke Ihnen. können. Es ist offenkundig, daß beim Düsseldorfer Flughafen der Schwelbrand lange vorhanden war (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und sich durch eine Entzündung - aus welchen Gründen auch immer, möglicherweise durch Sauer- stoffzufuhr - auf einen Schlag über 80, 90 Meter aus- hat der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort gebreitet hat. Hieraus muß man Konsequenzen zie- Kollege Michael Müller, SPD-Fraktion. hen vor dem Hintergrund, daß fast alle modernen Gebäude mit Kabelschächten voll sind. Wenn wir Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Meine Damen daraus nicht entsprechende Folgerungen für bau- und Herren! Es ist richtig, daß sich die Katastrophe technische Normen ableiten, dann haben wir die am Düsseldorfer Flughafen nicht dazu eignet, schnell Lektion von Düsseldorf nicht verstanden. Schuldzuweisungen zu machen. Aber ich finde, es Ein zweiter wichtiger Punkt, den man auch sehen sollten sich alle daran halten. Sonst ist das nicht be- muß, ist: Es kann nicht sein, daß die Vorschriften für sonders glaubwürdig, wenn meine Vorredner einen Sicherheitseinrichtungen in Sonderbauten in Zu- solchen Appell machen. kunft nur einmal abgenommen werden, nämlich vor Meine Damen und Herren, was auf dem Düssel- Inbetriebnahme. Das darf nicht sein bei Gebäuden, dorfer Flughafen passiert ist, muß uns neben der in denen ein derartiger Massenverkehr herrscht. Wir Forderung, daß die Betroffenen, die Opfer und die müssen verlangen, daß es eine permanente Überprü- - noch immer - Verletzten ausreichende Hilfe und fung, gestützt auf die entsprechende Verordnung, Unterstützung erhalten, dazu veranlassen, die Ge- gibt. Es muß einen Zwang zur Nachrüstung geben. fahren, die Risiken und die daraus abzuleitenden Ich habe kein Verständnis dafür, daß fast alle Flughä- Konsequenzen systematisch aufzuarbeiten. fen nur in ihr äußeres Erscheinungsbild, in Expan- sion und Glamour investieren, aber viel zu wenig in Wir haben - ich weiß nicht, ob alle Kolleginnen Sicherheit. Das ist nicht hinzunehmen. Das muß ge- und Kollegen - einen Brief von der Arbeitsgemein- ändert werden! schaft PVC und Umwelt erhalten. Der vielleicht wichtigste Satz in diesem Papier lautet: (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Auch der Brand im Düsseldorfer Flughafen ist nach unseren bisherigen Erkenntnissen kein Lassen Sie mich als letzten Punkt eine Schlußfolge- Grund, den Werkstoff PVC anders zu bewe rten. rung hinsichtlich des Einsatzes von PVC ziehen. Wir haben nach den Messungen 123 Mikrogramm pro Ich halte dies für einen bodenlosen Leichtsinn. Kilogramm Ruß. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf des Abg. Dr. Jürgen Rochlitz GRÜNEN und der PDS) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 8884 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Ap ril 1996

Michael Müller (Düsseldorf) - Nein. Das ist die offizielle Zahl des Düsseldorfer Die erste erstreckt sich von der Auftragsvergabe Umweltamtes, das übrigens von Ihrem Parteikolle- für Schweißarbeiten mit der Fixierung aller zu be- gen Görtz geleitet wird. Ich will das nur sagen, damit achtenden Umstände, von der erforderlichen Beleh- keine möglicherweise falschen Zahlen in den Raum rung der Ausführenden, dem Festlegen der Überwa- gestellt werden: Das ist die von der Stadt Düsseldorf chungsweise der Arbeiten und der Dauer der Über- genannte Zahl. Ich muß auch darauf hinweisen: Der wachung über die Auftragsvergabe für die Überwa- zuständige Umweltdezernent der Stadt Düsseldorf ist chung bis zu einer Kontrolle der ordnungsgemäßen Dr. Henning Friege, der wohl die meisten Veröffent- Durchführung der Überwachung am Ende der Arbei- lichungen gegen PVC geschrieben hat. Ich habe des- ten und am Ende der festgelegten Überwachungspe- halb schon Vertrauen, auch zu diesen Aussagen. riode, die sich bei Schweißarbeiten nicht nur über Stunden, sondern auch über einen ganzen Tag er- Aber wir müssen dafür Sorge tragen: PVC gehört strecken kann. nicht in solche Gebäude, wenn do rt seine Verwen- dung solche katastrophalen Folgen haben kann. Wir Die zweite Linie umfaßt die erforderlichen vorbeu- müssen schnell dafür sorgen, daß PVC aus der Um- genden Maßnahmen, die sich sowohl auf die Materi- mantelung von Kabeln verschwindet. Wir müssen alverwendung in Bauten als auch auf ein Havarie- andere Arten von Kabelsträngen und generell bes- und Katastrophentraining sowie auf bauliche Ein- sere Formen von Sicherheitsvorschriften für Stoffe für richtungen von Fluchtwegen und auf Evakuierungs- hochsensible Bereiche finden. Diese Konsequenzen szenarien erstrecken sollen. aus den Ereignissen von Düsseldorf zu ziehen gehört An dieser Stelle muß festgehalten werden, daß alle zur politischen Verantwortung. diese Maßnahmen, von der Festlegung von Brand- - Wir sollten jetzt nicht schnell Schuldzuweisungen schutz- und Arbeitsschutzbestimmungen über die vornehmen. Allerdings liegt eine Vielzahl von Konse- baulichen Bestimmungen bis hin zu den Sicherheits- quenzen auf der Hand. Wie wir damit umgehen, wird und Katastrophenmaßnahmen und deren Kontrolle, zeigen, ob wir aus Düsseldorf gelernt haben oder originäre Aufgaben des jeweiligen Landes sind. - Im nicht. vorliegenden Fall handelt es sich um das Land Nord- rhein-Westfalen, in dem sowohl SPD als auch Bünd- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- nis 90/Die Grünen in der Regierungsverantwortung ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN stehen. - und der PDS) (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schäbig! Schäbige Rede!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Dies soll uns aber hier als Mitglieder des Bundesta- Kollege Dr. Röhl, F.D.P. ges und auch die Bundesregierung nicht daran hin dern, hilfreich zur Seite zu stehen, sinnvolle Vor- schläge vorzubringen und deren Aufnahme in die Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kolle- Landesbestimmungen zu fördern. ginnen und Kollegen! Wenn auch seit dem schreckli- chen Unglück in Düsseldorf schon zwei Wochen ver- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie gangen sind, ist es unserer Fraktion und mir persön- haben doch eben gesagt: Da soll man nicht lich ein Bedürfnis, unsere Trauer über die Opfer der parteipolitisch polemisieren!) Brandkatastrophe zum Ausdruck zu bringen. Wir Nach Vorliegen eines Berichtes über die staatsan- möchten die Angehörigen unseres tiefen Mitgefühls waltschaftlichen Untersuchungen können und wer- versichern und den Verletzten sowie allen anderen den wir uns eingehend mit dem Problem der zu ver- Betroffenen unsere besten Wünsche für das Über- wendenden Materialien beschäftigen. winden der körperlichen und seelischen Folgen die- ses furchtbaren Erlebnisses übermitteln. Nach den bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und Untersuchungen von ähnlich ge- Gerade weil dieses Ereignis so schwerwiegend lagerten Brandfällen hat sich ergeben, daß nicht das und schrecklich war, haben wir nicht das geringste PVC und seine Zersetzungsprodukte, beispielsweise Verständnis dafür, daß diese Katastrophe zum politi- Dioxine, die Ursache für die Todesfälle sind, sondern schen Betreiben jahrelang gehegter Lieblingsthemen daß das im Rauchgas enthaltene CO die dominie- einer einzelnen Fraktion mißbraucht wird. rende Ursache für die schrecklichen Todesfälle ist. Wir sollten uns deshalb mit überstürzten, voreiligen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) oder aus Voreingenommenheit gegenüber bestimm- Wir wenden uns deshalb, soweit dies jetzt schon ten Materialien gezogenen Schlüssen völlig zurück- möglich ist, einer Analyse der Ursachen mit dem Ziel halten. Zuerst müssen die Ergebnisse der brandtech- zu, in Zukunft solche furchtbaren Geschehnisse un- nischen, der kriminalistischen, der gerichtsmedizini- möglich zu machen. Dabei wollen wir nicht den Er- schen und der staatsanwaltschaftlichen Untersu- mittlungen der Staatsanwaltschaft vorgreifen, son- chungen abgewartet werden. dern wir wollen versuchen, Handlungsrahmen und (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Wege zu finden, um eine Wiederholung solcher Kata- DIE GRÜNEN]: Wer hat Ihnen denn die strophen zu verhindern. Rede geschrieben?) Bei der Lösung dieser Aufgabe ergeben sich zwei Dann erst, auf der Grundlage dieser Ergebnisse, kön zu verfolgende Hauptlinien. nen wir sachlich und seriös über Ursachen und Maß- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8885 Dr. Klaus Röhl nahmen zur Verhinderung weiterer solcher Ereig- Zeiten einer hohen Arbeitslosigkeit - darüber wird nisse diskutieren. heute sicher noch gesprochen - ein mächtiges Argu- ment in den Händen der Produzenten. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist der Arbeitskreis Dabei ist die PVC-Produktion aus der Not heraus PVC! Oder wer?) entstanden, nämlich durch die Notwendigkeit, den Hektik, Hysterie und chaotisches Überstürzen nut- bei der Produktion von Natronlauge anfallenden Ab- zen nicht. Im Gegenteil: Das schadet nur in erhebli- fallstoff Chlorgas in irgendeiner Form vorläufig los- chem Maße. Das sollten wir im Interesse der Sache zuwerden bzw. unschädlich zu machen. Die Verwer- unbedingt vermeiden. Wir sind es den Toten, den tung von Chlor bei der Produktion von Kunststoffen Hinterbliebenen und den Verletzten schuldig, daß macht zirka 25 Prozent des jährlichen Chlorgasabfall- hier mit fundierten Kenntnissen gearbeitet und ge- volumens der Bundesrepublik von insgesamt über wissenhaft nach Lösungen gesucht wird. 3 Millionen Tonnen aus. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Vorläufersubstanz des Polymers PVC, das Unerträglich!) hochgradig krebserregende Vinylchlorid, wird bei der PVC-Produktion kontinuierlich und geduldeter Jedes gleisnerische politische Hickhack zum Beför- maßen freigesetzt. Weitere vermarktbare Produkte dern von Lieblingsthemen einzelner Parteien muß der Chlorchemie sind Lösemittel, Kühlmittel wie unbedingt vermieden werden. Die Bedeutung der FCKW und Pestizide. Zusätzlich entstehen in der or- Sache erfordert das. ganischen Chemie chlorhaltige Verbindungen wie - Ich danke für die Aufmerksamkeit. PCBs und CKWs als Prozeßnebenprodukte. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Diese Substanzen sind extrem schwer abbaubare Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Stoffe mit hohem ökotoxischen Potential, die inzwi- DIE GRÜNEN]: Achtung, Achtung, hier schen in unserer Umwelt allgegenwärtig sind. Dabei spricht der Arbeitskreis PVC! - Lisa Peters ist die Anzahl der freigesetzten Verbindungen noch [F.D.P.]: Sie sollten lieber zuhören!) nicht in vollem Umfange bekannt; dies sei hier nur am Rande erwähnt. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Kollegin Bulling-Schröter, PDS. PVC wird als Baustoff und Isoliermaterial in der Regel mit einigen Zusatzstoffen versehen. Insbeson- dere im Bereich der Kabel- und Leitungsisolierun- Eva Bulling-Schröter (PDS): Sehr geehrter Herr gen, wo eine Ummantelung stabil und geschmeidig Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bau- sein muß, wird dem Chlorkohlenstoffgemisch zur stoff PVC wird in der Öffentlichkeit schon seit vielen Verbesserung der Materialeigenschaften noch Jahren immer wieder kritisiert. Weichmacher zugefügt. Dieser allerdings erhöht die (Lisa Peters [F.D.P.]: Zuhören, Herr Fischer! Entflammbarkeit. Also werden Flammschutzmittel - Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Zuhören ist nicht dazugegeben. Zur Stabilisierung der zersetzenden seine Stärke, sondern große Schwäche!) Umwelteinflüsse wie Licht und Temperaturschwan- kungen werden außerdem noch Stabilisatoren in die - Hören Sie bitte auch zu! - Dabei geht es zum einen Mischung eingebracht. Fertig ist der Cocktail. Bei um den folgenschweren Prozeß der Herstellung und unbotmäßigen Temperaturveränderungen, zum Bei- Verwertung von PVC und die Entsorgung des Bau- spiel als Folge von Kurzschlüssen oder sonstigen stoffes selber, zum anderen um die Auswirkungen Fehlfunktionen im Stromnetz, führen diese zu Ver- der unsachgemäßen Verbrennung von PVC für ätzungen, Dioxinfreisetzungen und hochgiftiger Mensch und Umwelt. Die Brandkatastrophe im Düs- Rauchentwicklung. seldorfer Flughafen hat wieder einmal vor Augen ge- führt, welche Gefahren von diesem Stoff ausgehen Aber auch bei richtiger Lagerung werden die und wie leicht aus einer Brandkatastrophe auch noch Weichmacher herausdiffundieren. Auch hier gibt es ein Chemieunglück mit unabsehbaren Folgen für die Gefahren. Bei einem Brand von PVC-haltigen Stof- Opfer werden kann. fen werden dann zusätzlich saure Dämpfe, chlorierte Kohlenwasserstoffe und Schwermetallverbindungen Herr Dr. Röhl, Sie unterstellen Politikerinnen und freigesetzt. Politikern, politisches Kapital aus der Katastrophe zu schlagen. Ich denke, wir müssen über Konsequenzen Doch damit nicht genug: Bereits bei niedrigen reden; Konsequenzen wären auch das Verbot von Brandtemperaturen entstehen hochgiftige Dioxine PVC und der Ausstieg aus der Chlorchemie. Diese und Furane. Aufgenommene Mengen von 60 bis Konsequenzen sind wir den Opfern und denjenigen, 70 Picogramm pro Person werden für einen erwach- die jetzt trauernd vor den Gräbern stehen, schuldig. senen Menschen als Richtwerte angenommen. Bei (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ einem Brand kann pro Kubikmeter Luft gut und DIE GRÜNEN) gerne das Tausendfache dieser Menge vorliegen. Bei einem normalen Lungenvolumen bleiben damit be- Die Geschichte der Chlorchemie ist die eines reits mit einem Atemzug Konzentrationen in der mächtigen Produktionszweiges in der Bundesrepu- Lunge, die einen über diese Richtwerte hinwegkata- blik und auch weltweit. Heute arbeiten über 60 000 pultieren und ins Reich der medizinischen Statistik Menschen in diesem Produktionsbereich. Das ist zu entlassen. 8886 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Eva Bulling-Schröter All dies ist kaum zu glauben angesichts der Tatsa- lem durch gravierende Sicherheitsmängel im Düssel- che, daß Alternativen bekannt sind. Diese Alternati- dorfer Flughafen verursacht worden ist. So waren ven sollten dann auch genutzt werden. Es gibt Er- Selbstschließanlagen von Brandschutztüren defekt. satzstoffe für PVC, die unschädlicher und minde- Es fehlten Warnschilder. Der Auftrag zum Schweißen stens vergleichbar gut geeignet sind. Darum meine wurde ohne Hinweis auf die Feuergefahr vergeben. ich, PVC in Kabeln, ja PVC überhaupt muß verboten Styropor wurde eingebaut, obwohl das Brandschutz- werden. Aus dem Düsseldorfer Unglück sollten end- konzept zur Erlangung der Genehmigung zum Bau lich die Konsequenzen gezogen werden. des Flughafens die Verwendung von Stoffen wie Sty- ropor untersagte. Wir können also bei aller gebote- (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ nen Vorsicht feststellen, daß bestehende Vorschriften DIE GRÜNEN) nicht beachtet wurden. Wir müssen feststellen, daß menschliches Versagen zu dieser Katastrophe führte. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Nun werden wir menschliches Versagen nie aus- Kollege Königshofen, CDU/CSU. schließen können. Insofern sind natürlich auch Fra- gen zur technischen Sicherheit aufzuwerfen. Dazu Norbert Königshofen (CDU/CSU): Herr Präsident! gehört auch die Frage nach dem Einbau von feuer- Meine Damen und Herren! Der Düsseldorfer Flugha- hemmenden Materialien. Allerdings erscheint mir fenbrand am 12. Ap ril, bei dem wir 16 Tote und mehr der Ruf nach dem totalen Verbot von PVC-Produkten als 60 Verletzte zu beklagen haben, wirft viele Fra- zu verfrüht und auch zu einseitig. Wer sich mit der gen auf. Wo sind die Ursachen dieser Katastrophe? Frage beschäftigt, weiß, daß es seit zirka 15 Jahren Welche Konsequenzen müssen wir ziehen? Was kön-- auf dem Markt sogenannte Dämmschichtbildner nen, ja was müssen wir tun, um in Zukunft ähnlich gibt, mit denen die PVC-Ummantelungen überstri- schreckliche Ereignisse zu verhindern? chen werden können und die ein Entzünden mit al- lergrößter Wahrscheinlichkeit verhindern. Dennoch erscheint mir diese Aktuelle Stunde mehr als Versuch der Grünen, von der eigenen Verantwor- Der Ersatz von PVC durch andere Stoffe birgt auch tung abzulenken. die Gefahr der Problemverschiebung in sich; denn PVC ist ein seit langem eingeführter Stoff mit einer (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- breiten Anwendungspalette, dessen chemisches Ver- NEN) halten besser erforscht ist als das fast aller anderen Schon der erste Redner der Grünen hat ja seine Rede Kunststoffe. mit Beschuldigungen an die Bundesregierung be- In diesem Zusammenhang ist sicherlich interes- gonnen. Ich bedauere dies sehr. Eine sachliche Aus- sant, daß bei der Anhörung im Deutschen Bundestag einandersetzung wäre viel sinnvoller gewesen, zum ökologischen Bauen am 13. März 1996 der Sach- (Beifall bei der CDU/CSU) verständige Großmann, der vom Bündnis 90/Die Grünen benannt worden war, ein generelles Verbot zumal auch er wissen müßte, daß die Maßnahmen von PVC aus ökologischer Sicht ablehnte. des baulichen Brandschutzes in den Landesbauord- Wir sollten daher mit Augenmaß an die Problemlö- nungen geregelt werden. Zunächst sind also die sung herangehen und voreilige Schlußfolgerungen Bundesländer gefordert, hier konkret die rot-grüne vermeiden. Warten wir also ab, welche Konsequen- Landesregierung in Düsseldorf, auch in Person Ihres zen die unabhängige Kommission, die der nordrhein Parteikollegen, des grünen Bauministers Vesper. In- westfälische Ministerpräsident Rau einsetzt, aus dem sofern wäre es richtiger gewesen, statt auf einer Ak- Düsseldorfer Flughafenbrand ziehen wird. Die Ein- tuellen Stunde zu den bundespolitischen Konsequen- setzung einer solchen Kommission macht doch nur zen zu beharren, erst im eigenen Land nach dem dann Sinn, wenn man ihre Ergebnisse abwartet, um Rechten zu sehen. sie dann vorurteilsfrei zu beraten. (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine Damen und Herren, lassen wir es also bei NEN]: Das tun wir auch! Keine Sorge! - der Verantwortung der nordrhein-westfälischen Re- Weiterer Zuruf des Abg. Joseph Fischer gierung. Lassen wir Herrn Vesper die Chance, sich ] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) [Frankfurt zu bewähren, und unterlassen wir alle Manöver, die - Herr Abgeordneter Fischer, ich weiß, daß Sie gern von der Verantwortung der rot-grünen Koalition in dazwischenreden. Wenn Sie wollen, können Sie eine Düsseldorf ablenken! Frage stellen. Sonst empfehle ich Ihnen zuzuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Es wäre auch besser gewesen, den Untersuchungs- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ bericht der Staatsanwaltschaft abzuwarten. Auch die DIE GRÜNEN]: Jetzt verstehe ich, warum am 26. April, also übermorgen, stattfindende öffentli- die CDU in Nordrhein-Westfalen sowenig che Anhörung des Ausschusses für Umweltschutz Prozente hat! Kein Wunder!) und Raumordnung des Landtages von Nordrhein- Westfalen zu diesem Thema wird - dessen bin ich Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die mir sicher - zu der dringend notwendigen Versachli- Kollegin , SPD. chung der Diskussion führen. Die Informationen, über die wir bisher verfügen, Ursula Burchardt (SPD): Meine sehr verehrten Da- weisen darauf hin, daß die Brandkatastrophe vor al- men und Herren! Die von den Grünen geforderten Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8887

Ursula Burchardt bundesgesetzlichen Empfehlungen liegen dem Bun- Es gibt Probleme, die nicht schön- und die nicht weg destag mit dem Abschlußbericht der Enquete-Kom- zureden sind, bei der Anwendung - nicht nur in mission „Schutz des Menschen und der Umwelt" seit brandgefährdeten Bereichen -, beim Recycling und Juli 1994 vor. bei der Entsorgung. Es gibt gesetzlichen Handlungs- bedarf. Das ist einvernehmlich in der Kommission (Beifall des Abg. Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: - festgestellt worden. Es wurden zwei Empfehlungen Marion Caspers-Merk [SPD]: Sie wurden vorgelegt, die sich vor allen Dingen in ihrer Reich- aber nicht umgesetzt!) weite in bezug auf Regulierungs- und Substitutions- Bedauerlicherweise sind daraus fast nirgendwo Kon- erfordernisse unterscheiden. sequenzen gezogen worden. Deswegen möchte ich Selbst im Mehrheitsvotum der Koalitionsfraktionen noch einmal darauf eingehen. wird unter anderem gefordert, die Entsorgungs- und (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Verwertungskosten von PVC in den Produktpreis zu DIE GRÜNEN]: Weiterklatschen!) integrieren, um die öffentliche Hand von Entsor- gungskosten zu entlasten. Die Überfälligkeit dieser Unter der Aufgabenstellung, Perspektiven für ei- Regelung ist angesichts des Aufwandes wegen der nen nachhaltigen Umgang mit Stoffströmen zu ent- Dioxinverseuchung auf dem Düsseldorfer Flughafen wickeln, hatten wir damals mit der Betrachtung des ganz offenkundig. Es ist Zeit, daß die Bundesregie- Stoffstroms von Chlor bewußt ein Thema aufgegrif- rung diese Konsequenzen zieht. fen, das Gegenstand öffentlicher Kontroversen war und, wie wir sehen, immer noch ist. Unser Ziel war Die SPD-Mitglieder in der Kommission einschließ- es, die Debatte zu versachlichen und die Ansätze- lich des Vertreters der IG Chemie hielten auf Grund nachhaltigen Wirtschaftens - Stoffeinsatzminimie- der mit PVC-Produkten verbundenen Probleme und rung, Kreislaufführung, Recycling - auf praktische Risiken in der Anwendung, im Recycling und in der Umsetzbarkeit zu überprüfen. Entsorgung weitergehende Konsequenzen für not- wendig. Wir empfehlen unter anderem, nicht recy- Bei der Bewertung haben wir sowohl die ökologi- clingfähige Produkte zu substituieren. In diese Kate- schen und ökonomischen als auch die sozialen Kon- gorie fallen eindeutig PVC-Kabelummantelungen; sequenzen im Blick gehabt. Diese Verknüpfung ist - denn niemand wird ernsthaft behaupten, daß man dieser Meinung waren wir einheitlich - eine ent- sie rezyklieren kann. scheidende Voraussetzung für realisierbare Nachhal- tigkeitsstrategien. Deswegen ist der Kommissionsbe- (Josef Holle rith [CDU/CSU]: Falsch, Frau richt trotz der Differenzen, die er in diesem Teil ent- Kollegin!) hält, eine Basis, um gesellschaftlich akzeptierte Kon- - Stellen Sie das einmal irgend jemandem ganz prak- versionsstrategien im Bereich Chlorchemie zu fin- tisch dar! den. Wir fordern Rücknahmepflichten und eine grund- Diese Chance wird leider nicht genutzt. Wir erle- sätzlich werkstoffliche Verwertung. Um die Entste- ben wieder einmal eine Neuauflage des alten Streits: hung von Dioxinen bei unkontrollierter Verbrennung Bist du für oder bist du gegen PVC? Sollen wir es ein- zu verhindern, soll auf den Einsatz von PVC-Ver- setzen wie bisher, oder sollen wir es verbieten? Ich bundmaterialien verzichtet werden. denke, daß dieser positionelle Schlagabtausch zwi- schen den Vertretern der Verbotsphilosophie auf der Meine Kolleginnen und Kollegen, wir werden un- einen und den Anhängern des Chemiebarocks auf sere Empfehlungen dem Bundestag als Antrag vorle- der anderen Seite zwar schlagzeilenträchtig ist und gen. Ich denke aber, unabhängig von bundesgesetz- möglicherweise hilft, die eigenen Truppen hinter sich lichen Regelungen kann sich jeder Bauherr, auch zu sammeln; damit wird aber leider jegliche Innova- Länder und Kommunen, bereits heute für die Ver- tion blockiert, und zwar nicht nur ökologische Inno- wendung von Werkstoffalternativen bei der Auf- vationen, sondern auch ökonomische Innovationen, tragsvergabe für Bauten und damit für Risiko- und Kostenminimierung und für Umwelt und Gesund- (Zustimmung bei der SPD) heitsvorsorge entscheiden. Mehr als 100 Städte und Berechtigterweise wird im Koalitionsvertrag von Gemeinden haben das bereits getan. Die Katastro- Nordrhein-Westfalen genau auf diesen Zusammen- phe von Düsseldorf sollte Anlaß sein, endlich überall, hang hingewiesen, indem gesagt wird, daß der Che- nicht nur in Nordrhein-Westfalen, diese Konsequen- miestandort in Richtung Kreislaufführung und Nach- zen zu ziehen. haltigkeit weiterentwickelt werden muß. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Wenn die PVC-Industrie in ihren Werbekampa- GRÜNEN und der PDS - Joseph Fischer gnen die Enquete-Kommission als Kronzeugin für die [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: vermeintlich absolute Unbedenklichkeit von PVC Genau darum geht es!) mißbraucht, ist dies eine bewußte Irreführung der Öffentlichkeit und bedarf der Klarstellung. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die (Marion Caspers-Merk [SPD]: Das ist wahr!) Kollegin Michaele Hustedt. Sehr geehrter Herr Röhl, als Mitglied der Kommis- sion müßten Sie das eigentlich wissen: Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe (Marion Caspers-Merk [SPD]: Müßten!) Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an meinen 8888 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Michaele Hustedt Kollegen Professor Schulhoff anknüpfen, der mit ei- Deshalb ist die zweite Lehre, die man ziehen sollte, nem Zitat von Herrn Weizsäcker geendet hat, daß daß sich ökologisches Denken, daß sich eine Politik man nach solch einer Katastrophe zur Selbstüberprü- der Vorsorge zum Schutz der Gesundheit und der fung innehalten solle. Ich möchte einige weiterge- Umwelt auch mittel- und langfristig ökonomisch aus- hende Lehren, die wir daraus ziehen sollten, hier be- zahlt. nennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erstens. In unserer hochtechnisierten Welt müssen sowie bei Abgeordneten der SPD) wir immer auch die Folgen des größten anzunehmen- Ein GAU in der Größenordnung von Tschernobyl den Unfalls mitdenken. Keine Technologie ist gegen zum Beispiel in Biblis würde nach einer Prognos-Stu- menschliches Versagen oder die unglückliche Häu- die 13 Billionen DM kosten. Das entspricht dem Brut- fung von Zufällen gefeit. Beim Düsseldorfer Flugha- tosozialprodukt einer gesamten Legislaturperiode. fen rechnete man damit, daß bei einem Brand das Dann brauchen wir die Debatte über den Standort Feuer von unten käme und die PVC-Kabel durch Deutschland oder die Zukunft des Sozialstaates über- Metallplatten vor dem Entflammen geschützt wären. haupt nicht mehr zu führen. Und wie war es mit dem Aber das Feuer kam durch Schweißarbeiten eben Rinderwahnsinn? Da wurden um des Profits wi llen von oben, und die PVC-Kabel haben sich als ver- die Tiere mit Billigfutter und Hormonen hochgemä- hängnisvolle Zündschnüre erwiesen, die den Brand stet. Immer, wenn schnellstmöglich Rendite gemacht über das Gebäude ausgebreitet und dabei hochtoxi- werden soll, kann es am Ende um ein Vielfaches teu- sche Gifte entwickelt haben. rer werden. Die entstandenen enormen Kosten sind (Josef Hollerith [CDU/CSU]: Ist wieder un somit auch Folgen ökonomischer und politischer -wahr!) Fehlentscheidungen. Wir dürfen nicht so technologiegläubig sein, daß wir Die dritte Lehre lautet: Der Markt kann viel, aber uns in der Illusion wiegen, Technik könne die abso- er kann nicht alles. Gerade wenn es darum geht, Vor- lute Sicherheit garantieren. Diese absolute Sicherheit sorge zu gewährleisten, Risiken zu minimieren und gibt es nicht, schon weil Menschen mit allen ihren den Schutz der Gesundheit zu garantieren, dann ist Grenzen mit der Technik umgehen müssen. die Verantwortung des Staates gefragt. Das kann nicht alles über Selbstverpflichtungen an die Indu- Einen Brand kann niemand ausschließen. Aber strie delegiert werden. Hier hat auch die Deregulie- wenn es brennt, wenn also der GAU eintritt, dann rung ihre Grenzen. Hier muß der Staat sagen: Bis gibt es vermeidbare Auswirkungen, zum Beispiel, hierher und nicht weiter. daß Menschen durch Dioxine und Furane noch zu- sätzlich bedroht werden. Fehlerfreundliche Techno- Was in dieser hochtechnisierten Welt an Sicherhei- logie bedeutet in diesem Fall, daß wir zukünftig des- ten gewährt werden kann, müssen wir auch anstre- wegen im Baubereich auf PVC verzichten, daß wir ben und umsetzen, auch wenn es kurzfristig nicht keine PVC-Kabel mehr verlegen und bei Sanierungs- ökonomisch gewinnträchtig erscheint. arbeiten in Altbauten die PVC-Kabel schnellstmög- Die Düsseldorfer Brandkatastrophe war kein Na- lich austauschen. turereignis, sondern eine Folge von Fehlentscheidun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen, die von Menschen getroffen wurden. Dies ver- pflichtet uns, und es gilt nicht nur für den Düsseldor- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Düsseldorfer fer Airport, nicht nur für alle Flughäfen, nicht nur für Unglücksfall ist ein gutes Beispiel auch für die deut- alle öffentlichen Gebäude, sondern generell für den sche Überheblichkeit. Beim Absturz der Birgen-Air Umgang mit dem Risiko bei allen Technologien. hieß es verächtlich „türkische Technologie". Morgen Deshalb möchte ich zum Abschluß der Hoffnung diskutieren wir über russische Technologie, über Ausdruck geben, daß wir alle es nicht bei dieser Ak- Tschernobyl und den Super-GAU, dessen Vernich- tuellen Stunde bewenden lassen, sondern es als Auf- tungspotential uns bis heute verfolgt. Auch im Atom- trag begreifen, die Folgen unseres Handelns und un- bereich hängt die Bundesregierung der Illusion an, serer Entscheidungen gründlicher und langfristiger die deutsche Technik könnte den größten denkbaren abzuschätzen. Schadensfall verhindern. Aber wenn in einem Atom- kraftwerk oder in der Gentechnologie einmal trotz al- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ler Sicherheitsvorkehrungen etwas schiefgeht, dann und bei der PDS) werden nicht nur 16 Menschenleben davon betroffen sein. Vorsorgender Schutz vor Katastrophen bedeutet hat eben auch hier, auf fehlerfreundliche Techniken mit Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort einer möglichst geringen Tiefe des Eingriffs in die Kollege Dr. Paziorek, CDU/CSU. Natur zu setzen. Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Herr Präsident! Den größten denkbaren Schadensfall mitzudenken Meine Damen und Herren! Am 12. April 1996 sind ist aus unserer Sicht im übrigen auch ökonomisch 16 Menschen durch eine Brandkatastrophe im Düs- sinnvoll. Ob Abriß oder Sanierung des Düsseldorfer seldorfer Flughafen gestorben. Viele Menschen sind Flughafens, die Folgekosten werden weit über den verletzt worden. Kosten des ursprünglichen Baus liegen, und es kön- nen Jahre vergehen, bevor das betroffene Gebäude Wenn ich mir - das will ich hier einschieben - das wieder seinem ursprünglichen Zweck dienen kann. Niveau einiger Zwischenrufe anschaue, möchte ich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8889 Dr. Peter Paziorek die Hoffnung ausdrücken, daß wir heute den - Klar ist, daß die Folgekosten bei den Aufräum Eindruck vermeiden können, der parteipolitische bzw. Sanierungsmaßnahmen im Flughafengebäude Schlagabtausch wäre für uns wichtiger als die ernst- beträchtlich sind. Während nämlich bei offenen zunehmende Ursachenforschung. Kunststoffbränden wie etwa in Lengerich die Dioxin- belastung der Umgebung sehr gering war, ist bei Wer sich die schlimme private Kehrseite der Brand- Bränden in geschlossenen Gebäuden auf Grund des katastrophe auf dem Flughafen in Düsseldorf vor anderen Brandverlaufs durchaus mit Dioxinwerten Augen hält, könnte zu dem Ergebnis kommen, daß zu rechnen, die umfangreiche Sanierungsmaßnah- eine Diskussion in diesem Hause zu einem späteren men vor einer Wiederbenutzung der Gebäude erfor- Zeitpunkt, nach der Veröffentlichung der Überprü- derlich machen können. fungsberichte, angemessener gewesen wäre. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundes- Trotz laufender Untersuchungen und einer zur Zeit tages hat 1994 in ihrem Bericht ausgeführt, daß bei noch immer unübersichtlichen Datenlage wird insbe- vielen Werkstoffen, die in der Diskussion als mögli- sondere von den Bündnisgrünen als Hauptgrund für cher Ersatz für PVC genannt wurden, wichtige Infor- die Katastrophe der Kunststoff PVC bei der Kabelum- mationen fehlen. Somit sah die Enquete-Kommission mantelung ausgemacht. davon ab, die Substitution von PVC durch andere (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Werkstoffe wegen einer nicht ausreichenden ökono- Nein! - So ist es nicht gesagt worden!) mischen und ökologischen Begründung der Ersatz- stoffe zu empfehlen. Die Kommission hat sogar dar- Meines Erachtens muß aber von voreiligen Schlüs- auf hingewiesen, daß eine solche Umstellung Gefah- sen, wie zum Beispiel der Vermehrung der techni- ren der Problemverschiebung bewirken, wenn nicht schen Regeln oder des Verbots einzelner Baustoffe - sogar zu einer Verschlechterung des gegenwärtigen das sage ich hier ganz deutlich -, abgesehen werden. Zustandes führen könnte.

Die Enquete - Kommission des Deutschen Bundes- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ tages „Schutz des Menschen und der Umwelt" - DIE GRÜNEN]: Jeder zitiert, wie es ihm diese Kommission will ich jetzt zitieren und nicht die gefällt!) Organisation, die manchmal in Zwischenrufen von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen eine Natürlich gibt es verschiedene Bereiche, in denen Rolle gespielt hat - hat 1994 zu ihrer Arbeit einen PVC nur unter zusätzlichen Schutzmaßnahmen ein- umfassenden Abschlußbericht mit dem Thema „Die gesetzt werden kann. Ich sage ganz deutlich: Sollte Industriegesellschaft gestalten - Perspektiven für die abschließende Auswertung des vorliegenden Brandfalles Anlaß zu einer Änderung der bisherigen einen nachhaltigen Umgang mit Stoff- und Mate rial- strömen" herausgegeben. Haltung geben, dann sind normative Maßnahmen dringend geboten. Es darf aber nicht der Eindruck (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Jetzt passen Sie gut entstehen, daß jetzt durch eine erneute Umwelt- auf, Herr Fischer!) schutzdiskussion zum PVC-Einsatz von einer Unter- suchung zu der Frage, ob die notwendigen Brand- In diesem Bericht hat die Enquete-Kommission schutzmaßnahmen tatsächlich eingehalten worden ausgeführt, daß nach Jahren einer intensiv geführten sind, abgelenkt werden soll. Diskussion PVC heute hinsichtlich seiner Umweltre- levanz der bei weitem am besten untersuchte Werk- Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand geht zum stoff sei. PVC sei ein Kunststoff, dessen Produktion Beispiel auch die Landesregierung von Nordrhein- bei den heutigen Produktionsverfahren zu keinen Westfalen davon aus, daß sich zum Zeitpunkt des nennenswerten Belastungen der Umwelt durch das Brandausbruches im Zwischendeckenbereich auch Entstehen spezifischer Schadstoffe führe. Auch die Baustoffe befanden, die nicht dem Brandschutzkon- Wiederverwertung sei vom Grundsatz her als gut an- zept entsprachen. Das sage ich nur noch einmal als zusehen. Hinweis auf die Ausgangssituation. Ob für den Tod der bedauernswerten Opfer bei Wenn Ergebnisse vorliegen, die umgesetzt werden dem Brand in Düsseldorf das Dioxin, das beim Ver- können, dann müssen die Konsequenzen für eine brennen von PVC entsteht, ursächlich oder die bei Änderung des bautechnischen Regelwerkes unter jedem Brand entstehenden Kohlenmonoxide oder Einschluß der EU und der Länder gezogen werden. sonstige toxische Stoffe wesentlich gewesen sind, Meine Damen und Herren, eine Katastrophe klagt muß der offizielle Bericht zum Brand im Flughafen- an und wirft Fragen auf. Aber verhindern wir, daß gebäude beantworten. vor der Bekanntgabe des Untersuchungsberichtes (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Sehr richtig!) Halbwahrheiten an die Öffentlichkeit gerichtet wer- den. 1989 schrieb selbst der BUND zum PVC-Ein- Seitens der Stadtverwaltung Düsseldorf - hier will satz: ich den Beigeordneten Friege zitieren, der schon vor- hin als Sachkenner in dieser Frage zitiert wurde - Die Alternativen können leider nicht durchge- wurde erklärt, daß die bisherigen Analysen von hend positiv gewertet werden, da sie z. T. auch bisher beobachteten Mustern abweichen und keine nicht unproblematisch sind. Rückschlüsse auf PVC als Dioxinquelle zulassen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Dies ist eine Aussage des Düsseldorfer Umweltdezer- nenten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 8890 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Ap ril 1996

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die 1994. Seither schreibt der Verband der Sachversiche- Kollegin Dr. Hendricks, SPD. rer ein Verbot von PVC-Kabeln für Bereiche mit Menschenansammlungen und mit unwiederbringlich hohen Sachwerten vor. Aus meiner Sicht haben Bund (SPD): Herr Präsident! Dr. Barbara Hendricks und Länder die Pflicht, alle einschlägigen Rechtsvor- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute, schriften, alle einschlägigen technischen Regelwerke nicht einmal 14 Tage nach der Brandkatastrophe auf zu überprüfen und die Vorschriften zur Verwendung dem Flughafen in Düsseldorf, sind immer noch sehr von Baustoffen in Gebäuden für große Menschenan- viele Fragen, die sich uns allen stellen, bei weitem sammlungen gründlich zu überprüfen und, wenn nö- nicht beantwortet. Das ist sicherlich nicht die Frage tig, zu ändern. nach dem Zusammenspiel, nach der Verkettung von unglücklichen Umständen, die während dieser Kata- Alternativen sind vorhanden, gerade im Rahmen strophe zu beobachten waren, und der Gefährlich- der Produktpalette der chemischen Industrie. Außer- keit von Baustoffen. Auch auf die Frage nach der po- dem sind ja auch Neuentwicklungen denkbar. Wenn litischen Verantwortung ist ganz sicher nicht schon also wieder der Einwand erhoben wird, das sei ein jetzt eine Antwort zu geben. Ich glaube, das sollten Anschlag auf eine bestimmte Branche, so ist er zu- alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause so rückzuweisen, weil es durchaus möglich ist, von sehen. einem als gefährlich erkannten Stoff auf einen ande- Aber folgende Fragen können wir heute schon ren zu wechseln. Es gilt im Interesse des Gesund- heitsschutzes der Menschen, die vorhandenen Alter- stellen. Reichen die geltenden Brandschutzvorschrif- ten und die Brandschutzkonzepte für Gebäude, in nativen zügig umzusetzen. - denen sich regelmäßig viele Menschen aufhalten, Was die Zukunft des Flughafens in Düsseldorf an- aus? Zwar war es ein Brand in einem Flughafen, aber belangt, so wird die Entscheidung darüber, ob die kein flugverkehrtypischer Brand. Vielmehr war es Gebäude saniert werden können oder abgerissen ein Brand in einem Gebäude, in dem sich regelmäßig werden müssen, von der bestehenden Kontamination viele Menschen aufhalten. Insofern stellt sich die abhängig sein. Selbstverständlich ist klar, daß der Frage viel weitergehend, als nur auf den Flugver- Flugbetrieb jedenfalls am Standort erhalten werden kehr bezogen. wird. Die Entscheidung aber, wie es mit den Gebäu- Müssen die beim Bau solcher Gebäude verwende- den weiter geht, wird vor dem Hintergrund der Er- ten Materialien wegen ihrer Gefährlichkeit im Fall kenntnisse, die die unabhängige Kommission aufzei- eines Brandes neu bewertet werden? Kollege Röhl gen wird, zu fällen sein. scheint dies nicht unbedingt zu wollen. Wenn wir in Kenntnis des im Prinzip Notwendigen (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Doch! Das können gleichwohl die Ergebnisse der Untersuchungskom- Sie im Protokoll nachlesen!) mission abwarten und dann die erforderlichen Schritte auf der gesetzgeberischen Ebene des Bun- Aber wenn wir die Frage bejahen, und zwar im Ein- des und der Länder tun sind wir, denke ich, alle gut vernehmen mit den Ergebnissen der Enquete-Kom- beraten. mission - die Kollegin Burchardt hat darauf hinge- wiesen -, so müssen wir uns weiter fragen: Gilt das (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolf lediglich für die Neuerrichtung solcher Gebäude, gang Schulhoff [CDU/CSU]) oder ist eine Umrüstung solcher Gebäude zwingend? Wenn ja, in welchem Zeitraum wäre eine solche Um- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der rüstung zwingend? Sicherlich sind wir uns alle dar- Kollege Pesch, CDU/CSU. über im klaren: Beim Gesundheitsschutz und bei der Sicherheit für Menschen darf und kann es keine Ab- striche geben. Hans-Wilhelm Pesch (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß wir Wenn also Standards für Bauten und im Brand- diese Aktuelle Stunde hier und heute durchführen, schutz geändert werden müssen, wenn bestimmte ist dem furchtbaren Ereignis selbst in keiner Weise Materialien nicht mehr verwendet werden dürfen angemessen. Die Verengung der Diskussion auf PVC und wenn daraus folgend eine umfangreiche Prü- ist irreführend und birgt in sich schon eine gewisse fung bestehender Bauten und eventuell deren Umrü- Polemik, die der Wahrheitsfindung sicherlich nicht stung stattfinden muß, dann müssen wir auch bereit dienlich sein kann. sein, die dadurch entstehenden höheren Kosten zu tragen. Wenn wir akzeptieren, daß der Staat als Bau- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) herr eine Vorbildfunktion hat, so müssen wir in erster (Vorsitz : Vizepräsident Dr. ) Linie öffentliche Mittel zusätzlich bereitstellen. Wenn wir in dieser Weise also neue Prioritäten setzen, wer- Darüber muß sich der Beantrager dieser Aktuellen den wir vor dem Hintergrund der Lage der öffentli- Stunde im klaren sein. chen Haushalte höchstwahrscheinlich auch Posterio- Meine Damen und Herren, diese Aktuelle Stunde ritäten setzen müssen. Darüber müssen wir uns im findet auch im falschen Hause statt. Befassen wir uns klaren sein. - das ist vielleicht ein neuer Aspekt - einmal mit der Kollege Rochlitz hat bereits darauf hingewiesen, Rechtslage in Nordrhein-Westfalen. Nach der neuen daß bisher lediglich der Verband der Sachversicherer Bauordnung des Landes Nordrhein-Westfalen kön- seine Konsequenzen gezogen hat, und zwar schon nen zur Sicherheitsüberprüfung von Bauten soge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8891

Hans-Wilhelm Pesch nannte qualifizierte Sachverständige eingesetzt wer- ßig gegebenen Rechtslage und der tatsächlichen Ab- den, die jeweils von den Ingenieurkammern bzw. Ar- läufe dieses furchtbaren Brandes der Bundesregie- chitektenkammern benannt werden. Damit sie - das rung Versäumnisse bei der Beschränkung der Ver- ist alles möglich und hat mich selbst sehr überrascht - wendung von Baustoffen wie PVC vorwerfen. dem Anspruch auf Qualifikation Genüge leisten kön- Die ursprünglich von den Grünen schon in den er- nen, können sie diese in einem sogenannten Schnell- sten Stunden sehr forcierten Kampagnen, PVC sei verfahren - ich würde mich nicht wundern, wenn der eigentliche Verursacher der schrecklichen Kata- dies in Drei-Tage-Lehrgängen vonstatten ginge - er- strophe, sind so nicht haltbar. Ich warne davor, diese langen. Dies trifft natürlich auch auf die sogenannten wirklich schrecklichen Ereignisse der vorvorigen Wo- qualifizierten Brandsachverständigen zu. che als Agitationshilfe gegen den Bau bzw. Ausbau Aus dieser Möglichkeit heraus, die die Landesbau- von Flughäfen schlechthin zu benutzen. Hier haben ordnung hergibt, könnte es mir schon erklärlich sein, wir ja in Nordrhein-Westfalen seitens der Grünen in daß, wie sich jetzt herausgestellt hat, eine 30 mal den letzten Monaten besonderen Anschauungsun- 150 Meter große Fläche mit dem absolut brennbarem terricht bekommen. Dämmstoff Styropor bestückt war und daß dies nicht Ich halte es für unbedingt notwendig, daß die je- nur einer Baugenehmigung, sondern auch allen vor- weiligen Landesbauordnungen überprüft werden, geschriebenen Überprüfungen standgehalten hat. daß eine erneute Gefahrenabschätzung der in Frage Entweder liegt hier Schlamperei bei der Überprü- kommenden Baustoffe vorgenommen wird, daß bei fung vor, was im Hinblick auf die große Anzahl der speziellen Bauten besondere Brandschutzkonzepte Opfer wirklich absolut nicht zu entschuldigen wäre, erarbeitet werden und daß eine personell qualifi- oder - was in meinen Augen noch schlimmer wäre - zierte Überprüfung aller bautechnischen Vorgänge eine völlig unzureichende fachliche Qualifikation der vor allem in Sachen Brandschutz in Zukunft gewähr- mit der Überprüfung solcher möglichen Gefahren- leistet ist. herde betrauter Personen. Ich selbst kann mir eigent- lich letztere Möglichkeit, daß hier kaum qualifizierte Ich danke Ihnen. Gutachter auf solche Objekte losgelassen werden, kaum vorstellen. Wenn das aber so ist, dann sind die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vorliegenden katastrophalen Resultate nicht verwun- derlich. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Wort der Abgeordneten Marion Caspers-Merk. Die Frage nach möglichen Konsequenzen, die sich daraus ergibt, stellt sich an den zuständigen Bau- minister des Landes Nordrhein-Westfalen doch nicht Marion Caspers-Merk (SPD): Herr Präsident! Liebe erst seit vorvorletzter Woche. Ich muß fragen, ob sich Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Debatte der zuständige Bauminister von NRW der ganzen geht eigentlich am Kern der Fragestellung der Aktu- Problematik erst seit vorvoriger Woche bewußt ge- ellen Stunde vorbei: Wir behandeln heute hier nicht worden ist. Ich glaube, über die Verantwortlichkeiten die Ursachen des Brandes. wird hier und heute im falschen Hause diskutiert. (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Warum denn nicht?) Ich empfehle dringend, sich in Zukunft nicht nur Hier ist eine Kommission eingesetzt worden, die die mit den zu verwendenden Baustoffen, sondern Ursachen untersucht, und es zeichnet sich jetzt schon gleichzeitig mit den einschlägigen Vorschriften in ab, daß es eine Mischung aus organisatorischen den jeweiligen Landesbauordnungen zu befassen, Mängeln, aus der Frage, welche Baustoffe eingesetzt die grundsätzlich zur ausschließlichen Gesetzge- wurden, aus der Frage, welche Sorgfalt bei bestimm- bungskompetenz der Länder gehören. ten Arbeiten walten gelassen wurde, und aus einer (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: So ist das!) mangelnden Informationspolitik ist. Wir wollen die- sen Ergebnissen gar nicht vorgreifen. Unbestreitbar Ich glaube, daß es im Augenblick sehr voreilig ist aber doch, daß nach einem Brand, bei dem wirk- wäre, wenn man einen bestimmten Werkstoff als lich Opfer zu beklagen waren - den Angehörigen Hauptverursacher ausmachte. Allerdings stehe ich dieser Opfer gilt unser Mitgefühl -, andere Fragen der Tatsache - das ist das eigentlich Unfaßbare -, daß gestellt werden müssen. Um diese anderen Fragen der sehr brennbare Werkstoff Styropor in so großem geht es hier heute. Umfange eingesetzt worden ist, mit Unverständnis gegenüber. Denn Styropor kann unter besonderen Die Fragen lauten: Wurde ausreichend Vorsorge Umständen - das wird auch von Fachleuten aner- bei der Auswahl von Baustoffen getroffen? Ich ver- kannt - geradezu als Brandbeschleuniger einge- weise darauf, daß jetzt eine sehr aufwendige Sanie- schätzt werden. Es müßte meines Erachtens schon je- rung notwendig ist. Haben bestimmte Baustoffe dem Laien einsichtig sein, daß zumindest zwei große durch ihr Brandverhalten dazu beigetragen, daß es Fehlleistungen bei der Errichtung des betroffenen zu dieser schnellen Ausbreitung des Brandes kam? Flughafenteils zu bemängeln sind: der großflächige Als dritte muß die Frage gestellt werden: Gibt es ei- Einsatz von schnell brennbarem Styropor und der nen bundesgesetzlichen Regelungsbedarf? Liebe fehlende Einbau von wirksamen Brand- bzw. Rauch- Kolleginnen und Kollegen, diesen bundesgesetzli- chen Regelungsbedarf gibt es. Wir sind hier heute im gasabschnitten. Deutschen Bundestag und haben nicht die Aufgabe Ich verweise noch einmal darauf, daß die Grünen der Landeshauptstadt oder des Bundeslandes Nord- offenbar in gewollter Unkenntnis der verfassungsmä- rhein-Westfalen hier zu leisten. 8892 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Marion Caspers-Merk Diesen bundesgesetzlichen Regelungsbedarf hat Jetzt wende ich mich an den Bundesbauminister, die Enquete-Kommission in ihrer Gesamtheit gese- der nach mir reden wird. Ich halte es im Moment für hen, was den Bereich PVC angeht. Herr Paziorek, nicht vertretbar, wenn Sie noch im März Greenpeace man kann sich nicht aus einem 700seitigen Enquete in einer Antwort schreiben, da man noch nicht genug Bericht die Teile herausnehmen - das sage ich auch wisse, könne man sich zu dem Bereich Weich-PVC als Vorsitzende -, die einem ins Konzept passen, und noch nicht äußern. Herr Minister, dies ist falsch. Wir die anderen weglassen. Unstreitig ist, daß sich bei wissen genug. Wir haben den Blau-Bericht. Wir ha- dem Thema Chlorchemie die Enquete-Kommission ben den Bericht der Enquete-Kommission. Wir haben um eine sachbezogene Auseinandersetzung bemüht zahllose Berichte. Wir wissen, daß wir aus bestimm- hat. Unser Votum geht weg von einer Verharmlo- ten PVC-Anwendungen aussteigen müssen, denn sung. Hier halte ich die Rolle, die die Arbeitsgemein- nur so kann man einen sachgerechten Umgang in schaft „PVC und Umwelt" auch in der öffentlichen den Bereichen garantieren, wo auch wir PVC für un- Auseinandersetzung gespielt hat, für skandalös, weil bedenklich halten. Nur mit diesem Doppelschlag verharmlost wird. Dies ist nicht zufriedenstellend, macht das Ganze Sinn. Da finde ich Ihre Antwort un- und man muß es zurückweisen. zureichend. Es geht aber auch nicht, Herr Kollege Rochlitz, um Ich appelliere an Sie; daß der Bund bei den Bun- eine pauschale Verteufelung des Werkstoffes insge- desbauten in Berlin eine Vorreiterrolle spielt, indem samt. Das sage ich auch in Richtung der Kollegin von er Risiken ausschließt, indem er im Kabelbereich auf der PDS. Ich wäre einmal gespannt, zu erfahren, ob PVC verzichtet, um Risiken für Mensch und Umwelt sie diese Rede auch in Leuna gehalten hätte. zu verhindern, um ein Beispiel für Innovation zu ge- - ben und um ein Stück weit dazu zu verhelfen, daß (Dr. Klaus Röhl [F.D.P.]: Sehr gut! - sich alternative Produkte am Markt durchsetzen. Dr. Barbara Höll [PDS]: Ja!) Vielen Dank. Um beides kann es nicht gehen. Wir haben be- (Beifall bei der SPD) stimmte Bereiche der Chlorchemie untersucht und für jeden einzelnen Punkt Maßnahmen vorgeschla Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem gen. Beim Bereich PVC unterteilt sich im übrigen als Abgeordneten Josef Holle rith das Wort. einzigem Bereich der Kommissionsbericht in ein Mehrheits- und ein Minderheitsvotum. Aber auch Josef Hollerith (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine das Mehrheitsvotum sieht einen Regelungsbedarf. sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion Unstreitig war für alle Beteiligten, daß es eine all- um den Werkstoff PVC hat in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der schrecklichen Brandkata- gemeine Kennzeichnungspflicht für Kunststoffe ge- ben muß. Dies ist nicht umgesetzt; hier herrscht Re- strophe auf dem Düsseldorfer Flughafen ein Ausmaß gelungsbedarf. Unstreitig war zweitens, daß die Ent- erreicht, das jegliche sachliche Grundlage vermissen sorgungskosten für Kunststoffe, insbesondere für den läßt. Ideologisch verklärte Thesen zur Umweltver- Bereich PVC, in die Produktionskosten eingerechnet träglichkeit von PVC haben diesen Werkstoff umstrit- werden müssen. Auch das ist bis heute nicht erfolgt. ten werden lassen und zu Vorbehalten und Verbots- forderungen geführt. Unstreitig war ferner, daß nur dann, wenn die Entsor- gung die ökologische Wahrheit sagt, Alternativen zu Eine Rückkehr zur Sachlichkeit in der PVC-Dis- PVC überhaupt eine Chance haben, sich am Markt kussion ist unbedingt nötig. Hierzu gehört auch an- durchzusetzen. Das war auch über alle Fraktionen zuerkennen, daß die Enquete-Kommission des Deut- unstrittig. schen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt" in ihrem Abschlußbericht im September Dann gibt es von uns als SPD-Bundestagsfraktion 1994 PVC hinsichtlich seiner Umweltrelevanz als den und mit unseren Sachverständigen - im übrigen „bei weitem am besten untersuchten Werkstoff" be- auch mit dem Sachverständigen Dr. Henning Friege, zeichnet hat. Auch die Bestätigung der Enquete- der das mit den Gewerkschaften formuliert hat - ein Kommission, daß eine ökologisch verträgliche Ver- Minderheitsvotum. Das Minderheitsvotum geht ein wertung und Entsorgung von PVC möglich sei, gilt Stück darüber hinaus. Wir fordern zusätzlich einen es in diesem Zusammenhang zu akzeptieren. Ausstieg aus allen Verbünden. Dazu gehört der Un- terbodenschutz bei einem Pkw genauso wie der Ka- Weder was besondere Risiken beim Herstellungs- belbereich. Er war immer mit gemeint. prozeß noch bei der Anwendung der Produkte oder deren Entsorgung betrifft, ist die Kritik der PVC- Wir haben, Herr Kollege Paziorek, einen ganzen Gegner haltbar. Die PVC-Produktion bringt, ebenso Abschnitt darauf verwendet, das Thema Brandver- wie die gesamte Chlorchemie, keine besonderen Ri- halten von PVC zu untersuchen. Wir haben auch da siken in bezug auf Arbeitsschutz oder Arbeitssicher- gesagt, es gibt ein Risiko. Deswegen haben wir als heit mit sich. Minderheitsvotum gefordert, daß man in brandge- (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ fährdeten Bereichen auf PVC verzichtet. Dies läßt DIE GRÜNEN) sich nachlesen. Deswegen fordern wir auch ganz klar einen Ausstieg bei mit PVC ummantelten Ka- PVC-Produkte zeichnen sich durch große Langlebig- beln. Hier gibt es Ersatzstoffe, die unbedenklich keit und schwere Entflammbarkeit aus. 60 Prozent sind. Das Kostenargument lassen wir nicht gelten. des in Deutschland bzw. Westeuropa produzierten Sie sind etwas teurer. PVC werden daher im Baubereich verwendet, etwa Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8893

Josef Hollerith für langlebige Rohrleitungen und Fensterrahmen. A ll wirklich alle Fragen zu beachten. Offenheit ist es, diese Produkte sind nicht nur energiearm in der Her- was wir einfordern müssen. stellung, sondern auch einfach zu warten und, im Gegensatz zu zahlreichen anderen Werkstoffen, we- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sentlich einfacher wiederzuverwerten. Die Forde- Daß wir uns für diese sachliche Analyse und die rung, PVC durch abbaubare Kunststoffe zu ersetzen, dann darauf aufbauende verantwortbare Therapie ist in diesem Zusammenhang unverständlich. PVC dringlich die Kraft nehmen, ist wesentlich mehr, als wird gerade im Baubereich für Produkte eingesetzt, wenige Stunden nach der Katastrophe schon alle bei denen ein mikrobieller Abbau unerwünscht ist Antworten parat zu haben. wie etwa bei Rohren für Trinkwasser und Abwasser, bei Fenstern, Dachbahnen und Kabelisolierungen. Meine Damen und Herren, ich kann dazu wirklich ganz unverdächtige Zeugen zitieren. Heute disku- Auch beim schneidet der Werkstoff PVC Recycling tiert man im nordrhein-westfälischen Landtag auch gut ab. Jede Gemeinde und jeder Bürger hat heute darüber. Mir liegt die Regierungserklärung von Mi- die Möglichkeit, sich an der Wiederverwertung von nisterpräsident Rau vor. Rohren, Fenstern, Bodenbelägen oder Verpackungen - sei es über das DSD oder durch gesonderte Samm- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ lungen - zu beteiligen. DIE GRÜNEN]: Uns auch!) Darüber hinaus bieten einzelne Firmen für ihre Ich darf daraus zitieren: „Sobald die Brandursachen Produkte Rücknahme- und Verwertungsgarantien geklärt sind, wird die Landesregierung konkrete etwa bei Kraftfahrzeugteilen, Scheck- und Telef on- Vorschläge machen. " karten sowie Folien an. Frau Caspers-Merk, erst die Ursachen klären und All diese Gründe, insbesondere aber die hohen dann die Konsequenzen ziehen und nicht sagen: sprechen gegen ein Ersetzen Substitutionskosten, Nun laßt die einen die Ursachen untersuchen, und des Werkstoffes PVC. So kommt die im Dezember wir ziehen inzwischen die Konsequenzen. Der Mi- 1994 von der Schweizer Prognos AG vorgelegte Stu- nisterpräsident nimmt hierzu ganz deutlich Stellung: die zu dem Ergebnis, daß die Herstellung eines PVC- Erst dann, wenn die Ursachen erarbeitet worden sind Ersatzstoffes einen um 20 Prozent höheren Ener- und belastbare Ergebnisse vorliegen, läßt sich zum gieaufwand benötigen und somit Mehrkosten von Beispiel sagen, ob Standards für Bauten und für den liarden DM verursachen würde. rund 6,6 Mil Brandschutz verändert werden müssen, ob be- Eine Atmosphäre der Sachlichkeit, in der diese Ar- stimmte Materialien nicht mehr verwendet werden gumente für PVC als Werkstoff zur Kenntnis genom- dürfen, ob weitere Bauten überprüft werden müssen. men werden, ist daher mehr als wünschenswert. Sie kommen hierher und sagen: Wir haben bereits Ich fordere die öffentliche Hand auf, den Einsatz alle Konsequenzen gezogen. Das kann doch der Sa- von PVC, zum Beispiel im Baubereich, entschiedener che nicht gerecht werden. Das ist mein Ansatz. zu fördern. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Widerspruch bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS - Albert Wenn ich in meiner ersten Reaktion darauf hinge- Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE wiesen habe, daß wir uns natürlich nicht passiv dane- GRÜNEN]: Keine Hand rührt sich bei der benstellen und sagen können, die einen analysieren Union! - Zuruf von der SPD: Haben Sie Ihre nur und untersuchen, und wir ziehen dann die Kon- Rede auf PVC-Folie geschrieben? - Weitere sequenzen, und daß wir unmittelbar an den Kollegen Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Meyer, den Bauminister von Brandenburg, geschrie- DIE GRÜNEN) ben haben, daß wir diesen Punkt auf der nächsten AG Bauminister behandeln wollen, dann ist das nicht ein Ablenken nach dem Motto: Der Töpfer sucht Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und jemand anderen, dem er die Schuld zuschiebt. Es handelt sich vielmehr um die klare Feststellung, Städtebau, Dr. Töpfer, das Wo rt. daß richtigerweise in den Landesbauordnungen der Brandschutz geregelt wird. Dies bei den Ländern zu Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- regeln, ist doch darin begründet, daß etwa bei den nung, Bauwesen und Städtebau: Herr Präsident! Feuerwehren die Kenntnisse mit erarbeitet werden, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach ei- die gerade in diese Landesbauordnungen mit einge- ner so unendlich tragischen Katastrophe sind Angst, bracht werden müssen. Sorge, Emotionen und auch Unsicherheit angesichts der Verletzlichkeit unserer modernen Gesellschaft Ich gehe nicht hin und kritisiere an irgendeiner als Reaktionen der Bevölkerung sehr verständlich. Stelle eine Landesbauordnung. Nach einer solchen Katastrophe ist häufig aber auch die Verlockung sehr groß, in diesen Katastrophen die (Zuruf von der SPD: Wie nett!) Bestätigung vorgefaßter Meinungen zu sehen. Dies - Nein, nicht „wie nett" , wie selbstverständlich! ist nicht verständlich und auch nicht zu verantwor- ten. Wer so an eine Katastrophe und die Lehren, die (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ daraus zu ziehen sind, herangeht, wird zu schnell ein DIE GRÜNEN]: Wir lieben unseren Klaus! - Urteil haben und nicht mehr offen genug sein, um Heiterkeit) 8894 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer - Das ist schon mal etwas we rt. Ich bitte, dies aus- - Die Kabel dort stammen aus einer anderen Zeit. drücklich im Protokoll aufzunehmen. Daran können Außerdem ist das ein anderes Gebäude, Herr Kollege Sie sehen, daß die eigene Karriere immer noch wei- Fischer. tere Höhepunkte haben kann. Meine Damen und Herren, ich sage dies nur, weil (Heiterkeit bei der CDU/CSU) derjenige, der hier hinkommt und sagt: Ich weiß Meine Damen und Herren, mir ist die Sache zu schon alles!, schnell in die Situation kommt, dort, wo ernst, um sie auf diese Ebene herunterzuziehen. Des- man in unserer Industriegesellschaft Risiken vermin- wegen möchte ich letzteres fast lieber wieder gestri- dern kann, die falschen Schlüsse zu ziehen. chen haben. Es ist völlig richtig, wenn der Kollege Königshofen Ich will es ganz deutlich sagen: Das ist eine unend- sagt: Es gibt auch die Möglichkeit, dies mit einer lich ernste Fragestellung. Ich will nicht in die Situa- Masse zu ummanteln. Das ist bekannt; fragen Sie tion geraten, so zu tun, als hätte ich den großen war- Herrn Achilles. Eine solche Regelung scheint mir nenden Finger und als würde ich sagen können: Das bei solchen Gebäuden auch in der Nachrüstung habt Ihr in den Landesbauordnungen nicht geregelt. eher sinnvoll zu sein, als wenn jemand hierherkommt Wir müssen dahin kommen, zu sagen: Dann müssen und sagt: Wir reißen jetzt überall die Kabel heraus! wir auch die Musterbauordnung untersuchen. Lassen Sie uns doch die Analysen vornehmen und dann die Konsequenzen ziehen! Das ist der Punkt, Natürlich haben wir uns bemüht, in diesem einzel- auf den ich mit aller Nachdrücklichkeit hinweisen nen Fall sachverständig zu werden. Wir kennen den möchte. Kollegen Friege schon eine ganze Zeitlang und ha-- ben selbstverständlich telefonisch Kontakt aufge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nommen. Die Analysen der Dioxine sind auch ein Dies muß bis zu der Frage weitergefüh Teil der Spurenlese, woher sie stammen. Er hat ge- rt werden, wie sagt: Bisher kann man die Muster noch nicht auf wir andere Risiken dadurch mit in den Griff bekom- men. PVC und PCB beziehen; wahrscheinlich kann man es nachweisen. Es wäre eigentlich auch überra- Meine Damen und Herren, ich habe mich mit den schend, wenn dies nicht enthalten wäre. dafür zuständigen Fachleuten unterhalten. Wenn es (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sicher!) irgendwo auf der Welt Fragen bezüglich PVC und Dioxin-Bildung gibt, kommen die Leute nach Es ist aber offenbar deutlich geworden, daß es nicht Deutschland. Das ist gar keine Frage. Sie haben die nur das ist. Studie, die damals für das Bundesumweltamt ge- macht worden ist, die Blau-Studie, selbst erwähnt. Die antragstellende Fraktion sagt selbst, wir sollten Damals war man schon Handelnder; man hat dies uns mit um PCB kümmern. Meine Damen und Her- wirklich verfolgt. ren, ich habe da aus meinem vorangegangenen Tun einige Kenntnisse: PCB ist in der Bundesrepublik Ich stelle mich doch auch nicht hierhin und sage: Deutschland seit 1983 verboten. Seit den 70er Jahren In Hessen hatten sie mal technische Richtwerte für ist es nur noch in geschlossenen Systemen erlaubt, den Hausbau. Damals, 1989, wurde PVC verboten, seit 1989 überhaupt nicht mehr. Das einzige, was uns hinterher wurde dieses Verbot wieder aufgelockert. im Augenblick in bezug auf PCB interessiert, ist, wie wir die Altlasten beseitigen. Das, was möglicher- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ weise noch in Fugen, Dichtungen und sonstigem ent- DIE GRÜNEN]: Mit den Stimmen der Frak halten ist, hat Dioxin-Wirkungen. Wir weichen doch tionen! Wir sind nicht umgefallen!) der Sache nicht aus. Wir müssen doch fragen: Wo lie- gen die Ursachen wirk lich? - Das meine ich doch: mit den Stimmen aller Fraktio- nen. - Dann können Sie aber doch nicht so tun, als Dann muß ich mich mit dem Stoff auch im Zusam- hätten wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht. Dies menhang mit Bränden in Gebäuden beschäftigen. ist vordergründige parteipolitische Polemik. Die soll- Jeder, der sich damit ein wenig beschäftigt - so habe ten sie in diesem Zusammenhang lassen, meine Da- ich mich wenigstens informieren lassen -, der sagt: men und Herren. Es muß ein ganzheitliches Brandschutzkonzept ent- wickelt werden. Das ist auf das jewei lige architekto- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nisch gestaltete Gebäude hin zu optimieren. Ich sage noch einmal dazu: Diejenigen, die wirk- Frau Caspers-Merk, dieses Gebäude, in dem wir lich etwas weiterentwickeln wollen, setzen sich jetzt jetzt diskutieren, ist durch die architektonischen An- hin und fragen, was wir aus dieser Katastrophe her- forderungen - für Fachleute: F30 -, also durch die aus zusätzlich aufnehmen können, um der - gewach- leichten Stahlkonstruktionen, in besonderer Weise senen Wirtschaftsstruktur zu entsprechen. korrosionsgefährdet gewesen. Deswegen haben meine Vorgänger beschlossen, in diesem Gebäude Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das ab- halogenfreie Kabel zu verlegen. Hier liegen 28 Ki- schließend zitieren, nur damit die Dinge klar sind. Im lometer halogenfreie Kabel. November letzten Jahres hat Herr Kollege Vesper ge- sagt, für Nordrhein-Westfalen habe er keineswegs (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ für ein PVC-Verbot plädiert. Er hat gesagt, er wolle DIE GRÜNEN]: Im Hochhaus Tulpenfeld im Bau Veränderungen sehen, aber er wolle kein nicht!) PVC-Verbot. Wer ihm aber zugehört hat, der kann Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8895 Bundesminister Dr. Klaus Töpfer nur zu dem Ergebnis kommen: Das ist ein Kunststoff Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die Aktuelle von einer derartig grauslichen Qualität, daß man al- Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unse- len angst machen muß, die ihn verwenden. Nein, so rer heutigen Tagesordnung. geht es nicht. Wo wir sinnvollerweise etwas verän- dern können, dort sollen wir es verändern. Das wird Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- die Bundesregierung weiterhin tun. destages auf morgen, Donnerstag, den 25. April 1996, 9 Uhr ein. Ich danke Ihnen sehr herzlich. Die Sitzung ist geschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Schluß der Sitzung: 15.27 Uhr)

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8897*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Abgeordnete(r) entschuldigt bis Liste der entschuldigten Abgeordneten einschließlich Steenblock, Rainder BÜNDNIS 24.4. 96 Abgeordnete(r) entschuldigt bis 90/DIE einschließlich GRÜNEN Antretter, Robert SPD 24.4. 96 * Steindor, Marina BÜNDNIS 24. 4. 96 90/DIE Barnett, Doris SPD 24.4. 96 GRÜNEN Beer, Angelika BÜNDNIS 24. 4. 96 Terborg, Margitta SPD 24. 4. 96* 90/DIE GRÜNEN Tröger, Gottfried CDU/CSU 24. 4. 96 Behrendt, Wolfgang SPD 24.4. 96 * Vosen, Josef SPD 24.4. 96 Belle, Meinrad CDU/CSU 24. 4. 96 Wallow, Hans SPD 24.4. 96 Bindig, Rudolf SPD 24. 4. 96 * Weis (Stendal), Reinhard SPD 24. 4. 96 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 24.4. 96 * Wiefelspütz, Dieter SPD 24. 4. 96 Erler, Gernot SPD 24.4. 96 Wonneberger, Michael CDU/CSU 24. 4. 96 ** Dr. Feldmann, Olaf F.D.P. 24. 4. 96 * Zierer, Bruno CDU/CSU 24.4. 96* Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 24. 4. 96 * Gleicke, Iris SPD 24.4. 96 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Haack (Extertal), SPD 24. 4. 96 * sammlung des Europarates Karl Hermann ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Ver- Dr. Hausmann, Helmut F.D.P. 24. 4. 96 sammlung Horn, Erwin SPD 24. 4. 96 * Hornung, Siegfried CDU/CSU 24.4. 96 * Jelpke, Ulla PDS 24. 4. 96 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 24. 4. 96 * Anlage 2 Kauder, Volker CDU/CSU 24.4. 96 Antwort Kriedner, Arnulf CDU/CSU 24.4. 96 * des Parl. Staatssekretärs Rudolf Kraus auf die Fragen Kuhlwein, Eckart SPD 24. 4. 96 des Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim (SPD) Labsch, Werner SPD 24. 4. 96 (Drucksache 13/4403 Fragen 1 und 2): Dr. Graf Lambsdorff, F.D.P. 24.4. 96 Wie viele Arbeitnehmer waren in der Bundesrepublik Otto Deutschland in den zwei zuletzt verfügbaren Erhebungszeiträu- men in Betrieben mit bis zu fünf, zwischen sechs und 15, zwi- Lederer, Andrea PDS 24. 4. 96 schen 15 und 50 und in Betrieben mit über 50 Beschäftigten be- schäftigt? Lummer, Heinrich CDU/CSU 24. 4. 96 * Maaß (Wilhelmshaven), Wie werden sich die Zahlen der Arbeitnehmer in den jeweili- CDU/CSU 24.4. 96 gen Betriebsgrößenklassen (wie Frage 1) nach Einschätzung der Erich Bundesregierung in den nächsten Jahren entwickeln? Marten, Günter CDU/CSU 24. 4. 96 * Zu Frage 1: Mehl, Ulrike SPD 24.4. 96 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 24. 4. 96 Es liegt keine vollständige Statistik über die Ver- teilung aller Arbeitnehmer auf Betriebsgrößenklas- Nelle, Engelbert CDU/CSU 24. 4. 96 sen vor, sondern lediglich die Statistik über die Ver- Poß, Joachim SPD 24.4. 96 teilung der sozialversicherungspflichtigen Arbeit- Dr. Probst, Albe rt CDU/CSU 24. 4. 96 * nehmer auf Betriebsgrößenklassen. Diese Statistik wird nicht mit den von Ihnen erbetenen Größenklas- Rixe, Günter SPD 24. 4. 96 sen geführt, sondern mit anderen Größenklassen. Dr. Scheer, Hermann SPD 24.4. 96 * Die neuesten verfügbaren Ergebnisse dieser Statistik Schloten, Dieter SPD 24. 4. 96 * für die Jahre 1993 bis 1995 füge ich bei. Im März 1995 waren 10,5 % aller sozialversicherungspflichti- Schluckebier, Günther SPD 24. 4. 96 * gen Beschäftigten in Bet rieben mit bis zu 5 Beschäf- Schmidt (Aachen), Ulla SPD 24.4. 96 tigten beschäftigt, 6,5 % in Bet rieben mit 5 bis von Schmude, Michael CDU/CSU 24. 4. 96 * 9 Beschäftigten, 9,8 % in Bet rieben mit 10 bis 19 Beschäftigten, 13,7 % in Betrieben mit 20 bis Schumann, Ilse SPD 24. 4. 96 49 Beschäftigten und 59,5 % in Bet rieben mit 50 und Seuster, Lisa SPD 24. 4. 96 mehr Beschäftigten. 8898* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996

Anlage Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach Betriebsgrößenklassen

Bundesgebiet West Bundesgebiet Ost Deutschland beschäftigt in Betrieben mit . . . März 1993 März 1994 März 1995 März 1994 März 1995 März 1994 März 1995

1 bis 5 Beschäftigte 2 343 312 2 376 305 2 390 429 533 076 558 964 2 909 381 2 949 393 6 bis 9 Beschäftigte 1 435 365 1 458 317 1 462 675 330 866 355 300 1 789 183 1 817 975 10 bis 19 Beschäftigte . . 2 111 862 2 137 755 2 155 930 541 523 586 706 2 679 278 2 742 636 20 bis 49 Beschäftigte . . 2 920 549 2 938 432 2 945 228 822 868 897 726 3 761 300 3 842 954 50 bis 99 Beschäftigte 2 400 666 2 395 321 2 426 616 640 450 682 328 3 035 771 3 109 144 100 bis 499 Beschäftigte 5 608 149 5 485 727 5 486 012 1 339 099 1 315 663 6 824 826 6 801 675 500 und mehr Beschäftigte 6 342 098 5 930 244 5 689 357 1 197 918 1 109 343 7 128 162 6 798 700

Insgesamt 23 162 001 22 722 101 22 556 447 5 405 800 5 506 030 28 127 901 28 062 477

Bundesgebiet West Bundesgebiet Ost Deutschland beschäftigt in Betrieben mit . . März 1993 März 1994 März 1995 März 1994 März 1995 März 1994 März 1995

1 bis 5 Beschäftigte 10,12% 10,46% 10,60% 9,86% 10,15 % 10,34 % 10,51% 6 bis 9 Beschäftigte 6,20 % 6,42 % 6,48 % 6,12 % 6,45 % 6,36 % 6,48 % 10 bis 19 Beschäftigte . . 9,12 % 9,41 % 9,56 % 10,02 % 10,66 % 9,53 % 9,77 % 20 bis 49 Beschäftigte . . 12,61 % 12,93 % 13,06 % 15,22 % 16,30 % 13,37 % 13,69 % 50 bis 99 Beschäftigte . 10,36 % 10,54 % 10,76 % 11,85 % 12,39 % 10,79 % 11,08 % 100 bis 499 Beschäftigte 24,21 % 24,14 % 24,32 % 24,77 % 23,89 % 24,26 % 24,24 % 500 und mehr Beschäftigte 27,38 % 26,10 % 25,22 % 22,16% 20,15 % 25,34 % 24,23 %

Insgesamt 100,00% 100,00% 100,00% 100,00 % 100,00% 100,00 % 100,00%

Quelle: Beschäftigtenstatistik der Bundesanstalt für Arbeit

Zu Frage 2: Die von der Bundesregierung am 3. Juni 1992 be- schlossene Gesamtkonzeption enthält hinsichtlich Es liegt keine definitive Prognose vor. Die Bundes- der Ausgestaltung der zweiten Dienstsitze der in regierung geht aber davon aus, daß der Anteil der Bonn verbleibenden Bundesministerien entspre- Arbeitnehmer in kleineren und mittleren Bet rieben chende Festlegungen. Die Entscheidung über die in den nächsten Jahren weiter ansteigen wird. Ausgestaltung im einzelnen obliegt nach der verfas- sungsrechtlichen Kompetenzverteilung der jeweili- gen Ressortverantwortung. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die in Anlage 3 Bonn verbleibenden Ressorts ihre Festlegungen im Rahmen der Beschlußlage vom 3. Juni 1992 vorneh- Antwort men. des Parl. Staatssekretärs Joachim Günther auf die Frage des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) (Drucksache 13/4403 Frage 3): Anlage 4 Wie ist die Ansiedlung der Führungsebene des Bundesmini- steriums der Verteidigung in Berlin mit der gültigen Beschluß- Antwort lage vom Deutschen Bundestag und der Bundesregierung zu vereinbaren, wonach g rundsätzlich bei einem in Bonn verblei- des Parl. Staatssekretärs Klaus-Jürgen Hedrich auf benden Ressort die Leitung nur zeitweise in Berlin präsent sein soll, und welche anderen Bonn-Ressorts planen ähnliche Kopf- die Frage des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) stellen-Modelle? (Drucksache 13/4403 Frage 6): Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8899*

Sind der Bundesregierung die konkreten Auswirkungen der Weitere Überlegungen der Deutschen Bahn AG israelischen Absperrungsmaßnahmen um die Gebiete der palä- und der „Rollierenden Planungsrunde" zur Rhein- stinensischen Selbstverwaltung auf die Projekte der Entwick- lungszusammenarbeit mit den palästinensischen Gebieten be- Neckar-Region sind der Bundesregierung im einzel- kannt? nen nicht bekannt.

Die israelischen Absperrungsmaßnahmen führen Zu Frage 9: zu Behinderungen hinsichtlich der Mobilität von Per- Über die in der Antwort zu Frage Nr. 8 enthaltenen sonen und Gütern und damit zu Verzögerungen und Informationen hinausgehende Erkenntnisse liegen Erschwernissen bei der Durchführung von fast allen der Bundesregierung nicht vor. Projekten der Entwicklungszusammenarbeit. Beson- ders betroffen ist das Polytechnikum in Hebron, das von der israelischen Regierung sogar geschlossen wurde. Anlage 6

Antwort

Anlage 5 des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage des Abgeordneten Rolf Schwanitz (SPD) Antwort (Drucksache 13/4403 Frage 21): Wie viele Internierte in den Speziallagern der ehemaligen So- des Parl. Staatssekretärs Johannes Nitsch auf die wjetischen Besatzungszone Deutschlands sowie Verurteilte Fragen des Abgeordneten Klaus Dieter Reichardt durch ein Sowjetisches Militärtribunal wurden insbesondere (Mannheim) (CDU/CSU) (Drucksache 13/4403 Fra- wegen des Ausschließungsgrundes in § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Häft- lingshilfegesetzes (HHG) gemäß § 10 Abs. 4 dieses Gesetzes gen 8 und 9): nicht als ehemalige politische Häftlinge anerkannt, und in wel- chem Verhältnis steht diese Ablehnungszahl zu den insgesamt Welche Maßnahmen wurden nach Kenntnis der Bundesregie- erteilten Bescheinigungen nach § 10 Abs. 4 HHG? rung ergriffen, um die Rhein-Neckar-Region bei den Vorhaben der Deutschen Bahn AG zum Ausbau des Kombinierten Ver- kehrs als Ballungszentrum mit der siebtgrößten Einwohnerzahl Über die Gründe der Ablehnungen von Anträgen in der Bundesrepublik Deutschland mit entsprechender Priorität auf Erteilung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des zu berücksichtigen? Häftlingshilfegesetzes (HHG) gibt es keine statisti- schen Angaben. Wie ist der derzeitige Stand der Beschaffung von Flächen durch Erwerb, und in welchem Zeitraum sind weitere Investi- Generell beträgt die Zahl der Ablehnungen in Re- tionen (Angabe der Höhe) vorgesehen? lation zu den insgesamt ausgestellten Bescheinigun- gen ca. 12 Prozent. Zu Frage 8:

Grundlage für den Aus- bzw. Neubau der Um- schlagbahnhöfe des Kombinierten Verkehrs in der Rhein-Neckar-Region ist das „Kombinierte Verkehr- Anlage 7 Standort-Entwicklungskonzept Schiene-Straße 2010 für Terminalverkehre" der Deutschen Bahn AG. Im Antwort Rahmen des Entwicklungskonzepts ist für den Zeit- horizont 2010 die Schaffung zusätzlicher Umschlag- des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die kapazitäten im Standortraum Mannheim/Ludwigs- Frage des Abgeordneten Manfred Such (BÜNDNIS 90/ hafen mit einem Investitionsvolumen von rund DIE GRÜNEN) (Drucksache 13/4403 Frage 23): 150 Millionen DM vorgesehen. Weitere Umschlag- Hinsichtlich welcher der im Zentrum, Reichstagsbereich und kapazitäten werden mit einer neuen Umschlagan- Regierungsviertel von Berlin geplanten Tunnel sind zur Mitnut- lage in Kornwestheim geschaffen, mit deren Bau zung als Bunker zivilschutztaktische Gutachten erstellt worden noch in diesem Jahr begonnen werden soll. Für und Subventionen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungs- das Neubauvorhaben Umschlagbahnhof Kornwest- gesetz vorgesehen, und welche Sicherheitsbedenken hinsicht- lich terroristischer Gefährdungen hat das Bundeskriminalamt zu heim stellt der Bund Investitionsmittel in Höhe von den einzelnen Tunnels jeweils vorgetragen? 87,4 Millionen DM zur Verfügung. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, das im Generell erfolgt die Finanzierung der Terminals Zusammenhang mit den Regierungsneubauten in des Kombinierten Verkehrs durch die Bundesregie- Berlin geplante Tunnelsystem zur gleichzeitigen Er- rung auf Antrag der Deutschen Bahn AG, die über richtung von Schutzräumen zu nutzen, so daß sich die Reihenfolge der Anträge und damit über die Prio- die Erstellung von zivilschutztaktischen Gutachten rität der Standorte entscheidet. Sie berücksichtigt da- als entbehrlich erwies. bei Prioritäten der sogenannten „Rollierenden Pla- nungsrunde", in der das Verkehrsgewerbe (Kombi- Soweit es sich bei den einzelnen Tunnelbau- Verkehr KG) und der Bereich Güterverkehr der vorhaben um öffentliche Verkehrsbauten handelt Deutschen Bahn AG vertreten sind. Die Bundesre- (U-Bahn-Linie 5 und Bundesstraße 96) liegt die Bau- gierung hat auf die Prioritätensetzungen keinen Ein- last beim Land Berlin und ist von diesem im Rahmen fluß. der Vorschrift des § 6 Abs. 2 des Gemeindeverkehrs- 8900* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Ap ril 1996 finanzierungsgesetzes zu fördern, ergänzt um Mittel Die Fehlbetragsergänzungszuweisungen belaufen des Bundes gemäß dem Vertrag zwischen der Bun- sich auf rd. 210 Millionen DM. Zudem erhält das desrepublik Deutschland und dem Land Berlin vom Saarland Übergangsergänzungszuweisungen in 30. Juni 1994. Höhe von 72 Millionen DM als Ausgleich für über- proportionale Belastungen durch die Neuregelung Soweit einzelne Tunnelbauvorhaben lediglich dem des bundesstaatlichen Finanzausgleichs. Verkehr zwischen Liegenschaften des Parlaments und Oberster Bundesbehörden untereinander die- nen, also keinen öffentlichen Verkehr aufnehmen, stellt sich die Frage nach einem Subventionsbedarf nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz nicht. Anlage 9

Das Bundeskriminalamt (BKA) ist bei den konkret Antwort geplanten Tunneln im einzelnen nicht beteiligt wor- den. des Parl. Staatssekretärs Dr. Heinrich L. Kolb auf die Fragen des Abgeordneten Michael Teiser (CDU/ CSU) (Drucksache 13/4403 Fragen 27 und 28):

Aus welchen Staaten der Asien-Pazifik-Region neben der Anlage 8 Republik Taiwan dürfen zur Zeit von deutschen Werften aus politischen Gründen keine Fregatten bzw. U-Boote in Auftrag genommen werden, und welche Gründe sprechen im Einzelfall Antwort für die jeweilige Beschränkung? des Parl. Staatssekretärs Hansgeorg Hauser auf die Welche Wettbewerbsnachteile und Umsatzverluste entstehen Fragen des Abgeordneten Manfred Kolbe (CDU/ den deutschen Werftstandorten durch politisch begründete CSU) (Drucksache 13/4403 Fragen 25 und 26): Lieferbeschränkungen im Marineschiffbau, und welche Mög- lichkeiten sieht die Bundesregierung, entsprechende Nachteile In welcher Höhe sind nach den derzeitigen Berechnungskrite- für deutsche Weilten zu kompensieren? rien des Bundesministeriums der Finanzen für sog. „Brutto- transfers nach Ostdeutschland" seit 1995 derartige „Brutto- transfers" nach Bayern geflossen? Zu Frage 27: In welcher Höhe sind nach den derzeitigen Berechnungskrite- rien des Bundesministeriums der Finanzen für sog. „Brutto- Die Prüfung der einzelnen Genehmigungs- bzw. transfers nach Ostdeutschland" seit 1995 dera rtige „Brutto- Versagungskriterien findet jeweils für den konkreten transfers" in das Saarland geflossen? Einzelfall unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Sachlage statt. Ich Für die neuen Bundesländer werden zwar die bitte daher um Verständnis, daß die Nennung einzel- Transferleistungen des Bundes - zum Teil durch ner Länder, für die Genehmigungen nicht erteilt wür- Schätzungen - ermittelt und veröffentlicht. Bei der den, aufgrund abstrakter Angaben, daneben auch Einmaligkeit des Vorgangs der Vereinigung aus außenpolitischen Gründen, nicht möglich ist. Deutschlands und der Höhe der daraus entstande- nen Belastungen für den Bundeshaushalt ist dies Entscheidungen über Genehmigungen des Ex- auch angebracht. ports von Kriegswaffen werden nach den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung von 1982 getrof- Die Bundesausgaben werden nicht nach regiona- fen. Danach sind Lieferungen in NATO und NATO- len Gesichtspunkten auf die Länder verteilt. Vielfäl- gleichgestellte Staaten, wozu die ASEAN-Länder tige Forderungen nach vermeintlich notwendigem zählen, unter Beachtung des Grundsatzes der Einzel- Ausgleich von ungleichgewichtigen Finanzierungen fallprüfung grundsätzlich nicht zu beschränken. wären nicht zu verhindern. Hierfür haben wir aber in der Bundesrepublik das System des horizontalen und Der Export von Kriegswaffen in Nicht-NATO-Län- vertikalen Finanzausgleichs, in den die neuen Bun- der wird nach den Politischen Grundsätzen nicht ge- desländer nunmehr auch vollständig eingebunden nehmigt, es sei denn, daß aufgrund besonderer sind. politischer Erwägungen Ausnahmen allgemeiner Art Angaben über die Bundesleistungen an Bayern festgelegt werden oder im Einzelfall vitale Interessen und Saarland in der von Ihnen gewünschten Abgren- der Bundesrepublik Deutschland für eine ausnahms- zung sind mir daher nicht möglich. weise Genehmigung sprechen. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, darauf Zusätzlich darf solchen Lieferungen die innere hinzuweisen, daß das Saarland folgende besondere Lage des Empfangslandes nicht entgegenstehen, sie zusätzliche Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt dürfen nicht zu einer Erhöhung bestehender Span- erhält, die u. a. dem Land Baye rn nicht zustehen: nungen beitragen. Das Saarland erhält 153 Millionen DM für über- durchschnittliche Kosten der politischen Führung Zu Frage 28: und der zentralen Verwaltung. Außerdem leistet der Bund Zahlungen an das Land in Höhe von Der Bundesregierung liegen keine Informationen 1,6 Milliarden DM zu Zwecken der Haushaltssanie- darüber vor, in welchem Umfang der deutschen rung, die zur Schuldentilgung einzusetzen sind. Werftindustrie Umsatzverluste entstanden sind, die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 100. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. April 1996 8901* auf politisch begründete Lieferbeschränkungen, d. h. lorengegangen. Diese Angaben sind jedoch nicht Nichterteilung der vorgeschriebenen Ausfuhrgeneh- überprüfbar. migungen, zurückzuführen sind. Bei Betrachtung der wi rtschaftlichen Lage der Die deutsche Werftindustrie hat ihrerseits den Wert deutschen Werftindustrie ist im übrigen zu berück- möglicher Aufträge für Taiwan mit 16 Milliarden DM sichtigen, daß der Marineschiffsbedarf der Bundes- beziffert; diese Aufträge seien ihr durch die restrik- wehr wesentlich durch deutsche Unternehmen ge- tive Genehmigungspolitik der Bundesregierung ver- deckt wird.