SAGEN UND GESPENSTERGESCHICHTEN AUS ALT- WIMMIS Frei nacherzählt von Erich Liechti

DIE ELENDE GRETHE

In grauer Vorzeit war Wimmis nur ein ganz kleines, armes Bauerndorf. Kleine Holzhütten standen unter der Burg und in der Hofit. Auch auf der Allmend am finsteren stand ein armseliges Häuschen, hier wohnte die alte Grethe ganz alleine. In der Pestzeit herrschte auch in Wimmis grosse Not. Der schwarze Tod grassiert fürchterlich. Es war den Leuten nicht mehr möglich für alle Toten Särge herzurichten. Der Zimmermann baute deshalb Särge mit Klappböden. Man sagt, den gleichen Sarg habe man pro Tag bis zu fünf Mal benützen müssen. In der Gurzelen soll eine Kuh an einem Tag den Besitzer sogar acht Mal gewechselt haben.

Nur die Grethe, in ihrem kleinen Häuschen hinten am Niesenwald, hatte bislang Glück. An einem kalten Winterabend, draussen stürmte und schneite es, miaut ein kleines schwarzes, durchfrorenes Kätzchen vor ihrem Fenster. Grethe lässt die arme Kreatur in das warme Stübchen – doch das Büsi ist die Pest. Bald darauf stirbt auch die Grethe. Noch heute nennt man das dortige Grundstück Elendgreth und die Fundamente des Häuschens von Grethe sind immer noch in der Wiese erkennbar.

DIE WASSERFRAUEN IM GMÜNDENGAND

Ein Bauernbübchen machte sich auf den Weg vom Markt in nach Wimmis. Auf seinem Räf trug er eine schwere Last nach Hause. Sein Weg führte ihn durch das unwegsame Sumpfgebiet im Gmündengand. Obwohl es ein heisser Sommertag war, steigen Nebel aus der Tiefe der und hüllte alles ein. Der Toneli vermochte seinen Pfad kaum mehr zu erkennen.

Plötzlich hörte er nicht weit weg ein Lachen. Erfreut lief er darauf zu. Im Nebel fand er aber nur eine schwarze Baumwurzel, welche ihm von weitem als eine alte Frau erschien. Weiter und weiter rannte er über den feuchten Gandboden. Müde fiel er ins Sumpfgras und verbarg weinend sein Gesicht in den Händen, er hatte sich verirrt. Als er nach einer Weile aufsah blickte er in ein schneeweisses Gesicht mit grasgrünen Augen, welches ihn lächelnd ansah. Vor Schreck konnte er kein Glied bewegen. Schaudernd wurde ihm bewusst, dass er in die Sümpfe der Wasserfrauen im Gmündengand geraten war.

Zitternd hörte er eine Stimme: „Töneli, Töneli heute ist der Tag der sich nur alle hundert Jahre wiederholt, an dem wir Gmündengandfrauen erlöst werden können. Wenn du uns erlösest, sollst du reich und glücklich werden. Du musst dafür eine Wasserblumepflücken.“ Plötzlich verflüchtigt sich der Nebel, er lag alleine am Ufer eines stillen Waldteiches. Vor ihm schaukelte eine Wasserblume auf dem Wasser. Er beugte sich über das Wasser und wollte sie pflücken. Er sah schon, wie sich die Blatt-spitzen golden zu färben begannen. Aber immer, wenn er die Blume fassen wollte, trieb ein Lüftchen sie noch weiter in den Teich hinaus. Doch nun hat er den Stengel erfasst, da war die Blume zu flüssigem Gold. In diesem Augenblick sah er unter sich im Wasser viele meeresgüne Augen, die ihn entsetzt ansahen. Er schrie auf und liess die Blume fahren und kletterte in Todesängsten ans Ufer zurück. Als er sich umschaute, war die Blume verschwunden und der Teich lag wieder im Nebel. Vor ihm stand mächtig und unheimlich die Mauer der Burg Gmündengand. Rasch machte er sich mit seinem Räf auf und rannte seinem nahen Dorf Wimmis zu.

1 ROSINA BARBARA

Vor vielen hundert Jahren hauste auf der Burg zu Wimmis ein alter Ritter mit seiner wunderschönen Tochter. Das mächtige Burggemäuer war über und über mit weissen Rosen über-wachsen, so dass die alte Feste schon von ferne aus dem dunklen Wald hervorleuchtete.

Der stolze Junker Kuno von Grimmenstein war auf Burg Wimmis ein gerne gesehener Gast. Oft kehrte er nach seinen Streifzügen durch die Jagdgründe auf Schloss Windemis ein und kostete mit dem alten Ritter ein paar Becher Pintelwein. Doch er hatte eigentlich nur Augen für Rosina Barbara und es hiess, die beiden seien unsterblich ineinander verliebt. Als Ritter Kuno eines abends auf seinem Ross die Burg zu Wimmis frohgemut verliess, blickte er noch einmal nach oben zur Burgmauer um seiner Versprochenen einen letzten Abschiedsgruss zuzuwinken. Er sah wie sich Rosina hoch oben über die Burgmauer herauslehnte und versuchte eine der weissen Rosen abzubrechen um sie zu Kuno hinabsegeln zu lassen. In diesem Moment verlor Rosina Barbara das Gleichgewicht und stürzte von der hohen Mauer herab. Regungslos blieb die Jungfrau zu Füssen ihres entsetzten Geliebten liegen.

Von da an sah man Ritter Kuno in jeder siebten hellen Vollmondnacht, wenn im Bruch die weissen Nebel aufstiegen, in seiner nun pechschwarzen Ritterrüstung unter der Wimmis-Burg auf seinem Pferd sitzend auf Rosina Barbara warten, während hoch oben im Burgturm die Fledermäuse segelten und im nahen Wald das Käuzchen rief.

DAS BURGFRÄULEIN VON THUNERENSTEIN

Weit oberhalb des Dorfes Windemis am steilen Niesenhang steht die alte Burgruine von Thunerenstein. Von ihr aus sieht man weit ins Land, bis hin nach Thun. Als ein Hirtenjunge am Abend mit seiner Milchbrente am Rücken ins Tal stieg, sah er auf einmal ein Licht vor der zerfallenen Burg. Er legte sich in eine Hecke um das sonderbare Licht zu beobachten. Das Licht kam vom Burgfelsen heran, immer näher auf ihn zu.

Auf einmal erkennt er unter dem Licht ein weisses, wehendes Tuch. Daraus wird ein weisses Gewand und eine junge Frau mit wallendem, blondem Haar. Auf ihrem Krönlein steckte eine brennende Kerze. Sie ging zum nahen Thunerenbach und schöpfte Wasser in ihr mitgebrachtes Krüglein. Dazu sang sie ein schwermütiges Lied. Nun wurde dem Hirtenjunge klar, dass es sich hier um das verwunschene Burgfräulein von Thunerenstein handeln musste.

Er wollte sie ansprechen, aber vor Schreck konnte er keinen Ton herausbringen. Das Burg-fräulein blieb stehen, blickte traurig zu ihm, ging dann weiter und verschwand im finsteren Burggraben. Betrübt stolperte er nach Hause. Er weiss, dass er das Burgfräulein hätte erlösen können, wenn er es nur angesprochen hätte. Noch heute ist das Licht der verwunschenen Frau in Vollmondnächten bei der Ruine zu erblicken.

2 DAS GOLDENE KEGELSPIEL AUF KRONEGG

Ganz hinten im finsteren Höllgraben, zwischen Windemis und Oey steht auf hohem Felszahn die seltsame Ruine der Kronegg. Dort gespenstert’s seit alter Zeit! Eines Nachts ging ein Wandersmann am Burgfelsen vorbei. Da bemerkte er durch die Bäume einen roten Schein und ein fortwährendes Aufblitzen hinter den Burgmauern.

Die Neugier übermannte seine Angst und er machte sich näher an die Burg heran, deren Mauern sich schwarz vom blauen Nachthimmel abheben. Oben am Burgtor konnte er in den Schlosshof blicken und er sah ein golden glänzendes Kegelspiel. Drei Ritter in ihren Rüstungen schoben die goldenen Kugeln gegen die ebenfalls goldenen Kegel. Trotz allem war ausser dem Rauschen des Nachtwindes von dem Tun kein Ton zu hören, nur ein gewaltiges Aufblitzen, wenn die Kugel gegen die Kegel fuhr.

Bald waren die Ritter des Spielens müde und legten sich am offenen Feuer zur Ruhe. Der Wandersmann, ein geübter Kegler, erträgt das Warten nicht länger und wollte es auch einmal versuchen. Er nahm eine der güldenen Kugeln und schob sie schwungvoll ab. Es blitzte an den Burg-mauern, als alle neun Kegel voneinanderstieben.

„Alle Neune“ lärmte der Wanderer und von den Schlossmauern hallte das Echo: „Alle Neune“. Da fährt ein Blitz vom wolkenlosen Nachthimmel herab, die Ritter schrien laut auf und ein gewaltiger Donnerschlag kracht durch das Dunkel. Ritter samt Kegelspiel versanken in der Erde und im Burghof wurde es finster und totenstill. Der Wanderer stand mit schlotternden Knien vor der Burgmauer und machte sich dann schleunigst davon. Am nächsten Tag fand man ihn tot im Kroneggraben. Hätte er den Mund gehalten, hätte er die Ritter erlösen und das goldene Kegelspiel gewinnen können

DIE WEISSE BRAUT IN DER KRAMBURG

Etwas oberhalb vom Dorf Windemis standen bis vor zweihundert Jahren die Ruinen der alten Kramburg. In einer sternenklaren Nacht, ritt ein armer Ritter am verwunschenen Burgge-mäuer in der Spissi vorbei. Es war schon spät als er beschloss im halbzerfallenen Gemäuer zu nächtigen. Wie er in den Burghof reitet fällt ein Stein vom Turm herab und er gewahrte hoch oben ein erleuchtetes Fensterchen. Ihn nahm es wunder, wer im alten Burgturm haust und trat furchtlos durch eine kleine Pforte ein. Unversehens befand er sich in einem hell erleuchteten Saal. In der Mitte stand ein grosser Tisch, darauf die erlesensten Gerichte und Weine. Der Saal war menschenleer nur in einer kleinen Nische sass eine bildschöne Jungfrau an einem Tischchen, wo sie zu lesen schien.

Mit frohem Mute ging er auf sie zu und sprach:“Schöne Jungfrau, hier steht der Ritter Melchior von Terenstein. Verübelt’s mir nicht, aber ich habe grossen Hunger und Durst. Nur allzugerne möchte ich von den herrlichen Speisen Kosten.“ Da schaute die Jungfrau mit sanftem Lächeln auf und deutete wortlos auf den Tisch. Mit Freude schwelgte der junge Ritter am Festmahl. Ihm fiel auf, dass auf dem Tisch Brot und Salz fehlen. Nachdem er lange in den Speisen geschwelgt hatte, nahm er sich ein Herz und sprach die Schöne an:“Wo sind eure Eltern?“, doch sie deutete nur stumm auf die Ahnen-bilder an der Wand. Der listige Ritter gedachte die gute

3 Gelegenheit zu nutzen und das anmutige Wesen zu seiner Hausfrau zu machen. Nach einem weiteren Becher Wein trat er auf die Jungfrau zu und sagte ihr, dass er sie liebe und sie heiraten möchte. Sie nickte lächelnd, öffnete eine Mauernische und entnahm dieser zwei Ringe, wovon sie den einen ihm und den anderen sich an den Finger steckte. Ihre Finger fühlten sich eiskalt an, so dass ihn erschauderte.

Jetzt reichte sie ihm den Arm und führte ihn durch andere Gemächer. Plötzlich hörte er ein Orgelspiel und sie standen in einer schwach erleuchteten Burgkapelle. Im schummerigen Licht entdeckte er entlang den Wänden Steinbilder von Rittern und Edelleuten. Die Jungfrau berührte eines der Steinmäler um das andere und sofort wurden diese zu lebendigen Wesen erweckt. Terenstein wollte entfliehen, aber er konnte sich nicht von der Stelle bewegen vor Entsetzen. Nun war die rauchige Burgkapelle voller Leben. Die geisterbleiche Jungfrau kniete vor den Altar und hiess ihn auch niederknien. Mit hohler Stimme fragte jetzt der greise Priester:“ Ritter von Terenstein, willst du Bertha von Kramburg, die letzte ihres Stammes, zur Frau nehmen?“

Doch der junge Ritter vermochte keine Antwort zu geben, obwohl ihn die schöne Braut unverwandt mit flehenden Augen ansah. Er schlotterte vor Grauen und der Schweiss rann über sein Gesicht. Gott und alle Heiligen rief er um Beistand an. In diesem Augenblick krähte vor der Burg ein Hahn. Da erging ein fürchterliches Geschrei durch die Burgkapelle:“Noch nicht erlöst! Oh unseliger Tag!“ Ritter Terenstein wurde von einem Sturmwind gepackt und fortgetragen, da verlor er das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, lag er im Burghof neben seinem Pferd, welches hier friedlich graste. Er verliess im heraufziehenden Tag in Eile das gespenstische Schloss. Die schöne Burgjungfrau konnte er nie mehr vergessen. Er entsagte der Welt und ging ins Kloster Därstetten.

DAS GÜLDENE TREICHEL

Im schönen lebte vor Zeiten ein junger Bauernbursch. Er war sterblich ins Liseli verliebt, doch diese hatte ihr Herz einem anderen geschenkt. Auf der Alp wollte er seinen Liebeskummer vergessen. Nach langem umherirren entdeckte er unter einer überhängenden Fluh einen rostigen Schlüssel. Er fand in der Felswand auch ein Loch in welches der Schlüssel hineinpasste. Da öffnete sich die Wand und er blickte in einen finsteren Gang. Mutig tritt er ein und gelangte zu einem schwach erleuchteten Raum, in welchem eine Jungfrau sass. Neben ihr am Boden waren ein Hafen voll goldener Münzen und eine goldene Treichel.

Da fing die Jungfrau zu sprechen an und erzählte, sie sei in diese Felsenkammer verwünscht, bis ein freiwilliger Erlöser komme. Nun solle er klug wählen. Er könne entweder die goldene Treichel oder den Goldhafen nehmen. Wenn er sie aber selber nähme, so fallen ihm die zwei anderen Schätze auch noch zu. Der Bursche dachte aber nur an sein Liseli und sah nicht, dass die Jungfrau doch viel schöner war als Liseli und alle Blumen der Welt.

Er nahm kurz entschlossen die goldene Treichel, liess die Jungfrau sitzen und lief den Gang zurück. Er wollte unverzüglich zu Liseli gelangen und war überzeugt, dass er mit der goldenen Treichel bei ihr nun Glück haben werde. Als er zu Liselis Haus kam, sass diese mit ihrem Ehemann am Abendtisch. Sie sagte:“Ich bin schon seit langem verheiratet, du kommst viel zu spät!“. Dem Burschen wurde sterbensübel. Gleich stürmte er wieder der Alp zu, um seinen Fehler rückgängig zu machen. Doch

4 wie lange er auch suchte, er fand den Felsüberhang, den Schlüssel und die Felsengrotte nie mehr. Von da an sah man ihn niemehr weder im Simmental, noch auf der Alp.

DS BURGMATTEFROUELI

Noch bis vor fünfzig Jahren ist sie einsamen Wanderern begegnet, die alte verrunzelte Frau. Entlang der Burgmatte oberhalb von Wimmis erstreckt sich eine lange Bruchsteinmauer, welche zuhinterst gegen den dunklen Wald mit dichtem Gebüsch eingewachsen ist. Oft hörten Wanderer in der Nacht ein Wehklagen in diesem Gebüsch. Neugierige entdeckten eine armselig gekleidete, uralte Frau, welches dort im Gestrüpp auf einem Wurzelstock hockte und sich wimmernd den linken Fuss drückte. „Schau nicht so dumm und nimm mir die Holzspreisse aus dem grossen Zeh!“ schimpfte das Weib und blickte den Wanderer mit zornigen Blicken an. Wer war nicht so hilfsberei und half dem armen Fraueli? In der Tat steckte im grossen linken Zeh ein grober Holzdorn, welcher einfach zu entfernen war. Gesagt getan, aber wie der Dorn aus dem Zehen gezogen war, entschwand die Frau in einem weissen Nebel. Dem gutmütigen Helfer aber schwoll die linke Wange schmerzhaft an und plagte diesen während zweier Tage fürchterlich.

Früher gingen die jungen Wimmiser in hellen Wintervollmondnächten in der Burgmatte Skifahren. Der Aufstieg führte direkt an der alten Sennhütte vorbei, welche im Vollmond unheimlich und düster aussah. Oft hörte man in der Hütte ein sonderbares Klopfen. Man sagte, das sei das Burgmattefroueli, welches dort in der Küche Holz spalte und machte sich schleunigst mit den Skiern davon

Die Burgmattefrau soll früher eine geizige und gefühllose Grosbäuerin von Wimmis gewesen sein, welche ihr Gesinde plagte und sehr kurz hielt. Keiner konnte es ihr recht machen. Schon am frühen Morgen vor Sonnenaufgang schickte sie die Knechte in die Weinmatte, um dort die Kälber zu tränken. Bei Tisch sass sie immer zuoberst und hatte den Brotlaib stets zu ihrer Linken. Wenn ein armes Knechtlein oder eine eingeschüchterte Magd die Bäuerin um ein Stück Brot bat, erwiderte sie die Bitte mit einem zornigen Blick schnitt ihm ein hauchdünnes Scheibchen ab, mit der Bemerkung: „So das tätis de öppe!“.

Nun muss die Frau nach ihrem Tod für ihr schlechtes Verhalten und ihren Geiz in kalten Nächten in der Burgmatte büssen.

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Quelle: «Neues aus Alt-Wimmis» von Erich Liechti

Copyright by Erich Liechti Wimmis. Veröffentlichungen nur mit Namensnennung des Verfassers. 2008

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