JAHRESBERICHT 2002

Sachbereich: Wildökologie (Wildlife ecology)

Fortzuführende Vorhaben:

Projekt: Untersuchungen zur grenzwertüberschreitenden Radiocäsiumkontamination von Wild- schweinfleisch (Sus scrofa) in Rheinland-Pfalz (Investigations on the radiocesium contamination of wild boar (Sus scrofa) meat in Rhineland-) (in Zusammenarbeit mit / in co-operation with den Forstämtern Landstuhl, Elmstein, Johanniskreuz, Waldfischbach-Burgalben, , , , , und Schönau und den Landesuntersuchungsämtern / Instituten für Lebensmittelchemie und Trier)

Durch Freisetzung aus oberirdischen Kernwaffen- geninhalten und einer parallel durchgeführten tests und vor allem aus dem Tschernobylreaktor- Analyse der darin zu findenden Nahrungsbestand- unfall von 1986 wurde Radiocäsium in Waldöko- teile, die kontaminierend wirkenden Organismen systemen auf sauren, kaliarmen, humosen Böden ermittelt werden können. von organischen Substanzen reversibel gebunden Die Auswahl der Untersuchungsfläche fußte zu- und bleibt, da es mit einer Halbwertzeit von ca. 30 nächst auf einer Auswertung der räumlichen Ver- Jahren zerfällt, über Jahrzehnte im Biokreislauf. teilung der Radiocäsiumbelastung auf Regiejagd- Aus diesem Grunde können Pflanzen und Pilze in flächen im Pfälzerwald erlegter Wildschweine von diesen Lebensräumen auch heute noch nennens- Dezember 2000 – Februar 2002 (Abb. E 9). Es werte radioaktive Belastungen aufweisen. zeigte sich, dass vor allem westliche Forstämter Seit 1997 wird in Rheinland-Pfalz im Pfälzerwald betroffen waren, während östliche Forstämter kei- und im Hochwald bei ca. 10 bis 15% der unter- ne Grenzwertüberschreitungen zu verzeichnen suchten Wildschweine eine grenzwertüberschrei- hatten. Um für die Studie ausreichend belastetes tende Kontamination des Muskelfleisches mit Ra- Material zu erhalten, entschied man sich, die Mä- diocäsium von > 600 Bq/kg beobachtet. Da sich gen sämtlicher auf Regiejagdflächen erlegter Wildschweine u. a. von Waldpflanzen bzw. deren Wildschweine der zehn am stärksten betroffenen Wurzeln und Rhizomen sowie Pilzen ernähren, Forstämter des westlichen Pfälzerwaldes zu unter- könnten diese Nahrungsbestandteile als Kontami- suchen. Die Auswahl umfasste die Forstämter nationsquelle fungieren. Landstuhl, Elmstein, Johanniskreuz, Waldfisch- Die Forschungsanstalt für Waldökologie und bach-Burgalben, Merzalben, Hinterweidenthal, Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz wurde daher im Pirmasens, Dahn, Eppenbrunn und Schönau. Mai 2002 vom Ministerium für Umwelt und Fors- Die Untersuchung der Mägen teilte sich konkret in ten damit beauftragt, die Ursachen der Radiocäsi- drei Arbeitsschritte: umbelastung von Wildschweinfleisch zu erfor- I. Schätzung der Volumenanteile von mit bloßem schen und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Auge erkennbaren Nahrungskategorien. Hierzu wurde eine Pilotstudie begonnen, die der II. Bestimmung des Radiocäsiumgehalts einer 500 Frage nachgeht, ob durch die direkte Ermittlung ml Stichprobe der Mageninhalte in einem Gam- der Radiocäsiumbelastung von Wildschweinma- maspektrometer (LB 500, Berthold Technologies).

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III. Genaue Bestimmung der Gewichtsanteile von 3. Zusammen mit einem weiteren Rottenmitglied Nahrungspartikeln von höher belasteten Magenin- wurden 36 der 514 erfassten Wildschweine gleich- halten. Bei dieser sog. mikroskopischen Analyse zeitig und am gleichen Ort erlegt. Es wurden bis wurden 100 g eines Mageninhalts über einem 2 auf eine Ausnahme gleichaltrige Tiere aus den mm Sieb gespült und der Rückstand unter dem Rotten geschossen. Mikroskop und/oder Binokular aussortiert und an- Es zeigte sich, dass die Werte von Rottenmitglie- schließend gewogen. dern hinsichtlich der Belastung des Muskelflei- sches und der Mageninhalte (alle Mägen waren Zwischen Mai und Dezember 2002 wurden von gefüllt) korrelierten (Abb. E 10). den oben erwähnten 10 Forstämtern die Mägen Erklärungshypothese: Die Kontamination erfolgt von insgesamt 514 erlegten Wildschweinen (14,5 zumindest bei gleichaltrigen Rottenmitgliedern % Frischlinge, 55 % Überläufer, 30,5 % ältere sowohl über einen Tag (korrelierende Magenbe- Tiere; gestreifte Frischlinge wurden nicht erfasst) lastung) als auch über mehrere Tage zur Verfügung gestellt. Hauptjagdart war im Som- (korrelierende Fleischbelastung) koordiniert. merhalbjahr die abendliche Ansitzjagd an der Kir- rung und im Winterhalbjahr die Drückjagd. In der 4. Die makroskopischen Analysen aller Magenin- folgenden Zwischenbilanz werden erste Messer- halte zeigten, dass zwischen Mai und August die gebnisse aus dieser Stichprobe und einige vorläu- Mägen im Schnitt über die Hälfte mit frischer grü- fige Schlussfolgerungen vorgestellt: ner Pflanzensubstanz gefüllt waren, gefolgt von jeweils ca. 20 % Kirrungsmais und sonstigen Nah- 1. Der Median der Fleischbelastung der erlegten rungsbestandteilen. Des Weiteren befand sich in Wildschweine lag zwischen Mai und Dezember den Mägen zu ca. 10 % ein braun-schwarzer kör- 2002 bei 180 Bq/kg (Maximum: 5573 Bq/kg) und niger Brei. Die Farbe und Zusammensetzung weist der Median der Magenbelastung bei 24 Bq/kg auf eine unterirdische Nahrungssuche hin. Be- (Maximum: 1749 Bq/kg). Trotz dieser im Mittel trachtet man für den gleichen Zeitraum nur die geringen Belastungswerte konnten im Sommer- stark belasteten Mägen, verschieben sich die An- zeitraum (Mai bis September) 21,2 % aller erfass- teile in den oben genannten Nahrungskategorien, ten Tiere (n = 368) wegen Fleischbelastungen von wobei sich der Anteil des braun-schwarz-körnigen über 600 Bq/kg nicht in Verkehr gebracht werden. Breis nahezu vervierfacht. Im Herbst (Oktober - Dezember) konnten hinge- Im Herbstzeitraum Oktober bis Dezember, aus gen wieder sämtliche Schweine (n = 110) in Ver- dem keine belasteten Mägen vorliegen, überwie- kehr gebracht werden. gen die Anteile von Baumfrüchten, meist von Erklärungshypothese: Der Kontaminator ist ent- Bucheckern. weder nur saisonal während der Vegetationszeit Erklärungshypothese: Der oder die Kontaminato- verfügbar oder wird von den Schweinen nur in ren werden von den Wildschweinen bevorzugt bei dieser Zeit bevorzugt aufgenommen. der Suche nach unterirdisch vorkommender Nah- rung aufgenommen, während die Aufnahme von 2. Fleisch- und Magenbelastung korrelierten signi- nicht cäsiumhaltigen Baumfrüchten im Herbst de- fikant positiv (R-Koeffizient[Spearman] = 0,66, p < kontaminierend wirkt. 0,01). Dies bedeutet, dass Tiere mit hoher Fleisch- belastung häufig auch in den Tagen vor der Erle- 5. Die mikroskopischen Analysen der stärker be- gung kontaminierte Nahrung aufgenommen hatten lasteten Mägen (n = 19) erfolgte hinsichtlich 8 und umgekehrt. Nahrungskategorien. Es konnten im Siebrückstand Erklärungshypothese: Die Kontamination erfolgt bei 18 der 19 Mägen Hirschtrüffel (Elaphus granu- in der Regel wiederholt und kontinuierlich. losus) in sehr unterschiedlichen Gewichtsanteilen

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(0,1 – 61,6 %) nachgewiesen werden (Tab. E 13). gebundenes Cäsium in ihrem Gewebe anzurei- Für den einzigen höher belasteten Magen ohne chern, steht die „Hirschtrüffelhypothese“ auch Hirschtrüffelreste im Siebrückstand ließen sich nicht in Widerspruch zu den anderen oben formu- jedoch geringe Mengen dieses Pilzes (3 % Ge- lierten Erklärungshypothesen. wichtsanteil) im Filtrat nachweisen. Der Hirsch- trüffel ist somit die einzige Nahrungskomponente, Ausblick: Die Untersuchung wird bis Februar die durchgehend bei allen höher belasteten Mägen 2003 fortgeführt, so dass Nahrungsaufnahme und nachgewiesen werden konnte. Kontaminationsverlauf in den Winter hinein ver- Erklärungshypothese: Dem Hirschtrüffel kommt folgt werden können. Ferner schließt sich den offenbar eine entscheidende Rolle bei der Konta- mikroskopischen Inhaltsanalysen der höher be- mination der Wildschweine zu, wenngleich große lasteten Mägen eine entsprechende Untersuchung lokale Kontaminationsunterschiede angenommen der sog. „Nullmägen“ als Gegenprobe an. werden müssen. „Nullmägen“ sind unbelastete Mägen von Tieren, Da Hirschtrüffel unterirdisch wachsen, darüber die möglichst zeit- und raumnah zu einem Tier mit hinaus nach ersten Recherchen im Pfälzerwald belastetem Magen erlegt wurden. vermutlich ganzjährig und zahlreich vorkommen und zudem in der Lage sind, im Boden reversibel

Grüne Sonstiges Tierische Pflanzen- Pflanzen- Wurzeln Kirrungsmais1 Baumfrüchte Hirschtrüffel Bestandteile Sonstiges fasern material Mittel 39,7 % 10,5 % 2,9 % 20,4 % 0 % 18,9 % 4,7 % 2,9 %

Max. 86,8 % 79,9 % 41,8 % 70,5 % 0 % 61,6 % 32,2 % 17,3 %

Min. 1 % 0 % 0 % 0 % 0 % 0 % 0 % 0 %

Tab. E13: Mikroskopische Mageninhaltsanalyse*: Mittlere Gewichtsanteile von acht Nahrungskategorien in höher belasteten Mageninhalten (Median: 384 Bq/kg; Min.: 345 Bq/kg; Max.: 1749 Bq/kg; n = 19) erlegter Wildschweinen aus dem westlichen Pfälzerwald (Mai – Dezember 2002). *: Methode siehe Text; 1: Zum Anlocken ausgebrachter Körnermais Table E 13: Microscopic analysis of stomach contents*: Mean weight proportions of eight food categories in higher contaminated stomachs contents ( median: 384 Bq/kg; Min: 345 Bq/kg; Max.: 1749 Bq/kg; n = 19) of shot wild boars from the western (Mai – December 2002). *: Under binocular and microscope sorted and then weighted residue of a 100 g stomach content sample that has been washed over a 2 mm-wire net sieve

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Abb. E 9: Grad der Radiocäsiumkontaminationen von Wildschweinen aus dem Pfälzerwald gegliedert nach Forstamtsflächen (Dezember 2000 - bis Februar 2002) hier dargestellt als Anteil Grenzwertüber- schreitungen von Radiocäsium (> 600 Bq/kg) im Muskelfleisch erlegter Tiere [n = 2132]). In der Karte sind die verschiedenen Forstamtsnamen eingetragen Fig. E 9: Degree of the radiocesium contamination of wild boars in the Palatinate Forest related to forest districts (December 2000 – February 2002) here calculated as proportion of hunted individuals (n = 2132) with more than 600 Bq radiocesium per kg meat. Names in the map refer to different forest districts

Fleisch / meat Mageninhalt / stomach content 800 300

y = 0,7509x + 30,853 y = 0,9705x + 4,168 250 R2 = 0,9306 R2 = 0,764 600 200

400 150 Bq/kg Bq/kg

100 200 50

0 0 0 200 400 600 800 0 100 200 300 Bq/kg Bq/kg

Abb. E10: Vergleich der Radiocäsiumbelastung von Muskelfleisch und Mageninhalt gleichzeitig erlegter Wildschweinrottenmitglieder (n = 36 Individuen; N = 28 Paarungen) aus dem westlichen Pfälzer- wald (Mai - Dezember 2002) Fig. E10: Comparison of the radiocesium contamination of the meat and the stomach content of simultane- ously shot members of same wild boar groups (n = 36 individuals; N = 28 combinations) from the western Palatinate Forest (May - December 2002)

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Fortzuführende Vorhaben:

Projekt: Der Luchs (Lynx lynx) im Pfälzerwald (The lynx (Lynx lynx) in the Palatinate Forest) (in Zusammenarbeit mit / in co-operation with ÖKO-LOG Freilandforschung)

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts gilt der Luchs im luchs.de), an deren Erstellung die FAWF intensiv Pfälzerwald als ausgestorben. In den Siebziger mitgearbeitet hat. Des Weiteren umfasste die Öf- Jahren kamen erste Gedanken auf, ob man den fentlichkeitsarbeit der FAWF verschiedene Fach- Luchs in diesem großen Waldgebiet nicht wieder vorträge, Interviews und Fernsehbeiträge. ansiedeln könnte. Im Mai 1980 wurde die Beo- bachtung eines Luchses gemeldet. Dies war der Die überprüften Luchsnachweise des Berichtjah- erste Luchsnachweis seit ungefähr 200 Jahren. Die res wurden von allen Luchsberatern an die Firma Herkunft und der Verbleib dieses Tieres sind un- „ÖKO-LOG Freilandforschung“ zur Auswertung bekannt geblieben. 1983 wurde in den französi- weitergeleitet. Die Ergebnisse dieser Auswertung schen Hochvogesen ein offizieller Wiederansied- und die Tätigkeiten der Luchsberater sind im lungsversuch begonnen. In den folgenden Jahren „Abschlussbericht 2002“ dargestellt. Es wurden in wurden vereinzelt, seit 1993 vermehrt Hinweise 2002 31 Meldungen von Luchsnachweisen gesam- auf Luchse im Pfälzerwald gemeldet. melt und überprüft: 20 Sichtbeobachtungen, die Um eine genauere Vorstellung von der Verbrei- Beobachtung eines Todfundes, sechs gerissene tung der Luchse im Pfälzerwald zu bekommen, Beutetiere, zwei Luchsrufe und zwei Fährtenfun- hat die Landesforstverwaltung 1999 ein Luchsbe- de. Es ist eine Konzentration der Nachweise im raternetz aufgebaut. Es besteht aus neun Luchsbe- westlichen Pfälzerwald und westlich außerhalb ratern, die der Bevölkerung als Ansprechpartner des Pfälzerwaldes festzustellen. Die erhobenen dienen. Ihre Hauptaufgaben sind das Sammeln Daten weisen darauf hin, das zur Zeit nur wenige und Überprüfen der Luchsmeldungen, die Begut- Luchse den Pfälzerwald und seine Umgebung achtung vermeintlicher Luchsrisse bei Nutztieren durchstreifen. Nur eine Bestandesstützung und ei- und die Bereitstellung sachlicher Informationen ne Lebensraumvernetzung mit der Luchspopulati- über den Luchs im Pfälzerwald im Rahmen der on in den Vogesen kann diesem Vorkommen eine Öffentlichkeitsarbeit. Es wurde besonderer Wert langfristige Überlebenschance bieten. darauf gelegt, dass sich der Kreis dieser Luchsbe- rater aus Vertretern der vom Luchs betroffenen Ab 2003 wird die FAWF das Luchsberaternetz Interessensgruppen zusammensetzt. So findet man betreuen, die Luchsnachweise auswerten und den unter ihnen z.B. Jäger, Förster und ehrenamtliche Jahresbericht verfassen. Naturschützer. Seit Beginn des Luchsmonitorings ist auch ein Mitarbeiter der FAWF als Luchsbera- Luchse und Wölfe sind in den letzten Jahren in ter tätig. verschiedene Bundesländer zurückgekehrt, teils durch Zuwanderung aus den Nachbarländern, teils 2000 wurde die „Initiative Pro Luchs“ gegründet. durch Wiederansiedlungsaktionen. Sie gehören zu Sie dient allen Interessensgruppen als offenes und den Tierarten mit sehr großen Lebensraumansprü- dauerhaftes Diskussionsforum zum Themenkreis chen und einem hohen Konfliktpotential. Ihr Ma- Luchs. Im Frühjahr 2002 ging die Homepage der nagement erfordert eine bundesweite und interna- „Initiative Pro Luchs“ online (www.pfaelzerwald- tionale Zusammenarbeit. Die Stiftung Europäi-

168 Abteilung E JAHRESBERICHT 2002 sches Naturerbe veranstaltete im Berichtsjahr ei- zu initiieren. Die FAWF hat an diesen Arbeitstref- nen Workshop für die Behördenvertreter aller fen teilgenommen und die Situation in Rheinland- Bundesländer und nachfolgend ein Expertentref- Pfalz vorgestellt. 2003 sollen weitere Schritte zur fen mit dem Ziel, die Erarbeitung einer Manage- Erreichung eines bundesweiten Managementplans ment-Strategie für Großraubtiere in Deutschland für Großraubtiere unternommen werden.

Projekt: Barrierewirkung von Straßen für Rotwild (Cervus elaphus) dargestellt am Beispiel Pfälzerwald/Nordvogesen (Barrier effects of roads for red deer (Cervus elaphus) taking the Palatinate Forest/ Northern Vosges as an example)

Das Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen der Wechsel zwischen Teillebensräumen inner- nimmt im Rahmen eines internationalen wie natio- halb einer Population, sondern auch der Verbund nalen Biotopverbundsystems (FFH-Richtlinie, von Metapopulationen durch das Behindern von BNatSchG) eine zentrale Rolle ein, da es sich um Fernwanderungen beeinträchtigt sein. ein noch weitgehend zusammenhängendes Wald- Der zusammenhängende Waldkomplex Pfälzer- gebiet handelt, das nur von wenigen stärker befah- wald - Nordvogesen umfasst mit einer Fläche von renen Straßen durchzogen wird. Hier leben neben ca. 300.000 ha zwei größere Rotwildpopulationen: Rotwild viele für Mitteleuropa typische größere Ein schätzungsweise 600 bis 700 Individuen um- Säugetierarten, darunter auch gefährdete Arten fassendes Vorkommen im Norden des Pfälzerwal- wie die Wildkatze und der Luchs. Es wird jedoch des und ein 800 bis 1.500 Individuen umfassendes befürchtet, dass der Zusammenhang dieser Wald- Vorkommen in den südlich gelegenen Nordvoge- landschaft in absehbarer Zukunft durch neue Stra- sen. Dazwischen liegt ein ca. 15 km breiter Strei- ßenausbauvorhaben gefährdet ist. Der Ruf nach fen „rotwildfreies Gebiet“. Vermeidung bzw. Kompensation dieser Eingriffe Populationsökologisch relevante Barrierewirkun- z. B. durch künstliche Wiedervernetzungsmaßnah- gen gehen in diesem Gebiet vor allem von den ge- men wie Grünbrücken wird . zäunten und stark befahrenen Autobahnen im Nor- In einer gutachterlichen Stellungnahme wurde der den (A6) und im äußersten Süden (A4) und teil- Barriereeffekt von Straßen beispielhaft für die weise auch von der meist nicht gezäunten, aber Großsäugerart Rotwild zunächst im Allgemeinen ebenfalls stark befahrenen Bundesstraße 10 aus. und dann konkret für das Biosphärenreservat Pfäl- Die Autobahnen bilden eine offensichtliche Ver- zerwald-Nordvogesen beleuchtet. Ziel war es, den bindungsgrenze zu den Gebieten außerhalb des Einfluss geplanter Straßenbauvorhaben auf die je- Waldgebietes Pfälzerwald-Nordvogesen, wie den weils betroffenen Rotwildpopulationen abzuschät- Mittelvogesen im Süden und dem Hunsrückhö- zen, um abschließend den Forschungsbedarf, z. B. henzug im Norden. Die B 10 hingegen verläuft in Hinblick auf die Notwendigkeit von Wiederver- durch das Zentrum des Waldgebietes. Die mit ca. netzungsmaßnahmen, zu formulieren. 20.000 Kfz / Tag stark befahrene und bereits heute Für mittelgroße und große Säuger, wie Rotwild, teilweise vierspurig ausgebaute Bundesstraße ver- geht die Barrierewirkung einer Straße in erster Li- läuft somit über eine Länge von ca. 40 km zwi- nie vom Straßenverkehr (> 10.000 Kfz / Tag) und schen Pirmasens und mitten durch die bei- von einer eventuell vorhandenen Fahrbahnzäu- den oben genannten Rotwildteilpopulationen. nung aus. Je nach Barrierewirkung kann nicht nur

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Die allerdings nur in wenigen Streckenbereichen Entscheidend für die ökologische Effizienz einer gezäunte B 10 dürfte derzeit noch keine Trennung Grünbrücke ist jedoch deren Positionierung und der beiden Bestände bewirkt haben. Nach Progno- Dimensionierung. sen des Rheinland-Pfälzischen Verkehrsministeri- Aus diesem Grund müssten weitere Untersuchun- ums wird die Verkehrsdichte auf der B 10 jedoch gen im Rahmen der Erstellung einer Konzeptions- in 10 bis 15 Jahren um ca. ein Drittel zunehmen. maßnahme zur effektiven Lebensraumvernetzung Zudem ist ein durchgehend vierspuriger Ausbau folgen: geplant. Diese Entwicklungen würden eine Erhö- • Erarbeitung eines überregionalen bzw. landes- hung der Barrierewirkung zur Folge haben. Eine weiten Wildtierkorridorsystems für weiträumig mögliche durchgehende Fahrbahnzäunung würde wandernde Arten einer Isolierung der beiden genannten Rotwildvor- • Voruntersuchungen zur ökologischen Wirk- kommen gleichkommen. samkeit bereits bestehender Querungsmöglich- Möchte man einer derartigen Zerschneidung der keiten entlang bestehender oder zukünftiger Lebensräume von Rotwild aber auch anderer Ar- Straßenbarrieren ten wie der Wildkatze im Biosphärenreservat ent- • Voruntersuchungen zur Position und Anzahl gegenwirken, sind Wiedervernetzungsmaßnahmen neuer Querungshilfen entlang bestehender oder z. B. durch Querungshilfen eine denkbare Kom- zukünftiger Straßenbarrieren pensation. Dabei erweisen sich nach den Erfahrun- • Effizienzkontrolle z. B. in Form eines Monito- gen aus anderen Gebieten Europas Grünbrücken rings an Querungsmöglichkeiten in vielfacher Hinsicht als die effektivste Que- • Untersuchungen zur Raumnutzung und Popula- rungshilfe. tionsstruktur von Rotwild.

Projekt: Wiedereinwanderung des Bibers (Castor fiber) nach Rheinland-Pfalz (Recolonisation of the beaver (Castor fiber) into Rhineland-Palatinate) (in Zusammenarbeit mit / in co-operation with Fachbereich Forstwirtschaft und Um- weltmanagement der Fachhochschule Göttingen / Landesamt für Wasserwirtschaft / Landesamt für Umwelt und Gewerbeaufsicht)

Der Biber gilt in Rheinland-Pfalz seit 1840 als nächsten Jahren mit einer natürlichen Wiederein- ausgerottet. Der Grund für sein Aussterben war wanderung nach Rheinland-Pfalz zu rechnen. Das die übermäßige menschliche Nachstellung. Der Bibervorkommen an der Blies im Saarland ist nur Mensch verfolgte den Biber wegen seines Flei- 10 km von der Landesgrenze entfernt. sches, seines Pelzes und seines Bibergeils, einem als Allheilmittel geltenden Drüsensekrets. Durch Der rheinland-pfälzische Schwarzbach mündet in seine Unterschutzstellung und durch Wiederein- die Blies und stellt einen potentiellen Einwande- bürgerungsprojekte in der zweiten Hälfte des 20. rungsweg für den Biber dar. Um die Ankunft des Jahrhunderts hat sich der Biber in Mitteleuropa Bibers vorzubereiten, wurde dieses Gewässer im wieder ausgebreitet. Aufgrund der derzeitigen Rahmen der Diplomarbeit „Der Schwarzbach als Verbreitung des Bibers im Saarland, in Nordrhein- möglicher Einwanderungsweg des Bibers nach Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz“ (Frau Idelberger und Prof. Wolf- Frankreich (Lothringen und Elsass) ist in den gang Rohe, Fachhochschule Göttingen) detailliert

170 Abteilung E JAHRESBERICHT 2002 kartiert. Es wurden die Parameter Vegetation, Ge- Selbstreinigung des Wassers. Sie bieten zudem wässerrandstreifen, Flächennutzung, Ufernei- gefährdeten Pflanzen und Tieren Lebensraum, die- gungswinkel, Bebauungen und Umfeldstrukturen nen dem Menschen zur Erholung und verbessern erfasst. Die Untersuchung ergab, dass der das Landschaftsbild. Schwarzbach ein stark eingetieftes Gewässer mit wenig mäandrierendem Lauf darstellt. Die typi- Der Biber besitzt wie kaum eine andere Tierart die sche Ufervegetation ist nur gering ausgeprägt und Fähigkeit, seinen Lebensraum zu verändern und die Nutzung (Land- und Forstwirtschaft, Ver- zu gestalten. So führt beispielsweise der Bau eines kehrswege, Bebauung, Gärten) beginnt oft direkt Dammes zur Überflutung und Vernässung angren- an der Oberkante der Uferböschung. Insgesamt ist zender Flächen und das Fällen von Bäumen lokal ein hohes Entwicklungspotential aus landespflege- zu Auflichtungen im Wald und einer Veränderung rischer und wasserwirtschaftlicher Sicht vorhan- der Artenzusammensetzung. Die bevorstehende den. Der Schwarzbach und seine Nebengewässer Einwanderung des Bibers nach Rheinland-Pfalz benötigen außerhalb der Ortschaften Gewässer- bietet die Gelegenheit, den Zustand einer Kultur- randstreifen von mindestens 20 m Breite. Diese landschaft vor und nach der Besiedlung durch den Streifen müssen extensiviert und dem Biber über- Biber und damit die durch den Biber hervorgeru- lassen werden. Solche Gewässerrandstreifen ha- fenen Veränderungen zu dokumentieren. Durch ben eine Vielzahl von Funktionen: Sie dienen der den Aufbau eines Monitoringsystems soll die Ein- Hochwasserretention, als Puffer gegen den Eintrag wanderung des Bibers verfolgt und die Populati- aus angrenzender, intensiver Landwirtschaft, der onsentwicklung überwacht werden. Förderung der Grundwasseranhebung und der

Projekt: Wildstandsschätzung für Rehwild (Capreolus capreolus) und Rotwild (Cervus elaphus) (Estimation of population density of roe deer (Capreolus capreolus) and red deer (Cervus elaphus))

In diesem Projekt wird die Simulation der Ent- wurde, mussten die Rehwild-Streckenmeldungen wicklung des Reh- bzw. Rotwildbestandes auf Ba- gefiltert werden. Es liegen nun seit 1987 Abgangs- sis der Abgangsdaten untersucht. Hierzu wurden daten für ein Untersuchungsgebiet vor, das den die Abgangsdaten für Rehwild aus dem Forstamt Grenzen des Forstamtes Elmstein von 1987 ent- Elmstein und für Rotwild aus dem Gebiet Pfälzer- spricht. Erste Auswertungsergebnisse hinsichtlich wald seit 1987 getrennt nach Geschlecht und Alter der Populationsentwicklung werden 2003 vorlie- erfasst. Diese Erfassung wurde im Berichtsjahr gen. fortgeführt. Da der Grenzverlauf des Forstamtes Elmstein in den letzten Jahren mehrmals geändert

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