Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 18/46

Deutscher

Stenografischer Bericht

46. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- (SPD) ...... 4100 D neten Dr. Klaus-Peter Schulze ...... 4089 B Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- LINKE) ...... 4102 A nung ...... 4089 B (CDU/CSU) ...... 4103 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 8 . . . . 4090 D Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 4104 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 4: DIE GRÜNEN) ...... 4105 C a) – Zweite und dritte Beratung des von der Dr. Carola Reimann (SPD) ...... 4106 D Bundesregierung eingebrachten Ent- (DIE LINKE) ...... 4107 B wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomie- Dr. (CDU/CSU) ...... 4108 B stärkungsgesetz) Drucksachen 18/1558, 18/2010 (neu) . 4091 A Bernd Rützel (SPD) ...... 4110 A – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Michael Schlecht (DIE LINKE) ...... 4110 C mäß § 96 der Geschäftsordnung (CDU/CSU) ...... 4111 A Drucksache 18/2011...... 4091 A Dr. (CDU/CSU) ...... 4112 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 4113 A trag der Abgeordneten , Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weite- Namentliche Abstimmungen ...... 4114 D, 4117 B rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mindestlohn in Höhe von 10 Euro Ergebnisse ...... 4115 C, 4119 D pro Stunde einführen Drucksachen 18/590, 18/2010 (neu) . . . . . 4091 A , Bundesministerin Tagesordnungspunkt 5: BMAS ...... 4091 B Antrag der Abgeordneten , Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 4093 D , , weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ (SPD) ...... 4094 C CSU sowie der Abgeordneten Martin Dörmann, (CDU/CSU) ...... 4096 B Kirsten Lühmann, Sören Bartol, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Mo- Michael Schlecht (DIE LINKE) ...... 4098 B derne Netze für ein modernes Land – Karl Schiewerling (CDU/CSU) ...... 4098 D Schnelles Internet für alle Drucksache 18/1973 ...... 4118 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4099 B Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... 4118 B II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Herbert Behrens (DIE LINKE) ...... 4122 A Tagesordnungspunkt 32: Martin Dörmann (SPD) ...... 4123 C a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (DIE LINKE) ...... 4125 A zes zu dem Zweiten Zusatzprotokoll Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ vom 8. November 2001 zum Europäi- DIE GRÜNEN) ...... 4126 A schen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsa- Patrick Schnieder (CDU/CSU) ...... 4127 C chen (DIE LINKE) ...... 4128 C Drucksache 18/1773 ...... 4150 C Kirsten Lühmann (SPD) ...... 4129 D b) Antrag der Abgeordneten Dr. , , , (BÜNDNIS 90/ weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE GRÜNEN) ...... 4130 D DIE LINKE: Zulassung glyphosathalti- ger Pflanzenschutzmittel einschränken Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) ...... 4132 A Drucksache 18/1873 ...... 4150 C (SPD) ...... 4133 C c) Antrag der Abgeordneten , (DIE LINKE) ...... 4135 C , Klaus Ernst, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Dr. (CDU/CSU) ...... 4135 D Bad-Bank-Pläne der Atomkonzerne (SPD) ...... 4137 B zurückweisen – Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öffentlich- Thomas Jarzombek (CDU/CSU) ...... 4138 C rechtlichen Fonds überführen Drucksache 18/1959 ...... 4150 D

Tagesordnungspunkt 6: d) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, a) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weite- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE NEN: Existenzminimum und Teilhabe LINKE: Das unbefristete Arbeitsver- sicherstellen – Sanktionsmoratorium hältnis zur Regel machen jetzt Drucksache 18/1874 ...... 4140 B Drucksache 18/1963 ...... 4150 D b) Zweite und dritte Beratung des von den e) Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna , Dr. Thomas Gambke, Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren weiterer Abgeordneter und der Fraktion Abgeordneten und der Fraktion DIE BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stellung- LINKE eingebrachten Entwurfs eines Ge- nahme im Rahmen des Konsultations- setzes zur Abschaffung der sachgrund- verfahrens der Europäischen Kommis- losen Befristung sion zum Investitionsschutzkapitel im Drucksachen 18/7, 18/879 ...... 4140 C geplanten transatlantischen Freihandels- abkommen TTIP Jutta Krellmann (DIE LINKE) ...... 4140 D Drucksache 18/1964 ...... 4151 A Wilfried Oellers (CDU/CSU) ...... 4141 C f) Unterrichtung durch die Antidiskriminie- Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 4143 A rungsstelle des Bundes: Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ des Bundes und der in ihrem Zustän- DIE GRÜNEN) ...... 4143 C digkeitsbereich betroffenen Beauftrag- Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 4144 B ten der Bundesregierung und des Deut- schen Bundestages Matthäus Strebl (CDU/CSU) ...... 4146 A Drucksache 17/4325 ...... 4151 A Michael Schlecht (DIE LINKE) ...... 4147 A (SPD) ...... 4147 D Zusatztagesordnungspunkt 3: Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, DIE GRÜNEN) ...... 4149 C Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Maßgabebe- Namentliche Abstimmung ...... 4150 C schluss des Bundesrates zur Spielverord- nung umgehend in Kraft setzen Ergebnis ...... 4155 D Drucksache 18/1875 ...... 4151 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 III

Tagesordnungspunkt 33: dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Wolfgang Gehrcke, a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord- des von der Bundesregierung einge- neter und der Fraktion DIE LINKE: Kür- brachten Entwurfs eines Gesetzes zu zungspolitik beenden – Soziale Errun- dem Luftverkehrsabkommen vom 25. genschaften verteidigen – Soziales und 30. April 2007 zwischen den Verei- Europa schaffen nigten Staaten von Amerika einerseits Drucksachen 18/1116, 18/1605 ...... 4153 A und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits h) Beschlussempfehlung und Bericht des (Vertragsgesetz EU-USA-Luftverkehrs- Haushaltsauschusses zu dem Antrag der abkommen – EU-USA-LuftverkAbkG) Abgeordneten Britta Haßelmann, Kerstin Drucksachen 18/1569, 18/1997 ...... 4151 C Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- b) Zweite und dritte Beratung des von der NIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Milliarde Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Euro Entlastung für Kommunen im eines Gesetzes zu dem Europa-Mittel- Jahr 2014 umsetzen meer-Luftverkehrsabkommen vom 15. De- Drucksachen 18/975, 18/1655 ...... 4153 B zember 2010 zwischen der Europäi- schen Union und ihren Mitgliedstaaten i) Beschlussempfehlung und Bericht des einerseits und dem Haschemitischen Ausschusses für Wirtschaft und Energie Königreich Jordanien andererseits (Ver- zu der Verordnung der Bundesregierung: tragsgesetz Europa-Mittelmeer-Jorda- Zweite Verordnung zur Änderung der nien-Luftverkehrsabkommen – Euro- Außenwirtschaftsverordnung med-JOR-LuftverkAbkG) Drucksachen 18/1233, 18/1379 (neu) Drucksachen 18/1570, 18/1998 ...... 4151 D Nr. 2.1, 18/1677 ...... 4153 C c) Zweite und dritte Beratung des von der j) Beschlussempfehlung und Bericht des Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Bau und Reaktorsicherheit zu der Verord- 26. Juni 2012 zwischen der Europäi- nung der Bundesregierung: Erste Verord- schen Union und ihren Mitgliedstaaten nung zur Änderung der Elektro- und und der Republik Moldau über den Ge- Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung meinsamen Luftverkehrsraum (Ver- Drucksachen 18/1471, 18/1702 Nr. 2, tragsgesetz EU-Moldau-Luftverkehrs- 18/1993 ...... 4153 C abkommen – EU-MDA-LuftverkAbkG) k) Beratung der Dritten Beschlussempfeh- Drucksachen 18/1571, 18/1999 ...... 4152 A lung des Wahlprüfungsausschusses: zu d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Einsprüchen gegen die Gültigkeit der des von der Bundesregierung eingebrach- Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- 22. September 2013 kommen vom 9. September 2013 zwi- Drucksache 18/1810 ...... 4153 D schen der Bundesrepublik Deutschland l) Beratung der Beschlussempfehlung des und der Republik der Philippinen zur Ausschusses für Recht und Verbraucher- Vermeidung der Doppelbesteuerung auf schutz zur Übersicht 2 – über die dem dem Gebiet der Steuern vom Einkom- Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsa- men und vom Vermögen chen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksachen 18/1568, 18/1984 ...... 4152 C Drucksache 18/1970 ...... 4154 A e) Zweite und dritte Beratung des von der m)–s) Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Beratung der Beschlussempfehlungen des eines Gesetzes zur Änderung des Um- Petitionsausschusses: Sammelübersich- weltinformationsgesetzes ten 67, 68, 69, 70, 71, 72 und 73 zu Peti- Drucksachen 18/1585, 18/1992 ...... 4152 D tionen f) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Drucksachen 18/1882, 18/1883, 18/1884, Caren Lay, Dr. , weiterer 18/1885, 18/1886, 18/1887, 18/1888 . . . . 4154 A Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sofortiges Moratorium für die Wohnungs- und Grundstücksverkäufe Zusatztagesordnungspunkt 4: durch die Bundesanstalt für Immobili- a) Antrag der Abgeordneten Dr. , enaufgaben Christian Kühn (Tübingen), , Drucksache 18/1952 ...... 4153 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion g) Beschlussempfehlung und Bericht des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Morato- Ausschusses für Arbeit und Soziales zu rium beim Verkauf von Wohnimmobi- IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

lien in Städten mit angespanntem Woh- Drucksachen 18/1528, 18/1766, 18/1954, nungsmarkt durch die Bundesanstalt 18/2004 ...... 4174 C für Immobilienaufgaben Drucksache 18/1965 ...... 4154 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- b)–j) ordneten , , Sevim Beratung der Beschlussempfehlungen des Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Petitionsausschusses: Sammelübersich- Fraktion DIE LINKE: Schutzbedarf von ten 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81 und 82 Roma aus Westbalkanstaaten anerken- zu Petitionen nen Drucksachen 18/1974, 18/1975, 18/1976, Drucksachen 18/1616, 18/1954, 18/2004 . 4174 D 18/1977, 18/1978, 18/1979, 18/1980, 18/1981, 18/1982 ...... 4155 A Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI ...... 4174 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) ...... 4176 A Tagesordnungspunkt 7: Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) ...... 4177 A Wahl eines Mitglieds der „Kommission La- gerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ ge- (BÜNDNIS 90/ mäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, Satz 3 DIE GRÜNEN) ...... 4178 B und 6 des Standortauswahlgesetzes (CDU/CSU) ...... 4179 D Drucksache 18/1961 ...... 4158 A Uli Grötsch (SPD) ...... 4181 A

Zusatztagesordnungspunkt 5: (CDU/CSU) ...... 4181 D Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion (BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der DIE GRÜNEN) ...... 4182 B Bundesregierung zu Einwänden der EU- Kommission in Bezug auf die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland ...... 4158 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ a) – Zweite und dritte Beratung des von der DIE GRÜNEN) ...... 4158 B Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin Änderung des Staatsangehörigkeits- BMVI ...... 4159 C gesetzes Herbert Behrens (DIE LINKE) ...... 4162 B Drucksache, 18/1312, 18/1759, 18/1955, 18/2005 ...... 4183 C Sören Bartol (SPD) ...... 4163 C – Zweite und dritte Beratung des von (CDU/CSU) ...... 4164 C den Abgeordneten Jan Korte, Sevim (DIE LINKE) ...... 4165 D Dağdelen, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE Kirsten Lühmann (SPD) ...... 4166 C LINKE eingebrachten Entwurfs eines (BÜNDNIS 90/ Gesetzes über die Aufhebung der DIE GRÜNEN) ...... 4167 C Optionsregelung im Staatsangehö- rigkeitsrecht (CDU/CSU) ...... 4168 C Drucksachen 18/1092, 18/1955, 18/2005 4183 C (SPD) ...... 4169 D – Zweite und dritte Beratung des von der (CDU/CSU) ...... 4171 A Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... 4172 C Gesetzes zur Änderung des Staats- (CDU/CSU) ...... 4173 D angehörigkeitsgesetzes Drucksachen 18/185 (neu), 18/1955, 18/2005 ...... 4183 C Zusatztagesordnungspunkt 6: b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- a) Zweite und dritte Beratung des von der nenausschusses zu dem Antrag der Abge- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ordneten Sevim Dağdelen, Jan Korte, eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord- Staaten als sichere Herkunftsstaaten und neter und der Fraktion DIE LINKE: Für zur Erleichterung des Arbeitsmarktzu- ein fortschrittliches Staatsangehörig- gangs für Asylbewerber und geduldete keitsrecht Ausländer Drucksachen 18/286, 18/1955, 18/2005 . . 4183 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 V

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwi- BMI ...... 4183 D ckau), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Anglei- Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ chung der Renten in Ostdeutschland an DIE GRÜNEN) ...... 4185 A das Westniveau sofort auf den Weg Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 4185 C bringen Drucksachen 18/982, 18/1994 ...... 4209 D Rüdiger Veit (SPD) ...... 4186 D (DIE LINKE) ...... 4209 D (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4187 D (CDU/CSU) ...... 4211 A (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 4189 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Aydan Özoğuz, Staatsministerin DIE GRÜNEN) ...... 4212 D BK ...... 4190 D Dr. (SPD) ...... 4213 D (CDU/CSU) ...... 4191 C (SPD) ...... 4214 B (SPD) ...... 4193 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 4215 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) ...... 4216 B DIE GRÜNEN) ...... 4193 C Matthäus Strebl (CDU/CSU) ...... 4217 B Namentliche Abstimmungen ...... 4194 D Namentliche Abstimmung ...... 4218 C Ergebnisse ...... 4197 D, 4200 A Ergebnis ...... 4221 C

Tagesordnungspunkt 10: Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von den Abgeordneten , Renate Künast, Katja Dörner, Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Entwurfs eines Gesetzes zur geschlechterge- 100 Jahre Erster Weltkrieg, 100 Jahre rechten Besetzung von Aufsichtsräten, Nein zum Krieg – Gedenktafel für Karl Gremien und Führungsebenen (Führungs- Liebknecht kräftegesetz) Drucksache 18/1950 ...... 4218 D Drucksache 18/1878 ...... 4195 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 4219 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4195 C Dr. (CDU/CSU) ...... 4219 C Gudrun Zollner (CDU/CSU) ...... 4196 C Dr. (DIE LINKE) ...... 4221 A Cornelia Möhring (DIE LINKE) ...... 4202 B Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4223 B Birgit Kömpel (SPD) ...... 4204 A (SPD) ...... 4224 D Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) ...... 4205 B Julia Bartz (CDU/CSU) ...... 4226 A Christina Jantz (SPD) ...... 4206 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 4226 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 4207 D Axel Schäfer (Bochum) (SPD) ...... 4228 A

Tagesordnungspunkt 30: Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. , Matthias W. Birkwald, Zweite und dritte Beratung des von der Bun- weiterer Abgeordneter und der Fraktion desregierung eingebrachten Entwurfs eines DIE LINKE: Spezifische Altersarmut Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ost durch Korrektur der Rentenüber- Fortentwicklung des Meldewesens leitung beheben Drucksachen 18/1284, 18/2009...... 4229 A Drucksache 18/1644 ...... 4209 C Dr. André Berghegger (CDU/CSU) ...... 4229 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Frank Tempel (DIE LINKE) ...... 4230 B Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias (SPD) ...... 4231 B VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 4244 D DIE GRÜNEN) ...... 4232 B (BÜNDNIS 90/ Dr. (CDU/CSU) ...... 4233 A DIE GRÜNEN) ...... 4246 A Norbert Schindler (CDU/CSU) ...... 4247 A

Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten , Tagesordnungspunkt 18: Hans-Christian Ströbele, , wei- Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ausschusses NIS 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus den Erkenntnissen des NSU-Untersuchungs- – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla ausschusses Jelpke, Jan Korte, Jan van Aken, weiterer Drucksache 18/776 ...... 4234 C Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine schnelle und unbüro- Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ kratische Aufnahme syrischer Flücht- DIE GRÜNEN) ...... 4234 C linge in Deutschland und in der EU (CDU/CSU) ...... 4235 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise (DIE LINKE) ...... 4236 C Amtsberg, Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Gabriele Fograscher (SPD) ...... 4237 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verant- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 4238 B wortung übernehmen – Zügig mehr sy- rische Flüchtlinge aufnehmen Drucksachen 18/840, 18/846, 18/1760 . . . . . 4248 C Tagesordnungspunkt 9: Andrea Lindholz (CDU/CSU) ...... 4248 D Erste Beratung des von der Bundesregierung Nina Warken (CDU/CSU) ...... 4249 D eingebrachten Entwurfs eines Bundesbesol- Rüdiger Veit (SPD) ...... 4250 C dungs- und -versorgungsanpassungsgeset- zes 2014/2015 (BBVAnpG 2014/2015) Ulla Jelpke (DIE LINKE) ...... 4251 C Drucksache 18/1797 ...... 4239 A Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4252 B

Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten , Diana Tagesordnungspunkt 17: Golze, Sabine Zimmermann (Zwickau), wei- – Zweite und dritte Beratung des von der terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Bundesregierung eingebrachten Entwurfs LINKE: Bundesteilhabegesetz zügig vorle- eines Gesetzes zur Anpassung des natio- gen – Volle Teilhabe ohne Armut garantie- nalen Steuerrechts an den Beitritt ren Kroatiens zur EU und zur Änderung Drucksache 18/1949 ...... 4239 B weiterer steuerlicher Vorschriften Dr. (CDU/CSU) . . . . . 4239 C Drucksachen 18/1529, 18/1776, 18/1995 . 4253 B (CDU/CSU) ...... 4240 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (SPD) ...... 4241 A Drucksache 18/2006 ...... 4253 B Diana Golze (DIE LINKE) ...... 4241 D (CDU/CSU) ...... 4253 B Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . 4254 B DIE GRÜNEN) ...... 4242 D (SPD) ...... 4255 A Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 4256 C Tagesordnungspunkt 15: Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ Zweite und dritte Beratung des von der Bun- DIE GRÜNEN) ...... 4257 B desregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Wein- gesetzes Tagesordnungspunkt 20: Drucksachen 18/1780, 18/1966, 18/1983 . . . . 4243 B Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, (CDU/CSU) ...... 4243 C Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Ab- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 VII

geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Be- Tagesordnungspunkt 23: standsobergrenzen für Tierhaltungen ein- führen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Drucksache 18/1872 ...... 4258 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die europäi- sche Perspektive der Republik Moldau un- (CDU/CSU) ...... 4258 C terstützen (CDU/CSU) ...... 4259 D Drucksache 18/1956 ...... 4275 B Christina Jantz (SPD) ...... 4261 A Dr. (CDU/CSU) ...... 4275 B Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 4262 A (CDU/CSU) ...... 4276 B (BÜNDNIS 90/ Dietmar Nietan (SPD) ...... 4277 C DIE GRÜNEN) ...... 4263 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 4278 D () (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 19: DIE GRÜNEN) ...... 4279 C Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Natio- Tagesordnungspunkt 24: nale Stelle zur Verhütung von Folter zum: Jahresbericht 2013 der Bundesstelle und a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD der Länderkommission und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz Drucksachen 18/1178, 18/2003 ...... 4263 C von Elefanten und Nashörnern vor Wil- derei stärken (Chemnitz) (CDU/CSU) . . 4263 D Drucksache 18/1951 ...... 4280 B (CDU/CSU) ...... 4265 C b) Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, (SPD) ...... 4266 D Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE (DIE LINKE) ...... 4267 D LINKE: Wildtierhandel mit geschützten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Arten verbieten DIE GRÜNEN) ...... 4268 D Drucksache 18/1960 ...... 4280 B Josef Göppel (CDU/CSU) ...... 4280 C Tagesordnungspunkt 22: Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) . . . . . 4281 D Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Carsten Träger (SPD) ...... 4283 B Stephan Kühn (Dresden), , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Hubertus Zdebel (DIE LINKE) ...... 4284 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: LKW-Maut nachhaltig und ökologisch ausrichten (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/1620 ...... 4269 C DIE GRÜNEN) ...... 4284 D Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB ...... 4285 D Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Tagesordnungspunkt 25: Gesetzes zur Stabilisierung des Künstlerso- zialabgabesatzes (Künstlersozialabgabesta- Erste Beratung des von der Bundesregierung bilisierungsgesetz – KSAStabG) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Drucksachen 18/1530, 18/1770, 18/1985 . . . . 4269 D Verringerung der Abhängigkeit von Ra- tings Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . 4270 A Drucksache 18/1774 ...... 4286 D Uwe Lagosky (CDU/CSU) ...... 4271 A (CDU/CSU) ...... 4286 D (SPD) ...... 4271 D (CDU/CSU) ...... 4287 D (SPD) ...... 4272 D Andreas Schwarz (SPD) ...... 4289 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) ...... 4273 C Dr. (DIE LINKE) ...... 4289 D Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4274 B DIE GRÜNEN) ...... 4291 A VIII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Tagesordnungspunkt 31: Anlage 4 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten SPD: 20 Jahre nach Kairo – Bevölkerungs- Marco Bülow (SPD) zu den namentlichen politik im Kontext internationaler Ent- Abstimmungen über den Änderungsantrag der wicklungszusammenarbeit und der Post- Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, 2015-Agenda Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Drucksache 18/1958 ...... 4292 A Birkwald, Susanna Karawanskij, Thomas Lutze, , Richard Pitterle, Michael Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . 4292 B Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE zu dem Entwurf eines Dr. (CDU/CSU) ...... 4293 C Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Drucksache Michaela Engelmeier-Heite (SPD) ...... 4294 A 18/2019) (Tagesordnungspunkt 4 a) ...... 4303 B (SPD) ...... 4295 B

Niema Movassat (DIE LINKE) ...... 4296 D Anlage 5 (BÜNDNIS 90/ Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 4298 A , Manfred Grund, Frank Heinrich (Chemnitz), Jörg Hellmuth, Matthias Lietz, , Dr. Klaus-Peter Schulze, Nächste Sitzung ...... 4299 C , Carola Stauche, Dieter Stier, Arnold Vaatz, (Kleinsaara) und (alle CDU/CSU) zur na- Anlage 1 mentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4301 A nes Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Tagesord- nungspunkt 4 a) ...... 4304 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Daniela Kolbe Anlage 6 (Leipzig) (beide SPD) zur namentlichen Ab- Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen stimmung über den Änderungsantrag der Ab- Abstimmung über den von der Bundesre- geordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, gierung eingebrachten Entwurf eines Geset- Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. zes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarif- Birkwald, Susanna Karawanskij, Thomas Lutze, autonomiestärkungsgesetz) Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael (Tagesordnungspunkt 4 a) ...... 4304 D Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE zu dem von der Bundes- Günter Baumann (CDU/CSU) ...... 4304 D regierung eingebrachten Entwurf eines Geset- (CDU/CSU)...... 4305 C zes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifau- tonomiestärkungsgesetz) (Drucksache 18/2019) Dr. (CDU/CSU) ...... 4307 B (Tagesordnungspunkt 4 a) ...... 4301 C Klaus Brähmig (CDU/CSU) ...... 4308 A Dr. (CDU/CSU) ...... 4308 D Anlage 3 (CDU/CSU) ...... 4309 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Uda Heller (CDU/CSU) ...... 4310 C (SPD) zur namentlichen Ab- Robert Hochbaum (CDU/CSU) ...... 4311 B stimmung über den Änderungsantrag der Ab- geordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Carsten Körber (CDU/CSU) ...... 4311 B Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. (CDU/CSU) ...... 4312 A Birkwald, Susanna Karawanskij, Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Dr. (CDU/CSU) ...... 4312 D Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost und der Dr. (CDU/CSU) ...... 4313 C Fraktion DIE LINKE zu dem von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurf eines Geset- (CDU/CSU) ...... 4313 C zes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifau- (CDU/CSU) ...... 4314 A tonomiestärkungsgesetz) (Drucksache 18/2019) (Tagesordnungspunkt 4 a) ...... 4302 B (CDU/CSU) ...... 4314 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 IX

Martin Patzelt (CDU/CSU) ...... 4315 A Anlage 10 Jana Schimke (CDU/CSU) (CDU/CSU) . . . 4315 D Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten (Heidelberg) (SPD) zur na- (CDU/CSU) ...... 4316 A mentlichen Abstimmung über den von den Ab- geordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . 4316 D Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- Michael Groß (SPD) ...... 4317 A wurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungs- punkt 6 b) ...... 4318 D Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Anlage 11 Inge Höger und Ulla Jelpke (beide Die Linke) zur namentlichen Abstimmung über den von Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten der Bundesregierung eingebrachten Entwurf Dr. (Die Linke) zur Abstimmung eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautono- über die dritte Beschlussempfehlung des mie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Tages- Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen ge- ordnungspunkt 4 a) ...... 4317 B gen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deut- schen Bundestag am 22. September 2013 (Ta- gesordnungspunkt 33 k) ...... 4319 B Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Anlage 12 , , Dr. Matthias Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bartke, Bärbel Bas, Dr. Karl-Heinz Brunner, Ulrike Bahr, Marco Bülow, Petra Crone, Marco Bülow, Dr. , Petra Dr. , Dr. , Crone, , , Petra Ernstberger, Saskia Esken, Elke Ferner, , Michael Groß, Dr. Ute Finckh- Christian Flisek, , Gabriele Krämer, , Ulrich Hampel, Groneberg, Josip Juratovic, Christina Gabriela Heinrich, Gabriele Hiller-Ohm, Kampmann, Steffen-Claudio Lemme, Caren , Josip Juratovic, Ralf Kapschack, Marks, Katja Mast, , Ulli , Cansel Kiziltepe, Daniela Nissen, Dr. Simone Raatz, , Kolbe, Steffen-Claudio Lemme, Hiltrud Sönke Rix, , Lotze, Kirsten Lühmann, , (Wetzlar), , , Klaus Mindrup, Markus Paschke, Dr. Simone und Gülistan Yüksel (alle SPD) Raatz, Gerold Reichenbach, Andreas Rimkus, zur namentlichen Abstimmung über den von Annette Sawade, Dr. Dorothee Schlegel, der Bundesregierung eingebrachten Entwurf , , Ursula eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Schulte, Norbert Spinrath, Martina Stamm- Staaten als sichere Herkunftsstaaten und Fibich, Kerstin Tack, , zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und Gülistan für Asylbewerber und geduldete Ausländer Yüksel (alle SPD) zur namentlichen Abstim- (Zusatztagesordnungspunkt 6 a) ...... 4320 A mung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE Anlage 13 LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befris- Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen tung (Tagesordnungspunkt 6 b) ...... 4317 D Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Anlage 9 Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten geduldete Ausländer (Zusatztagesordnungs- Kerstin Griese und Dr. Martin Rosemann punkt 6 a) ...... 4320 D (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung (SPD) ...... 4321 A über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, wei- Bärbel Bas (SPD) ...... 4321 B teren Abgeordneten und der Fraktion DIE Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 4321 D LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes Dr. Lars Castellucci (SPD) ...... 4322 A zur Abschaffung der sachgrundlosen Befris- tung (Tagesordnungspunkt 6 b)...... 4318 B (SPD) ...... 4322 D X Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. Martin Rosemann (SPD) ...... 4323 B (Weil am Rhein) (CDU/ CSU) ...... 4325 C Susann Rüthrich (SPD) ...... 4323 C Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) ...... 4326 D Dr. (SPD) ...... 4324 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) ...... 4327 D Frank Tempel (DIE LINKE) ...... 4328 B Anlage 14 Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 4328 D Veronika Bellmann (CDU/CSU) zur na- Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär mentlichen Abstimmung über den von der BMI ...... 4329 C Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei- nes Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (Zusatztagesord- Anlage 17 nungspunkt 7 a) ...... 4324 C Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung Anlage 15 des Weingesetzes (Tagesordnungspunkt 15) . 4330 B Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Roland Claus (DIE LINKE) ...... 4330 B Hubert Hüppe (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD 20 Jahre nach Kairo – Bevöl- Anlage 18 kerungspolitik im Kontext internationaler Entwicklungszusammenarbeit und der Post- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung 2015-Agenda (Tagesordnungspunkt 31) . . . . 4325 A des Antrags: LKW-Maut nachhaltig und öko- logisch ausrichten (Tagesordnungspunkt 22) . 4331 A Steffen Bilger (CDU/CSU) ...... 4331 A Anlage 16 Karl Holmeier (CDU/CSU) ...... 4331 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (SPD) ...... 4332 C des Entwurfs eines Bundesbesoldungs- und Herbert Behrens (DIE LINKE) ...... 4333 D -versorgungsanpassungsgesetzes 2014/2015 (BBVAnpG 2014/2015) (Tagesordnungs- Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ punkt 9) ...... 4325 D DIE GRÜNEN) ...... 4334 C

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4089

(A) (C)

46. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Beginn: 10.30 Uhr

Präsident Dr. : ZP 2 Aktuelle Stunde Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir die Sit- auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE zung eröffnen, möchte ich Ihr Einverständnis dazu her- Beschaffungsprogramm von Drohnen für die beiführen, dass wir mit der Sitzung beginnen können, Bundeswehr obwohl der Flügel nach der Gedenkstunde noch hier im Plenarsaal steht. Aus noch nicht restlos geklärten Grün- (ZP 1 und 2 siehe 45. Sitzung) den sind die Techniker, die ihn vorher hatten wieder zu- rückbringen sollen, im Augenblick nicht verfügbar. Da ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver- ich aber ziemlich sicher bin, dass die Verfügbarkeit eines fahren Flügels der Harmonie unserer Beratungen nicht im Wege Ergänzung zu TOP 32 steht, bin ich zuversichtlich, dass Sie damit einverstan- den sind. Ist das so? Beratung des Antrags der Abgeordneten (B) Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, (D) (Beifall) Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sehr gut. Maßgabebeschluss des Bundesrates zur Spiel- Vizepräsidentin : verordnung umgehend in Kraft setzen Einen schönen guten Morgen von meiner Seite nach Drucksache 18/1875 einem sehr bewegenden Vormittag! Der Präsident hat Überweisungsvorschlag: schon darauf hingewiesen, dass wir heute musikalisch Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) begleitet werden. Ich habe bisher eine Rednerliste vor- Ausschuss für Gesundheit liegen, aber noch nicht die Liste derjenigen, die uns zwi- schendurch etwas spielen wollen. Aber es ist eine Pre- ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- miere, und ich bin mir ganz sicher, dass uns dieser sprache Flügel in unserer heutigen Debatte beflügeln wird. Ergänzung zu TOP 33 Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich a) Beratung des Antrags der Abgeordneten dem Kollegen Dr. Klaus-Peter Schulze sehr, sehr Dr. Tobias Lindner, Christian Kühn (Tübingen), herzlich im Namen des ganzen Hauses zu seinem heuti- Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Frak- gen kugelrunden 60. Geburtstag gratulieren. Ich wün- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sche im Namen des Hauses alles, alles Gute, Herr Dr. Schulze. Moratorium beim Verkauf von Wohnimmo- bilien in Städten mit angespanntem Woh- (Beifall) nungsmarkt durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge- Drucksache 18/1965 führten Punkte zu erweitern: b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) ZP 1 Vereinbarte Debatte Sammelübersicht 74 zu Petitionen Bedrohung der regionalen Stabilität durch das Vorgehen der ISIS-Truppen Drucksache 18/1974 4090 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des (C) tionsausschusses (2. Ausschuss) Berichts des Innenausschusses (4. Aus- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sammelübersicht 75 zu Petitionen Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, Drucksache 18/1975 weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Schutzbedarf von Roma aus Westbalkan- Sammelübersicht 76 zu Petitionen staaten anerkennen Drucksache 18/1976 Drucksachen 18/1616, 18/1954, 18/2004 e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- ZP 7 a) – Zweite und dritte Beratung des von der tionsausschusses (2. Ausschuss) Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- Sammelübersicht 77 zu Petitionen rung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Drucksache 18/1977 Drucksachen 18/1312, 18/1759 f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- – Zweite und dritte Beratung des von den tionsausschusses (2. Ausschuss) Abgeordneten Jan Korte, Sevim Sammelübersicht 78 zu Petitionen Dağdelen, Dr. André Hahn, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion DIE LINKE Drucksache 18/1978 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes g) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- über die Aufhebung der Optionsrege- tionsausschusses (2. Ausschuss) lung im Staatsangehörigkeitsrecht Sammelübersicht 79 zu Petitionen Drucksache 18/1092 Drucksache 18/1979 – Zweite und dritte Beratung des von der h) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tionsausschusses (2. Ausschuss) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörig- Sammelübersicht 80 zu Petitionen keitsgesetzes (B) Drucksache 18/1980 Drucksache 18/185 (neu) (D) i) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- tionsausschusses (2. Ausschuss) ausschusses (4. Ausschuss) Sammelübersicht 81 zu Petitionen Drucksachen 18/1955, 18/2005 Drucksache 18/1981 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des j) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Berichts des Innenausschusses (4. Aus- tionsausschusses (2. Ausschuss) schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Jan Korte, Matthias W. Sammelübersicht 82 zu Petitionen Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 18/1982 Fraktion DIE LINKE ZP 5 Aktuelle Stunde Für ein fortschrittliches Staatsangehörig- auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE keitsrecht GRÜNEN Drucksachen 18/286, 18/1955, 18/2005 Haltung der Bundesregierung zu Einwänden der EU-Kommission in Bezug auf die Einfüh- ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- rung einer Pkw-Maut in Deutschland schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung (1. Ausschuss) ZP 6 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Antrag auf Genehmigung zum Vollzug eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten gerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses als sichere Herkunftsstaaten und zur Er- leichterung des Arbeitsmarktzugangs für Drucksache 18/1990 Asylbewerber und geduldete Ausländer (siehe 45. Sitzung) Drucksachen 18/1528, 18/1766 Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- weit erforderlich, abgewichen werden. ausschusses (4. Ausschuss) Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkt- Drucksachen 18/1954, 18/2004 liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4091

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- NEN]) sen. Mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: 27. November 2013 war klar: Er kommt. Daran hat sich notwendigerweise eine Debatte über die Frage ange- a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- schlossen: Wie wird er ausgestaltet? Ich möchte mich an desregierung eingebrachten Entwurfs eines dieser Stelle bei Ihnen und bei allen, die sich an dieser Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie ernst und intensiv geführten Debatte beteiligt haben, (Tarifautonomiestärkungsgesetz) herzlich bedanken. Wir haben viele Hinweise und kriti- Drucksache 18/1558 sche Anmerkungen bekommen. Sie sind alle in diesen hier vorliegenden Gesetzentwurf eingeflossen. Wir ha- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- ben hart gerungen. Das ist aber auch kein Wunder; denn schusses für Arbeit und Soziales (11. Aus- wir beschließen hier heute nicht irgendetwas. Was wir schuss) heute beschließen, ist von herausragender Bedeutung für Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Drucksache 18/2010 (neu) diesem Land, die endlich einen anständigen Lohn erhal- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- ten werden. Deswegen war es richtig, um den besten schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Weg zu ringen, und heute haben wir nun ein gutes Er- gebnis vorliegen. Drucksache 18/2011 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- der CDU/CSU) richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- Es ist nicht übertrieben, zu behaupten: Wir setzen ten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. heute einen Meilenstein in der Arbeits- und Sozialpolitik Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak- der Bundesrepublik Deutschland. tion DIE LINKE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde der CDU/CSU) einführen So sehr ich mich ja gerade für viele Beiträge in der Drucksachen 18/590, 18/2010 (neu) Debatte bedankt habe, muss ich allerdings auch sagen, dass in der letzten Phase der eine oder andere Debatten- (B) Zu dem Gesetzentwurf liegen drei Änderungsanträge beitrag dabei war, den man in meiner Heimat schlicht als (D) und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke so- Kokolores bezeichnen würde. wie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vor. Über den Gesetzentwurf der Bundesre- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gierung sowie über einen Änderungsantrag der Fraktion Deswegen will ich doch noch einmal die Fakten vor- Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Ich tragen. Fakt ist: Ab 1. Januar 2015 gilt in Deutschland möchte darauf hinweisen, dass zur Annahme des Gesetz- flächendeckend der gesetzliche Mindestlohn von entwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes 8,50 Euro, und zwar in Ost und West gleichermaßen, die absolute Mehrheit, das sind 316 Stimmen, erforder- ohne dass irgendeine einzige Branche ausgenommen lich ist. wird. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre und der CDU/CSU) sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ja, keine einzige Branche. Wer anderes behauptet: Ko- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes- kolores! ministerin Andrea Nahles. Lassen Sie uns doch einmal über die sogenannten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ausnahmen reden. An dieser Stelle hilft schlicht der Blick ins Gesetz. Ich fange einmal mit der sogenannten Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Ausnahme „Praktika“ an. Unser Gesetz schreibt fest: Soziales: Wer einen Abschluss hat – ob nun Berufsabschluss oder Studium – bekommt in Deutschland ab 1. Januar 2015 Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und einen Mindestlohn. Es gibt kein Fegefeuer mehr, in dem Kollegen! Zehn Jahre diskutieren wir nun über die Ein- man sich von Praktikum zu Praktikum schwitzt, um führung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Zehn Jahre dann am Ende vielleicht doch noch einen bezahlten Job streiten wir uns über das Für und Wider. Zehn Jahre be- zu ergattern. Damit ist nun endlich Schluss. Die Genera- stimmt dieses Thema die politische Debatte in diesem tion Praktikum gehört der Vergangenheit an. Land. Jetzt kommt er. Das ist ein Grund zur Freude, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ja, richtig ist: Während der Ausbildung oder während der CDU/CSU und des Abg. Dr. Wolfgang des Studiums sind auch Praktika ohne Mindestlohn mög- 4092 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Bundesministerin Andrea Nahles (A) lich, beispielsweise Pflichtpraktika oder auch freiwillige Kommen wir zu der sogenannten Ausnahme für Zei- (C) Praktika, aber klar begrenzt auf drei Monate und nur, tungsausträger. Auch hier gilt: Für sie gilt der Mindest- wenn sie dem Zweck der Ausbildung dienen. Durch die- lohn. Ich hätte mir eine tarifliche Übergangsregelung ge- ses Gesetz wird zum ersten Mal überhaupt ein Qualitäts- wünscht, die die Sozialpartner miteinander aushandeln. rahmen für Praktika geschaffen. Zum ersten Mal werden Aber das ist nicht gelungen. Deswegen legen wir eine in Deutschland feste Regeln für Praktika eingeführt, gesetzliche Übergangsregelung vor. Das ist übrigens der klare Ansprüche definiert, Ausbildungsziel, Dauer und einzige Unterschied zu dem, was wir für andere Bran- Lohn im Vertrag festgehalten, und jeder hat ein Recht chen regeln, die es selber in die Hand nehmen und tarif- auf ein Zeugnis. Das gilt – und ansonsten gilt der Min- lich regeln. Die sogenannte Ausnahme für Zeitungsaus- destlohn. träger ist keine Ausnahme. Sie sind von Anfang an im Mindestlohn, wie andere Branchen auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Ich sage es ganz klar: Die sogenannte Ausnahme „Prak- Aber für einen Hungerlohn!) tika“ ist keine Ausnahme. Ein weiterer Punkt, der immer wieder kritisiert wird, Kommen wir zur nächsten sogenannten Ausnahme, ist, dass Langzeitarbeitslose den Mindestlohn erst nach über die ja in den letzten Tagen sehr viel geredet wurde: sechs Monaten bekommen sollen. Es gibt hier sehr viele den Erntehelfern. Das Gesetz sagt klar: Für Erntehelfer Befürchtungen, dass diese Leute jetzt ausgenutzt wer- gilt wie für alle anderen auch der Mindestlohn. Wenn für den. Ich möchte Ihnen einmal aus der Realität am deut- sie kein Tarifvertrag abgeschlossen wird – die Verhand- schen Arbeitsmarkt berichten: Wir finden kaum lungen laufen derzeit –, gilt ab 1. Januar 2015 der Min- genügend Arbeitgeber, die überhaupt bereit sind, Lang- destlohn. Ich lasse mir übrigens keine Kritik dafür gefal- zeitarbeitslosen eine Chance zu geben. Wir werden im len, dass ich zusammen mit Landwirtschaftsminister nächsten Jahr ein ESF-Programm auflegen, das die Ak- Schmidt versuche, die Einführung des Mindestlohnes für quise von Arbeitgebern, die Langzeitarbeitslosen eine diese Branche möglichst vernünftig zu gestalten. Dafür Chance geben, zum Thema hat, weil es so schwer ist, sie haben wir uns einige Hilfestellungen überlegt. zu finden. Das hat viele Gründe, die wir heute nicht dis- Wenn sich zum Beispiel Landwirte und Saisonbe- kutieren können. triebe mit gefälschten Sozialversicherungspapieren he- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber nicht den rumschlagen müssen und nachher noch auf ihrer Bei- Lohn!) tragsschuld sitzen bleiben, dann müssen wir Abhilfe (B) schaffen. In jedem Falle ist es eine Sonderregel, die Chancen (D) schaffen soll. Oder ein anderer Punkt: sehr bürokratische Formen der Inrechnungstellung von Kost und Logis. Hierzu habe Ich gebe ehrlich zu: Wir wissen nicht, ob es so funk- ich auch in seriösen Medien in den letzten Tagen einen tioniert. Deswegen haben wir uns in der Koalition vorge- ziemlichen Quatsch gehört, nämlich, dass wir Kost und nommen, dass wir diese Regeln für Langzeitarbeitslose Logis auf den Lohn anrechnen würden. So etwas geht in zwei Jahren auf den Prüfstand stellen. Ich gebe auch gar nicht. Es gibt keine Anrechnung von Kost und Logis zu: Das ist eine befristete Ausnahme. Aber vielleicht auf den Lohn. Was wir aber machen, ist, das Verfahren birgt sie für viele Menschen die Chance, auf dem Ar- der Inrechnungstellung von Kost und Logis einfacher beitsmarkt Fuß zu fassen. und transparenter zu gestalten – nicht mehr und nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weniger. Es ist gut für die Betriebe, dass wir das ge- der CDU/CSU) macht haben, und übrigens auch gut für den Zoll, der jetzt wesentlich leichter kontrollieren kann. Nun komme ich zur Ausnahme für Schüler bis 18 Jahre. Die Ausnahme für Schüler bis 18 Jahre ist tat- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sächlich eine Ausnahme, und das hat einen guten Grund: der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Klaus Ernst Gerade schwache Schulabgänger sollen nicht durch ei- [DIE LINKE]) nen ungelernten Job davon abgehalten werden, eine Und: Wir wollen eine vierjährige Übergangszeit für Ausbildung zu machen; dazu stehe ich. die ohnehin jetzt schon geltende Möglichkeit der kurz- (Zuruf von der LINKEN: So ein Quatsch!) fristigen sozialabgabenfreien Beschäftigung schaffen, in der der Zeitraum der Befreiung von Sozialabgaben von Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, steckt also 50 auf 70 Tage verlängert wird. wirklich hinter den sogenannten Ausnahmen und der einzigen wirklichen Ausnahme, die das Gesetz vorsieht. Das alles wird den Saisonarbeitern, aber auch den Erntebetrieben helfen. Aber es gibt hier keine Ausnahme Lassen Sie uns jetzt doch auch mal darüber reden, vom Mindestlohn. Die sogenannte Ausnahme für Ern- was dieses Gesetz schafft, was es leistet, was es verän- tehelfer und Saisonarbeiter ist keine Ausnahme, liebe dert. Lassen Sie uns über den Kern und die wirkliche Kolleginnen und Kollegen. Substanz des Gesetzes reden, liebe Kolleginnen und Kollegen. „Fleißig, billig, schutzlos“ – so hat es mal ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kluger Kopf auf den Punkt gebracht. „Fleißig, billig, der CDU/CSU) schutzlos“ – das ist doch bisher die Realität für Millio- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4093

Bundesministerin Andrea Nahles (A) nen Arbeitnehmer in Deutschland, und damit ist jetzt dieser Stelle auch gesagt werden – ein Verdienst und ein (C) Schluss. großer Erfolg der deutschen Gewerkschaften. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Das Gesetz, das wir hier heute verabschieden wollen, GRÜNEN) kann niemand ehrlich anders interpretieren. Der Min- destlohn gilt flächendeckend, er gilt in Ost und West, er Ich möchte einen ganz besonders nennen, der sich jahre- gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Er lang für diesen Mindestlohn eingesetzt hat. Er ist heute bringt endlich anständige Löhne für Millionen von Men- mit vielen Kollegen unter uns: Michael Sommer, schön, schen, die fleißig arbeiten, aber bisher billig abgespeist dass du da bist. Herzlichen Dank für dein Engagement! wurden. Wenn Sie demnächst bei einer netten Frau einen Blumenstrauß kaufen, wenn Sie beim Callcenter anru- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem fen, um eine Auskunft zu bekommen, wenn Sie bei Ih- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- rem Einkauf jemanden sehen, der Waren in die Regale geordneten der LINKEN) räumt, dann können Sie sicher sein: Hier überall wird Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben um die- der Mindestlohn gelten. ses Gesetz gerungen, wir haben um dieses Gesetz ge- Fast 4 Millionen Menschen werden ab Januar besser kämpft. Ich bin überzeugt: Das Gesetz, das uns heute schlafen, besser zurechtkommen, besser fühlen, dass vorliegt, ist gut geworden und ein notwendiger Schritt. sich ihr Einsatz lohnt, Es schafft sozialen Frieden und mehr soziale Stabilität, es schafft ein Stück mehr soziale Gerechtigkeit in unse- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rem Land. der CDU/CSU) Es ist wichtig und richtig, dass wir ein festes Halte- auch weil wir im Gesetz nicht nur regeln, dass sie mehr netz nach unten spannen, dass wir endlich dem Niedrig- Geld bekommen; übrigens für viele die höchste Lohner- lohnsektor einen Riegel vorschieben, dass Millionen höhung ihres Lebens. Wir regeln auch, wie wir den Menschen endlich ihren verdienten Lohn bekommen. Mindestlohn durchsetzen und kontrollieren wollen; denn Das ist moderne soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhun- der Mindestlohn auf dem Papier nützt niemandem, er dert. muss in der Wirklichkeit ankommen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bitte jeden einzelnen Abgeordneten und jede ein- (B) zelne Abgeordnete um seine, um ihre Stimme. Es ist eine (D) Deswegen werden wir 1 600 neue Kolleginnen und Stimme für die, die hart arbeiten, eine Stimme für die Kollegen beim Zoll einstellen. Ich möchte Finanzminis- Tüchtigen, deren Arbeit endlich einen Wert bekommt. ter Schäuble ausdrücklich dafür danken, dass er das Jede Stimme für dieses Gesetz ist ein Beitrag für mehr möglich gemacht hat. soziale Gerechtigkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich danke Ihnen. Mit einer solchen Kontrolle – das ist wichtig – wird (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Wettbewerbsfairness geschaffen. Es darf nicht sein, dass der CDU/CSU) sich einige schwarze Schafe vor dem Mindestlohn drü- cken und anderen, die den Mindestlohn zahlen, mit Dumpinglöhnen Konkurrenz machen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Ministerin Andrea Nahles. – Ein weiterer Punkt, der zum Kern und zur Substanz Nächster Redner in der Debatte: Klaus Ernst für die dieses Gesetzes gehört, ist die Stärkung der Tarifautono- Linke. mie. Wir haben die Allgemeinverbindlichkeit von Tarif- verträgen erleichtert und das Arbeitnehmer-Entsende- (Beifall bei der LINKEN) gesetz für alle Branchen geöffnet. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes geben wir Klaus Ernst (DIE LINKE): den Mindestlohn übrigens in die Hände der Sozialpart- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsi- ner zurück. Sie – und nicht wir, die Politik; und das ist dentin! Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn auch gut so – werden in Zukunft in einer Mindestlohn- ohne Ausnahmen ist dringend notwendig. kommission die Entwicklung des Mindestlohnes bestim- men; zum ersten Mal übrigens schon ein Jahr früher als (Beifall bei der LINKEN) ursprünglich geplant. Durch die sogenannten Reformen auf dem Arbeits- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten markt sind die Löhne in der Bundesrepublik Deutsch- der CDU/CSU) land auf eine Rutschbahn nach unten geraten. Wir kön- nen jetzt nur fragen, wer für die Reformen auf dem Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir hier Arbeitsmarkt verantwortlich ist, die die Löhne zum Sin- und heute den Mindestlohn verabschieden können, dass ken gebracht haben. Fast 25 Prozent aller Beschäftigten wir diesen Schritt heute machen, ist – und das muss an arbeiten bei uns inzwischen zu Niedriglöhnen. 4094 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Klaus Ernst (A) Zur Erinnerung – weil der ein oder andere von Ihnen Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) das offensichtlich nicht mehr weiß –: Vor fast genau Ich dachte, Sie wollen den Satz noch zu Ende führen, zwölf Jahren, am 2. Juli 2002, hat der Bundestag auf bevor Sie – – Also nicht. Antrag einer unserer Vorgängerparteien, der PDS, zum ersten Mal über die Einführung eines gesetzlichen Min- Klaus Ernst (DIE LINKE): destlohns abgestimmt. Selbstverständlich waren alle an- Ich greife den Satz noch einmal auf. deren dagegen.

(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Vizepräsidentin Claudia Roth: Birkwald [DIE LINKE]: So ist das! Wir waren Sie greifen den Satz noch einmal auf. Das heißt, Sie das!) erlauben eine Zwischenfrage. Gefühlte zehn Mal haben Sie seit 2005 hier im Deut- schen Bundestag vernünftige Löhne für Millionen von Klaus Ernst (DIE LINKE): Menschen verhindert. Ja, es ist ein Erfolg, dass Sie end- Ja freilich, selbstverständlich. lich zur Vernunft gekommen sind. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er (Beifall bei der LINKEN – Dietmar Nietan wusste eh nicht, was er als Nächstes sagen [SPD]: Dann stimmen Sie mit!) soll! – Heiterkeit bei der CDU/CSU) Der ehemalige Herausgeber der FAZ Müller-Vogg – Sie brauche ich dazu nicht. schreibt dazu im Cicero am 1. Juli dieses Jahres: Vizepräsidentin Claudia Roth: Dieser „Meilenstein in der Wirtschafts- und Be- Gut. – Bitte schön. schäftigungspolitik der Bundesrepublik“ … ist in erster Linie das Verdienst der Linkspartei. Die SPD hatte nämlich jahrelang diese „Begrenzung der Dietmar Nietan (SPD): Tarifautonomie im unteren Bereich“ … abgelehnt. Herzlichen Dank, Herr Kollege Ernst. – Ich habe Ih- ren Äußerungen entnommen, dass Sie für die heutige (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Entscheidung zur Einführung des Mindestlohns wirklich der SPD) brennen. Sie sehen sich bestätigt. Nehmen Sie doch wenigstens die Realität zur Kenntnis, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) meine Damen und Herren! (B) Ich frage Sie: Rührt Ihr Enthusiasmus daher, dass Sie (D) Dass Sie heute in der Koalition einen gesetzlichen uns jetzt sagen können, dass Ihre Fraktion geschlossen Mindestlohn vorlegen, hat im Wesentlichen drei Gründe: zustimmen und Teil dieses historischen Ereignisses sein Es waren der Kampf und die Kampagne der wird? Gewerkschaften, es war der unermüdliche Kampf der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Linkspartei, und es war der Zeitgeist, gegen den Sie sich der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer nicht länger stellen konnten. Deshalb haben wir jetzt [CDU/CSU]: Gute Frage! – Thomas einen gesetzlichen Mindestlohn, meine Damen und Oppermann [SPD]: Bitte keine Enthaltung! Ja Herren. oder Nein?) (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD) Klaus Ernst (DIE LINKE): Ich danke Ihnen für diese Frage, Herr Kollege. Sie Ja, es ist auch ein Erfolg der Linken. gibt mir Gelegenheit, ganz ausführlich zu begründen, Warum machen Sie einen richtigen Punkt wie den ge- warum wir uns enthalten werden. setzlichen Mindestlohn so grottenschlecht wie in diesem (Zurufe von der SPD: Oh! – Christine Gesetz? In Ihrem Koalitionsvertrag versprechen Sie zum Lambrecht [SPD]: So eine Enthaltung spürt 1. Januar 2015 einen flächendeckenden gesetzlichen man richtig im Geldbeutel! – Weitere Zurufe Mindestlohn von 8,50 Euro. Ich zitiere: von der CDU/CSU und der SPD) Von dieser Regelung unberührt bleiben nur Min- Wir werden uns enthalten, weil Sie eben nicht das ma- destlöhne nach dem AEntG. chen, was Sie versprochen haben, weil der Mindestlohn zum Beispiel für unter 18-Jährige überhaupt nicht gelten Sie sehen im Koalitionsvertrag Ausnahmen vor, die al- soll. Sie schließen sämtliche Menschen unter 18 von der lerdings nur tariflich möglich sein sollen. Und heute, Regelung aus. Jetzt frage ich Sie: Warum soll die Schü- kein Jahr später? lerin Johanna, die im Supermarkt an der Kasse sitzt, (Zuruf von der SPD: Na? – Abg. Dietmar 17 Jahre alt ist und dort ihre Tätigkeit verrichtet, mit Nietan [SPD] meldet sich zu einer Zwischen- 5 oder 6 Euro abgespeist werden, während ihr Kollege, frage) der vielleicht Student und 18 Jahre alt ist, 8,50 Euro kriegen soll? Wo ist da bei Ihnen eigentlich die Logik? – Da will einer eine Frage stellen. Wo ist die Gerechtigkeit? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4095

Klaus Ernst (A) (Beifall bei der LINKEN – Christine Jetzt kommen wir zu den Zeitungsausträgern. Auch (C) Lambrecht [SPD]: Sie soll erst einmal eine sie erhalten ab 2015 nicht einen Mindestlohn von Ausbildung machen und nicht an der Kasse 8,50 Euro. Ihr Lohn ist weit davon entfernt. Ich nehme sitzen!) als Beispiel den Zeitungsausträger Helmut: Er ist er- werbsgemindert und will sich etwas dazuverdienen. Er Es gibt überhaupt keinen Grund für Ihre Ausnahmerege- steht um 4 Uhr morgens auf, um Zeitungen auszutragen. lungen. Sie haben ihm einen Mindestlohn von 8,50 Euro ab 2015 (Katja Mast [SPD]: Sie sollen mit Ja oder Nein versprochen – deshalb hat er Sie vielleicht auch gewählt; antworten! – Abg. Dietmar Nietan [SPD] das würde er heute wahrscheinlich nicht mehr machen. nimmt wieder Platz) Heute bekommt er gerade einmal 6,38 Euro in der Stunde, 2015 bekommt er 6,38 Euro in der Stunde, 2016 – Ich bin noch nicht fertig. Ich beantworte noch Ihre 7,23 Euro und ab 2017, wo der allgemeine flächende- Frage. ckende Mindestlohn nach Ihrer Regelung das erste Mal Sie haben gefragt, wie wir uns dazu verhalten. Ich angehoben werden soll, erhält er 8,50 Euro, und bei habe gesagt: Wir werden uns enthalten. Ein Grund, wa- 8,50 Euro bleibt sein Lohn dann erstmal stehen. Er erhält rum wir uns enthalten, ist: Sie führen keinen gesetzli- die Anhebung der 8,50 Euro, die Sie ihm versprochen chen Mindestlohn für alle ein, sondern nur für einen Teil haben, frühestens in vier Jahren, also 2018. Das ist Ihr der Beschäftigten. Frank Bsirske, der Vorsitzende des Mindestlohn! „Mein Gott!“, kann ich dazu nur sagen. DGB, sagt, dass bis zu 3 Millionen Arbeitnehmerinnen (Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: und Arbeitnehmer, die von der Mindestlohnregelung So wie es im Koalitionsvertrag steht! – eigentlich betroffen sein sollten, nicht betroffen sein [SPD]: Von Ihnen be- werden. Deshalb werden wir uns enthalten. Deshalb kommt er nur harte Worte!) können wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Der entscheidende Punkt bei dieser Regelung ist fol- (Beifall bei der LINKEN) gender: Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, Da wir gerade bei den unter 18-Jährigen sind, sage ich dass Abweichungen nur auf der Grundlage von Tarifver- auch Folgendes: Wir haben die Bundesregierung gefragt, trägen möglich sind. Bei den Zeitungsverlegern, einer wie viele unter 18-Jährige davon betroffen sein werden. Branche ohne Tarifvertrag, machen Sie jetzt eine Aus- Knapp 30 Prozent der 450 000 Beschäftigten unter 18 nahme. Warum haben die anderen eigentlich Tarifver- Jahren sind Auszubildende. Es geht nur um 9 200 der träge abgeschlossen? Die müssen sich ja jetzt an den unter 18-Jährigen, die zurzeit einer normalen, einer ver- Kopf fassen. Da Sie dieses Gesetz jetzt auch noch als (B) sicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Der Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie bezeichnen, ist (D) größte Teil, mehrere Hunderttausend junge Menschen, die Kritik der Gewerkschaften vollkommen berechtigt. sind ganz normale Jobber. Sie verrichten bei Lidl oder Ursula Engelen-Kefer, die ehemalige stellvertretende sonst wo ihre Tätigkeit, weil sie sich etwas Bundesvorsitzende des DGB, Kollegin des Kollegen dazuverdienen wollen. Warum wollen Sie denen den Sommer, der auf der Tribüne sitzt, hat das im Handels- Mindestlohn nicht zugestehen? Sie brechen damit in blatt als – Zitat – „Täuschungsmanöver“ bezeichnet. Sie eklatanter Weise Ihr Versprechen, das auch in Ihrem schreibt: Durch die Ausnahmeregelungen werden „etwa Wahlprogramm steht, Herr Kollege. drei Millionen Arbeitnehmer vom Mindestlohn aus- (Beifall bei der LINKEN) geschlossen, vor allem diejenigen, die ihn dringend brauchen. Am meisten betroffen sind wieder einmal die Ferner enthalten Sie über 1 Million Langzeitarbeits- Frauen, die mit 67 Prozent etwa doppelt so viele Dum- losen den Mindestlohn vor – darauf wird meine Kollegin ping-Löhner stellen wie die Männer.“ Zitateende. Das ist Sabine Zimmermann eingehen –, und Sie erhöhen die der Grund. versicherungsfreie Zeit für Saisonarbeiter von 50 auf 70 Tage. Jetzt sagen Sie: Na ja, bei den Saisonarbeitern Mit diesem Gesetzentwurf, den Sie vorlegen, sind wir gab es schon immer die Möglichkeit, Kosten für Unter- von einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn mei- kunft und Verpflegung anzurechnen. Ich sage Ihnen: lenweit entfernt. Herr Bsirske, der Vorsitzende von Wenn man einen Mindestlohn einführt, darf man nicht Verdi, sagt – ich zitiere –: an einer vorkapitalistischen Regelung wie der Verrech- Das hat mit dem allgemeinen gesetzlichen Mindest- nung der Kosten für Kost und Logis mit dem Lohn fest- lohn, den die SPD in ihrer Mitgliederbefragung vor halten. Wir wollen, dass die Menschen ihren Lohn voll der Regierungsbildung zur Abstimmung gestellt ausgezahlt bekommen und der mächtige Arbeitgeber die hat, nichts mehr zu tun. Kosten für Kost und Logis nicht abziehen kann. Auch diese Regelung, die Sie vorschlagen, ist unmöglich. Zitateende. Das ist nicht in Ordnung. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie haben von Kontrolle gesprochen: Wie wollen Sie Ich will auf ein Argument eingehen, das im Zusam- denn das kontrollieren? Was ist das für eine Regelung? menhang mit den Zeitungsausträgern formuliert wurde. Wie wollen Sie kontrollieren, wie viel abgezogen wird? Es wurde gesagt, die Pressefreiheit wäre in Gefahr, wenn Es ist unmöglich, das zu kontrollieren. Deshalb ist diese der Lohn der Zeitungsausträger 8,50 Euro betragen Regelung unmöglich. würde. Für wie dumm halten Sie eigentlich die Bevölke- 4096 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Klaus Ernst (A) rung? Jeder weiß, dass bei den Tageszeitungen ein Rie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) senkonzentrationsprozess vor sich geht. Bei den Tages- Lachen bei der LINKEN) zeitungen haben die zehn größten Verlagsgruppen Wissen Sie, es hat Zeiten gegeben – sie sind noch gar inzwischen 60 Prozent Marktanteil; der Anteil stieg von nicht so lange her –, da war auch der DGB davon über- 2006 bis 2014 um 6 Prozentpunkte. Bei den Kaufzeitun- zeugt, dass der Mindestlohn falsch ist; da hat auch er da- gen haben die fünf größten 97 Prozent Marktmacht. gegen gestimmt, mit der SPD, mit den Grünen und mit Wenn Sie etwas für die Pressefreiheit tun möchten, dann der Union. Damals hat sich Deutschland in einem Verän- versuchen Sie, das Problem der Konzentration im Pres- derungsprozess befunden. Inzwischen hat es neue sebereich zu lösen. Sie dürfen aber nicht den Entwicklungen gegeben, und es gibt neue Perspektiven. Zeitungsausträgern ihren Lohn vorenthalten, meine Da- Die Situation 2014 ist eine andere als die Situation 2002 men und Herren! und 2003. Deswegen wird heute gehandelt. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Weil meine Redezeit gleich vorbei ist, nur noch eine Der Union geht es darum, Arbeitsplätze zu erhalten, kurze Bemerkung. Ich habe den Eindruck, wir müssen den Menschen eine Perspektive zu geben, ja, für uns einmal die Frage stellen: Wer regiert eigentlich wirk- Fairness am Arbeitsplatz zu sorgen, dabei die bewährte lich? Zwar hat der Zeitungsausträger Helmut bei Wahlen Tarif- und Sozialpartnerschaft zu stärken und so die genauso viel Stimmrecht wie Friede Springer; das ist Leistungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft sicher- richtig. Aber hat er auch genauso viel Einfluss? Wer sagt zustellen. Dabei stehen wir vor der Herausforderung, die der Regierung eigentlich, wie diese Regelungen auszu- wirtschaftliche Prosperität in Deutschland zu erhalten gestalten sind? In der Anhörung hat Herr Professor und dabei in der Tat für faire und gerechte Bedingungen Dr. Dr. h. c. Preis zur Regelung für Zeitungsausträger in unserem Land zu sorgen. Das ist die Grundlage so- Folgendes gesagt: Ich möchte – Zitat – „nicht ausschlie- zialpolitischer Maßnahmen dieser Koalition. ßen, dass diese Regelung ein Produkt eines außerordent- lich intensiven Lobbyismus ist“. So machen Sie inzwi- Meine Damen und Herren, heute legen wir den Ent- schen die Gesetze, und sie sind meilenweit von dem wurf eines Tarifautonomiestärkungsgesetzes vor. Es entfernt, was Sie versprochen haben. heißt deswegen „Tarifautonomiestärkungsgesetz“, weil die Tarifautonomie im Mittelpunkt steht. Es geht um die Frage: Wer ist in diesem Land für die Findung von Löh- Vizepräsidentin Claudia Roth: nen zuständig? Es sind Arbeitgeber und Gewerkschaf- Herr Kollege. ten, die Tarifverträge aushandeln, und nicht der Staat. Denn wenn der Staat anfangen würde, die Höhe der (B) (D) Klaus Ernst (DIE LINKE): Löhne festzusetzen, dann würde er eines Tages auch Was Sie hier vorlegen, ist kein flächendeckender über die Gurkenpreise entscheiden. Wir müssen klar sa- Mindestlohn, sondern ein Flickenteppich. Da kann ich gen, wer zuständig ist. Deswegen fordern, fördern und nur sagen: Versprechen gegeben, Versprechen gebro- unterstützen wir mit diesem Gesetz die Tarifautonomie. chen. Ich darf Sie an Folgendes erinnern – das ist ein Teil (Beifall bei der LINKEN – Bernd Rützel der deutschen Geschichte –: Als die deutschen Bundes- [SPD]: Oh!) kanzler in den 70er- und 80er-Jahren nach Moskau ge- fahren sind, um mit den Sowjets auch über Wirtschaft zu reden, haben sich die Sowjets verwundert die Augen ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: rieben, dass im Gefolge des jeweiligen Kanzlers nicht Danke, Herr Kollege Ernst. – Das Wort hat Karl nur Wirtschaftsvertreter, sondern auch Gewerkschafts- Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. vertreter waren. Der Gegensatz von Arbeit und Kapital, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – von dem der Kommunismus gezehrt hat, war in Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt Deutschland in der sozialen Marktwirtschaft aufgeho- kommt Substanz in die Debatte!) ben. Betriebspartnerschaft und Tarifpartnerschaft haben dazu geführt, dass wir nicht nur Betriebsfrieden und ge- sellschaftlichen Frieden – auch wenn es zu Auseinander- Karl Schiewerling (CDU/CSU): setzungen kam – hatten, sondern dadurch haben wir Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe auch gemeinsam die Grundlage für unseren wirtschaftli- Kolleginnen und Kollegen! Herr Ernst, ich finde es chen Erfolg gelegt. Der Weg, den wir damals gegangen schon sehr spannend, in welchem Wettbewerb Sie seit sind und den wir stolz verkündet haben, hat sich be- Jahren sind, um festzustellen, wer der Erfinder des Min- währt. Deswegen gehen wir ihn weiter. destlohnes ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja, wenn Überall dort, wo sich die Tarifpartnerschaft bewährt, es nun mal so ist! Das wird man doch sagen geht es den Menschen besser, haben wir höhere Löhne, dürfen!) haben wir höhere Einkommen. Deswegen steht sie im Zentrum dieses Gesetzentwurfs. Wir wollen es bestimm- Ich will Ihnen sagen, dass das ein bisschen arrogant und ten Branchen leichter ermöglichen, in das Arbeitnehmer- überheblich ist. Entsendegesetz aufgenommen zu werden, damit für Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4097

Karl Schiewerling (A) diejenigen, die zu uns kommen und bei uns arbeiten, die Wir werden sehen, ob wir recht haben oder nicht, und (C) gleichen Bedingungen gelten. Wir wollen die Tarifauto- wir sind auch bereit, neue Wege zu gehen. Das ist des- nomie stärken, indem wir dafür sorgen, dass Tarifver- wegen notwendig, weil wir es bei der Einführung des träge leichter auf eine gesamte Branche erstreckt werden Mindestlohns mit einer Operation am offenen Herzen können, wenn ein besonderes öffentliches Interesse vor- der sozialen Marktwirtschaft zu tun haben; denn keiner liegt, ohne dabei den Wettbewerb zu verhindern. kann richtig beurteilen, wie sich die Einführung des Mindestlohns, die wir heute beschließen werden, auswir- Weil das alles allerdings nicht ausreicht, halten wir es ken wird. für notwendig, den Mindestlohn einzuführen. Wenn es nach der Union gegangen wäre, hätten wir die Entschei- Als weitere Ausnahme haben wir die Ausnahme für dung darüber, wie hoch der Mindestlohn sein soll, von Praktikanten formuliert. Was Frau Nahles dargestellt hat, Anfang an der Mindestlohnkommission aus Arbeitge- ist richtig: Das war unser gemeinsamer Wunsch, weil bern und Gewerkschaften unter Beteiligung der Wissen- wir aus der Zeit 2004 bis 2007 geprägt sind, als Praktika schaft übertragen. vornehmlich angeboten wurden, um Ausbildungsplätze nicht besetzen oder jemanden nicht fest anstellen zu ( [CDU/CSU]: Sehr richtig!) müssen. Durch die wirtschaftliche Entwicklung und den Da wir aber vereinbart haben, dass 8,50 Euro Gesetz Fachkräftemangel sind wir Gott sei Dank aus dieser sind, haben die Verhandlungen länger gedauert und wa- Situation heraus, aber die Gefahr besteht, dass dies wie- ren sie geprägt von der Sorge, wie alle Menschen von der geschieht, und deswegen haben wir das getan. Für diesem Mindestlohn profitieren können. Die Diskussion uns ist völlig klar: Praktika dienen der Vertiefung der be- hat deswegen im Rahmen dieser Gesetzgebungsmaßnah- ruflichen Erfahrungen und Erkenntnisse, um eines Tages men stattgefunden. Ansonsten hätte sie in der Mindest- nach einem Studium oder einer Berufsausbildung in den lohnkommission nach den Regeln, die in Großbritannien Beruf übergehen zu können. gelten, geführt werden müssen. Ich bin froh, dass wir diese Regelungen so getroffen Ich glaube, der Weg, den wir hier gegangen sind, ist haben – auch mit einer schriftlichen Vereinbarung des sehr verantwortungsbewusst. Wir haben deutlich gesagt, Praktikumvertrags, damit das Ganze Rechtskraft und warum wir Ausnahmen für Branchen nicht wollen, aber eine Ordnung hat –, dass wir vor allen Dingen die Flexi- dennoch einige Ausnahmen für bestimmte Personen- bilität behalten haben, dass bei Praktika in den ersten gruppen geregelt haben. drei Monaten nicht zwangsweise ein Mindestlohn gezahlt werden muss. Ich bin froh, dass der von uns ein- Wir wollen, dass der Mindestlohn erst für Menschen geschlagene Weg den jungen Menschen eine Perspektive ab 18 Jahren gilt. Wenn es nach der Union gegangen gibt. (B) wäre, dann wäre die Altersgrenze noch höher gewesen, (D) damit sich junge Menschen nicht in erster Linie für die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Erwerbsarbeit entscheiden, sondern zuerst eine Berufs- neten der SPD) ausbildung machen. Ob wir das damit erreichen oder Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ei- nicht, wird die Zeit zeigen. Auch heute gibt es schon nige Sätze zu der Mindestlohnkommission sagen. Im junge Menschen, die sofort in die Erwerbsarbeit gehen; Laufe des Dialogs haben wir mitbekommen, dass es den es sind – die Zahl mag stimmen – 9 000. Ich sage Ihnen einen oder anderen Vertreter der Tarifvertragsparteien et- aber: Mir wäre es lieber, diese 9 000 jungen Menschen was geschüttelt hat, wenn sie darüber nachdachten, dass wären nicht in der Erwerbsarbeit, sondern in einer Be- sie sich plötzlich um einen Mindestlohn zu kümmern ha- rufsausbildung. ben, während sie im Rahmen der Tarifpolitik normaler- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- weise ganz andere Löhne und Gehälter aushandeln. Ich neten der SPD) kann das sogar verstehen. Wenn wir aber die Tarifauto- nomie stärken wollen, wenn die Gewerkschaften und die Wir tun dies nicht, um die jungen Menschen zu är- Arbeitgeberverbände eine besondere Verantwortung in gern, sondern wir tun dies, um sicherzustellen und den dieser Gesellschaft tragen und für die Lohnfindung zu- Weg dafür zu ebnen, dass wir nicht die Verantwortung ständig sein sollen, dann müssen sie ihre Verantwortung dafür tragen, dass sie keine Berufsausbildung machen. auch in diesem Bereich übernehmen. Sie sollen den Weg in die Berufsausbildung gehen. Ich freue mich sehr, dass das jetzt im Konsens so Daneben haben wir eine Ausnahme für die Langzeit- geregelt ist, dass sie sich bei der Lohnfindung und der arbeitslosen eingeführt. Wir wissen nicht, ob sich diese Frage, wie der Mindestlohn auszugestalten ist, die ge- Ausnahme für die Langzeitarbeitslosen, die ein halbes samte wirtschaftliche Entwicklung und die gesamte Ent- Jahr lang kein Anrecht auf den Mindestlohn haben, ne- wicklung der Löhne und Gehälter anschauen und dass gativ oder positiv entwickelt. Man sagt uns, dass Lang- sie in diesem Zusammenhang im Blick behalten, dass es zeitarbeitslose es besonders schwer haben, in den ersten einen vernünftigen Wettbewerb in Regionen und Bran- Arbeitsmarkt zurückzukehren. Gleichzeitig sagt man chen geben muss und dabei die Arbeitnehmer zu schüt- uns, dass das damit zusammenhängt, dass wir einen zen sind, weil auch sie, wie alle anderen, ein Anrecht auf Mindestlohn einführen werden. Ich sage Ihnen: Wir wol- Schutz haben. len nicht, dass der Zugang in ein Arbeitsverhältnis und in den ersten Arbeitsmarkt durch einen falsch gesetzten Ich bin sicher, dass die Mindestlohnkommission ähn- Lohn behindert wird. lich wie in Großbritannien über all die Zeit Erfahrungen 4098 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Karl Schiewerling (A) sammeln wird. Das ist vor allem deswegen wichtig, weil Vor diesem Hintergrund meine Frage: Wie genau ist (C) sie für die Evaluation, die Überprüfung, verantwortlich denn der Lobbyprozess gelaufen? Wer hat denn dabei sein wird. Die Auswirkungen des Mindestlohns, den wir am meisten Einfluss gehabt? zum 1. Januar 2015 einführen, wollen wir beobachten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Neue Wir wollen uns genau anschauen, welche Wirkungen er Deutschland! – Michael Grosse-Brömer in Regionen und Branchen entfaltet. Ich bin ganz sicher, [CDU/CSU]: Mensch, Leute!) dass wir dann miteinander verantwortungsvoll die weite- ren Entscheidungen treffen. Wer von den beiden Koalitionspartnern hat am ehesten die Verlegerposition übernommen und sich für die Bei- Ich danke der Bundesarbeitsministerin, dem Bundes- behaltung der Hungerlöhne starkgemacht? arbeitsministerium und unserem Koalitionspartner für die äußerst konstruktiven Gespräche sehr herzlich, auch (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Neue wenn es – das liegt in der Natur der Sache – gelegentlich Deutschland!) mühsam war. Aber wir haben das Ganze gemeinsam War das die Union? War das die SPD? Waren es beide sehr verantwortungsbewusst gestaltet. gleichermaßen? Mich interessiert, wie diese Kampagne Lassen Sie mich als Christdemokrat am Schluss ei- des Verlegerverbandes im Hintergrund gelaufen ist. nem lieben Kollegen ein besonders herzliches Danke- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt langt es schön sagen, der durch seinen großen Einsatz und sein doch mal! Wie lange darf der denn reden? – unglaubliches Engagement in unserer Partei dafür Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gefühlt gesorgt hat, dass wir die Diskussion so führen, wie wir sind das schon sechs Minuten!) sie jetzt führen. Ich meine Karl-Josef Laumann. Karl- Josef, das ist auch Dein Tag. Die letzte Frage dazu: Schwingt bei der Tatsache, dass Sie auf dieses Begehren eingegangen sind, am Ende Herzlichen Dank. die Sorge mit, dass Sie dann, wenn Sie die Verleger nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- so behandeln, wie sie behandelt werden wollen, durch neten der SPD) die publizistische Macht dieser Verleger Nachteile erfah- ren könnten?

Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön. Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. – Das Wort (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von Abge- zu einer Kurzintervention hat Michael Schlecht. ordneten der SPD) (B) (D) Michael Schlecht (DIE LINKE): Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Schiewerling, ich möchte Sie gerne zu einem Herr Schiewerling kann, wenn er möchte, auf die Punkt befragen, und zwar zu der Ausnahme für die Zei- Kurzintervention, die drei Minuten nicht überschreitet, tungszustellerinnen und -zusteller. Es ist seit mehreren Herr Kauder, antworten. Wochen bekannt, dass der Verlegerverband versucht hat, Ausnahmeregelungen im Gesetz durchzusetzen. Ich Karl Schiewerling (CDU/CSU): muss, ehrlich gestanden, sagen, dass ich dieses Begehren Herzlichen Dank, Herr Kollege Schlecht. – Auf Ihre von Anfang an so abstrus fand, dass ich mir gar nicht so lange Anfrage will ich Ihnen kurz antworten. Die richtig vorstellen konnte, dass die Regierungskoalition Bundesarbeitsministerin hat genau wie Mitglieder unse- auf diesen Wunsch überhaupt eingehen würde. rer Fraktion umfangreiche Branchendialoge geführt. Mit Es ist vollkommen abstrus, dass die 300 000 Zei- diesen Dialogen sollte sichergestellt werden, dass die tungszusteller – das ist eine relativ große Anzahl von Branchen, die gesagt haben, dass sie mit dem von uns Menschen –, die unter ziemlich harten Bedingungen ar- festgelegten Mindestlohn von 8,50 Euro besondere Pro- beiten müssen – sie müssen sehr früh aufstehen, und bleme haben, im Rahmen dieser Einführung Hilfestel- zwar im Sommer wie auch im Winter, und schwer lungen bekommen. Das Ergebnis dieses Branchendia- tragen, um nur einige der erheblichen Belastungen zu logs ist sehr erfreulich: Zahlreiche Branchen haben sich nennen –, weiterhin nur einen Hungerlohn bekommen auf den Weg gemacht, einen Tarifvertrag abzuschließen. sollen. Im nächsten Jahr gilt für sie ein Mindestlohn von Ich kann nur hoffen, dass wie in der Landwirtschaft mit 6,38 Euro. der IG BAU schnell der Tarifvertrag abgeschlossen wird und man sich nicht auf dem Ergebnis von heute Morgen Es ist vollkommen unklar, weshalb Sie auf die Forde- ausruht. rung des Verlegerverbands eingegangen sind; denn viele Ein zweites Ergebnis des Branchendialogs war die Er- Unternehmen in diesem Bereich stehen finanziell sehr kenntnis, dass einige Branchen wirkliche Probleme ha- gut da. Hinter diesen Unternehmen stehen häufig Eigen- ben. Wir hatten die Arbeitsplätze und die Auswirkungen tümerfamilien, im Regelfall sind das Millionäre. Es war des Mindestlohns auf diese Arbeitsplätze im Blick, und mir vollkommen unverständlich, weshalb auf derartige wir haben keine ideologische Debatte darüber geführt, Wünsche und Forderungen eingegangen wird, weshalb wer in welchem Land wo wann was zu sagen oder zu man von Ihrer Seite weiterhin Hungerlöhne zulässt, da- schreiben hat. mit die Millionäre unter den Verlegern weiterhin unge- stört auf ihrem Geld sitzen können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4099

Karl Schiewerling (A) Als Ergebnis ist das herausgekommen, was Ihnen Dieser Gesetzentwurf ist durchdrungen von kleinli- (C) jetzt vorliegt. Ich sage sehr deutlich: Dieser Mindestlohn chen Kämpfen um politische Geländegewinne unter- kennt keine Branchenausnahmen. Wir bauen vielmehr einander. Brücken und Wege, um 2016 bzw. spätestens 2017 einen Mindestlohn für alle zu haben. Hätten wir von Anfang (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) an die Mindestlohnkommission gehabt, hätte sie all Dieser Gesetzentwurf ist durchdrungen vom Einknicken diese Entscheidungen abzuwägen und zu treffen gehabt. vor mächtigen Lobbyinteressen. Da es sie nicht von Anfang an gab, sondern wir einen Stundenlohn festgelegt haben, mussten wir uns zwangs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – läufig mit dieser Situation auseinandersetzen. [SPD]: Im Gegenteil!) Uns liegt die Situation der Menschen, die in diesen Die Verlierer lassen sich genau benennen: Es sind die Branchen arbeiten, sehr am Herzen. Deswegen bauen Langzeitarbeitslosen, die Jugendlichen, die Zeitungszu- wir eine Brücke. Deswegen wird auch dort der Mindest- stellerinnen und Zeitungszusteller und die Saisonarbei- lohn gelten, und deswegen haben wir die Strukturen so ter. Die haben heute keinen Grund, zu jubeln, Frau geschaffen, dass jede Branche sich auf den Pfad begeben Nahles. kann, dass es am Ende keinen Tarifvertrag mehr gibt, der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter dem Mindestlohn liegt, und dass auch diejenigen, und bei der LINKEN) die keinen Tarifvertrag wollen, den Mindestlohn nicht unterschreiten können. Wirklich übel nehme ich Ihnen die Ausnahmen bei den Langzeitarbeitslosen. Die haben Sie auf dem Altar Ich halte das im Gegensatz zu Ihnen für einen ver- des Koalitionsfriedens geopfert. nünftigen Weg. Aber das hängt auch damit zusammen, dass wir als Unionsfraktion und als Koalition nicht nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für die Frage der Mindestlöhne Verantwortung tragen, Sie sind die Bauernopfer, die Sie der CDU/CSU darge- sondern auch für die wirtschaftliche Prosperität unseres bracht haben. Eine solche Regelung gibt es in keinem Landes und für vernünftige Entscheidungen, die den einzigen anderen Land. Dafür gibt es auch gute Gründe. Menschen dienen. Langzeitarbeitslose sind eine sehr heterogene Gruppe. Herzlichen Dank. Es gibt leistungsstarke, und es gibt leistungsschwache. Sie scheren sie alle über einen Kamm und stigmatisieren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- damit über 1 Million Menschen. neten der SPD) (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Botschaft, die Sie damit aussenden, lautet: Die Vielen Dank, Herr Schiewerling. – Das Wort hat nun können nichts, die kriegt ihr billiger, und zwar alle, ohne für Bündnis 90/Die Grünen Brigitte Pothmer. Ansehen der Person. – Aber diese Botschaft ist falsch. Ich schlage Ihnen vor: Lesen Sie sich doch einfach ein- mal die Stellungnahme des IAB zu der Anhörung zum Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mindestlohn durch! Dann werden Sie erkennen, dass Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es ist derzeitig fast die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen, die richtig: Der Mindestlohn in Deutschland ist seit langem Arbeit aufnehmen, über 8,50 Euro die Stunde verdienen. überfällig. Ich will jetzt einmal den Arbeitgeber, der nicht tarifge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bunden ist, sehen, der nach dieser Entscheidung noch sowie bei Abgeordneten der SPD) den Mindestlohn oder sogar mehr bezahlt. Wir haben lange dafür gekämpft, dass der Wettbewerb Da komme ich zu der nächsten Ungereimtheit Ihres nicht länger über Lohndumping ausgetragen wird. Wir Gesetzentwurfs. Herr Schiewerling, Sie haben ja so gro- haben lange dafür gekämpft, dass Löhne von 5 oder ßen Wert darauf gelegt, zu sagen: Dieses Gesetz heißt 6 Euro brutto pro Stunde endlich der Vergangenheit an- Tarifautonomiestärkungsgesetz. gehören. Wir haben mit anderen Worten lange dafür ge- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So kämpft, dass die Arbeit ihre Würde zurückerhält. ist es!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber von Ihrer Lohndumpingregelung für die Langzeit- sowie bei Abgeordneten der SPD) arbeitslosen können nur die Betriebe profitieren, die sich aus der Tarifgemeinschaft verabschiedet haben. Es gibt Vielleicht hat es wirklich etwas von einer historischen keine Tarifverträge, nach denen ehemalige Arbeitslose Dimension, wie es heute in der Süddeutschen Zeitung zu weniger als 8,50 Euro verdienen. Und, meine Damen lesen ist, wenn wir heute die Einführung des Mindest- und Herren, das ist auch gut so. lohns in Deutschland beschließen. Schade ist nur, dass Ihr Gesetzentwurf dieser historischen Dimension so gar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht gerecht wird. und bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Sie schaffen einen Wettbewerbsvorteil für die Be- DIE GRÜNEN und der LINKEN) triebe, die sich aus der Tarifgemeinschaft verabschiedet 4100 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Brigitte Pothmer (A) haben. Sie konterkarieren Ihre eigenen Ziele. Wo da die Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Logik ist, das müssen Sie einmal erklären. Frau Kollegin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Redezeit!) Richtig schämen sollten Sie sich für die Sonderrege- lung für Zeitungszusteller. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt aber einen Unterschied zwischen der Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN regierung und der Truppe von Jogi Löw. Die haben einen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) in Bestform befindlichen Torhüter. Das hat diese Bun- Der Treppenwitz der Weltgeschichte ist nun wirklich, desregierung nicht. ist nicht Manuel dass Sie das jetzt auch noch pathetisch mit der verfas- Neuer. sungsrechtlich geschützten Pressefreiheit begründen. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine Damen und Herren, da lacht doch die Koralle. NEN) (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Eigentlich schade für die Geringverdienenden in diesem DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Land. Wenn die Pressefreiheit in Deutschland tatsächlich an Ich danke Ihnen. den Dumpinglöhnen für Zeitungszusteller hängt, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht, Marie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Nein, diese Sonderregelung für Zeitungszusteller – das Vielen Dank, Frau Kollegin. Danke schön auch für hat Ihr Sachverständiger in der Anhörung gesagt – ist die Erkenntnis, dass die Koralle lacht. Ihre Aussage über Ausdruck äußerst gelungenen Lobbyismus. Mit anderen das Spielvermögen unserer Nationalmannschaft werden Worten: Sie sind einfach vor den Springers dieser Welt wir morgen Abend um 18 Uhr verifizieren. eingeknickt. Sie wollten keine schlechte Presse, und aus- löffeln müssen das jetzt die Zeitungszusteller, die wirk- Die nächste Rednerin ist Katja Mast für die SPD. lich einen Knochenjob machen und bis 2018 auf einen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mindestlohn warten müssen. der CDU/CSU) (B) Ich sage Ihnen noch etwas anderes: Sie werden sich (D) noch wundern, was die Sonderregelung für Saisonarbeit Katja Mast (SPD): alles so mit sich bringt. Was in Zukunft alles Saisonar- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- beit sein wird, das kommt Sie teuer zu stehen. gen! Jeder, der hier Empörungsrhetorik anwendet, muss gut begründen können, warum er hinterher zustimmt Meine Damen und Herren, die Kritikpunkte – ich oder das schärfste Schwert des Parlamentarismus, die konnte sie nicht alle vortragen – wiegen wirklich schwer. Enthaltung, wählt. Trotzdem sage ich Ihnen: Wir haben uns dazu durchge- rungen, heute mit Ja zu stimmen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich will mich zu Beginn meiner Rede bei unserer sowie bei Abgeordneten der SPD und der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles für die sehr gute CDU/CSU) Zusammenarbeit bedanken. Wir haben uns dazu durchgerungen, weil wir einen Min- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten destlohn in Deutschland für dringend notwendig halten. der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN In diesen Dank schließe ich das gesamte Haus ein, weil und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der der vorliegende Gesetzentwurf unter anderem in einigen CDU/CSU) Nachtschichten erarbeitet wurde. Ich danke aber auch beiden Fraktionen sowie den Mitarbeiterinnen und Wir haben uns dazu durchgerungen, weil wir uns weiter Mitarbeitern der Fraktionen, weil alle bei den Leiden- dafür einsetzen werden, dass dieser Mindestlohn besser, schaftsthemen „Stärkung der Tarifautonomie“ und umfassender und gerechter wird. „Mindestlohn in Deutschland“ alles gegeben haben, was Wenn Sie so wollen, kann man das vielleicht auch ein sie konnten, damit dieser Gesetzentwurf heute verab- bisschen mit der aktuellen Situation der deutschen Na- schiedet werden kann. Vielen Dank. tionalmannschaft vergleichen. Die Jungs spielen derzei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tig wirklich nicht gut, der CDU/CSU) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Es waren anstrengende Wochen und anstrengende kriegen auch keinen Mindestlohn!) Verhandlungen. Aber wir erleben heute eine historische und wir unterstützen sie trotzdem, weil es derzeit einfach Stunde, weil Deutschland endlich einen flächendecken- keine andere amtierende Nationalmannschaft gibt. den gesetzlichen Mindestlohn von zunächst 8,50 Euro Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4101

Katja Mast (A) – gleichermaßen in Ost und West sowie ohne Branchen- ergelder quersubventioniert werden müssen. Er schützt (C) ausnahmen – bekommt. vor allen Dingen – das will ich insbesondere als Baden- Württembergerin an dieser Stelle sagen – unsere Arbeit- (Beifall bei der SPD) geberinnen und Arbeitgeber, die für faire Arbeitsbedin- Dafür haben wir in mehr als zehn Jahren mit unseren gungen in ihren Betrieben sorgen. Freundinnen und Freunden von den Gewerkschaften ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kämpft. Ich will an dieser Stelle Michael Sommer, der der CDU/CSU) das viele Jahre begleitet hat, Denn die können jetzt nicht mehr durch Dumpingkon- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Betrieben, nicht kurrenz ausgestochen werden. Auch das ist wichtig. begleitet!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Reiner Hoffmann sowie die Vorsitzenden der Ein- zelgewerkschaften, die heute anwesend sind, herzlich Der Mindestlohn stärkt also die soziale Marktwirtschaft, begrüßen. Wir sind stolz, dass ihr mit uns diesen langen er schwächt die soziale Marktwirtschaft nicht. Weg gemeinsam gegangen seid. Ich will noch etwas zu unseren großen Punkten sagen. (Beifall bei der SPD) Wir haben auf der letzten Strecke die Generalunterneh- merhaftung durchgesetzt, sodass jetzt die gleiche gilt Es war nicht immer einfach. Am Anfang mussten wir wie im Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Wir haben durch- uns zusammenraufen, um überhaupt eine gemeinsame gesetzt, dass die Mindestlohnkommission ein Jahr früher Position einzunehmen. Dann mussten wir ziemlich lange die Mindestlöhne für ungefähr 4 Millionen Arbeitneh- dafür kämpfen, dass der Mindestlohn kommt. Er kommt merinnen und Arbeitnehmer erhöhen kann. Wir haben eben heute. die Situation also im Vergleich zum Koalitionsvertrag Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha- verbessert und nicht verschlechtert. ben im Wahlkampf versprochen: Mit uns gibt es nur eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Regierung, wenn dafür gesorgt wird, dass derjenige, der der CDU/CSU) Vollzeit arbeitet, von seiner Hände Arbeit leben kann. Dafür legen wir heute einen entsprechenden Gesetzent- Wir haben durchgesetzt, dass alle, die in Deutschland wurf zur Schlussabstimmung vor. Gesagt, getan! Das ist morgens, nachts oder wann auch immer arbeiten gehen, gerecht. ab dem 1. Januar 2015 mindestens einen Lohn von 8,50 Euro bekommen. Es sind ungefähr 4 Millionen (Beifall bei der SPD) Menschen, deren Situation wir verbessern. Wir verbes- (B) (D) Mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz schaffen wir sern für alle, die die Überbrückung über das Arbeitneh- aber auch etwas ganz Neues. Wir schaffen endlich bun- mer-Entsendegesetz nutzen, die Situation ab 1. Januar desweit Tarifvertragsstrukturen in Branchen, bei denen 2017. Dann gilt überall der Mindestlohn von 8,50 Euro. wir uns vor einem Jahr noch nicht einmal hätten vorstel- Ich will zum Schluss kommen, Frau Präsidentin. Für len können, dass es dort überhaupt zu Tarifverhandlun- uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist gen kommt. Wir haben es schon in der Fleischindustrie heute und beim Friseurhandwerk geschafft. Das Taxigewerbe versucht, einen Arbeitgeberverband zu gründen. Die (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein toller Tag!) Landwirtschaft verhandelt über einen bundesweiten Ta- rifvertrag, genauso wie der DEHOGA. Das ist ein Ge- ein bewegender Tag, Herr Kauder, ein echt bewegender winn für unsere soziale Marktwirtschaft. Tag. Wir stärken die Tarifautonomie, wir stärken die soziale Marktwirtschaft, wir stärken die Menschen, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten arbeiten gehen und gute Arbeit schaffen. Wir sind stolz der CDU/CSU) auf dieses Gesetz. Wir sind stolz darauf, dass wir ein- stimmig diesem Gesetz zustimmen werden. Wir schaffen das nicht nur dadurch, dass wir aufgrund des zur Verabschiedung anstehenden Gesetzes alle Bran- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) chen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen können. Vielmehr schaffen wir auch neue Strukturen der Vizepräsidentin Claudia Roth: Tarifautonomie, weil wir künftig die Allgemeinverbind- Vielen Dank, Frau Kollegin Mast. lichkeitserklärung erleichtern werden. Uns Sozialdemo- kratinnen und Sozialdemokraten als Partei der Arbeit- Nicht nur die Sozialdemokraten begrüßen die Vertre- nehmerinnen und Arbeitnehmer ist es immer wichtig, ter der Gewerkschaften. Das möchte ich jetzt auch für unsere Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaf- das ganze Haus tun. Michael Sommer ist schon begrüßt ten und den Betrieben mit unseren Gesetzen zu stärken. worden. Ich begrüße auch recht herzlich Reiner Hoffmann, seinen Nachfolger, und freue mich auf eine (Beifall bei der SPD) gute Zusammenarbeit mit dem gesamten Haus. Der Mindestlohn schützt aber nicht nur die Beschäf- (Beifall) tigten, indem er eine untere Haltelinie festlegt. Der Mindestlohn schützt auch die Steuerzahlerinnen und Das gilt auch für die Vorsitzenden der Einzelgewerk- Steuerzahler, weil keine Dumpinglöhne mehr über Steu- schaften. Frank Bsirske, auf eine gute Zusammenarbeit! 4102 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Bevor ich jetzt abschweife, erteile ich Sabine zeitarbeitslose zu Beschäftigten zweiter Klasse degra- (C) Zimmermann für die Linke das Wort. diert werden? Wollen Sie diesen Menschen dafür ihre Würde und ihre Wertschätzung absprechen? Und Sie (Beifall bei der LINKEN) frage ich: Glauben Sie ernsthaft, dass Arbeitgeber Men- schen, die zehn oder elf Monate erwerbslos gewesen Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): sind, zum Mindestlohn einstellen? Nein, das werden sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nicht, weil sie dank Ihrer Regelung nur etwas zu warten Kollegen! Liebe Kollegin Mast, die Agenda 2010 haben brauchen, und dann können sie diese Kolleginnen und Sie nicht für die Gewerkschaften gemacht. Damit haben Kollegen einstellen und unterhalb des Mindestlohns be- Sie garantiert, dass sich die Lohnspirale in Deutschland zahlen. in den letzten zehn Jahren immer weiter nach unten ge- dreht hat. Sie behaupten, Sie wollten Langzeitarbeitslosen eine Chance eröffnen. Meine Damen und Herren, das ist ein- (Beifall bei der LINKEN) fach nur Unsinn. Sie diskriminieren die Kolleginnen und Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gewerkschaften, Kollegen, die langzeitarbeitslos sind, und das können Verbände, Vereine und viele andere haben seit Jahren für wir nicht zulassen. einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn geworben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Sie haben dafür gekämpft, sie haben dafür gestritten, und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sie haben dafür demonstriert. Alle dürfen heute einen Teilerfolg einfahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, es sind vor allen Dingen Frauen, die Sie hier diskriminieren; denn Wenn ich den Reden der CDU/CSU und der SPD hier diese sind häufiger langzeitarbeitslos als Männer. Unter zuhöre, dann muss ich feststellen: Sie wollen sich den den betroffenen Frauen sind übrigens auch besonders Erfolg einfach am liebsten allein an die Brust heften. viele Alleinerziehende. Ich frage Sie: Entspricht ein (Widerspruch bei der SPD) Lohn unterhalb des Mindestlohnes, der insbesondere Frauen trifft, Ihrer Vorstellung von Geschlechtergerech- – Nein, hören Sie mir zu! – Ich kann Ihnen nur sagen: tigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Ohne uns hätten Sie das alles nicht geschafft. Koalition? (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der SPD) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) Es gehört auch zur Wahrheit, dass die Linke die erste Es darf doch wohl nicht wahr sein, dass wir so etwas in (B) Partei war, die diese Frage hier im Deutschen Bundestag diesem Haus zulassen. (D) gestellt hat. Da Sie, Kolleginnen und Kollegen der SPD, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten hier so herumschreien, will ich Ihnen sagen: Wir haben des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zehnmal einen entsprechenden Antrag gestellt, sogar wortgleich mit Ihrem eigenen Aufruf. Sie haben immer Was für Frauen gilt, gilt leider auch für Menschen mit dagegen gestimmt. Wir hätten den Mindestlohn schon Behinderung. Auch sie sind von Langzeitarbeitslosigkeit früher haben können. leider überproportional betroffen. Deutschland hat den zweitgrößten Niedriglohnsektor Europas. Damit sich das (Beifall bei der LINKEN) nicht so schnell ändert, öffnen Sie großzügig die Türen Was Sie heute hier abliefern, ist nun wirklich kein zur Umgehung des Mindestlohnes. Hire and fire, anstel- echter flächendeckender Mindestlohn, wie ihn viele len und entlassen, wird so ein attraktives Modell für Menschen erwarten und den Sie, liebe Kolleginnen und Arbeitgeber werden, und das geht nicht. Kollegen von der SPD, im Wahlprogramm ausdrücklich versprochen haben. Unter den Ausnahmen Ihres Fli- (Beifall bei der LINKEN) ckenteppichs ist die wohl skandalöseste die geplante Damit sich die Betroffenen dagegen auch gar nicht Ausnahmeregelung für 1 Million Menschen, die lang- wehren können, halten sie zudem stur an den Sanktionen zeitarbeitslos sind. bei Hartz IV fest. (Widerspruch bei der SPD) (Zuruf von der LINKEN: Genau!) Ich frage die Kolleginnen und Kollegen der Union Das ist nicht nur ein sozialer Skandal, es ist auch arbeits- und der SPD: Finden Sie Stundenlöhne von 1,60 Euro marktpolitisch völlig unsinnig. vertretbar? So viel hat nämlich ein Brandenburger Rechtsanwalt mit arbeitsgerichtlicher Genehmigung (Beifall bei der LINKEN) zwei langzeitarbeitslosen Kollegen für Aushilfstätigkei- ten gezahlt. Das ist ungerecht. So etwas darf es in die- Es droht ein Drehtüreffekt bei den Langzeitarbeitslosen, sem Land doch nicht geben! ein Hin- und Herpendeln zwischen kurzfristigen Dum- pingjobs und Arbeitslosigkeit. Damit wird ihnen die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten dauerhafte Beschäftigung verwehrt. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Ist es das, was Sie mit Ihrer Ausnahmeregelung auch weiterhin möglich machen wollen? Müssen dafür Lang- (Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4103

Sabine Zimmermann (Zwickau) (A) Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was diese Ausnah- Sozialpartnerschaft. Die Sozialpartner haben ihre Aufga- (C) meregelung rechtfertigt. ben in den letzten Jahren hervorragend erledigt. Bei- spielhaft will ich an dieser Stelle die Branchenmindest- Ein Mindestlohn ohne Ausnahmen ist nur dann ein löhne nennen: Es liegen bereits 90 Prozent aller Mindestlohn ohne Ausnahmen, wenn der Mindestlohn Branchenmindestlöhne über 8,50 Euro und knapp keine Ausnahmen hat. – Wer hat das wohl gesagt? Das 80 Prozent bei 10 Euro und mehr. Ich glaube, das ist ein war der DGB. Und er hat recht! Wo bleiben denn da Ihre Beispiel dafür, dass Sozialpartnerschaft in diesem Land sozialdemokratischen Wurzeln, liebe Kolleginnen und gut funktioniert, auch wenn es das eine oder andere Mal Kollegen der SPD? wie beim Fleischereihandwerk eines Schubses bedarf. (Beifall bei der LINKEN) Aber insgesamt können wir feststellen: Das funktioniert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Deswegen wollen wir in dieser Frage die Sozialpart- nerschaft stärken; denn wir wissen auch, dass die direkte Tarifbindung in den letzten Jahrzehnten abgenommen Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): hat. Diesen Trend wollen wir umkehren. Deswegen stär- Ja, ich komme zum Schluss. ken wir zum einen die Allgemeinverbindlichkeitserklä- Ich sage Ihnen: Die Linke wird weiter für einen Min- rung und stellen damit sicher, dass die Arbeitgeberver- destlohn streiten, der seinen Namen auch verdient. bände und Gewerkschaften das Arbeitsleben künftig wieder weitgehend gemeinsam ordnen. Wir tun dies, (Beifall bei der LINKEN) indem wir das 50-Prozent-Quorum abschaffen und an diese Stelle ein konkretisiertes öffentliches Interesse rü- Vizepräsidentin Claudia Roth: cken. Ich glaube, das ist eine gute Reform. Danke schön, Frau Kollegin. – Wie ich aus gutunter- Ein zweiter Ansatz dieser guten Reform ist es, das Ar- richteten Kreisen höre, bittet der Bundesfinanzminister beitnehmer-Entsendegesetz zu verändern. Die Branchen- um einen differenzierten Umgang mit der Spieltaktik un- mindestlöhne haben sich bewährt. 4 Millionen Men- serer Nationalmannschaft. Ich übermittle diese Bitte schen fallen darunter. Diesen erfolgreichen Weg wollen gerne. wir fortsetzen, indem wir das Gesetz für alle Branchen entsprechend öffnen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich ver- stehe kein Wort!) Wir beseitigen die weißen Flecken, die im Rahmen der tarifvertraglichen Bindung entstanden sind, durch (B) Ich erteile das Wort Stephan Stracke für die CDU/ (D) CSU-Fraktion. einen Mindestlohn. Die gesetzliche Umsetzung haben wir im Dialog mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und aller Branchen erarbeitet, um dabei mögliche Probleme der SPD) zu berücksichtigen. Wichtig war uns immer: Wir wollen einen Mindest- Stephan Stracke (CDU/CSU): lohn mit Augenmaß. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Koalition unter Führung von Angela (Beifall bei der CDU/CSU) Merkel ist erfolgreich. Seit 1. Juli 2014 ist die Mütter- Dies ist das zentrale Ergebnis unserer Verhandlungen. rente da. Das nutzt über 9 Millionen Frauen, aber auch Wir haben eine Mindestlohnkommission. Diese Min- Männern in diesem Land, die in ihrem Leben viel geleis- destlohnkommission haben wir gestärkt. Es gab bei dem tet haben. Jetzt bringen wir ein Gesetzespaket auf den einen oder anderen die Vorstellung, man setzt sich hier Weg, das zum einen die tarifliche Bindung in diesem zusammen und hat eine bloße Notarfunktion gegenüber Land weiter stärken wird und zum anderen einen gesetz- dem, was beispielsweise das Statistische Bundesamt lichen Mindestlohn vorschreibt. Das nutzt 4 Millionen feststellt. Genau diesen Automatismus – unter Umstän- Menschen in diesem Land, und das ist gut. den bei der Anpassung der Mindestlöhne nach oben – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wollen wir nicht. Die Sozialpartner haben anfangs ge- neten der SPD) sagt: Wir brauchen eigentlich gar keine Geschäftsstelle. Ein bloßes Sekretariat würde vielleicht genügen. – Klar, Wir stellen faire und funktionierende Wettbewerbsbe- wenn man zum Kaffeetrinken zusammenkommen will, dingungen sicher, indem wir die Sozialpartnerschaft dann braucht man unter Umständen nur ein Sekretariat. stärken, und wir schaffen gleichzeitig einen Mindest- Aber genau das ist nicht unser Ansatz, sondern unser schutz für Beschäftigte. Ich finde, das, was wir auf den Ansatz ist es, dass wir verantwortungsvoll vorgehen, Weg bringen und Ihnen vorlegen, ist ein guter Kompro- wenn es darum geht, Mindestlöhne zu überprüfen und miss, der die Vorgaben des Koalitionsvertrages umsetzt unter Umständen zu einer Erhöhung zu kommen. Dieser und dabei auch die Belange der Wirtschaft mit in den Verantwortung müssen und sollen auch die Sozialpartner Blick nimmt und beachtet. gerecht werden. Genau deswegen haben wir die Min- destlohnkommission in unserem Gesetz stärker in die Dabei lassen wir uns von einem Grundsatz leiten, Pflicht genommen, nämlich: Gute Leistung muss sich lohnen und soll auch fair bezahlt werden. Dafür zu sorgen, das ist Aufgabe der (Beifall bei der CDU/CSU) 4104 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Stephan Stracke (A) indem wir beispielsweise eine Evaluation vornehmen Wir weiten den Begriff der kurzfristigen Beschäfti- (C) lassen, bei der vor allem der Blick darauf gerichtet wer- gung aus. Als kurzfristig gilt eine Beschäftigung bis zu den soll: Wie ist der Schutz der Arbeitnehmer? Wie ist es 70 Tagen bzw. drei Monaten – befristet auf vier Jahre. mit den Wettbewerbsbedingungen? Wie ist die Beschäf- Was in der Praxis auch von wesentlicher Bedeutung tigung in bestimmten Branchen und Regionen? ist: Wir schützen den redlichen Arbeitgeber, der auf die Richtigkeit von ausländischen Sozialversicherungs- Es ist im Übrigen nicht die einzige Evaluation, son- bescheinigungen vertraut. Wir haben uns darauf verstän- dern wir wollen eine breite wissenschaftliche Expertise digt, dass er von der unter Umständen drohenden dop- im Land darüber haben, wie der gesetzliche Mindestlohn pelten Beitragszahlung – das ist die Gefahr – freigestellt wirkt. Deswegen sagen wir: Der Mindestlohn soll evalu- wird. In dem Fall, dass er an die Sozialversicherung des iert werden. Aber die Bundesregierung soll das Gesetz Herkunftslandes zahlt und sich herausstellt, dass das zu auch insgesamt evaluieren. Bevor sich dann die Unrecht geschehen ist, gilt diese Zahlung gegenüber der Mindestlohnkommission im Jahre 2016 an die Arbeit deutschen Sozialversicherung als geleistet, und zwar un- macht, sollen zusammen mit dem IAB bereits gewisse abhängig von der tatsächlichen Höhe. Ich finde, das ist Grunddaten festgestellt werden, damit wir Sicherheit da- ein guter Kompromiss, und das zeigt, dass wir hier für rüber haben, wie es sich insgesamt auswirkt. die Saisonarbeit insgesamt gute Maßnahmen getroffen haben. Ein Mindestlohn mit Augenmaß bedeutet auch im- mer, dass wir diesen an der Lebenswirklichkeit messen. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen war für uns eine Regelung wichtig, die die Das Gleiche gilt im Übrigen auch für Menschen mit Praktikantenverhältnisse umfasst. Auch wir als Bundes- Behinderung. Mit Blick auf Arbeitsverhältnisse, für die tagsabgeordnete erleben es doch oft, wenn wir beispiels- in Zukunft der Mindestlohn gilt, darf es nicht dazu kom- weise Lebensläufe von Bewerberinnen und Bewerbern men, dass Menschen, die in Integrationsfirmen beschäf- bekommen, dass sie sehr viele Praktika machen, ganz tigt sind – da gibt es auch Zuschüsse –, die Ersten sind, überwiegend nach Abschluss eines Studiums. Es ist die dann auf der Straße landen. Deswegen haben wir uns nicht Ausdruck von Wertschätzung gegenüber zum Teil politisch dahin gehend verständigt, dass wir unter Um- sehr gut ausgebildeten jungen Menschen, dass sie auf ständen die Fördermöglichkeiten anpassen werden, Praktika verwiesen werden und nicht eine Anstellung er- wenn es zu Verwerfungen kommen sollte. Auch das ist halten, sei sie auch befristet. Deswegen verändern wir ein gutes Ergebnis. das. Wir sagen, die Generation Praktikum hat keine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Zukunft mehr. wie der Abg. Kerstin Tack [SPD]) (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Klar ist natürlich auch: Der Mindestlohn muss kon- (D) neten der SPD) trolliert werden. Wir haben hier die goldene Mitte ge- funden, was den administrativen Aufwand angeht. Deswegen verändern wir dies im Rahmen des Min- Deswegen wird das BMF im Rahmen einer Verord- destlohngesetzes, indem wir zum einen Pflichtpraktika nungsermächtigung in Zukunft im Einvernehmen mit vom Mindestlohn ausnehmen und zum anderen die dem BMAS die Art und Weise der Erfüllung der Doku- Attraktivität von freiwilligen Praktika erhalten. Wir sind mentationspflichten gegebenenfalls anpassen. Auch das mit einem Vorschlag von vier Wochen gestartet und ist etwas, was der Wirtschaft insgesamt guttut. kommen nun mit einer Regelung von drei Monaten he- raus. Ich glaube, das ist eine gute Lösung. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Stracke, erlauben Sie eine Zwischenfrage vom Eine weitere gute Lösung sind die Sonderregelungen, Kollegen Birkwald? die wir getroffen haben, gerade auch was die Befürch- tungen von einzelnen Branchen angeht, Befürchtungen, Stephan Stracke (CDU/CSU): die beispielsweise an uns herangetragen wurden vonsei- Ja, herzlich gern. Meine Zeit wäre jetzt abgelaufen. ten der Obst- und Gemüsebauern, die Angst haben um ihre Zukunft, oder aus dem Bereich des Gaststätten- und Hotelgewerbes. Beides hat ja die Ministerin mit großer Vizepräsidentin Claudia Roth: Absicht auch in den Blick genommen. Wir haben jetzt Ich verstehe auch nicht, warum der Kollege das jetzt macht; aber gut. entsprechende Regelungen im Rahmen eines Maßnah- menbündels getroffen. In diesem Zusammenhang danke (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der ich ganz herzlich unserem Bundeslandwirtschaftsminis- CDU/CSU) ter Christian Schmidt, der hier wirklich eine hervorra- gende Arbeit geleistet hat, damit dieses Maßnahmenbün- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): del tatsächlich gut ist. Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Zwi- schenfrage zulassen! Auch an Sie, Herr Stracke, vielen (Beifall bei der CDU/CSU) Dank! – Außerdem: Ihre Zeit ist zum Glück noch nicht abgelaufen; nur Ihre Redezeit ist fast abgelaufen. Das ist Kost und Logis werden auf den Mindestlohn ange- doch ein bedeutsamer Unterschied. rechnet, und zwar dauerhaft. Das ist eine gute Regelung. Hier können bis zu 450 Euro im Monat bei der Monats- (Heiterkeit – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: abrechnung ausgewiesen werden. Eine richtige Einschätzung!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4105

Matthias W. Birkwald (A) Sie haben eben über zahlreiche Ausnahmen beim sen Dingen hinreichende Klarheit hat. In dem Gesamtzu- (C) Mindestlohn gesprochen. Sie haben in Ihrer Aufzählung sammenhang stellt es sich so dar, dass man nicht sagen aber eine Ausnahme nicht erwähnt, und das ist die Aus- kann: Wir haben es hier, was Ausnahmen angeht, mit ei- nahme der Zeitungszusteller und Zeitungszustellerinnen, nem Schweizer Käse zu tun. – Ganz im Gegenteil: Jede Ausnahme lässt sich gut begründen. Das betrifft die (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ha- Praktikanten, das betrifft die Langzeitarbeitslosen; das ben doch andere schon gesagt!) betrifft die unter 18-Jährigen. die heute schon ein paar Mal angesprochen wurde. Insgesamt stellt dieses Gesetzgebungsvorhaben einen Ein Thema ist dabei allerdings nicht behandelt wor- guten Kompromiss dar und verdient Ihre Zustimmung. den. Wir haben gestern im Ausschuss zusammen darüber Herzlichen Dank. diskutiert. Heute lesen wir in der Beschlussempfehlung, dass unter bestimmten Bedingungen bei den Zeitungszu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- stellern und -zustellerinnen das Wegegeld als Entgelt- neten der SPD) bestandteil auf den Mindestlohnanspruch angerechnet werden kann. Das heißt, die Zeitungszustellerinnen und Vizepräsidentin Claudia Roth: Zeitungszusteller kriegen für ihren harten Job früh am Das war es jetzt offensichtlich. Danke schön, Herr Morgen und spät in der Nacht nicht nur lediglich Stracke. – Jetzt hat das Wort Beate Müller-Gemmeke für 6,38 Euro im kommenden Jahr und 7,23 Euro im Jahr Bündnis 90/Die Grünen. danach, sondern darauf soll zum Teil auch noch Wege- geld angerechnet werden. Da würde ich Sie bitten, a) uns Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einmal zu erläutern, wie das gedacht ist, und b) das zu NEN): bewerten. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Meine zweite Frage an Sie ist: Wie ist denn dann der nen und Kollegen! In den letzten Wochen wurde heftig Mindestlohn Ihrer Regierung überhaupt definiert? So gestritten und gedealt wegen eines Mindestlohnes von weiß doch überhaupt niemand mehr, was gilt. Deswegen 8,50 Euro. Ich frage mich wirklich: In welcher Welt le- – Sie haben gerade über die Kontrolle gesprochen – hat ben wir eigentlich? heute ein Forscher vom DIW, Herr Brenke, gesagt: „Das Problem der Kontrolle ist überhaupt nicht gelöst.“ Wie (Volker Kauder [CDU/CSU]: In einer schönen das werden soll, ist unklar. Welt!) In einem reichen Land wie Deutschland muss dieser Zu den Zeitungszustellern will ich zum Schluss noch Mindestlohn nicht nur möglich sein, sondern eigentlich (B) sagen: Diese Männer und Frauen, die jede Nacht bzw. (D) muss mehr möglich sein. morgens früh dafür sorgen, dass wir die Zeitung im Briefkasten haben, leisten einen knallharten Job, bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wind und Wetter. Ich habe mich am 16. April von sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker 3.30 Uhr bis 5.30 Uhr bei einem Selbstversuch davon Kauder [CDU/CSU]: Noch mehr?) überzeugen können. Ich sage: Sie brauchen den vollen Mindestlohn ab sofort. Mit „mehr“ meine ich Tariflöhne. Deshalb stimmen wir heute nicht nur über den Mindestlohn ab, sondern (Beifall bei der LINKEN) über das Tarifautonomiestärkungsgesetz. Es geht um den Dreiklang von Mindestlohn und Erleichterungen im Ta- Stephan Stracke (CDU/CSU): rifvertragsgesetz und im Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege. – Da sieht man Der Mindestlohn soll das Tarifsystem von unten stützen einmal, was ein Rollentausch – angeblich – an Erkennt- und im Zusammenspiel mit Branchenmindestlöhnen und nisgewinn für den einen oder anderen bringen kann. Tarifverträgen, die für alle Beschäftigten einer Branche gelten, die Tarifbindung erhöhen. Endlich wird die Tarif- ( [DIE LINKE]: Machen Sie flucht nicht mehr ignoriert, sondern bekämpft. Es geht das doch auch mal!) um soziale Leitplanken, die die Tarifpartnerschaft wirk- lich stärken. Bei uns ist das nicht nötig. Wir haben uns intensiv mit den Dingen beschäftigt. Insofern geht es vor allem da- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- rum, dass wir keine Sonderregelung auf den Weg brin- SES 90/DIE GRÜNEN) gen wollen, was das Wegegeld angeht. Es besteht bereits Endlich setzt die Bundesregierung um, was wir Grünen jetzt die gesetzliche Möglichkeit, dass das Wegegeld, bereits 2011 auf die Tagesordnung gesetzt haben. solange es Entgeltbestandteil ist, auf den Mindestlohn angerechnet wird. Das ist nichts Neues. Wenn Sie das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit den Aufwendungen beispielsweise für Fahrtkosten vergleichen, so muss man sagen: Das ist selbstverständ- Die Maßnahmen sind bitter nötig; denn viel zu viele lich nicht auf den Mindestlohn anrechenbar. Unternehmen haben sich in den letzten Jahren aus der Tarifpartnerschaft verabschiedet. Die Tarifbindung sinkt. Wir werden im Rahmen einer Durchführungsverord- Heute sind nur noch knapp 60 Prozent der Beschäftigten nung alle diese Fragen, auch was die Anrechenbarkeit durch tarifliche Vereinbarungen geschützt. Deshalb angeht, klarstellen, sodass auch die Rechtspraxis in die- konnte sich in Deutschland im Vergleich zu anderen eu- 4106 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Beate Müller-Gemmeke (A) ropäischen Ländern auch ein ausgeprägter Niedriglohn- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regie- (C) bereich entwickeln. Die Tarifflucht hält die Löhne auch rungsfraktionen, das Tarifautonomiestärkungsgesetz al- insgesamt auf niedrigem Niveau, insbesondere bei den lein reicht nicht aus. Der gesetzliche Mindestlohn und unteren Einkommen. Das Tarifsystem muss also gestärkt die branchenspezifischen Mindestlöhne müssen auch tat- werden; denn die Beschäftigten haben faire Löhne, also sächlich durchgesetzt werden. Die möglichen Ausweich- Tariflöhne, verdient. manöver sind bekannt: Scheinwerkverträge, Schein- selbstständigkeit, fingierte Stundenabrechnungen. Hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Notwendig sind sowie bei Abgeordneten der LINKEN) also effektive Kontrollen. Die Finanzkontrolle Schwarz- arbeit hat aber schon heute zu wenig Personal. Die Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Intention des Zollgewerkschaft fordert ja mindestens 2 000 bis 2 500 Tarifautonomiestärkungsgesetzes unterstütze ich also neue Stellen. Sie haben im Haushalt 2014 keine einzige von ganzem Herzen. Kritik aber haben wir bei der zusätzliche Stelle bewilligt. Für 2015 scheint es so, als Ausgestaltung. Den Beschäftigten wurde ein flächen- würden Sie, wenn überhaupt, maximal 500 Stellen be- deckender gesetzlicher Mindestlohn versprochen. Der willigen. Effektive Kontrollen gibt es nicht zum Nullta- gesetzliche Mindestlohn kommt, aber für viele Men- rif. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! schen nur auf dem Papier; denn gleichzeitig entsteht ein neuer Niedrigstlohnbereich. Die Sonderregelungen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausnahmen sind fatal. Sie sind nicht akzeptabel. Der sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mindestlohn wird zum Flickenteppich, und zwar zulas- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir begrüßen ten der Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt. Soziale Ge- den Dreiklang im Tarifautonomiestärkungsgesetz; denn rechtigkeit sieht anders aus. für tariftreue Betriebe entsteht so ein verlässlicher Wett- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bewerbsrahmen und Schutz vor Dumpingkonkurrenz. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Tarifflucht hingegen wird sich zukünftig immer weniger lohnen, zum Vorteil der Beschäftigten. Aber ich muss Die Ausnahmen bei den Arbeitslosen gehen mir be- schon sagen: Wir hätten das Tarifautonomiestärkungs- sonders unter die Haut. Damit stigmatisieren sie die gesetz besser gemacht. Dennoch: Die Richtung stimmt. Menschen und behandeln sie wie Beschäftigte zweiter Deshalb werden wir trotz der vielfältigen Kritik auch zu- Klasse; denn trotz Mindestlohn gilt für Langzeitarbeits- stimmen. Wir bleiben aber dran. Wir werden die Unge- lose weiterhin nur die Grenze der Sittenwidrigkeit. Das rechtigkeiten weiter aufzeigen und notwendige Korrek- werden wir immer und immer wieder kritisieren. turen einfordern; das kann ich Ihnen versichern. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. (D) Die Ausnahmen treffen aber nicht nur die Menschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) direkt, sondern sie wirken auch kontraproduktiv. Denn sie schwächen das Tarifsystem, anstatt es zu stärken, Vizepräsidentin Claudia Roth: weil die Ausnahmen nur von tarifungebundenen Betrie- Vielen Dank, Frau Kollegin. Danke auch, dass Sie die ben genutzt werden können. Das Gleiche gilt für die Redezeit eingehalten haben. – Nächste Rednerin: neue Sonderregelung für die Zeitungsverleger. Eigent- Dr. Carola Reimann für die SPD. lich wollen Sie ja die Tarifbindung erhöhen. Jetzt ent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lasten Sie aber eine Branche, die Tarifverhandlungen der CDU/CSU) ablehnt. Das alles macht einfach keinen Sinn. Das ist wi- dersinnig und deshalb nicht akzeptabel. Dr. Carola Reimann (SPD): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir schließen heute mit dieser Lesung eine in- Ein anderes Beispiel. Im Tarifvertragsgesetz fällt ja tensive parlamentarische Debatte zum Tarifpaket ab. Wir die 50-Prozent-Hürde. Das ist richtig. Nur so können haben, wie in Gesetzgebungsverfahren üblich, in den mehr Branchen beantragen, dass ihre Tarifverträge für letzten Wochen bei ein paar wenigen Punkten noch alle Beschäftigten gelten, und damit verhindern, dass die Änderungen und Präzisierungen vorgenommen. Bei der Schmutzkonkurrenz in den eigenen Reihen immer grö- Debatte über diese letzten Änderungen darf man nicht ßer wird. Das ist ausdrücklich auch unser Ziel. Über- aus dem Blick verlieren, was wir mit diesem Gesetz er- haupt nicht nachvollziehbar ist aber, dass Sie das Ab- reichen werden: Deutschland bekommt einen flächende- stimmungsverfahren im Tarifausschuss nicht verändern. ckenden gesetzlichen Mindestlohn. Es können zwar leichter Anträge auf Allgemeinverbind- licherklärung gestellt werden, im Tarifausschuss können (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten diese Anträge aber weiter blockiert werden. Das macht der CDU/CSU) keinen Sinn. Das ist nicht schlüssig und auch nicht kon- Für Millionen von Menschen bedeutet dies die größte sequent. Gehaltserhöhung ihres Lebens. Das, meine Damen und Herren, ist eine der größten Sozialreformen in der Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schichte der Bundesrepublik Deutschland. sowie der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4107

Dr. Carola Reimann (A) Kolleginnen und Kollegen, wir haben von Anfang an lohn bekommen; sie gilt übrigens nicht befristet, sondern (C) klargemacht, dass wir die Sorgen einzelner Branchen auf Dauer. Wie kriegen Sie das mit Ihrem Wahlpro- sehr ernst nehmen und mögliche Probleme bei der gramm zusammen? Umsetzung berücksichtigen. Deshalb haben wir im Ko- alitionsvertrag vereinbart, eine zweijährige Übergangs- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) zeit zu ermöglichen, wenn tarifvertragliche Lösungen vereinbart werden. Und deshalb gab es auch einen inten- Dr. Carola Reimann (SPD): siven Branchendialog. Für diese umfangreichen Gesprä- Lieber Kollege Ernst, auch da bitte ich um ein biss- che will ich mich hier ausdrücklich bei der Ministerin chen Differenzierung. Es geht um die Langzeitarbeitslo- und ihrem Haus bedanken. Durch sie konnten in Bran- sen; aber Arbeitsuchende werden Mindestlohn erhalten – chen tarifvertragliche Vereinbarungen gefunden wer- den, die man bisher wohl als tarifpolitisches Niemands- (Christine Lambrecht [SPD]: Ja, selbstver- land bezeichnen musste. Wir setzen damit nicht nur ständlich! – Beate Müller-Gemmeke [BÜND- einen ersten Mindestlohn in Branchen fest, die von NIS 90/DIE GRÜNEN]: Langzeitarbeitslose Lohndumping geprägt waren. Wir haben damit zugleich sind auch Arbeitsuchende!) auch die Tarifautonomie gestärkt – und das alles, bevor in vielen Branchen hoffentlich die Löhne, die in den Ta- das Gesetz überhaupt in Kraft getreten ist. rifen vorgesehen sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Das Beispiel zeigt: Dialog und Praxisnähe lohnen sich, und vor allen Dingen lohnt es sich, auf das Erfolgsmo- Die Ausnahme für Langzeitarbeitslose ist hier mehrfach dell Tarifpartnerschaft zu setzen. angesprochen worden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir Sozialdemokraten auch diese Ausnahme lieber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht gehabt hätten. Aber Sie haben auch die Begrün- der CDU/CSU) dung gehört: Es soll verhindert werden, dass die Hürde Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben beim Zugang zum Arbeitsmarkt – man muss fairerweise bei der Gesetzgebung eine klare Linie verfolgt: Hilfen sagen, dass sich diese Leute sehr schwertun und Arbeit- für praxistaugliche Übergänge ja, aber keine Branchen- geber ihnen in vielen Fällen keine Chance geben; das ist ausnahmen. Genau so sieht das Gesetz aus, das nun vor- sehr mühsam, und in fast allen Fällen ist Unterstützung liegt. Wer hier große Ausnahmen anprangert, redet ein- nötig – höher gelegt wird. Das haben wir mit dem Koali- fach an der Sache vorbei. tionspartner vereinbart. (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wir haben darüber hinaus in den letzten Änderungen, (D) CDU/CSU) die ich angesprochen habe, eine Evaluierung vorgese- hen, die vorgezogen werden soll, weil wir das sehr genau Der Mindestlohn kommt wie versprochen: 8,50 Euro, beobachten wollen. flächendeckend und ohne jede Branchenausnahme. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Claudia Roth: der CDU/CSU) Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Der Mindestlohn kommt wie versprochen: 8,50 Euro, Kollegen Ernst? flächendeckend und ohne jede Branchenausnahme. Da- von profitieren fast 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Dr. Carola Reimann (SPD): Arbeitnehmer und, Kollegin Zimmermann, insbesondere Sehr gern. sehr viele Frauen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Vizepräsidentin Claudia Roth: CDU/CSU) Dann ist Herr Ernst jetzt dran. Es profitieren nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Ar- Klaus Ernst (DIE LINKE): beitnehmer, sondern auch die Unternehmen – die redli- Danke schön. – Frau Kollegin, ist Ihnen noch folgen- chen Unternehmen nämlich, die beim Unterbietungs- der Satz bekannt? Ich zitiere: wettbewerb auf dem Rücken der Menschen nicht mitmachen. Ich freue mich, dass wir das nun gegen alle Es muss sichergestellt werden, dass kein Arbeit- Widerstände durchsetzen konnten. suchender auf einen Arbeitsplatz unterhalb der ortsüblichen Entlohnung verwiesen wird. Der Min- Kolleginnen und Kollegen, ich will einen weiteren destlohn von 8,50 Euro muss in jedem Fall gewähr- Punkt ansprechen. Mit dem Tarifpaket beenden wir auch leistet sein. die Auswüchse bei der Generation Praktikum. Wir dul- den nicht länger, dass sich gut ausgebildete und hochmo- Ich helfe Ihnen weiter: Das ist aus Ihrem Wahlpro- tivierte junge Menschen mit einer abgeschlossenen Be- gramm. rufsausbildung von Praktikum zu Praktikum – mies oder Jetzt habe ich heute hier viele Stimmen aus Ihrer Par- gar nicht bezahlt – hangeln müssen. Mit dem vorliegen- tei gehört, die gerade jene Regelung verteidigen, nach den Gesetz verhindern wir Ausbeutung und ermöglichen der Arbeitsuchende sechs Monate lang keinen Mindest- doch weiterhin Qualifizierung und Orientierung wäh- 4108 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. Carola Reimann (A) rend der Ausbildung. Auch dies ist eine sehr praxisnahe Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat (C) Lösung im Interesse der jungen Menschen. durchaus recht, wenn sie sagt: Die Mindestlohndebatte ist geprägt von Halbwissen und Mythen. Leider stam- Dazu zählt auch, dass es in Zukunft zu jedem Prakti- men viele der aus Halbwissen vorgetragenen Mythen kum einen schriftlichen Vertrag gibt. Dort werden Ziele, von dieser Initiative selbst. Arbeitszeiten und vor allem Vergütung festgehalten. Da- mit stärken wir nicht nur die Rechte der Praktikantinnen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der und Praktikanten, sondern senden auch eine klare Bot- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- schaft aus: Wir brauchen unsere gut qualifizierten Nach- NEN) wuchskräfte und anerkennen ihre Leistungen durch gute So behauptet die Initiative, der Mindestlohn gefährde Arbeitsbedingungen auch bei Praktika. Arbeitsplätze, und sie begründen das mit den ökonomi- (Beifall bei der SPD) schen Theorien. Nun kann man aus schiefen Annahmen in der ökonomischen Theorie immer die passenden Das wird im Übrigen auch für die Praktikantinnen und Schlüsse ziehen. Deswegen lohnt ein Blick in die empi- Praktikanten des Deutschen Bundestages gelten. rische Wirklichkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den In Großbritannien ist der Mindestlohn 1998 einge- vergangenen Wochen intensive Gespräche geführt, Prä- führt worden. Wir haben die zuständige Mindestlohn- zisierungen vorgenommen und nicht wenige Angriffe kommission dort besucht und gefragt: Hat der Mindest- auf den Mindestlohn abgewehrt. Ich bin sicher, wir ha- lohn Arbeitsplätze gekostet? Die eindeutige Antwort ben eine Regelung gefunden, die für mehr Ordnung am war: Nein, auch nicht in strukturschwachen Gebieten. Arbeitsmarkt sorgt, einen neuen Fairnessstandard setzt und sich in der Praxis bewähren wird. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Super!) Ich möchte an dieser Stelle all denjenigen danken, die Das ist alles sehr genau untersucht worden, und es ent- über viele Jahre hinweg gegen große Widerstände für spricht auch den Ergebnissen der internationalen For- diesen Mindestlohn gekämpft haben. Sie alle können schung. heute zu Recht stolz auf sich sein. Mein ganz besonderer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dank gilt unserer Ministerin Andrea Nahles, die dieses sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Gesetz mit uns gemeinsam mit viel Engagement, mit der SPD) viel Herzblut und mit großer Ausdauer auf den Weg ge- bracht hat. Nun wird man einwenden: Na ja, der Mindestlohn ist in Großbritannien doch viel niedriger. Das ist richtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) Aber man muss die Zahlen vergleichbar machen. Der (D) der CDU/CSU) Mindestlohn liegt in Großbritannien bei etwa 53 Prozent Ich bin sicher: Der Mindestlohn wird eine Erfolgsge- des Medianlohnes, in Deutschland wären es 2015 weni- schichte. Er wird nicht nur knapp 4 Millionen Arbeitneh- ger als 52 Prozent des Medianlohnes; das ist also durch- merinnen und Arbeitnehmern helfen, er wird auch unse- aus vergleichbar. rem Land guttun. Nein, hier drängt sich der Verdacht auf, meine Damen Danke fürs Zuhören. und Herren, dass es der Initiative Neue Soziale Markt- wirtschaft nicht um das Erbe von Ludwig Erhard geht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie halten Verwerfungen und Verzerrungen der Wettbe- der CDU/CSU) werbsordnung in der sozialen Marktwirtschaft für nor- mal, weil der Markt nun einmal so ist, wie er ist. Nein, Vizepräsidentin : hier – der Verdacht drängt sich auf – will jemand das So- Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Matthias ziale neu denken, während es doch darauf ankommt, das Zimmer, CDU/CSU-Fraktion. Neue sozial zu denken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): geordneten der LINKEN) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es Das Neue ist: Die Tarifbindung hat deutlich abge- richtig ist, dass es Aufgabe des Staates ist, in der sozia- nommen. Die Tarifpartner erreichen heute viele Arbeits- len Marktwirtschaft Schiedsrichter des Wettbewerbs, verhältnisse nicht mehr. Dadurch kommt es zu einem Hüter des Gemeinwohls und vor allem Anwalt für die Niedriglohnsektor, den viele für ungerecht halten. Er ist Schwachen zu sein, dann ist der Mindestlohn, wie wir es auch; denn nichtauskömmliche Löhne müssen durch ihn heute beschließen, ordnungspolitisch richtig und den Staat aufgestockt werden. normativ geboten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Der Niedriglohnsektor ist eine Subvention nichtaus- kömmlicher Löhne. Mir ist überhaupt nicht bekannt, Und doch ist es richtig, auf einige kritische Argumente dass sich die Ideologen der Neuen Sozialen Marktwirt- einzugehen. schaft jemals über diese Subventionen beschwert hätten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4109

Dr. Matthias Zimmer (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der haben sich zu Wort gemeldet. Einige haben zur Verbes- (C) SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- serung des Gesetzgebungsprozesses geführt, andere SES 90/DIE GRÜNEN) nicht. Mich hat häufig überrascht, wie sehr alle im Prin- zip den Mindestlohn begrüßt haben, aber doch bitte nicht Wenn die gesellschaftlichen Kräfte wie Arbeitgeber in dieser oder jener Branche. Und tatsächlich, es gab in und Arbeitnehmer etwas nicht mehr regeln können, wird der ein oder anderen Branche objektive Probleme. Sie subsidiär der Staat tätig. Das ist eine der wunderbaren sind aus meiner Sicht aber sehr konstruktiv abgearbeitet Ideen aus der katholischen Soziallehre, die auch den worden. Geist der sozialen Marktwirtschaft durchdrungen haben. Ein bemerkenswertes Argument hat aus meiner Sicht Subsidiarität heißt auf der einen Seite: Kompetenz- Professor Di Fabio, der ehemalige Verfassungsrichter, anmaßungsverbot. Der Staat soll nicht eingreifen, wo es vorgetragen. Er argumentiert, die Einführung eines Min- die Menschen oder die sozialen und gesellschaftlichen destlohnes bei der Zeitungszustellung könne gegen die Akteure selbst richten könnten. Insofern ist Subsidiarität Pressefreiheit verstoßen. Nun sind Professoren kluge ein wirksames Instrument gegen Staatsallmachtsideolo- Leute, und Verfassungsrichter sind das allemal. Aber gien. Subsidiarität heißt aber auch: Hilfestellungsgebot, nicht alles, was sie sagen, ist gleichermaßen klug. wo die Menschen und die sozialen Akteure einen Rege- (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) lungsbereich nicht mehr durchdringen können. Das ist hier der Fall. Ich habe den Eindruck, die Klugheit der Argumente nimmt deutlich ab, wenn man sie in fremdem Auftrag Die Ordnung der Lohnfindung in unserer sozialen entwickelt und vorbringt. Marktwirtschaft ist aus den Fugen geraten. Gewerk- schaften und Arbeitgeber alleine können es nicht richten. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten im Deswegen ist der gesetzliche Mindestlohn, wie wir ihn ganzen Hause) heute verabschieden, eine subsidiäre Maßnahme. Er ist Professor Di Fabio hat einmal in einem bemerkenswer- eine Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft ten Buch geschrieben, bürgerlich sei es, Freiheit auch als aus dem System der sozialen Marktwirtschaft heraus. Er Freiheit zur Bindung zu begreifen. Zumindest hat er uns entspricht der Denklogik, indem er der sozialen Markt- nicht im Unklaren darüber gelassen, an wen er sich ge- wirtschaft ein Ordnungsgefüge einzieht und Lohnspira- bunden hat. len nach unten verhindert. (Heiterkeit bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, am Ende verabschieden wir heute einen Kompromiss. Wir als christliche Demo- (B) Wir anerkennen damit auch, dass der Arbeitsmarkt kraten hätten sicherlich vieles anders geregelt, die Kolle- (D) ein besonderer Markt ist, nicht einer, auf dem Pfeffer gen von der Sozialdemokratischen Partei sicherlich und Käse, Gurken und Wein gehandelt werden und le- auch. diglich das Spiel von Angebot und Nachfrage gilt. Nein, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Arbeitsmarkt ist ein abgeleiteter Markt, und er hat et- der SPD) was mit Wertvorstellungen zu tun, die jenseits der Preise angesiedelt sind. Aus unserem Selbstverständnis als Entscheidend ist aber, dass wir uns in die Augen sehen christliche Demokraten gehört nämlich die Arbeit zur und sagen können: Wir haben eines der großen kontro- Identität des Menschen und darf deswegen nicht voll- versen Themen der vergangenen Jahre vernünftig gere- ständig dem Markt unterworfen sein. gelt. Von diesem Gesetz werden viele Menschen profi- tieren, denn sie haben ab 1. Januar 2015 einen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der gesetzlichen Anspruch auf den Mindestlohn. Von dem SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Gesetz werden viele Betriebe profitieren, denn Wettbe- NEN) werbsvorteile durch Lohndrückerei wird nicht mehr Meine Damen und Herren, sozial ist nicht, was Arbeit möglich sein. schafft – das war schon immer eine gedankenlose und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem falsche Aussage –, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Von dem Gesetz können auch die Sozialversicherungen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. profitieren, denn es wird mehr einbezahlt. Nicht zuletzt Birkwald [DIE LINKE]: Das ist so was von profitiert auch die Zeitautonomie der Abgeordneten, die richtig!) sich mit dem Thema über Jahre beschäftigt haben. sondern sozial ist, was gute Arbeit schafft. So denken (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Matthias W. wir als christliche Demokraten Birkwald [DIE LINKE]: Das war ein echter Zimmer!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden heute entscheiden. Unsere Arbeit ist damit das Neue sozial in der Tradition von Ludwig Erhard und getan. Unsere Aufgabe ist erfüllt. Ich denke, wir haben in der Tradition der Sozialphilosophie der Kirchen. Gutes getan. Wir haben lange gerungen, bis dieses Gesetz zustande (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem gekommen ist. Viele berufene und unberufene Stimmen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 4110 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bernd Rützel (SPD): (C) Vielen Dank. – Für die SPD hat jetzt Bernd Rützel das Ja, bitte. Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Michael Schlecht (DIE LINKE): der CDU/CSU) Lieber Herr Kollege, ich stimme mit Ihnen hinsicht- lich der positiven Würdigung der Tarifautonomie über- Bernd Rützel (SPD): ein. Auch ich bin der Meinung, dass diesbezüglich man- ches, wie Sie es gesagt haben, „aus dem Ruder gelaufen“ Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen ist; ich finde, das ist noch eine relativ harmlose Formu- und Herren! Wir beschließen heute das Gesetz zur Stär- lierung. Wenn Sie das so sehen, sind Sie dann auch mit kung der Tarifautonomie. Prominentester Teil dieses mir der Meinung, dass in diesen Entwurf eines Gesetzes Gesetzes ist zweifelsohne der Mindestlohn, der allge- zur Stärkung der Tarifautonomie, mit dem erstmalig meine und flächendeckende Mindestlohn. Zur histori- offiziell anerkannt wird, dass politische Rahmenbedin- schen Dimension dieser Einführung haben wir in der gungen etwas mit der Handlungsfähigkeit von Gewerk- letzten Stunde viel Richtiges und Wichtiges gehört. Wer schaften in der Tarifpolitik zu tun haben – bisher ist das genau hingehört hat, hat vielleicht erkannt, was wirklich ja immer negiert worden –, eine ganze Menge mehr wichtig ist und was nur vorgeschoben ist. Der Mindest- hineingehörte, zum Beispiel eine Neuregelung hinsicht- lohn ist aber nicht das Ziel, sondern er ist ein Stück des lich der Befristungen, damit dieses elende Befristungs- Weges, ein breites und gut ausgebautes Wegstück, kein wesen abgeschafft wird, eine Regelung zur Leiharbeit, „Flickenteppich“. Das Ziel ist die Stärkung der Tarifau- eine Regelung, nach der Werkverträge nicht mehr mög- tonomie. lich sind, usw.? Ich könnte Ihnen eine Reihe weiterer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Maßnahmen aufzählen. Das ist doch nur Stückwerk, was neten der SPD) hier vorgelegt wird. Die Geschichte der Tarifautonomie ist im Grunde die Geschichte des Kampfes von benachteiligten Menschen, Bernd Rützel (SPD): nicht nur zur Sicherung eines lebenswerten Daseins, Herr Schlecht, ich habe Ihnen doch das mit den sondern oftmals zur Erlangung einer existenzsichernden Löwen erklärt. Die Weichenstellung war falsch. Ich bin Versorgung. Die Tarifautonomie, wie wir sie heute ken- Ihnen dankbar für diese Zwischenfrage. Es ist richtig: nen, dient dem Wohle der Menschen, aber auch und vor Das, was wir jetzt gebaut haben, ist ein erstes, breites, allem dem Wohle der ganzen Volkswirtschaft. Um diese wichtiges Stück auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit in Tarifautonomie – das haben wir in England wieder der Arbeitswelt, im Tarifvertragswesen und in der Tarif- (B) (D) gehört – beneiden uns viele Länder. Die Sozialpartner autonomie. Diesen Weg werden wir weitergehen. Die haben sich oft gestritten. Es wurde gestreikt, aber die Punkte, die Sie angesprochen haben, werden wir nach Sozialpartner haben immer wieder verhandelt und der Sommerpause wieder auf der Agenda haben; denn es schließlich Frieden geschlossen. Es gab immer eine Ver- geht weiter. lässlichkeit in diesem System. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Aber in den letzten 20 Jahren ist etwas aus dem Ruder Zimmer [CDU/CSU]) gelaufen. Die Löwen haben gebrüllt. Man hat den brül- Wir werden als Nächstes in diesem Gesetz die Allge- lenden Löwen ein Stück Fleisch hingeworfen, aber sie meinverbindlichkeit stärken. Das ist ein vielleicht noch sind nicht ruhiger geworden. Sie haben immer lauter ge- wichtigerer Punkt. Dies wird dazu führen, dass Gewerk- brüllt, und mit jedem Stück Fleisch haben sie noch mehr schaften und Arbeitgeber künftig wieder mehr Tarifver- verlangt. Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind ge- träge aushandeln und diese für wesentlich mehr Men- fordert. Wir werden dafür sorgen, dass wieder Ordnung schen bzw. für die breite Masse gelten werden. Die starre herrscht. Untertarifliche Entgelte, die Streichung oder 50-Prozent-Marke, die aufgrund der abnehmenden Tarif- Kürzung von Sonderzuwendungen, längere Arbeitszei- bindung immer schwieriger zu erreichen war – das wird ten und vieles mehr wollen wir nicht. Das ist die falsche sich in Zukunft wieder ändern –, schaffen wir ab. Es Weichenstellung. Es muss sich etwas ändern. Heute set- muss ein öffentliches Interesse vorliegen; das ist zukünf- zen wir ein ganz wichtiges Zeichen. Das ist ein Signal tig das entscheidende Kriterium für die Allgemeinver- und eine wichtige Weichenstellung. Vielen Dank an die bindlichkeitserklärung. Bundesarbeitsministerin. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Damit werden auch die Trittbrettfahrer erfasst, die Vielen Dank an alle, die tatkräftig und sehr effektiv in sich die Ordnungsfunktion eines Tarifvertrages zunutze den letzten Wochen und Monaten mitgearbeitet haben. machen, aber nicht Mitglied in einem Verband sind, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten keine Mitgliedsbeiträge zahlen und Tarifverträge nach der CDU/CSU) Gutsherrenart anwenden. Das wird nach diesem Gesetz nicht mehr möglich sein. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit der Herr Kollege Rützel, gestatten Sie eine Zwischen- Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle frage des Kollegen Schlecht? Branchen schaffen wir eine wichtige Grundlage für ei- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4111

Bernd Rützel (A) nen fairen Wettbewerb und gleichzeitig gleiche und Es ist ebenfalls zu begrüßen, dass unserer Forderung (C) gerechte Arbeitsbedingungen unabhängig von der Her- nach einer sofort einsetzenden Datenerfassung zur Eva- kunft von Arbeitgeber und Beschäftigten. Wahrlich: luation Rechnung getragen worden ist. Dies ist die uner- Heute ist ein historischer Tag. lässliche Voraussetzung zur Feststellung und Beurtei- lung einer Gesamtsituation bzw. Gesamtentwicklung, Vielen Dank. um hiernach die Höhe des Mindestlohns anpassen zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten können. Es ist wichtig, dass hiermit sofort begonnen der CDU/CSU) wird, damit die Auswirkungen des Mindestlohns best- möglich erfasst werden können. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die bereits angesprochenen Regelungen für Zeitungs- Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Wilfried Oellers, zusteller und Saisonarbeiter berücksichtigen besondere CDU/CSU-Fraktion. Umstände. Hinsichtlich der Praktikanten ist eine Regelung schon deswegen geboten, damit weiterhin die (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich Bereitschaft der Unternehmer besteht, jungen Menschen [DIE LINKE]: Wir könnten doch jetzt abbre- die Möglichkeit zu gewähren, zur Berufsorientierung chen, oder?) oder zur Wahl eines Ausbildungsplatzes Einblicke in die jeweiligen Berufe zu bekommen und im Rahmen von Wilfried Oellers (CDU/CSU): Ausbildungs- und Studienordnungen die notwendigen Pflichtpraktika zu erfüllen. Die Generation Praktikum Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- wird es hiernach nicht mehr geben. Man muss es den nen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her- Unternehmern daher hoch anrechnen, dass sie jungen ren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Menschen diese Möglichkeit gewähren, da der Auf- Entwurf des Tarifautonomiestärkungsgesetzes. Die be- wand, der damit verbunden ist, größer ist als der Nutzen, sondere Bedeutung des Gesetzespakets wurde von den den die Unternehmer dadurch sofort haben. Die Unter- Vorrednern schon hervorgehoben. Die besondere Bedeu- nehmer kommen damit ihrer gesellschaftlichen Ver- tung ist natürlich auch mit besonderen Auswirkungen pflichtung gegenüber jungen Menschen nach. Daher ist verbunden. Das Mindestlohngesetz legt einen Mindest- es richtig, dass hier kein Mindestlohn gefordert, sondern lohn von 8,50 Euro fest, der die Basis des Lohns sein die Möglichkeit des Praktikums für junge Menschen ge- soll. Mit dieser grundsätzlichen Feststellung wird die fördert wird. weitere Anpassung des Mindestlohns in die Hände der Mindestlohnkommission und damit der Tarifvertragspar- Wie angekündigt, haben wir auch das Arbeitnehmer- teien gelegt. Dort gehört diese Aufgabe auch hin, meine (B) Entsendegesetz für alle Branchen geöffnet. Daneben (D) sehr geehrten Damen und Herren. haben wir die nach dem Tarifvertragsgesetz mögliche Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) von der starren und oft schwer nachweisbaren 50-Pro- Hier wird die besondere Aufgabe zu erfüllen sein, den zent-Grenze entlastet. Hierzu ist neben einem gemeinsa- Mindestlohn unter Berücksichtigung aller zur Entwick- men Antrag der Tarifvertragsparteien das Vorliegen ei- lung des Mindestlohns in Betracht zu ziehenden Um- nes öffentlichen Interesses erforderlich. Dieses liegt stände weiterzuentwickeln. Der Gesetzgeber gibt hier dann vor, wenn der Tarifvertrag in seinem Geltungsbe- nur einen beispielhaften und keinen abschließenden reich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen über- Rahmen vor. Es ist daher Aufgabe der Mindestlohnkom- wiegende Bedeutung erlangt hat. Der Tarifvertrag muss mission, die weiteren Kriterien zu erarbeiten. Es muss sich demnach durch faktische Anwendung durchgesetzt hier quasi eine Gesamtabwägung erfolgen. haben, das heißt also auch im Vergleich zu Arbeitgebern, die die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten nicht Dies soll nicht ausschließen, dass die Mindestlohn- entsprechend gestalten. kommission für bestimmte Branchen und Regionen Aus- nahmeregelungen treffen kann; diese Freiheit hat die Nicht ausreichend ist dabei, dass sich der Tarifvertrag Mindestlohnkommission. Denn es muss gewährleistet bloß relativ im Vergleich zu anderen Tarifverträgen sein, dass auf der einen Seite ein angemessener und fai- durchgesetzt haben muss. Das Ministerium ist hier rer Lohn gezahlt wird, auf der anderen Seite aber auch gehalten, die Voraussetzungen und insbesondere das öf- berücksichtigt wird, dass der Lohn erwirtschaftet werden fentliche Interesse sorgfältig zu prüfen. muss. Das kann in bestimmten Branchen und Regionen Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang auch – las- unterschiedlich sein. Ich wünsche mir, dass die Kommis- sen Sie mich das als Jurist erwähnen –, dass im Arbeits- sion von dieser flexiblen Ausgestaltung nach Bedarf hin- gerichtsgesetz eine einheitliche und klare gerichtliche reichend Gebrauch macht und ihrer Verantwortung für Zuständigkeit geregelt ist. Dies dient der Verfahrens- die Entwicklung des Mindestlohns gerecht wird. beschleunigung und der schnelleren Herstellung von Es ist daher auch richtig, dass die Entwicklung des Rechtssicherheit. Mindestlohns nicht fest an einen Tarifindex gekoppelt Es gilt nun, die neuen gesetzlichen Regelungen mit ist. Denn dies würde der Kommission nicht die Möglich- Augenmaß und im Sinne aller umzusetzen und auszuge- keit geben, sämtliche Umstände zu berücksichtigen. Wir stalten. sind froh, dass unsere Forderung an dieser Stelle umge- setzt werden konnte. Vielen Dank. 4112 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Wilfried Oellers (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. und es ist uns gemeinsam gelungen, dies gegenüber dem (C) Christine Lambrecht [SPD]) Entwurf, der ursprünglich auf dem Tisch lag, zu verbes- sern. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Es ist auch sehr wichtig – das wurde in der Debatte Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Joachim deutlich –, dass die Rolle der Mindestlohnkommission Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion. aufgewertet wird. Es wird bei einem einmaligen Eingriff (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) in die Tarifautonomie bleiben. Zukünftig werden wieder diejenigen, die in der sozialen Marktwirtschaft verant- wortlich sind, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Tarif- Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): autonomie in der Mindestlohnkommission übernehmen Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und und sehr genau beobachten, welche Auswirkungen der Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die heu- Mindestlohn in den einzelnen Branchen, in den Regio- tige Debatte verfolgt, der kann, glaube ich, unschwer nen und in den Bereichen hat, über die diskutiert wurde. feststellen, dass sie mit Pathos und Superlativen belegt Die Frage wird sein, ob der richtige Maßstab angelegt und aufgeladen ist. „Historische Stunde“, „historischer wurde. Deshalb hat die Kommission zukünftig die Tag“, „historische Dimension“, sagen die einen, die an- Möglichkeit, hier zu differenzieren und entsprechende deren sprechen von „Täuschungsmanöver“. Die einen Vorschläge zu machen. Wir legen das Verfahren somit sprechen von einem „flächendeckenden Mindestlohn“, wieder in die Hände derer zurück, die soziale Marktwirt- der erreicht wird, während die anderen von einem „Fli- schaft am besten können, und stärken damit die bereits ckenteppich“ reden. angesprochene Vielfalt des Landes. Unzweifelhaft wird deutlich, welche höchste politi- Ich will die anderen Punkte nur stichwortartig anspre- sche Symbolik das Thema Mindestlohn hat. Es wurde chen: Übergangsregelungen, Praktika, Einstiegsqualifi- aber auch deutlich: Egal, wie viele Debatten wir in der zierungen, Saisonarbeitnehmer. Auch die Dokumenta- Vergangenheit geführt haben oder in Zukunft noch füh- tionspflichten mit Augenmaß – das Ziel ist, dies ren werden: Den universalen, allgemeingültigen Min- möglichst unbürokratisch umzusetzen – seien nur noch destlohn gibt es nicht, und den wird es auch nie geben. einmal erwähnt. Der Mindestlohn muss richtig ausgehandelt und aufge- stellt sein, um auch die Vielfalt des Landes zu berück- Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der heute sichtigen und abzubilden. Ein Mindestlohn – egal, wie er vonseiten der Linken angesprochen wurde. Da hieß es, aufgestellt und zustande gekommen ist – wird nie in der die Langzeitarbeitslosen würden auf dem Altar des Ko- Lage sein, alle Probleme unseres Landes zu lösen. alitionsfriedens geopfert. Ich frage Sie: Was nützt einem (B) Langzeitarbeitslosen, der seit über einem Jahr arbeitslos (D) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE ist und im Zweifel andere sogenannte multiple Hemm- GRÜNEN]: Das sagt auch niemand!) nisse hat, die Einführung des Mindestlohns, wenn er Ob der Eingriff, den wir heute vornehmen – ich sage keine Arbeit findet? Mit einem Mix an Instrumenten es einmal nüchtern: Es ist schon ein einzigartiger und, so kann es gelingen, ihn weiter auszubilden, ihn weiter zu hoffe ich, auch einmaliger Eingriff in die Tarifautono- fördern und ihn in Lohn und Brot zu bringen. Warum mie; wir sind uns hoffentlich einig, dass es dabei bleibt –, soll dieser Langzeitarbeitslose nicht übergangsweise, am Ende des Tages volkswirtschaftlich sinnvoll und ar- zeitlich begrenzt, zu einem geringeren Lohn arbeiten? beitsmarkt- und sozialpolitisch richtig ist, wird sich noch Das ist allemal besser, als weiterhin arbeitslos zu sein. zeigen. Der Begriff, den der Kollege Schiewerling ge- Wir brauchen alle Instrumente, die sich in der Vergan- wählt hat – „Operation am offenen Herzen der sozialen genheit schon bewährt haben, ob das die Zeitarbeit ist Marktwirtschaft“ – ist insoweit richtig und zu unterstrei- oder ob das neue Programme sind, die sich speziell an chen. Denn ein Mindestlohn, der Arbeitsplätze vernich- Langzeitarbeitslose richten und diese fördern. tet, in Schwarzarbeit abdrängt oder das Lohn- Ich stelle fest: Auch wenn der Mindestlohn wirt- abstandsgebot so verletzt, dass die Wettbewerbsfähigkeit schafts- und ordnungspolitisch immer noch eine Heraus- des Landes gefährdet ist, hilft niemandem weiter. forderung darstellt, so ist der heute zur Abstimmung ste- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hende Gesetzentwurf, der einen Kompromiss darstellt, tragbar. Damit sind wir aber sicher nicht am Ende der Deshalb wurde hart gerungen, um die richtigen Lösun- Diskussion. Wir werden uns weiter mit dem Thema be- gen zu finden und die Vielfalt unseres Landes in einem fassen müssen, dann aber bitte mit den Mitteln der Tarif- Instrumentenmix abzubilden. autonomie in der Mindestlohnkommission. Es ist auch richtig, dass es keine starren Lösungen Vielen Dank. gibt; denn wir brauchen Flexibilität. Frau Nahles, es ist egal, wie man das nennt. Sie haben versucht, deutlich zu (Beifall bei der CDU/CSU) machen, dass es in diesem Gesetz keine Ausnahmen gibt, dass Kost und Logis bei den Saisonarbeitern auf Vizepräsidentin Ulla Schmidt: den Mindestlohn angerechnet werden. Mir ist es letztlich Vielen Dank. – Kolleginnen und Kollegen, bevor ich egal – den Menschen und der Volkswirtschaft im Allge- dem nächsten Redner das Wort erteile, bitte ich Sie, die meinen übrigens auch –, ob das als Ausnahme bezeich- Stimmkarten so geräuschlos wie möglich zu holen. net wird oder als Anrechnung. Wir brauchen Flexibilität, Wenn es dringende Gespräche gibt, bitte ich Sie, diese Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4113

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) vor den Türen zu führen; denn sie stören den jeweiligen Tarifvertrag hinzubekommen. Das ist eine großartige (C) Redner. Leistung. Der nächste Redner ist jetzt der Kollege Peter Weiß, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) CDU/CSU-Fraktion. Im Umfeld des Bundestagswahlkampfes ist über (Beifall bei der CDU/CSU) skandalöse Verhältnisse bei der Entlohnung von Arbeite- rinnen und Arbeitern in den großen fleischverarbeiten- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): den Unternehmen unseres Landes diskutiert worden. Die Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Diskussion ist beendet. Wir haben vor wenigen Wochen gen! Ich darf die Abschlussrede in dieser Debatte halten einen Mindestlohn für das Fleischerhandwerk in das Ar- und freue mich darüber. Heute ist ein guter Tag; denn beitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen. Das ist eine wir beenden heute eine große gesellschaftspolitische De- großartige Leistung der Tarifpartner. batte, deren klare Botschaft lautet: Wir wollen die Tarif- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- autonomie in Deutschland stärken. neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- In diesen Tagen verhandeln Gewerkschaft und Arbeit- neten der SPD) geber darüber, ob sie bundesweit die Lohnregelungen für das Hotel- und Gaststättengewerbe, für die Mitarbeite- Ludwig Erhard, der Vater der sozialen Marktwirt- rinnen und Mitarbeiter in der Landwirtschaft und für das schaft, der Vater des Wirtschaftswunders nach dem Bäckerhandwerk so ausgestalten, dass sie ebenfalls in Zweiten Weltkrieg, hat damals ein eingängiges und bei das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen wer- den Leuten hochbeliebtes Motto ausgegeben: Wohlstand den können. für alle! Wohlstand für alle ist für viele, für die große Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Mit unserem Gesetzentwurf stärken wir zuallererst unserem Land, dadurch Wirklichkeit geworden, dass sie die Tarifpartner. Hut ab vor den Gewerkschaften und den durch gute Tarifverträge und gute Löhne in angemesse- Arbeitgeberverbänden, die sich jetzt anstrengen, einen ner Weise am wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes be- vernünftigen Tarif auf den Weg zu bringen und endlich teiligt wurden. Zustände zu beenden, in denen Tarife kaum noch oder gar nicht mehr Geltung haben! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir neten der SPD) Ludwig Erhard mit seinem Motto „Wohlstand für alle“ (B) noch einmal den Rücken stärken. Der Mindestlohn ist für uns kein Referenzlohn neuer (D) Art, sondern eine untere Auffanglinie für all die Berei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und che, in denen es leider nicht gelingt, einen Tarifvertrag der SPD) abzuschließen. In der Öffentlichkeit ist vor allen Dingen das Thema (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) „Mindestlohn“ bzw. das Thema „Ausnahmen vom Min- destlohn“ diskutiert worden. Die zentrale und wichtigste Sicherlich wäre es uns allen, zumindest uns in der Koali- Botschaft dieses Gesetzentwurfs ist, dass wir Tarifver- tion, lieber, es gäbe überall einen gültigen Tarifvertrag trägen, die zwischen starken Gewerkschaften und star- und wir bräuchten keinen Mindestlohn. Der Mindestlohn ken Arbeitgeberverbänden ausgehandelt werden, wieder ist ein Hilfsinstrument. zu mehr Geltung verhelfen, indem wir die Allgemein- verbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtern und das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen öffnen, der SPD) sodass jede Branche, in der es Arbeitgeber und Arbeit- In der Tat legen wir den Mindestlohn zum ersten Mal nehmer wollen, für sich eine eigene Mindestlohnrege- durch einen Beschluss des Bundestages auf 8,50 Euro lung für allgemeinverbindlich erklären lassen kann, wie fest. Wir haben uns aber – dafür bin ich sehr dankbar – in es bislang schon bei 14 Branchen in Deutschland der der Koalition darauf geeinigt, dass der Mindestlohn in Fall ist, in der Regel übrigens mit einer unteren Lohn- Zukunft durch eine gemeinsame, von Arbeitgebern und grenze, die über 8,50 Euro liegt. Arbeitnehmern paritätisch besetzte Kommission festge- Dass das, was wir vorhaben, nicht nur ein frommer legt wird. Wir wollen, dass nicht wir im Deutschen Bun- Wunsch ist, sondern bereits Wirkung gezeigt hat, zeigen destag, sondern diejenigen, die etwas von Lohnfindung die folgenden Beispiele: In den vergangenen Legislatur- verstehen und deren tägliches Geschäft das ist, in Zu- perioden wurden hier mehrere Reden gehalten, in denen kunft definieren, wie der Mindestlohn steigt. Das heißt, immer wieder ein Mindestlohn von 3,50 Euro für Fri- auch bei der Festlegung des Mindestlohns wählen wir ei- seure in Ostdeutschland angeführt worden ist. nen Weg zur Stärkung der Sozialpartnerschaft. Die Ge- werkschaften und die Arbeitgeber haben es künftig in (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: der Hand, wie der Mindestlohn in Deutschland definiert 3,80 Euro!) wird. Das gibt es mittlerweile nicht mehr. Das Friseurhand- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und werk hat es geschafft, in Deutschland einen einheitlichen der SPD) 4114 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Peter Weiß (Emmendingen) (A) Wir haben der Kommission durch die Änderungsanträge (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (C) der Koalitionsfraktionen noch zusätzliche Aufgaben bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE übertragen, indem sie sich auch um die Evaluierung und GRÜNEN) die Auswertung der Evaluierung der Mindestlohnrege- lung kümmert, also sehr genau hinschaut und begründet, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: wie sich der Mindestlohn künftig entwickeln soll. Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Meine sehr geehrten Damen und Herren, von vielen Bevor wir zur Abstimmung kommen, erinnere ich da- Wissenschaftlern in Deutschland wird immer die Frage ran, dass wir gleich zwei namentliche Abstimmungen gestellt, ob ein Mindestlohn zu einer sozialen Marktwirt- durchführen werden. Ich mache darauf aufmerksam, schaft passt. Ich glaube, da liegt zum Teil ein Missver- ständnis vor. Soziale Marktwirtschaft ist in der Tat eine dass im Laufe des Tages weitere namentliche Abstim- Wettbewerbsordnung, aber sie ist keine Wettbewerbs- mungen folgen werden. ordnung für Lohndumping. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Unglaublich!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir kommen zur Abstimmung über den von der der SPD) Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes Es geht in der sozialen Marktwirtschaft nicht darum, zur Stärkung der Tarifautonomie. Es liegen 36 Erklärun- dass der einen Vorteil hat, der den niedrigsten Lohn gen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung 1) zahlt, sondern darum, dass sich derjenige mit seinem vor. Produkt oder seiner Dienstleistung gut positioniert, der Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt im Wettbewerb um gute Qualität, um gute Ideen, um unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf gute Dienstleistungen, um mehr Kreativität antritt. Das Drucksache 18/2010 (neu), den Gesetzentwurf der ist Wettbewerb in der sozialen Marktwirtschaft. Es ist Bundesregierung auf Drucksache 18/1558 in der Aus- nicht ein Wettbewerb um Lohndumping; Lohndumping schussfassung anzunehmen. Hierzu liegen drei gehört nicht zur sozialen Marktwirtschaft. Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie wir zuerst abstimmen. Wir beginnen dabei mit einem bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Änderungsantrag, zu dem eine namentliche Abstim- GRÜNEN) mung verlangt wurde. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zu Wenn wir einige Ausnahmen bzw. eine zweijährige achten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Übergangsfrist vorsehen, dann bedeutet das nicht, dass Namen tragen. (B) wir am Prinzip einen Abstrich machen. Wir wollen viel- (D) mehr, dass auf dem Weg zu einem allgemeinen Mindest- Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs- lohn in Deutschland alle Branchen und alle Arbeitneh- antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2019. merinnen und Arbeitnehmer mitgenommen werden. Es Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die wäre schlimm, wenn die Einführung eines allgemeinen vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an Mindestlohns zum Verlust von Arbeitsplätzen und zur den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich Zunahme von Schwarzarbeit führen würde. Deshalb die Abstimmung über den Änderungsantrag auf Druck- finde ich die Debatte um die Ausnahmen auch reichlich sache 18/2019. daneben. Es geht uns nicht darum, dauerhaft Ausnahmen zu machen, sondern wir wollen sinnvolle Übergänge Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine schaffen, damit in allen Bereichen in Deutschland die Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe, das ist Menschen zu einem anständigen und angemessenen nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Lohn kommen. Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen.2) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei den Ich möchte Sie bitten, sich jetzt zu Ihren Plätzen zu unter 18-Jährigen ist es auf Dauer!) begeben, bevor wir zur Abstimmung über zwei weitere Änderungsanträge der Fraktion Die Linke kommen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, guter Lohn für gute Arbeit – das gehört für uns wesentlich zu einer so- Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der zialen Marktwirtschaft. Deshalb ist dieses Gesetz, das Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2017 ab. Wer wir heute zur Stärkung der Tarifautonomie und zur Ver- stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage- meidung von Lohndumping in Deutschland beschließen, gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den ein Gesetz, mit dem wir die Ideen der sozialen Markt- Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stim- wirtschaft in unserem Land stärken. Ich freue mich, dass men der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- das deutsche Parlament diesem Gesetz, das ein Gesetz nis 90/Die Grünen abgelehnt. zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft, zur Stärkung Wir stimmen über den Änderungsantrag auf Drucksa- der Sozialpartnerschaft und zur Stärkung der Tarifpart- che 18/2018 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsan- nerschaft ist, mit großer Mehrheit zustimmt. Heute ist ein guter Tag für unser Land. 1) Anlagen 2 bis 4 Vielen Dank. 2) Ergebnis Seite 4115 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4115

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Liebe SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platz zu der Fraktion Die Linke abgelehnt. nehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis zum Vorliegen Ich gebe zunächst das von den Schriftführerinnen und des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unter- Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen breche ich die Sitzung. Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 122, mit Nein haben gestimmt 479, (Unterbrechung von 12.51 Uhr bis 12.59 Uhr) Enthaltungen keine. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Dr. Tobias Lindner Dr. Maria Böhmer Abgegebene Stimmen: 601; Michael Schlecht Nicole Maisch davon Peter Meiwald Dr. Kirsten Tackmann Irene Mihalic Klaus Brähmig ja: 120 Azize Tank Beate Müller-Gemmeke Michael Brand nein: 481 Frank Tempel Özcan Mutlu Dr. Dr. Axel Troost Dr. Helmut Brandt Ja Alexander Ulrich Omid Nouripour Dr. Friedrich Ostendorff Dr. DIE LINKE Dr. Cem Özdemir Heike Brehmer Halina Wawzyniak Lisa Paus Jan van Aken Brigitte Pothmer Cajus Caesar Dr. Dietmar Bartsch Birgit Wöllert Tabea Rößner Herbert Behrens Jörn Wunderlich Claudia Roth (Augsburg) Alexandra Dinges-Dierig Karin Binder Hubertus Zdebel Corinna Rüffer Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Sabine Zimmermann Elisabeth Scharfenberg Thomas Dörflinger (Zwickau) Ulle Schauws Marie-Luise Dött Eva Bulling-Schröter Dr. Gerhard Schick Hansjörg Durz Roland Claus (B) BÜNDNIS 90/ Dr. Jutta Eckenbach (D) Sevim Dağdelen DIE GRÜNEN Kordula Schulz-Asche Dr. Bernd Fabritius Dr. Diether Dehm Dr. Wolfgang Strengmann- Hermann Färber Klaus Ernst Luise Amtsberg Kuhn Wolfgang Gehrcke Kerstin Andreae Hans-Christian Ströbele Dr. Thomas Feist Diana Golze Dr. Harald Terpe Annette Groth Marieluise Beck (Bremen) Markus Tressel Ingrid Fischbach Dr. Gregor Gysi Volker Beck (Köln) Jürgen Trittin Dirk Fischer (Hamburg) Dr. André Hahn Dr. Dr. Axel E. Fischer (Karlsruhe- Heike Hänsel Doris Wagner Land) Inge Höger Ekin Deligöz Beate Walter-Rosenheimer Dr. Katharina Dröge Dr. Valerie Wilms Sigrid Hupach Dr. Astrid Freudenstein Ulla Jelpke Dr. Thomas Gambke Nein Dr. Hans-Peter Friedrich Susanna Karawanskij Matthias Gastel (Hof) CDU/CSU Katrin Göring-Eckardt Dr. Michael Fuchs Jan Korte Hans-Joachim Fuchtel Jutta Krellmann Britta Haßelmann Alexander Funk Katrin Kunert Dr. Artur Auernhammer Ingo Gädechens Caren Lay Bärbel Höhn Dorothee Bär Dr. Dieter Janecek Dr. Ralph Lenkert Uwe Kekeritz Julia Bartz Günter Baumann Sven-Christian Kindler Dr. Gesine Lötzsch Maria Klein-Schmeink (Börde) Josef Göppel Thomas Lutze Tom Koenigs Veronika Bellmann Cornelia Möhring Sylvia Kotting-Uhl Ursula Groden-Kranich Oliver Krischer Dr. André Berghegger Hermann Gröhe Dr. Alexander S. Neu Stephan Kühn (Dresden) Dr. Christoph Bergner Klaus-Dieter Gröhler Thomas Nord Renate Künast Michael Grosse-Brömer Petra Pau Markus Kurth Steffen Bilger Astrid Grotelüschen (Havelland) Monika Lazar Clemens Binninger Markus Grübel Richard Pitterle Steffi Lemke Manfred Grund 4116 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Dr. Karl A. Lamers Eckhardt Rehberg (C) Monika Grütters Andreas G. Lämmel Nina Warken Dr. Dr. Norbert Lammert Fritz Güntzler Katharina Landgraf Johannes Röring Olav Gutting Ulrich Lange Dr. Norbert Röttgen (Hamburg) Barbara Lanzinger Erwin Rüddel Dr. Dr. Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Anita Schäfer (Saalstadt) Sabine Weiss (Wesel I) Jürgen Hardt Dr. Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Philipp Lengsfeld Andreas Scheuer Karl-Georg Wellmann Matthias Hauer Dr. Andreas Lenz Karl Schiewerling Mark Hauptmann Philipp Graf Lerchenfeld Jana Schimke Dr. Stefan Heck Dr. Norbert Schindler Peter Wichtel Dr. Tankred Schipanski Annette Widmann-Mauz Heiko Schmelzle Heinz Wiese (Ehingen) Matthias Lietz Christian Schmidt (Fürth) Klaus-Peter Willsch Frank Heinrich (Chemnitz) Andrea Lindholz Gabriele Schmidt (Ühlingen) Oliver Wittke Mark Helfrich Dr. Carsten Linnemann Patrick Schnieder Dagmar G. Wöhrl Uda Heller Dr. Barbara Woltmann Jörg Hellmuth Wilfried Lorenz Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Claudia Lücking-Michel Bernhard Schulte-Drüggelte Heinrich Zertik Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Dr. Matthias Zimmer Yvonne Magwas Armin Schuster (Weil am Gudrun Zollner Thomas Mahlberg Rhein) Dr. Dr. Thomas de Maizière Christina Schwarzer SPD Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Ingrid Arndt-Brauer Karl Holmeier Hans-Georg von der Marwitz Franz-Josef Holzenkamp Dr. Heike Baehrens Dr. Stephan Mayer (Altötting) Bernd Siebert Ulrike Bahr Margaret Horb Reiner Meier Heinz-Joachim Barchmann Bettina Hornhues Dr. Dr. Charles M. Huber Dr. Tino Sorge (B) Anette Hübinger Carola Stauche Dr. Hans-Peter Bartels (D) Hubert Hüppe Maria Michalk Dr. Klaus Barthel Thomas Jarzombek Dr. h. c. Dr. Dr. Sylvia Jörrißen Dr. Sören Bartol Philipp Mißfelder Bärbel Bas Dr. Dietrich Monstadt Erika Steinbach Karsten Möring Dr. Egon Jüttner Lothar Binding (Heidelberg) Bartholomäus Kalb Carsten Müller Christian Freiherr von Stetten Burkhard Blienert Hans-Werner Kammer (Braunschweig) Dieter Stier Steffen Kampeter Stefan Müller (Erlangen) Rita Stockhofe Dr. Karl-Heinz Brunner Steffen Kanitz Dr. Stephan Stracke Dr. Andreas Nick Marco Bülow Matthäus Strebl Martin Burkert Bernhard Kaster Helmut Nowak Dr. Lars Castellucci Volker Kauder Dr. Georg Nüßlein Thomas Stritzl Petra Crone Dr. Stefan Kaufmann Wilfried Oellers (Heilbronn) Florian Oßner Lena Strothmann Dr. Daniela De Ridder Dr. Georg Kippels Dr. Tim Ostermann Michael Stübgen Dr. Karamba Diaby Dr. Sabine Sütterlin-Waack Sabine Dittmar Dr. Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Astrid Timmermann-Fechter Siegmund Ehrmann Carsten Körber Dr. Martin Pätzold Dr. Hans-Peter Uhl Michaela Engelmeier-Heite Hartmut Koschyk Ulrich Petzold Dr. Volker Ullrich Dr. h. c. Kordula Kovac Dr. Joachim Pfeiffer Arnold Vaatz Petra Ernstberger Sibylle Pfeiffer Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Günter Krings Michael Vietz Dr. Rüdiger Kruse Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr. Bettina Kudla Sven Volmering Elke Ferner Dr. Roy Kühne Christel Voßbeck-Kayser Dr. Ute Finckh-Krämer Günter Lach Alois Rainer Kees de Vries Christian Flisek Uwe Lagosky Dr. Dr. Gabriele Fograscher Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4117

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Dr. Gabriele Katzmarek (Erfurt) (C) Jeannine Pflugradt Ursula Schulte Michael Gerdes Marina Kermer (Spandau) Martin Gerster Cansel Kiziltepe Ewald Schurer Iris Gleicke Joachim Poß Frank Schwabe Stefan Schwartze Kerstin Griese Dr. Bärbel Kofler (Minden) Andreas Schwarz Gabriele Groneberg Daniela Kolbe Dr. Wilhelm Priesmeier Rita Schwarzelühr-Sutter Michael Groß Birgit Kömpel Dr. Carsten Sieling Uli Grötsch Dr. Wolfgang Gunkel Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Simone Raatz Norbert Spinrath Bettina Hagedorn Helga Kühn-Mengel Svenja Stadler Rita Hagl-Kehl Christine Lambrecht Mechthild Rawert Martina Stamm-Fibich Christian Lange (Backnang) Stefan Rebmann Sonja Steffen Ulrich Hampel Dr. Gerold Reichenbach Peer Steinbrück Sebastian Hartmann Steffen-Claudio Lemme Dr. Carola Reimann Dr. Frank-Walter Steinmeier Andreas Rimkus Kerstin Tack (Peine) Gabriele Lösekrug-Möller Sönke Rix Gabriela Heinrich Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Martin Rosemann Franz Thönnes Dr. Birgit Malecha-Nissen René Röspel Dr. Barbara Hendricks Dr. Carsten Träger Heidtrud Henn Katja Mast Michael Roth (Heringen) Rüdiger Veit Gustav Herzog Hilde Mattheis Susann Rüthrich Gabriele Hiller-Ohm Dr. Bernd Rützel Dirk Vöpel (Essen) Klaus Mindrup Johann Saathoff Annette Sawade Bernd Westphal Dr. Eva Högl Bettina Müller Dr. Hans-Joachim Matthias Ilgen Michelle Müntefering Schabedoth Waltraud Wolff Christina Jantz Dr. Rolf Mützenich Axel Schäfer (Bochum) (Wolmirstedt) Frank Junge Andrea Nahles Dr. Gülistan Yüksel Josip Juratovic Dietmar Nietan Stefan Zierke Thomas Oppermann Dr. Dorothee Schlegel Dr. Jens Zimmermann Johannes Kahrs Mahmut Özdemir (Duisburg) Ulla Schmidt (Aachen) Manfred Zöllmer (D) (B) Christina Kampmann Aydan Özoğuz Matthias Schmidt (Berlin) Ralf Kapschack Markus Paschke Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Wir kommen jetzt zur Abstimmung über zwei Ent- der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- schließungsanträge. zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Drucksache 18/2020. Wer stimmt für den Entschlie- Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Linke angenommen. sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bünd- Dritte Beratung nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abge- und Schlussabstimmung. Nach Artikel 87 Absatz 3 des lehnt. Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen – erforder- Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die lich. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf nament- Grünen auf Drucksache 18/2021. Wer stimmt für diesen lich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Damit die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/ an den Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Ich er- CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die öffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf. Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abge- lehnt. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Bitte! – Haben jetzt Tagesordnungspunkt 4 b: Beschlussempfehlung des alle ihre Stimme abgegeben? – Ich sehe, das ist der Fall. Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mindestlohn in Höhe der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der nament- von 10 Euro pro Stunde einführen“. Der Ausschuss emp- lichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege- fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf ben.1) 2) Drucksache 18/2010 (neu), den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/590 abzulehnen. Wer stimmt 1) Ergebnis Seite 4119 D für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – 2) Anlagen 4 bis 7 Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den 4118 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion So Bundeskanzlerin Angela Merkel am 25. Juni im Rah- (C) Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion men der Haushaltsberatungen. Die Linke angenommen. Mit der „Netzallianz Digitales Deutschland“ hat unser Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile Ihnen mit, Bundesminister Alexander Dobrindt das richtige Format dass sich die Fraktionen verständigt haben, den Tages- gewählt, um ebendiese vernünftigen Rahmenbedingun- ordnungspunkt 8 – es handelt sich um den Jahresbericht gen gemeinsam mit der Branche zu erarbeiten; denn wir 2013 des Wehrbeauftragten – von der Tagesordnung haben uns als Koalition ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: flä- abzusetzen. An dieser Stelle sollen nunmehr die Tages- chendeckend 50 Megabit pro Sekunde für alle Bürgerin- ordnungspunkte 30 a und 30 b – es handelt sich um Vor- nen und Bürger. lagen zu Renten in Ostdeutschland – beraten werden. Ich Der nun hier vorliegende Antrag – es ist ein ambitio- weise darauf hin, dass wir zu diesen Tagesordnungs- nierter Antrag; das sieht man auch an seinem Umfang – punkten eine namentliche Abstimmung durchführen versteht sich als ein konstruktiver und konkreter Beitrag werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstan- zu ebendieser Netzallianz. Die Vorstellungen der Koali- den? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so be- tionsfraktionen, von Union und SPD, sollen auf diese schlossen. Weise in das Kursbuch für den Breitbandausbau Eingang Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: finden, und wir sind zuversichtlich, hier gute Akzente zu setzen. Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl Holmeier, Thomas Jarzombek, Patrick Beim Zugang zur digitalen Welt handelt es sich um Schnieder, weiterer Abgeordneter und der Frak- die grundlegenden Fragen der gesellschaftlichen Teil- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten habe am öffentlichen und wirtschaftlichen Leben und Martin Dörmann, Kirsten Lühmann, Sören um die Frage der Innovationsgerechtigkeit. Betroffen Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion sind Stadt und Land, Ost und West und unser Land als der SPD europäischer und Weltwirtschaftsstandort. Ziel ist es, in wettbewerblichen Strukturen eine starke deutsche und Moderne Netze für ein modernes Land – europäische Telekommunikations- und IT-Industrie si- Schnelles Internet für alle cherzustellen und den Breitbandausbau insbesondere im ländlichen Raum konsequent voranzutreiben. Drucksache 18/1973 Dass es dabei keine allgemeingültige, keine einfache Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) und auch nicht nur eine einzige Lösung gibt, zeigt der (B) Innenausschuss Antrag in seiner Vielschichtigkeit. Ja, liebe Kolleginnen (D) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und Kollegen, wir brauchen auch und insbesondere Finanzausschuss pragmatische Ansätze. Wir wollen eines vermeiden: Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Brüche im Regulierungsregime. Bund, Länder und Verteidigungsausschuss Kommunen profitieren gemeinsam vom Breitbandaus- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und bau. Deshalb muss auch jede staatliche Ebene ihren Reaktorsicherheit Beitrag leisten. Wir setzen dabei insbesondere auf Ausschuss für Kultur und Medien folgende Schwerpunkte: deutliche Kostenreduzierung Ausschuss Digitale Agenda beim Ausbau der Glasfasernetze mit einer entsprechen- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für den Umsetzung der Kostenreduzierungsrichtlinie der EU die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- im Breitbandinfrastrukturausbaugesetz, den schnellen nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Einsatz hochleistungsfähiger Mobilfunkfrequenzen, den effizienten Einsatz von Fördermitteln, aber nur dort, wo Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Ulrich es wirtschaftlich keine sinnvollen Lösungen für den Lange, CDU/CSU-Fraktion. Netzausbau gibt. Dann wollen wir den Blick auf die eu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – ropäische Ebene lenken. Eines ist für uns auch klar: Es Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: darf von dort zu keinen Maßnahmen kommen, die sich Wo ist der Minister? Schade eigentlich! – Ge- negativ auf den Breitbandausbau auswirken. genruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: 80 Prozent der Kosten sind Grabungskosten. Deswe- Der Staatssekretär ist da!) gen ist der Breitbandausbau – liebe Kolleginnen und Kollegen, das wissen wir alle, die wir aus dem ländli- Ulrich Lange (CDU/CSU): chen Raum kommen – insbesondere im ländlichen Raum Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- so teuer und teilweise schwierig. Das heißt aber, dass wir gen! die Synergien durch die Mitnutzung anderer Infrastruk- turen nutzen müssen. Es gibt Hunderte von Abwasserlei- … wir müssen die Versorgung mit Breitband ver- tungen, Wasserleitungen, Stromleitungen und sonstigen bessern … Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit Verkehrsnetzen, die derzeit nur auf freiwilliger Basis deutscher Unternehmen. Es geht in diesem Zusam- mitgenutzt werden. Hier wollen wir einen Rechtsan- menhang darum, dass wir die Telekommunikations- spruch auf Mitnutzung vor Ort. Ich habe gesagt, wir und Netzunternehmen beim Ausbauprozess durch brauchen pragmatische Lösungen. Dazu gehört, dass bei vernünftige Rahmenbedingungen unterstützen … Verkehrsprojekten, zum Beispiel bei Brückensanierun- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4119

Ulrich Lange (A) gen, verpflichtend Leerrohre mitverlegt werden. Auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) bei der Querung von Bahntrassen darf es nicht zu mona- neten der SPD) telangen Diskussionen, Verhandlungen und Verzögerun- Fördern und Fordern: Immer nur dann Geld zur Ver- gen kommen. fügung stellen, wenn alle Maßnahmen zur Reduzierung (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Jahre!) der Ausbaukosten vor Ort genutzt sind. Wir wollen die erfolgreiche Arbeit des Breitbandbüros auch in diesem Gerade in dem Bereich – Stichwort für alle Liebhaber Zusammenhang weiter ausbauen und stärken. Wir haben unter anderem: Hindenburgdamm – müssen wir schnel- seit Beginn unserer Tätigkeit als Ausschuss für Verkehr ler und besser werden. Auch die Oberlandleitungen, die und digitale Infrastruktur dessen wertvolle Arbeit ken- wir im ländlichen Raum noch haben, eignen sich, um nengelernt. Auch darauf liegt unser Augenmerk. hier Glasfaserleitungen anzusetzen. Teuer verbuddeln Ich habe schon gesagt, dass wir darauf achten müs- können wir auch später noch. sen, dass von Brüssel aus nicht negativ auf den Breit- Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer dann, wenn bandausbau in Deutschland eingewirkt wird. Hierzu ge- hört auch, sich bei der Diskussion um die Netzneutralität es zu Streitfällen kommt, brauchen wir schnelle und ver- nicht gänzlich von netzpolitischen Erwägungen leiten zu bindliche Entscheidungen. Es darf nicht sein, dass der lassen. Wettbewerbs- und innovationsfreundliche Rah- Breitbandausbau durch eine juristische Salamitaktik menbedingungen müssen vielmehr so ausgestaltet sein, über Monate und Jahre ins Stocken gerät. Hier muss die dass Investitionen in den Ausbau hochleistungsfähiger Bundesnetzagentur schnell verbindlich entscheiden kön- Netze weiterhin wirtschaftlich tragfähig sind. Für den nen. Verbraucher muss transparent und erkennbar sein, Der Einsatz von mobilem Breitband ist zwingend not- welche Bandbreite des Anschlusses bei ihm zu Hause wendig, insbesondere im ländlichen Raum: kurzfristig, tatsächlich nutzbar ist. Das ist eine wichtige Forderung von uns. um leistungsfähige Internetzugänge zu schaffen, mittel- und langfristig für innovative Geschäftsmodelle im (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Verkehrs- und Logistikbereich. Wir müssen auch im Martin Dörmann [SPD]) 700-Megahertz-Bereich die Weichen stellen. Dieser Be- reich etabliert sich weltweit als nächster Standard für die Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen mit die- sem Antrag die Sicht des Parlamentes und der Koali- mobile Breitbandanwendung. Wir werden – auch das ha- tionsfraktionen dar, und wir legen ein Maßnahmenpaket ben die Diskussionen gezeigt – natürlich auf die Belange für den zukünftigen Breitbandausbau vor, das nun in der des Rundfunks Rücksicht nehmen und die Interessen (B) Netzallianz Digitales Deutschland des Bundesministe- (D) von Behörden und die Sicherheitsaufgaben unseres riums einen entsprechenden Niederschlag finden wird; Landes ausreichend berücksichtigen. Aber am Ende des davon sind wir überzeugt. So ist es möglich, über die Tages muss bei den 700-Megahertz-Frequenzen ein at- Ebenen gemeinsam das von uns im Koalitionsvertrag traktiver Bereich für den Breitbandausbau übrig bleiben. vereinbarte, wirklich ehrgeizige Ziel eines Breitbandaus- baus bis 2018 flächendeckend mit 50 Megabit pro Se- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kunde zu erreichen. neten der SPD) Herzlichen Dank. Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unsere Aufforderung an Bund und Länder zum nationalen Kon- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sens: konstruktiv, zügig und zielorientiert zu arbeiten. Verzögerungen schaden uns allen am Standort Deutsch- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: land. Wir wissen, dass der Breitbandausbau in gewissen Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, be- Teilen des Landes und insgesamt von uns ohne Förde- vor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, darf ich rung nicht gestemmt werden kann. Das gilt insbesondere Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schrift- im Hinblick auf mögliche Erlöse aus den Frequenzver- führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schluss- gaben. Hier würden wir gerne Haushaltsspielräume nut- abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 601. zen, wohl wissend, dass die Haushaltskonsolidierung Mit Ja haben gestimmt 535, mit Nein haben gestimmt 5, auch in dieser Koalition ein hohes Gut ist. Enthaltungen 61.

Endgültiges Ergebnis Ja Norbert Barthle Dr. Christoph Bergner Abgegebene Stimmen: 601; Julia Bartz Ute Bertram CDU/CSU davon Günter Baumann Steffen Bilger Maik Beermann Clemens Binninger ja: 535 Stephan Albani Katrin Albsteiger Manfred Behrens (Börde) Peter Bleser nein: 5 Artur Auernhammer Sybille Benning Dr. Maria Böhmer enthalten: 61 Dorothee Bär Dr. André Berghegger Wolfgang Bosbach 4120 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Norbert Brackmann Jörg Hellmuth Dr. Jan-Marco Luczak Armin Schuster (Weil am (C) Klaus Brähmig Rudolf Henke Daniela Ludwig Rhein) Michael Brand Michael Hennrich Yvonne Magwas Christina Schwarzer Dr. Reinhard Brandl Ansgar Heveling Thomas Mahlberg Detlef Seif Helmut Brandt Peter Hintze Dr. Thomas de Maizière Johannes Selle Dr. Ralf Brauksiepe Christian Hirte Gisela Manderla Reinhold Sendker Dr. Helge Braun Dr. Heribert Hirte Matern von Marschall Dr. Patrick Sensburg Heike Brehmer Robert Hochbaum Hans-Georg von der Marwitz Bernd Siebert Ralph Brinkhaus Alexander Hoffmann Andreas Mattfeldt Thomas Silberhorn Cajus Caesar Karl Holmeier Stephan Mayer (Altötting) Johannes Singhammer Alexandra Dinges-Dierig Franz-Josef Holzenkamp Reiner Meier Tino Sorge Alexander Dobrindt Dr. Hendrik Hoppenstedt Dr. Michael Meister Carola Stauche Michael Donth Margaret Horb Dr. Angela Merkel Dr. Frank Steffel Thomas Dörflinger Bettina Hornhues Jan Metzler Dr. Wolfgang Stefinger Marie-Luise Dött Charles M. Huber Maria Michalk Albert Stegemann Hansjörg Durz Anette Hübinger Dr. h. c. Hans Michelbach Peter Stein Jutta Eckenbach Hubert Hüppe Dr. Mathias Middelberg Erika Steinbach Dr. Bernd Fabritius Thomas Jarzombek Philipp Mißfelder Sebastian Steineke Hermann Färber Sylvia Jörrißen Dietrich Monstadt Johannes Steiniger Uwe Feiler Andreas Jung Karsten Möring Christian Freiherr von Stetten Enak Ferlemann Dr. Franz Josef Jung Elisabeth Motschmann Dieter Stier Ingrid Fischbach Xaver Jung Carsten Müller Rita Stockhofe Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Egon Jüttner (Braunschweig) Stephan Stracke Axel E. Fischer (Karlsruhe- Bartholomäus Kalb Stefan Müller (Erlangen) Max Straubinger Land) Hans-Werner Kammer Dr. Philipp Murmann Matthäus Strebl Dr. Maria Flachsbarth Steffen Kampeter Dr. Andreas Nick Karin Strenz Thorsten Frei Steffen Kanitz Michaela Noll Thomas Stritzl Dr. Astrid Freudenstein Alois Karl Helmut Nowak Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Hans-Peter Friedrich Anja Karliczek Dr. Georg Nüßlein Lena Strothmann (Hof) Bernhard Kaster Wilfried Oellers Michael Stübgen Michael Frieser Volker Kauder Florian Oßner Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Michael Fuchs Dr. Stefan Kaufmann Dr. Tim Ostermann Dr. Peter Tauber Hans-Joachim Fuchtel Roderich Kiesewetter Henning Otte Antje Tillmann Alexander Funk Dr. Georg Kippels Ingrid Pahlmann Astrid Timmermann-Fechter (B) Ingo Gädechens Volkmar Klein Sylvia Pantel Dr. Hans-Peter Uhl (D) Dr. Peter Gauweiler Axel Knoerig Martin Patzelt Dr. Volker Ullrich Dr. Thomas Gebhart Jens Koeppen Dr. Martin Pätzold Arnold Vaatz Alois Gerig Markus Koob Dr. Joachim Pfeiffer Oswin Veith Eberhard Gienger Carsten Körber Sibylle Pfeiffer Thomas Viesehon Cemile Giousouf Hartmut Koschyk Ronald Pofalla Michael Vietz Josef Göppel Kordula Kovac Eckhard Pols Volkmar Vogel (Kleinsaara) Reinhard Grindel Michael Kretschmer Thomas Rachel Sven Volmering Ursula Groden-Kranich Gunther Krichbaum Kerstin Radomski Christel Voßbeck-Kayser Hermann Gröhe Dr. Günter Krings Alexander Radwan Kees de Vries Klaus-Dieter Gröhler Rüdiger Kruse Alois Rainer Dr. Johann Wadephul Michael Grosse-Brömer Bettina Kudla Dr. Peter Ramsauer Marco Wanderwitz Astrid Grotelüschen Dr. Roy Kühne Eckhardt Rehberg Nina Warken Markus Grübel Günter Lach Lothar Riebsamen Kai Wegner Manfred Grund Uwe Lagosky Josef Rief Albert Weiler Oliver Grundmann Dr. Karl A. Lamers Johannes Röring Marcus Weinberg (Hamburg) Monika Grütters Dr. Norbert Lammert Dr. Norbert Röttgen Dr. Anja Weisgerber Dr. Herlind Gundelach Ulrich Lange Erwin Rüddel Peter Weiß (Emmendingen) Fritz Güntzler Barbara Lanzinger Albert Rupprecht Sabine Weiss (Wesel I) Olav Gutting Dr. Silke Launert Anita Schäfer (Saalstadt) Ingo Wellenreuther Christian Haase Paul Lehrieder Dr. Wolfgang Schäuble Karl-Georg Wellmann Florian Hahn Dr. Katja Leikert Andreas Scheuer Marian Wendt Dr. Stephan Harbarth Dr. Philipp Lengsfeld Karl Schiewerling Kai Whittaker Jürgen Hardt Dr. Andreas Lenz Norbert Schindler Peter Wichtel Gerda Hasselfeldt Philipp Graf Lerchenfeld Tankred Schipanski Annette Widmann-Mauz Matthias Hauer Dr. Ursula von der Leyen Heiko Schmelzle Heinz Wiese (Ehingen) Mark Hauptmann Antje Lezius Christian Schmidt (Fürth) Klaus-Peter Willsch Dr. Stefan Heck Ingbert Liebing Gabriele Schmidt (Ühlingen) Oliver Wittke Dr. Matthias Heider Matthias Lietz Patrick Schnieder Dagmar G. Wöhrl Helmut Heiderich Andrea Lindholz Dr. Andreas Schockenhoff Tobias Zech Mechthild Heil Dr. Carsten Linnemann Nadine Schön (St. Wendel) Heinrich Zertik Frank Heinrich (Chemnitz) Patricia Lips Bernhard Schulte-Drüggelte Emmi Zeulner Mark Helfrich Wilfried Lorenz Dr. Klaus-Peter Schulze Dr. Matthias Zimmer Uda Heller Dr. Claudia Lücking-Michel Uwe Schummer Gudrun Zollner Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4121

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) SPD Petra Hinz (Essen) Dr. Martin Rosemann Dr. Thomas Gambke (C) Thomas Hitschler René Röspel Matthias Gastel Niels Annen Dr. Eva Högl Dr. Ernst Dieter Rossmann Kai Gehring Ingrid Arndt-Brauer Matthias Ilgen Michael Roth (Heringen) Katrin Göring-Eckardt Rainer Arnold Christina Jantz Susann Rüthrich Anja Hajduk Heike Baehrens Frank Junge Bernd Rützel Britta Haßelmann Ulrike Bahr Josip Juratovic Johann Saathoff Dr. Anton Hofreiter Heinz-Joachim Barchmann Annette Sawade Bärbel Höhn Dr. Katarina Barley Thomas Jurk Dr. Hans-Joachim Dieter Janecek Doris Barnett Oliver Kaczmarek Schabedoth Uwe Kekeritz Dr. Hans-Peter Bartels Johannes Kahrs Axel Schäfer (Bochum) Katja Keul Klaus Barthel Christina Kampmann Dr. Nina Scheer Sven-Christian Kindler Dr. Matthias Bartke Ralf Kapschack Marianne Schieder Maria Klein-Schmeink Sören Bartol Gabriele Katzmarek Udo Schiefner Tom Koenigs Bärbel Bas Ulrich Kelber Dr. Dorothee Schlegel Sylvia Kotting-Uhl Dirk Becker Marina Kermer Ulla Schmidt (Aachen) Oliver Krischer Uwe Beckmeyer Cansel Kiziltepe Matthias Schmidt (Berlin) Stephan Kühn (Dresden) Lothar Binding (Heidelberg) Arno Klare Dagmar Schmidt (Wetzlar) Renate Künast Burkhard Blienert Lars Klingbeil Carsten Schneider (Erfurt) Markus Kurth Willi Brase Dr. Bärbel Kofler Ursula Schulte Monika Lazar Dr. Karl-Heinz Brunner Daniela Kolbe Swen Schulz (Spandau) Steffi Lemke Edelgard Bulmahn Birgit Kömpel Ewald Schurer Dr. Tobias Lindner Marco Bülow Anette Kramme Frank Schwabe Nicole Maisch Martin Burkert Dr. Hans-Ulrich Krüger Stefan Schwartze Peter Meiwald Dr. Lars Castellucci Helga Kühn-Mengel Andreas Schwarz Irene Mihalic Petra Crone Christine Lambrecht Rita Schwarzelühr-Sutter Beate Müller-Gemmeke Bernhard Daldrup Christian Lange (Backnang) Dr. Carsten Sieling Özcan Mutlu Dr. Daniela De Ridder Dr. Karl Lauterbach Rainer Spiering Dr. Konstantin von Notz Dr. Karamba Diaby Steffen-Claudio Lemme Norbert Spinrath Omid Nouripour Sabine Dittmar Burkhard Lischka Svenja Stadler Friedrich Ostendorff Martin Dörmann Gabriele Lösekrug-Möller Martina Stamm-Fibich Cem Özdemir Elvira Drobinski-Weiß Hiltrud Lotze Sonja Steffen Lisa Paus Siegmund Ehrmann Kirsten Lühmann Peer Steinbrück Brigitte Pothmer Michaela Engelmeier-Heite Dr. Birgit Malecha-Nissen Dr. Frank-Walter Steinmeier Tabea Rößner Dr. h. c. Gernot Erler Caren Marks Christoph Strässer Claudia Roth (Augsburg) Petra Ernstberger Katja Mast (B) Kerstin Tack Corinna Rüffer (D) Saskia Esken Hilde Mattheis Claudia Tausend Manuel Sarrazin Karin Evers-Meyer Dr. Matthias Miersch Michael Thews Elisabeth Scharfenberg Dr. Johannes Fechner Klaus Mindrup Franz Thönnes Ulle Schauws Dr. Fritz Felgentreu Susanne Mittag Wolfgang Tiefensee Dr. Gerhard Schick Elke Ferner Bettina Müller Carsten Träger Dr. Frithjof Schmidt Dr. Ute Finckh-Krämer Michelle Müntefering Rüdiger Veit Kordula Schulz-Asche Christian Flisek Dr. Rolf Mützenich Ute Vogt Dr. Wolfgang Strengmann- Gabriele Fograscher Andrea Nahles Dirk Vöpel Kuhn Dr. Edgar Franke Dietmar Nietan Gabi Weber Hans-Christian Ströbele Ulrich Freese Ulli Nissen Bernd Westphal Dr. Harald Terpe Michael Gerdes Thomas Oppermann Dirk Wiese Markus Tressel Martin Gerster Mahmut Özdemir (Duisburg) Waltraud Wolff Jürgen Trittin Iris Gleicke Aydan Özoğuz (Wolmirstedt) Dr. Julia Verlinden Ulrike Gottschalck Markus Paschke Gülistan Yüksel Doris Wagner Kerstin Griese Christian Petry Dagmar Ziegler Beate Walter-Rosenheimer Gabriele Groneberg Jeannine Pflugradt Stefan Zierke Dr. Valerie Wilms Michael Groß Detlev Pilger Dr. Jens Zimmermann Uli Grötsch Sabine Poschmann Manfred Zöllmer Wolfgang Gunkel Joachim Poß Nein Brigitte Zypries Bettina Hagedorn Florian Post Rita Hagl-Kehl Achim Post (Minden) CDU/CSU BÜNDNIS 90/ Metin Hakverdi Dr. Wilhelm Priesmeier DIE GRÜNEN Gitta Connemann Ulrich Hampel Florian Pronold Dr. Thomas Feist Sebastian Hartmann Dr. Sascha Raabe Luise Amtsberg Andreas G. Lämmel Dirk Heidenblut Dr. Simone Raatz Kerstin Andreae Katharina Landgraf Hubertus Heil (Peine) Martin Rabanus Annalena Baerbock Jana Schimke Gabriela Heinrich Mechthild Rawert Marieluise Beck (Bremen) Marcus Held Stefan Rebmann Volker Beck (Köln) Wolfgang Hellmich Gerold Reichenbach Dr. Franziska Brantner Enthalten Dr. Barbara Hendricks Dr. Carola Reimann Agnieszka Brugger CDU/CSU Heidtrud Henn Andreas Rimkus Ekin Deligöz Gustav Herzog Sönke Rix Katharina Dröge Veronika Bellmann Gabriele Hiller-Ohm Dennis Rohde Harald Ebner Ulrich Petzold 4122 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) DIE LINKE Annette Groth Ralph Lenkert Azize Tank (C) Dr. Gregor Gysi Michael Leutert Frank Tempel Jan van Aken Dr. André Hahn Stefan Liebich Dr. Axel Troost Dr. Dietmar Bartsch Heike Hänsel Dr. Gesine Lötzsch Alexander Ulrich Herbert Behrens Inge Höger Thomas Lutze Kathrin Vogler Karin Binder Andrej Hunko Cornelia Möhring Dr. Sahra Wagenknecht Matthias W. Birkwald Sigrid Hupach Niema Movassat Halina Wawzyniak Heidrun Bluhm Ulla Jelpke Dr. Alexander S. Neu Harald Weinberg Christine Buchholz Susanna Karawanskij Thomas Nord Birgit Wöllert Eva Bulling-Schröter Kerstin Kassner Petra Pau Jörn Wunderlich Roland Claus Katja Kipping Harald Petzold (Havelland) Hubertus Zdebel Sevim Dağdelen Jan Korte Richard Pitterle Pia Zimmermann Dr. Diether Dehm Jutta Krellmann Martina Renner Sabine Zimmermann Klaus Ernst Katrin Kunert Michael Schlecht (Zwickau) Wolfgang Gehrcke Caren Lay Kersten Steinke Diana Golze Sabine Leidig Dr. Kirsten Tackmann

Der Gesetzentwurf hat die erforderliche Mehrheit Nur sie bieten, wenn sie wirklich so ausgestaltet sind, nach Artikel 87 Absatz 2 Grundgesetz erreicht. dass sie gut realisiert werden können, gleiche Lebens- chancen in Stadt und Land, in Ost und West und ohne (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Barrieren. Nun sind die Voraussetzungen dafür zu schaf- Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege fen, dass es dazu kommt. Das heißt im Wesentlichen, Herbert Behrens, Fraktion Die Linke. Geld in die Hand zu nehmen; denn es wird teuer, die letzten 40 Prozent der Haushalte an das Glasfasernetz (Beifall bei der LINKEN) anzuschließen. Wir wissen, dass es schwierig sein wird, diese Leistung auf dem Land zu erbringen. Dort ist es Herbert Behrens (DIE LINKE): nämlich, anders als in den Ballungsräumen, für die gro- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ßen Investoren und Telekommunikationsunternehmen „Schnelles Internet für alle“, wie es im Titel des Antrags nicht interessant, zu investieren; dort wird erheblicher heißt, klingt gut, das gebe ich zu. Nun muss man aber Mangel festzustellen sein. auch alles tun, um zumindest genauso schnell an das Umsetzen heranzugehen. Ich will noch einen Punkt hin- Die Koalition eint zwar die feste Überzeugung, dass (B) zufügen, nämlich: Schnelles Internet für alle und für alle nur im Rahmen „wettbewerblicher Strukturen“ – so nen- (D) bezahlbar. nen Sie das – bis 2018 flächendeckend eine Internetver- sorgung mit 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung ge- (Beifall bei der LINKEN) stellt werden kann. Aber wie auf diesem Wege die Nur dann ist ein wirklich freier Zugang zum Netz mög- benötigten Investitionsmittel von 20 Milliarden Euro zu- lich. Ist das gewährleistet, bekommt die Regierung die sammenkommen sollen, bleibt Ihr Geheimnis. notwendige Unterstützung in der Gesellschaft, und es bleibt nicht bei einer digitalen Spaltung. Der Wettbewerb soll es bringen, heißt Ihre Devise. Wo die privaten Investoren nicht einsteigen wollen, soll Nun reden wir nicht das erste Mal über dieses Thema es öffentliche Förderung geben, damit sich das Geschäft und über den Ausbau der Netze. Der Koalitionspartner auch lohnt. Ich denke, öffentliche Zuschüsse können ei- CDU/CSU hat bereits 2009 in der damaligen Koalition nen wesentlichen Schub auslösen, damit der Netzausbau eine Breitbandstrategie vorgelegt mit dem Ziel, kurzfris- nicht ausschließlich über bessere Marktbedingungen re- tig flächendeckend 1 Megabit pro Sekunde zu erreichen. alisiert werden muss. Auch Kommunen, kommunale Bis Ende 2014 sollten drei Viertel aller Haushalte mit bis Stadtwerke und Genossenschaften sind Investoren, die zu 50 Megabit Downstreamgeschwindigkeit ausgestat- das hinbekommen können, tet sein. Die tatsächliche Zahl lautet: Ende 2013 waren erst knapp 60 Prozent aller Haushalte so versorgt. (Beifall bei der LINKEN) Dennoch ist der Fortschritt beachtlich. Doch der und zwar ohne bei ihren Investitionen auf den höchsten Datenverkehr wird in den nächsten Jahren erheblich zu- Gewinn zu schauen. Schon heute gibt es viele Beispiele nehmen. Der Breitbandausbau muss jetzt mit Druck vorangetrieben werden, damit die Menschen an ihrem dafür, dass es auf diese Art erfolgreich praktiziert wird: Wohnort in modernen Betrieben einen modernen Ar- in Marburg, in Moos, in Herrieden und anderswo. Auf beitsplatz finden können, dessen technische Infrastruktur der Internetseite des Bundesministeriums für Wirtschaft digital aufgebaut ist, damit sie Zugang zu moderner Bil- und Energie wird auf diese Art basisorientierter Selbst- dung an Schulen und Hochschulen haben und damit sie versorgung hingewiesen; im Antrag von CDU/CSU und auch im Privatleben digitale Angebote nutzen können. SPD kommt nicht einmal das Wort „Genossenschaft“ Die Linke unterstützt deshalb die Initiativen für ein vor. Investitionen in die Zukunft müssen den Menschen flächendeckendes, schnelles Internet; wir haben bereits in den Mittelpunkt rücken und nicht die Profitinteressen Anträge dazu vorgelegt. von Investoren. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4123

Herbert Behrens (A) Die Kommunen sollen wichtige Aufgaben überneh- Es bleibt nur eins: Entweder Sie backen kleinere (C) men, um den Breitbandausbau voranzubringen, fordert Brötchen, oder Sie präsentieren ein realistisches Finan- der Antrag. Das macht Sinn, denn die Kommunen besit- zierungskonzept. Ich hoffe – nein, ich fordere –, dass Sie zen, bauen und unterhalten die technische Infrastruktur sich für das Letztere entscheiden. für ihre Bürgerinnen und Bürger. Aber da stellt sich die Frage, wie sie das finanziell leisten sollen. Bei Baumaß- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten nahmen sollen gleichzeitig Leerrohre verlegt werden, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) damit das Glasfaserkabel später einfach durchgezogen werden kann. Aber viele Kommunen, insbesondere die, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: die finanziell knapp dran sind, können das gar nicht leis- Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion ten; denn die Kommunalaufsicht würde ihnen überhaupt ist Martin Dörmann. nicht genehmigen, Mittel für diese zusätzliche Investi- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tion in ihren Haushalt einzustellen, weil es sich hierbei um sogenannte freiwillige Leistungen handelt. Martin Dörmann (SPD): Im Antrag heißt es: „Hier muss den Kommunen die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Möglichkeit gegeben werden, in zukunftsweisende Die Digitalisierung und das Internet haben immer größe- Breitbandinfrastruktur zu investieren.“ Ja, wie denn? ren Einfluss auf alle Lebensbereiche. Der viel zu früh Kommunen brauchen mehr Geld für eine gute soziale verstorbene Frank Schirrmacher wurde nicht müde, auf Infrastruktur und auch für eine gute technische Infra- den gesellschaftlichen Wandel durch das Internet hinzu- struktur. Darum fordert die Linke ein Zukunftsinvesti- weisen. Er sprach von einer „Informationsexplosion“, tionsprogramm für Kommunen. die einen ähnlichen Effekt auf die Menschen habe wie die industrielle Revolution. Vor diesem Hintergrund gilt (Beifall bei der LINKEN) es, dafür zu sorgen, niemanden im „vordigitalisierten“ Es könnte ohne neue Schulden finanziert werden. Allein, Zeitalter zurückzulassen; um bei Schirrmachers Bild zu wenn Reiche und Superreiche wieder stärker besteuert bleiben. würden, wenn deren Steuern zumindest auf das Niveau Gerade auch die Wirtschaft ist immer stärker von ei- der Regierungszeit Helmut Kohls angehoben würden, ner leistungsfähigen IT-Infrastruktur abhängig. Schnel- wären wir dem Ziel eines schnellen Internets für alle les Internet muss deshalb für alle Menschen und Regio- schon ein gehöriges Stück näher. nen in ganz Deutschland verfügbar sein. Es sichert (Beifall bei der LINKEN) gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten und wirtschaft- (B) liche Chancen. (D) Die Kommunen sind aus einem weiteren Grund ein Im Koalitionsvertrag streben Union und SPD eine flä- wichtiger Partner bei der Breitbandversorgung – Sie chendeckende Breitbandabdeckung mit Geschwindig- schreiben es selbst in Ihrem Antrag –: Die Kommunen keiten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde an. Das sind Träger von Baumaßnahmen, sie verfügen über Geo- ist ein wahrlich sehr ehrgeiziges Ziel gerade vor dem informationen, über Planungs- und Bauämter. Aber wie Hintergrund, dass die diesbezügliche Versorgungsquote sind diese Ämter denn personell ausgestattet? Kommu- Ende letzten Jahres erst bei 60 Prozent lag. nalpolitiker wissen es: Seit Jahren bauen Kommunen Personal ab, weil sie ihre Haushalte ausgleichen sollen (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- oder weil sie sich aus Aufgaben zurückziehen. Und nun NEN]: Allerdings!) sollen sie die – nicht vorhandenen – personellen Res- sourcen für den Breitbandausbau auf regionaler Ebene Selbst wenn man die in den nächsten Jahren bereits einsetzen? Das ist doch absurd. angekündigten Investitionen der Unternehmen – das sind Milliardeninvestitionen – durchaus berücksichtigt, wird Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen ohne zusätzliche Maßnahmen etwa jeder vierte oder und Kollegen, schnelles Internet für alle ist nicht zu ver- fünfte Haushalt in Deutschland unterversorgt bleiben. wirklichen, wenn man schöne Ziele nur formuliert und Damit würden ganze Regionen vom digitalen Fortschritt es ausschließlich bei Ankündigungen einzelner Geset- abgehängt. Diese digitale Spaltung gilt es zu vermeiden zesänderungen und bei Absichtserklärungen belässt. Es bzw. zu überwinden. Deshalb will die Koalition die Rah- muss richtig viel Geld in die Hand genommen werden; menbedingungen dafür schaffen, Breitbandinvestitionen das wissen Sie. Minister Dobrindt weist immer auf die deutlich nach vorne zu bringen. Digitale Dividende II, also Geld aus Frequenzvergaben, Mit dem vorliegenden Antrag legen wir ein schlüssi- hin. Die entsprechenden Mittel reichen aber nicht aus. ges Gesamtkonzept mit einer Vielzahl konkreter Wir reden hier über 1,2 Milliarden Euro, die vielleicht in Maßnahmen vor. Ich freue mich, dass darin viele Punkte die Kasse kommen. enthalten sind, die wir in der SPD-Fraktion in der ver- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gangenen Legislaturperiode in unserem Projekt „Infra- NEN]: Vielleicht!) strukturkonsens“ erarbeitet haben. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Kolleginnen und Kollegen meiner Angesichts der Ziele, die Sie sich selbst gestellt haben, Fraktion, aber durchaus auch bei allen in der Unions- ist mindestens die zehnfache Summe nötig; das wissen fraktion bedanken, dass es uns gelungen ist, gemeinsam Sie. einen sehr umfassenden Antrag vorzulegen, und das in 4124 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Martin Dörmann (A) relativ kurzer Zeit. Das ist ein hoher Anspruch, den wir Deutschland braucht beides, eine hochleistungsfähige (C) aber erfüllen wollen. Glasfaserinfrastruktur und ein modernes Mobilfunk- netz. Wir alle wollen ja mit hohen Geschwindigkeiten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – nicht nur am Heim-PC arbeiten, sondern unterwegs auch Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Den Dank auf dem Tablet und dem Smartphone. erwidern wir!) Funktechnologie ersetzt aber nicht den weiteren Fest- Wir setzen auf einen Technologiemix. Nur wenn wir netzausbau, sondern ergänzt diesen. Allerdings bietet ge- die Potenziale der unterschiedlichen Technologien, ins- rade der weiterentwickelte Mobilfunkstandard LTE- besondere DSL, Kabel, Glasfaser, Satellit und Funktech- Advanced durchaus Möglichkeiten, den Breitbandaus- nologie, miteinander verbinden, können wir die Breit- bau gerade in den ländlichen Räumen kostengünstiger bandziele erreichen. Es geht also um eine optimale und damit schneller mit höheren Bandbreiten zu realisie- Kombination aus guten Festnetz- und Mobilfunkanwen- ren. So ließen sich laut der zitierten TÜV-Studie die dungen, die jeweils eine hohe Bandbreite beinhalten. Kosten für die teuersten 5 Prozent der Haushalte um Wo liegt nun die größte Herausforderung beim Breit- 8 Milliarden Euro senken, wenn wir das zusätzlich mit bandausbau? In städtischen Gebieten, in denen viele LTE-Advanced machten. Auch das wäre also ein Beitrag Kunden wohnen, gibt es eine gute Versorgung, weil es zur Kostensenkung und damit zur Schließung der Wirt- dort einen Infrastrukturwettbewerb gibt. Etwa 60 Pro- schaftlichkeitslücke. zent der Haushalte werden von Kabelunternehmen ver- sorgt. Die TK-Unternehmen ziehen mit hohen Bandbrei- Besonders heiß wird in diesem Zusammenhang die ten nach, um konkurrenzfähig zu sein. Das ist die eine Nutzung der sogenannten Digitalen Dividende II disku- Seite der Medaille. Im ländlichen Raum haben wir eine tiert. Hierbei geht es um die Frequenzen im 700-Mega- ganz andere Situation. Dort handelt es sich eben nicht hertz-Band, die derzeit vom Rundfunk genutzt werden. um dichtbesiedelte Regionen mit ganz vielen Kunden, Wir unterstützen ausdrücklich die Länder und die Rund- sondern um eher dünner besiedeltes Gebiet. Die Stre- funkanstalten bei ihrem gemeinsamen Ziel, den Umstieg cken bis zum Kunden sind länger, und dadurch sind die dort auf den neuen, zukunftsträchtigen Standard Kosten pro Haushalt höher. Laut einer TÜV-Studie aus DVB-T2 vorzunehmen; denn damit können terrestrische dem letzten Jahr liegen die Kosten in den unterversorg- Rundfunkanbindungen mit HD-Qualität realisiert, eine ten Gebieten, je nach Region, pro Haushalt im Schnitt stärkere Durchdringung bei der Bevölkerung erreicht zwischen 700 und 4 000 Euro. Das ist angesichts der üb- und im Übrigen beim Rundfunk Kosten und Frequenz- lichen Flatratetarife natürlich ein hoher Betrag. Daran belegungen eingespart werden. Hierdurch frei werdende erkennt man, dass es sich heute nicht unbedingt in jeder Frequenzen sollen nach dem Umstieg aus unserer Sicht (B) Region lohnt, zu investieren. vorrangig für den Breitbandausbau genutzt werden, wo- (D) bei klar ist, dass wir bei der neuen Frequenzordnung die Das Hauptproblem beim Breitbandausbau ist die Belange anderer Bedarfsträger berücksichtigen werden, beschriebene Wirtschaftlichkeitslücke in weniger dicht nämlich insbesondere von Kultureinrichtungen, die besiedelten Gebieten. Deren Folge sind zu geringe In- drahtlose Mikrofone nutzen, oder die Sicherheitsfre- vestitionen und geringe Internetbandbreiten. Genau da quenzen im Bereich der Polizei und der Feuerwehr. setzt der Antrag der Koalition an. Um zusätzliche Inves- titionsanreize zu setzen und Wirtschaftlichkeitslücken zu Wir hoffen, dass die derzeit laufenden Gespräche schließen, schlagen wir ein Maßnahmenbündel vor, das zwischen dem Bund und den Ländern insofern bald zu auf fünf Säulen beruht. einem Erfolg führen und abgeklärt wird, bis wann DVB-T2 umgesetzt werden kann. Anschließend können Erste Säule. Wir wollen eine innovations- und investi- diese Frequenzen auch für den Breitbandausbau genutzt tionsfreundliche Regulierung sicherstellen und den werden. Wettbewerb stärken; denn auch in Zukunft brauchen wir die Milliardeninvestitionen möglichst vieler TK-Unter- Vierte Säule. Ja, um unsere ehrgeizigen Breitbandaus- nehmen. Der Staat selber würde sich übernehmen, bauziele bis 2018 erreichen zu können, brauchen wir könnte es sich auch gar nicht leisten, die Netze selber eine effiziente und stärkere finanzielle Förderung für un- auszubauen und alleine zu finanzieren. terversorgte Gebiete. Förderprogramme sollen Wirt- schaftlichkeitslücken nicht nur schließen, sie sollen auch Zweite Säule. Um Ausbaukosten zu senken und damit zusätzliche private Investitionen anregen, und das mit ei- die Wirtschaftlichkeitslücken zumindest teilweise zu nem Faktor 1: 3 oder 1: 4, je nach Ausgestaltung. schließen, brauchen wir eine optimale Hebung von Synergieeffekten; das ist bereits vom Kollegen Lange er- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: wähnt worden. Darunter verstehen wir die Nutzung bzw. Mitnutzung bereits bestehender Netzinfrastrukturen für Herr Kollege Dörmann, gestatten Sie eine Zwischen- den Breitbandausbau. Es geht also um Strom-, Gas-, frage? Fernwärme- oder Abwassernetze, in die dann Kabel- oder Glasfasernetze mit verlegt werden können. Hier Martin Dörmann (SPD): sorgen wir mit zahlreichen neuen Regelungen dafür, Gerne. dass das erleichtert wird. Dritte Säule. Wir wollen die Potenziale von Funkfre- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: quenzen für den Breitbandausbau konsequent nutzen. Bitte schön. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4125

(A) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Hinsicht noch ganz andere Bandbreiten ermöglichen (C) Vielen Dank, Herr Kollege Dörmann. – Sie sprachen wird als die, die wir heute kennen. Deshalb müssen alle eben an, dass Sie die kabellosen Mikrofone der Kultur- Frequenzen zusammen betrachtet werden. Dazu gehört schaffenden schützen wollen. Ich stelle die Frage, wie die 900er-, die 1 800er-, aber auch die 700er-Frequenz. das stattfinden soll, da es zurzeit weder ausgereifte tech- Sie wissen ebenso wie ich, dass der Bedarf an mobi- nische Lösungen gibt, dass das Frequenzband für diesen len Breitbandangeboten ständig wächst. Der größte Bereich umgestellt werden kann, noch klar ist, welches Zuwachs hinsichtlich der Internetnutzung wird zurzeit künftige Frequenzband von Kulturschaffenden und Ver- im Mobilfunkbereich verzeichnet. Dafür müssen wir ein anstaltungen genutzt werden kann. Da dies nicht klar ist, zukunftsfestes Konzept entwickeln. Der 700-Megahertz- Sie aber gleichzeitig eine Beschleunigung der Abgabe Bereich – das ist vom Kollegen Lange bereits angespro- und der Versteigerung dieser Frequenzen ankündigen, chen worden – ist nun einmal der Bereich, der internatio- frage ich Sie wirklich, wie die Kultur- und Veranstal- nal auch für die Nutzung von Mobilfunk vorgesehen ist. tungslandschaft in unserem Land als ein wichtiger Wirt- In anderen Ländern gibt es die gleichen Bestrebungen. schaftsfaktor geschützt werden soll. Vor allen Dingen Bald wird es auch mehr Endgeräte geben, die den LTE- frage ich Sie, warum Sie, da die Bänder um 1 800 Mega- Standard beherrschen. Das wäre aus Sicht der Nutzerin- hertz nach wie vor noch nicht richtig ausgenutzt werden nen und Nutzer der optimale Erfolg. Daran arbeiten wir. und noch genügend Kapazitäten bestehen, nicht darauf drängen, dass diese Kapazitäten genutzt werden, bevor (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie eine Chance für Kultur und Veranstaltungen in unse- rem Land kaputtmachen oder zumindest erschweren. Ich habe bereits geschildert, dass es darauf ankommt – Stichwort „vierte Säule“ –, dass wir zusätzliche finan- (Beifall bei der LINKEN) zielle Mittel generieren, um die Wirtschaftlichkeitslücke zu schließen. Uns ist bewusst, dass das bei unserem Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Breitbandkonzept die größte Herausforderung ist. Klar Danke, Herr Kollege Lenkert. – Bitte schön, Herr ist: Wir brauchen zusätzliche Mittel im Bundeshaushalt, Kollege Dörmann. und das vor dem Hintergrund, dass wir nach wie vor das Ziel haben, nicht nur im nächsten, sondern auch in den folgenden Jahren einen ausgeglichenen Bundeshaushalt Martin Dörmann (SPD): vorzulegen. Von daher steht in unserem Antrag, dass es Herr Kollege Lenkert, ich bin dankbar für diese Aufgabe des Ministeriums für Verkehr und digitale Inf- Frage, weil sie durchaus Besorgnisse aufgreift, die auch rastruktur und des Finanzministeriums ist, mögliche an uns herangetragen werden. Ich versichere Ihnen, dass Haushaltsspielräume zu prüfen und zu eröffnen. Dies- (B) wir diese Besorgnisse nicht nur sehr ernst nehmen, son- bezüglich kommen in der Tat die möglichen Erlöse aus (D) dern auch an Lösungen arbeiten. Es ist nicht ganz rich- Frequenzvergaben im Jahr 2015 in Betracht. Wir hoffen tig, dass es dafür keine Vorschläge gibt; denn die Bun- – das ist dargestellt worden –, dass es eine Klärung bei desnetzagentur hat in ihrem Projekt 2016 bereits im der Frage der Digitalen Dividende II, also im 700-Mega- letzten Jahr dargestellt, wo die Frequenzbedarfe anderer hertz-Bereich geben wird. Zusätzlich gibt es andere Bedarfsträger, insbesondere bei den drahtlosen Produkti- Frequenzbereiche, die unabhängig von der Zustimmung onsmitteln, also auch der Kultureinrichtungen, liegen. der Länder in jedem Fall 2015 zur Vergabe anstehen. Die Sie sind nämlich in dem etwas unteren Bereich angesie- Bundesnetzagentur hat das ausgerechnet: Sie erwartet delt, der ökonomisch günstiger ist als der Bereich um Mindesteinnahmen von 1 Milliarde Euro aus diesen Be- 1 800 Megahertz, in dem höhere Kosten anfallen. Das ist reichen. Wenn es zu einer Versteigerung kommt oder der also genau der Punkt, der jetzt geklärt wird. Das ist auch 700-Megahertz-Bereich einbezogen werden kann, wird Bestandteil der Verhandlungen zwischen Bund und Län- dieser Betrag noch deutlich höher sein. Ich freue mich, dern. Sie wissen, es gab Eckpunkte, die noch nicht end- dass die Bundesregierung bereits angekündigt hat, zu- gültig verifiziert sind. Die klare Maßgabe ist: Bevor die sätzliche Einnahmen aus dem Bereich 700 Megahertz Frequenzverordnung geändert wird – das kann nur im für den Breitbandausbau zu nutzen. Die Bundeskanzle- Einvernehmen mit den Ländern geschehen –, werden rin höchstpersönlich hat das in der letzten Woche in der diese Punkte geklärt. Darum gibt es diese Arbeitsgruppe Generaldebatte so dargestellt. der Beteiligten. Sie können gewiss sein: Wir werden kei- ner Änderung der Frequenzverordnung zustimmen, so- Ich komme nun zur fünften und letzten Säule. Neben fern die von Ihnen und mir geschilderten Fragen nicht den dargestellten Maßnahmen für Investitionsanreize gelöst sind. Ich denke, wir werden eine sehr befriedi- und zur Schließung von Wirtschaftlichkeitslücken brau- gende Lösung finden. chen wir beim Breitbandausbau eine bessere Abstim- mung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die Sie haben gefragt, warum der Bereich von 1 800 Me- Koalition strebt deshalb einen nationalen Konsens zum gahertz nicht noch stärker für den Mobilfunk genutzt Breitbandausbau an. Mit einer gemeinsamen Kraftan- wird. Warum brauchen wir auch den 700-Megahertz-Be- strengung aller Beteiligten können wir viel bewegen. reich? Es ist einfach so: Je größer der Kuchen ist, den Sie für Breitband zur Verfügung haben, desto höhere Sie sehen: Die Koalition hat sich sehr ehrgeizige Bandbreiten können Sie verwirklichen. Sie brauchen Ziele gesetzt, um den Breitbandausbau in Deutschland nämlich bestimmte Frequenzpakete. Der Standard LTE- nach vorne zu bringen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür Advanced ist ein zukunftsträchtiger Standard. Ich bin sorgen, dass schnelles Internet für alle realisiert werden davon überzeugt, dass er in fünf Jahren in technischer kann. Damit tragen wir dazu bei, dass gesellschaftliche 4126 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Martin Dörmann (A) Teilhabe möglich ist. Damit sichern wir aber auch unsere lassen muss: 50 MBit/s. Die Koalitionsfraktionen haben (C) wirtschaftlichen Zukunftschancen. Das ist, glaube ich, nun einen Antrag vorgelegt. Man könnte ja meinen, sie ein gemeinsames Ziel aller in diesem Hause. sagen darin, wie sie dieses Ziel erreichen wollen. Aber statt den Minister an die kurze Leine zu nehmen und ihm Vielen Dank. Aufgaben auf die To-do-Liste zu schreiben, ergeht man (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sich im Hätte, Sollte, Könnte – von wegen „ehrgeizig“, lieber Kollege Dörmann. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Martin Dörmann [SPD]: Das kann man doch Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- wohl nicht bestreiten!) nen spricht jetzt die Kollegin Tabea Rößner. Darin heißt es: Die Bundesregierung soll prüfen, sie soll Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Konzepte erarbeiten, es ist anzustreben und darauf hin- zuwirken. Allein „die Bundesregierung sollte“ kommt in Werte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! diesem Antrag 35 Mal vor. Aber: Man kann im Kon- Nach meiner letzten Rede zum Thema Breitband kam junktiv nun einmal nicht regieren. ein Bundesminister auf mich zu – er soll hier unerkannt bleiben; er ist auch nicht anwesend – und sagte, ich solle (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch nicht immer so schimpfen, und bei der LINKEN) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Am schwierigsten ist die Finanzierungsfrage. Der kenne ich!) Breitbandausbau kostet richtig viel Geld. Sie stellen aber worauf ich entgegnete: Ich höre gerne mit der Kritik auf, nicht 1 Euro bereit und planen mit Einnahmen aus einer wenn es keinen Grund mehr gibt, zu schimpfen. Frequenzversteigerung, von der noch niemand weiß, wann sie eigentlich kommt, und erst recht nicht, wie viel (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Geld sie überhaupt einbringt. Schon die letzte Versteige- NEN]: Sehr gut!) rung brachte nur halb so viel wie erwartet. Ich bin nicht maßlos, aber es gibt immer noch keinen Vor allem ist das nicht allein Ihr Geld; das wissen Sie. Grund für diese Bundesregierung, sich zufrieden in die Sie sagen ja auch: Ja, über die Verwendung der Erlöse Sommerpause zu verabschieden. Der Breitbandausbau muss man dann mit dem Finanzministerium verhandeln. – ist eine der drängendsten Infrastrukturaufgaben für die- Dann gibt es da ja auch noch die Bundesländer. Die wol- ses Land. Jahr für Jahr verlieren wir enorme Potenziale. len die Hälfte und lassen sich kaum von Ihnen vorschrei- Deutschland ist in Sachen Breitband weit abgeschlagen. ben, wofür sie das Geld einsetzen sollen. (B) Laut FTTH Council Europe hat gerade einmal 1 Prozent (D) der Haushalte einen Glasfaseranschluss, und es gibt (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: O ja! Vor noch viele Gebiete, in denen die Menschen nur mit Mo- allem diese ganzen grün regierten Länder!) demgeschwindigkeit ins Netz kommen. Immerhin geben Der Breitbandausbau ist in den Ländern ja auch ganz un- Sie das jetzt in Ihrem Antrag zu. Sie zitieren sogar die terschiedlich weit fortgeschritten. OECD-Studie, die wir Ihnen sonst immer um die Ohren hauen; das ist gut. Aber dann muss man auch den eige- Die für 2018 versprochenen 50 MBit/s werden Sie nen Minister in die Pflicht nehmen und auffordern, end- mit Funkanbindungen nicht erreichen, genauso wenig lich zu liefern, liebe Damen und Herren. wie mit der ursprünglich einmal angedachten 1 Mil- liarde Euro. Die Kosten für den festnetzgebundenen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausbau liegen im zweistelligen Milliardenbereich. Die und bei der LINKEN) Unternehmen investieren diese Milliarden nur, wenn es Die bisherige Antwort von Herrn Dobrindt und sich tatsächlich lohnt. Das ist auf dem Land schwierig. seinem neu geschaffenen Ministerium für Verkehr und Deshalb werden Sie sich hier ehrlich machen müssen, digitale Infrastruktur war vor allem Palaver mit der In- woher dieses Geld denn kommen soll. Gute Regulierung ternetwirtschaft und die Ankündigung, die Erlöse der hin oder her, am großen Rad drehen Sie jedenfalls nicht. Digitalen Dividende II in den Ausbau zu stecken. Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenig. Es ist noch viel weniger, wenn man einmal auf und bei der LINKEN) die Fakten schaut. Resultat der sogenannten Netzallianz Digitales Deutschland ist, dass man ein Kursbuch erar- Wie kommt Breitband in ländliche Regionen, in beiten will, in dem man Meilensteine festhält. Mit denen die Investitionen hoch und die zu erwartenden Kursbüchern und Meilensteinen gewinnt man beim Gewinne niedrig sind? Sie wollen eine Grundversorgung – Buzzword-Bingo. Aber die Menschen, die dort leben, immerhin. Aber den konsequenten Schritt unterlassen wo weiße Flecken sind, haben gar nichts davon. Die Sie. Wir Grüne fordern, dass jeder Haushalt einen wollen heute am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Die Anspruch auf einen Breitbandanschluss hat. Auch die lassen Sie im Stich. SPD wollte das, bis zur Bundestagswahl. Gemessen da- ran ist die Forderung, jetzt doch bitte die Regionen mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter 2 Mbit/s zu erschließen, ein trauriger Abschied von und bei der LINKEN) Ihren Versprechungen und das Eingeständnis eines Die Zeit der Ankündigungen ist lange vorbei. Der mageren Ergebnisses in den Koalitionsverhandlungen Minister hat eine Zahl genannt, an der er sich messen aufseiten der SPD. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4127

Tabea Rößner (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – auf die Nase. Das ist beim Breitband weder dem Land (C) Martin Dörmann [SPD]: Wir wollen flächen- noch den Menschen hier zu wünschen. deckend 50 Megabit!) Vielen Dank. – Ja, da bin ich mal gespannt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dafür planen Sie einen Bürgerfonds. Das klingt ir- gendwie nett und wie etwas Gutes für die Bürgerinnen Vizepräsidentin Ulla Schmidt: und Bürger. Aber was steckt denn dahinter? Private Ein- Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Patrick Schnieder, zahler erwarten doch eine solide Rendite, wenn sie Geld CDU/CSU-Fraktion. in einen Fonds einzahlen. Wie sollen diese Renditen bei defizitären Breitbandprojekten denn erwirtschaftet wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den? Der Ausbau in den ländlichen Regionen ist nicht neten der SPD) lukrativ; denn sonst hätten die TK-Unternehmen das doch schon längst gemacht. Und was, wenn die erwar- Patrick Schnieder (CDU/CSU): tete Rendite dann nicht kommt? Zahlt dann der Staat die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Differenz? Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Internet ist (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ach, das ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Weite Le- doch Quatsch!) bensbereiche sind von einer immer stärkeren Digitalisie- rung durchdrungen. Das gilt für Anwendungen, die wir Das ist im besten Falle unausgegoren und im schlimms- zu Hause nutzen, für Anwendungen im gewerblichen ten Falle eine große Mogelpackung für die Bürgerinnen Bereich und zunehmend aber auch für mobile Anwen- und Bürger. dungen. Noch ein paar Worte zur Netzneutralität. Nachtigall, Deshalb ist die Versorgung mit schnellem Internet ick hör dir trapsen! Die gleichberechtigte Übertragung eine Zukunftsaufgabe für Deutschland. Das gilt ganz be- von Daten war Garant der bisherigen demokratischen sonders für ländliche Räume; denn dort geht es in die- Entwicklung des Internets, und sie ist elementar für des- sem Zusammenhang zwar auch um die Zukunft von Un- sen Zukunft. ternehmen, Standorten und Arbeitsplätzen, aber eben auch um die Zukunft der ländlichen Räume schlechthin, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nämlich um die Frage, ob Menschen in Zukunft dort und bei der LINKEN) noch wohnen und arbeiten wollen und können. Deshalb müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, die wei- (B) Die Debatte darüber führen wir seit vielen Jahren. Vor- (D) schläge zur gesetzlichen Absicherung gibt es, auch von ßen Flecken, die wir haben – dort gibt es keine ausrei- der SPD. Aber noch immer weigern Sie sich, die Netz- chende Versorgung mit schnellen Internetverbindun- neutralität im Sinne der Verbraucher effektiv zu sichern. gen –, möglichst schnell zu beseitigen und dort zu einer flächendeckenden Versorgung mit schnellem Internet zu Ihre Vorschläge reichen nicht aus, die Einführung von kommen. Das ambitionierte Ziel, das sich diese Koali- Managed Services und Co. zu verhindern. Im Gegenteil: tion in ihrem Koalitionsvertrag gesetzt hat, ist deshalb Sie legitimieren diese Praxis durch Ihre Initiativen sogar genau richtig. noch. Indem Sie auf die EU-Ebene verweisen, die Ähnli- ches plant, machen Sie sich als Gesetzgeber einen Es ist auch richtig, dass wir das nicht nur in einem schlanken Fuß. Schaffen Sie endlich eine gesetzliche überschaubaren Zeitraum bis 2018 schaffen wollen, son- Regelung zur Sicherung der Netzneutralität! Das ist dern dass wir auch eine Mindestversorgung mit einer dringend notwendig. Bandbreite von 50 Megabit pro Sekunde angesetzt ha- ben; denn alles andere wird in Zukunft nicht mehr genü- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen. Wir werden zunehmende Datenmengen haben und und bei der LINKEN) deshalb auch auf immer größere Geschwindigkeiten an- gewiesen sein. Aber ich soll ja nicht nur schimpfen. Es ist ein Fort- schritt, dass sich die Koalition zum Wettbewerb bekennt. Der Antrag, den wir als Koalition hier vorgelegt ha- Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes hat ben, ist ambitioniert, aber er wird diesen ambitionierten den Nutzern viel Gutes gebracht. Trotzdem haben Sie im Zielen auch gerecht. Wir zeigen einen Weg auf, wie wir Koalitionsvertrag eine Lockerung der Regulierungsauf- das erreichen wollen. Das werden wir nur mit einer ge- lagen angekündigt. Das hat nicht nur mich irritiert, son- meinsamen Anstrengung von Bund, Ländern und Ge- dern auch die ganze Branche. Na ja, vielleicht nicht die meinden und auch nur mit einem Technologiemix schaf- ganze Branche: Die Telekom hat sich, glaube ich, sehr fen, indem wir alle Möglichkeiten, die sich bieten, auch darüber gefreut. Sie wäre nämlich die Profiteurin einer nutzen: sowohl kabelgebundene als auch mobile Lösun- solchen Lockerung. Gut, dass bei Ihnen Vernunft einge- gen, Funklösungen und satellitengestützte Lösungen – kehrt ist; denn der Wettbewerb funktioniert eben nur mit all das, was technisch möglich ist. mehreren Anbietern und nicht mit einem Monopolisten. Wir müssen uns auch eingestehen – das gehört zum Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Ehrlichmachen dazu, verehrte Frau Kollegin Rößner –, wenn man zum großen Sprung ansetzt und auf halber dass wir das Geld, das wir in Kürze für einen flächende- Strecke beschließt, anzuhalten, passiert eines: Man fällt ckenden Glasfaserausbau bräuchten, heute nicht zur Ver- 4128 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Patrick Schnieder (A) fügung haben. Deshalb bin ich schon etwas erstaunt über schnell schaffen, für alle in Deutschland schnelles Inter- (C) die Lässigkeit, mit der Sie über diese Tatsache und auch net verfügbar zu machen: für die Menschen in Ballungs- über das hinweggehen, was Landesregierungen, auch räumen genauso wie für die Menschen im ländlichen von Ihnen gestützte Landesregierungen, zum Beispiel in Raum. Das brauchen wir für die Weiterentwicklung un- Rheinland-Pfalz, auf den Weg gebracht haben. Dort wur- seres Landes. Das brauchen wir für die wirtschaftliche den in den letzten sieben Jahren 29 Millionen Euro für Prosperität unseres Landes. Das brauchen wir aber auch, den Breitbandausbau zur Verfügung gestellt. Wer dann weil wir darauf angewiesen sind, dass Teilhabe am ge- mit dem Finger auf den Bund zeigt und Milliarden ein- sellschaftlichen Leben überall und in gleicher Art und fordert, aber nicht sagt, woher sie kommen, der macht Weise möglich ist. sich unglaubwürdig. Er macht sich noch unglaubwürdi- ger vor dem Hintergrund, dass die genannte Landesre- Deshalb werbe ich sehr eindringlich für den Antrag. gierung gerade 500 Millionen Euro am Nürburgring in Ich werbe auch eindringlich dafür, dass alle Akteure, die den Sand gesetzt hat. Von diesem Geld hätten wir viele wir brauchen und deren Interessen wir unter einen Hut Glasfaserkabel verlegen können. bringen müssen, Verantwortung wahrnehmen und sich am Ziel orientieren, anstatt herumzumäkeln und zu fra- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gen: Was könnte uns in den Weg kommen? Man darf neten der SPD – Dieter Janecek [BÜND- nicht nur die Schwierigkeiten sehen, sondern auch das NIS 90/DIE GRÜNEN]: 10 Milliarden für die Ziel und die Chancen. Ich glaube, dass wir auf einem gu- Rente!) ten Weg sind. Ich werbe dafür, dass wir diesen Antrag mit breiter Mehrheit hier im Deutschen Bundestag ver- Wir wollen einen Schwerpunkt auf die Möglichkeiten abschieden. legen, die wir in den nächsten Jahren haben. Dazu gehört der kabelgebundene Ausbau. Aber dazu gehört eben (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) auch die Nutzung von Funkfrequenzen, und zwar in dop- pelter Hinsicht: Wir werden nicht nur die Erlöse aus der Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vergabe der frei werdenden Frequenzen in den Breit- Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht bandausbau stecken, sondern es geht eben auch um die jetzt Halina Wawzyniak. Nutzung der 700-Megahertz-Bänder. (Beifall bei der LINKEN) Ich will hier sehr deutlich betonen: Wir wollen die verschiedenen Nutzer nicht gegeneinander ausspielen. Ich bin dem Kollegen Dörmann dankbar, dass er das Halina Wawzyniak (DIE LINKE): noch einmal deutlich gesagt hat. Wir brauchen diese Fre- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- (B) quenzen für schnelle Internetverbindungen, aber wir legen! Der Antrag der Großen Koalition beschreibt viele (D) brauchen sie auch für den Rundfunk; das ist überhaupt Maßnahmen, die dazu führen sollen, dass bis 2018 eine keine Frage. flächendeckende Breitbandversorgung von mindestens 50 Megabit die Sekunde gewährleistet wird. Das ist Ich bin allerdings der Meinung, dass die Ziele, die – das haben wir hier gehört – ein durchaus ambitionier- noch bis vor kurzem in den Köpfen der Intendanten von tes Ziel. Aber in puncto Breitbandausbau sind ambitio- Rundfunkanstalten waren, noch etwas ambitionierter nierte Ziele nichts Neues. ausgestaltet werden können. Ich glaube, dass wir noch etwas schneller darin sein können, auf den neuen Stan- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dard DVB-T2 umzustellen. NEN]: Das stimmt!) Wir sollten überlegen – auch das steht in dem An- Doch selten wurden sie erreicht. Ob sie dieses Mal er- trag –, ob nicht große Ereignisse wie die Fußballeuropa- reicht werden, darf durchaus bezweifelt werden; denn meisterschaft im Jahr 2016 auch für den Markt einen be- ohne Geld in die Hand zu nehmen, wird das nicht funk- sonderen Anreiz bieten, eine solche Umstellung bei den tionieren. Endgeräten schneller durchzuführen und dieses Ereignis (Beifall bei der LINKEN) in diesem Sinne zu nutzen. Aber wir sind uns einig – auch das möchte ich noch einmal betonen –: Wir brau- Der Antrag enthält einige Vorhaben, die wir begrü- chen die 700-Megahertz-Bänder, sowohl für den Rund- ßen. Wir begrüßen, dass Sie die Netzneutralität gesetz- funk als auch für sicherheitsrelevante Belange, aber auch lich verankern wollen. Die Debatte auf europäischer für die drahtlosen Produktionsmittel, die im Antrag ge- Ebene ist bereits an diesem Punkt angelangt. Aber es nannt sind. könnte problematisch werden, dass die Netzneutralität nicht durch eine, wie Sie schreiben, „Vielzahl von Mana- Die Erlöse, die wir aus der Vergabe der Frequenzen ged Services“ eingeschränkt werden darf. Hier muss erzielen, müssen wir verstärkt wieder in die Netze inves- man nämlich aufpassen, dass dies die Netzneutralität tieren; darin sind wir uns einig. Ich hoffe, dass wir auf nicht gleichzeitig wieder unterhöhlt. nationaler Ebene den angestrebten Konsens zwischen Bund und Ländern erreichen. Ich glaube, dass man die- Es ist völlig unstreitig, dass zeitkritische Dienste wie sen Konsens finden kann. Mir wäre es auch recht, wenn zum Beispiel Videotelefonie eine gewisse Bevorzugung möglicherweise die Länder, die an der Lösung beteiligt benötigen, um zu funktionieren. Wenn aber Anbieter von sind, das Geld vorrangig in den Breitbandausbau ste- Diensten anfangen, Geld an Provider zu bezahlen, um in cken; denn uns alle eint das Ziel, dass wir es möglichst irgendeiner Form besser behandelt zu werden, zum Bei- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4129

Halina Wawzyniak (A) spiel indem ihre Daten schneller durchgeleitet werden, (Beifall bei der LINKEN) (C) dann hat das mit Netzneutralität nichts mehr zu tun. Hier schließt sich auch der Kreis zur Netzneutralität. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Sie ist nämlich im Mobilfunkbereich schon längst passé. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt keine echten Flatrates; es gibt eine Vielzahl von Managed Services. Wer also ein neutrales Netz will, Wir begrüßen weiterhin, dass Sie endlich die Störer- muss entweder die Netzneutralität im Mobilfunkbereich haftung bei Betreibern offener WLANs abschaffen wol- wiederherstellen oder auf Mobilfunk als Ersatz für ka- len. Praktischerweise haben wir in der letzten Legislatur- belbasiertes Internet verzichten. periode auf Basis eines Vorschlages der Digitalen Gesellschaft einen Gesetzentwurf eingebracht, der die- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ses Problem sehr elegant lösen würde. Den können Sie Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen einfach übernehmen. Thomas Jarzombek von der CDU/CSU? (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Doch Ihr Antrag bringt auch Probleme mit sich und Nein, heute ausnahmsweise nicht. Ich bin nämlich wirft einige Fragen auf. Sie erkennen richtig – das ist gleich fertig. schon mehrfach gesagt worden –, dass das Gefälle zwi- schen Stadt und Land eines der größten Probleme ist. Ich hätte mir von Ihnen im Übrigen auch eine deutlich Was den Leuten auf dem Land teilweise zugemutet wird, solidere Finanzierung und auch ein paar innovative ist haarsträubend. Kürzlich wandte sich eine junge Fami- Ideen gewünscht. Wie wäre es beispielsweise mit Ideen lie aus Woltersdorf bei Berlin an mich. Sie hatte sich wie einer Commons-basierten Förderung? Darüber soll- dort gerade ein Haus gekauft und wollte nun auch einen ten Sie einmal nachdenken. Ich könnte dem sehr viel ab- schnellen Internetanschluss haben. Nun bestand aber das gewinnen. Problem, dass das Haus nicht mit dem DSL-Netz ver- Letztendlich muss ich aber sagen: Sie setzen nur das bunden war. Allerdings wird es mit Kabelfernsehen ver- fort, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht. Sie haben sorgt, worüber eine Internetverbindung möglich ist. So hohe Ziele, aber selber finanzieren wollen Sie sie nicht. einfach, wie gedacht, ist es aber nicht. Denn der zustän- So wird es mit dem flächendeckenden Breitbandausbau dige Kabelbetreiber vertreibt in Woltersdorf nur eine be- nicht klappen. Sie müssen irgendwann realisieren, dass stimmte Anzahl von Anschlüssen. Sie können sich vor- ein Breitbandanschluss zur Daseinsvorsorge gehört und stellen, dass diese schon alle vergeben sind. Das soll jedem zur Verfügung gestellt werden muss. vorkommen. (B) (Beifall bei der LINKEN – Martin Dörmann (D) Das heißt also, obwohl die notwendige Infrastruktur [SPD]: Das ist ja unser Ziel!) vorhanden ist, wird der Familie, aus welchen Gründen auch immer, verwehrt, einen Internetanschluss nutzen zu Vizepräsidentin Ulla Schmidt: können. Das ist ein wenig absurd. Denn der Familie blei- Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Kirsten Lühmann, ben jetzt nur wenige Möglichkeiten: entweder wie zu SPD-Fraktion. DDR-Zeiten auf ein Auto jetzt auf einen Internetan- schluss zu warten, mit hoher Eigenbeteiligung das Haus (Beifall bei der SPD) an das DSL-Netz anschließen zu lassen oder auf Funk- und Satellitenverbindung zu setzen, die teuer sind. Kirsten Lühmann (SPD): Das bringt uns gleich zum nächsten Problem. Um das Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin- Ziel eines flächendeckenden Breitbandinternets bis 2018 nen! WLAN in Zügen stand am Anfang. Aber das ist zu realisieren, schlagen Sie einen Technologiemix aus nicht das wichtigste Ziel, das wir uns mit unserer Breit- kabelgebundener Technologie, Funk- und Satellitentech- bandstrategie vornehmen. Als regelmäßige Bahnfahrerin nologie vor. Nun sind wir uns hoffentlich einig, dass weiß ich natürlich, wie nervig es ist, wenn ich Mails und Funktechnologien einen DSL-Anschluss nicht ersetzen Anhänge nicht öffnen kann, weil die Übertragung stockt. können. Das hat mehrere Gründe. Funktechnologien Aber im Zug ist das nur eine Frage von wenigen Reise- sind deutlich anfälliger für Fehler, und die Übertra- stunden. Zu Hause ist eine solche Situation oft von gungsleistung ist schwankend. Sie sind für den Endver- Dauer. Das betrifft in Deutschland immer noch viele braucher vor allem teurer und bieten deutlich weniger Menschen und auch viele Unternehmen insbesondere in Leistung. ländlichen Räumen. Diesem Zustand wollen wir abhel- fen, liebe Kollegen und Kolleginnen. Deshalb legen wir Während es bei Festnetzanschlüssen im Großen und Ihnen heute diesen hervorragenden Antrag vor. Ganzen noch echte Flatrates gibt, sind bei Mobilfunk- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verträgen Datenvolumengrenzen schon längst gang und der CDU/CSU) gäbe. Wir reden hier aber nicht von Grenzen von 300 Gi- gabyte im Monat; wir reden von Grenzen von 10 Giga- Wer wie ich in einer ländlichen Region zu Hause ist, byte im Monat. Für die alltägliche Nutzung ist das kaum kennt die Problematiken aus nächster Nähe. In meinem brauchbar, und das im Übrigen zu Preisen jenseits von Heimatort gibt es zum Beispiel einen Elektronikfach- VDSL-Verträgen. Auf Dauer ist das den Endverbrau- markt, der täglich erhebliche Datenpakete transportieren chern kaum zuzumuten. muss und das aufgrund der nur wenigen zur Verfügung 4130 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Kirsten Lühmann (A) stehenden Frequenzen in der normalen Geschäftszeit gar Einsatz von Fördermitteln einen maximalen Effekt erzie- (C) nicht mehr abwickeln kann. Es ist abzusehen, dass er ir- len können. Es gibt bei Kommunen ganz unterschiedli- gendwann die Wettbewerbsfähigkeit verliert und im che Voraussetzungen, zum Beispiel im Hinblick auf die schlimmsten Fall sogar schließen muss. Das bedeutet Eigenanteile, die die Kommunen bei den Förderpro- nicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen, sondern das grammen leisten müssen, oder im Hinblick auf Bürg- bedeutet auch, dass seine Kunden und Kundinnen min- schaftsverpflichtungen, was insbesondere für Kommu- destens 30 Kilometer bis in das nächste Mittelzentrum nen mit Haushaltsnotlagen von Bedeutung ist. Wenn fahren müssen. Dass solche Unternehmen vor Ort blei- zum Beispiel eine Kommune bei Tiefbauarbeiten keine ben, ist nicht nur im Interesse der betroffenen Menschen, Leerrohre mit verlegen darf, weil das unter dem Ge- die ihren Wohnort nicht aufgeben wollen, sondern es ist sichtspunkt der Haushaltssicherung eine unzulässige Zu- auch im Interesse der Kommunen, die den Wirtschafts- satzinvestition ist, dann steht diese Regelung nicht nur standort erhalten müssen. unserem Ziel des schnellen Breitbandausbaus entgegen, sondern sie ist auch unwirtschaftlich, weil der Erdboden Die Digitalisierung des Alltags ist bereits weit voran- nämlich später ein zweites Mal teuer aufgebuddelt wer- geschritten. Keiner von uns hier wird mehr denken, dass den muss. Das ist sinnlos. eine gute Internetverbindung nur für Nerds von Interesse ist, die den ganzen Tag im abgedunkelten Zimmer (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie „World of Warcraft“ spielen. bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Heiterkeit der Abg. Tabea Rößner [BÜND- Aus meiner Sicht sollten wir daher die Länder und NIS 90/DIE GRÜNEN]) Kommunen auch bei der Netzallianz mit ins Boot neh- Die schnelle Breitbandverbindung wird auch im Alltag men. Ich sagte schon: In dünnbesiedelten Regionen sind von Privatmenschen immer wichtiger. Ob ich nun im es gerade die Kommunen, die das Projekt Breitbandaus- Rahmen des E-Governments einen Antrag bei meinem bau inzwischen in die eigene Hand nehmen. Schließlich Meldeamt abwickeln will, ob ich eine Anzeige bei der wird es auch darauf ankommen, die Förderprogramme in Polizei aufgeben will, ob ich eine ärztliche Online- ausreichendem Maße finanziell auszustatten. Sprechstunde in Anspruch nehmen will oder ob ich mich Auch ich halte es deshalb für erforderlich, dass wir als Bürgerin an einem Dialog zu einem Bauprojekt betei- uns den Einnahmen aus der Neuvergabe der Frequenzen ligen will, für all das brauche ich guten Zugang zum In- widmen. Hier wurde ja sehr lange und ausführlich über ternet. Den werden wir schaffen. den Frequenzbereich von 700 Megahertz und über die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schwierigkeiten gesprochen. Aber es gibt daneben die der CDU/CSU) Bereiche von 900 und 1 800 Megahertz, die wir wesent- (D) (B) lich früher und einfacher vergeben können. Ich denke, Ein gut ausgebautes Internet ist für die Entwicklung dass sich der Verkehrsminister in Zusammenarbeit mit einer Region heutzutage genauso wichtig wie ein gut dem Finanzminister unseren Bemühungen, Gelder für ausgebautes Straßen- oder Schienennetz. Deshalb haben die Lösung dieses Problems zu generieren, anschließen wir uns zum Ziel gesetzt, dass wir bis 2018 flächende- wird. ckend ein schnelles Internet verfügbar machen. Es wurde mehrfach gesagt: Wir haben uns ein hohes Ziel (Beifall bei der SPD) gesetzt, aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, wir wer- den dieses Ziel auch erreichen. Abschließend: Investitionen in den Breitbandausbau sind gut angelegte Gelder. Denn eine Breitbandversor- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gung ist Grundlage für das Erreichen von zwei ursozial- NEN]: Wollen wir es hoffen!) demokratischen Zielen: die gesellschaftliche Teilhabe Der Antrag, den wir heute vorgelegt haben, stellt aus- und das wirtschaftliche Wachstum. In diesem Sinne: Pa- führlich dar, wie wir das machen. cken wir es an! Ich fasse die wichtigen Ziele noch einmal in zwei Danke schön. Punkten zusammen. Wir brauchen eine gezielte, effi- ziente Förderung des Breitbandausbaus in dünnbesiedel- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten Regionen. Denn dort wird es wegen der mangelnden der CDU/CSU) Wirtschaftlichkeit, die ja mehrfach angesprochen wurde, nicht allein der Markt regeln. Außerdem brauchen wir Vizepräsident Peter Hintze: flankierende Maßnahmen – das ist der zweite Punkt, den Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- wir sehr schnell umsetzen müssen –, mit denen der Aus- ordneten Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen. bau beschleunigt wird, wie zum Beispiel Erleichterun- gen für alternative Kabelverlegungen. Dazu ist es von großer Bedeutung, dass wir mit den Ländern und Kom- Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): munen eng zusammenarbeiten. Die Kommunen sind in Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter nicht an- dieser Frage unsere Partner; denn sie profitieren am wesender Ankündigungsminister Dobrindt, meisten davon. Ich hatte es bereits erwähnt. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Es geht Das betrifft unter anderem die Abstimmung von nichts über eine sachliche Auseinanderset- Förderprogrammen, die wichtig ist, damit wir mit dem zung!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4131

Dieter Janecek (A) ich bin aus Bayern einiges gewohnt. So wollen wir Bay- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C) ern immer in der Champions League spielen. Wenn Sie Martin Dörmann [SPD]: Sie haben ihn doch aber wirklich Champions League beim Breitbandausbau nicht ganz gelesen!) gewollt hätten, dann hätten Sie während der Koalitions- 2013 standen 8 Prozent der Unternehmen mit mehr verhandlungen diese 1 Milliarde Euro nicht gestrichen. als zehn Beschäftigten nur ein ISDN-Anschluss oder ein Diese Mittel brauchen wir nämlich dringend. Sie werden analoger Anschluss zur Verfügung. Laut einer Studie der es mit den Frequenzerlösen allein nicht schaffen; das bayerischen Wirtschaft gibt ein Viertel der Unternehmen wissen Sie ganz genau. an, dass sie wichtige netzbasierte Anwendungen nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nutzen können. Was bedeutet das heutzutage im Zeitalter von Big Data und Wettbewerb? Diese Unternehmen ha- Man kann natürlich auch einmal fragen: Ist es das ben ein Problem. Sie kommen nicht mehr mit. Die Wert- Ziel, dass wir bei der Fußballeuropameisterschaft 2016 schöpfung verschiebt sich von der Hardware hin zur über DVB-T Fußball schauen können? Ich glaube nicht, Software. Wir sind sehr stark bei der Hardware. Aber bei dass dies das ist, was die Menschen beschäftigen wird, der Software sind wir wirklich noch nicht gut. Deshalb wie man am Zuspruch für das Public Viewing bei der empfehle ich Ihnen, hier besser in die Spur zu kommen. laufenden Weltmeisterschaft sehen kann. Das Ziel wird (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sein, dass wir den Breitbandausbau auch im ländlichen Raum – ich komme aus Niederbayern und weiß daher Für mich ist das Bekenntnis zum Wettbewerb sehr um die Probleme in den ländlichen Regionen – so effi- wichtig. Wettbewerb ist im Telekommunikationsbereich zient gestalten, dass die Breitbandinfrastruktur selbst für unerlässlich. Wir haben diesbezüglich gute Erfahrungen den mittelständischen Wettbewerber vor Ort attraktiv in der Europäischen Union gemacht. Schauen Sie sich wird. Hier ist Bayern nicht gerade Vorbild. Wenn man nur die Preise in den USA an. Sie sind teilweise doppelt so hoch, weil dort Monopole vorherrschen. Wir in Eu- sich die Verflechtungen mit der Telekom in Bayern an- ropa haben eine Vielzahl von Wettbewerbern zugelassen schaut, dann stellt man fest, dass in der Regel nicht die und haben die Deutsche Telekom – nicht zu ihrer eige- kleinen Unternehmen zum Zuge kommen, sondern die nen Freude, wohl aber zur Freude des Verbrauchers – in Telekom das Geschäft macht. Ich bitte Sie, dass das ganz den Wettbewerb gezwungen. im Sinne des Mittelstands abgewickelt wird. Nun haben wir auf dem Markt eine Konzentrations- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ballung zu beobachten. Ich kann von meinem Wahlkreis- büro in München auf den O2-Tower sehen. Gestern fiel Ich kann den Bayern auch folgenden Punkt nicht erspa- die Entscheidung, den Zusammenschluss von O und ei- (B) 2 (D) ren: Nur 16 Prozent der Haushalte im ländlichen Raum nem Wettbewerber zu genehmigen. Das kann man zur haben in Bayern einen Breitbandzugang. Auch hier sind Kenntnis nehmen, aber Sie müssen bitte darauf achten, wir Bayern keine Vorreiter. dass auch in der Zukunft mittelständische Stadtwerke Kommen wir zur Bürokratie. Dazu finden Sie wol- beim Breitbandausbau eine Rolle spielen. Die Gefahr, die insbesondere von der EU-Ebene ausgeht, ist real, kige Worte. Aber Realität ist: Das Förderprogramm in nämlich dass man zu stark in großen Strukturen denkt. Bayern war an 700 Kommunen adressiert. Aber wie Wenn zu stark in großen Strukturen gedacht wird, dann viele davon haben in den ersten Jahren dieses Programm wird das schlecht für die Verbraucher und die Marktteil- durchlaufen? Zwei! Machen Sie sich Gedanken, wie nehmer insgesamt sein. man hier vorankommen könnte! Wenn Herr Dobrindt von einem Daten-Tsunami spricht, dann ist das Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – druck der Erkenntnis, dass hier etwas Gewaltiges auf uns Martin Dörmann [SPD]: Dazu haben wir klare zukommt; das teile ich. Aber bei ihm hört sich das nach Aussagen in dem Antrag!) einer Bedrohung und nicht nach der Möglichkeit an, Ba- Ein Punkt, der schon angesprochen wurde, ist mir sis und Rohstoff für den Erfolg unserer Wirtschaft im wichtig: Rechtssicherheit für WLAN-Netze zu schaffen. Zeitalter der digitalen Revolution zu schaffen. Beim Thema WLAN-Verfügbarkeit hat Deutschland noch einen gewissen Nachholbedarf. Sie haben das Bei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) spiel von WLAN im Zug geschildert. Man könnte auch Laut Statistischem Bundesamt verfügte 2013 nur ähnliche Beispiele von Cafés oder Hotels schildern. jedes vierte Unternehmen mit mindestens zehn Beschäf- Dazu gehört auch die Frage, ob man nicht zu einem offe- tigten über eine schnelle Onlineverbindung von mindes- nen Standard kommen kann, der das Internet frei zu- tens 30 Megabit pro Sekunde. Da haben wir Nachholbe- gänglich macht. Das ist mittlerweile in vielen Ländern darf. Schauen Sie nach Belgien, in die Niederlande oder wie den USA und Südkorea, wo ich in letzter Zeit war, nach Dänemark! Dort liegt der Anteil bei 40 Prozent. Es ein Standard, der gepflegt wird. Auch darüber muss man ist gut, wenn wir uns das nun zum Ziel setzen. Ich habe nachdenken. Ihren Antrag durchaus sorgfältig gelesen und festge- WLAN-Zugang hat viel mit wandelnden Lebensstilen stellt, dass dort viel Richtiges steht. Wenn es aber kon- zu tun, aber auch mit wirtschaftlicher Innovationskraft; kret werden soll, dann steht dort nur noch sehr wenig. denn junge Kreative und Start-ups arbeiten gerne einmal Sie müssen das Ganze mit Zahlen und Fakten unterle- im Park oder im Café. Deswegen ist es wichtig, dass gen. Sonst wird es nichts mit dem Breitbandausbau. man diese Infrastrukturentscheidung grundsätzlich für 4132 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dieter Janecek (A) diejenigen trifft, die so etwas nutzen können. Man sollte (Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) da nicht nur in großen Zusammenhängen denken, son- NEN]: Das tun wir Grüne immer!) dern auch den Mittelstand in Betracht ziehen. In diesem Sinne unterstützen wir Sie, dass Sie da vorankommen, Da sind wir durchaus einer Meinung; denn auch wir bitten Sie aber, dass Sie das konkret unterlegen, damit stehen dafür, dass dieser Ausbau eigentlich nur im wir wirkliche Fortschritte erzielen. Wettbewerb gelingen kann, und zwar im Wettbewerb der Unternehmen, aber auch im Wettbewerb der Technolo- Danke schön. gien. Nur das bringt Innovationen und vor allem effi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ziente Lösungen hervor. Bei einer Sache sind Sie auf dem „Bayern-Auge“ Vizepräsident Peter Hintze: etwas blind; denn Bayern hat – da kann man noch Sach- Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten sen und einige andere Bundesländer hinzufügen – mit ei- Andreas Lämmel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. genem Geld enorme Anstrengungen unternommen, um den Breitbandausbau auf Landesebene voranzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Sie wissen ganz genau, dass Bayern alleine 1,5 Milliar- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! den Euro in die Hand nimmt, um da schneller voranzu- Dass wir mit dem Breitbandausbau in Deutschland in kommen. Da Sie aus Bayern kommen, sollten Sie auch den letzten Jahren enorm vorangekommen sind, zeigt das loben, was aus Ihrem Lande kommt. Zumindest ent- sich alleine an der Tatsache, dass Sie heute auf Ihrem spricht es dem sächsischen Anspruch, Leistungen aus Handy oder – neudeutsch – auf Ihrem Smartphone die dem eigenen Lande zu loben. Dass Sie das nicht machen, Sitzungen des Deutschen Bundestages live verfolgen ist, wie ich finde, Ausdruck von fehlendem Lokalpatrio- können. Das hätten Sie vor drei Jahren oder vor vier Jah- tismus. ren niemals gekonnt. Das ist die Folge des Ausbaus vor allem im LTE-Bereich, des Ausbaus des mobilen Inter- (Beifall bei der CDU/CSU) nets. Man sollte sich einmal fragen: Wie sind die durch- (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber wer schnittlichen Geschwindigkeiten in anderen Ländern braucht denn das?) dieser Welt? Wer liegt dabei an der Spitze? Ganz vorn liegt Südkorea: Dort beträgt die durchschnittliche Ge- – Wer braucht das? Ich meine, wenn die Linken damit schwindigkeit 21,9 Megabit pro Sekunde. In Deutsch- (B) nicht umgehen können, dann ist das nicht unser Problem. land liegt die durchschnittliche Geschwindigkeit bei (D) (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Oh!) 7,7 Megabit pro Sekunde. Die Südkoreaner haben auf diesem Gebiet eine enorme Leistung erbracht; das ist Ich denke, die Bevölkerung schätzt das sehr. überhaupt keine Frage. Wir konnten uns davon überzeu- Warum brauchen wir diesen Breitbandausbau? Dazu gen. ist heute viel gesagt worden. Die Bevölkerung hat einen Ich finde die Leistung dieses kleinen Landes sehr be- Anspruch darauf. Aber ich möchte das Augenmerk auf eindruckend. Aber dort herrschen natürlich andere Be- das Thema der wirtschaftlichen Entwicklung lenken. Ich dingungen: Erstens. Man hat die notwendigen Arbeiten hatte das schon anlässlich der Haushaltsdebatte an- im Wesentlichen unter dem Dach eines monopolisti- gesprochen: Wir befinden uns im Übergang zur Indus- schen Staatskonzerns erbracht. Zweitens. Dort gibt es trie 4.0. Die Industrie 4.0 lebt von vernetzten, internet- überwiegend Freileitungen, was in Deutschland kaum basierten Dienstleistungen. Das heißt, wenn es uns nicht noch möglich ist. gelingt, in den nächsten Jahren unser Ziel – bis 2018 flä- chendeckend 50 Megabit pro Sekunde – zu erreichen, Dann möchte ich noch etwas zur Versteigerung von dann werden wir die Vorreiterrolle, die wir im Moment Frequenzen sagen. Alle rechnen mit mehr Geld: Der noch beim Übergang zur Industrie 4.0 haben, einbüßen. Bund und auch die Länder rechnen mit mehr Geld; alle Deshalb ist das ein existenzielles Thema für die weitere wollen sie eine Menge zusätzliches Geld durch die Ver- wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. steigerung der Frequenzen bekommen. Man muss natür- lich auch sagen: Das Geld, das den Unternehmen durch Schaut man sich den sehr detaillierten Breitbandatlas die Ersteigerung von Frequenzen entzogen wird, steht an, der im Internet abrufbar ist – auch das ist eine Inno- ihnen für den Netzausbau nicht mehr zur Verfügung. vation aus Deutschland; vielleicht haben Sie auch in den noch keinen Blick hineingeworfen, was ich Ihnen aber (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Richtig!) dringend empfehlen würde, weil sehr viele Informatio- Insofern muss man die Sache schon von beiden Seiten nen zum Breitbandausbau in Deutschland dort ablesbar betrachten. Wir haben bei der Versteigerung der UMTS- sind –, dann kann man sehen, dass wir beim Breit- Frequenzen sehr gut sehen können: Diese Versteigerung bandausbau bis 6 Megabit pro Sekunde schon sehr gut hat zwar den Finanzminister hoch erfreut und eine vorangekommen sind, aber die großen Bandbreiten nach Menge Geld in die Staatskasse gespült; aber sie hat die wie vor fehlen, zumindest flächendeckend. Investitionskraft der Unternehmen stark geschwächt. Herr Janecek, es ist ganz interessant, dass Sie sich für Die damals erworbenen UMTS-Frequenzen liegen teil- Wettbewerb aussprechen. weise bis heute sozusagen brach. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4133

Andreas G. Lämmel (A) Ein weiteres Thema – es wurde heute mehrfach ange- raus Nutzen zu ziehen. Man sollte hier für Ausgewogen- (C) sprochen; es wird auch in unserem Antrag ausgeführt – heit sorgen und eine Balance finden. ist der diskriminierungsfreie Zugang zum Netz. Die Lin- ken fordern, endlich einmal eine deutsche Regelung für Nötig ist, wie gesagt, ein diskriminierungsfreier Zu- ein schnelleres Netz zu treffen. Wissen Sie, wir leben in gang; das ist ganz klar. Darüber hinaus muss es möglich Europa. Jetzt eine deutsche Regelung zu treffen, die wo- sein, über Managementsysteme Vorrangspuren zu schaf- möglich in einem halben Jahr durch europäische Rege- fen – wenn genügend Bandbreite vorhanden ist, ist das lungen, etwa durch Verordnungen, die die Europäische auch möglich –, um die Netzbetreiber und die für die In- Kommission erlässt, überholt wird, ist sinnlos. Ich weiß, frastruktur Verantwortlichen in die Lage zu versetzen, dass die Linken dann die Ersten wären, die hier eine De- mit schnellen Diensten zusätzliche Einnahmen zu erwirt- batte anzetteln und behaupten würden: Die Regierung ist schaften. einfach unfähig, eigene Regulierungen zu schaffen. Ich kann also nur für den Antrag werben. Er ist her- vorragend. Er ist zwar ein bisschen umfangreich gewor- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wenn man die den. Aber so ist es nun einmal: In einer Großen Koali- Wahrheit benennt, muss man so reden!) tion braucht man auch einen großen Antrag. – Sie müssen sich mal für irgendetwas entscheiden. Aber (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Sie wissen anscheinend selber nicht, wohin Sie wollen. Insgesamt umfasst er alle Bereiche, die beim Breit- Ihr Verweis vorhin auf die glorreichen Zeiten der bandausbau berücksichtigt werden müssen. Deswegen DDR war bezeichnend. Die Dichte an Telefonen in der bitte ich Sie um Zustimmung. DDR war geringer als die Dichte an Breitbandanschlüs- sen auf dem Land heutzutage. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihr Verweis auf die DDR ist völliger Unfug. Wissen Sie, Vizepräsident Peter Hintze: wozu der Einsatz des Internets in der DDR, wenn es sie Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten noch geben würde, dienen würde? Er würde vor allem Saskia Esken, SPD-Fraktion, das Wort. zur Überwachung der Bürger genutzt werden, aber nicht zum Wohl der Bürger. Solch einen Schwachsinn sollten (Beifall bei der SPD) Sie von diesem Pult aus lieber nicht mehr verbreiten. Saskia Esken (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch des Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (B) (D) Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Wahl- Meine Damen und Herren, zum Thema Netzneutrali- kreis Calw liegt im nördlichen Schwarzwald. Dieser tät. Es wird sicherlich sehr wichtig sein, dass wir in den wunderschöne, bei Touristen aus der ganzen Welt sehr nächsten Monaten intensiv darüber diskutieren. Natür- beliebte Landstrich zeichnet sich aus durch dichte Wäl- lich kommen all die Dinge zur Sprache, die heute hier der, durch Berge und verwinkelte Täler. Ich gebe es diskutiert worden sind. Wir brauchen den diskriminie- gerne zu: Ich genieße die Ruhe, wenn ich dorthin zu- rungsfreien Zugang; er muss gesetzlich garantiert wer- rückkehre. den. Aber die Regulierung an sich muss sich auf das Doch das Arbeiten im Internet, die Recherche, die Festlegen von Mindeststandards für das Netz beschrän- Kommunikation, die Vernetzung mit Kolleginnen und ken. Wir brauchen jetzt keine Regulierung, die sämtliche Kollegen und mit anderen, das ist oft sehr beschwerlich; Standards festlegt, da diese Standards in einem halben denn schon für die ganz triviale Internetnutzung einer oder in einem Jahr schon wieder überholt sind. Bundestagsabgeordneten ist das Netz in vielen kleineren (Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/ Orten in meiner Heimat nicht ausreichend. CSU]) Die Architekten, die Grafikdesigner, die kleinen Ener- Noch einmal: Was wir brauchen, sind Mindeststandards. gieunternehmen oder die Krankenhäuser im ländlichen Raum können ein Lied singen von den wirtschaftlichen Man muss sich Folgendes klarmachen: Die Netzaus- Auswirkungen der fehlenden oder zumindest unzurei- bauer investieren jedes Jahr viel Geld, egal ob in Kabel- chenden Breitbandversorgung. Lange werden sie sich an netze oder in Funknetze. Aber sie sind im Prinzip nur solchen Standorten nicht halten können. Auch Einrich- diejenigen, die den Verbreitungskanal bauen. Die Dienste- tungen, Schulen und Vereine sind auf schnelles und ver- anbieter, wie die großen amerikanischen Konzerne, nut- lässliches Internet angewiesen. Ich stelle einmal die zen diese Infrastruktur völlig kostenlos, und sie treiben Frage in den Raum: Liegt die wirtschaftliche Stärke sozusagen von hinten immer wieder dazu an, noch Deutschlands nicht auch in einer dezentralen Struktur, schnellere Netze aufzubauen. und wäre es nicht unsere Aufgabe, diese zu erhalten? Ich halte das für ein Missverhältnis: Auf der einen Nicht nur die Industrie und ihre besonderen Poten- Seite sitzen die Nutznießer, die mit einer großen Power ziale im Zuge einer sogenannten vierten industriellen immer mehr Inhalte durch das Netz transportieren wol- Revolution verdienen unsere Aufmerksamkeit. Dies tun len, und auf der anderen Seite sitzen diejenigen, die die auch die beiden Sektoren, die in Deutschland die meis- Infrastruktur schaffen und keine Möglichkeit haben, da- ten und die zweitmeisten Arbeitsplätze hervorbringen. 4134 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Saskia Esken (A) An erster Stelle steht hier die berühmte Wirtschafts- Zur Netzneutralität werden wir noch einen Gesetzent- (C) macht von nebenan, also das Handwerk. An zweiter wurf vorlegen. Entsprechende Regelungen sind selbst- Stelle steht der Tourismus, der ohne ein schnelles, ver- verständlich nicht Bestandteil dieses Antrags. Wir wol- lässliches und kostenfreies WLAN-Angebot in der Gunst len mit diesem Antrag ja nicht die Welt retten; es geht der Gäste schnell ins Hintertreffen gerät. hier um den Breitbandausbau. Mit dem vorliegenden Antrag erneuern und konkreti- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sieren wir das Ziel dieser Koalition, bis 2018 eine Ver- NEN]: Ich dachte, doch!) sorgung aller deutschen Haushalte, aber auch Einrich- tungen und Unternehmensstandorte mit 50 Megabit pro Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben der digitalen Sekunde zu erreichen. 50 Megabit pro Sekunde, das ist Bildung – diese Bemerkung mögen Sie mir als Bildungs- für eine ländliche Kommune wie die, von der ich gerade politikerin verzeihen – ist das schnelle Internet für alle gesprochen habe und die gerade einmal über Übertra- eine weitere grundlegende Bedingung für die wirtschaft- gungsraten von 1 oder 2 Megabit pro Sekunde verfügt, liche und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland. ein recht ambitioniertes Ziel. Ich glaube, wir könnten Weil Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen von den uns eines großen Fortschritts rühmen, wenn wir diese Chancen der Digitalisierung profitieren, sind sie auch Rate flächendeckend und verlässlich installiert haben. gemeinsam für das Gelingen verantwortlich. Die Wirt- schaft und die Politik im Bund, in den Ländern und in (Beifall bei der SPD) den Kommunen müssen sich also gemeinsam auf den Aber ich möchte nicht nur am Rande anmerken, dass Weg machen, um den Ausbau des schnellen Internets vo- dieses Ziel im internationalen Vergleich und bei der ra- ranzubringen; das befördernde Element des Wettbe- santen Zunahme auch der Anwendungsbereiche in digi- werbs ist schon angesprochen worden. taler Wirtschaft und Gesellschaft ganz sicher kein zu ambitioniertes Ziel ist. Für die datenintensive Wirtschaft In einer idealen Welt würden wir dabei sicher von An- ist eine Übertragungsleistung von 50 Megabit schon fang an jeden Haushalt, jeden Betrieb, jede Schule und heute bei weitem nicht ausreichend. jedes Rathaus mit Glasfaserkabeln ans schnelle Netz anbinden. Angesichts der finanziellen Begrenzungen Neben der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unse- können wir aber auf den Einsatz von Funklösungen zu- rer Wirtschaft ist der Breitbandausbau aber auch eine mindest im Übergang nicht verzichten, wenn wir die ge- Grundbedingung dafür, dass alle Menschen im Land an steckten Ziele bis 2018 erreichen wollen. der Wissens- und Informationsgesellschaft, am sozialen und am öffentlichen Leben und immer mehr übrigens Ich möchte als Abgeordnete eines ländlichen Raums auch an politischen Prozessen teilhaben können. Der deutlich sagen: Gerade bei uns im ländlichen Raum (B) (D) Staat – diese Überzeugung teilen sicher alle in diesem – das weiß jeder, der auf der Fahrt durch den Schwarz- Haus – ist dem Wohl seiner Bürger verpflichtet. Dazu wald schon einmal mobil telefoniert hat, selbstverständ- gehört auch die Daseinsvorsorge. Deshalb kümmern wir lich als Beifahrer – uns darum, dass auf gut ausgebauten Straßen überall im Land Menschen fahren können und Güter transportiert (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Aha! Keine werden können. Wir sorgen dafür, dass zu Hause und in Freisprecheinrichtung, Frau Kollegin?) der Fabrik das Licht brennt und dass morgens sauberes stoßen Funklösungen schnell an ihre natürlichen Gren- Wasser aus der Dusche kommt. Wir betreiben Bildungs- zen. Wenn in einem solchen Funknetz nicht nur ich, son- und Kultureinrichtungen überall im Land. Wenn Men- dern auch mein Nachbar größere Datenmengen laden schen krank sind, dann sorgen wir dafür, dass sie auch in und verarbeiten will, dann verkommt die versprochene der Fläche eine gute medizinische Versorgung vorfinden. hohe und stabile Übertragungsleistung schnell zur schö- (Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE nen Theorie. Deshalb müssen zu den Unterschieden zwi- LINKE]) schen vertraglich vereinbarter und tatsächlich zur Verfü- gung stehender Leistung bei Funklösungen klare, Ich bin vollkommen davon überzeugt: Aufgabe der transparente Informationen auf den Tisch. Daseinsvorsorge ist es ebenso, allen Menschen überall im Land eine gute und zukunftsfähige Netzinfrastruktur Langfristig muss in der ganzen Fläche des Landes der zu bieten. Ausbau des Glasfasernetzes vorangetrieben werden. Die vorbereitenden Arbeiten – das wissen wir –, insbeson- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dere der Tiefbau, machen hier 90 Prozent der Kosten der CDU/CSU) aus. Deswegen müssen die Arbeiten im Zuge einer Mit- Die digitale Spaltung in besser versorgte und weniger verlegungspflicht heute schon so ausgeführt werden, oder gar nicht breitbandversorgte Wohnorte und Unter- dass die Aufrüstung später erleichtert wird. nehmensstandorte muss überwunden werden. Jeder muss dieselben Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Teil- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Politik habe an Wirtschaft und Gesellschaft haben. Deshalb bin ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Vielerorts haben ich auch dankbar, dass dieser Antrag ein klares Bekennt- sich Kommunen – das wurde auch schon erwähnt – im nis zur Netzneutralität enthält. Sinne der angesprochenen Daseinsvorsorge auf den Weg gemacht. Sie gründen Zweckverbände – es war die Rede (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von Genossenschaften und anderen Zusammenschlüssen –, NEN]: Mit Einschränkungen!) um die Breitbandversorgung für ihre Bevölkerung und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4135

Saskia Esken (A) für die ansässige Wirtschaft zu verbessern. Insbesondere Vizepräsident Peter Hintze: (C) in der Fläche, Frau Kollegin, wenn Sie noch eine Sekunde stehen (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau da!) bleiben würden. – Sie hatten die Zeit leicht überzogen. Das hatten Sie schon selbst gemerkt, und deswegen ha- wo die Kosten pro Anschluss kaum refinanziert werden ben Sie einfach weitergesprochen, statt mir zuzuhören. können, müssen wir die Kommunen dabei unterstützen. Es gibt aber noch den Wunsch des Kollegen Behrens von der Linken, eine Frage zu stellen. Wenn Sie die noch Der bürokratische Aufwand für die Projektierung zulassen, haben Sie Gelegenheit, präzise und kurz darauf selbst – der Kollege hat es angesprochen –, aber auch für zu antworten. Mögen Sie sie zulassen? die Erlangung der unterschiedlichsten Fördermittel muss dabei vor allem für die Kommunen deutlich reduziert werden. Saskia Esken (SPD): Einen erfolgreichen und schnellen Breitbandausbau Ich lasse das zu. Bitte schön. werden wir nur auf den Weg bringen können, wenn auch die finanziellen Mittel dafür gewährleistet sind; der Punkt ist ebenfalls schon angesprochen worden. Basie- Vizepräsident Peter Hintze: rend auf einer eher konservativen Kostenaufstellung ha- Bitte schön. ben wir deutlich gemacht – da waren sich alle Fachpoli- tiker einig –, dass für den anvisierten Breitbandausbau, Herbert Behrens (DIE LINKE): den wir uns vorgenommen haben, pro Jahr mindestens Vielen Dank, Kollegin Esken, dass Sie das noch zu- 1 Milliarde Euro investiert werden müsste. Erwartet lassen! – Sie haben eben von Zeichen und auch von Geld wird jetzt, dass durch die Versteigerung von freiwerden- gesprochen. Nun habe ich in einer Antwort des Ministe- den Funkfrequenzen einmalig rund 1 Milliarde Euro riums erfahren, wie es denn um die Finanzierung und oder etwas mehr erzielt werden kann. Selbst wenn diese den Einstieg in den Ausbau der Netze steht. In der Ant- Einnahmen zu 100 Prozent in den Breitbandausbau gin- wort wird uns mitgeteilt: gen, wären wir von der notwendigen Bereitstellung von 1 Milliarde Euro pro Jahr weit entfernt. Ich möchte des- Von Bund und Ländern werden – unter Einbezie- halb hier deutlich sagen: Wenn wir die Potenziale, die hung der EU-Mittel – in den nächsten Jahren rund mit der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zwei Milliarden Euro für den Ausbau hochleis- verbunden sind, ausschöpfen wollen, wenn wir mit der tungsfähiger Breitbandnetze eingesetzt. internationalen Entwicklung Schritt halten wollen, dann muss der Bund bereit sein, künftige Haushaltsspielräume Ist das das Zeichen, von dem Sie sprechen, oder ist es (B) hierfür zu nutzen. schon das Geld, was zu erwarten ist? (D) (Beifall bei der SPD) (Martin Dörmann [SPD]: Das ist der bisherige Stand!) Die Koalition muss hier auch ein Zeichen setzen: In- vestitionen in die digitale Infrastruktur sind prioritär. Zur Nutzung der sogenannten Digitalen Dividende II müssen Saskia Esken (SPD): Bund und Länder zu einer guten gemeinsamen Strategie Ich denke, dass es ein guter Anfang ist. Das ist der zusammenfinden, um weitere Investitionsmittel für den bisherige Stand. Ich habe von einer gemeinsamen Breitbandausbau freizumachen. Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gesprochen. Ich denke, wenn wir uns zusammentun, Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutsch- können wir das auch leisten. land ist ein modernes und ein wohlhabendes Land. Chancengleichheit, Innovation und eine starke Wirt- Danke schön. schaft waren auf dem Weg dahin unsere Erfolgsmotoren, und das sollen sie auch bleiben. Um nicht einen Schritt (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zurück zu machen, sondern weiter nach vorn zu gehen, müssen wir uns für die Digitalisierung von Wirtschaft Vizepräsident Peter Hintze: und Gesellschaft starkmachen, also für den Ausbau der Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- Breitbandversorgung. ordneten Dr. Andreas Nick, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Jarzombek Vizepräsident Peter Hintze: [CDU/CSU]: Guter Mann!) Frau Kollegin – – Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Saskia Esken (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft dürfen den vor- uns als Netzpolitiker stehen die Chancen des Internets liegenden Antrag deshalb durchaus als Auftrag verste- im Vordergrund: das gesamte Wissen der Welt mit einem hen, Deutschland zu einem – wie heißt es so schön? – Mausklick überall verfügbar, zumindest theoretisch. modernen Land mit modernen Netzen zu machen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Bei aller Faszination, die von den ungeahnten Mög- lichkeiten im Netz ausgeht: Grundlegende Vorausset- (Beifall bei der SPD) zung für die Teilhabe an den Chancen der digitalen Ge- 4136 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. Andreas Nick (A) sellschaft ist und bleibt der physische Zugang zum (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (C) Internet selbst. Saskia Esken [SPD]) Breitband ist Standortfaktor Nummer eins. Das ergab Dazu müssen wir Rechtsunsicherheiten – Stichwort vor kurzem eine Umfrage für die Breitbandstudie 2014 „Störerhaftung“ – möglichst rasch beseitigen. des Verbands BREKO. Für mittelständische Unterneh- men und Selbstständige ist die Fähigkeit, vielfältige In- Es darf auch nicht vergessen werden, dass die not- formationen und große Datenmengen – von Verträgen wendige Festnetzinfrastruktur für Mobilfunk und bis hin zu komplexen technischen Zeichnungen – mit WLAN mit dazu beiträgt, Glasfaser immer näher an den Kunden und Partnern weltweit jederzeit rasch und ver- Endkunden heranzubringen. lässlich austauschen zu können, zu einem entscheiden- Für das Erreichen des Ziels bis 2018 kommt aber vor den Faktor in einem internationalen Wettbewerb gewor- allem der Ertüchtigung der bestehenden DSL-Infrastruk- den. tur durch sogenanntes Vectoring eine besondere Bedeu- Aber auch die Attraktivität einer Gemeinde als Wohn- tung zu. Allerdings kann Vectoring immer nur von ei- standort hängt inzwischen vom Internetzugang ab. Ohne nem einzelnen Netzbetreiber in einem Leitungsbündel Zugang zu schnellem Internet sind Orte nicht nur für eingesetzt werden, das heißt, der Betreiber benötigt die junge Familien als Wohnstandort unattraktiv, Einfami- Kontrolle über sämtliche Leitungen, die an dem jeweili- lienhäuser an derartigen Standorten erweisen sich daher gen Kabelverzweiger ankommen. zunehmend als praktisch unverkäuflich. Hier müssen wir durch wirksame Regulierung dafür Eine „digitale Spaltung“ unseres Landes können und sorgen, dass dies möglich ist, aber weiterhin auch dürfen wir uns nicht leisten. Es wäre doch geradezu ab- Wettbewerb sicherstellen, und zwar nicht nur den surd, wenn wir die mit dem Internet verbundenen Chan- Wettbewerb der Infrastrukturanbieter um die einzelnen cen zur Dezentralisierung vieler Funktionen und Aktivi- Kabelverzweiger – Stichwort „Vectoring-Liste“ der täten in ihr krasses Gegenteil verkehren würden. Wenn Bundesnetzagentur –, sondern darüber hinaus auch den die erforderliche Infrastruktur nur in den Ballungs- weiteren diskriminierungsfreien Wettbewerb unter- räumen verlässlich zur Verfügung stünde, wären die schiedlicher Leistungsanbieter auf dieser Infrastruktur. volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten ei- Wir brauchen nicht nur den Wettbewerb der Techno- ner solchen Fehlentwicklung auf Dauer immens. logien, sondern auch den Wettbewerb unterschiedlicher Deshalb brauchen wir ein modernes Netz für ein mo- Infrastruktur- und Dienstleistungsanbieter. Es wäre ein dernes Land, und zwar flächendeckend und so rasch wie gewaltiger Irrweg, zu glauben, mit einer weitgehenden (B) möglich. Natürlich wäre – jedenfalls nach heutigem Remonopolisierung, ob verdeckt oder offen, wäre der (D) Stand der Technik – ein flächendeckendes Glasfasernetz Netzausbau durch große nationale Anbieter effektiver zu das Idealziel. Das sollte es vor allem längerfristig auch erreichen. Das Gegenteil ist häufig der Fall. Es sind doch bleiben. Über den Investitionsbedarf von gut 90 Milliar- gerade die kleineren, alternativen Netzbetreiber, die für den Euro, der dafür notwendig wäre, ist schon gespro- einen deutschlandweiten Ausbau mit Highspeed-Internet chen worden. Zu erwähnen ist hier auch, dass die Zah- unentbehrlich sind. lungsbereitschaft der Verbraucher für den Mehrwert des (Beifall bei der CDU/CSU) schnellen Netzes nur eingeschränkt ausgeprägt ist. So haben sich zum Beispiel die alternativen Netz- Deswegen ist der flächendeckende Breitbandausbau betreiber des BREKO-Verbandes mit dem Start ihrer mit 50 MBit pro Sekunde bis 2018 ein richtiges und Glasfaseroffensive bei entsprechenden politischen und wichtiges Etappenziel, aber nur ein Etappenziel auf ei- regulatorischen Vorgaben dazu verpflichtet, bis zum Jahr nem Weg, der weiterführen muss. Dazu müssen wir 2018 bis zu 9,1 Milliarden Euro zu investieren und da- – das ist schon gesagt worden – in einem ersten Schritt mit bis zu 11,2 Millionen Anschlüsse – das sind nahezu auf einen breiten Technologiemix setzen. Kernstück ist 75 Prozent der Anschlüsse außerhalb der Ballungszen- natürlich der zielgerichtete Ausbau der Kabel- und tren – mit Bandbreiten bis zu 50 MBit pro Sekunde zu Glasfasernetze, ergänzt durch die Möglichkeiten, die die versorgen. moderne Mobilfunktechnologie mit LTE und Next Generation Mobile Networks, NGMN, bietet. Damit Ein typisches Beispiel für die Bedeutung alternativer können wir in bisher unversorgten Gebieten Lücken Anbieter findet sich in meinem ländlich geprägten Wahl- schließen, aber auch die Voraussetzung für die Nutzung kreis. Das ist bei vielen Kollegen ähnlich. Bei uns inves- zukünftiger mobiler Anwendungen schaffen. tiert derzeit die KEVAG Telekom als Tochter des regio- nalen Energieversorgers evm 18 Millionen Euro in die Mobiles Internet – vor wenigen Jahren kaum vorstell- Anbindung von mehr als 150 Ortsgemeinden durch bar – ist durch die rasante Verbreitung von Smartphones mehr als 250 Kilometer Glasfaserleitung. und Tablets, nicht nur in diesem Hause, bereits allgegen- wärtig. Aber 76 Prozent der Internetnutzungen mit Oftmals ist es ja gerade erst dieser Wettbewerb, ob mobilen Endgeräten erfolgen in festnetzgebundenen durch Kabelanbieter oder regionale Anbieter, der einen WLAN-Netzen. Auch deshalb brauchen wir in Deutsch- großen Player wie die Telekom dazu bringt, selbst aktiv land eine möglichst weitgehende Verfügbarkeit von all- zu werden, dann auf einmal auch in Regionen, die aus gemein zugänglichem WLAN, wie es bereits in vielen der Sicht eines großen Versorgers lange Zeit offenbar anderen Ländern Standard ist. keine Relevanz hatten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4137

Dr. Andreas Nick (A) Ein praktisches Beispiel dafür findet sich ebenfalls in – Ich kann dem Kollegen, der gesagt hat, dass Sie immer (C) meinem Wahlkreis. In der Verbandsgemeinde Monta- zwischenrufen und pessimistisch sind, nur zustimmen. baur errichtet die VGM-net, eine kommunal getragene Anstalt öffentlichen Rechts, derzeit für 2,3 Millionen Ich möchte den Menschen in ländlichen Regionen Euro ein Glasfasernetz, über das künftig 13 000 Einwoh- helfen. Ich möchte dafür auch einige Beispiele bringen. ner in 16 kleineren Gemeinden mit schnellem Internet Ich komme aus der Uckermark. Wer die Uckermark versorgt werden können. Das ist im Übrigen eine kom- nicht kennt: Sie liegt 90 Kilometer nördlich von Berlin. munale Eigeninitiative, die ohne Fördermittel des Lan- Diese Region hat erhebliche Probleme. Bei uns in der des Rheinland-Pfalz auskommt. Erst als das zunächst Uckermark verfügen nur 5 Prozent der Haushalte im noch deutlich größer angelegte Projekt bereits auf den ländlichen Raum über einen Breitbandzugang mit einer Weg gebracht war, erklärte sich die Telekom, nachdem Geschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde. Das zuvor jahrelange Gespräche vergeblich geblieben waren, heißt, 95 Prozent der Haushalte im ländlichen Raum plötzlich bereit, die Versorgung des Kerngebiets der können zum Beispiel gar nicht meine heutige erste Rede Stadt Montabaur selbst zu übernehmen. Wettbewerb über den Livestream des Bundestages miterleben. wirkt! (Zurufe von der SPD: Oh! – Gabriele Hiller- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ohm [SPD]: Das ist ja unglaublich!) Sören Bartol [SPD]) – Ja, das ist traurig; aber 95 Prozent der Haushalte kön- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und nen auch Ihre Reden nicht miterleben. – Kollegen, wir stehen in der Tat erst am Anfang des digi- (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der talen Zeitalters, das von rasanten Entwicklungen geprägt SPD – Martin Dörmann [SPD]: Alles hat seine ist: Smartphone, Tablet-PC, modernes Auto, Internet der zwei Seiten! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dinge, das alles wird unseren Alltag noch viel mehr Das ist gut! Da bleibt ihnen viel erspart!) durchdringen. In fast allen gesellschaftlichen Bereichen haben digitale Technologien bedeutenden Einfluss da- In 24 von 48 Gemeinden existiert gar kein schnelles In- rauf, wie wir leben und arbeiten. Ohne das Internet wä- ternet. ren die digitale Wirtschaft oder Industrie 4.0 nicht denk- Über Teilhabe und gleiche Wettbewerbsbedingungen bar. für urbane und ländliche Räume wurde heute schon viel Der Breitbandausbau und damit die Möglichkeit, am diskutiert. Ich möchte einen typischen Architekten zitie- schnellen Internet teilzuhaben, ist deshalb kein Selbst- ren – das Beispiel wurde schon genannt –, den es in der zweck. Er ist essenziell für die weitere wirtschaftliche Uckermark wirklich gibt. Er hat gesagt: Die Standort- (B) und gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands als ein vorteile, die die Uckermark aufweist – die Ruhe und die (D) modernes und zukunftsfähiges Land. Natur, die mir ein Ausleben der Kreativität ermöglichen, das ich für meinen Beruf wirklich brauche –, sind sehr Vielen Dank. gut, die Baukosten sind niedrig; aber leider kann ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht an den Standort kommen, weil ihr es nicht schafft, neten der SPD) eine Datenleitung bereitzustellen, über die ich mit mei- nen Partnern, die überall auf der Welt sind, über Video- konferenzen kommunizieren kann und meine architekto- Vizepräsident Peter Hintze: nischen Leistungen per Datenpaket an meine Partner Ich freue mich, dem Abgeordneten Stefan Zierke, weitergeben kann. – Das muss geändert werden, und das SPD-Fraktion, zu seiner ersten Rede im Deutschen Bun- wollen wir mit diesem Antrag bis 2018 ändern. destag das Wort zu geben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Wer mich kennt, der weiß, dass ich mit Herz und Blut BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Tourismuspolitiker bin. Im ländlichen Raum ist gerade der Tourismus einer der Wirtschaftsfaktoren, mit dem Stefan Zierke (SPD): man Defizite in anderen Wirtschaftszweigen, die mo- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen mentan nicht mehr ihre Blüte erreichen, auffangen kann und Herren! Wir reden heute über 40 Prozent der deut- und wirtschaftliche Potenziale heben kann. Was stört schen Bevölkerung, die nicht am Internet teilhaben kön- aber momentan die Entwicklung des Tourismus im länd- nen. Wir reden nicht über die 60 Prozent, die sich aussu- lichen Raum? – Es ist der fehlende Zugang zum Internet. chen können, mit wem sie denn ins Internet gehen. Liebe Es geht nicht nur darum, dass die Hoteliers ihre Ange- Kollegen von der Linksfraktion und von der Fraktion der bote im Internet weltweit präsentieren wollen, sondern Grünen, helfen Sie doch diesen 40 Prozent der auch darum – das ist der umgekehrte Fall –, dass diejeni- Deutschen, damit auch sie 2018 Internetzugänge haben gen Gäste, die sich ihre Reisen zum größten Teil im In- können, und unterstützen Sie die Daseinsvorsorge der ternet aussuchen – es sind 60 Prozent –, nur die Reisen Regionen vor Ort. finden, die dort zu finden sind. Im Internet findet man nicht so viele Angebote zu Reisen in den ländlichen (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Raum, obwohl die Leistungsfähigkeit der dortigen Tou- NEN]: Dafür kämpfen wir schon die ganze rismusbranche groß ist. Der fehlende Zugang zu schnel- Zeit!) lem Internet ist ein großer Nachteil. Ich hoffe, dass wir 4138 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Stefan Zierke (A) diesen Nachteil mit dem Antrag ausmerzen und damit und sind sicher, dass er in Zukunft die Redezeit ord- (C) dem Tourismus im ländlichen Raum einen Wachstums- nungsgemäß einhalten wird. Sie können das dann wieder schub geben können. abarbeiten. Herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ih- nen weitere interessante Debatten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Thomas Jarzombek, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Ich bin im Verkehrsausschuss, und Verkehre im länd- lichen Raum interessieren mich. Ich habe festgestellt (Beifall bei der CDU/CSU) – da kann man ruhig die Berliner als Beispiel nehmen –, dass sich die Berliner sehr gut in ihrem S-Bahn-Netz Thomas Jarzombek (CDU/CSU): auskennen; sobald sie aber in den ländlichen Raum ge- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- hen und nicht mehr gesicherten Zugriff auf eine Rei- gen! Auch von mir herzlichen Glückwunsch zu dieser sekette verschiedener Verkehrsträger haben, fällt es den Jungfernrede, Herr Kollege. Sie hat eindrucksvoll ge- Berlinern sehr schwer, den Nahverkehr zu nutzen. Ein zeigt, wie wichtig eine gute Breitbandinfrastruktur ist. Internetzugang und eine flächendeckende Funkverbin- Im Übrigen habe ich heute auch gelernt, dass der Berli- dung für Mobiltelefone erleichtern es den Gästen erheb- ner den Mut haben soll, einmal ins Umland zu fahren. lich, die verschiedenen Verkehrsträger zu nutzen, die Das war ein starkes Plädoyer. aufeinander abgestimmt sind. Sie erhalten einen viel besseren Zugang zum öffentlichen Nah- und Fernver- (Heiterkeit der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/ kehr, wenn sie sich mithilfe ihres Smartphones und des CSU] – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Sagt Internets ihre Reiseketten zusammenstellen können und der Düsseldorfer!) damit viel sicherer zum Ziel, zur Destination, zum ge- – Sagt der Düsseldorfer, ganz genau. Sie werden es nicht buchten Haus kommen. Das ist Fortschritt. Ich denke, glauben: Ich war in meinem Leben sogar schon mal in die Regionen brauchen diesen wirtschaftlichen Fort- Köln. Es geht nichts über interkulturellen Austausch. schritt. Nach all den Beiträgen, die wir heute zum Thema (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Breitbandausbau gehört haben, ist mir wichtig, festzu- halten: Wir sind viel besser, als es in manchen Reden Das erreichen wir nur mit unserem Antrag, mit dem wir klingt. Das möchte ich anhand eindrucksvoller Zahlen bis 2018 einen flächendeckenden schnellen Internetzu- belegen. gang schaffen wollen. Hier wird oft nur über die Kabel geredet. Aber das, (B) Ich habe noch zwei Sekunden Redezeit, muss aber worauf es ankommt, ist doch: Wie viele Menschen nut- (D) einfach noch ein paar Worte zur Bildung loswerden; als zen die Dienste? Sozialdemokrat muss man die Bildung ansprechen. Ent- schuldigen Sie die Überziehung! – Schüler, die in meiner (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Genau!) Heimatstadt Prenzlau auf das Gymnasium gehen, erhal- Noch vor rund fünf Jahren, im Jahr 2008, haben ledig- ten vom Lehrer die Aufgabe, im Internet zu recherchie- lich 55 Prozent der deutschen Haushalte tatsächlich ei- ren. Alle, die in Prenzlau wohnen, sagen: Kein Thema; nen Breitbandanschluss gehabt. Laut Eurostat ist dieser ich bin in einer halben Stunde zu Hause und recher- Anteil in den letzten Jahren von 55 Prozent auf 85 Pro- chiere. – Diejenigen, die aus dem ländlichen Raum kom- zent gestiegen. Es ist ein großer Erfolg der Politik der men und nach der Schule noch eine Dreiviertelstunde letzten Jahre, lang in ihr Dorf fahren müssen, fragen sich: Wie soll ich im Internet recherchieren? Meine Heimat ist ja gar nicht (Martin Dörmann [SPD]: Da haben wir unsere angebunden. – Das heißt, sie haben schon bei der Aufga- Zweifel!) benstellung den Stress und fragen sich: Wo komme ich wie ins Internet, um diese Aufgabe zu lösen? dass wir in Deutschland mittlerweile eine so hohe Ver- fügbarkeit und auch Nutzung von Breitbandanschlüssen Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, bitte unterstützen haben. Damit liegen wir immerhin auf Platz vier, nur Sie alle diesen Antrag, damit unsere Schülerinnen und drei Punkte hinter dem Spitzenreiter Finnland. Ich glaube, Schüler im gesamten ländlichen Raum die Möglichkeit das kann sich sehen lassen. haben, Bildungsangebote wirklich wahrzunehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank. Wir müssen, wenn wir sehr detailliert beschreiben, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie wie wir unsere Ziele beim Breitbandausbau erreichen des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE wollen, auch an die Nutzung denken; das ist für mich ein GRÜNEN]) wichtiger Punkt, der nicht vergessen werden darf. Ich persönlich finde es, ehrlich gesagt, absolut unbefriedi- gend, dass im Jahr 2014 in der Schule das Thema Me- Vizepräsident Peter Hintze: dien immer noch stiefmütterlich behandelt wird. Wir gratulieren dem Kollegen Stefan Zierke zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Beifall) NEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4139

Thomas Jarzombek (A) Wir müssen uns wirklich dafür einsetzen, dass die Chan- beim Thema Mobile zu setzen. Ich glaube, dass die mo- (C) cen, die das Internet auch im Bereich Bildung bietet, er- bile Anwendung in Zukunft noch viel wichtiger sein kannt und nutzbar gemacht werden. Wir reden viel zu wird als die kabelgebundene. viel über Risiken. Lassen Sie mich ein konkretes Bei- Mein Plädoyer geht hier deutlich an die Länder und spiel nennen. insbesondere an die Intendanten der Rundfunkanstalten. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat ei- Ich persönlich finde das Vorgehen beim Thema terrestri- nen Erlass herausgegeben, der jeden Schüler ab der sches Fernsehen total unambitioniert. Das sage ich ein- zehnten Klasse dazu verpflichtet, sich einen Grafikta- fach einmal in voller Härte. Ich war vor einigen Tagen schenrechner für 85 Euro zu kaufen. In meinem Wahl- mit einem alten Freund in einer Kneipe und habe dort kreis gibt es mehrere Schulen, die sagen: Da können wir ein WM-Spiel angeguckt. Der Fernseher war mit doch eigentlich gleich ein Tablet anschaffen; das kostet DVB-T angebunden. Wir hatten Schwierigkeiten, über- nicht viel mehr, aber man kann viel mehr damit machen, haupt die Spielzeit abzulesen. Da fragte einer: Was für zum Beispiel auf Wikipedia zugreifen oder ausländische ein komisches System habt ihr da? Wir können nicht ein- Zeitungen lesen etc. Die NRW-Landesregierung sagt: mal sehen, in welcher Minute gerade gespielt wird. Nein, das dürft ihr nicht, ihr müsst diesen Grafiktaschen- Das ist doch nicht mehr der Standard für terrestrisches rechner kaufen, und keiner darf vom Plan abweichen. – Fernsehen im Jahr 2014. Wenn die ARD erklärt, dass Da unser Koalitionspartner eventuell bessere Drähte man den Umstieg auf hochauflösendes Antennenfernse- nach Nordrhein-Westfalen hat, wünschen wir uns von hen erst in fünf Jahren schafft, finde ich das unambitio- ihm, dass er hier aktiv wird; denn da gibt es noch Luft niert. Ich wünsche mir das früher, zur Europameister- für Verbesserungen. schaft 2016. Wenn RTL das kann, werden doch die (Beifall bei der CDU/CSU) Öffentlich-Rechtlichen das mit unseren ganzen Gebüh- ren erst recht hinbekommen können! Zum Thema „Internet und seine Entwicklung“. Wir diskutieren darüber, ob 50 Megabit pro Sekunde eigent- (Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner lich ein ambitioniertes Ziel oder ein realistisches Ziel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beitrag!) sind. Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Zahl nennen. Die erste mobile Internetnutzung über paketver- Wichtig ist aber nicht nur die Frage des Mobilfunk- mittelte Netzwerke gab es im Jahr 2000 mit 38 Kilobit internets, sondern auch die Frage des drahtlosen Inter- pro Sekunde; das hat übrigens sogar für den DB-Naviga- nets über WLAN. Auch hier behandelt der Antrag einen tor gereicht, aber für viel mehr auch nicht. Punkt aus unserer Koalitionsvereinbarung. Ich glaube, es ist wichtig, hier schnell nachzulegen. Das jetzige Recht, (Lachen der Abg. Tabea Rößner [BÜND- dass man als Provider seine Kunden gar nicht mehr ge- (B) (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]) nau identifizieren muss – durch Richterrecht entstan- den –, man aber als Betreiber eines Restaurants oder ei- Zehn Jahre später war man schon bei 3,6 Megabit pro nes Cafés oder eines Hotels genau festlegen muss, wer Sekunde. Wir sehen, dass sich die Datenmengen in die- der Nutzer gewesen ist, finde ich nicht fair, insbesondere sem Zeitraum um den Faktor 100, in anderen Bereichen den Kleinen gegenüber nicht. Beim Thema WLAN müs- sogar um den Faktor bis zu 1 000 erhöht haben. sen wir den Koalitionsvertrag sehr schnell erfüllen und So wird es weitergehen. Weitere Anwendungen wer- die Haftungsvoraussetzungen so verändern, dass auch in den folgen. Es wird immer wieder von Unternehmen be- Deutschland ein WLAN-Anschluss flächendeckend und richtet, die im ländlichen Raum Probleme haben. Ich problemlos möglich wird. höre vielmehr von Bürgermeistern, die sich darüber Sor- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zu- gen machen, wie sie Anreize schaffen könnten, damit ruf von der LINKEN: Sehr schön!) sich Familien mit kleinen Kindern ansiedeln; denn heut- zutage ist es so: Wenn kein YouTube in HD zur Verfü- Vorhin ist verschiedentlich das Thema Netzneutralität gung steht, dann ist der Familienfrieden in ernsthafter beleuchtet worden. Auch dazu möchte ich gern etwas sa- Gefahr. gen, zumal das Europäische Parlament dazu gerade Be- schlüsse gefasst hat. Bei der Netzneutralität ist aus unser (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aller Sicht wichtig, dass niemand diskriminiert wird, NEN]: Nicht für Kleinkinder! Für die Jugend- dass alle die gleichen Zugangschancen bekommen und lichen!) dass dem Endkunden nicht einfach irgendwelche – Für die Jugendlichen. – Dieses Problem darf man nicht Dienste abgedreht werden, dass es nicht zu einem Inter- zu gering ansehen. net der Deals kommt. Das alles haben wir im Koalitions- vertrag festgelegt. Sie können es nachlesen. Wir haben Es ist wichtig, auf mobile Lösungen zu setzen. Das es auch in unserem Antrag genau so geschrieben. zeigt gerade das Thema Automobil, worüber hier viel diskutiert wird. Wenn das autonome Auto seine gesamte Ich finde auch wichtig, dass man beim Thema Netz- wundervolle Funktionalität im Ballungsgebiet, im städti- neutralität den Blick auf die Innovationen richtet; denn schen Raum entfalten kann, der Fahrer aber im ländli- am Ende – glaube ich – müssen wir hier Regelungen chen Raum selbst die Kontrolle übernehmen muss, weil, treffen, die Innovationen ermöglichen. Wir sind uns da- zum Beispiel, wenn man nach Brandenburg fährt, die bei alle einig, dass bestimmte Maßnahmen zum Netz- Netze nicht funktionieren, dann ist das ein zentrales Pro- werkmanagement einfach schon deshalb wichtig sind, blem. Deshalb ist es sehr wichtig, einen Schwerpunkt weil man Dienste wie beispielsweise E-Health anbieten 4140 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Thomas Jarzombek (A) kann. Wir haben aber auch gesehen, dass es Dienste wie Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel (C) zum Beispiel IP-TV gibt – von der Deutschen Telekom machen mittlerweile schon mit erheblichem Marktvolumen –, Drucksache 18/1874 aber auch Dienste, mit denen man Musikstreaming auf dem Mobiltelefon realisieren kann, und zwar, indem Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) man dafür im Monat 10 Euro mehr bezahlt und für diese Ausschuss für Wirtschaft und Energie Art von Diensten aus der Volumenbeschränkung heraus- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kommt. Ich wünsche mir nicht, dass das für alle Anbieter gelten muss. Aber das sind Innovationen, die wir nicht b) Zweite und dritte Beratung des von den Abge- kaputtmachen dürfen. Solche Innovationen müssen mei- ordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, ner persönlichen Meinung nach auch in Zukunft möglich Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der sein. Deshalb darf man den Innovationsaspekt nicht ver- Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei- nachlässigen. nes Gesetzes zur Abschaffung der sachgrund- losen Befristung Zum Thema Volumenbeschränkung. Die Kollegin Wawzyniak hat leider vorhin hier am Rednerpult meine Drucksache 18/7 Frage nicht angenommen. Wenn man von Volumenbe- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schränkungen beim Mobilfunk spricht, muss man fest- schusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) stellen: Das ist etwas, was es früher auch im Festnetz gegeben hat. Mein erster DSL-Anschluss hatte ein Volu- Drucksache 18/879 men von 5 Gigabyte. Das erschien einem damals als die Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke wer- Welt; heute ist es nicht mehr so viel. Insofern ist es ein- den wir später namentlich abstimmen. fach der technischen Restriktion geschuldet. Ich bin mir sicher, beim Mobilfunk wird sich das ähnlich wie beim Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Festnetz entwickeln. Das ist sicherlich keine der Fragen, die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei- die wir im Zusammenhang mit dem Punkt Netzneutrali- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. tät lösen müssen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin er- Meine Damen und Herren, ich bedanke mich dafür, teile ich das Wort der Abgeordneten Jutta Krellmann, dass wir dieses komplexe Antragswerk hinbekommen Fraktion Die Linke. haben, und zwar nicht nur bei meinen eigenen Kollegen, (Beifall bei der LINKEN) bei Uli Lange, bei der Bundesregierung, bei Doro Bär, (B) die mit der Netzallianz einen ganz hervorragenden Job Jutta Krellmann (DIE LINKE): (D) macht, sondern auch bei unserem Koalitionspartner. Ich Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- habe gestaunt, wie oft ich einem Sozialdemokraten zu- nen und Kollegen! Liebe Gäste, insbesondere aus Ha- stimmen musste, wenn Martin Dörmann gesprochen hat. meln! Wir haben heute Morgen über das Gesetz zur Stär- Dafür danke ich dir vielmals. kung der Tarifautonomie diskutiert. Ein ganz wichtiger (Heiterkeit bei der SPD – Tabea Rößner Teil hat aus unserer Sicht dabei gefehlt, und zwar die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So kann sich Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen. das ändern!) (Beifall bei der LINKEN) Insofern bin ich überzeugt: Wir werden etwas Gutes zu- Seit dem 1. Mai 1985 haben die Arbeitgeber mit dem wege bringen. Beschäftigungsförderungsgesetz die Möglichkeit, Ar- Vielen Dank. beitsverhältnisse ohne Angabe von Gründen zu befris- ten. Die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – hat sich seitdem verdoppelt. Jede zweite Neueinstellung Martin Dörmann [SPD]: Das rahme ich mir erfolgt sachgrundlos befristet. Von den sachgrundlosen jetzt ein!) Befristungen hat sich Schwarz-Gelb damals große be- schäftigungspolitische Effekte erhofft. Wie zu erwarten Vizepräsident Peter Hintze: war, sind diese nicht eingetreten. Stattdessen sind immer Ich schließe die Aussprache. mehr unbefristete Arbeitsverhältnisse durch befristete ersetzt worden. Das ist ein Drehtüreffekt nach unten. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1973 an die in der Tagesordnung aufge- Sachgrundlose Befristungen haben in Deutschland führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Hochkonjunktur. Die Arbeitgeber begründen ihre Vor- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung liebe für Befristungen mit Sätzen wie diesen: Was denn? so beschlossen. Wir machen das doch nur, weil es gesetzlich erlaubt ist. Wir machen das doch nur, weil wir es machen dürfen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: Was wollen eigentlich die Beschäftigten? Knapp a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta 90 Prozent ist ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wich- Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, tig. Das zeigt eine Umfrage der IG Metall aus dem letz- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE ten Jahr unter Beschäftigten. Im Grunde fordern alle Ge- LINKE werkschaften die Abschaffung der sachgrundlosen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4141

Jutta Krellmann (A) Befristungen. Wir finden das gut und laden die Gewerk- gramm. Jetzt schweigen Sie und hoffen, dass es keinem (C) schaften ein, mit uns gemeinsam dafür zu kämpfen. auffällt. Aber nicht mit uns! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich ein paar Sätze zu den Folgen von Be- Meine Fraktion und ich werden dafür sorgen, dass das fristungen für die Beschäftigten sagen. Hier gibt es zwei Thema Befristung weiterhin präsent bleibt. Ich kämpfe große Probleme: Die Arbeitsschutzgesetze werden nicht umsonst seit 1985 gegen befristete Arbeitsverhält- ausgehöhlt, und die Qualität der Arbeit leidet. Eine nisse. Wir werden so lange nicht locker lassen, bis das Befristung führt praktisch zu einer Ausweitung der unbefristete Arbeitsverhältnis in Deutschland wieder zur gesetzlichen Probezeit. Darüber hinaus können die Un- Regel wird. ternehmen unliebsame Beschäftigte, beispielsweise kri- Vielen Dank. tische Betriebsräte, werdende Mütter und Menschen mit Behinderungen, einfacher loswerden als in anderen Fäl- (Beifall bei der LINKEN) len. Aber auch eine Krankmeldung kann im Zweifel Vizepräsident Peter Hintze: schon zu einem Problem werden. Das zeigt das Beispiel Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- einer befristet Beschäftigten bei der Deutschen Post. Die ordneten Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion. Kollegin hatte über einen Zeitraum von 17 Jahren – ich (Beifall bei der CDU/CSU) wiederhole: 17 Jahre – mehr als 80 Arbeitsverträge, um ihren Job zu behalten. Das allein ist schon ein Unding. Wilfried Oellers (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Weil sie Anfang des Jahres krankheitsbedingt ausgefal- Herren! Wir beraten heute zwei Vorlagen der Fraktion len ist, wurde ihr Vertrag nicht weiter verlängert. Das Die Linke zur Befristung von Arbeitsverhältnissen nach zeigt: Wer für den Arbeitgeber unbequem ist oder seine dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. In Ihrem Gesetz- Rechte einfordert, läuft Gefahr, nach Ablauf der Befris- entwurf geht es um die Abschaffung der sachgrundlosen tung nicht weiterbeschäftigt zu werden. Nur durch mas- Befristung. Ihr Antrag trägt den Titel „Das unbefristete siven Druck ist es gelungen, zu erreichen, dass diese Arbeitsverhältnis zur Regel machen“. Frau einen unbefristeten Vertrag bekommen hat. Das ist eine unglaubliche Geschichte. So etwas darf es einfach (Beifall bei der LINKEN) nicht geben. (B) – Ich habe Sie zunächst einmal nur zitiert. (D) (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, Birkwald [DIE LINKE]: Wenn das kein Skan- eben! Richtig so! – Heiterkeit bei der LIN- dal ist, was denn dann?) KEN) Auch für die Qualität der Arbeit ist es entscheidend, Zunächst sei dazu Folgendes erwähnt: Als Neuling ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht; denn wer hier im Hause war ich im Rahmen des Verfahrens schon befristet beschäftigt ist, hat Angst vor dem Verlust seiner überrascht, Ihren Gesetzentwurf zur Abschaffung der Arbeit und hält deswegen lieber die Klappe. Wer befris- sachgrundlosen Befristung zu lesen. Grund hierfür war, tet beschäftigt ist, wehrt sich nicht gegen Ungerechtig- dass dieses Thema hier bereits in der letzten Legislatur- keit und beteiligt sich auch nicht an so etwas wie Warn- periode – es war im Jahre 2010 – beraten worden ist. streiks oder Streiks im Betrieb; das ist der Zusammenhang zum Gesetz zur Stärkung der Tarifauto- (Michael Schlecht [DIE LINKE]: Man muss nomie. Nur so kann man auch die Tarifautonomie stär- das doch wiederholen!) ken. Interessant war in diesem Zusammenhang, zu erfahren, (Beifall bei der LINKEN) dass Sie nun den gleichen Gesetzentwurf einbringen, den in der letzten Wahlperiode die SPD-Fraktion einge- Wer befristet beschäftigt ist, kann deshalb nie seine bracht hat. Rechte als Beschäftigter in vollem Umfang wahrneh- men. Das darf es aus unserer Sicht in Deutschland nicht (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber er ist ja länger geben. Besonders schlimm finde ich, dass viele nicht falsch, nur weil er schon mal eingebracht junge Menschen davon betroffen sind. Jeder zweite Be- wurde!) rufseinsteiger wird heute nur noch befristet eingestellt. Ihr Gesetzentwurf datiert vom 23. Oktober 2013; das Das erschwert nicht nur die berufliche Lebensperspek- war unmittelbar nach der Konstituierung des 18. Deut- tive, sondern auch die Lebensplanung für die Zukunft. schen Bundestages, als die Koalitionsverhandlungen Dass die Große Koalition dies nicht anerkennt, zeigt, wie stattfanden. Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass unwichtig ihr diese Generation praktisch ist, Fachkräfte- Sie die SPD-Fraktion vorführen wollen und nicht an ei- mangel hin oder her. Dabei war gerade die SPD auf dem ner sachlichen Diskussion interessiert sind. richtigen Weg. Wir alle erinnern uns: Noch vor neun Monaten war auch die SPD für die Abschaffung sach- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und grundloser Befristungen. Das stand in ihrem Wahlpro- der SPD) 4142 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Wilfried Oellers (A) Für mich ist das schlicht und ergreifend eine Sauerei. Es muss uns doch ein Anliegen sein, Menschen in Be- (C) Das muss an dieser Stelle einmal deutlich gesagt wer- schäftigung zu bekommen. Ob das befristet oder unbe- den. fristet ist, sollte in meinen Augen zunächst einmal egal sein, da es besser ist, zunächst einmal befristet als gar (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht beschäftigt zu sein. Wir wissen, dass die Menschen neten der SPD – Widerspruch bei der LIN- mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen auch eine KEN) Beschäftigung haben. Das wüssten wir nicht – und wir Zudem sind Ihre Vorlagen in sich widersprüchlich können uns auch kein Urteil darüber erlauben, ob das so und unschlüssig. Das stellt man fest, wenn man sich die wäre –, wenn es diese Möglichkeit nicht gäbe. Zahlen und Fakten genau anschaut. In Ihrem Antrag Wenn man die positive Entwicklung bei den Übernah- schreiben Sie, dass Sie unbefristete Arbeitsverhältnisse mequoten sieht, die ich eben erwähnt habe, dann erkennt zur Regel machen wollen. Wenn man sich die Zahlen ge- man, dass es keine schlechte Aussicht ist, zunächst ein nau anschaut, stellt man jedoch fest: Dies ist bereits der befristetes Arbeitsverhältnis aufzunehmen. Dabei ist Fall, auch nach dem derzeitigen Teilzeit- und Befris- ausdrücklich zu betonen, dass eine sachgrundlose Be- tungsgesetz. Seit 2006 liegt der Anteil der befristeten fristung, wie sie angesprochen worden ist, nur für zwei Arbeitsverhältnisse in Deutschland gleichbleibend bei Jahre erfolgen kann. Ihr Beispiel wäre sicherlich einmal unter 9 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss, dass juristisch zu überprüfen. Ob das nicht geschehen ist, 91 Prozent der Arbeitsverhältnisse unbefristeter Natur kann ich nicht beurteilen. Rein rechtlich kann dies aber sind. nur für zwei Jahre erfolgen. Sicherlich ist mir in diesem (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Zusammenhang natürlich auch die Rechtsprechung des GRÜNEN]: Entscheidend sind doch die Zah- Bundesarbeitsgerichts bekannt. Diese Rechtsprechung len für die neu zu besetzenden Jobs!) des höchsten Arbeitsgerichts in Deutschland sollte man hier im Hause auch einmal akzeptieren. Damit ist das unbefristete Arbeitsverhältnis bereits die Regel und nicht die Ausnahme, wie von Ihrer Seite hier Zudem sei erwähnt, dass eine Befristung mit Sach- fälschlicherweise vorgetragen wird. grund ohne zeitliche Begrenzung vorgenommen werden kann. Wenn Sie also Ihr Ansinnen konsequent fortsetzen würden, dann müssten Sie die vollständige Aufhebung Vizepräsident Peter Hintze: des § 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz verlangen. Das Herr Kollege, es gibt eine Flut von Wünschen nach tun Sie hier nicht, und daher ist Ihr Antrag in sich schon einer Zwischenfrage; nein, es sind nur zwei. Der Herr einmal unschlüssig. Kollege Ernst und die Frau Kollegin Krellmann wollen (B) eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie zulassen, Die Befristungsmöglichkeiten nach § 14 Teilzeit- und (D) oder wollen Sie weitersprechen? Befristungsgesetz sollten so bestehen bleiben, wie sie sind, da sie sich als arbeitsmarktpolitisches Instrument absolut bewährt haben. Wir müssen schon schauen, dass Wilfried Oellers (CDU/CSU): wir den Unternehmen auch flexible Instrumente an die Nein, ich möchte sie nicht zulassen. Das muss sich Hand geben, um auf besondere wirtschaftliche Situatio- die Fraktion Die Linke jetzt einmal anhören. nen reagieren zu können, wie zum Beispiel bei Auftrags- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Machen spitzen. wir!) Ich betone noch einmal, dass fast 40 Prozent der be- Ich habe gerade gesagt, dass 91 Prozent der Arbeits- fristeten neuen Arbeitsverhältnisse in ein unbefristetes verhältnisse unbefristeter Natur sind. Das ist ein eindeu- Arbeitsverhältnis umgewandelt werden. Von Missbrauch tig positives Signal für Deutschland und vor allen Din- kann hier keine Rede sein, gen auch für das Teilzeit- und Befristungsgesetz. (Beifall bei der CDU/CSU) Daneben ist die Zahl der befristeten Neueinstellungen seit 2011 von seinerzeit etwas unter 1 Million auf nun- zumal es die meisten befristeten Arbeitsverhältnisse im mehr etwas unter 900 000 gesunken. Relativ gesehen ist öffentlichen Sektor und nicht in der freien Wirtschaft die Zahl der befristeten Neueinstellungen sogar bereits – ich denke, Ihr Vorwurf zielt in diese Richtung – gibt. seit 2009 von 47 auf 42 Prozent zurückgegangen. Von (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Hört! Hört!) einem Missbrauch der befristeten Arbeitsverhältnisse kann daher nicht die Rede sein. Das müsste doch auch Sie von der Fraktion Die Linke überzeugen. Weiter kommt das IAB auch zu dem eindeutigen Er- gebnis, dass sachgrundlose Befristungen häufig das (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Nein!) Sprungbrett in eine unbefristete Beschäftigung bzw. in Insgesamt ist zu bewerten, dass sämtliche Zahlen und ein unbefristetes Arbeitsverhältnis sind. Die Übernah- auch Feststellungen des IAB gegen Ihren Antrag spre- mequote ist von 30 Prozent im Jahre 2009 auf derzeit chen. Dieser neutralen Einrichtung sollten Sie einmal 39 Prozent gestiegen. Das ist eine absolut positive Ent- Glauben schenken, meine Damen und Herren der Frak- wicklung, und diese sollten wir nicht durch eine Ände- tion Die Linke. rung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes aufhalten. Im Übrigen erlaube ich mir, auf den Inhalt des Proto- (Beifall bei der CDU/CSU) kolls aus dem Jahre 2010 zu diesem Thema zu verwei- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4143

Wilfried Oellers (A) sen, um die Diskussion hier nicht unnötig in die Länge Vizepräsident Peter Hintze: (C) zu ziehen. Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- ordneten Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grü- In der Hoffnung, dass wir nun nicht jedes Jahr über nen. solche Gesetzentwürfe und Anträge zu debattieren ha- ben, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Vizepräsident Peter Hintze: nen und Kollegen! Flexibilität erfordert Anpassungsfä- higkeit. Die Beschäftigten in Deutschland sind in den Zu einer Kurzintervention hat sich der Abgeordnete vergangenen Jahren äußerst anpassungsfähig geworden. Klaus Ernst, Fraktion Die Linke, gemeldet. Unter dem Dogma der Flexibilisierung nehmen sie stän- dig wechselnde Arbeitszeiten in Kauf. Sie verleihen ihre Klaus Ernst (DIE LINKE): Arbeitskraft. Vor allem arbeiten sie aber immer häufiger Lieber Kollege Oellers, der Vorwurf, wir wollten die auf Zeit, also befristet. Ja, Flexibilität ist notwendig, aber SPD vorführen, ist nun wirklich Quatsch. Ich kann Ihnen sozialverträglich. Deshalb sehen auch wir Reformbedarf. nur sagen, dass ich mich als ehemaliger Sozialdemokrat Deshalb wollen auch wir die sachgrundlose Befristung – 30 Jahre lang! – zusammen mit meiner damaligen Par- abschaffen. tei immer dafür eingesetzt habe, dass Menschen ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN planbares Leben haben. Planbar heißt: Sie müssen wis- und bei der LINKEN) sen, ob sie in einem Betrieb beschäftigt werden, und zwar nicht nur für ein halbes Jahr, für ein Jahr oder für Befristungen waren eigentlich als Brücke in dauer- zwei Jahre, sondern für länger. Sie müssen ein planbares hafte Beschäftigung gedacht, aber das funktioniert zu Leben haben. Dieses Argument haben Sie überhaupt wenig. Befristungen führen die Beschäftigten stattdessen nicht beachtet. häufig in eine Sackgasse. Von Qualifizierungsmaßnah- men und Karrieremöglichkeiten in einem Betrieb sind Wir reden darüber, dass junge Menschen eine Familie sie per se ausgeschlossen. Sie verdienen weniger und ha- gründen und dass sie sich am Anfang möglicherweise ben häufiger Phasen der Erwerbslosigkeit. Alles zusam- verschulden sollen, weil sie wenig verdienen. Auch men führt zwangsläufig zu Problemen bei der Alters- 8,50 Euro ist nicht gerade der Renner. Gleichzeitig ver- sicherung. Nehmen Sie, die Regierungsfraktionen, das wehren wir den jungen Menschen eine planbare Per- endlich zur Kenntnis. (B) spektive, um ihr Arbeitsleben zu gestalten. Ich halte es (D) für sehr bedauerlich, dass Sie sich diesem Problem über- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haupt nicht zuwenden, sondern bei dem bleiben, was Sie und bei der LINKEN) bisher vertreten haben. Fast 3 Millionen Menschen hatten im letzten Jahr ei- Ein zweiter Punkt. Wir haben heute Vormittag über nen befristeten Job. Das sind zu viele! Manche von ih- die Stärkung der Tarifautonomie gesprochen. Dieses An- nen arbeiten sogar jahrelang befristet, wie etwa die Post- liegen wollen Sie gemeinsam mit der Koalition verfol- botin, die vor kurzem der Öffentlichkeit bekannt wurde, gen. Glauben Sie, dass Sie die Tarifautonomie stärken, weil ihr Vertrag 17 Jahre lang immer wieder befristet wenn Sie zulassen, dass Menschen für zwei Jahre ohne wurde: 88 Mal insgesamt! Das ist unglaublich. Das eine Perspektive auf eine feste Anstellung beschäftigt zeigt: Manche Arbeitgeber missbrauchen die Befris- werden? Was glauben Sie, was diese Menschen ohne tungsmöglichkeiten in unverantwortlicher Weise. Das ist feste Anstellung machen, wenn es zur Stärkung der Ta- nicht akzeptabel. rifautonomie erforderlich wird, dass einer der beiden Ta- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rifpartner für seine Sache streikt? Glauben Sie, dass sich und bei der LINKEN) jemand, der befristet beschäftigt ist, an einem solchen Streik beteiligt, wenn er damit rechnen muss, gekündigt Fast die Hälfte aller Befristungen hat keinen sachli- zu werden? Glauben Sie, dass sich dieser Mensch wehrt, chen Grund. Betroffen sind insbesondere Jugendliche wenn es um unbezahlte Überstunden oder um die Nicht- und junge Erwachsene. Eine aktuelle Untersuchung des einhaltung des Tarifvertrages geht? Nein! Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt eindeutig zu dem Ergebnis: Die erste Phase des Erwerbs- In meiner Region erlebe ich es immer wieder, dass lebens für junge Menschen ist heute instabiler und unsi- Menschen aus einem Betrieb herausfliegen, sie im cherer als noch vor einigen Jahren. Befristete Arbeits- nächsten Betrieb wieder mit einem befristeten Arbeits- verträge erschweren die Lebens- und Familienplanung. vertrag eingestellt werden und sie nach zwei Jahren wie- Die beruflichen Perspektiven sind unsicher, und Brüche der in den ersten oder einen anderen Betrieb kommen, in den Erwerbsbiografien sind vorgezeichnet. Vor dem und zwar wieder mit einer befristeten Anstellung. Viele Hintergrund des Fachkräftemangels ist das unverant- Menschen haben jahrelang nur befristete Jobs. Wenn das wortlich. Aber vor allem für die jungen Menschen ist das Ihr Zukunftsmodell ist, wenn das Ihre Stärkung der Ta- nicht gut und ermutigend erst recht nicht. rifautonomie ist, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) und bei der LINKEN) 4144 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Beate Müller-Gemmeke (A) Natürlich sind flexible Möglichkeiten der Beschäfti- dann oft bis zum letzten Arbeitstag nicht, ob sie über- (C) gung für die Wirtschaft in unserem Land wichtig. Die nommen werden oder nicht bzw. ob sie in die Arbeitslo- heutigen Regelungen zur sachgrundlosen Befristung sigkeit entlassen werden oder wieder eine Chance be- werden aber inzwischen von manchen Unternehmen kommen. Das finden wir falsch. Deshalb stimmen wir hemmungslos ausgenutzt, beispielsweise in der Callcen- Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dem Ziel terbranche. Wenn die soziale Verantwortung in Teilen des vorliegenden Gesetzentwurfs der Linken, die sach- der Wirtschaft verloren geht, dann muss die Politik han- grundlose Befristung abzuschaffen, inhaltlich durchaus deln. zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD und der LINKEN) und bei der LINKEN) In der letzten Legislaturperiode – bereits im Mai 2010 – Mir kann auch niemand erzählen, die Betriebe wären haben wir zu diesem Thema einen Antrag mit dem Titel ohne die sachgrundlose Befristung nicht mehr flexibel „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befris- genug in ihrer Personalplanung. Es gibt eine ausreichend tung“ vorgelegt, übrigens vor den Initiativen von Linken lange Probezeit. Kleine Betriebe sind ohnehin vom Kün- und Grünen. digungsschutz befreit, und für die anderen gibt es noch (Beifall bei der SPD) die Befristung mit sachlichem Grund. Wer gute Gründe hat, kann also auch weiterhin befristen. In unserem Wahlprogramm steht – ich zitiere: Vor der Bundestagswahl war das den Sozialdemokra- Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von ten auch noch klar. Noch vor zwei Jahren forderte die Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Kata- jetzige Ministerin Nahles wortgewaltig – ich zitiere –: log möglicher Befristungsgründe überprüfen. Schluss mit immer mehr befristeten Verträgen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Sachgrundlose Befristung gehört abgeschafft. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht es doch einfach! Wir Gut gebrüllt, Frau Nahles! Wo bleibt aber jetzt die ent- stimmen zu!) sprechende parlamentarische Initiative? Im Koalitions- vertrag sind die sachgrundlosen Befristungen mit kei- Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt nach wie vor. nem einzigen Wort erwähnt. Das ist die SPD-Position. Wir hingegen bleiben bei unserer Haltung: Durch Be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beate fristungen darf weder das unternehmerische Risiko auf Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das wissen wir!) (B) die Beschäftigten übertragen noch der Kündigungs- (D) schutz umgangen werden. Nur so wäre es richtig und Denn wir wollen erstens nicht, dass inzwischen fast je- fair. der zweite Arbeitsvertrag nur noch auf Zeit abgeschlos- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen wird, zweitens vor allem junge Menschen dadurch und bei der LINKEN) unsichere Berufsaussichten und Lebensperspektiven er- halten und drittens Frauen besonders hart von Befristun- Deshalb werden wir heute dem Gesetzentwurf der gen betroffen sind. Linken zustimmen, Was heute möglich ist, zeigt das bereits erwähnte Ne- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) gativbeispiel der Postzustellerin, die 88 befristete Ver- auch wenn wir im Detail geringfügig andere Schwer- träge in 17 Jahren bekommen hatte. Solche Kettenbefris- punkte setzen. Entscheidend ist und bleibt: Flexible Ar- tungen sind mit Sachgründen, beispielsweise Elternzeit- beitsverhältnisse dürfen keine Einbahnstraße sein. Denn oder Krankheitsvertretungen, möglich. Auch dem müs- die Menschen brauchen soziale Sicherheit. sen wir einen Riegel vorschieben. Das ist unwürdig, und nötig ist so etwas auf keinen Fall. Gerade in großen Un- Vielen Dank. ternehmen wie der Post gibt es immer Möglichkeiten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschen vernünftige feste Arbeitsverträge anzubieten, und bei der LINKEN) auch den Vertretungskräften. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und Vizepräsident Peter Hintze: auch der Grünen, man muss die Kirche im Dorf lassen. Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Es ist schließlich nicht so, dass wir in Deutschland nur Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion, das Wort. noch befristete Arbeitsverträge haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das haben wir auch nicht gesagt!) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Je nach Quelle sind 9 bis 10 Prozent aller Arbeitsverhält- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe nisse befristet. Richtig ist aber auch, dass über 90 Pro- Kolleginnen und Kollegen! Fakt ist: Viele Arbeitneh- zent der Beschäftigten ein unbefristetes Arbeitsverhält- merinnen und Arbeitnehmer werden heute nur noch be- nis haben. Aufgrund der guten Konjunktur ist die Zahl fristet eingestellt. Häufig geschieht dies sogar ohne jegli- der Befristungen in den letzten Jahren glücklicherweise che sachliche Begründung. Die Beschäftigten wissen wieder etwas zurückgegangen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4145

Gabriele Hiller-Ohm (A) Fakt ist auch, dass Befristungen und insbesondere (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (C) sachgrundlose Befristungen ein Sprungbrett in unbefris- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Flächendeckend noch tete Beschäftigung sein können. Trotzdem würden wir So- nicht!) zialdemokraten und Sozialdemokratinnen die sachgrund- lose Befristung gern abschaffen und die Auswüchse bei und spätestens ab 2017 gilt er nach Ende der Übergangs- befristeten Verträgen mit Sachgrund angehen. Das Bei- regelungen ausnahmslos in allen Branchen. Davon wer- spiel der Postzustellerin mit den 88 Verträgen in 17 Jah- den etwa 4 Millionen Menschen direkt profitieren und ren zeigt, dass auch hier dringend gehandelt werden mehr Geld auf ihrem Konto haben. muss. Gleichzeitig werden wir mit dem Mindestlohn auch die Ausbeutung von Praktikantinnen und Praktikanten Nun ist es aber bekanntlich so, dass in jeder Regie- beenden. Die sogenannte Generation Praktikum, rungskoalition Kompromisse gemacht werden müssen. Keiner kann alle eigenen Forderungen in einem Koali- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE tionsvertrag unterbringen. An vielen Stellen konnten wir GRÜNEN]: Aber jetzt diskutieren wir eigent- mit der Union gute Lösungen finden, bei den Befristun- lich über Befristungen!) gen leider nicht. die nach ihrem Hochschulabschluss ohne Bezahlung Deshalb, meine Kolleginnen und Kollegen von der vollwertige Tätigkeiten in Unternehmen ausübt, wird es Linken, werden wir Ihren Initiativen heute auch nicht ab 1. Januar 2015 nicht mehr geben. Das ist dann Ver- zustimmen. gangenheit. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Schade!) (Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die entscheidende Frage ist aber doch, ob der Koali- tionsvertrag der Großen Koalition ein guter und richtiger Wir stärken außerdem die Tarifautonomie und die So- Kompromiss ist, den einzugehen sich insgesamt lohnte. zialpartner. Wir weiten das Arbeitnehmer-Entsendege- Die Antwort ist ein klares Ja. setz auf alle Branchen aus. Diese Öffnung ermöglicht es allen Wirtschaftszweigen, zusätzlich verbindliche Bran- (Beifall bei der SPD) chenmindestlöhne zu vereinbaren, die natürlich über Denn der Koalitionsvertrag ist ein gutes Handlungsfun- dem gesetzlichen Mindestlohn liegen müssen. dament, in dem ein Großteil unserer sozialdemokrati- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen Forderungen enthalten ist. Vieles von dem, wofür NEN]: Frau Hiller-Ohm, wir reden jetzt über wir seit Jahren – auch gemeinsam mit den Gewerkschaf- Befristungen!) (B) ten – gekämpft haben, kann jetzt Wirklichkeit werden. (D) Genau deshalb findet die Große Koalition breite Unter- Außerdem können zukünftig Tarifverträge und damit das stützung – so zum Beispiel beim DGB in seiner Zeitung gesamte Lohngefüge leichter auf gesamte Branchen aus- klartext. Ich zitiere daraus: geweitet werden. Damit bekämpfen wir auch unlauteren Wettbewerb durch Dumpinglöhne und helfen den Unter- Koalitionsvertrag: Deutschland wird ein Stück ge- nehmen, die gute Löhne zahlen wollen. rechter. … Die Richtung stimmt. Gut für Deutsch- land, gut für Millionen Arbeitnehmerinnen und Ar- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns noch beitnehmer. mehr vorgenommen. So werden wir den Missbrauch von Werkverträgen verhindern und die Leiharbeit regulieren Umfragen zeigen deutlich, dass die Mehrheit der Be- und auch hier den Menschen helfen. völkerung diese Große Koalition will und mit ihrer Ar- beit zufrieden ist. Auch 76 Prozent unserer Mitglieder (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE haben basisdemokratisch für den Koalitionsvertrag ge- GRÜNEN]: Ja, ja!) stimmt, und das, obwohl sie die Große Koalition von Auch das Thema „Gerechte Löhne“ werden wir ge- 2005 bis 2009 und das daraus resultierende Ergebnis für setzlich angehen; denn immer noch verdienen Frauen im die SPD noch schmerzhaft in Erinnerung hatten. Schnitt 22 Prozent weniger als Männer. Das, meine Da- Meine Damen und Herren, diese Bewertungen fallen men und Herren, ist eine nicht hinnehmbare Ungerech- deshalb so aus, weil wir zahlreiche Maßnahmen durch- tigkeit. Das müssen wir ändern. setzen konnten, die die Lage der Arbeitnehmerinnen und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Arbeitnehmer in unserem Land verbessern werden. der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Eine Sauerei ist das!) Da ist natürlich an einem so historischen Tag wie heute zuallererst der flächendeckende gesetzliche Min- Hier muss endlich genauso wie für die Leiharbeiter das destlohn zu nennen, den wir gerade beschlossen haben. Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten. Ich freue mich sehr, dass uns hier dieser Kraftakt ge- meinsam gelungen ist. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe bereits von 2005 bis 2009 eine Große Koalition als Abgeordnete be- Ab dem nächsten Jahr kommt der einheitliche und gleitet. Ich hätte mir nach den damals gewonnenen nicht flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, so guten Erfahrungen nicht träumen lassen, dass wir ein- 4146 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Gabriele Hiller-Ohm (A) mal mit der Union als Partner so viel für die Menschen kann eine Befristung hier dem Erwerb von Vertrauen (C) in unserem Land erreichen. und dem Nachweisen von Fähigkeiten dienen. Hier ist das entscheidende Stichwort die Übernahmequote. Das (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Da Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat vor sieht man mal, wie gut wir sind!) kurzem festgestellt, dass insbesondere sachgrundlos be- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, mit Ih- fristete Arbeitsverhältnisse oft als Brücke zu dann unbe- ren Initiativen zur Einschränkung von Befristungen lau- fristeten Arbeitsverhältnissen genutzt werden. fen Sie bei uns offene Türen ein. Uns brauchen Sie nicht zu überzeugen. Vielleicht haben Sie ja bei unserem Ko- Bei diesem Thema dürfen wir auch nicht vergessen, alitionspartner, der CDU/CSU, Erfolg. Wir Sozialdemo- dass insbesondere in der heutigen Zeit Arbeitgeber flexi- kratinnen und Sozialdemokraten würden uns darüber bel handeln müssen. Gerade Start-up-Unternehmen und freuen. Existenzgründer können am Anfang ihrer Unterneh- mensgründung schwer einschätzen, wie viele Beschäf- (Beifall bei der SPD) tigte sie tatsächlich benötigen. Ebenso kann in großen Betrieben die Auftragslage aufgrund verschiedener Vizepräsident Peter Hintze: Gründe erheblich schwanken. Dann müssen Arbeitgeber Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- schnell reagieren können. Dazu gehört auch das Instru- ordneten Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion. ment der Befristung von Arbeitsverträgen. Deshalb dür- fen wir nicht – so glaube ich – zu viele Eingriffe in die Privatautonomie vornehmen, die zu erheblichen Ein- Matthäus Strebl (CDU/CSU): schränkungen der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Fir- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und men führen könnten. Kollegen! Wir beraten heute über den von der Linken eingebrachten Antrag „Das unbefristete Arbeitsverhält- Als Gesetzgeber haben wir die Verantwortung und nis zur Regel machen“ und den Entwurf eines Gesetzes auch die Pflicht, zwischen dem Sicherheitsbedürfnis des zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Vorab einzelnen Arbeitnehmers und der Flexibilität der Wirt- einige Bemerkungen: Grundsätzlich müssen wir zwi- schaft genau abzuwägen. Um beiden Seiten gerecht zu schen den einzelnen Befristungen differenzieren. Im werden, gibt das Teilzeit- und Befristungsgesetz Rah- Teilzeit- und Befristungsgesetz werden die Arbeitsver- menbedingungen vor, auf die sich der Arbeitnehmer be- hältnisse mit und ohne Sachgrund genannt. Befristete rufen kann; mit diesem Gesetz kann er seinen Anspruch Arbeitsverhältnisse mit Sachgründen können sich aus auf dem Rechtsweg durchsetzen. unterschiedlichen Faktoren ergeben – ich glaube, das (B) sind wichtige Argumente –: dem Alter des Beschäftig- (D) Vizepräsident Peter Hintze: ten, dem Bedarf in dem Unternehmen, der Erprobung des Beschäftigten und der Vertretung eines anderen Ar- Herr Kollege, Frau Kollegin Hiller-Ohm würde Ihnen beitnehmers. Kollegin Hiller-Ohm, ich möchte daran er- gerne eine Zwischenfrage stellen. Mögen Sie sie zulas- innern, dass das von der Fraktion der Linken kritisierte sen? Arbeitsverhältnis ohne Sachgrund nach § 14 Absatz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes von Rot-Grün in Matthäus Strebl (CDU/CSU): der 14. Legislaturperiode eingeführt wurde, um Arbeits- losen die Rückkehr in die Beschäftigung zu erleichtern. Ich würde das gerne in einem Zusammenhang vortra- gen, Herr Präsident. Ich bin der Auffassung, dass ein Arbeitsverhältnis mit einer Befristung ohne Sachgrund nicht automatisch ne- Auch unterliegen befristete Arbeitsverhältnisse ge- gativ zu bewerten ist. Der Arbeitnehmer kann – genauso setzlichen Vorschriften, die zum Beispiel die Schriftform wie in jedem anderen Arbeitsverhältnis – Erfahrungen und den Zeitraum betreffen. Ein Ausschluss von befris- sammeln, seine Fähigkeiten erweitern und sich im Be- teten Arbeitsverträgen könnte den gesamten Arbeits- trieb einsetzen und dadurch seinen Arbeitgeber überzeu- markt verändern. Ich sehe die Gefahr, dass Arbeitgeber gen. Vergessen sollten wir dabei nicht, dass befristete dann zurückhaltender bei Einstellungen sein könnten Arbeitsverhältnisse eine echte Alternative zur Arbeitslo- und eher auf Leiharbeitskräfte zurückgreifen, um Perso- sigkeit und einen Einstieg in die Dauerbeschäftigung be- nal flexibler einzusetzen. deuten können. Ich muss auch der Aussage der Linken widersprechen, wonach es für die Qualität von Arbeit Laut derzeitigen Statistiken gewinnen befristete Ver- entscheidend ist, „ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder träge an Bedeutung – das wurde heute schon in dieser nicht.“ Ich gehe davon aus, dass diese Aussage auf un- Debatte mehrmals gesagt –, dennoch müssen wir auch sere befristet beschäftigten Mitarbeiter in unseren Abge- das Zahlenverhältnis sehen. Schauen wir uns das letzte ordnetenbüros nicht zutrifft und auf Ihre Mitarbeiter Jahr an: Nach Auskunft des Instituts für Arbeitsmarkt- doch wohl auch nicht. und Berufsforschung waren 2013 nur 7,5 Prozent aller Arbeitsverträge befristet. Das bedeutet, dass über 92 Pro- Zweifelsfrei ist eine Altersgruppe am meisten von zent aller Arbeitsverträge unbefristet waren. Gerade in Befristungen betroffen: die jungen Arbeitnehmerinnen Zeiten des Fachkräftemangels setzen viele Unternehmen und Arbeitnehmer als Berufseinsteiger nach einem Stu- darauf, kompetente und gute Beschäftigte langfristig zu dium oder einer Ausbildung. Das kann aber auch im Ein- halten. Genau das spiegeln die gerade genannten Zahlen zelfall seine berechtigten Gründe haben. Zum Beispiel wider. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4147

Matthäus Strebl (A) Ich halte Arbeitsverträge mit Befristungen für ein Ich möchte noch einen zweiten Punkt nennen. Befris- (C) wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument. Diese ha- tungen sind ein Instrument, das eigentlich menschenun- ben sich in der Praxis bewährt, und wir wollen auch da- würdig ist. Mir fällt dazu eine junge Frau aus meinem ran festhalten. Wir sehen bei der Befristung mit und Wahlkreis Mannheim ein, Janine F. – ich will sie hier ja ohne Sachgrund keinen Änderungsbedarf und werden nicht outen –, 29 Jahre alt, die als Hotelfachfrau gut qua- deshalb den Antrag der Fraktion Die Linke ablehnen. lifiziert ist. Sie hat in ihrem Leben noch keine anderen Jobs als nur befristete gehabt. Sie weiß auch nicht, wie (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich es weitergehen wird. Sie geht davon aus, dass es mit den [DIE LINKE]: Überraschung!) befristeten Jobs immer so weitergehen wird. Sie hat ei- nen Lebenspartner. Wenn ich sie frage: „Wie stellst du Vizepräsident Peter Hintze: dir das alles vor? Was wollt ihr machen? Wie stellt ihr Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten euch euer Leben vor? Wollt ihr vielleicht einmal Kinder Michael Schlecht, Fraktion Die Linke, das Wort. haben?“, dann antwortet sie mir: „Das ist natürlich ganz schwierig. Ich würde schon gerne mit meinem Freund (Beifall bei der LINKEN) ein Kind haben; allerdings ist auch er befristet beschäf- tigt. Wir überlegen uns das gut. Woher sollen wir in sol- chen Zeiten eigentlich den Mut nehmen, uns für ein Michael Schlecht (DIE LINKE): Kind zu entscheiden?“ Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Befristungen sind ein entscheidender Hebel zur Be- Wenn man sich dies einmal ernsthaft anschaut, dann schädigung der Tarifautonomie in den letzten zehn, fünf- wird klar, welche Folgen die Befristung nicht nur für die zehn Jahren – eigentlich schon seit 1985 – geworden; Arbeitswelt, sondern auch unter familienpolitischen Ge- denn es ist vollkommen klar, dass befristet eingestellte sichtspunkten hat; dann wird klar, dass auch das dazu Arbeitnehmer nicht in der Weise frei sind und sich sicher beiträgt, dass die Geburtenrate in Deutschland so niedrig im Betrieb fühlen wie unbefristet Beschäftigte. Sie sind ist. Sonst wird allenthalben, insbesondere von der CDU/ nämlich Beschäftigte quasi ohne Kündigungsschutz. CSU, immer wieder beklagt, dass die Geburtenrate so niedrig ist, und es werden alle möglichen Gründe dafür Wenn man ohne Kündigungsschutz ist und ein auf herangezogen, warum junge Frauen keine Kinder mehr sechs Monate, ein Jahr oder wie lange auch immer be- bekommen. fristetes Arbeitsverhältnis hat, dann überlegt man sich natürlich dreimal, ob man mit seiner Gewerkschaft ge- Ich sage Ihnen: Die Politik, die in der Arbeitswelt ge- meinsam eine Tarifauseinandersetzung führt, sich zum macht worden ist, zum Beispiel mit den Befristungen, eine Politik, die Sie zu verantworten haben, die Sie heute (B) Beispiel an Warnstreiks und anderen Kampfformen be- (D) teiligt, um in einer Tarifrunde Druck zu machen. Dann hier wieder hoch gelobt haben, ist dafür verantwortlich, ist man unter Umständen sogar bereit, wenn die anderen dass Menschen solche Restriktionen ihrer Privatsphäre Kollegen aus dem Betrieb streiken, sich zum Büttel des aufgezwungen werden. Es ist wirklich zynisch und per- Unternehmers machen zu lassen und als Streikbrecher zu vers, wenn auf der anderen Seite immer wieder darüber operieren, weil man Angst hat, dass man seine Arbeit gejammert wird, dass in Deutschland so wenig Kinder verliert, wenn man das nicht macht, weil das befristete geboren werden; schließlich werden den jungen Leuten Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt wird. Insofern ist es durch die Befristungen die Möglichkeiten genommen, dringend notwendig – wenn man die Tarifautonomie und sich positiv und offensiv für Familie und Kinder zu ent- das Handeln der Gewerkschaften wieder stärken will –, scheiden. Auch deshalb müssen die sachgrundlosen Be- dass man die sachgrundlose Befristung abschafft. Die fristungen endlich weg. muss weg. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate (Beifall bei der LINKEN) Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Vizepräsident Peter Hintze: Ich will mit einem Satz illustrieren, wozu das faktisch Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- führt. Wir haben in Deutschland nach wie vor die Situa- ordneten Markus Paschke, SPD-Fraktion. tion, dass der durchschnittliche Beschäftigte über 3,6 Pro- (Beifall bei der SPD) zent weniger Reallohn verfügt als im Jahr 2000. Deutschland ist das Land des Lohndumpings. Das ist Markus Paschke (SPD): deshalb so gekommen, weil die Politik den Gewerk- schaften in den letzten zehn, fünfzehn Jahren in einer ab- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und solut brutalen Weise zwischen die Beine gegrätscht ist. Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Damit muss Schluss sein. Heute Morgen ging es ja um Fraktion der Linken hat den Entwurf eines Gesetzes zur ein Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie; nur, dieses Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vorgelegt. Gesetz ist leider vollkommen unvollständig. Es müsste (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Guter Vor- mindestens eine Neuregulierung der Befristung dort hi- schlag!) nein. Es ist kein Geheimnis – das wurde heute schon er- (Beifall bei der LINKEN) wähnt –, dass sich die SPD in ihrem Wahlprogramm für 4148 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Markus Paschke (A) die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ausge- elektroniker, war richtig motiviert und machte kurz da- (C) sprochen hat. Ich will es wiederholen, damit es sich gut rauf seine Abschlussprüfung. Er bestand sie auch noch einprägt – das ist für jedermann nachlesbar –: mit „sehr gut“. Das waren die besten Startchancen für den Einstieg in den Beruf – dachte er und ich auch. Rela- Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von tiv schnell nach der Ausbildung fand er auch einen Job, Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Kata- jedoch als Leiharbeiter, mit einem befristeten Vertrag. log möglicher Befristungsgründe überprüfen. Als dieser Vertrag auslief, nahm er in der Hoffnung auf (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Stimmen Sie eine in Aussicht gestellte Festanstellung eine Stelle in also zu!) Nordrhein-Westfalen an. Er zeigte also nicht nur Inte- resse an Arbeit, war nicht nur motiviert, sondern war Es ist aber auch kein Geheimnis, dass wir uns seit auch flexibel und bereit, umzuziehen etc. dem Mitgliederentscheid im Dezember letzten Jahres in einer Koalition mit der CDU und der CSU befinden. In In Nordrhein-Westfalen blieb er vier Jahre, aber nicht den Koalitionsverhandlungen konnten wir unsere Posi- ein einziges Mal hatte er eine Festanstellung. Er hatte tion an dieser Stelle nicht durchsetzen. immer nur befristete Stellen, war immer nur in Leih- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Links blin- arbeit tätig, vier lange Jahre. Mit 28 kam er dann wieder ken, rechts abbiegen!) zurück nach Ostfriesland und begann eine weitere Aus- bildung, seine zweite, weil ihm in Aussicht gestellt An anderer Stelle dagegen schon. Erst heute Morgen wurde, er würde, wenn er noch einmal eine Ausbildung haben wir das Tarifpaket mit dem Mindestlohn und der macht, anschließend eine Festanstellung bekommen. Beendigung der Generation Praktikum beschlossen. Doch auch hier ein Satz mit x: Das war nämlich nix. Er erhielt wieder nur befristete Arbeitsverträge. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Matthäus Strebl [CDU/CSU]: (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann stim- Genau! Mit der CDU/CSU!) men Sie doch einfach zu!) – Genau. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Antrag Letztes Jahr kam endlich die Wende. Mit 34 – der Linken steht zu Recht, dass fast die Hälfte der Neuein- 34 Jahre war er alt! – erhielt er die erste Festanstellung stellungen befristet sind. Wenn wir genauer hinschauen, seines Lebens. Sosehr ich mich für ihn persönlich freue, stellen wir fest, dass es in den einzelnen Branchen sehr so sehr beunruhigt mich jedoch sein Lebenslauf; denn unterschiedlich ist. Selbst in den zehn Branchen mit dem die Zahlen zeigen deutlich, dass es sich hierbei nicht um höchsten Anteil von befristeten Arbeitsverträgen sind eine Ausnahmeerscheinung handelt. Im Gegenteil: Es die Unterschiede riesig. Auf Platz zehn liegt der Bereich (B) wird zunehmend zur Regel, dass gerade junge Menschen (D) „Verkehr und Logistik“ mit einem Anteil von 6,4 Pro- nur befristete Arbeitsverträge erhalten. Das finde ich zent befristet Beschäftigten, und auf Platz eins liegt – nicht nur sehr bedauerlich, sondern ich halte es schlicht- hören Sie jetzt genau hin; ich sehe viele Schüler auf der weg für falsch. Besuchertribüne – der Bereich „Erziehung und Unter- richt“ mit einem Anteil von 17,2 Prozent befristet Be- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann stim- schäftigten; das ist fast jeder Sechste. men Sie doch einfach unserem Antrag zu!) Wir finden unter den zehn Branchen mit den meisten Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren reden befristet Beschäftigten viele Dienstleistungsbranchen, wir über Fachkräftemangel, den demografischen Wandel auch solche mit schwankenden Arbeitsvolumen. Die und darüber, dass wir etwas für junge Familien tun müs- Wirkung eines Verbots der sachgrundlosen Befristung sen. Zu Recht reden wir darüber. Aber hier zeigt sich lei- darf man von daher nicht überbewerten, weil sich für der sehr deutlich, dass zwischen Reden und Realität eine viele Fälle Sachgründe finden lassen. Riesenlücke klafft; denn Fakt ist: Um junge Familien zu (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Warum habt ihr fördern, bedarf es erst einmal vernünftiger Rahmenbe- dann deren Abschaffung gefordert? Seid ihr dingungen, die es den jungen Menschen überhaupt er- dafür oder dagegen?) möglichen, eine Familie zu gründen. Planungssicherheit ist mit befristeten Arbeitsverhältnissen nicht zu haben. Wenn in der Land- und Forstwirtschaft gerade einmal Wenn ich nicht weiß, ob ich im nächsten Jahr noch einen 8 Prozent der Mitarbeiter in unbefristete Arbeitsverhält- Job habe, wenn ich nicht weiß, ob ich mich selbst, mei- nisse übernommen werden, ist dies, glaube ich, ein deut- nen Partner und meine Kinder ernähren kann, dann über- licher Hinweis. Ich finde, dass die Anzahl befristeter Ar- lege ich es mir dreimal, ob ich eine Familie gründe. Es beitsverträge viel zu hoch ist. Betroffen sind vor allem ist, finde ich, kurzsichtig, und es bringt uns nicht voran, Frauen und junge Menschen. wenn wir auf Kosten kurzfristiger Gewinne und kurzfris- Was mich aber viel mehr als diese Zahlen bewegt, tiger Flexibilität die Zukunft unserer Jugend aufs Spiel möchte ich an einem Beispiel deutlich machen – der setzen. Kollege Schlecht hat das fast vorweggenommen; aber ich will aus eigenem Erleben berichten –: Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere auch von unserem Koalitionspartner, lassen Sie uns gemein- Im Rheiderland lernte ich vor ein paar Jahren – es ist sam für gute Rahmenbedingungen und für die notwen- schon einige Jahre mehr her – Keno kennen. Keno dige Sicherheit für die jungen Menschen sorgen, damit machte gerade eine Ausbildung zum Kommunikations- unsere Jugend auch wieder Familien gründen kann, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4149

Markus Paschke (A) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann stim- Markus Paschke (SPD): (C) men Sie doch einfach mit uns!) Da dies wahrscheinlich meine letzte Rede in dieser Woche war, wünsche ich schon jetzt uns allen neun in- ohne Existenzangst und mit Lust auf die Zukunft. tensive und erholsame Wochen im Wahlkreis. Einen ersten Schritt sind wir bereits gegangen; denn (Manfred Grund [CDU/CSU]: Kann man sich im Koalitionsvertrag haben wir uns auf viele wichtige darauf verlassen?) und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer verständigt, Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: deutliche Verbesserungen hin zu guter Arbeit und weg Als letzter Rednerin in der Aussprache erteile ich das von prekärer Beschäftigung. Ich finde, das ist ein großer Wort der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Bündnis 90/ Erfolg. Das Erreichen großer Ziele – wie die Einführung Die Grünen. eines flächendeckenden Mindestlohns, wie die Rente mit 63, wie die Bekämpfung des Missbrauchs bei Werkver- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): trägen und Leiharbeit, wie das Ende der Generation Praktikum – erfordert aber hin und wieder auch das Lieber Markus Paschke, offen gestanden lässt mich Schlucken von Kröten. deine Rede etwas ratlos zurück. Zeitweise klang sie wie eine Begründung für die Zustimmung zu dem Gesetzent- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wurf der Linksfraktion. NEN]: Da muss man mal einen Schluck Was- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ser hinterhertrinken!) Dann habe ich wieder gedacht: Wahrscheinlich ist das Einige der Kolleginnen und Kollegen von der Union eine Fortbildungsveranstaltung für euren Koalitionspart- haben heute Morgen auch geschluckt. Wir haben uns mit ner. der Union im Zuge der Koalitionsverhandlungen auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten geeinigt. Wir sind (Heiterkeit bei der LINKEN – Markus Paschke vertragstreu, und wir halten uns an die Abmachungen. [SPD]: Brigitte, auch für die Grünen!) Die SPD steht zu ihrem Wort. – Nein, da brauche ich wirklich keinen Nachhilfeunter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten richt, jedenfalls nicht von den Sozialdemokraten. (B) (D) der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Hoi!) LINKE]: Aber nicht gegenüber den Wählern!) Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem; ich Wir schlucken jetzt also diese Kröte und werden den bin mal gespannt, wie das am Ende ausgeht. vorliegenden Gesetzentwurf heute ablehnen. Lieber Herr Oellers, lieber Herr Strebl, wir sollten (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Obwohl er doch mal eines klarstellen: Es geht in dem Gesetzent- sehr sinnvoll ist!) wurf der Linken nicht darum, Befristungen abzuschaf- fen. Sie wissen vielleicht, dass das Teilzeit- und Befris- Meine Eltern – das will ich zum Schluss einmal sagen – tungsgesetz haben mir beigebracht, dass man sich an Vereinbarungen und Absprachen unbedingt hält; sonst sollte man sie gar (Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Haben Sie das nicht erst treffen. mal gelesen?) neben der sachgrundlosen Befristung acht Gründe für (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE Befristungen enthält, und dieser Katalog ist nicht abge- LINKE]: Man soll aber auch nicht gegen ei- schlossen. Hinzu kommt, dass Betriebe mit bis zu zehn gene Wahlaussagen agieren!) Beschäftigten überhaupt keinen Kündigungsschutz- Das hat etwas mit Verlässlichkeit zu tun. regeln unterliegen. Das heißt, wir haben in der Arbeits- welt ein hohes Maß an Flexibilität. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Links blin- ken, rechts abbiegen!) Gerade ich als Grüne, die auch ein Stück Mitverant- wortung dafür trägt, dass wir die sachgrundlose Befris- Auf Sozialdemokraten – das will ich auch einmal deut- tung haben, sage Ihnen: Wir haben das evaluiert und lich sagen – kann man sich jederzeit verlassen, meine mussten feststellen: Es gibt in dieser Frage tatsächlich Damen und Herren. einen Missbrauch. Wenn über 40 Prozent aller Neuein- stellungen befristet erfolgen, dann hat das mit einer (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE Flexibilitätsreserve und mit atmenden Betrieben nichts LINKE]: Links blinken, rechts abbiegen!) mehr zu tun, sondern dann ist das schlicht die Verlänge- rung von Probezeit. Vizepräsident Peter Hintze: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Denken Sie bitte an die Zeit. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 4150 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Brigitte Pothmer (A) Es ist Aufgabe der Politik, ein ausgewogenes Verhält- Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die (C) nis zu finden zwischen den Bedürfnissen der Betriebe, Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- die wir ernst nehmen, und den Bedürfnissen von Men- lung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Ab- schen, ein Stück Sicherheit in ihrem Leben zu haben. stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Wir streiten hier Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 f sowie jedes Mal über familienpolitische Leistungen. Wir geben den Zusatzpunkt 3 auf: inzwischen 200 Milliarden Euro für familienpolitische Leistungen aus, auch um den jungen Menschen zu er- 32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- möglichen, eine Familie zu gründen und Kinder zu krie- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem gen. Wir machen doch einen Riesenfehler, wenn wir Zweiten Zusatzprotokoll vom 8. November diese Intention mit der Arbeitsmarktpolitik konterkarie- 2001 zum Europäischen Übereinkommen ren. Dann ist das am Ende des Tages rausgeschmissenes vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Geld, und das jedenfalls müssen wir jetzt endlich einmal Strafsachen zur Kenntnis nehmen. Drucksache 18/1773 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Wir müssen in der Politik raus aus dem schlichten Innenausschuss Ressortdenken. Wir müssen die Lebenswirklichkeit der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Menschen endlich zur Kenntnis nehmen. Da braucht es einen Arbeitsmarkt, der auf die Bedürfnisse von Men- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten schen und jungen Familien Rücksicht nimmt, Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner DIE LINKE [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutz- der ihrem Bedürfnis nach Lebensplanung und dem Be- mittel einschränken dürfnis der Betriebe nach Flexibilität Rechnung trägt. Die sachgrundlose Befristung brauchen wir dazu nicht, Drucksache 18/1873 und deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf zu- Überweisungsvorschlag: stimmen. Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reaktorsicherheit sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (B) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten (D) Hubertus Zdebel, Caren Lay, Klaus Ernst, weite- Vizepräsident Peter Hintze: rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ich schließe die Aussprache. Bad-Bank-Pläne der Atomkonzerne zurück- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf weisen – Rückstellungen der AKW-Betreiber Drucksache 18/1874 an die in der Tagesordnung aufge- in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überfüh- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- ren verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Drucksache 18/1959 Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz- Überweisungsvorschlag: entwurf der Fraktion Die Linke zur Abschaffung der Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sachgrundlosen Befristung. Zu diesem Gesetzentwurf Finanzausschuss liegen zahlreiche Erklärungen nach § 31 der Geschäfts- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und ordnung des Bundestages vor.1) Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/879, d) Beratung des Antrags der Abgeordneten den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Druck- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller- sache 18/7 abzulehnen. Wir stimmen nun über den Ge- Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abgeordne- setzentwurf der Fraktion Die Linke auf Verlangen der ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Fraktion Die Linke namentlich ab. NEN Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an Sanktionsmoratorium jetzt den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Damit eröffne ich die Abstimmung. Drucksache 18/1963 Überweisungsvorschlag: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

1) Anlagen 8 bis 10 2) Ergebnis Seite 4155 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4151

Vizepräsident Peter Hintze (A) e) Beratung des Antrags der Abgeordneten schaft und Energie und zur Mitberatung an den Aus- (C) Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas schuss für Recht und Verbraucherschutz, an den Aus- Gambke, weiterer Abgeordneter und der Frak- schuss für Ernährung und Landwirtschaft, an den tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Arbeit und Soziales, an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sowie Stellungnahme im Rahmen des Konsulta- an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi- tionsverfahrens der Europäischen Kommis- schen Union. sion zum Investitionsschutzkapitel im geplan- ten transatlantischen Freihandelsabkommen Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der TTIP Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer Drucksache 18/1964 stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die f) Unterrichtung durch die Antidiskriminierungs- Überweisung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/ stelle des Bundes CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen. Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminie- Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksa- rungsstelle des Bundes und der in ihrem Zu- che 18/1964 in der Sache nicht ab. ständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bun- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 s sowie destages die Zusatzpunkte 4 a bis 4 j auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus- Drucksache 17/4325 sprache vorgesehen ist. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Tagesordnungspunkt 33 a: Innenausschuss Sportausschuss Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Ausschuss für Arbeit und Soziales wurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsab- Verteidigungsausschuss kommen vom 25. und 30. April 2007 zwischen Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe den Vereinigten Staaten von Amerika einer- ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten seits und der Europäischen Gemeinschaft und Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, ihren Mitgliedstaaten andererseits (Vertrags- Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter gesetz EU-USA-Luftverkehrsabkommen – (B) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU-USA-LuftverkAbkG) (D) Maßgabebeschluss des Bundesrates zur Spiel- Drucksache 18/1569 verordnung umgehend in Kraft setzen Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksache 18/1875 schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur Überweisungsvorschlag: (15. Ausschuss) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Gesundheit Drucksache 18/1997 Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ten Verfahren ohne Debatte. empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 18/1997, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- auf Drucksache 18/1569 anzunehmen. sungen der Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d und 32 f sowie Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird vorgeschla- Zweite Beratung gen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufge- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem führten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der weisungen so beschlossen. Gesetzentwurf mit den Stimmen der Regierungsfraktio- Tagesordnungspunkt 32 e. Wir kommen nun zum An- nen CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktio- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenom- che 18/1964 mit dem Titel „Stellungnahme im Rahmen men. des Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommis- Tagesordnungspunkt 33 b: sion zum Investitionsschutzkapitel im geplanten transat- lantischen Freihandelsabkommen TTIP“. Die Fraktion Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Sache über ihren Antrag auf Drucksache 18/1964, die zes zu dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrs- Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überwei- abkommen vom 15. Dezember 2010 zwischen sung. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über der Europäischen Union und ihren Mitglied- den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Die Fraktio- staaten einerseits und dem Haschemitischen nen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung zur Königreich Jordanien andererseits (Vertrags- federführenden Beratung an den Ausschuss für Wirt- gesetz Europa-Mittelmeer-Jordanien-Luft- 4152 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsident Peter Hintze (A) verkehrsabkommen – Euromed-JOR-Luft- CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bünd- (C) verkAbkG) nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Drucksache 18/1570 Tagesordnungspunkt 33 d: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur Zweite Beratung und Schlussabstimmung des (15. Ausschuss) von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Drucksache 18/1998 9. September 2013 zwischen der Bundesrepu- Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur blik Deutschland und der Republik der empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Philippinen zur Vermeidung der Doppelbe- che 18/1998, den Gesetzentwurf der Bundesregierung steuerung auf dem Gebiet der Steuern vom auf Drucksache 18/1570 anzunehmen. Ich bitte diejeni- Einkommen und vom Vermögen gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Drucksache 18/1568 Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da- mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grü- ausschusses (7. Ausschuss) nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange- nommen. Drucksache 18/1984 Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Dritte Beratung empfehlung auf Drucksache 18/1984, den Gesetzent- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1568 an- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zunehmen. zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Zweite Beratung Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bünd- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Linke angenommen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak- Tagesordnungspunkt 33 c: tion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an- (B) regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- genommen. (D) zes zu dem Abkommen vom 26. Juni 2012 Tagesordnungspunkt 33 e: zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und der Republik Moldau Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- über den Gemeinsamen Luftverkehrsraum regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (Vertragsgesetz EU-Moldau-Luftverkehrsab- zes zur Änderung des Umweltinformationsge- kommen – EU-MDA-LuftverkAbkG) setzes Drucksache 18/1571 Drucksache 18/1585 Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re- (15. Ausschuss) aktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/1999 Drucksache 18/1992 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- sache 18/1999, den Gesetzentwurf der Bundesregierung lung auf Drucksache 18/1992, den Gesetzentwurf der auf Drucksache 18/1571 anzunehmen. Ich bitte diejeni- Bundesregierung auf Drucksache 18/1585 anzunehmen. gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da- wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenom- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der men. Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – enthält sich? – Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist da- Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/ mit mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4153

Vizepräsident Peter Hintze (A) Tagesordnungspunkt 33 f: Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- (C) lung auf Drucksache 18/1655, den Antrag der Fraktion Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/975 abzuleh- Bluhm, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weite- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be- Sofortiges Moratorium für die Wohnungs- schlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU- und Grundstücksverkäufe durch die Bundes- Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der anstalt für Immobilienaufgaben Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Drucksache 18/1952 Tagesordnungspunkt 33 i: Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wün- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schen Überweisung, und zwar zur federführenden Bera- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- tung an den Haushaltsausschuss und zur Mitberatung an gie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bun- den Innenausschuss, an den Ausschuss für Recht und desregierung Verbraucherschutz, an den Finanzausschuss sowie an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- Zweite Verordnung zur Änderung der Au- torsicherheit. ßenwirtschaftsverordnung Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Drucksachen 18/1233, 18/1379 (neu) Nr. 2.1, Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: 18/1677 Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die lung, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache Überweisung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion 18/1233 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Be- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag men der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei auf Drucksache 18/1952 nicht in der Sache ab. Damit Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion entfällt die hierzu bereits beantragte namentliche Ab- Bündnis 90/Die Grünen angenommen. stimmung. Tagesordnungspunkt 33 j: Tagesordnungspunkt 33 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (B) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, (D) richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- der Verordnung der Bundesregierung ten Sabine Zimmermann (Zwickau), Wolfgang Gehrcke, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- Erste Verordnung zur Änderung der Elektro- ordneter und der Fraktion DIE LINKE und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Kürzungspolitik beenden – Soziale Errungen- Drucksachen 18/1471, 18/1702 Nr. 2, 18/1993 schaften verteidigen – Soziales Europa schaffen Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Drucksachen 18/1116, 18/1605 lung, der Verordnung auf Drucksache 18/1471 zuzustim- men. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be- lung auf Drucksache 18/1605, den Antrag der Fraktion schlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU- Die Linke auf Drucksache 18/1116 abzulehnen. Wer Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bünd- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- Linke angenommen. lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Tagesordnungspunkt 33 k: Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Beratung der dritten Beschlussempfehlung des nen angenommen. Wahlprüfungsausschusses Tagesordnungspunkt 33 h: zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- 22. September 2013 richts des Haushaltsauschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Drucksache 18/1810 Haßelmann, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Frak- Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist die Be- schlussempfehlung mit den Stimmen aller Fraktionen Eine Milliarde Euro Entlastung für Kommu- angenommen.1) nen im Jahr 2014 umsetzen Drucksachen 18/975, 18/1655 1) Anlage 11 4154 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsident Peter Hintze (A) Tagesordnungspunkt 33 l: Tagesordnungspunkt 33 q: (C) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- schusses für Recht und Verbraucherschutz tionsausschusses (2. Ausschuss) (6. Ausschuss) zur Sammelübersicht 71 zu Petitionen Übersicht 2 Drucksache 18/1886 über die dem Deutschen Bundestag zugeleite- ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- gericht hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 71 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und Drucksache 18/1970 der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- Tagesordnungspunkt 33 r: empfehlung ist damit mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- titionsausschusses. Sammelübersicht 72 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 33 m: Drucksache 18/1887 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- tionsausschusses (2. Ausschuss) hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 72 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und Sammelübersicht 67 zu Petitionen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen Drucksache 18/1882 der Fraktion Die Linke angenommen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Tagesordnungspunkt 33 s: hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 67 mit den Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Stimmen aller Fraktionen angenommen. tionsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 33 n: Sammelübersicht 73 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Drucksache 18/1888 (B) tionsausschusses (2. Ausschuss) (D) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Sammelübersicht 68 zu Petitionen hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 73 mit den Drucksache 18/1883 Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- der Fraktion Die Linke angenommen. hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 68 mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 4 a: Tagesordnungspunkt 33 o: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Christian Kühn (Tübingen), Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Frak- tionsausschusses (2. Ausschuss) tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sammelübersicht 69 zu Petitionen Moratorium beim Verkauf von Wohnimmobi- Drucksache 18/1884 lien in Städten mit angespanntem Wohnungs- markt durch die Bundesanstalt für Immobi- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- lienaufgaben hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 69 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion Drucksache 18/1965 angenommen bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Ab- Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke. stimmung in der Sache, die Fraktionen CDU/CSU und Tagesordnungspunkt 33 p: SPD wünschen Überweisung, und zwar zur federführen- den Beratung an den Haushaltsausschuss, zur Mitbera- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, tionsausschusses (2. Ausschuss) an den Finanzausschuss sowie an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Sammelübersicht 70 zu Petitionen Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Drucksache 18/1885 Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 70 mit den stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Stimmen aller Fraktionen angenommen. Überweisung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4155

Vizepräsident Peter Hintze (A) und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktio- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- (C) nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen so beschlos- hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 78 mit den sen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Stimmen aller Fraktionen beschlossen. Drucksache 18/1965 in der Sache nicht ab. Zusatzpunkt 4 g: Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- des Petitionsausschusses. tionsausschusses (2. Ausschuss) Zusatzpunkt 4 b: Sammelübersicht 79 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Drucksache 18/1979 tionsausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Sammelübersicht 74 zu Petitionen hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 79 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und Drucksache 18/1974 der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Bündnis 90/Die Grünen beschlossen. hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 74 mit den Zusatzpunkt 4 h: Stimmen aller Fraktionen beschlossen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Zusatzpunkt 4 c: tionsausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Sammelübersicht 80 zu Petitionen tionsausschusses (2. Ausschuss) Drucksache 18/1980 Sammelübersicht 75 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Drucksache 18/1975 hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 80 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen hält sich? – Dann ist auch die Sammelübersicht 75 mit der Fraktion Die Linke beschlossen. den Stimmen aller Fraktionen beschlossen. Zusatzpunkt 4 i: Zusatzpunkt 4 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) (B) tionsausschusses (2. Ausschuss) (D) Sammelübersicht 81 zu Petitionen Sammelübersicht 76 zu Petitionen Drucksache 18/1981 Drucksache 18/1976 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 81 mit den hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 76 mit den Stimmen der Fraktion der CDU/CSU und der SPD-Frak- Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion tion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Ent- Enthaltung der Fraktion Die Linke so beschlossen. haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so be- Zusatzpunkt 4 j: schlossen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Zusatzpunkt 4 e: tionsausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Sammelübersicht 82 zu Petitionen tionsausschusses (2. Ausschuss) Drucksache 18/1982 Sammelübersicht 77 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Drucksache 18/1977 hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 82 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bünd- hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 77 mit den nis 90/Die Grünen so beschlossen. Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Präsident Dr. Norbert Lammert: Fraktion Die Linke so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit unse- Zusatzpunkt 4 f: rer Tagesordnung fortfahren, darf ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- nis der namentlichen Abstimmung über den Gesetz- tionsausschusses (2. Ausschuss) entwurf der Fraktion Die Linke bekannt geben: abgege- Sammelübersicht 78 zu Petitionen bene Stimmen 585. Mit Ja haben gestimmt 119, mit Nein haben gestimmt 466. Der Gesetzentwurf ist damit abge- Drucksache 18/1978 lehnt. 4156 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Endgültiges Ergebnis Jörn Wunderlich Dr. Valerie Wilms Michael Grosse-Brömer (C) Abgegebene Stimmen: 585; Hubertus Zdebel Astrid Grotelüschen davon Pia Zimmermann Nein Markus Grübel Sabine Zimmermann Manfred Grund ja: 119 (Zwickau) CDU/CSU Oliver Grundmann nein: 466 Dr. Herlind Gundelach BÜNDNIS 90/ Stephan Albani Fritz Güntzler Ja DIE GRÜNEN Katrin Albsteiger Olav Gutting Artur Auernhammer Christian Haase Luise Amtsberg Dorothee Bär SPD Annalena Baerbock Florian Hahn Norbert Barthle Dr. Stephan Harbarth Stefan Rebmann Marieluise Beck (Bremen) Julia Bartz Jürgen Hardt Peer Steinbrück Volker Beck (Köln) Günter Baumann Dr. Franziska Brantner Gerda Hasselfeldt Maik Beermann Matthias Hauer DIE LINKE Agnieszka Brugger Manfred Behrens (Börde) Mark Hauptmann Ekin Deligöz Veronika Bellmann Jan van Aken Katharina Dröge Dr. Stefan Heck Dr. Dietmar Bartsch Sybille Benning Dr. Matthias Heider Harald Ebner Dr. André Berghegger Herbert Behrens Dr. Thomas Gambke Helmut Heiderich Karin Binder Dr. Christoph Bergner Mechthild Heil Matthias Gastel Ute Bertram Matthias W. Birkwald Kai Gehring Frank Heinrich (Chemnitz) Heidrun Bluhm Steffen Bilger Mark Helfrich Katrin Göring-Eckardt Clemens Binninger Christine Buchholz Anja Hajduk Uda Heller Eva Bulling-Schröter Peter Bleser Michael Hennrich Britta Haßelmann Wolfgang Bosbach Roland Claus Dr. Anton Hofreiter Peter Hintze Sevim Dağdelen Norbert Brackmann Christian Hirte Bärbel Höhn Michael Brand Dr. Diether Dehm Dr. Heribert Hirte Dieter Janecek Dr. Reinhard Brandl Klaus Ernst Robert Hochbaum Uwe Kekeritz Helmut Brandt Diana Golze Alexander Hoffmann Katja Keul Dr. Ralf Brauksiepe Annette Groth Karl Holmeier Sven-Christian Kindler Dr. Helge Braun Dr. Gregor Gysi Franz-Josef Holzenkamp Maria Klein-Schmeink Heike Brehmer Dr. André Hahn Dr. Hendrik Hoppenstedt Tom Koenigs Ralph Brinkhaus Heike Hänsel Margaret Horb Sylvia Kotting-Uhl Cajus Caesar Dr. Bettina Hornhues Oliver Krischer Gitta Connemann Charles M. Huber Inge Höger Stephan Kühn (Dresden) Alexandra Dinges-Dierig (B) Andrej Hunko Renate Künast Alexander Dobrindt Anette Hübinger (D) Sigrid Hupach Markus Kurth Michael Donth Hubert Hüppe Ulla Jelpke Monika Lazar Thomas Dörflinger Thomas Jarzombek Susanna Karawanskij Steffi Lemke Marie-Luise Dött Sylvia Jörrißen Kerstin Kassner Dr. Tobias Lindner Hansjörg Durz Andreas Jung Katja Kipping Nicole Maisch Jutta Eckenbach Dr. Franz Josef Jung Jutta Krellmann Peter Meiwald Dr. Bernd Fabritius Xaver Jung Caren Lay Irene Mihalic Hermann Färber Dr. Egon Jüttner Sabine Leidig Beate Müller-Gemmeke Uwe Feiler Bartholomäus Kalb Ralph Lenkert Özcan Mutlu Dr. Thomas Feist Hans-Werner Kammer Stefan Liebich Dr. Konstantin von Notz Enak Ferlemann Steffen Kampeter Dr. Gesine Lötzsch Omid Nouripour Ingrid Fischbach Steffen Kanitz Thomas Lutze Friedrich Ostendorff Dirk Fischer (Hamburg) Alois Karl Cornelia Möhring Cem Özdemir Axel E. Fischer (Karlsruhe- Anja Karliczek Niema Movassat Lisa Paus Land) Bernhard Kaster Dr. Alexander S. Neu Brigitte Pothmer Dr. Maria Flachsbarth Volker Kauder Thomas Nord Tabea Rößner Thorsten Frei Dr. Stefan Kaufmann Petra Pau Claudia Roth (Augsburg) Dr. Astrid Freudenstein Roderich Kiesewetter Harald Petzold (Havelland) Corinna Rüffer Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Georg Kippels Richard Pitterle Manuel Sarrazin (Hof) Volkmar Klein Martina Renner Elisabeth Scharfenberg Michael Frieser Axel Knoerig Michael Schlecht Ulle Schauws Dr. Michael Fuchs Jens Koeppen Dr. Petra Sitte Dr. Gerhard Schick Hans-Joachim Fuchtel Markus Koob Kersten Steinke Dr. Frithjof Schmidt Alexander Funk Carsten Körber Dr. Kirsten Tackmann Kordula Schulz-Asche Ingo Gädechens Kordula Kovac Azize Tank Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Thomas Gebhart Michael Kretschmer Frank Tempel Kuhn Alois Gerig Gunther Krichbaum Dr. Axel Troost Hans-Christian Ströbele Eberhard Gienger Dr. Günter Krings Alexander Ulrich Dr. Harald Terpe Cemile Giousouf Rüdiger Kruse Kathrin Vogler Markus Tressel Josef Göppel Dr. Roy Kühne Dr. Sahra Wagenknecht Jürgen Trittin Reinhard Grindel Günter Lach Halina Wawzyniak Dr. Julia Verlinden Ursula Groden-Kranich Uwe Lagosky Harald Weinberg Doris Wagner Hermann Gröhe Dr. Karl A. Lamers Birgit Wöllert Beate Walter-Rosenheimer Klaus-Dieter Gröhler Andreas G. Lämmel Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4157

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Dr. Norbert Lammert Josef Rief Nina Warken Michael Gerdes (C) Katharina Landgraf Dr. Kai Wegner Martin Gerster Ulrich Lange Johannes Röring Albert Weiler Iris Gleicke Barbara Lanzinger Dr. Norbert Röttgen Marcus Weinberg (Hamburg) Ulrike Gottschalck Dr. Silke Launert Erwin Rüddel Dr. Anja Weisgerber Kerstin Griese Paul Lehrieder Albert Rupprecht Peter Weiß (Emmendingen) Gabriele Groneberg Dr. Katja Leikert Anita Schäfer (Saalstadt) Sabine Weiss (Wesel I) Michael Groß Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Wolfgang Schäuble Ingo Wellenreuther Uli Grötsch Dr. Andreas Lenz Andreas Scheuer Karl-Georg Wellmann Wolfgang Gunkel Philipp Graf Lerchenfeld Karl Schiewerling Marian Wendt Bettina Hagedorn Dr. Ursula von der Leyen Jana Schimke Kai Whittaker Rita Hagl-Kehl Antje Lezius Norbert Schindler Peter Wichtel Metin Hakverdi Ingbert Liebing Tankred Schipanski Annette Widmann-Mauz Ulrich Hampel Matthias Lietz Heiko Schmelzle Heinz Wiese (Ehingen) Sebastian Hartmann Andrea Lindholz Christian Schmidt (Fürth) Klaus-Peter Willsch Dirk Heidenblut Dr. Carsten Linnemann Gabriele Schmidt (Ühlingen) Oliver Wittke Hubertus Heil (Peine) Patricia Lips Patrick Schnieder Dagmar G. Wöhrl Gabriela Heinrich Wilfried Lorenz Dr. Andreas Schockenhoff Barbara Woltmann Marcus Held Dr. Claudia Lücking-Michel Nadine Schön (St. Wendel) Tobias Zech Wolfgang Hellmich Dr. Jan-Marco Luczak Bernhard Schulte-Drüggelte Heinrich Zertik Heidtrud Henn Daniela Ludwig Dr. Klaus-Peter Schulze Emmi Zeulner Gustav Herzog Yvonne Magwas Uwe Schummer Dr. Matthias Zimmer Gabriele Hiller-Ohm Thomas Mahlberg Armin Schuster (Weil am Gudrun Zollner Petra Hinz (Essen) Dr. Thomas de Maizière Rhein) Thomas Hitschler Gisela Manderla Christina Schwarzer SPD Dr. Eva Högl Matern von Marschall Detlef Seif Niels Annen Matthias Ilgen Hans-Georg von der Marwitz Johannes Selle Ingrid Arndt-Brauer Christina Jantz Andreas Mattfeldt Reinhold Sendker Rainer Arnold Frank Junge Stephan Mayer (Altötting) Dr. Patrick Sensburg Heike Baehrens Josip Juratovic Reiner Meier Bernd Siebert Ulrike Bahr Thomas Jurk Dr. Michael Meister Thomas Silberhorn Heinz-Joachim Barchmann Oliver Kaczmarek Jan Metzler Johannes Singhammer Dr. Katarina Barley Johannes Kahrs Maria Michalk Tino Sorge Doris Barnett Christina Kampmann Dr. h. c. Hans Michelbach Carola Stauche Dr. Hans-Peter Bartels Ralf Kapschack (B) Dr. Mathias Middelberg Dr. Frank Steffel Klaus Barthel Gabriele Katzmarek (D) Philipp Mißfelder Dr. Wolfgang Stefinger Dr. Matthias Bartke Ulrich Kelber Dietrich Monstadt Albert Stegemann Sören Bartol Marina Kermer Karsten Möring Peter Stein Bärbel Bas Cansel Kiziltepe Elisabeth Motschmann Erika Steinbach Dirk Becker Arno Klare Dr. Gerd Müller Sebastian Steineke Uwe Beckmeyer Lars Klingbeil Carsten Müller Johannes Steiniger Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Bärbel Kofler (Braunschweig) Christian Freiherr von Stetten Burkhard Blienert Daniela Kolbe Stefan Müller (Erlangen) Dieter Stier Willi Brase Birgit Kömpel Dr. Philipp Murmann Rita Stockhofe Dr. Karl-Heinz Brunner Anette Kramme Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Edelgard Bulmahn Dr. Hans-Ulrich Krüger Michaela Noll Max Straubinger Marco Bülow Helga Kühn-Mengel Helmut Nowak Matthäus Strebl Martin Burkert Christine Lambrecht Dr. Georg Nüßlein Karin Strenz Dr. Lars Castellucci Christian Lange (Backnang) Wilfried Oellers Thomas Stritzl Petra Crone Dr. Karl Lauterbach Florian Oßner Thomas Strobl (Heilbronn) Bernhard Daldrup Steffen-Claudio Lemme Dr. Tim Ostermann Lena Strothmann Dr. Daniela De Ridder Burkhard Lischka Henning Otte Michael Stübgen Dr. Karamba Diaby Hiltrud Lotze Ingrid Pahlmann Dr. Sabine Sütterlin-Waack Sabine Dittmar Kirsten Lühmann Sylvia Pantel Dr. Peter Tauber Martin Dörmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Martin Patzelt Antje Tillmann Elvira Drobinski-Weiß Caren Marks Dr. Martin Pätzold Astrid Timmermann-Fechter Michaela Engelmeier-Heite Katja Mast Ulrich Petzold Dr. Hans-Peter Uhl Dr. h. c. Gernot Erler Hilde Mattheis Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Volker Ullrich Petra Ernstberger Dr. Matthias Miersch Sibylle Pfeiffer Arnold Vaatz Saskia Esken Klaus Mindrup Ronald Pofalla Oswin Veith Karin Evers-Meyer Susanne Mittag Eckhard Pols Thomas Viesehon Dr. Johannes Fechner Bettina Müller Thomas Rachel Michael Vietz Dr. Fritz Felgentreu Michelle Müntefering Kerstin Radomski Volkmar Vogel (Kleinsaara) Elke Ferner Dr. Rolf Mützenich Alexander Radwan Sven Volmering Dr. Ute Finckh-Krämer Andrea Nahles Alois Rainer Christel Voßbeck-Kayser Christian Flisek Dietmar Nietan Dr. Peter Ramsauer Kees de Vries Gabriele Fograscher Ulli Nissen Eckhardt Rehberg Dr. Johann Wadephul Dr. Edgar Franke Thomas Oppermann Lothar Riebsamen Marco Wanderwitz Ulrich Freese Mahmut Özdemir (Duisburg) 4158 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Aydan Özoğuz Dennis Rohde Ursula Schulte Franz Thönnes (C) Markus Paschke Dr. Martin Rosemann Swen Schulz (Spandau) Wolfgang Tiefensee Christian Petry René Röspel Ewald Schurer Carsten Träger Jeannine Pflugradt Dr. Ernst Dieter Rossmann Frank Schwabe Rüdiger Veit Detlev Pilger Michael Roth (Heringen) Stefan Schwartze Ute Vogt Sabine Poschmann Susann Rüthrich Andreas Schwarz Dirk Vöpel Joachim Poß Johann Saathoff Rita Schwarzelühr-Sutter Gabi Weber Florian Post Annette Sawade Dr. Carsten Sieling Bernd Westphal Achim Post (Minden) Dr. Hans-Joachim Rainer Spiering Dirk Wiese Dr. Wilhelm Priesmeier Schabedoth Norbert Spinrath Waltraud Wolff Florian Pronold Axel Schäfer (Bochum) Svenja Stadler (Wolmirstedt) Dr. Sascha Raabe Dr. Nina Scheer Martina Stamm-Fibich Gülistan Yüksel Martin Rabanus Marianne Schieder Sonja Steffen Dagmar Ziegler Mechthild Rawert Udo Schiefner Dr. Frank-Walter Steinmeier Stefan Zierke Gerold Reichenbach Dr. Dorothee Schlegel Christoph Strässer Dr. Jens Zimmermann Dr. Carola Reimann Ulla Schmidt (Aachen) Kerstin Tack Manfred Zöllmer Andreas Rimkus Matthias Schmidt (Berlin) Claudia Tausend Brigitte Zypries Sönke Rix Dagmar Schmidt (Wetzlar) Michael Thews

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung auch (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE die weitere Beratung. GRÜNEN]: Er arbeitet am Konzept!) Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 7: – wahrscheinlich! –, obwohl er als Wahlkämpfer diese Wahl eines Mitglieds der „Kommission Lage- Ausländermaut immer besonders laut gefordert hatte. rung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gemäß Man muss inzwischen schon vermuten, dass der § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, Satz 3 und 6 Minister mit seiner Pkw-Maut à la CSU im letzten des Standortauswahlgesetzes Sommer nur einen Wahlkampfschlager als bayerischer Drucksache 18/1961 Löwe herausbrüllen wollte. Jetzt ist er aber kleinlaut auf dem harten Boden der Realität gelandet. Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen CDU/ CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (B) 18/1961 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Zuruf von der CDU/CSU: Abwarten!) (D) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Vor- schlag ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange- Aus allen Ecken kommen deutliche Hinweise, dass so nommen. eine CSU-Maut mit der Gleichbehandlung aller Men- schen in der Europäischen Union nicht vereinbar ist. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 5 auf: Denn sie wird nur dazu dienen, ausländische Autofahrer Aktuelle Stunde abzukassieren. auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hat Ihnen das am DIE GRÜNEN letzten Sonntag in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Haltung der Bundesregierung zu Einwänden Allgemeinen Sonntagszeitung sehr deutlich ins Stamm- der EU-Kommission in Bezug auf die Einfüh- buch geschrieben. Ich zitiere: rung einer Pkw-Maut in Deutschland Eine Pkw-Maut darf somit nicht einfach mit der Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kfz-Steuer verrechnet werden. Kollegin Valerie Wilms für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein richtiger Einwand, wie ich finde, den Sie nicht so Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die einfach vom Tisch fegen können. heutige Aktuelle Stunde zur Pkw-Maut haben Sie uns Grünen zu verdanken. Wir wollen nämlich endlich ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mal Klarheit haben, nachdem die Zeitungen am Wochen- ende zu diesem Thema schon gut gefüllt waren. Soll Ihr Konzept dann etwa die Einführung einer Pkw-Maut für alle Autofahrer in Deutschland durch die Inzwischen rufen schon die Spatzen von den Dächern, Hintertür sein, wie man es den heutigen Veröffentlichun- dass es bei dem Konzept für eine Ausländermaut à la gen im Focus oder von der dpa entnehmen kann? Man CSU eine deutliche Verzögerung gibt. Die CSU hatte das hört aber nichts Genaues von Ihnen. Inzwischen ver- zur Bundestagswahl noch großspurig angekündigt. Und schieben Sie die Veröffentlichung Ihres Konzeptes er- von wem ist davon bisher nichts zu hören? Von Minister neut von Woche zu Woche. Der Verkehrsminister ist der Dobrindt – er ist heute leider auch in dieser Debatte ab- Ankündigungsminister dieser Großen Koalition, der wesend – Minister für unerledigte Dinge. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4159

Dr. Valerie Wilms (A) Werfen wir doch einmal einen Blick auf den Zeitplan Wirklich sinnvoll hingegen wäre eine Ausweitung der (C) dieses bayerischen Traumprojekts – oder sollte ich bes- Nutzerfinanzierung durch diejenigen, die die Schäden an ser „Albtraumprojekt“ sagen? den Straßen verursachen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: O ja!) NEN]: So ist es!) Erst sollte im Mai, zu Himmelfahrt, etwas vorgelegt Das sind die Lkw – das wird Ihnen auch im Wegekosten- werden. Dann hieß es: im Frühjahr. Dann hieß es: zur gutachten sehr deutlich aufgezeigt –; denn der normale CSU-Klausur im Juni, und jetzt heißt es: vor der Som- Lkw beansprucht die Straßen bis zu 60 000-mal stärker merpause. Wenn man den Minister beim Wort nimmt, als ein Pkw. Die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle müsste bis morgen etwas kommen. Danach sind wir hier Bundesstraßen würde auf Anhieb, wenn Sie sie jetzt im Bundestag nämlich in der Sommerpause. Aber es schnellstens in Gang setzen würden, bis zu 2,3 Milliar- geht weiter mit immer neuen Ankündigungen des Ver- den Euro Mehreinnahmen bringen. Dafür brauchte man kehrsministers. In einer dpa-Meldung war gestern Nach- keinen so großen ideologischen Aufwand zu betreiben, mittag schon wieder eine neue Aussage zu lesen: Jetzt wie Sie es bei der Pkw-Maut tun. sollen bis zum 11. Juli 2014 Eckpunkte vorgelegt wer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie den. Uns soll also nicht, wie uns immer mitgeteilt wurde, des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) ein Gesetzentwurf, den wir dann parlamentarisch bera- ten könnten, vorgelegt werden, sondern es sollen nur ir- Geben Sie Ihre Planungen zum CSU-Traum „Auslän- gendwelche Eckpunkte vorgelegt werden. Wir kennen dermaut“ endlich auf, und konzentrieren Sie sich auf die das Spielchen ja schon vom EEG. Wir wissen daher, wie wichtigen Dinge in der Verkehrspolitik. Sie damit umgehen. Herzlichen Dank. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN]: Genau so!) Selbst aus der eigenen Koalition, sogar aus den Rei- Präsident Dr. Norbert Lammert: hen der CSU, kommt Gegenwind zur Pkw-Maut. Das Für die Bundesregierung hat nun die Parlamentari- zeigt die Aussage der CSU-Landesgruppenchefin, Gerda sche Staatssekretärin Dorothee Bär das Wort. Hasselfeldt. Sie sagte am Dienstag gegenüber der Presse (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – ich zitiere –: „Dass das nicht so einfach ist, liegt auf der Hand.“ Ganz so leicht, wie Sie es sich im Wahl- Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- (B) kampf erträumt hatten – damals gab es den vor Ressenti- (D) ments triefenden Ruf nach einer Ausländermaut –, minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: scheint es nicht zu werden, werte Kolleginnen und Kol- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! legen von der CSU. Ich frage mich inzwischen, wie Sie Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich denke, wir sind das Kunststück „Pkw-Maut für Halter von im Ausland uns alle einig – das gilt sicherlich auch für Sie, Frau zugelassenen Fahrzeugen“ hinbekommen wollen. Sie Wilms –, dass wir eine gesunde Verkehrsinfrastruktur in müssen es ja quasi jedem recht machen: Herrn Seehofer, Deutschland brauchen, die den wachsenden Verkehren der Ihnen aus München diktiert: „Maut für ausländische in den nächsten Jahren gerecht wird. Wir haben trotz ei- Fahrzeughalter, egal wie“, der EU-Kommission, die be- ner geringer werdenden Einwohnerzahl einen starken rechtigterweise sagt: „Maut nur, wenn dadurch ausländi- Anstieg in den Bereichen Güterverkehr und Personen- sche Fahrzeughalter nicht diskriminiert werden“, und verkehr. Deswegen brauchen wir, wenn Deutschland dann kam letzte Woche auch noch der Finanzminister ins weiterhin den Anspruch hat, ein modernes Land zu sein, Spiel, der sagte: „Maut nur, wenn sie auch zu Mehrein- moderne Netze für dieses Land. nahmen führt“. Ich glaube, wir sind uns ferner alle darüber einig, dass der Wohlstand in diesem Land auch von einer modernen (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Infrastruktur abhängt. Wir wissen alle, was man noch NEN]: Er hat sie nicht eingestellt!) bauen könnte, wenn zusätzliche Einnahmen vorhanden Nach ersten Schätzungen werden den Einnahmen aus Ih- wären. Diesbezüglich hat jeder Einzelne, insbesondere rer diskriminierenden CSU-Maut in Höhe von rund jeder einzelne Verkehrspolitiker, viele Ideen. Da gibt es 300 Millionen Euro aber Bürokratiekosten in Höhe von zwei Denkschulen: Die eine ist global und hat die ganze rund 300 Millionen Euro gegenüberstehen. Das ist also Bundesrepublik im Blick, die andere – auch sie betrifft ein echtes Nullsummenspiel. jeden Einzelnen hier – hat die eigene Heimat, die eigene Region im Blick. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir diskutieren seit Jahren darüber, wie zusätzliche Damit ist der Fall klar: Ihre Ausländermaut ist der Ein- Einnahmen generiert werden können. Wir sind sehr froh, stieg in eine Pkw-Maut für alle, und das wäre Betrug am dass es in den Koalitionsverhandlungen gelungen ist, in Wähler durch die CSU. dieser Legislaturperiode 5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Sehr gute Ent- LINKE]) scheidung!) 4160 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Parl. Staatssekretärin Dorothee Bär (A) Wir wissen aber, dass wir noch mehr Geld brauchen. Es wird natürlich nicht nur von inländischen Fahrern ge- (C) Deswegen diskutieren wir in Deutschland seit Jahrzehn- nutzt, sondern eben auch von Millionen Transitreisenden ten über die Nutzerfinanzierung für Pkw. Ich verstehe, aus allen denkbaren Nachbarländern, ehrlich gesagt, eines nicht: Wir haben hier in diesem Haus schon so viele Debatten geführt, bei denen es wirk- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich um Reizthemen ging, die man hochstilisieren kann, NEN]: Ja! So wie die Deutschen in den Nie- über die man sich auch ideologisch auseinandersetzen derlanden oder in Dänemark fahren! Und?) kann, bei denen man vielleicht sogar sagen kann: Das ist und zwar kostenfrei und gebührenfrei, während deutsche eine Gewissensentscheidung. – Das gilt aber doch, bei Autofahrer in vielen europäischen Nachbarländern über aller Liebe, nicht beim Thema Pkw-Maut! entsprechende Systeme an der Infrastrukturfinanzierung beteiligt werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das ist keine Gewissensent- (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: So ist es!) scheidung! Da geht es um Geld!) Ich nenne nur Polen, Tschechien, Slowenien, Österreich, – Für mich sind Gewissensentscheidungen, Herr Kollege Italien, die Schweiz oder auch Frankreich. Behrens, Entscheidungen, bei denen es um Leben und Tod geht, aber nicht solche Entscheidungen, bei denen es Wenn man von München nach Verona fährt, dann fal- darum geht, wo weitere Einnahmen generiert werden len in Österreich und Italien für einen relativ kurzen können. Aber dazu kann jeder seine eigene Meinung ha- Zeitraum 30 Euro an. Wenn man von Köln nach Bor- ben. deaux fährt, dann zahlt man in Frankreich 70 Euro. Wenn man aber von Rotterdam bis ins wunderschöne (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Deshalb habe Rosenheim fährt, bis zur Kollegin Ludwig, dann zahlt ich ja gesagt: Es ist keine Gewissensentschei- man 0 Euro. dung, es geht um Geld!) (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Für uns ist es eine Frage der Notwendigkeit. Sie NEN]: Also eine Maut für alle?) bringt vor allem unsere ganz große Überzeugung zum Ausdruck. Liebe Frau Kollegin Wilms, das ist auch kein Es kann mir keiner sagen, dass es gerecht ist, dass man CSU-Projekt, sondern es ist das gemeinsame Projekt nichts zahlen muss, wenn man sich nur auf deutschem dieser Bundesregierung. Das ist auch im Koalitionsver- Boden bewegt, dass man aber zahlen muss, sobald man trag nachzulesen. außerhalb Deutschlands unterwegs ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also eine (D) (B) neten der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/ Maut für alle, Frau Kollegin? – Matthias DIE GRÜNEN – Dr. Valerie Wilms [BÜND- Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Dass ich nicht dafür schaffen Sie einen riesigen bürokrati- lache! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE schen Apparat!) GRÜNEN]: Das merkt man! Lesen Sie mal die Zeitungen! Die SPD gibt Ihnen Ausstiegs- Das ist eine Ungleichbehandlung, und das ist eine Ge- hilfe!) rechtigkeitslücke, die wir schließen wollen. – Ich sehe stürmischen Applaus beim Kollegen Bartol; (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das überzeugt mich an dieser Stelle. NEN]: Oho!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Das ist unser Kernanliegen. Weil wir davon überzeugt sind, sagen wir aber auch Spannenderweise teilt dieses Anliegen – so das Er- – das richtet sich an die Menschen in diesem Land –: gebnis, nachdem man die Befragung einmal richtig Das ist ein absolutes Gerechtigkeitsprojekt. durchgeführt hat – mittlerweile auch weit über die Hälfte aller ADAC-Mitglieder in Deutschland; (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Käse ist das! – Dr. Valerie Wilms (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Diskrimi- NEN]: Es sind 53 Prozent! Das ist nicht „weit nierungsprojekt!) über die Hälfte“!) Wir wollen keine Ungerechtigkeit. Wenn man sich auch das ist sehr erfreulich. Es ist also ein Gesell- Deutschland anschaut, dann sieht man – da muss man schaftsprojekt, ein Projekt, das in der Mitte der Gesell- kein Geografiegenie sein –, dass wir ein Transitland im schaft angekommen ist. Herzen Europas sind. Deutschland ist das Land mit dem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) am besten ausgebauten Autobahnnetz. Natürlich weckt ein solches Konzept, liebe Frau Kol- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- legin Wilms, große Neugierde; das verstehe ich natür- NEN]: Das war mal! Die Zeiten sind vorbei! – lich. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Jetzt ist es verrottet, weil Sie nicht in- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vestieren!) NEN]: Klar!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4161

Parl. Staatssekretärin Dorothee Bär (A) Wir haben, wie gesagt, jahrelang darüber diskutiert. Was Wenn er davon sprach, dass er sein Mautkonzept noch (C) ich nicht nachvollziehen kann – ich habe es angespro- vor der Sommerpause vorstellen wird, chen –, ist, dass man teilweise sehr ideologisch disku- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tiert. Gerade weil diesem Projekt eine so wahnsinnig NEN]: Morgen? Oder wann? – Matthias große Aufmerksamkeit zuteil wird, ist ein Höchstmaß an Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fehlt Sensibilität geboten. Ich bin sehr froh, dass unser Minis- nur noch die Jahreszahl!) ter zu den Sensiblen in dieser Bundesregierung gehört. dann war das, Frau Wilms, auch ernst gemeint. Deswe- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- gen kann ich Ihnen nur sagen, dass das Konzept steht wie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei und dass es detailliert ausgearbeitet ist. Wenn Sie der der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Meinung sind, dass für Sie schon morgen die Sommer- GRÜNEN – Martin Burkert [SPD]: Der war pause anfängt, dann kann ich nur sagen: Wir arbeiten gut!) noch etwas länger. Wenn man sich anschaut, worüber wir hier eigentlich (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- reden – es geht um 42 Millionen Autofahrer in Deutsch- wie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Valerie land, und es geht um viele weitere Millionen Autofahrer Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die aus dem Ausland –, dann muss man ganz ehrlich sagen: Sommerpause in diesem Parlament fängt mor- Natürlich geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Sonst gen an!) wären Sie doch die Ersten, die kritisieren würden, man Ich sage Ihnen: Wenn die notwendigen vertraulichen habe hier einen Schnellschuss gemacht. Gespräche geführt und die letzten Rückkopplungen er- folgt sind – das wird sehr bald sein –, dann wird Ihnen (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Der Schnell- dieses Konzept, das bereits steht, auch vorgestellt wer- schuss war schon im Wahlkampf!) den, und natürlich halten wir uns auch an die vereinbar- Deswegen ist uns die Gründlichkeit an dieser Stelle ten Vorgaben: keine Zusatzbelastungen für deutsche wichtig. Pkw-Fahrer und selbstverständlich eine Übereinstim- mung mit den Europaregeln. Man muss auch sagen: In einer Zeit, in der es heißt, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dass jedes Selbstgespräch in Berlin öffentlich ist, ist es doch toll, dass es auch noch möglich ist, etwas vertrau- Wir wissen um die Sensibilität – gerade bezogen auf lich miteinander zu besprechen. die Europakonformität. Sie haben vorhin Herrn Kallas zitiert. Herr Präsident, das werde ich jetzt auch tun. (B) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Auch ich habe den Artikel nämlich gelesen, wie Sie sich (D) GRÜNEN]: Das wurde doch gar nicht in Ber- denken können. Ich darf Ihnen jetzt also einmal vier lin geplant! Das wurde in der Staatskanzlei in Aussagen aus dem Artikel von Herrn Kallas in der München gemacht!) Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zitieren: Es gehört zur Normalität des Verfahrens, dass der Bun- Zitat eins: desminister für Verkehr und digitale Infrastruktur sein Die Europäische Kommission empfiehlt Mitglied- Konzept erst einmal mit dem Bundesfinanzminister und staaten, Straßenbenutzungsgebühren zu erheben, mit dem Bundeskanzleramt bespricht. um die für die Instandhaltung benötigten Mittel auf- zubringen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was? Der hat es ja noch gar nicht, der (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Finanzminister! – Steffi Lemke [BÜND- NEN]: Aber doch nicht solche!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Schäuble hat gesagt, Zitat zwei: er hat nichts!) So werden die Verkehrsteilnehmer nach dem Verur- – Nein, das stimmt nicht, Frau Lemke. Die beiden haben sacher- und dem Nutzerprinzip an den Kosten be- Vertraulichkeit vereinbart, und genau diese Vertraulich- teiligt, die sie der Gesellschaft verursachen. keit ist auch gewahrt worden. Zitat drei: (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Europäische Kommission begrüßt deshalb die NEN]: Und deswegen sagt der Finanzminister, Einführung oder Ausweitung von Mautsystemen in er habe das Konzept noch nicht? Aha!) einer zunehmenden Zahl von Mitgliedstaaten, da- runter auch Deutschland. Ich zumindest habe keine solche Aussage gelesen. Da liegen Sie völlig falsch. – Natürlich bespricht der Minis- Zitat vier: ter sein Konzept auch erst einmal mit den Koalitions- Die Mitgliedstaaten entscheiden selbst darüber, wie fraktionen, also mit der CDU/CSU-Fraktion und der sie die Maut erheben – ob zeitabhängig mit Vignet- SPD-Fraktion, bevor es dann den Grünen zugänglich ge- ten oder mit Gebühren, die sich nach der gefahre- macht wird. Auch das ist selbstverständlich, genauso wie nen Strecke bemessen. die Tatsache, dass er es mit der EU-Kommission erörtert. Unser Bundesminister führt diese Diskussionen also seit (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Ob Auslän- geraumer Zeit und mit einer sehr hohen Intensität. der oder Inländer!) 4162 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Parl. Staatssekretärin Dorothee Bär (A) Sie sehen also: Das hat Herr Kallas auch dargelegt. Gestern war Minister Dobrindt bei EU-Verkehrskom- (C) missar Siim Kallas in Brüssel. Es hieß, das sei ein Rou- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tinearbeitstreffen. Ein Routinearbeitstreffen, obwohl es NEN]: Also doch die Maut für alle!) noch nicht einmal einen Antrittsbesuch in Brüssel gege- Ich kann Ihnen sagen: Der Minister hat Gespräche ge- ben hat? Das ist eine merkwürdige Art von Routine. führt, und aus der Europäischen Kommission kommen Nein, man muss hier nur einmal eins und eins zusam- hier sehr positive Signale, die uns zeigen, dass wir auf menzählen, um zu sehen, wie es zu diesem spontanen dem richtigen Weg sind. Besuch gekommen ist. Da es im Kanzleramt mit der Prä- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sentation des Mautkonzepts gar nicht mehr so schnell NEN]: Die Maut für alle werden Sie einfüh- gehen muss, ist doch jedem klar, dass ihn die Kanzlerin ren!) nach Brüssel geschickt hat, um dort nachzufragen, was möglich ist und was nicht. Das heißt, hier von einem Deswegen noch einmal an die Adresse der Grünen: Routinebesuch zu sprechen, ist eine ziemliche Frechheit. Für uns ist es selbstverständlich, dass wir ein europa- rechtskonformes Modell vorstellen und einführen wer- (Beifall bei der LINKEN) den. Die Europäische Kommission hat von Anfang an (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE klargemacht, dass die Ausländermaut – das ist der Un- GRÜNEN]: Das ist aber immer noch nicht da! terschied, Frau Bär – und das Europarecht einfach nicht Wie lange brauchen Sie denn dafür?) zusammengehen werden. Ich weiß nicht, wie oft Herr Kallas in den letzten Monaten mit folgendem Satz zu hö- Das ist überhaupt nicht der Diskussion wert, und ich bin ren war: mir ganz sicher: Wenn wir die Pkw-Maut erfolgreich eingeführt haben, werden Sie alle nicht verstehen kön- Eine Pkw-Maut darf so nicht einfach mit der Kfz- nen, wie Sie dieses Zukunftsmodell jemals haben blo- Steuer verrechnet werden. ckieren können. Das ist ein wichtiger Satz, den Sie vorhin nicht zitiert ha- Herzlichen Dank. ben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ihr Vorschlag verstößt eindeutig gegen das Diskrimi- neten der SPD – Matthias Gastel [BÜND- nierungsverbot. Liebe Kolleginnen und Kollegen von NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben wir end- der CSU, um das zu erkennen, reichen ein paar europa- lich vollständige Klarheit!) (B) rechtliche Grundkenntnisse. Sie sollten sich einmal an- (D) sehen, wie die Einführung der Maut in den 90er-Jahren Präsident Dr. Norbert Lammert: in Österreich verlaufen ist. Sie müssen offensichtlich ge- Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke ist der nau auf die Höhe der Mautsätze achten, wenn Monats- nächste Redner. und Wochenvignetten eingeführt werden sollen, wie zu- letzt angekündigt worden ist. Diese Regelung ist den Ös- (Beifall bei der LINKEN) terreichern nämlich auf die Füße gefallen, weil sie dabei einen Fehler gemacht hatten. Oder nehmen Sie doch ein- Herbert Behrens (DIE LINKE): fach das EU-Ratsdokument 10166/12 zur Kenntnis. Frau Bär, Sie haben sich wacker geschlagen, aber ich Diese Art Grundkurs in Sachen Verhältnismäßigkeits- finde es unfair, dass Ihr Minister Sie hier ins Rennen prüfung sollte eigentlich genügen. schickt, um das zu vertreten, was er schon längst vorbe- reitet hat bzw. was er nicht durchsetzen kann. An Ihrer Stelle würde ich mir Gedanken darüber ma- chen, wie Ihre Mautpläne mit dem europäischen Beihil- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- ferecht zu vereinbaren sind, wenn es diese Pläne noch NIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Scheuer geben sollte. Es gibt in Deutschland mehrere Hundert- [CDU/CSU]: Das kann sie! Da machen Sie tausend Mietwagen. Wenn diese bei der Maut durch die sich mal keine Gedanken!) Kfz-Steuer genauso entlastet werden sollten wie die Pri- vat-Pkw, dann kann mit einer Welle von Klagen von Au- Darum will ich mich auch vornehmlich an Herrn tovermietern zum Beispiel aus Enschede oder Stettin ge- Dobrindt abarbeiten, und ich hoffe, dass das, was hier rechnet werden, da ihnen der Marktzugang durch diese vorgetragen wird, auch bei ihm ankommt. Art der Verrechnung schlicht und ergreifend erschwert Als Erstes möchte ich ihn einmal zitieren: würde. Das wäre vielleicht eine Denksportaufgabe für das kommende Wochenende. Es gibt zwei Dinge, die ohne Zweifel sind: dass Deutschland ins WM-Finale kommt und dass die (Beifall bei der LINKEN) Pkw-Maut zum 01.01.2016 scharfgeschaltet wird. Aber der Gegenwind kommt beileibe nicht nur aus Das ist eine gewagte These. Sie stammt vom Verkehrs- Brüssel. Wie in den letzten Tagen zu hören war, gibt es minister und ist gerade einmal knapp drei Wochen alt. offenbar auch eine kleine Palastrevolution im Verkehrs- Der erste Teil seiner Prophezeiung kann noch in Erfül- ministerium. Auf den Fluren des Ministeriums beklagt lung gehen, beim zweiten sehe ich allerdings schwarz. man die fehlende Kommunikation in Sachen Pkw-Maut. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4163

Herbert Behrens (A) (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Minister Dobrindt, Sie haben ganz offensichtlich (C) NEN]: Wo nichts ist, kann man auch nichts das Vertrauen verloren, nicht das der Linken – das hatten kommunizieren!) Sie nie –, aber das der CSU-Spitze, der Kanzlerin und Ihrer Ministerkollegen von der SPD und der CDU/CSU. Andere Ressorts sind verstimmt, weil es eine Abstim- Was sehen wir nach sechs Monaten Amtszeit? Einen mung mit der EU und vor allem mit dem Finanzministe- Mauthelden auf dem Schleudersitz. Frau Bär, einen rium nicht gab und weiterhin nicht gibt. Minister Schäuble schönen Gruß an Ihren Minister. Er möge sich das, was dürfte aufgefallen sein, dass mit der Dobrindt’schen Aus- ich gesagt habe, zu Herzen nehmen. ländermaut einfach kein Geld zu machen ist und dass das Konzept hinten und vorne nicht stimmt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) NEN]: So ist es!)

Gleiches gilt wohl auch für den CSU-Parteivorsitzenden Präsident Dr. Norbert Lammert: Seehofer. Die für das Wochenende groß angekündigte Sören Bartol ist der nächste Redner für die SPD-Frak- Vorstellung der Mautvorschläge wurde kurzfristig abge- tion. blasen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Dobrindt steht inzwischen vor dem Nichts. Er der CDU/CSU) hat sich die Suppe aber selbst eingebrockt. Er war für den Rechtsruck im Bundestagswahlkampf der Union Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass nach verantwortlich. Er ist kein Sensibelchen, wie eben darge- unserer Geschäftsordnung die Reden in einer Aktuellen stellt worden ist. Er hat beispielsweise Volker Beck aufs Stunde nicht länger als fünf Minuten dauern dürfen. – Übelste beschimpft und schwulenfeindliche Klischees Wenn das keine Steilvorlage ist: Bitte schön, Herr bedient, um seine Politik zu machen. Bartol. (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Hören Sie mit dem Mist auf, der überhaupt nicht stimmt!) Sören Bartol (SPD): Herr Präsident, die Frage ist, warum bei mir dieser Bei dem Versuch, mit der Pkw-Maut die AfD rechts zu Hinweis kommt. – Aber vielen Dank. überholen, ist er in eine verkehrspolitische Sackgasse geraten. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Oh Mann, Kolleginnen und Kollegen! Der Plan der Opposition ist (B) sind Sie weit weg!) sehr durchschaubar. Sie wollen die Bundesregierung un- (D) ter Druck setzen und den zuständigen Minister öffentlich Wer mit einer Ausländermaut üble Ressentiments be- bloßstellen. dient, der hat auch nichts anderes verdient. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NEN]: Das macht er schon selbst!) NIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen ganz klar: Sie sollten Ihre Ungeduld et- So kommt der Verkehrsminister aus der Zwangslage was zügeln. Geben Sie doch dem Bundesverkehrsminis- nicht heraus. ter und seinem Ministerium und den Kollegen im Bun- Eine Maut, die nur Ausländer belastet und trotzdem desfinanzministerium und im Bundeskanzleramt die Geld in die Kasse spült, gleicht einer Quadratur des notwendige Zeit, um in Ruhe ein Konzept für eine Pkw- Kreises. Das dürfte auch Siim Kallas im Hinterkopf ge- Maut auszuarbeiten! Das ist eine große Herausforde- habt haben, als er dem Minister bei der Einführung der rung, die höchste Präzision erfordert. Pkw-Maut „Viel Spaß“ gewünscht hat. Aber der Spaß (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dürfte wohl bald ein Ende haben. – Hören Sie gut zu! – Liebe Kolleginnen und Kollegen, (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) ich kann Sie beruhigen. Am Ende wird der Deutsche Ich werde jetzt nicht den Rücktritt des Ministers for- Bundestag entscheiden, und zwar nicht nur auf der dern. Aber was sagen seine Parteifreunde? Ich will es Grundlage von Eckpunkten, einmal fußballtechnisch ausdrücken: Was bedeutet es, (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wenn ein Vereinsvorstand seinem Trainer nach einer NEN]: Das kennen wir aber anders!) Niederlage der Mannschaft das volle Vertrauen aus- spricht? Richtig, er sollte sich schleunigst einen neuen sondern auf der Basis eines konkreten Gesetzentwurfes Job suchen. – Die Vertrauensbekundung von Gerda in einem geordneten Verfahren mit Expertenanhörung Hasselfeldt für ihren Parteifreund Dobrindt sollte ihn und Beratungen in den Ausschüssen. sehr stutzig machen. Er sollte genau zur Kenntnis neh- men, wie sein Parteivorsitzender Seehofer auf das Maut- Offensichtlich schaut gerade das ganze Land nach konzept reagiert hat. Berlin und will die Details der Pkw-Vignette erfahren. Das ist nur zu verständlich, da es sich um kein ganz ein- (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Da machen faches Unterfangen handelt. Ich weiß jedoch, dass Bun- Sie sich mal keine Gedanken!) desverkehrsminister Alexander Dobrindt gerade sehr 4164 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Sören Bartol (A) hart und intensiv an einer Lösung arbeitet. Dabei hat er Wenn die im Koalitionsvertrag formulierten Bedingun- (C) mein vollstes Vertrauen. gen erfüllt sind, dann – und nur dann – wird es in Deutschland eine Pkw-Vignette geben. Jetzt ist die Bun- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) desregierung, vorneweg der Bundesverkehrsminister, an Gut ist auch, dass sich das Bundesfinanzministerium der Reihe, etwas Konkretes vorzulegen. Wenn das vor- jetzt intensiv in die Beratungen eingeschaltet hat. liegt, werden wir als SPD bzw. als Koalitionspartner und, ich denke, auch Sie alle – dafür ist die wunderbare (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Sommerpause da – das gemeinsam wohlwollend, aber GRÜNEN]: Großes Kino!) kritisch prüfen. Aus unserer Sicht drängt die Zeit nicht. Der Minister hat Vielen Dank. selbst angekündigt, noch vor der Sommerpause etwas (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – vorzulegen. Ob das eine Woche früher oder später pas- Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- siert, ist aus unserer Sicht nicht entscheidend. NEN]: Das wird das Sommerlochthema in die- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sem Jahr!) Wir sind uns in der Koalition einig, dass der Koali- tionsvertrag gilt. Mobilität muss in Deutschland auch in Präsident Dr. Norbert Lammert: Zukunft für alle bezahlbar bleiben. Das haben CDU, Ich weiß jetzt, Herr Bartol, warum ich den Hinweis CSU und SPD miteinander fest vereinbart. Deswegen auf die Redezeit zu Beginn Ihrer Rede gegeben habe: darf auch kein einziger Autofahrer aus Deutschland weil ich geahnt habe, dass Sie den Nachweis führen wür- durch eine Pkw-Maut mehr belastet werden. Das ist ein den, dass es auch in vier Minuten geht. Versprechen, auf das sich alle verlassen können. (Heiterkeit) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nächster Redner ist der Kollege Steffen Bilger für die der CDU/CSU) CDU/CSU-Fraktion. Gleichzeitig haben sich CDU, CSU und SPD darauf ver- (Beifall bei der CDU/CSU) ständigt, dass wir uns an die Spielregeln der Europäi- schen Union halten werden: Alle Autofahrer, auch aus Steffen Bilger (CDU/CSU): den Niederlanden und Dänemark, die nach Deutschland Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kommen, müssen gleichbehandelt werden. Das ist eine Wenn Sie gestatten, werde ich versuchen, die fünf Minu- Frage der guten Nachbarschaft und damit eine Selbstver- (B) ten auszunutzen. – Mütterrente, Mindestlohn, Pkw-Maut – (D) ständlichkeit in einem gemeinsamen Europa. Daher das waren Schlagworte, die die Koalitionsverhandlun- nehme ich die Hinweise des EU-Kommissars Siim Kal- gen überschrieben haben, die aber auch wichtige Anlie- las sehr ernst, der letzten Sonntag in der Frankfurter All- gen der drei Parteien wiedergeben. Vielleicht erklärt der gemeinen Sonntagszeitung geschrieben hat – es ist be- Umstand der politischen Bedeutung des Themas Pkw- reits einiges daraus zitiert worden –: Maut auch die, wie ich finde, etwas unsinnige Aufge- Eine Pkw-Maut darf somit nicht einfach mit der regtheit, mit der diese Debatte bisweilen geführt wird, Kfz-Steuer verrechnet werden. Es kann nicht sein, bis hin zu dieser Aktuellen Stunde im Bundestag. dass ein inländischer Autofahrer die Maut über die (Beifall bei der CDU/CSU) Steuer automatisch zurückerstattet bekommt. Eigentlich sind sich alle einig. Die Infrastruktur Wenn das die Position der Europäischen Kommission braucht mehr Geld. Da ist es doch naheliegend, über Zu- ist, gehe ich davon aus, dass die Bundesregierung das satzeinnahmen nachzudenken. Frau Wilms, wir denken selbstverständlich bei ihrer Erarbeitung der Pläne be- selbstverständlich auch an die Lkw-Maut; rücksichtigt. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NEN]: Die ist auch richtig!) der CDU/CSU) wir werden dieses Thema heute Abend noch im Bundes- Die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland kann tag debattieren. Wir denken aber auch an andere Zusatz- kein Selbstzweck sein. In den Koalitionsfraktionen sind einnahmen. Wenn es Zusatzeinnahmen sind, die noch wir uns einig, dass eine Pkw-Vignette nur dann die breite nicht einmal den deutschen Autofahrer zusätzlich be- Akzeptanz der Bevölkerung finden wird, wenn es am lasten, dann ist diese Überlegung, glaube ich, sinnvoll. Ende auch nennenswerte Einnahmen gibt. Die Bürgerin- Zumindest ist die Aufregung, mit der sich auch hier nen und Bürger werden genau darauf achten, ob durch manche eingebracht haben, in höchstem Maße unange- die Kosten der Erhebung die zusätzlichen Einnahmen messen. nicht umgehend wieder aufgefressen werden. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass über die Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD im Bun- Pkw-Maut schon so lange diskutiert wird und wahr- destag steht zum Koalitionsvertrag. Das gehört sich auch scheinlich jeder Deutsche dazu eine klare Meinung so unter Koalitionspartnern. – entweder dafür oder dagegen – hat. Ich kann nur sehr begrüßen, dass diese Koalition die Umsetzung der Pkw- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Maut in Angriff nimmt. Liebe Kolleginnen und Kolle- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4165

Steffen Bilger (A) gen von der SPD, ich persönlich hätte nicht gedacht, in seinem Beitrag empfohlen – halten wir nicht für die (C) dass ich in wenigen Wochen sowohl der Rente mit 63 als richtige Lösung. Wir wollen eine einfache Lösung, die auch dem Mindestlohn zustimmen würde. zudem keinen Anlass zur Besorgnis hinsichtlich einer Überwachung der Autofahrer bietet und nicht zu einer (Beifall bei der SPD – Sören Bartol [SPD]: Benachteiligung von Berufspendlern und ländlichen Das war eine gute Entscheidung! – Martin Räumen führt. Burkert [SPD]: Willkommen in der Koalition!) (Beifall bei der CDU/CSU) Daher bitte ich um Gelassenheit, wie Sie Sören Bartol gerade ausgestrahlt hat. Nach den genannten politischen Gerade einmal fünf Länder in Europa verzichten Großprojekten freuen wir uns natürlich über Unterstüt- komplett auf eine Pkw-Autobahnmaut. Dass ausgerech- zung für dieses Anliegen, das uns besonders wichtig ist. net das Transitland Nummer eins, Deutschland, dazu ge- hört, kann doch wirklich nicht sein, meine Damen und (Beifall bei der CDU/CSU) Herren. Wir haben gute Gründe für die Einführung einer Pkw-Maut: Transitland Nummer eins bedeutet vielfach Ich habe darauf verzichtet, zusammenzutragen, wann Stauregion Nummer eins. Unsere Infrastruktur ist unter- sich welche Landesverbände welcher Partei für welche finanziert; wir brauchen einfach mehr Geld im System. Art einer Pkw-Maut ausgesprochen haben. Ich glaube, Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit. Wer unsere uns allen ist bewusst, dass die Positionierung zu diesem Straßen benutzt, soll dafür bezahlen, genauso wie Mil- Thema doch sehr von regionalen Erfahrungen abhängt, lionen deutscher Pendler und Urlauber. sodass es keinesfalls so ist, dass die eine Partei dafür und die andere komplett dagegen wäre. So gab es vor kurzer Herr Behrens, eines will ich doch noch einmal klar- Zeit auch einen Vorschlag von Ministerpräsident Albig, stellen: Die Einführung einer Pkw-Maut für ausländi- der auf viel Kritik gestoßen ist, der aber gezeigt hat, dass sche Fahrzeuge hat nun wirklich nichts mit Ausländer- bei dem Thema Infrastrukturfinanzierung Handlungsbe- feindlichkeit zu tun. darf besteht. (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Na ja!) (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Er wollte das jedenfalls nicht zum 1. Januar umsetzen!) Aus den genannten Gründen sollten wir alle an der Einführung einer Pkw-Maut arbeiten. Ich bitte hierfür Ausgangslage für unsere aktuellen Überlegungen zur um Unterstützung und auch um die nötige Gelassenheit Pkw-Maut ist der Koalitionsvertrag; das wurde schon bei dieser Debatte. angesprochen. Dort ist festgehalten: Die Pkw-Maut wird im Inland zugelassene Fahrzeuge nicht zusätzlich belas- Vielen Dank. (B) ten. Die erzielten Einnahmen fließen in die Infrastruktur, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) und – ganz klar – das Ganze muss europarechtskonform sein. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich muss wegen der Art, wie diese Diskussion zurzeit Thomas Lutze ist der nächste Redner für die Fraktion geführt wird, noch einmal darauf hinweisen: Brüssel hat Die Linke. überhaupt nichts gegen eine Pkw-Maut; das wurde schon (Beifall bei der LINKEN) gesagt. Ganz im Gegenteil: EU-Verkehrskommissar Kallas hat in seinem bereits angesprochenen Beitrag in Thomas Lutze (DIE LINKE): der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sogar aus- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen drücklich darauf hingewiesen, dass die Kommission den und Herren! Liebe Frau Staatssekretärin, es geht Ihnen Mitgliedstaaten die Erhebung von Straßenbenutzungsge- um Gerechtigkeit. Das ist eine gute Idee. Bei diesem bühren empfiehlt. Was vielen auch nicht richtig bewusst Thema sind wir sogar dabei. ist, ist, dass die EU auch heute schon eine gewisse Be- nachteiligung von Haltern ausländischer Fahrzeuge zu- (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt doch für die lässt. Denn wer eine 10-Tages-Vignette in einem EU- Maut?) Mitgliedstaat erwirbt, der bezahlt mehr als der, der die – Warten Sie es ab! – Ihnen geht es, wenn ich Sie richtig Jahresvignette hat, wenn man es auf die Tage der Auto- verstanden habe, darum, dass sich alle, die auf deutschen bahnbenutzung herunterrechnet. Eine gewisse Benach- Straßen Auto fahren, an der Finanzierung beteiligen. Vor teiligung ausländischer Verkehrsteilnehmer ist also diesem Hintergrund verweisen Sie darauf, dass ausländi- durchaus konform mit den Vorgaben der Europäischen sche Pkw hierzulande ohne Plakette fahren dürfen, wäh- Kommission. Deshalb wundere ich mich manchmal über rend deutsche Autofahrer im Ausland zumeist für Pla- die Erwartung, die jetzt an Brüssel gerichtet wird, dass ketten oder an Mautstationen zahlen müssen. Nun die Pkw-Maut auf jeden Fall scheitern wird. Ich bin mir suchen Sie genauso wie Ihre Vorgänger nach einer Lö- sehr sicher, dass wir mit der EU-Kommission einen Weg sung und haben sich dabei sehr weit aus dem Fenster ge- finden werden, die Pkw-Maut in Deutschland einzufüh- lehnt. Sie haben ein für meine Begriffe in der Öffentlich- ren. keit sehr populäres Thema aufgebauscht, um Ihre zurückgehenden Wahlergebnisse in Bayern wieder etwas Ich will allerdings noch eine Vorstellung, die Herr aufzubessern. Es tut mir leid, aber mit Realpolitik hat Kallas geäußert hat, ansprechen; denn sie ist keine Vor- das relativ wenig zu tun. stellung, die wir teilen. Entfernungsabhängige Gebühren für Pkw – er hat sie nicht zur Bedingung gemacht, aber (Beifall bei der LINKEN) 4166 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Thomas Lutze (A) Nun zieht ausgerechnet die von Ihnen sehr geliebte Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) EU die Notbremse. Alle vorausgegangenen Warnungen Ich erteile das Wort nun der Kollegin Kirsten – übrigens auch aus den Reihen der Union und des Ko- Lühmann für die SPD-Fraktion. alitionspartners SPD – haben Sie kontinuierlich igno- riert. Doch es ist noch nicht zu spät. Blasen Sie einfach (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die ganze Aktion ab! Das Ganze kommt Sie gar nicht so der CDU/CSU) teuer. Vielleicht steht morgen noch etwas Negatives in der Presse. Aber spätestens am Samstag hat jeder das Kirsten Lühmann (SPD): Thema vergessen. Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr verehrte Gäste! In einer Aktuellen Wenn Sie nach Lösungen unter dem Gerechtigkeitsas- Stunde sollte man sich mit aktuellen Themen befassen, pekt vor allem bei der Finanzierung im Verkehrssektor also mit etwas Neuem zu einem Thema, über das debat- suchen, dann probieren Sie es doch einmal mit folgen- tiert wird. Ich habe geschaut, was es Neues zum Thema dem Thema: Zum Beispiel im Fernverkehr konkurrieren Maut gibt. Ich habe etwas gefunden: Eine Gemeinde im die Bahn, das Flugzeug und neuerdings die Fernbus- Kreis Oldenburg bei uns in Niedersachsen plant eine linien um die Reisenden. Nun kann man zu jedem Ver- Treckermaut, um Geld für den Erhalt ihrer Wirtschafts- kehrsmittel seine eigene Meinung haben; auch wir waren wege einzunehmen. Das ist eine aktuelle Meldung von an der ein oder anderen Stelle sehr kritisch. Wenn Sie gestern. aber schon Wettbewerb organisieren und zulassen, dann muss dieser Wettbewerb wenigstens zu denselben Rah- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Herbert menbedingungen stattfinden. Gehen Sie also einmal der Behrens [DIE LINKE]: Aber doch wohl nicht Frage nach, warum ein Bahnbetreiber für jeden Kilome- nur für ausländische Trecker!) ter, der auf der Schiene zurückgelegt wird, eine Gebühr Ich glaube aber, dass das kein Thema ist, mit dem sich zahlt, warum ein Eisenbahnverkehrsunternehmen für je- der Deutsche Bundestag befasst. Wenn ich der Meldung den Halt an einem Bahnhof oder Haltepunkt ebenfalls glauben darf, wird dieser Vorschlag keine Mehrheit fin- eine Gebühr zahlen muss. Ich frage Sie: Warum fahren den. Wenn es nun aber nichts Neues zur Maut gibt, dann die Fernlinienbusse auf deutschen Autobahnen kosten- könnten Sie auch andere Formate nehmen, liebe Freunde los? Warum wird hier keine Maut erhoben? Ich glaube, von den Grünen, zum Beispiel eine Pressekonferenz, um ein entsprechendes Gesetz benötigt eine halbe DIN-A4- die eigene Meinung zu gewissen Themen darzulegen. Seite, und Sie haben dann eine zusätzliche Einnahme für die Verkehrsinfrastruktur. Das, was die Koalition zum Thema Maut vereinbart hat, steht schon seit längerem in unserem Koalitionsver- (B) (Beifall bei der LINKEN) trag. Da haben wir übrigens auch alle Pläne, wie wir uns (D) Oder haben wir etwa keine Probleme bei der Finanzie- eine Infrastrukturfinanzierung vorstellen, dargelegt. Wir rung der Sanierung von Autobahnbrücken? haben dort nämlich festgelegt, dass es uns hauptsächlich um die Sanierung von Straßen und Brücken geht. Wir Ich stelle auch die Frage, warum gerade die Kommu- haben festgelegt, dass wir um einen Neubau nicht ganz nen, deren Kassen ohnehin sehr klamm sind, selber die herumkommen werden, um den prognostizierten Zu- Haltestellen für Fernbusse bezahlen müssen, während wachs des Güterverkehrs um 39 Prozent bewältigen zu die Betreiber der Fernbuslinien völlig außen vor sind. Ist können. Wir haben dort auch festgelegt, dass wir die Fi- das Gerechtigkeit, Frau Staatssekretärin? Ich glaube nanzierung dazu auf zwei Säulen stellen werden. Die nicht. Noch eine Frage ist interessant, Stichwort „Treib- erste Säule ist die Steuerfinanzierung, und die zweite stoff“. Während die Betreiber von Bussen und Bahnen Säule wird die Nutzerfinanzierung sein. Wir haben auch Mineralölsteuer und Ökosteuer und was weiß ich für gesagt, dass wir das so eingenommene Geld effizienter Steuern zahlen müssen, fliegen die Airlines kostenlos. verplanen und verbauen wollen, sodass wir mehr für un- Kerosin? Fehlanzeige bei Mineralölsteuer und Öko- sere Infrastruktur tun können. Ich glaube, das sind sehr steuer! Ist das Gerechtigkeit im Verkehrssektor, wenn es gute Verabredungen. um die Finanzierung geht? Ich glaube: Nein. Zum einen stärken wir das Prinzip „Erhalt vor Neu- Liebe Frau Staatssekretärin – das geht auch an die bau“. Das ist ein ganz wichtiges Thema, das die Men- Adresse von Herrn Dobrindt –, kümmern Sie sich bitte schen draußen betrifft. In meinem Wahlkreis gibt es eine um die gravierenden Probleme im Verkehrssektor und viel befahrene Bundesstraße durch einen Ort, die diese um dessen Finanzierung! Lassen Sie den Unfug mit der Woche erneuert wird. Die Fahrbahn wird neu gemacht; Pkw-Maut! das ist eine Maßnahme, auf die die Menschen schon sehr lange warten, weil sie lärmgeplagt sind und es mit dieser (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten neuen Fahrbahndecke wesentlich ruhiger werden wird. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum anderen werden wir beim Neubau darauf achten, Ich glaube, das uneingeschränkte Lob der Opposition dass die geförderten Projekte auch einen optimalen Nut- und vielleicht auch aus Teilen der Regierung wird Ihnen zen entfalten können. Wir werden Verkehrsknoten ent- dann hier im Hohen Hause sicher sein. lasten und zusätzliche Kapazitäten auf den meistgenutz- Herzlichen Dank. ten Verbindungen schaffen. Geld, das am Ende des Jahres noch nicht verbaut wurde, muss nun nicht mehr (Beifall bei der LINKEN) an den Finanzminister zurückgegeben werden, sondern Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4167

Kirsten Lühmann (A) steht im nächsten Jahr zusätzlich zur Verfügung. Das ist Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) eine weitere sinnvolle Neuerung, die wir eingeführt ha- Frau Kollegin! ben. Doch ohne weiteres Geld werden wir die Herausfor- Kirsten Lühmann (SPD): derungen nicht bewältigen. Darum haben wir verabredet, Ich wünsche uns allen gute Erholung, damit wir im zusätzliche 5 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode zur September die dann aktuellen Themen und eventuell die Verfügung zu stellen. Wir wollen die Infrastruktur wie- vorliegenden Gedanken der EU-Kommission zu dem ei- der in einen Zustand versetzen, wie es für den Wirt- nen oder anderen Thema gemeinsam debattieren kön- schaftsstandort Deutschland unabdingbar ist. Wir wissen nen. auch: Wenn wir das wollen, reichen diese 5 Milliarden Herzlichen Dank. Euro nicht aus. Wir werden also um eine verstärkte Nutzerfinanzierung nicht herumkommen. Dabei berück- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sichtigen wir aber, dass ein Lkw – das wurde schon er- der CDU/CSU) wähnt – unsere Straßen 60 000-mal mehr schädigt als ein Pkw. Deshalb haben SPD und Union vereinbart, die Präsident Dr. Norbert Lammert: Lkw-Maut auf alle Bundesfernstraßen und auf Lkw ab Nun freue ich mich auf den nächsten Redner der 7,5 Tonnen auszudehnen. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den Kollegen Gastel, Wir haben weiterhin vereinbart, dass wir über die den ich bitten möchte, wenn er ebenfalls schöne Wün- Einführung einer Pkw-Maut für Halter und Halterinnen sche für die Urlaubspause unterbringen möchte, das in- von im Ausland gemeldeten Kraftfahrzeugen nachden- nerhalb der fünf Minuten Redezeit zu tun, die er zur Ver- ken. In 21 europäischen Ländern gibt es eine allgemeine fügung hat. Pkw-Maut, meist streckenbezogen, manchmal mit Vi- (Heiterkeit) gnette. Aber zehn Länder in Europa verzichten darauf, darunter auch unsere Nachbarn Niederlande, Dänemark Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und Großbritannien. Daher können wir die Mauterhe- bung nicht zu einer Frage der Gerechtigkeit machen. Wann die Pause losgeht, definiert ja in diesem Jahr Wenn wir das nämlich machten, dürften wir nur von den der Minister. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kol- Fahrern solcher Länder Maut erheben, in denen auch wir leginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über eines zahlen müssen. Also, für die Dänen, bei denen wir freie der größten Staatsgeheimnisse unserer Zeit. Ich spreche Fahrt haben, wäre die deutsche Pkw-Maut ungerecht. nicht über die Handytelefonate unserer Kanzlerin. Nein, ich spreche über die geplante CSU-Maut. Wenn die (B) (Beifall bei der SPD) Pläne vorgelegt werden, dann bleiben viele spannende (D) Rätsel zu lösen: Die Pkw-Maut, so wie wir sie vereinbart haben, muss drei gleichwertige Bedingungen erfüllen – sie sind ge- Rätsel Nummer eins: Sind die Mautpläne EU-rechts- nannt worden –: Die Halter und Halterinnen von in konform? Die Aussagen von EU-Verkehrskommissar Deutschland gemeldeten Kraftfahrzeugen dürfen nicht Kallas vom Wochenende haben nochmals die hohen zusätzlich belastet werden, weil sie genug in den allge- Hürden aufgezeigt. Unabhängig davon ist der Gedanke, meinen Haushalt einzahlen, aus dem wir unsere Straßen Autofahrer aus dem Ausland einseitig zu belasten, bezahlen. Es müssen erhebliche zusätzliche Mittel gene- schlichtweg antieuropäisch. riert werden. Ein Verwaltungsmonster, das den Großteil (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Einnahmen auffrisst, wäre sinnlos. Und sie muss sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- dem europäischen Recht entsprechen. KEN) Verkehrsminister Dobrindt hat versichert, dass er eine Rätsel Nummer zwei: Wie wird eine Mehrbelastung so ausgewogene Lösung vorlegen wird. Also, warten wir deutscher Autofahrer vermieden? Eine solche Vermei- sie ab. Ich weiß nicht, woher diese Hektik kommt. Wenn dung war ja ein zentrales Wahlversprechen der CSU. dieser Gesetzesvorschlag auf dem Tisch liegt, dann wird Aber selbst dann, wenn eine Kompensation über die die EU-Kommission qualifiziert dazu Stellung beziehen. Kfz-Steuer gelingen sollte: Was ist, wenn die Niederlän- Da ich nicht hellsehen kann, weiß ich weder, was in dem der oder die Dänen als Reaktion auf die deutsche Maut Gesetzentwurf zur Pkw-Maut steht, noch weiß ich, wel- ebenfalls eine Maut einführen? Spätestens dann ist die- che Gedanken sich die EU-Kommission dann dazu ma- ses Versprechen gebrochen. chen wird. Darum erschließt sich mir nicht, warum wir heute darüber reden. Eine Aktuelle Stunde dient übli- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- cherweise dazu, aktuelle und nicht zukünftige Themen SES 90/DIE GRÜNEN) zu debattieren. Rätsel Nummer drei: Werden Gelder in nennenswer- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tem Umfang für die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung generiert? Der Aufwand für die Pkw-Maut wird gigan- Wenn die Stellungnahme der EU-Kommission vorliegt, tisch sein. Für die Erhebung der Kfz-Steuer sind schon freue ich mich darauf, diese Stellungnahme mit Ihnen zu jetzt knapp 1 800 Personalstellen eingerichtet. Wenn die debattieren. Jetzt freue ich mich erst einmal auf den Be- Steuer künftig mit verschiedenen Mautsätzen, bei- ginn der Parlamentspause Ende der Woche. spielsweise für Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahres- 4168 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Matthias Gastel (A) vignetten, verrechnet werden muss, wird noch viel im schönen Bayern zu entspannen! Steigen Sie in Bay- (C) mehr Personal erforderlich sein. – Jetzt einmal Tacheles ern auf einen hohen Berg und erhaschen Sie einen Weit- gesprochen: Jährlich fehlen für den Erhalt der Infrastruk- blick, um zu erkennen: Die CSU-Maut ist ein Rohrkre- tur in Deutschland 7,2 Milliarden Euro. Was macht die pierer und gehört gestoppt! Große Koalition? Sie finanziert mit ihrer CSU-Maut den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Betrag hinter dem Komma, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dafür verursacht sie einen gigantischen bürokrati- Präsident Dr. Norbert Lammert: schen Aufwand mit enormen Verwaltungskosten: mehr Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Personal für die Verwaltung bei geringeren Einnahmen Andreas Scheuer das Wort. aus der Kfz-Steuer. Sie sollten sich besser endlich ein- (Beifall bei der CDU/CSU) mal um die Infrastruktur kümmern. Wie es um diese steht, ist nämlich im Gegensatz zu Ihren Mautplänen Andreas Scheuer (CDU/CSU): kein Geheimnis. Die Infrastruktur an Schienenwegen und Straßen verlottert zusehends. Aber was machen Sie? Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Kollegen Gastel sieht man, dass es guttut, dass die Sie arbeiten an einer Maut, die nichts bringt. Sommerpause bald kommt, damit man sich wieder ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bisschen abreagieren kann, Herr Kollege Gastel. Sie sind ja selbstständiger Wirtschaftsmediator. Wenn Sie alle Ich komme zum vierten und letzten Rätsel: Worin Probleme in den von Ihnen zu beratenden Unternehmen liegt der Sinn dieser Maut? Dieses Rätsel, meine Damen lösen, wie Sie manche politischen Probleme lösen, dann und Herren, kann ich lösen: Sie macht keinen Sinn, und wird daraus nichts. sie ist noch dazu ungerecht; denn egal ob Viel- oder We- nigfahrer, die Einheitsmaut kostet alle das Gleiche, und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – egal ob Spritschlucker oder sparsames Fahrzeug, die Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Einheitsmaut kostet alle das Gleiche. Mit dieser Flatrate- NEN) vignette werden völlig falsche Anreize gesetzt: Meine Damen und Herren, Herr Kollege Gastel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommt ja aus Baden-Württemberg. Da las ich schon am 13. August 2012: Vorstoß für Pkw-Maut. Wir brauchen einmal zahlen und dann fahren, so viel man will. So wird dringend mehr Geld. – 25. August 2013: Eine Maut für der Stau nicht weniger, und so gibt es auch keinerlei An- alle ist die beste Lösung. – 24. August 2013: Hermann (B) reiz, vermehrt öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Was fordert Pkw-Maut auf allen deutschen Straßen. – Meine (D) wir von Ihnen als Regierung erwarten, ist ein Konzept, Damen und Herren, das ist Ihr baden-württembergischer wie Sie Mobilität mit geringerem Ressourcenverbrauch Verkehrsminister, der die CSU in ihrem Kurs unterstützt. möglich machen wollen, und dafür bedarf es der richti- Das ist die Wahrheit. gen Anreize. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pkw-Maut Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE für alle! – Weiterer Zuruf von BÜNDNIS 90/ GRÜNEN]: Das kann Dobrindt aber nicht!) DIE GRÜNEN: Den Unterschied kann man schon erkennen!) Meine Damen und Herren, Sie sehen: Diese Maut ist das Ergebnis eines unsinnigen, populistischen Wahlver- Wir haben jetzt auch entdeckt, dass die Kolleginnen sprechens der CSU. Sie bringt nichts, kostet aber viel. und Kollegen der Grünen-Fraktion hellseherische Fähig- Im Übrigen bricht einer von Ihnen ohnehin ein Wahlver- keiten haben. Sie diskutieren jetzt schon über ein Kon- sprechen: entweder die Kanzlerin, die vor laufenden Ka- zept, meras versprochen hat: „Mit mir gibt es keine solche (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Maut“, oder die CSU, die im Wahlkampf genau das Ge- NEN]: Das schon längst vorliegen sollte!) genteil verspochen hat. Wir wünschen uns, dass die CSU ihr Versprechen brechen muss. das der Bundesminister erst sehr sorgfältig erstellen und dann vorlegen wird. Sie aber spekulieren und kommen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tieren schon. Das ist, glaube ich, der falsche Weg. Das Denn deren Mautidee ist der Versuch einer Quadratur soll auch die Weltöffentlichkeit wissen. Wenn es richtig wäre, was Sie sagen, nämlich dass es antieuropäisch des Kreises: hohe Einnahmen ohne Mehrbelastungen für wäre, eine Pkw-Maut einzuführen, dann wären 21 Staa- deutsche Autofahrer, und das auch noch EU-rechtskon- ten in der EU, die ein Pkw-Maut-System haben, antieu- form. Die Vignette kann aber nur eines davon sein: ent- ropäisch. Ja, was ist denn das für eine Logik? weder rund oder eckig. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist doch, dass Herr Minister – er ist zwar nicht da, ich sage es ihm sich unsere Kolleginnen und Kollegen von den Grünen trotzdem –, nutzen Sie die Sommerpause! Nicht um vor- in einer verkehrspolitischen Sackgasse bewegen. her noch einen Schnellschuss mit einer unsinnigen Maut zu machen, nein, nutzen Sie die Sommerpause, um sich (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4169

Andreas Scheuer (A) Damals, am 28. Oktober 2013, hat der Europaabgeord- Meine Damen und Herren, schauen wir uns doch ein- (C) nete Cramer von den Grünen nämlich eine Antwort des mal die Vorschläge an, die in den letzten Jahrzehnten auf EU-Kommissars Siim Kallas bekommen, und darin dem Tisch gelegen haben: Im letzten Jahr forderte der heißt es ganz eindeutig: Die EU-Kommission hat nichts ADAC eine Erhöhung der Mineralölsteuer. 92 Prozent gegen eine Pkw-Maut. – Das ist in Wahrheit Ihr ver- der Bürgerinnen und Bürger sind gegen die Erhöhung kehrspolitischer Rohrkrepierer, mit dem Sie jetzt nicht der Mineralölsteuer. Die Grünen fordern in ihrem Pro- zurechtkommen; denn die EU-Kommission ist in dieser gramm die Citymaut. 78 Prozent sind gegen die Einfüh- Antwort klar für ein nutzerfinanziertes System und für rung einer Citymaut. Aber 88 Prozent der Bürgerinnen eine Pkw-Maut, liebe Kolleginnen und Kollegen. und Bürger sind für das Modell der Pkw-Maut für Aus- länder, und das setzt die Große Koalition um. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber doch nicht für Ihr Modell! – (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das wird man sehen!) NEN]: Aber es darf Ausländer nicht diskrimi- Wir machen das, was die Mehrheit der Bürgerinnen und nieren!) Bürger will, nämlich die Gerechtigkeitslücke zu schlie- ßen und zusätzlich Finanzierungsquellen für unsere In- – Herr Kollege, regen Sie sich wieder ab! Ich konzen- frastruktur zu erschließen. triere mich jetzt auf die Linksfraktion. Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, wer- Ich habe nämlich gerade mitbekommen, Herr Kollege den sehr überrascht sein davon, wie viel Mehreinnahmen Lutze, dass Sie gegen die wichtigen Fernbuslinien in wir bekommen. Deswegen freue ich mich auf das Kon- Deutschland argumentieren; denn Sie wollen jetzt eine zept, das Bundesverkehrsminister Dobrindt Bus-Maut für die Fernbuslinien einführen. Sie wollen doch auch, dass unsere jungen Menschen, unsere Rent- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nerinnen und Rentner, die vielleicht nicht so auf die Zeit, NEN]: Wann?) aber vor allem auf ihr Portemonnaie schauen müssen, ausarbeitet. Er war gestern in Brüssel. Er ist mit guten Mobilität in Deutschland haben. Dass diese Fernbusli- Nachrichten aus Brüssel zurückgekommen und wird zu- nien zum Erfolgsschlager, zu einem Erfolg für die Mobi- sammen mit den Kolleginnen und Kollegen in der Bun- lität in Deutschland geworden sind, sieht man an dem desregierung und in den Koalitionsfraktionen ein Kon- breiten Angebot. zept auf den Weg bringen, wovon alle profitieren, die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland am allermeis- (Beifall bei der CDU/CSU) ten, wenn sie nämlich durch zusätzliche Mauteinnahmen (B) Für mich ist neu, dass die Linke jetzt so unsozial ist, dass eine bessere Infrastruktur bekommen. (D) sie diese Personengruppen am liebsten noch zusätzlich Herzlichen Dank. durch steigende Preise belasten will, indem wir eine Bus-Maut einführen sollen. Das ist eine gute Nachricht (Beifall bei der CDU/CSU) für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion; denn wir haben das in der letzten Wahlperiode eingeführt, und die Fern- Präsident Dr. Norbert Lammert: buslinien sind ein großer Erfolg. Martin Burkert ist der nächste Redner für die SPD- Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine Damen und Herren, was ist die eigentliche Si- der CDU/CSU) tuationsanalyse, wenn man es verkehrspolitisch betrach- tet? Seit Jahrzehnten diskutieren wir über eine Pkw- Martin Burkert (SPD): Maut. Seit Jahrzehnten diskutieren die EU-Kommission, Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten der EU-Ministerrat über nutzerfinanzierte Systeme. Seit Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jahrzehnten beklagen sich die Verkehrspolitiker, dass zu Liebe Frau Bär, mich würde einmal interessieren, ob Sie wenig Geld im Infrastruktursystem ist. Diese Große sich vorgestellt haben, dass es mit der Pkw-Maut jemals Koalition schafft es zum einen, dass wir 5 Milliarden ernst werden könnte. Denn die ersten Rufe nach der Euro zusätzlich für die Infrastruktur bekommen und da- Pkw-Maut vom Podium im Deutschen Bundestag ertön- mit auch den Länderinteressen und -anliegen Rechnung ten, als dieser noch in Bonn war. Da waren wir beide tragen, indem unsere Infrastruktur noch besser wird. Wir noch Teenager. erschließen auf der anderen Seite zusätzliche Finanzie- rungsquellen und schließen, liebe Kollegin Lühmann, (Zuruf von der CDU/CSU: Die Frau Bär viel- eine Gerechtigkeitslücke, indem wir die beteiligen, die leicht! – Heiterkeit) kostenlos durch das Transitland Deutschland durchfah- – Der Herr Scheuer auch; darauf können wir uns viel- ren. Wir beteiligen die ausländischen EU-Mitbürger an leicht einigen. der Finanzierung der Infrastruktur, die unser Land bis dato kostenlos zum Durchfahren nutzen. Wir beteiligen Ich denke da gerade an jemanden aus Ihren Reihen. sie an der Infrastrukturfinanzierung. Es ist doch gerecht, Von dem CSU-Abgeordneten Dionys Jobst – Sie wissen, dass sie herangezogen werden, wenn sie unsere Infra- wer das war – stammt bekanntermaßen auch die Idee, struktur benutzen. dass man Mallorca zum 17. Bundesland machen könnte. 4170 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Martin Burkert (A) Daraus ist bis heute nichts geworden. Da stehen die Ak- Wir haben uns im Koalitionsvertrag geeinigt, dass wir (C) tien und die Chancen für die Pkw-Maut aktuell besser. uns einer Pkw-Maut unter bestimmten Voraussetzungen nicht entgegenstellen werden. Die Punkte müssen erfüllt Präsident Dr. Norbert Lammert: sein – es ist mehrfach genannt worden –: Die Maut darf Es wird unterschiedlich beurteilt. nicht gegen Europarecht verstoßen und darf den deut- schen Autofahrer nicht stärker belasten. Ich will daran erinnern, dass die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Martin Burkert (SPD): Deutschland das mehrfach und vor allem in dem Kanz- Sie werden es noch wissen, Herr Präsident. lerduell Millionen von Zuschauern gesagt hat. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Präsident Dr. Norbert Lammert: SES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage ja gerade: Es wird sehr unterschiedlich beur- teilt, ob daraus nichts geworden ist. Wir wollen mehr Geld in die Kasse bekommen und nicht, dass Verwaltungskosten gleich alles auffressen; (Heiterkeit) denn in einem sind wir uns hier im Hohen Hause einig: Wir brauchen mehr Geld für die Infrastruktur, liebe Kol- Martin Burkert (SPD): leginnen und Kollegen. Das ist der entscheidende Punkt. Aus Mallorca, ja? – Das wäre eine extra Aktuelle Stunde wert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜND- (Heiterkeit – Beifall bei der SPD und der NIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir in Wir haben auch Vorschläge gemacht. Die Lkw-Maut der Sommerpause!) – wir haben sie gefordert – gibt es heute. Sie haben es mit Ihren CSU-Mitstreitern geschafft, Frau Bär, verstehen Sie mich nicht falsch, ich will erst den Unionsfreunden außerhalb Bayerns die Pkw- Ihre Qualitäten als Köchin nicht infrage stellen. Maut aufs Auge zu drücken, und dann – das will ich (Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Das ist auch sagen – haben Sie es geschafft, dieses von uns nicht noch so eine Frechheit! – Heiterkeit bei der gewollte Kind der Großen Koalition in die Wiege zu le- SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/ gen. Die Verhandlungsführer sind da: der Kollege DIE GRÜNEN) Pronold, der Kollege Ramsauer. (B) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo Präsident Dr. Norbert Lammert: (D) ist Herr Ramsauer eigentlich?) Herr Kollege Kampeter, Sie halten sich auf der Regie- Deshalb werden wir das jetzt begleiten; völlig klar. Wir rungsbank bitte heraus, solange Sie sich nicht ordentlich Sozialdemokraten stehen zu dem, was im Koalitionsver- zu Wort melden. trag enthalten ist; nicht mehr, aber auch nicht weniger. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und So ist das. der SPD – Parl. Staatssekretär Steffen Ihr Parteifreund Jobst wetterte bereits in den 80er- Kampeter begibt sich von der Regierungsbank Jahren, also vor 30 Jahren, er sei es leid, vergeblich da- in die Reihen der CDU/CSU-Fraktion) rauf zu warten, dass die Nachbarstaaten ihre Autobahn- gebühr abschaffen, während Ausländer auf deutschen Martin Burkert (SPD): Autobahnen umsonst fahren. Ob allerdings eine Politik Herr Präsident, die Zeit läuft davon, aber es macht nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“ unbedingt nichts. Ich will nur sagen, dass der andere Koch nicht an- christlich ist, das wage ich zu bezweifeln. wesend ist. Aber, Frau Bär, ich hoffe, Brüssel wird die (Beifall des Abg. Sven-Christian Kindler Suppe dann nicht versalzen. Darauf werden wir genau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schauen. Das EU-Recht haben wir angesprochen. Es sind nicht unbedingt edle Gefühle, die bei den Wähle- Es wäre auch ungerecht – das will ich noch einmal sa- rinnen und Wählern abgerufen werden, wenn das Motto gen –, wenn jemand, der im Jahr Tausende Kilometer auf heißt: Wenn wir im Ausland zahlen, sollen die Ausländer Autobahnen fährt, genauso viel zahlen müsste wie derje- auch bei uns zahlen. – Zu diesem Thema und zu den mä- nige, der einmal im Jahr von dem wunderschönen Ro- ßigen finanziellen Effekten hat Peer Steinbrück im senheim über den Brenner zum Gardasee fährt. Auch Kanzlerduell das Nötige gesagt. hier müssen wir aufpassen. Es würde auch ganz bestimmt nicht die Weitsicht der (Beifall des Abg. Harald Ebner [BÜND- Autofahrer fördern, wenn die Windschutzscheibe mit NIS 90/DIE GRÜNEN]) Dutzenden farbenfroher Plaketten zugeklebt würde, weil Zum Schluss möchte ich als bayerischer Abgeordne- jedes Land in Europa ein „Papperl“ verlangt. Von einer ter anmerken: wünschenswerten einheitlichen europäischen Verkehrs- politik will ich in diesem Zusammenhang gar nicht re- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: den. Fränkischer!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4171

Martin Burkert (A) Liebe Opposition, die Sommerpause beginnt in Bayern Der Kollege Scheuer hat gerade EU-Kommissar (C) im August. Das muss man einmal sagen. Um eines Kallas zitiert. Ich will dies auch noch einmal tun. In der möchte ich Sie, Frau Bär und Herr Scheuer, ausdrücklich gerade erwähnten Antwort vom 28. Oktober 2013 auf bitten: Die bayerische CSU hat die Pkw-Maut in die eine Anfrage von Michael Cramer, Mitglied Ihrer Frak- Welt gesetzt, weil sie die Ausländer nicht ungeschoren tion im Europäischen Parlament, hat der Verkehrskom- auf unseren Autobahnen fahren lassen will. Bitte achten missar wörtlich gesagt: Sie beide und auch Herr Minister Dobrindt darauf, dass Herr Seehofer in der Hitze des Sommerlochs nicht noch Grundsätzlich stellt eine Senkung der Kraftfahr- den bayerischen Stammtischen folgt und für die Preußen zeugsteuern für gebietsansässige Nutzer … bei eine Extramaut auf bayerischen Autobahnen vorschlägt. gleichzeitiger Erhebung angemessener Nutzungs- Darum bitte ich Sie. gebühren für alle Nutzer also keine Diskriminie- rung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar. (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Deutlicher geht es nimmer. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Das ist ein Kommentar der Kommission der Als bayerischer Landesgruppenchef habe ich einige Europäischen Union. Die ist hier maßgebend. Sperenzchen mitgemacht und bin es gewohnt. Deshalb will ich zum Schluss schon sagen, dass unsere Zusam- (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel menarbeit erfreulich gut ist. Das darf man heute auch sa- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht noch gen. mehr drin! Er hat noch mehr dazu gesagt!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/ Liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es hier CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tatsächlich? Es geht darum, darüber nachzudenken, wie wir mehr Geld in unsere Verkehrsinfrastruktur investie- Präsident Dr. Norbert Lammert: ren können. Das Wort hat nun der Kollege Oliver Wittke für die (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CDU/CSU-Fraktion. NEN]: Ja, klar! Sie wollen an die Lkw-Maut (Beifall bei der CDU/CSU) ran!) Das ist mittlerweile eine politische Binsenweisheit, die Oliver Wittke (CDU/CSU): auch bei Ihnen, Frau Wilms, angekommen sein müsste. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) NEN]: Ja! Klar!) (D) Haltung der Bundesregierung zu Einwänden der EU-Kommission in Bezug auf die Einführung einer Wir müssen mehr Geld in die Unterhaltung, in die Sanie- Pkw-Maut in Deutschland rung und auch in den Ausbau unserer Fernstraßen inves- tieren. So lautet das Thema der Aktuellen Stunde, die Bünd- nis 90/Die Grünen beantragt hat. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir müssen an die ran, die sie uns ka- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- puttmachen!) NEN]: Darüber reden wir!) Da gibt es nur drei Möglichkeiten, woher das Geld kom- Ich stelle zu Beginn meiner Rede fest, dass von Ihnen, men kann: entweder neue Schulden oder Steuermittel Frau Wilms und Herr Gastel, kein einziger Einwand von oder Gebühren. Neue Schulden sind mit uns nicht zu Bedeutung der EU-Kommission gegenüber einer Pkw- machen. Aus Steuermitteln stellen wir in dieser Legisla- Maut in Deutschland, die im Konzept vorliegt, vorgetra- turperiode schon 5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. gen worden ist. Das kann auch gar nicht sein; denn es wäre komisch, wenn die Einwände vor der Veröffentli- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chung eines Gesetzentwurfes öffentlich werden. Von da- NEN]: Für den Neubau von Straßen!) her ist die heutige Debatte, die Sie beantragt haben, nichts anderes als der Versuch, einen Vorgang zu skanda- Darüber hinaus werden wir gebührenfinanziert, nämlich lisieren, der gar nicht skandalisierbar ist, weil ein tat- durch eine Pkw-Maut, zusätzliche Mittel für den Fern- sächliches Konzept das Licht der Öffentlichkeit noch gar straßenbau und für die Sanierung von Fernstraßen in nicht erblickt hat. Darum kann es keine Einwände der Deutschland generieren. Europäischen Union in dieser Frage geben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel NEN]: Das ist unglaublich!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem, was in der Zeitung steht?) Sie unterliegen einem Irrtum, wenn Sie glauben, es ginge darum, Ausländer abzuzocken. Nein, es geht, wie – Wenn Sie den Entwurf haben, dann stellen Sie ihn hier es im Koalitionsvertrag heißt, um die zusätzliche Finan- vor. Wenn es tatsächlich Einwände der EU-Kommission zierung von Fernstraßenbau in Deutschland, um nichts gibt, tragen Sie diese hier vor. Sie haben es bis zum jetzi- anderes – nicht um Abzocke, sondern um mehr Mittel gen Zeitpunkt nicht getan. für Investitionen. 4172 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Oliver Wittke (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms und wie wir es im Übrigen der Infrastruktur und damit (C) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht für den den Menschen in diesem Land schulden. Erhalt, nur für den Neubau! Oder was?) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Darum haben wir – das ist mehrfach vorgetragen wor- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den – zwei Bedingungen ausdrücklich festgelegt. Ich neten der SPD) komme gleich noch zu einer weiteren konkludenten Be- dingung, wenn man so sagen will. Die beiden ausdrück- lich niedergeschriebenen Bedingungen lauten „keine Präsident Dr. Norbert Lammert: Mehrbelastung für deutsche Autofahrer“ und „die Rege- Ulrich Lange ist der nächste Redner für die CDU/ lung soll EU-rechtskonform sein“. CSU-Fraktion. (Beifall des Abg. Martin Burkert [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe keinen Zweifel daran, dass beide Bedingungen Ulrich Lange (CDU/CSU): im Gesetzentwurf von Minister Dobrindt enthalten sein Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! werden. Lassen Sie uns dann darüber reden, wenn der Hurra, sie lebt noch, die Opposition. Gesetzentwurf vorliegt. Ich sage Ihnen: Beide Bedin- gungen werden erfüllt sein. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wenn ihr schon gar nichts mehr einfällt, dann nimmt sie neten der SPD – Matthias Gastel [BÜND- noch ein Thema, zu dem es eigentlich nichts Neues gibt. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wann kommt der Liebe Kollegin Wilms, lieber Kollege Gastel, wo wa- Gesetzentwurf? – Dr. Valerie Wilms [BÜND- ren Sie denn heute in der Fachdebatte zur digitalen Infra- NIS 90/DIE GRÜNEN]: 2015! Oder was?) struktur? Es gibt eine konkludente Bedingung, die ich hier auch (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- noch erwähnen will: Vernünftig muss die Regelung NEN]: Da haben wir nach Ihrem Konzept ge- schon sein. Vernünftig heißt: Der Aufwand muss deut- sucht und es nicht gefunden!) lich geringer sein als der Nettoertrag. Beides muss in einem vernünftigen Verhältnis stehen; denn nur zum Da waren Sie weit und breit nicht zu sehen, weil Sie hier Geldwechseln werden wir natürlich keine Pkw-Maut noch Ihren Showtanz vorbereiten mussten, für den es ei- einführen können. Wir wollen, dass am Ende Mittel für gentlich keinen Anlass gibt. Seien Sie beruhigt: Vonsei- (B) den Fernstraßenbau übrig bleiben. Wenn ich mir an- ten der CSU gab und gibt es keinen Betrug am Wähler, (D) schaue, dass seit der erfolgreichen Einführung der Lkw- liebe Kollegin Wilms. Maut gerade einmal 10 Prozent des Aufkommens für de- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren Verwaltung aufgewandt werden, dann muss ich sa- NEN]: Aha!) gen: Da liegt die Latte in einer richtigen Höhe. Sie muss nach Möglichkeit noch darunter liegen, damit möglichst Ich kann mich noch sehr gut an die letzte Aktuelle viele Mittel in den Fernstraßenbau investiert werden Stunde vor der Sommerpause vor der Bundestagswahl können und nicht nur Geld gewechselt wird. erinnern. Da habe ich Ihnen auf die Frage, wie diese Pkw-Maut denn in den Koalitionsvertrag kommen soll, (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geantwortet: Seien Sie beruhigt, die CSU verhandelt mit. – NEN]: Bei Ihrer Pkw-Maut wird viel mehr Bü- Sie steht jetzt im Koalitionsvertrag. Wie es Horst rokratie gebraucht!) Seehofer gesagt hat: ohne Maut keine Unterschrift, und Das bedeutet im Übrigen auch, dass die Regelung prakti- wie es die Kanzlerin gesagt hat: keine Mehrbelastung für kabel sein muss. Wir wollen kein bürokratisches Mons- die deutschen Bürgerinnen und Bürger. ter. Wir wollen eine praktikable Handhabung der Pkw- (Beifall bei der CDU/CSU und der der SPD – Maut; auch das ist selbstverständlich. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Die Kanzlerin hat gesagt: keine Maut!) Also sind die Bedingungen abgesteckt. Damit ist auch Ich bin sicher, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dass klar, in welchem Rahmen die Maut kommt. all diese Bedingungen in einem Gesetzentwurf von Minister Dobrindt enthalten sein werden. Darum ver- Herr Kollege Lutze, schön, dass Sie auch mal wieder stehe ich die Aufregung zum jetzigen Zeitpunkt nicht. da sind; im Ausschuss sehen wir Sie nicht mehr so häu- Wir werden – dann auf dem Fundament eines ordentli- fig. Es ist klar: Wir brauchen kein Lob von Ihnen. Das ist chen Gesetzentwurfs – ja noch viele Möglichkeiten ha- der Unterschied zwischen Opposition und Regierung. ben, darüber zu debattieren. Dann werden Sie sehen: Der Wir haben einen Wählerauftrag, den wir hier erfüllen. Koalitionsvertrag wird Punkt für Punkt eingehalten wer- Loben können Sie sich in der Opposition selber; es wird den, so wie wir es vereinbart haben nichts bringen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollege Burkert, eine Bemerkung sind Sie mir als NEN]: Dann wird es also keine Auslän- bayerischer Kollege jetzt wert. Ihre Rede hat gezeigt, dermaut geben!) warum die Verhältnisse in München so sind, wie sie Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4173

Ulrich Lange (A) sind: Das, was Sie sagen, geht manchmal am bayeri- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) schen Lebensgefühl vorbei. neten der SPD – Martin Burkert [SPD]: Aus- drücklicher Beifall!) (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Martin Burkert [SPD]: In München Der Präsident leuchtet schon. stellen wir den Oberbürgermeister!) (Heiterkeit) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon mehr- Aber ich bleibe im Rahmen der bisherigen Überziehun- fach angesprochen worden: Es gibt eigentlich nichts gen in der letzten Aktuellen Stunde vor der Sommer- Neues. Auch der Namensartikel von Siim Kallas in der pause; wir wollen ein bisschen amüsiert in diese Pause Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bietet keinen gehen. Anlass zu dieser Diskussion. Darin stellt er nur fest: Die EU sagt Ja zu einer Nutzerfinanzierung, weil sie genau Ich halte fest: Wir haben einen Koalitionsvertrag, in weiß, dass es ohne Nutzerfinanzierung nicht genügend dem es heißt, dass die Pkw-Maut zu keiner Mehrbelas- Geld für die in Europa so notleidende Verkehrsinfra- tung deutscher Autofahrer führen darf und EU-rechts- struktur gibt. Ja, die EU sagt, dass wir frei entscheiden konform ausgestaltet werden soll. Das ist die Aufgabe, können, wie wir die Pkw-Maut aufsetzen. Auch das ist die uns gestellt ist. Wir werden sie erfüllen. nichts Neues, sondern nur eine Bestätigung unserer Posi- tion. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Kollege.

Am Ende des Artikels heißt es, dass wir nicht diskrimi- Ulrich Lange (CDU/CSU): nieren dürfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich Eine Koalition mit der CSU, mit der Union heißt im- denke doch, dass wir hier im Deutschen Bundestag bis- mer: mehr Geld für die Infrastruktur, Schließung der Ge- her sehr gute Europäer sind und waren; wir werden die rechtigkeitslücke und Straßenbau. europäischen Grundsätze mit Sicherheit nicht verletzen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Vor allem Neubau, Neubau, Neubau!) wie des Abg. Martin Burkert [SPD]) Vielen Dank. Ich glaube, dass das hier Konsens ist, und in diesem Konsens werden wir die Pkw-Maut auf den Weg brin- (Beifall bei der CDU/CSU – Martin Burkert (B) gen. [SPD]: Schönen Urlaub!) (D) (Martin Burkert [SPD]: Sehr gut!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für mich steht außer Zweifel, dass die Einführung der Herr Kollege, wenn die Koalition die eigene Regie- Maut am Ende eine Frage der Gerechtigkeit ist. In über rung lobt, bleibt dem Präsidenten eigentlich nichts mehr, 20 EU-Staaten ist eine solche Infrastrukturfinanzierung als zu leuchten. in Form einer Nutzerfinanzierung möglich. Dann ist es (Heiterkeit) doch nur eine Frage der Gerechtigkeit und Solidarität, die ich durchaus empfinde, wenn ich durch Österreich Nun hat als letzter Redner der Kollege Arnold Vaatz oder Italien fahre; das Wort. (Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) CSU]) ich habe Verständnis für die Österreicher, dass sie für die Arnold Vaatz (CDU/CSU): Nutzung ihrer Straßen von mir Geld verlangen, denn ich Danke, Herr Präsident, für Ihre wertvolle Erläuterung nutze sie ja auch – ich nutze sie in Italien, ich nutze sie in zu Ihrer Rolle. Frankreich, ich nutze sie in über 20 Staaten der EU. Das (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und ist gerecht; dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es stellt sich die Frage: Wozu führen wir diese Debatte? das ist europäische Solidarität. Ich glaube, auch wir kön- nen uns in diesem Rahmen bewegen. (Heiterkeit bei der SPD – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Herr Lammert, eine Frage an Der Vergleich mit einem Trainer amüsiert mich. Wer Sie!) ist denn Präsident, wer ist Trainer, und wer ist Kotrainer? – Liebe Frau Staatssekretärin, ich würde Sie hier auf der An manchen Sitzungstagen gehen die Debatten bis tief Regierungsbank nie als Kotrainerin sehen. – Das gilt ins- in die Nacht. Wir verplempern heute unsere wertvolle besondere deshalb, lieber Kollege Behrens, weil die Kol- Zeit, indem die Möglichkeit, eine Aktuelle Stunde legin Dorothee Bär als sehr kompetente und sehr gute durchzuführen, missbraucht wird, um über Dinge zu re- Staatssekretärin heute hier den Minister vertreten hat. den, die der Volksmund als ungelegte Eier bezeichnet. 4174 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Arnold Vaatz (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- in Deutschland zugelassen haben, im Zuge dieser Neu- (C) neten der SPD – Alexander Ulrich [DIE festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer keine zusätzliche LINKE]: Dann setzen Sie sich doch wieder!) Belastung erfahren, dann ist das kongruent zu unserem Wahlversprechen, und wir werden es auch so umsetzen. Solange wir den Gesetzentwurf nicht kennen, ist eine Diskussion darüber reine Spekulation; das müsste ei- Wie das genau geschehen wird, das werden Sie dem gentlich jedem klar sein. Eines wissen wir – das ist viel- Gesetzentwurf entnehmen, den der Herr Minister bald leicht der einzige Bezug zum Thema der heutigen De- vorlegen wird. Ich bin sicher: Wenn dieser Gesetzent- batte –: Kommissar Kallas hält es prinzipiell für richtig, wurf vorliegt, dann wird Ihr Empörungspotenzial – das dass wir stärker in die Nutzerfinanzierung eintreten. Das ist der einzige Grund, warum Sie die heutige Debatte be- sollte eigentlich auch unser gemeinsames Bestreben antragt haben – erheblich zurückgegangen sein. sein. Ich wünsche Ihnen eine schöne Sommerpause, viel Ich bin trotzdem nicht ganz unglücklich über die De- Sonne und Zeit zum Nachdenken. batte, weil sie uns die Gelegenheit gibt, etwas dazu zu (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- sagen, was die Menschen empfinden, die in der Nähe der wie bei Abgeordneten der SPD) Grenze von Ländern wohnen, in denen eine Maut erho- ben wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau! Sehr Noch ist es nicht so weit. – Die Aktuelle Stunde ist richtig!) damit beendet. Sie empfinden die Situation als grobe Ungerechtigkeit Ich rufe die Zusatzpunkte 6 a und 6 b auf: und die Art, wie wir darüber reden, als ignorant, und zwar aus dem ganz einfachen Grund: Es sind ärmere Ge- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- genden, die an jene Länder grenzen, in denen Maut erho- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes ben wird, zum Beispiel das Erzgebirge oder der Bayri- zur Einstufung weiterer Staaten als sichere sche Wald. Die Menschen dort wünschen sich von uns, Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des dass wir diese tiefempfundene Ungerechtigkeit beseiti- Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und gen. Sie möchten nicht als Ausländerfeinde oder als An- geduldete Ausländer tieuropäer bezeichnet werden, sondern Sie wollen ernst Drucksachen 18/1528, 18/1766 genommen werden. Sie wollen, dass dieselben Regeln, die sie im Ausland beachten müssen, auch von Men- Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- schusses (4. Ausschuss) (B) schen aus dem Ausland, die zu uns ins Inland kommen, (D) beachtet werden müssen. Das ist der Punkt. Drucksachen 18/1954, 18/2004 (Beifall bei der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- LINKE]: Das setzt das Gesetz voraus!) richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Ich kann daran nichts Negatives erkennen. Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter Es gibt zwei Möglichkeiten der Finanzierung: einer- und der Fraktion DIE LINKE seits durch Steuern und andererseits durch eine Nutzerfi- Schutzbedarf von Roma aus Westbalkanstaa- nanzierung durch die Maut. Ich kann an diesem dualen ten anerkennen Prinzip nichts Falsches erkennen. Falsch ist allerdings, dass fortwährend Dinge vermischt werden, wo es nichts Drucksachen 18/1616, 18/1954, 18/2004 zu vermischen gibt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Was bedeutet das? Wir wollen eine Maut für alle die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aha! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes- NEN]: Na, jetzt ist es raus!) minister des Innern, Thomas de Maizière, das Wort. – Moment! –, wir wollen allerdings eine Maut, die un- sere inländischen Autofahrer nicht zusätzlich belastet. Dr. Thomas de Maizière (CDU/CSU): Das haben wir gesagt, und an diese Prämisse werden wir Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir uns halten. beraten heute in zweiter und dritter Lesung einen Ge- setzentwurf, der zwei wichtige Bestandteile hat, die Ein- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- stufung von drei Ländern als sichere Herkunftsstaaten wie des Abg. Martin Burkert [SPD]) und eine erleichterte Arbeitsaufnahmemöglichkeit für Asylbewerber. Die Kraftfahrzeugsteuer festzusetzen, ist ein originä- res souveränes Recht jedes europäischen Landes; wir Seit Aufhebung der Visumspflicht für Serbien, Bos- brauchen dafür keine Genehmigung der Europäischen nien-Herzegowina und Mazedonien haben wir in Union. Wenn wir die Kraftfahrzeugsteuer neu festsetzen, Deutschland einen sprunghaften Anstieg der Zahl der dann ist das unser Recht als Parlament. Wenn inländi- Asylanträge aus diesen Ländern beobachtet. Im Ver- sche Autofahrer, also Fahrzeughalter, die ihre Fahrzeuge gleich zum Vorjahreszeitraum haben sich die Zahlen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4175

Dr. Thomas de Maizière (A) mehr als verdoppelt. Für das zweite Halbjahr 2014 ist jenigen, die bleiben dürfen, nicht arbeiten dürfen, ihren (C) nochmals eine deutliche Steigerung zu erwarten. Die Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten, Beiträge und Zahl der anerkannten Schutzbedürftigen bei den Ange- Steuern nicht zahlen und sich hier nicht integrieren? Die hörigen dieser Staaten liegt jedoch bei unter 1 Prozent. Verkürzung der Wartezeit ist richtig, und auch dafür bitte Die Aufhebung der Visumspflicht für diese Staaten war ich um Ihre Zustimmung. gedacht, damit Reiseverkehr entsteht, Handel entsteht, Wandel entsteht, Kontakte entstehen, aber die Aufhe- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) bung der Visumspflicht war nicht dazu gedacht, damit Das Gesetz ist zustimmungspflichtig. Das heißt, der man ohne Visum hier Asyl beantragen kann. Bundesrat muss diesem Gesetz zustimmen. Dazu gibt es Durch den vorliegenden Gesetzentwurf sollen aus- Gespräche. Wir werden aufnahmebereit zuhören, was sichtslose Asylanträge von Angehörigen dieser Staaten von einigen Ländern in diesen Gesprächen dazu vorge- schneller bearbeitet und ihr Aufenthalt in Deutschland tragen wird, gegebenenfalls auch in einem Gesamtzu- schneller beendet werden können. Bund, Länder und sammenhang mit dem Thema Migration. Das Konzept Kommunen können dadurch von erheblichen Kosten der sicheren Herkunftsstaaten als solches kann aber nicht entlastet werden. Hinzu kommt, dass die hohe Zahl der zur Disposition stehen. Es ist europäisches Recht. Ich letztlich erfolglosen Asylanträge aus den Westbalkan- sehe im Rat überhaupt keine politische Mehrheit, das zu staaten im Ergebnis zulasten der tatsächlich schutz- ändern. Die Staats- und Regierungschefs haben in ihren bedürftigen Asylsuchenden geht. Wir können mehr Beschlüssen zum Post-Stockholm-Prozess, also zu ihren Verfolgte aus Syrien aufnehmen, wenn weniger Nicht- Vorhaben in der Innen- und Rechtspolitik in den nächs- verfolgte zum Beispiel aus Serbien zu uns kommen. So ten fünf Jahren gesagt: Wir haben eine gemeinsame eu- einfach ist die Lage. ropäische Asylpolitik. Wir wollen sie jetzt einheitlich und solidarisch angewendet sehen, aber wir wollen sie Die Anhörung im Deutschen Bundestag hat unsere nicht grundsätzlich ändern. Einschätzung bestätigt, dass diese drei Staaten als si- chere Herkunftsstaaten angesehen werden können. Dort Unser Bundespräsident hat zu Beginn dieser Woche drohen weder Verfolgung noch Folter noch unmenschli- eine vielbeachtete Rede zum Flüchtlingsschutz gehalten. che Behandlung. Das gilt auch in Bezug auf die Volks- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Er hat Sie auch gruppe der Sinti und Roma. Die Anhörung hat ferner ge- kritisiert!) zeigt – Herr Oppermann hat das in der Generaldebatte sehr überzeugend vorgetragen –: Das Asylrecht ist nicht – Zunächst einmal hat er auf meinen Migrationshinter- der richtige Ort, der zweifellos schwierigen sozialen und grund hingewiesen. Das ist das eine. – Über manches (B) wirtschaftlichen Lage in bestimmten Herkunftsländern wird sicher noch zu reden sein, auch selbstkritisch, Frau (D) zu begegnen und die damit verbundenen Fragen zu lö- Jelpke; das ist klar. Das werden wir tun. Das Thema sen. „Flüchtlingsschutz/Asylbewerber“ bleibt uns in der gan- zen Legislaturperiode im Zusammenhang mit dem (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Thema „Migration und Integration“ erhalten. Das ist so. Daran gibt es gar keinen Zweifel. Die Sachverständigen haben auch deutlich gemacht, dass es sich bei diesem Gesetzentwurf um eine Regelung Der Bundespräsident forderte aber auch – ich zitiere handelt, die die materielle Rechtsposition der betroffe- ihn –, „die Verfahren für die Flüchtlinge gerechter und nen Asylbewerber nicht schmälert. Jeder Asylbewerber effektiver zu gestalten“. Ferner sagte er: aus den drei Westbalkanstaaten hat die Chance, darzule- gen, dass er abweichend von der allgemeinen Lage in Zu einer effektiveren Flüchtlingspolitik gehört aber dem als sicher dargestellten Herkunftsland in seinem auch, dass wir diejenigen auf humane Weise zu- konkreten Fall dennoch mit Verfolgung rechnen muss. rückweisen, die nach den gültigen Kriterien keine Das kann vorgetragen werden und wird geprüft. Fluchtgründe haben, die zur Aufnahme … in der Bundesrepublik berechtigen … Deutschland folgt – ein wichtiger Punkt, ich habe schon darauf hingewiesen – mit diesem Gesetzentwurf Er beendete diesen Gedanken mit dem Satz: dem Beispiel anderer, auch unterschiedlich politisch re- gierter Staaten, die diese drei Staaten längst zu sicheren Ich wünsche mir eine Solidarität, die wir auch leben Herkunftsländern erklärt haben: Belgien, Frankreich, können. Österreich, das Vereinigte Königreich. Darum geht es. Dieses Gesetz hat auch noch einen anderen Aspekt. Ich meine, dass wir mit diesem Gesetz einen maßvol- Das Gesetz verkürzt die Wartefrist, nach der Asylbewer- len und vernünftigen Beitrag dazu leisten, dass wir in bern und Ausländern, die eine Duldung besitzen, die unserer gesamten Gesellschaft eine solche Solidarität le- Ausübung einer Beschäftigung grundsätzlich erlaubt ben können und die Aufnahmebereitschaft der deutschen werden kann, auf nur noch drei Monate. Wir wollen Bevölkerung, die sehr groß ist, für die wirklich politisch durch verschiedene Bemühungen erreichen, dass die Verfolgten erhalten können. Deswegen bitte ich Sie um Asylverfahren im Durchschnitt nach drei Monaten abge- Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. schlossen sind, sodass nach diesen drei Monaten klar ist, wer bleibt und wer nicht bleibt. Warum sollen denn die- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 4176 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: heute die Rede ist, gesellschaftlich diskriminiert und an (C) Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für die Fraktion den Rand gedrängt. Sie hat an vielen Beispielen geschil- Die Linke. dert, wie Roma die Aufnahme in Krankenhäuser ver- wehrt wird, wie ihre Kinder in Sonderschulen verscho- (Beifall bei der LINKEN) ben werden, nur weil sie Roma sind. Die Armut der Roma sei Ergebnis einer strukturellen Diskriminierung Ulla Jelpke (DIE LINKE): über Jahrzehnte hinweg, sagte die Sachverständige. Die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koali- Polizei schreite bei Angriffen auf Minderheiten einfach tion will heute einen Gesetzentwurf durch das Parlament nicht ein. Es sei klar, dass alle diese Diskriminierungen peitschen, der zu einem weiteren Einschnitt beim Flücht- zusammengenommen zu einer Situation führen, in der lingsschutz in Deutschland führen wird. Serbien, Bos- Menschen in ihrer Existenz und Menschenwürde gefähr- nien-Herzegowina und Mazedonien sollen pauschal als det sind. Diesen Menschen müssen wir weiter Schutz sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Flüchtlinge bieten; das kann überhaupt keine Frage sein. aus diesen Ländern werden in Zukunft im Asylschnell- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- verfahren abgelehnt. Der Rechtsschutz wird extrem ein- NIS 90/DIE GRÜNEN) geengt. Die Linke lehnt diese Änderungen strikt ab. Meine Damen und Herren, die Anhörung im Aus- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten schuss hat weitere gravierende rechtliche Mängel Ihres des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gesetzentwurfes aufgezeigt. Sie orientieren sich bei der Wir fordern in unserem Antrag, auf dieses Vorhaben Einstufung als sicherer Herkunftsstaat weiterhin an der zu verzichten. Statt Menschen im Schnellverfahren ab- Frage, ob der Staat selbst für politische Verfolgung ver- zufertigen, sollten die Fluchtgründe wirklich genau ge- antwortlich ist. Das ist ein viel zu enger Maßstab. Der prüft werden. Niemand, Herr Innenminister, der in sei- Sachverständige Dr. Marx – übrigens ein sehr versierter nem Herkunftsland unter massiven Diskriminierungen Asylanwalt – hat dargelegt, dass nach europäischem und Menschenrechtsverletzungen zu leiden hat, darf ab- Recht die Frage lauten müsste, ob der Staat effektiv und geschoben werden. Vor allen Dingen darf man nicht dauerhaft vor Verfolgung und Menschenrechtsverletzun- Flüchtlinge aus dem einen Land gegen Flüchtlinge aus gen schützt, egal von wem sie ausgehen. Das ist der erste dem anderen Land ausspielen. Das halte ich wirklich für Mangel. unglaublich skandalös. Der zweite Mangel besteht darin, dass europarecht- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- lich auch kumulative Diskriminierungen als Verfolgung NIS 90/DIE GRÜNEN) gewertet werden müssen. Das bedeutet, Menschen- (B) rechtsverletzungen müssen nicht so weit gehen, dass (D) Der Innenausschuss hat in der letzten Woche eine Leib und Leben bedroht sind. Auch viele kleine Men- Sachverständigenanhörung durchgeführt. Am Dienstag schenrechtsverletzungen können die Lage für die Betrof- fand mal eben eine Sondersitzung statt, in der dieser Ge- fenen so unerträglich machen, dass ein Anrecht auf setzentwurf durchgewinkt wurde. Eine inhaltliche Aus- Schutz besteht. Auch Verletzungen der sozialen Men- einandersetzung mit dem Ergebnis der Anhörung hat es schenrechte müssen berücksichtigt werden. Darauf, Herr überhaupt nicht gegeben. Der Koalition war es wichti- Innenminister, hat im Übrigen der UN-Flüchtlingskom- ger, diesen Gesetzentwurf vor der Sommerpause durch- missar in seiner Stellungnahme deutlich hingewiesen. zuprügeln, als sich mit den Bedenken der Sachverständi- Dem schließen wir uns an. Wenn Menschen dauerhaft an gen auseinanderzusetzen. Die Berichte des Europarats den Rand gedrängt werden, darf ihnen die Flucht aus oder auch die Menschenrechtslage, die von vielen NGOs dieser lebensbedrohlichen Armut nicht zum Vorwurf ge- beschrieben wurde, spielten überhaupt keine Rolle. Da- macht werden. bei gilt: Wenn der Gesetzgeber – das sind wir – in die- sem Haus eine Liste sicherer Herkunftsstaaten erstellt, (Beifall bei der LINKEN) muss er sich selbst ein umfassendes Bild von der Lage Ich komme zum Schluss. Ihr Gesetzentwurf ist recht- dieser Herkunftsstaaten machen. Das war die Maßgabe lich mangelhaft, er verletzt die verfassungsrechtlich ge- des Bundesverfassungsgerichts von 1996. Aber die botene Sorgfaltspflicht, er ignoriert europäisches Recht, Koalition hat sich davor gedrückt. Sie folgen nicht men- und er verharmlos rassistische Ausgrenzung und Diskri- schenrechtlichen Erwägungen, sondern koalitionspoliti- minierung in den Herkunftsländern. Ich kann nur an Sie scher Räson. Sie opfern Flüchtlingsrechte auf dem Altar appellieren – insbesondere an die Vertreter der Grünen des Koalitionsfriedens. Ich kann dazu nur sagen: Das im Bundesrat –: Knickt nicht ein! Stimmen Sie diesem finde ich schäbig. Gesetzentwurf nicht zu! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Danke schön. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Meine Damen und Herren, in der erwähnten Anhö- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rung wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung deutlich kritisiert. Die Sachverständige Dr. Waringo zum Beispiel hat der Bundesregierung vorgeworfen, Rechts- Präsident Dr. Norbert Lammert: verstöße zu bagatellisieren und zu verharmlosen. Insbe- Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Özdemir sondere Roma würden in den drei Staaten, von denen das Wort. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4177

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ruhe, sind die Rechtsstaatlichkeit und die Freiheitlichkeit (C) der CDU/CSU) im Allgemeinen. Damit gibt uns unser Grundgesetz quasi vor, prioritär Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): nach der zuweilen lebensbedrohlichen politischen Ver- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und folgung der Menschen zu entscheiden. Selbstredend Kollegen! Der Entwurf des Gesetzes der Bundesregie- kann man über das Rechtsstaats- und Freiheitsverständ- rung zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Her- nis der betroffenen drei Staaten diskutieren. Diese Dis- kunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzu- kussion hat allerdings eine völlig andere Qualität als die gangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer wurde Diskussion darüber, ob die Gefahr für Leib, Leben und anlässlich der ersten Lesung differenziert debattiert. Freiheit durch Verfolgung zum Asyl berechtigt. Hierbei stand und steht der humanitäre Gesichtspunkt, aber vielmehr der Mensch für uns Sozialdemokratinnen Ich möchte diese Gruppen gar nicht gegeneinander und Sozialdemokraten immer im Mittelpunkt. ausspielen. Jedoch müssen wir garantieren, dass wir den- jenigen, deren Notlage am größten ist, helfen können, in- Nüchtern zu lösen ist die dem Thema innewohnende dem wir eine fundierte Bearbeitung zügig gewährleisten Problematik, wenn man sich emotional gelöst den Kom- und indem wir zunächst nicht asylrelevante Tatsachen plexen erstens einer Priorität von Asylsuchenden auf- ausscheiden. Die Zahlen geben uns in dieser Hinsicht grund von politischer Verfolgung vor anderen Gründen recht. Die Anerkennungsquote – das haben wir vom wie Armut nähert und zweitens analytisch unter verwal- Minister gehört – liegt bei unter 1 Prozent. Zu diesen tungsjuristischem Aspekt die politische Dimension nicht Herkunftsstaaten sind rund 12 000 Gerichtsurteile ergan- nur aus Berlin, sondern auch unmittelbar aus den betrof- gen, und eine Schutzgewährung erfolgte nur in 82 Fäl- fenen Kommunen heraus betrachtet. Die Kommunen len. sind nämlich die erste Instanz, mit der die Asylbewerber und die geduldeten Ausländer in Berührung kommen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Weil ihr eingeengt Diese Ebene ist befähigt, für das BAMF ein Höchstmaß habt auf die Frage von Verfolgung durch den an Entscheidungsreife aufgrund von Fakten herbeizufüh- Staat!) ren. Gleichsam wurden die Kommunen in der Vergan- genheit in den betroffenen Ressorts leider kontinuierlich Die Obliegenheit eines Asylbewerbers aus einem si- ausgedünnt. Gerade deshalb will ich als Mitglied im Un- cheren Herkunftsstaat, Gründe beizubringen, die sein terausschuss Kommunales diesen Blickwinkel noch ein- Anliegen untermauern, ist verhältnismäßig, wenn man mal herstellen. beachtet, dass dadurch die Schutzintensität möglicher- weise dringlich schutzbedürftiger Asylbewerber erheb- (B) Der Gesetzentwurf konstatiert die Fakten, auf die ich lich steigt. Angesichts von 127 000 Asylanträgen allein (D) noch einmal kurz eingehen möchte: im Jahre 2013 ist es vielmehr geboten, asylrelevante und asylfremde Tatsachen durch eine Vorprüfung zu trennen. Seit Aufhebung der Visumpflicht für die ehemalige Die Einzelfallprüfungen sämtlicher Rechte werden ja jugoslawische Republik Mazedonien und Serbien nicht ausgehebelt – ebenso wenig wie das Recht, den … sowie für Bosnien und Herzegowina … ist die Erstantrag durch das Vorbringen eines Folgeantrags zu Zahl der … Asylanträge sprunghaft angestiegen. erneuern und zu vertiefen. So steht es im Gesetzentwurf. Der Beleg hierfür ist, dass Ich kenne die persönlichen Schicksale von europäi- ein Fünftel der Erstanträge Staatsangehörigen dieser schen und nichteuropäischen Flüchtlingen und gedulde- Herkunftsstaaten zuzurechnen ist. Das ängstigt uns So- ten Ausländern aus meinem Wahlkreis in Duisburg. zialdemokraten nicht. Vielmehr sind wir uns unserer Willy Brandt hat einst gesagt, er habe gesehen, wie deutschen Verantwortung bewusst, und wir haben gerade Krieg zu Armut führe, und er möchte nicht sehen, wie in diesem Bewusstsein auch den Koalitionsvertrag mit Armut zu Krieg führe. – Tauscht man das martialische der CDU/CSU ausgehandelt. Wort „Krieg“ gegen „sozialer Unfrieden“, so haben wir Auf dieser Basis werte ich zunächst die Erleichterung ein ziemlich passgenaues Zitat für das Jahr 2014. hinsichtlich des Arbeitsmarktzuganges als sehr positiv (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und begrüßenswert. Natürlich können wir gemessen an NEN]: Das war aber nicht das, was Willy unserer Wirtschaftskraft mehr tun. Die Bundesregierung Brandt meinte!) in Person von Staatsministerin Özoğuz hat dies auch be- reits in die richtige Richtung formuliert. Die Kommunen haben nämlich neben ihren üblichen (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge – vom Das äußert sich nicht in Ihrem Gesetz!) Stopfen der Straßenlöcher bis zum Strom – eine massiv erhöhte Zahl von Asylanträgen vor Ort zu bearbeiten. Fraglich ist hingegen, wo wir als Erstes ansetzen. Ein Aus Erstanträgen werden Folgeanträge. Es grenzt schier Blick ins Grundgesetz erleichtert hier die Gesetzgebung. an Unmöglichkeit, alle Asylbewerber unterzubringen, Aus Zeitmangel verweise ich auf Artikel 16 a Absatz 3 weil Übergangswohnheime für Asylantragsteller erst Grundgesetz. Die umstrittene Beweislastumkehr, auf die eingerichtet und teilweise neu gebaut werden müssen. ich hier abstelle, ist bereits Verfassungsrecht und durch Dies setzt zunächst voraus, dass ein unumstrittener die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit Standort in der Nachbarschaft anständig kommuniziert 1996 auch etabliert. Entscheidende Prüfsteine, so Karls- wird. In meiner Heimatstadt sind jüngst 280 Wohnungen 4178 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Mahmut Özdemir (Duisburg) (A) für die Unterbringung von Asylbewerbern beschlag- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) nahmt worden – Tendenz steigend. und bei der LINKEN) Mit Beton alleine ist es aber auch nicht getan. Das Be- Dass Sie, Herr de Maizière, sagen, es gebe keine Ver- treuungspersonal der Wohnanlagen und der Sammel- folgung von Roma, erschließt sich mir nicht. Ich halte unterkünfte finanzieren ebenfalls die Kommunen aus das für eine ganz gewagte These und empfehle noch ein- dem eigenen Etat. Ich möchte daher in diesem Hohen mal, vielleicht im Kontext dieses Parlamentes, in diese Hause die Gelegenheit nutzen, den Oberbürgermeistern, Region zu reisen und vor Ort mit Betroffenen zu reden. den Bürgermeistern, den Beigeordneten und auch den Gerade weil solche im Europarecht angelegten Verfol- ehrenamtlichen Menschen vor Ort aufrichtig für ihren gungsmomente, wenn sie im Kontext eines Beitrittslan- Einsatz zu danken, unser Asylrecht – jenseits der Ausle- des stattfinden, nicht so offensichtlich auszumachen sind gung von Gesetzestexten – herunter bis in die Stadtvier- wie in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt, ist tel verständlich zu vermitteln. eine einzelfallbezogene Betrachtung in einem sorgfälti- Auf diese Art können wir den Menschen vor Ort ihre gen und individuellen Asylverfahren dringend notwen- Sorgen nehmen, etwa um den Wert der eigenen Immobi- dig. lie. Vor allem aber gilt es, die Sorgen aufgrund der sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN immer größer auftuenden Diskrepanz zu nehmen, der und bei der LINKEN) Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Aufgaben aus Berlin auf der einen Seite, die gemäß dem Asylbewer- Der vorliegende Gesetzentwurf verhindert eine – das berleistungsgesetz zu erfüllen sind, und dem kommuna- sage ich ganz bewusst – unvoreingenommene Anhörung len Sparzwang auf der anderen Seite, der durch die der Fluchtgründe, wenn man einen Staat vorher pauschal Schließung von kommunalen Einrichtungen augenfällig als sicher einstuft. Ihre Argumente zu diesem Gesetzent- wird. Diese Diskrepanz müssen wir als Bundespolitiker wurf folgen zudem einer wirklich schrägen Logik. Ich gemeinsam beseitigen. Hier möchte ich ansetzen. referiere aus den Erfahrungen der Anhörung im Innen- In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk- ausschuss. Die Logik heißt übersetzt: Wenn wir schon so samkeit und Glück auf! viele Syrer aufnehmen, können wir nicht auch noch so viele Mazedonier oder Bosnier aufnehmen. Das läuft frei (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nach dem Motto: Das Boot ist voll. Wir müssen uns ent- scheiden, wen wir aufnehmen. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Das habe ich im Das Wort erhält nun die Kollegin Luise Amtsberg für Ausschuss nicht gehört!) (B) die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (D) So funktioniert unser Asylrecht nicht, auch das europäi- (Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Die dür- sche funktioniert so nicht; denn der Schutzanspruch ist fen nicht klatschen!) keine Auslegungssache. Das ist auch gut so.

Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich brauche keinen Klatscher am Anfang, Herr und bei der LINKEN) Özdemir. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zahlreiche Flüchtlings-, Menschenrechts- Es kommt eben nicht auf die Nationalität oder die eth- und Bürgerrechtsorganisationen haben sich in den ver- nische Zugehörigkeit an, sondern auf die Gründe eines gangenen Wochen und Monaten an uns als Parlamenta- einzelnen Menschen und die Dinge, die er oder sie erlebt rier, an den Bundesrat und an die Bundesregierung ge- hat. Weil Sie das eben nicht steuern können, greifen Sie wandt, um die Pläne, die drei schon mehrfach genannten zu dem Mittel der sicheren Herkunftsstaaten. Sie bestrei- Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, zu ver- ten noch nicht einmal – zumindest einige aus der Frak- hindern. Wir finden diese Aufrufe richtig; denn die Grü- tion der CDU tun das nicht –, dass es Mehrfachdiskrimi- nenfraktion widerspricht vehement der Auffassung der nierungen gibt, die nach Europarecht einen Menschen in Bundesregierung und der Großen Koalition, dass Asyl- die Lage versetzen, Schutz zu beanspruchen. Trotzdem bewerber aus den Balkanstaaten keinen Schutz brauch- halten Sie es für gerechtfertigt, das Grundrecht auf Asyl ten und Armutszuwanderer seien. einzuschränken. Meine Damen und Herren, ich finde, das geht entschieden zu weit. Und Flüchtlingsgruppen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegeneinander auszuspielen, ist wirklich unter aller Ka- und bei der LINKEN) none. Fakt ist, dass ethnische Minderheiten und Homo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sexuelle extrem diskriminiert werden, die serbischen, und bei der LINKEN) mazedonischen und bosnischen Behörden sie nicht aus- reichend vor Übergriffen schützen wollen oder können, Für die Menschen, die es betrifft, hat es enorme Aus- und es gibt eklatante Mängel im Justizsystem. Aus- wirkungen. Die Frist, gegen eine Ablehnung mit dem grenzung und Diskriminierung von Roma in den Bal- Vermerk „offensichtlich unbegründet“ zu klagen, beträgt kanstaaten haben zudem eine derartige Dimension an- eine Woche. Ich brauche keine Juristin zu sein, um zu genommen, dass sie für diese Menschen existenziell und wissen, dass effektiver Rechtsschutz ganz anders aus- lebensgefährdend werden können. sieht. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4179

Luise Amtsberg (A) Darüber hinaus berufen Sie sich immer auf Frank- Zu Recht fordern die protestierenden Flüchtlinge in (C) reich, das diese Staaten bereits als sicher eingestuft hat, Berlin ein liberales Bleiberecht, Bewegungsfreiheit und und rekurrieren auf die niedrige Schutzquote. Ich habe Zugang zum Arbeitsmarkt ohne Vorrangprüfung. es schon einmal gesagt: Das sind Fakten, die Sie selber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geschaffen haben. Sie beziehen sich also auf Frankreich, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) halten es aber nicht für nötig, zu erwähnen, dass viele andere Staaten das nicht so handhaben, also diese Län- Das wurde übrigens hier gar nicht erwähnt. All das lässt der nicht als sicher einstufen, und dass die Schutzquoten sich in den Vorstößen des BMI nicht finden. in anderen Ländern deutlich höher sind als bei uns. Für mich ist das Augenwischerei. Liebe CDU/CSU, wenn Sie den Kommunen helfen wollen, dann schaffen Sie das Asylbewerberleistungsge- Was ich auch nicht mehr hören kann, ist das Argu- setz ab und helfen Sie bei der Unterbringung! ment, dass ein Beitrittskandidat wohl per se ein sicheres (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Land sein muss. Ich weiß nicht, was dieses Argument DIE GRÜNEN und der LINKEN) soll. Beitrittsverhandlungen sind dafür gedacht, Staaten, noch dazu welche, die sich nach wie vor im Aufbau be- Damit würden Sie die Kommunen wirklich entlasten, finden, dabei zu unterstützen, die Anforderungen aus und dann hätten diese auch kein Problem damit. dem Kapitel für Menschenrechte und Justiz schrittweise (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was umzusetzen. sind denn Ihre konkreten Vorschläge für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unterbringung?) Zum Verfahren werde ich jetzt nichts mehr sagen. In- Wir erwarten von diesen Staaten, dass sie diese Diskri- teressant ist aber, dass hier nicht auf den anderen Teil in minierungen abbauen. Natürlich: Das ist unser Ziel. dem Gesetzentwurf eingegangen wurde, nämlich den Aber diesen Prozess beschleunigen wir eben nicht durch Arbeitsmarktzugang und die großen Verbesserungen, die den Passus oder den Stempel des sicheren Herkunfts- in diesem Zusammenhang angekündigt wurden. Daran staates. Im Gegenteil: Wir senden eine ganz andere Bot- erinnere ich alle in diesem Hause und fordere Sie auf: schaft. Ziehen Sie die beiden Vorschläge auseinander! Dann ha- Kurzum: Ihre Politik in dieser Sache, verehrte Kolle- ben wir vielleicht auch etwas zum Zustimmen. ginnen und Kollegen der Großen Koalition, soll den Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen diesen Korridor für Schutzsuchende verengen. Das ist das Ziel Angriff auf das Grundrecht auf Asyl? Bitte schön. Aber dieses Gesetzentwurfes. An Lösungen, die den Men- (B) Sie haben die Rechnung ohne die Grünen in den Ländern (D) schen auf lange Sicht tatsächlich helfen, auch hier in gemacht. Deutschland, arbeiten Sie leider nicht. Liebe CDU-Kollegen, Sie rechtfertigen den Entwurf Präsident Dr. Norbert Lammert: mit der Situation in den Kommunen. Es ist richtig, über Frau Kollegin. die Kommunen zu reden; denn sie stehen vor großen He- rausforderungen, manche vor Herausforderungen, die sie Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nur schwer oder vielleicht auch gar nicht meistern kön- Restriktionen im Asylrecht mit grüner Unterstützung nen. wird es so nicht geben. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Hört! Hört!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber das bedeutet doch nur: Wenn mehr Flüchtlinge sowie bei Abgeordneten der LINKEN) kommen, dann muss sich auch unser Engagement – auch unser finanzielles – vergrößern. Das heißt doch nicht, Präsident Dr. Norbert Lammert: dass man auf der anderen Seite eine Attacke auf das Für die CDU/CSU hat die Kollegin Nina Warken das Asylrecht fahren kann, indem Sie sagen: Wir verengen Wort. den Korridor und lassen die Leute nicht mehr rein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Nina Warken (CDU/CSU): Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die sind die Vorschläge für die Hilfen der Kom- Migrationsströme in die Europäische Union haben in munen?) den letzten Jahren massiv zugenommen. Zum einen ist dafür die gestiegene Anzahl an Flüchtlingen verantwort- Nebenbei bemerkt haben wir in den vergangenen Ta- lich, die aus Krisenländern wie Syrien, Afghanistan oder gen überall lesen können, was Schutzsuchende und Ge- dem Irak fliehen, wo sie jeden Tag fürchten müssen, ge- flüchtete selbst zu ihrer Situation zu sagen haben. Es foltert, vergewaltigt oder getötet zu werden. lohnt sich, das anzusprechen. Denn das Parlament ist der richtige Ort dafür. In diesem Parlament entscheiden wir Zum anderen gibt es aber auch immer mehr Men- über das Asylrecht. schen, die in ihren Heimatländern wirtschaftlich keine 4180 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Nina Warken (A) Zukunft mehr für sich sehen und deshalb unbedingt in Organisationen, die vor Ort tätig sind. Die Lage der (C) die EU wollen, wo sie sich gut bezahlte Arbeit und so- Roma anzuerkennen, meine Damen und Herren, bedeu- ziale Sicherheit erhoffen. Viele dieser Menschen stellen tet daher nicht, den Gesetzentwurf ablehnen zu müssen. einen Asylantrag in einem EU-Mitgliedstaat, allen voran Entscheidend für die gesetzliche Vermutung, dass die in Deutschland. drei Balkanländer als sicher eingestuft werden können, Genau darin liegt das Problem im Hinblick auf die ist letztlich, dass die Sicherheitslage in allen drei Län- Balkanstaaten. Wir erleben bei den Asylbewerberzahlen dern stabil ist und weder Verfolgung noch systematische aus diesen Ländern seit der Visaliberalisierung einen Menschenrechtsverletzungen drohen. Darauf kommt es massiven Anstieg, obwohl dort keine systematische Ver- beim vorliegenden Gesetzentwurf an, und das ist laut folgung oder andere Gefahren für Leib und Leben dro- den Sachverständigen für alle drei Länder auch eindeutig hen, die asylrechtlich relevant wären. gegeben. Dass die Opposition das nicht hören will, ist mir klar. Die Sachverständigen haben aber bestätigt, dass Erst vergangene Woche wurde in einer Expertenanhö- keine EU-rechtlichen oder verfassungsrechtlichen Be- rung vom Präsidenten des zuständigen Bundesamts für denken gegen den Gesetzentwurf bestehen. Migration und Flüchtlinge bestätigt, dass 49 Prozent der Asylbewerber aus Serbien, Mazedonien sowie Bosnien (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl und Herzegowina von sich aus angeben, dass sie nach [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Deutschland gekommen sind, weil sie hier arbeiten wol- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in len oder der Schulbesuch und die medizinische Versor- Deutschland ein faires Asylsystem haben möchten, müs- gung in Deutschland besser seien als bei ihnen zu Hause. sen wir klar zwischen Zuwanderung und Asyl trennen (Zuruf von der LINKEN: Stimmt ja auch!) und dafür sorgen, dass die Kapazitäten unseres Asylsys- tems den tatsächlich Schutzbedürftigen vorbehalten blei- Damit handelt es sich in den meisten Fällen nicht um ben. Das sind wir nicht nur den Flüchtlingen aus Syrien Asylbewerber, sondern um Zuwanderer, für die unser und anderen Ländern mit Menschen in Not, die unsere Asylsystem eindeutig nicht zuständig ist. Hilfe dringend brauchen, sondern auch unseren Kommu- nen schuldig. Denn es sind unsere Kommunen, die letzt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lich die Unterbringung und Versorgung schultern müs- Nach den Erfahrungen des Bundesamts für Migration sen. und Flüchtlinge ist den meisten Antragstellern auch be- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So wusst, dass sie keinen Anspruch auf Asyl haben. Sie ist das!) kommen dennoch, weil sie wissen, dass sie allein da- (B) durch, dass sie einen Asylantrag stellen, bei uns staatli- Wenn uns die Kommunen sagen – damit meine ich auch (D) che Leistungen erhalten, die vielfach höher sind als das die grün regierten Landkreise, Städte und Gemeinden –, Einkommen, das sie in ihren Heimatländern haben. Das dass sie bei der Unterbringung der Asylbewerber mit ist nicht gerecht, und diesen Missbrauch unseres Asyl- dem Rücken zur Wand stehen, dürfen wir dies nicht ein- systems müssen wir dringend beenden. fach ignorieren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Anders als von der Opposition behauptet, hat die Deshalb brauchen wir ein klares Signal durch die Ein- Expertenanhörung ergeben, dass nur in ganz wenigen stufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Einzelfällen die Schwelle zur sogenannten kumulati- Serbien als sichere Herkunftsstaaten, dass ein Asylan- ven Verfolgung erreicht wird. Dabei wurde von den trag in Deutschland kein Mittel zur Zuwanderung ist. Sachverständigen unmissverständlich klargestellt, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) für eine asylrechtliche Anerkennung Einschränkungen von wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Rechten Damit entlasten wir unsere Kommunen und sorgen da- allein nicht ausreichen. Das bestätigt auch die Spruch- für, dass die Kapazitäten in unserem Asylsystem den praxis der Gerichte. wirklich Schutzbedürftigen zur Verfügung stehen. Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass es in Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien noch dieses Signal für ein gerechtes und effizientes Asylsys- verschiedene Defizite gibt. Ebenso ist unbestritten, dass tem setzen! Das ist es, was die Menschen in Deutsch- die Lage der Roma in diesen Ländern nach wie vor ver- land, aber auch in den Krisenländern von uns erwarten. bessert werden muss. Das möchte ich an dieser Stelle Vielen Dank. klar betonen. Andererseits muss man auch sagen: Das Asylrecht ist nicht der Ort, um die politischen, sozialen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und wirtschaftlichen Probleme der Herkunftsstaaten zu neten der SPD) lösen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Einen schönen Nach- Dafür gibt es andere Instrumente, und Deutschland hat mittag von meiner Seite aus. Nächster Redner in der De- diesbezüglich schon sehr viel getan und setzt dies auch batte ist Uli Grötsch für die SPD. fort, sei es im Rahmen der staatlichen Entwicklungszu- sammenarbeit oder mit den zahlreichen Stiftungen und (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4181

(A) Uli Grötsch (SPD): Abschiebeverbot zugesprochen wurde. Die überwie- (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau gende Mehrheit wird als unbegründet abgelehnt. Trotz- Kollegin, vielen Dank für die Erinnerung. Wir hätten es dem sind sie regelmäßig und in beachtlichem Umfang in natürlich nicht vergessen, dass wir heute nicht nur die der Top Ten der Herkunftsländerstatistik des BAMF ver- Regelungen über sichere Herkunftsstaaten, sondern auch treten. Der Vorwurf, das BAMF sei zu restriktiv und die Erleichterungen des Arbeitsmarktzugangs für Asyl- lehne unberechtigt massenhaft ab, greift auch nicht. bewerber und geduldete Ausländer beraten. Das möchte Nicht einmal 1 Prozent der Klagen von Menschen aus ich am Beginn meiner Rede ganz dick unterstreichen, diesen drei Westbalkanstaaten ist vor den Verwaltungs- weil ich glaube, dass uns von der SPD mit dieser Rege- gerichten erfolgreich. Das alles bindet Kapazitäten beim lung ein wirklich großer Schritt im Zusammenhang mit BAMF; das wurde schon gesagt. Wir wollen niemanden den Chancen, die Asylbewerberinnen und Asylbewerber gegeneinander ausspielen. Trotzdem müssen wir der bei uns im Land haben, gelungen ist. Realität ins Auge blicken. (Beifall bei der SPD – Thomas Strobl [Heil- Der Bundestag hat in der letzten Woche erfreulicher- bronn] [CDU/CSU]: Warum nur der SPD? Uns weise – es ist wichtig, das zu erwähnen – 300 zusätzliche auch!) Stellen für das BAMF bewilligt. Das war dringend not- wendig. Ich meine, dass diese personellen Ressourcen Ich beginne mit dem zweiten Teil dieses Gesetzes, für die wirklich schutzbedürftigen Menschen aus Syrien, weil meines Erachtens dieser Teil und insbesondere – ich Afghanistan, dem Irak und anderen Ländern genutzt habe es schon gesagt – die Dimension dessen in der bis- werden müssen. Wir alle wollen doch die Bearbeitungs- herigen Debatte, auch in der heutigen Debatte, leider et- dauer von Asylanträgen verkürzen. Zurzeit beträgt die was zu kurz gekommen sind. Bislang mussten Asylbe- Bearbeitungsdauer etwa ein Jahr. Ein Jahr bedeutet für werber neun Monate warten und Geduldete sogar zwölf die asylsuchenden Menschen in unserem Land ein Jahr Monate, bis sie die Chance, ihren Lebensunterhalt zu be- Ungewissheit über ihre eigene Zukunft. Das wollen wir streiten, nutzen konnten. ändern. Ich bin auch meiner Kollegin Daniela Kolbe dankbar, (Beifall bei der SPD) dass sie in ihrer Rede im Rahmen der ersten Beratung des Gesetzentwurfs deutlich gemacht hat, was das kon- Ich gebe zu, dass die Einstufung als sichere Her- kret bedeutet. Der frühe Zugang zum SGB III nach drei kunftsstaaten keine Herzensangelegenheit der Sozialde- Monaten bedeutet nämlich zum Beispiel die Übernahme mokratie ist. Sie steht aber im Koalitionsvertrag, und von Bewerbungskosten. Wenn man nicht über viel Geld deshalb tragen wir diese Entscheidung mit. Dort steht verfügt, dann sind auch die Portokosten oder die Kosten auch – Herr Minister de Maizière hat in seiner Rede da- (B) für Papier ein durchaus relevanter Betrag, den die betrof- rauf hingewiesen –, dass wir auf europäischer Ebene auf (D) fenen Menschen zu stemmen haben. Dieser frühe Zu- die Regierungen der Westbalkanstaaten einwirken wol- gang beinhaltet auch Beratungs- und Vermittlungsange- len, um die Lebenssituation vor Ort in den Ländern zu bote durch die Bundesagentur für Arbeit. verbessern. Ich würde mich freuen, wenn dieser große und längst (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fällige Schritt vorwärts von der Opposition nicht klein- NEN]: Aber die ist doch gar nicht so geredet würde. schlimm!) (Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Ulla Armutsmigration kann nur so bekämpft werden. Das ist Jelpke [DIE LINKE]) keine Aufgabe der deutschen Asylpolitik. Deshalb leh- nen wir Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen Denn für die Betroffenen selbst ist es eine immense Er- von der Linken, ab. leichterung. Wir erleichtern die Integration dieser Vielen Dank. Schutzbedürftigen in unsere Gesellschaft, wir bauen ein Integrationshemmnis ab und erhöhen damit auch die Ak- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zeptanz der Asylbewerber bei uns im Land. der CDU/CSU) Der andere Teil betrifft die Einstufung von Bosnien- Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Her- Vizepräsidentin Claudia Roth: kunftsstaaten. Das bedeutet in der Praxis des BAMF, Vielen Dank, Herr Kollege Grötsch. – Letzte Redne- dass künftig ein Antragsteller aus einem dieser sicheren rin in dieser Debatte ist Andrea Lindholz für die CDU/ Herkunftsländer für seinen Einzelfall glaubhaft darlegen CSU-Fraktion. muss, warum er in seinem eigentlich sicheren Heimat- (Beifall bei der CDU/CSU) land doch politisch verfolgt wird bzw. Menschenrechts- verletzungen erfahren hat, um in Deutschland Asyl ge- Andrea Lindholz (CDU/CSU): währt zu bekommen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Der Grund für diese getroffene Regelung ist die Tat- und Herren! Weltweit sind über 43 Millionen Menschen sache, dass von den 22 000 Entscheidungen des BAMF auf der Flucht. Die Gründe für Flucht und Vertreibung über Asylerstanträge und Asylfolgeanträge von bosni- sind vielschichtig. Gewalttätige Konflikte wie der Bür- schen, serbischen und mazedonischen Staatsangehörigen gerkrieg in Syrien sind die offensichtlichste Ursache. im Jahr 2013 nur einer Handvoll Menschen Asyl bzw. Aber auch ökologische, ökonomische und soziale Pro- 4182 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Andrea Lindholz (A) bleme führen dazu, dass sich heute Millionen Menschen Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Klimawan- Moment, Frau Kollegin. Vielleicht lassen Sie ihn bitte del, Wassermangel, Dürreperioden, starkes Bevölke- ausreden. Dann können Sie auch darauf antworten. rungswachstum und Verstädterung verursachen ebenfalls enorme Flüchtlingsströme. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die multiplen Fluchtursachen finden sich auch in dem Jetzt haben Sie mich auf eine Idee gebracht, und ich Bericht, den die Vereinten Nationen am Weltflüchtlings- kann meine Frage so schließen – das ist ja wundervoll –: tag am 20. Juni vorgestellt haben. Auch wenn diese Pro- Wie kommen Sie dazu, zu behaupten, die Leute hätten bleme weit weg zu sein scheinen, betreffen sie Europa einen Anspruch auf Asyl, wenn ihre Anträge sowieso und Deutschland ganz unmittelbar. Für Deutschland von vorneherein negativ beschieden werden – egal wie rechnet das Bundesinnenministerium in diesem Jahr mit man sie prüft –, weil die Leute aus einem sicheren Dritt- rund 200 000 Asylanträgen. Das ist eine Steigerung um staat kommen? über 700 Prozent im Vergleich zu 2008. Allein im letzten (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Jahr hat die Zahl der Asylanträge um rund 60 Prozent zugenommen. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Rund ein Viertel der heutigen Asylbewerber stammt Herr Kollege, so ist das nicht korrekt. Auch dann, aus Serbien, Bosnien-Herzegowina oder Mazedonien. wenn wir die Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklä- Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellt seit ren, besteht nach wie vor beim Vorliegen kumulativer Jahren in über 99 Prozent aller individuellen Anhörun- Gründe – Frau Kollegin Amtsberg und Frau Kollegin gen, Frau Kollegin Amtsberg, keine asylrelevanten Jelpke weisen regelmäßig zu Recht darauf hin – ein An- Schutzgründe fest. Die Menschen vom Westbalkan flie- spruch darauf, bei uns Asyl zu beantragen. Genau das hen nach eigenen Angaben in erster Linie vor Arbeitslo- wird vom BAMF geprüft. sigkeit und wirtschaftlicher Not. Das wurde uns in der (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Kein Rechts- letzten Woche in der Anhörung vom Präsidenten des schutz!) BAMF bestätigt. Er hat nochmals dargelegt, wie indivi- duell und gründlich jeder einzelne Antrag geprüft wird. – Natürlich gibt es einen Rechtsschutz. Dass Ihnen der Unser Asylrecht dient dem Schutz von politisch Verfolg- Rechtsschutz nicht weit genug geht, weiß ich, aber es be- ten und nicht der Entwicklungshilfe. steht ein Rechtsschutz. Die EU hat für Serbien, Mazedonien und Bosnien die (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Eine Woche Rechtsschutz!) (B) Visumspflicht aufgehoben. Serbien und Mazedonien ha- (D) ben den offiziellen Status eines EU-Beitrittskandidaten. Es besteht die Möglichkeit, hier Asyl zu beantragen. Bosnien-Herzegowina wird als potenzieller Beitrittskan- Aber es gibt keinen Anspruch auf Asyl, wenn keine poli- didat geführt. Ohne wesentliche soziale und politische tische Verfolgung oder keine kumulativen Gründe vor- Fortschritte wäre die Visaliberalisierung nicht erfolgt. liegen. Ganz einfach. Diese Länder erfüllen die Kriterien eines sicheren Her- kunftslandes. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Daran wird sich auch nichts ändern, auch wenn Sie es nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung von Herrn Nouripour? Was wir auch machen müssen, ist, die Kommunen zu entlasten. Mit all diesen Maßnahmen tun wir dies. Wir können doch nicht den Blick davor versperren, dass es in Andrea Lindholz (CDU/CSU): vielen Städten und Gemeinden schwierig ist, die Asylbe- Bitte. werber unterzubringen. In Bayern kommen inzwischen täglich rund 100 neue Asylbewerber an. Die Erstunter- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): künfte platzen aus allen Nähten. Selbst in einer wohlha- benden Stadt wie München muss ernsthaft über die Er- Frau Kollegin, herzlichen Dank, dass Sie die Zwi- richtung von Zeltstädten nachgedacht werden, um allen schenfrage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, jeder Ankommenden ein Dach über dem Kopf bieten zu kön- einzelne Fall werde tatsächlich geprüft. Warum soll denn nen. Angesichts dieser prekären Situation müssen wir jeder einzelne Fall geprüft werden, wenn der Betroffene handeln, und wir müssen die Anreize, aus rein wirt- aus einem Staat kommt, der vorher per Gesetz als tat- schaftlichen und sozialen Gründen nach Deutschland zu sächlich sicher erklärt wurde? Was ist die Logik der Ge- kommen, verringern. Sonst fehlen uns nämlich für dieje- schichte? nigen die Kapazitäten, die unseren Schutz wirklich brau- chen. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Deutschland übernimmt im europäischen Asylsystem Erklären Sie doch bitte den Menschen nicht jedes mehr Verantwortung als alle anderen Länder. Auch das Mal, sie hätten dann bei uns keinen Asylanspruch. Das wurde erst gestern bei der Anhörung mit Zahlen belegt. ist doch nicht richtig. Das ist auch gut so. Aber auch unsere Aufnahmekapazi- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4183

Andrea Lindholz (A) täten sind begrenzt. Wir sind verpflichtet, uns auf die lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die (C) wirklich schutzbedürftigen Flüchtlinge zu konzentrieren. Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/ CSU und SPD bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grü- Gleichzeitig sollten wir denjenigen, die zu uns kom- nen und Linksfraktion angenommen. men und die ein begründetes Recht auf Asyl haben, echte Zukunftsperspektiven in Deutschland eröffnen. Ich rufe die Zusatzpunkte 7 a und 7 b auf: Das tun wir, indem wir den Arbeitsmarktzugang erleich- a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- tern; das tun wir, indem wir die Verfahrensdauer verkür- desregierung eingebrachten Entwurfs eines zen. Das ist im Sinne einer langfristigen Integration der Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staats- Menschen und ist hinsichtlich ihres Wunsches, schneller angehörigkeitsgesetzes mehr Sicherheit zu haben, schneller arbeiten zu können oder schneller selbstständig bei uns sein zu können, der Drucksachen 18/1312, 18/1759 bessere Weg, als auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein. – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- Ein letzter Satz noch, an die Grünen gerichtet: Wenn geordneten Jan Korte, Sevim Dağdelen, wir uns mit den Landespolitikern in den Bundesländern Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und unterhalten, dann stellen wir fest, dass diese wesentlich der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über die Aufhebung näher an der Realität sind als Sie. Ich empfehle Ihnen der Optionsregelung im Staatsangehörig- einfach, mit Ihren Landesregierungen zu sprechen, damit keitsrecht Sie sehen, wie man dort zu diesen Themen steht. Drucksache 18/1092 Vielen Dank. – Zweite und dritte Beratung des von der Frak- (Beifall bei der CDU/CSU) tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Vizepräsidentin Claudia Roth: rung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich schließe die Aus- Drucksache 18/185 (neu) sprache. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der schusses (4. Ausschuss) Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunfts- Drucksachen 18/1955, 18/2005 staaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- für Asylbewerber und geduldete Ausländer. Dazu liegt richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu (B) eine ganze Anzahl von Erklärungen nach § 31 der Ge- (D) 1) dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, schäftsordnung vor. Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- ordneter und der Fraktion DIE LINKE ner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/1954 und Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeits- 18/2004, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf recht Drucksachen 18/1528 und 18/1766 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Drucksachen 18/286, 18/1955, 18/2005 len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke wer- Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, den wir später namentlich abstimmen. CDU/CSU und SPD, bei Neinstimmen von Bündnis 90/ Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Die Grünen und Linksfraktion angenommen. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Dritte Beratung Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem minister des Innern, Dr. Thomas de Maizière. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) entwurf ist mit der Zustimmung von CDU/CSU und SPD bei Ablehnung durch die Fraktion Bündnis 90/Die Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- Grünen und Linksfraktion und einer Enthaltung einer nern: Kollegin aus der SPD angenommen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum An- Die heute zu entscheidende Änderung des Staatsangehö- trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Schutzbedarf rigkeitsrechts ist das Ergebnis einer langen und leiden- von Roma aus Westbalkanstaaten anerkennen“. Der Aus- schaftlichen Debatte in unserer Gesellschaft und auch in schuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp- der Koalition. Ich halte das für angemessen und richtig; fehlung auf den Drucksachen 18/1954 und 18/2004, den denn es geht um die Staatsangehörigkeit. Darüber zu de- Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1616 battieren, ist wertvoll im umfassenden Sinne des Wortes. abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Die Staatsangehörigkeit ist für uns alle ein hohes Gut. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und 1) Anlagen 12 und 13 der SPD) 4184 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière (A) Die vorgeschlagene Neuregelung erfüllt zwei Ziele: tionspflicht betroffenen und zumeist jungen Menschen: (C) Ihr gehört zu Deutschland, nicht nur gefühlt, sondern Erstens. Das geänderte Staatsangehörigkeitsrecht ist auch auf dem Papier, nicht nur beim Public Viewing, gut für die Betroffenen. Es gibt ihnen Rechtssicherheit sondern auch auf dem Amt. und soll ihr Heimatgefühl stärken. Beides brauchen wir Menschen, wenn wir daran denken, eine dauerhafte be- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) rufliche Existenz aufzubauen und eine Familie zu grün- den. Diese Botschaft ist umso deutlicher, als wir gleichzei- tig daran festhalten, den Verzicht auf die Optionspflicht Zweitens. Das geänderte Staatsangehörigkeitsrecht ist nicht auf diejenigen auszuweiten, die seit ihrer Geburt gut für unser Gemeinwesen. Es befriedet einen langjäh- kaum etwas mit Deutschland zu tun hatten. Wer bis zu rigen politischen Konflikt, und es stärkt den Zusammen- seinem 21. Geburtstag keine Beziehung zu Deutschland halt in unserem Land. Das Staatsangehörigkeitsrecht aufgebaut hat, von dem können und müssen wir eine muss immer beides im Blick behalten: den Einzelnen Entscheidung verlangen. Das ist zumutbar und nicht zu und die Allgemeinheit. viel verlangt. Mit dieser Änderung haben wir einen Ausgleich ge- funden zwischen den Interessen der jungen Deutschen, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr die ihre Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutsch- richtig!) land erworben haben, und der besonderen Bedeutung der Staatsangehörigkeit ist mehr als Aufenthalts- und Ein- Staatsangehörigkeit für unser Staatswesen. Für den über- reiserecht. Sie definiert ein besonderes Verhältnis zwi- wiegenden Teil der Betroffenen, die in Deutschland auf- schen Staat und Bürger, das durch Identifikation und gewachsen sind und dadurch Bindungen zu unserem Loyalität geprägt ist. Hier ist das berechtigte Interesse Land aufgebaut haben, sagen wir in Zukunft Ja zu einer der Allgemeinheit begründet in der besonderen Sorge Mehrstaatlichkeit. Sie leben hier seit ihrer Geburt ganz um das Staatsangehörigkeitsrecht. selbstverständlich sowohl mit der deutschen Staatsange- hörigkeit als auch mit der Staatsangehörigkeit ihrer El- Das Staatsangehörigkeitsrecht ist aufgrund dieser be- tern. Ihnen, die in Deutschland in der Regel ihre berufli- sonderen Bedeutung für den Zusammenhalt unseres Ge- che und private Zukunft sehen und sich hier integriert meinwesens auf einen breiten Konsens angewiesen. haben, trauen wir den loyalen Umgang mit der Bindung Über die Staatsangehörigkeit definiert unsere Verfas- an Deutschland und das Land ihrer Mütter und Väter zu. sung, wer zum Staatsvolk gehört, wer der eigentliche Für „in Deutschland aufgewachsen“ haben wir eine Souverän ist. Mit der Staatsangehörigkeit ist das Recht klare und praktikable Definition gefunden. verbunden, über unser Gemeinwesen vollumfänglich mitzubestimmen. Aus diesem Grunde kann es nicht da- (B) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rum gehen, jeweils Maximalpositionen durchzusetzen. (D) NEN]: Bürokratiemonster!) Wer mehr Zusammenhalt will, muss aufeinander zuge- Die Voraussetzungen sind sachgerecht, einfach in der hen. Das gilt und galt innerhalb der Koalition, und das Anwendung, und sie sind einfach nachzuweisen. gilt für unsere Gesellschaft. Dafür reichen manchmal kleine Schritte nicht aus. Dafür sind auch große Schritte (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE notwendig. Das war im Ausländerrecht immer so. Was GRÜNEN]: Und europarechtswidrig!) wir heute tun, ist ein solcher großer Schritt. Mit dieser Modifikation des Optionsrechts werden so- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – wohl die Betroffenen als auch die Verwaltungen erheb- Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich entlastet. NEN]: Ein Trippelschritt!) Herr Beck wird gleich in seiner Rede vortragen, es Für die Sozialdemokraten ist die Zustimmung zu die- handele sich um ein Bürokratiemonster. Das hat in der Anhörung allerdings niemand bestätigt, auch nicht die sem Gesetz nicht leicht. Sie kommen von einem ganz Leiter von Ausländerbehörden. Diese haben nämlich ge- anderen Modell, einem Modell einer prinzipiell doppel- sagt, der Gesetzentwurf sei eine große Erleichterung für ten Staatsbürgerschaft. Für die Union ist die Zustim- ihre Arbeit. mung zu diesem Gesetz auch nicht leicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NEN]: Die GroKo hat es nicht leicht!) Europarechtswidrig!) Sie kommt nämlich von einer grundlegenden inneren Ich traue, was die Beurteilung der Bürokratiegefahr an- Ablehnung einer doppelten Staatsbürgerschaft. Darüber geht, den Leitern von Ausländerbehörden mehr zu als sind erbitterte Wahlkämpfe geführt worden. Darüber dem geschätzten Kollegen Beck; das muss ich sagen. sind Landesregierungen gestürzt und andere Landesre- gierungen gebildet worden; wir wissen das. Das war (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und zwischen den beiden großen Volksparteien ein bitterer der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ und harter Streit. DIE GRÜNEN]: Da liegen Sie aber falsch!)

– Das finden Sie. Vizepräsidentin Claudia Roth: Meine Damen und Herren, mit der Änderung senden Herr de Maizière, erlauben Sie eine Zwischenfrage wir ein Signal an über 90 Prozent der bisher von der Op- oder Zwischenbemerkung des Kollegen Mutlu? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4185

(A) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (C) nern: Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie mich diesen Gedanken zu Ende führen; Es sind mehrere Tausend Fälle!) dann gerne, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wenn jetzt diese beiden großen Volksparteien in die- Danke, Herr de Maizière. – Das Wort hat die Kollegin ser Frage aufeinander zugehen, dann hat das nicht den Dağdelen für die Linke. Charakter eines Kompromisses innerhalb dieser Koali- tion, sondern dann hat das für unser Land einen nachhal- (Beifall bei der LINKEN) tig befriedenden Charakter. Darin liegt der eigentliche Wert dieses Kompromisses. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr In- nenminister de Maizière, das Gesetz, das Sie hier vorge- legt haben, ist weder ein großer Schritt, noch ist es ein Vizepräsidentin Claudia Roth: gutes Gesetz; es ist eine wirklich kleingeistige Änderung Bitte schön, Herr Kollege. des bestehenden Staatsangehörigkeitsgesetzes. Es ist nichts weiter als Murks. Es ist eigentlich ein Armuts- zeugnis, dass auch diese Koalition es nicht geschafft hat, Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die unsägliche Optionsregelung tatsächlich ersatzlos ab- Herr Minister, letzte Woche war eine junge Frau bei zuschaffen – mir, die im August 23 Jahre alt wird und optionspflichtig ist. Sie wird, bevor dieses Gesetz, dieser sogenannte (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Özcan große Schritt, von dem Sie reden, in Kraft getreten ist, Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) vermutlich ihre deutsche Staatsbürgerschaft zwangs- und das nur, weil Sie aus der Union ideologisch borniert weise verlieren, weil sie eben ihre beiden Staatsbürger- an dem längst überholten Dogma der Vermeidung von schaften gerne behalten würde. Mehrstaatigkeit in diesem Land festhalten. Allein deshalb werden ab dem Jahr 2018 etwa 40 000 Optionsverfahren Sie haben gesagt, dass die Verbundenheit zu diesem pro Jahr durchgeführt werden müssen. 40 000 Options- Land in einem Alter von 21 Jahren gegeben sein müsse. verfahren jährlich! Was, wenn nicht ein Bürokratiemons- Was raten Sie denn solchen jungen Leuten, die jetzt ter, ist das bitte schön, meine Damen und Herren? während des Gesetzgebungsverfahrens ihre deutsche Staatsbürgerschaft verlieren? Was tun Sie in all den Fäl- Wir als Linke wollen jedenfalls diese verwaltete Welt (B) len – es sind mehrere Tausend –, in denen Menschen bis nicht. Wir möchten kein sinnloses Beschäftigungspro- (D) zu dem Zeitpunkt, bis zu dem dieses Gesetz in Kraft ge- gramm für die Verwaltung. Deshalb möchten wir diese treten ist, die deutsche Staatsbürgerschaft abgeben muss- Regelung einfach ersatzlos streichen. ten oder sie verloren haben? Warum wollen Sie diese Altfälle nicht in den Genuss dieses sogenannten großen (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Schrittes kommen lassen? Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- Uns stimmt es traurig, dass die SPD hier mitmacht, nern: obwohl sie im Wahlkampf und in den Koalitionsver- handlungen Wir haben über die Frage einer Altfallregelung disku- tiert. Sie kennen den alten Grundsatz: Wenn ein Gesetz (Thomas Oppermann [SPD]: Das ist doch ge- nicht nötig ist, dann soll man es nicht machen. Die junge heuchelt!) Frau soll einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Wenn sogar die doppelte Staatsangehörigkeit versprochen sie die Voraussetzungen für die Einbürgerung erfüllt, hatte. wird das zuständige Bundesland ihre Einbürgerung sehr schnell entscheiden, und das ist auch richtig so. (Thomas Oppermann [SPD]: Heuchelei!) (Zurufe von der LINKEN) Ich finde es wirklich unsäglich, wenn man, wie bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Parlament, auch Jeder Stichtag ist ein Stichtag; das kennen wir. noch wahrheitswidrig behauptet, dass mit dem Gesetz die Optionspflicht abgeschafft werden würde. Das ist Wir sind jetzt dabei, eine wirklich befriedende Lö- schlicht falsch, und das wissen Sie auch. sung zu finden. Es wird Ihnen nicht gelingen, mit Ver- weis auf zwei, drei Einzelfälle, die vielleicht ein Pro- Die Optionspflicht bleibt im Grundsatz in diesem Ge- blem sein könnten und die die Länder pragmatisch setz enthalten. Natürlich kann die Optionsregelung auch regeln können, das Gesetz insgesamt madigzumachen. künftig dazu führen, dass hier geborene Kinder ihre Es ist ein gutes Gesetz. Das war nicht leicht für unsere deutsche Staatsangehörigkeit im Erwachsenenalter wie- Koalition und für die Bundesregierung. Es ist im Übri- der verlieren. Ich bitte Sie deshalb, redlich zu sein und gen auch nicht zustimmungspflichtig. Wir freuen uns, bei den Fakten zu bleiben. Sagen Sie den Leuten klar, dass es bald in Kraft tritt, damit wir wenige solcher Fälle was Sie hier machen! Sie verhindern nämlich dauerhaft haben, von denen Sie berichten. die doppelte Staatsbürgerschaft als Regel. 4186 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Sevim Dağdelen (A) (Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs zeigt das unwürdige Politikgeschacher, das hier von der (C) [SPD]: Das ist doch Unsinn!) Großen Koalition in den letzten Tagen aufgeführt wurde. Wenn Sie die Abschaffung der Optionspflicht tatsäch- (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist unsäglicher lich wollen, müssten Sie den § 29 des Staatsangehörig- Unsinn, den Sie hier von sich geben! – Gegen- keitsgesetzes komplett abschaffen. ruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) (Beifall der Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- Die Erleichterungen bei der Optionspflicht wollen Sie NIS 90/DIE GRÜNEN] und Britta Haßelmann nur dann beschließen, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Zuruf von der SPD: Nur dummes Geschwätz!) Sollten Sie das tatsächlich wollen, dann bietet die Linke wenn im Gegenzug Verschlechterungen im Asylrecht im Ihnen hier eine Gelegenheit, das umzusetzen. Bundesrat eine Mehrheit finden. Geben Sie es doch zu! (Johannes Kahrs [SPD]: Die Linke ist doch gar Wir haben darüber doch debattiert. Wir finden das Ver- nicht regierungsfähig!) fahren zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht einfach unwürdig. Deshalb haben wir Ihnen zwei Anträge vorge- Wir haben einen Gesetzentwurf eingereicht, über den legt: einen Gesetzentwurf, unterstützt von drei SPD-re- heute Abend hier namentlich abgestimmt wird. Dieser gierten Ländern Gesetzentwurf sieht genau die Streichung von § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes vor. Wenn Sie unserem (Zuruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Gesetzentwurf zustimmen, meine Damen und Herren – Sie können dem zustimmen und damit ein gemeinsa- von der SPD, stimmen Sie eigentlich sich selbst zu; denn mes Zeichen setzen für gleiche Rechte, gegen Ausgren- dieser Gesetzentwurf bildet eins zu eins eine Bundesrats- zung und tatsächlich für die Abschaffung der Options- initiative von drei SPD-regierten Bundesländern ab. pflicht –, und einen Antrag, in dem wir umfangreiche (Beifall bei der LINKEN) Vorschläge für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeits- recht gemacht haben. Ich denke, es ist wichtig, die Op- Sie können Ihrer eigenen Vorlage hier zustimmen. tionspflicht abzuschaffen. Aber es ist auch wichtig und Das Gute ist: Sie würden damit auch das erreichen, richtig, Einbürgerungen zu erleichtern. Auch das ist eine was Sie schon in der ersten Beratung versprochen haben: Erkenntnis aus der Sachverständigenanhörung. Sie würden sozusagen eine rechtlich verbindliche Rege- (Beifall bei der LINKEN) lung für all die Menschen schaffen, die die deutsche Staatsangehörigkeit infolge des Optionsmodells bereits verloren haben. Die Zahl dieser Menschen steigt von Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) (D) Tag zu Tag. Diese Menschen darf man nicht vage auf ir- Danke, Frau Kollegin. – Ich möchte darauf hinwei- gendwelche Ermessensspielräume im geltenden Recht sen, dass man sehr unterschiedlicher Meinung zu diesem verweisen, wie Sie es machen. Thema sein kann. Aber der Kommentar „dummes Ge- schwätz“ passt in irgendwelche Bierzelte, aber nicht in (Zuruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) eine solche Debatte. – Nein, ein Ermessensspielraum im geltenden Recht hilft (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nicht. Wir möchten Tatsachen und klare Verhältnisse neten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND- schaffen. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Gerold Reichenbach [SPD]: Meine Oma hat Nichts gegen Bierzelte, ich komme auch aus Bayern. immer gesagt: Mit Meckern ist noch keine Scheune gebaut worden! – Weiterer Zuruf von Nächster Redner ist Rüdiger Veit für die SPD. der SPD: Sie haben keine Tatsachen geschaf- (Beifall bei der SPD) fen!) Neben vielen Betroffenen wären auch die Mitarbeite- Rüdiger Veit (SPD): rinnen und Mitarbeiter der Einbürgerungsbehörden Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dankbar für eine konsequente Abschaffung der Options- Herr Minister, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu – das pflicht. Herr Bundesinnenminister – ich muss Sie enttäu- sieht auch die SPD so –: Es ist ein besonderer Tag, und schen –, die Sachverständigenanhörung in der letzten es ist ein bedeutendes Gesetz zu einer ausgesprochen Woche, bei der ich anwesend war, hat ergeben, dass die wichtigen Frage. Deswegen – wenn ich das einmal bei- Arbeitszeit, die für die jährlich etwa 40 000 Optionsver- läufig sagen darf, selbstkritisch an uns alle gerichtet, die fahren aufgewendet werden muss, weitaus besser für für das Timing verantwortlich sind – hätte man sich si- eine Verkürzung der viel zu langen Einbürgerungsver- cherlich eine längere und ausführlichere Debatte als fahren genutzt werden könnte. 36 Minuten vorstellen können. (Beifall bei der LINKEN) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass Sie nicht wirklich an einer Verbesserung der Lage So werden wir uns bemühen müssen, uns kürzer zu fas- für die Betroffenen interessiert sind, sen. (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch pein- Dieser Tagesordnungspunkt ist zugleich auch ein Be- lich!) leg dafür, dass Politik die Kunst des Möglichen ist. Das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4187

Rüdiger Veit (A) sage ich mit der Bitte, dies als Trost aufzufassen, sowohl gangsregelung hingewiesen. Das alles konnte nicht mehr (C) an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Frak- aufgegriffen werden, sicherlich zum Teil auch aus Zeit- tion als auch ein Stück weit an die sozialdemokratische gründen, zum Teil aber auch, weil es politisch nicht ge- Seite gerichtet. Wir brauchen von Ihnen, von euch nicht wollt war. Das müssen wir akzeptieren. Es gibt Verbes- daran erinnert zu werden: Wir treten seit 1998, 1999 serungsbedarf. Auch der Kollege Volker Beck hat auf konsequent dafür ein, dass in Deutschland die Mehr- einige rechtliche Aspekte hingewiesen. Das kann man staatlichkeit generell hingenommen werden darf. dann vielleicht bei anderer Gelegenheit machen. (Beifall bei der SPD – Ulla Jelpke [DIE (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- LINKE]: Warum habt ihr es 2000 nicht ge- NEN]: Warum nicht jetzt?) macht? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Ergebnis sieht aber ganz Trotzdem sollten wir jetzt hier im Bundestag zum schön dürftig aus!) Ende kommen. Damit das auch nicht gering geschätzt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich sage das – Deswegen – liebe Ulla Jelpke, ich fahre mit meinem auch mit Blick auf die Öffentlichkeit –: Das betrifft sehr Satz fort – haben wir bei der Staatsbürgerschaftsreform viele junge Menschen – jetzt 4 000, ab 2018 40 000 –, dieses alte Gesetz aus der Kaiserzeit zwar nicht ganz er- die sich dann eben nicht mehr zwischen der Staatsange- setzen können – durch die hessische Landtagswahl ging hörigkeit des Landes, aus dem ihre Eltern kommen, und die Mehrheit im Bundesrat verloren –, sondern wir der deutschen Staatsbürgerschaft entscheiden müssen mussten diesen Kompromiss mit der Optionspflicht ein- und die deshalb nicht mehr in diesen Konflikt kommen. gehen. (Beifall bei der SPD) Alle Sozialdemokraten haben nie etwas davon gehal- ten. Wir haben uns ein bisschen damit getröstet, dass die Das Entscheidende ist – darauf haben uns auch die Optionspflicht spätestens im Verwaltungsvollzug bei den Praktiker in der Anhörung hingewiesen –, dass mit den ersten Fällen noch einmal von fachlicher Seite durch- Regelungen, die jetzt gefunden worden sind – da bin ich leuchtet wird. Das haben wir auch als wichtiges Ziel im Ihnen, Herr Minister de Maizière, genauso dankbar wie Wahlprogramm formuliert. Es stand auch im Hundert- , der an dieser Einigung mitgewirkt hat –, Tage-Programm von Peer Steinbrück. Ihr braucht uns höchstwahrscheinlich allenfalls eine Zahl im einstelligen nicht daran zu erinnern. Das wissen wir selber. Prozentbereich dieser jungen Menschen – wie gesagt 4 000 bzw. fast 40 000 –, unter die Optionspflicht fällt. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wozu sind wir da? Für alle anderen ist mit den jetzt zu schaffenden gesetzli- Wir sind Opposition und dürfen euch daran er- chen Voraussetzungen das Problem, sich irgendwann (B) innern!) einmal zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden (D) Wir hätten selbstverständlich gerne im Koalitionsvertrag zu müssen, vom Tisch. mit der Union eine Regelung gehabt, dass wir die Mehr- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE staatlichkeit generell hinnehmen. Das ist nicht gelungen. GRÜNEN]: Für 400 Menschen 40 000 Verfah- So ist es zu einem Kompromiss gekommen. Es ist im Er- ren! Das ist schon eine große Leistung!) gebnis dann aber doch kein ganz schlechter Kompromiss gewesen. Aus unserer Sicht ist dieses Glas nicht halb Darüber können wir uns auch im Interesse der Betroffe- leer, sondern deutlich mehr als halb voll. nen für die Zukunft alle freuen. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜND- Danke sehr. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann alles schönreden!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Trotz des Beifalls wollen wir es auf der einen Seite mit dem Lob nicht übertreiben, weil uns, wenn wir ihn zu sehr loben, auf der anderen Seite vielleicht noch der Vizepräsidentin Claudia Roth: eine oder andere von der Fahne geht. Danke, Herr Kollege Veit. – Nächster Redner in der Debatte: Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wir loben es auch!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Wir stehen jetzt aber zu diesem Kompromiss. beraten heute über das Optionspflichtverlängerungs- und Ich komme dann noch einmal kurz zu der Anhörung -abschmelzungsgesetz. Es beinhaltet eben nicht die Ab- und zu dem, was wir, wie ich finde, leider bei der Gele- schaffung der Optionspflicht, genheit nicht mit berücksichtigt haben. Die Praktiker, (Rüdiger Veit [SPD]: Fast! – Sevim Dağdelen [DIE Herr Minister, die diesmal übrigens auf Wunsch der SPD LINKE]: Richtig! Genau!) eingeladen worden sind, haben eine Reihe wichtiger Än- derungen vorgeschlagen, nämlich die Überprüfung des obwohl Ihr Parteivorsitzender Ihnen im November letz- Verfahrens und die Einleitung von Amts wegen und den ten Jahres sogar versprochen hat, er unterschreibe nur ei- Wegfall der Ausschlussfrist bei der Beibehaltungsgeneh- nen Koalitionsvertrag, der die doppelte Staatsangehörig- migung, und auf das Problem einer angemessenen Über- keit beinhalte. 4188 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Volker Beck (Köln) (A) (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE] – nach unserer Verfassung keine Deutschen unterschiedli- (C) Rüdiger Veit [SPD]: Das wissen wir! Das habe chen Rechts, ich gerade gesagt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Dramatische daran, Rüdiger Veit, sind nicht diese und bei der LINKEN sowie des Abg. Johannes 400 Leute, die übrig bleiben und sich dann options- Kahrs [SPD]) pflichtig zwischen einem deutschem Pass und dem Pass und nach den europäischen Verträgen hat jeder Deutsche des Herkunftslandes ihrer Eltern entscheiden müssen. das Recht, sich in der Europäischen Union frei zu bewe- Das Dramatische ist: Wir sagen jungen Deutschen, dass gen. Das sprechen Sie den Menschen, die ausländische sie nur Deutsche auf Probe sind. Das sagen wir all diesen Eltern haben, hiermit ab. Das ist schändlich und ver- 40 000 jungen Menschen. Das ist verfehlt. Es gibt keine kehrt. Deshalb ist dieser Gesetzentwurf integrationspoli- Deutschen unterschiedlichen Rechts. tisch verfehlt und europarechtswidrig; deshalb werden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir ihn heute ablehnen. und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich will Ihnen einmal plastisch machen, wie absurd und bei der LINKEN) das im Ergebnis ist: José ist in Bolivien geboren. Sein Wir sind für die Abschaffung der Optionspflicht ohne Vater, der Deutscher ist, verlässt die Mutter noch wäh- Wenn und Aber. Ihre damalige Einführung war ein hoher rend der Schwangerschaft, erkennt aber die Vaterschaft Preis, um das Geburtsortsprinzip überhaupt ins deutsche an. José hat seinen deutschen Vater nie kennengelernt. Er Recht übernehmen zu können. war nie in Deutschland. Er spricht kein Wort Deutsch. Er ist Deutscher und nicht optionspflichtig. (Rüdiger Veit [SPD]: Das habe ich doch ge- sagt!) Veli ist in Köln-Ehrenfeld geboren. Seine Eltern sind – Wir waren uns einig, dass es der größte Unfug ist, was 30 Jahre zuvor nach Deutschland eingewandert, aber wir da im Staatsangehörigkeitsrecht anrichten, und ha- noch nicht eingebürgert. Nach seinem sechsten Lebens- ben immer gehofft, die Optionspflicht zu überwinden. jahr geht seine Familie – der Vater Ingenieur, die Mutter Deutschlehrerin – nach Frankreich, um dort zu arbeiten. (Rüdiger Veit [SPD]: Den Rest beseitigen wir, Er unterliegt nach Ihrem Gesetz nicht nur der Options- wenn wir wieder eine rot-grüne Mehrheit ha- pflicht, sondern er wird wahrscheinlich auch seinen ben!) deutschen Pass verlieren, obwohl er – das ist das Absur- Ich will Sie an jene Länder erinnern, die eine ganz an- deste an Ihrem ganzen Vorhaben – das Recht auf Freizü- dere Rechtskultur haben. Daran hat der Bundespräsident (B) gigkeit innerhalb der Europäischen Union, die ihm als (D) am 22. Mai in seiner großen Rede zur Einbürgerungs- deutschem Staatsbürger zusteht, wahrnimmt und sich in feier im Schloss Bellevue erinnert. Er hat nämlich ge- einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union sagt, die Deutschen würden sich gar nicht mehr daran aufhält. Das ist ethnische Diskriminierung! stören, dass man durch Geburt Deutscher wird, auch Wir wollten Ihnen im Innenausschuss die Chance ge- wenn man ausländische Eltern hat. – Leider ist es noch ben, wenigstens diesen Unsinn zu bereinigen und zu sa- nicht so weit. Es ist nicht nur die Optionspflicht, die gen, dass Aufenthalte in der Europäischen Union den noch besteht; die Eltern müssen hier zudem acht Jahre Aufenthalten in Deutschland gleichstehen, dass Schulab- lang eine Aufenthaltserlaubnis gehabt haben, bevor ihre schlüsse aus der Europäischen Union den deutschen Kinder überhaupt als Deutsche in diesem Land zur Welt Schulabschlüssen gleichstehen und dass wenigstens ein kommen können, unabhängig davon, wie lange sie sich Abschluss an einer deutschen Auslandsschule so behan- hinterher tatsächlich in diesem Land aufhalten. delt wird wie ein inländischer Abschluss. Da rate ich Ihnen einen Blick in die amerikanische (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verfassung. Im 14. Amendment steht: und bei der LINKEN) All persons born … in the United States … are citi- Sie waren dazu nicht bereit. zens of the United States … Im kanadischen Recht heißt es: Und warum? … a person is a citizen if the person was born in Ca- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nada … NEN]: Kuhhandel!) So einfach kann man es machen. Es liegt ja nicht am schlechten Willen der Sozialdemo- kratie; das weiß ich. Es liegt daran, dass die CDU/CSU (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an der schwarzen Pädagogik im Staatsbürgerschaftsrecht und bei der LINKEN) festhalten will; Das bleibt eine Aufgabe für die Zukunft: Wenn Kin- (Widerspruch bei der CDU/CSU) der von hier legal lebenden Eltern in Deutschland gebo- ren sind, dann gehört ihnen ohne Wenn und Aber der sie setzt damit ihre Integrationspolitik fort. Sie tun so, deutsche Pass; das müssen wir nach diesem Tag noch als ob sich diese jungen Deutschen noch bewähren durchsetzen. Ich kündige Ihnen an: Da werden wir im müssten, um anständige Deutsche zu sein. Nein, es gibt Parlament erneut initiativ werden, auch beim Thema Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4189

Volker Beck (Köln) (A) „Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft bei der Mit der Staatsangehörigkeit wird ein intensives Band (C) Einbürgerung“. zwischen dem Staat und dem Bürger vermittelt. Ich ver- stehe das, um es klar festzuhalten, nicht als ein Unter- Vizepräsidentin Claudia Roth: und Oberordnungsverhältnis. Ich sehe dies gleichrangig. Kommen Sie bitte zum Ende. Natürlich impliziert die Staatsangehörigkeit klare Rechte, aber auch klare Pflichten. Deshalb ist sie ein ho- hes Gut, vielleicht mit das höchste Gut, das ein Staat Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ausreichen kann. Schon heute hat jeder Zweite, der eingebürgert wird, das Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft. Warum (Beifall bei der CDU/CSU) machen wir bei der Hälfte ein solches Buhei, wenn wir Ich möchte auch betonen: Das deutsche Staatsangehö- die doppelte Staatsbürgerschaft bei den anderen selbst- rigkeitsrecht hat sich bewährt. Wir haben in den letzten verständlich hinnehmen? Hören Sie auf, die Staatsbür- Legislaturperioden häufig über das Thema Staatsange- gerschaft dazu zu nutzen, um die Menschen, die zu uns hörigkeit debattiert. Ich und viele andere Kolleginnen gekommen sind, zu knuten. Sagen Sie Ja zur Willkom- und Kollegen von der CDU/CSU haben deutlich ge- menskultur. macht, dass wir das Ausreichen der deutschen Staatsan- gehörigkeit ganz eindeutig an klare Integrationsvoraus- Vizepräsidentin Claudia Roth: setzungen knüpfen. Es kann nicht sein, dass jemand, Herr Beck. ohne dass er nachweist, in Deutschland integriert zu sein, die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin der festen Überzeugung: Die mit diesem Ge- Da können Sie auf der rechten Seite des Hauses noch setz vorgelegten Änderungen, in denen die Bedingungen eine Menge lernen. dafür genannt werden, wie man von der Optionspflicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausgenommen werden kann, sind aus meiner Sicht mehr und bei der LINKEN) als ein Indiz dafür, dass die betreffenden Personen in Deutschland integriert sind. Wenn jemand mindestens acht Jahre in Deutschland lebt, wenn jemand mindestens Vizepräsidentin Claudia Roth: sechs Jahre in Deutschland die Schule besucht hat, wenn Danke, Herr Kollege Beck. – Nächster Redner ist jemand in Deutschland erfolgreich die Schule oder eine Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. Berufsausbildung absolviert hat, dann sind das ganz (Beifall bei der CDU/CSU) klare Hinweise darauf, dass diese Person in Deutschland (B) angekommen ist, dass sie in Deutschland beheimatet ist (D) und dass sie in Deutschland integriert ist. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- Mit diesem Gesetz machen wir guten Gewissens ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir setzen mit dem Ge- deutlich, dass wir den Koalitionsvertrag in seinem ei- setz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts den gentlichen Sinn umsetzen: Wir werden die Options- Koalitionsvertrag um. Auch wenn dieses Gesetz – ich pflicht für die Personen, die in Deutschland geboren und möchte das gar nicht negieren – nicht der innigste aufgewachsen sind, abschaffen. Wunsch der Unionsfraktion war und ist, auch wenn es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) uns kein Herzensanliegen war und ist, möchte ich schon betonen: Wir verabschieden heute ein gutes, ein zu- Ich bin der Überzeugung, dass dieses Gesetz integra- kunftsweisendes Gesetz. tionspolitisch eine sinnvolle Maßnahme ist. Ich knüpfe die Hoffnung daran, dass es auch den gesellschaftlichen (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zusammenhalt in Deutschland stärkt. NEN]: Ein Murks ist das!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte ganz klar festhalten: Es bleibt beim Grundsatz der Optionspflicht. Es bleibt auch beim richti- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von gen Grundsatz der Vermeidung der doppelten Staatsan- der Linksfraktion oder auch von den Grünen, es handelt gehörigkeit. Es wird allen Unkenrufen zum Trotz auch in sich beileibe nicht um ein Bürokratiemonster. Ich ver- Zukunft in Deutschland keinen generellen Doppelpass stehe die Aufregung nicht. geben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: 40 000 Verfahren für 400 Fälle! NEN]: Nichts mit Abschaffung!) Das ist doch absurd!) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich Es ist doch ganz einfach: Wenn jemand in Deutschland möchte klar herausstreichen: Die Staatsbürgerschaft ist erfolgreich die Schule abgeschlossen hat, dann braucht keine Vereinsmitgliedschaft, die man schnell annimmt er nur das Schulabschlusszeugnis an die Ausländerbe- und auch schnell wieder aufgibt. hörde zu schicken. Damit wird er von der Optionspflicht befreit und hört nie mehr etwas vom Staat. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Rüdiger Veit [SPD]: Das hat nie- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE mand gesagt!) GRÜNEN]: Sie haben das Gesetz nicht gele- 4190 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Stephan Mayer (Altötting) (A) sen! Erst einmal prüft das Ausländeramt, ob (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- (C) die Meldebescheinigung vorliegt! Ein Teil der NIS 90/DIE GRÜNEN]) Meldedaten ist gar nicht vorhanden, wenn die was im konkreten Fall dazu führt, dass Ihr Freund beide Leute hierher gezogen sind!) Staatsangehörigkeiten behalten kann. Wenn jemand erfolgreich seine Berufsausbildung abge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schlossen hat, muss er nur sein Abschlusszeugnis an die neten der SPD – Zuruf des Abg. Volker Beck Ausländerbehörde schicken, und er hört von den Auslän- [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) derbehörden nie mehr etwas. Wir beenden mit dieser heutigen Debatte eine lang- (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu jährige Diskussion über unser Staatsangehörigkeitsrecht. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie Es ist schon erwähnt worden: Es fällt dem einen oder an- einmal Ihr Gesetz!) deren Kollegen seitens der CDU/CSU mit Sicherheit Was hat denn das mit Bürokratie zu tun? nicht leicht, diesem Gesetz zuzustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen GRÜNEN]: Sind genügend Leute da, dann Sie Ihren Gesetzentwurf! Wo waren Sie ei- können sie rausgehen!) gentlich während der Anhörung?) Herr Minister de Maizière hat schon darauf hingewie- sen: Mit diesem Gesetz sind Wahlkämpfe geführt wor- Mit diesem Gesetz wird vermieden, dass jemand, der den. Es sind Landesregierungen gewählt oder abgewählt zum Beispiel im dritten oder vierten Lebensjahr mit sei- worden. Ich bin der Überzeugung: Von diesem Gesetz nen Eltern Deutschland verlässt und in die Türkei zieht, wird eine Befriedungswirkung für unser Land ausgehen. auch von der Integrationspflicht ausgenommen wird. Ich glaube auch, dass dieses Gesetz den veränderten ge- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE sellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland GRÜNEN]: Oder zum Beispiel nach Frank- Rechnung trägt. Deswegen können wir diesem Gesetz reich oder nach Österreich!) guten Gewissens zustimmen. Es ist ein zukunftsweisen- des, modernes Staatsangehörigkeitsgesetz, und ich bitte – Herr Kollege Beck, vielleicht zu Ihrem Beispiel vom herzlich um Ihre Zustimmung. Willi aus Köln-Ehrenfeld und vom José. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Lachen des Abg. Özcan Mutlu [BÜND- (B) NIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Beck [Köln] Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Veli heißt Vielen Dank, Herr Kollege Mayer. – Nächste Redne- der! Der Willi, das ist der Ostermann! Der hat rin in der Debatte ist Frau Staatsministerin Aydan damals die Karnevalslieder gemacht! Der Veli Özoğuz. ist aus der Türkei!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Was ich nicht verstehe, Herr Kollege Beck: Sie haben der CDU/CSU) mit Ihrer Aussage sogar impliziert, dass Sie dem José gerne die deutsche Staatsangehörigkeit nehmen würden. Aydan Özoğuz, Staatsministerin bei der Bundes- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE kanzlerin: GRÜNEN]: Nein, aber ich will den Veli nicht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und schlechter behandeln! Das ist ethnische Dis- Kollegen! Ich versuche einmal, das zusammenzufassen: kriminierung, was Sie hier machen!) Deutschlands Kinder, die mit ihrer Geburt zwei Pässe haben, behalten diese zukünftig in den allermeisten Fäl- Wir wollen dies aber nicht: Ihr Freund aus Köln-Ehren- len, müssen ihre Herkunft auch nicht mehr verleugnen. feld wird auch mit diesem Gesetz beide Staatsangehörig- keiten behalten können. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die behalten sie nicht, die haben (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sie schon!) Eben nicht, wenn er in Frankreich ist!) Das heißt, genau zehn Jahre nach Inkrafttreten des Zu- Ich sage Ihnen zu. Wir haben eine Härtefallklausel in wanderungsgesetzes bekennt sich Deutschland zu den das Gesetz eingebaut. Ich gehe davon aus, dass die Län- Kindern seiner Einwanderer mit ihren Herkünften. Das der sehr vernünftig und auch sehr weitsichtig mit dieser ist ein sehr schöner Befund. Härtefallklausel umgehen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ GRÜNEN]: Wenn der Gesetzgeber alles, was DIE GRÜNEN]: Dann können Sie es ja vorbe- er regeln müsste, in die Härtefallklausel haltlos abschaffen!) schreibt!) Ich kann Kritik sehr gut verstehen. Ich höre auch sehr Ich bin mir sehr sicher, Herr Kollege Beck, dass der von genau zu. Man zählt die Nachteile, die durch die Op- Ihnen geschilderte Fall unter die Härtefallregelung fällt, tionspflicht entstehen, die einmal gemeinsam beschlos- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4191

Staatsministerin Aydan Özoğuz (A) sen wurde, auf – das sind eventuell die Ausnahmen, die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (C) noch bestehen bleiben – und übersieht vollkommen, dass Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hunderttausende Kinder und Jugendliche – die Zahlen Nein! Richtig wäre, den Murks ganz abzu- sind gerade genannt worden –, die schon geboren sind, schaffen!) von diesem neuen Gesetz profitieren werden, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsidentin Claudia Roth: GRÜNEN]: Ich habe doch vom Abschmelzen Danke, Frau Kollegin. – Bevor ich dem Kollegen gesprochen! – Rüdiger Veit [SPD]: Jedenfalls Helmut Brandt das Wort gebe, bitte ich die anderen Kol- über 300 000!) leginnen und Kollegen, den letzten zwei Rednern in die- ser Debatte noch zuzuhören. Sie haben es definitiv ver- von dieser belastenden Entscheidung befreit werden und dient. – Helmut Brandt für die CDU/CSU. sich im wahrsten Sinne des Wortes in einem Deutsch- land befinden, das sagt: „Ja, du gehörst hierher, (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt (Beifall bei der SPD) der Integrationsexperte!) du bist deutsch, und du bist noch etwas anderes.“ Das kann man doch nicht kritisieren. Helmut Brandt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen! Ich glaube, der Wortbeitrag der Staatsministerin hat der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ zur Versachlichung der Atmosphäre beigetragen. Des- DIE GRÜNEN]: Natürlich kann man das kriti- halb danke ich ihr ausdrücklich für ihren Beitrag. Da sieren! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ kann man hundertmal „Murks“ rufen; das disqualifiziert DIE GRÜNEN]: Wir kritisieren, dass Sie es nur den Rufer und nicht den Diskussionsbeitrag als sol- nicht ganz abschaffen! Das war noch gnädig chen. im Vergleich zu Frau Dağdelen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde auch, dass wir den Streit um das Wort „Auf- wachsen“ gut gelöst haben. Denn tatsächlich, wir hätten Natürlich hätte man heute noch einmal sehr lange mehr gewollt – das kann man nicht oft genug wiederho- über diesen Gesetzentwurf diskutieren können, Herr len –, und die Unionsfraktionen hätten etwas anderes ge- Kollege Veit. Aber wir haben im letzten Jahr über die wollt. Auch das ist kein Geheimnis. Frage der Staatsangehörigkeit und über die Frage der Optionspflicht – ja oder nein? – oft diskutiert. Jetzt de- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE battieren wir schon zum fünften Mal darüber. Deshalb (B) GRÜNEN]: Sie sind die Bundesregierung, Sie (D) halte ich es für angemessen, dass wir die Debatte heute haben gar nichts zu wollen!) abschließen. Wir haben uns darauf geeinigt, zu sagen: Wenn jemand Wir haben heute in zweiter und dritter Lesung diese acht Jahre hier ist – Entschuldigung, es sind doch fast Neuregelung zu beschließen, die für die betroffenen jun- alle acht Jahre hier; es gibt wenige Ausnahmen –, wenn gen Leute sicherlich eine enorme Erleichterung bedeu- jemand seinen Schulabschluss oder seinen Berufsausbil- tet. Wir haben in der Sachverständigenanhörung, die hier dungsabschluss hier gemacht hat, dann gilt diese Rege- schon mehrfach erwähnt worden ist, gehört, dass die lung, die wir heute gemeinsam treffen, ab jetzt. Das ist Zahl der Betroffenen bis zum Jahr 2018 auf 40 000 im doch ein gutes Signal, welches wir an die deutsche Ju- Jahr ansteigen wird. Deshalb ist es, glaube ich, an der gend mit zwei Pässen und alle anderen senden. Zeit, sich mit dieser Neuregelung abschließend zu be- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – schäftigen. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Hören Sie auf, das schönzureden! Es ist Murks und bleibt Murks!) Wir haben mit diesem Kompromiss natürlich nicht alle Erwartungen erfüllen können. Es gab und gibt bis Die Härtefallregelung gibt es auch noch. Sie ist ja ge- heute vehemente Befürworter einer kompletten Abschaf- rade für solche Fälle gedacht, die wir uns heute nicht alle fung der Optionspflicht. Aber die Anhörung der Sach- überlegen können. Diese Jugendlichen können dann zei- verständigen hat deutlich gezeigt, dass die geplante gen: Ich habe einen Bezug zu Deutschland, ich bin hier Modifizierung der Optionspflicht ausgewogen und prak- genauso verwurzelt. Ich finde, das Staatsangehörigkeits- tikabel ist, dass sie den verfassungsrechtlichen Vorgaben recht wird ein Stück gerechter. Es hat mit Identität zu genügt und vor allen Dingen auch sachgerecht ist. Sie tun, mit Verwurzelung, nicht mit dem Herkunftsland, aus verstößt gerade nicht, wie von den Linken und vom dem jemand kommt. Danach haben wir ja bisher unter- Bündnis 90/Die Grünen immer wieder behauptet, gegen schieden. Wir werden allen jungen Menschen, die jetzt das Grundgesetz. so gebannt darauf warten, dass wir das endlich umset- zen, dass sie endlich eben nicht mehr diese Angst haben (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE müssen, diese Angst nehmen, das Gesetz jetzt umsetzen GRÜNEN]: Sie verstößt vor allen Dingen ge- und nicht sagen: Lieber gar nichts, wenn man nicht gen das Europarecht!) 100 Prozent und alles bekommt. Sie ist auch keine unzulässige Entziehung der Staatsan- Danke schön. gehörigkeit im Sinne des Artikels 16 Absatz 1. 4192 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Helmut Brandt (A) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (C) NEN]: Das Grundgesetz kennt keine Deut- GRÜNEN]: Ah! Hört! Hört!) schen zweiter Klasse!) Integration Ich erinnere an die Ihnen sicherlich bekannte Rechtspre- chung, nach der eine Verlustzufügung nur dann vorliegt, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wenn der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare NEN]: Findet nur in Deutschland statt! Da Weise dieselbe beeinflussen kann. Das ist hier aber nicht zeigt er sein wahres Gesicht!) der Fall. findet doch nicht nur in der Schule statt, sondern auch im Die jungen Erwachsenen, die nach dieser neuen Re- Freundeskreis, in Vereinen und in der Familie, also im gelung von der Optionspflicht betroffen sein werden, ha- Alltag. All das ist im Ausland doch gerade nicht gewähr- ben es selbst in der Hand, ob sie sich für die deutsche leistet, Staatsangehörigkeit oder für die ihrer Eltern entscheiden, (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck auch wenn diese Entscheidung in dem einen oder ande- [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ren Fall vielleicht eine unbequeme Entscheidung ist – ist interessant! Das Innenministerium meinte, unbequem, aber durchaus zumutbar. das sei ein Fall für die Härtefallklausel!) (Unruhe) weshalb wir Ihren Antrag immer wieder aufs Neue ab- lehnen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Die von Ihnen, Herr Beck – ich muss Sie in dieser De- Ich meine das wirklich sehr ernst. Der Herr Kollege batte leider öfters ansprechen, weil Sie immer wieder die Brandt redet über ein sehr wichtiges Thema. Entweder gleichen falschen Behauptungen aufstellen –, behauptete Sie hören jetzt zu – dann reden Sie aber bitte nicht mit Unvereinbarkeit mit Europarecht, ist auch von den Sach- den Nachbarn, sondern hören ihm zu –, oder Sie reden verständigen nicht bestätigt worden. draußen weiter. Das gilt für die Kolleginnen und Kolle- gen Abgeordneten, (Widerspruch des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Vor allem der CDU!) Der mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit einhergehende Verlust der Unionsbürgerschaft beein- das gilt aber auch für die Regierungsbank. – Herr Kol- trächtigt zwar das Recht auf Freizügigkeit. lege, Sie haben das Wort. (B) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört!) bei Abgeordneten der LINKEN) – Herr Beck, Sie haben nur einer Sachverständigen und nicht allen Sachverständigen zugehört, weshalb Sie sich Helmut Brandt (CDU/CSU): auch nur ein einseitiges Bild von der Rechtslage gebildet Besten Dank, Frau Präsidentin. Nach mir redet ja haben. Aber das war ja auch Ihr Ziel von Anfang an. – noch ein Kollege. Insofern ist der Appell mehr als be- Der Verhältnismäßigkeit des Verlustes, die der Europäi- rechtigt. sche Gerichtshof verlangt, steht jedoch auch hier gegen- Einer Hinnahme des Verlustes der deutschen Staats- über, dass es der Betreffende selbst in der Hand hat, sich angehörigkeit steht das legitime Interesse des deutschen die deutsche Staatsangehörigkeit und damit den Status Staates an der Vermeidung von Konflikten rechtlicher, der Unionsbürgerschaft zu erhalten. Der Europäische politischer, auch persönlicher Art gegenüber, die viel- Gerichtshof hat zudem explizit festgestellt, dass es legi- leicht nicht regelmäßig, aber eben doch mit einer dop- tim ist, dass der Mitgliedstaat das zwischen ihm und sei- pelten Staatsangehörigkeit verbunden sind. Auch wenn nen Staatsbürgern bestehende Verhältnis besonderer Ver- einige das nicht gerne hören oder nicht glauben wollen, bundenheit und Loyalität sowie die Gegenseitigkeit der ist es nun einmal so, dass eine doppelte Staatsangehörig- Rechte und Pflichten schützt. keit zu Loyalitätsproblemen führen kann, insbesondere wenn im Heimatland der Eltern ganz andere Wertvor- Vizepräsidentin Claudia Roth: stellungen als in Deutschland vorherrschen. Genau des- Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit? halb halte ich die Bedingungen, die wir an den Wegfall der Optionspflicht geknüpft haben, für absolut notwen- Helmut Brandt (CDU/CSU): dig und integrationsfördernd. Ja. Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Ich bin (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE – ich denke, das gilt für uns alle, jedenfalls für die meis- GRÜNEN]: Vorsicht vor der österreichischen ten von uns – letztlich zufrieden mit dem Kompromiss, Matura!) den wir jetzt gefunden haben. An die Adresse von Bündnis 90/Die Grünen sage ich, Letzte Bemerkung. Der Kollege Veit hat recht, dass dass der Besuch einer deutschen Schule im Ausland die von der SPD-Fraktion präsentierten sachverständi- – das ist ein beliebtes Beispiel von Ihnen, Herr Beck – gen Praktiker Anregungen gegeben haben. Wir wollten ein Leben in Deutschland nicht ersetzt. das nicht in der Kürze der Zeit übers Knie brechen, zu- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4193

Helmut Brandt (A) mal dadurch vielleicht auch die Möglichkeiten der Zu- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (C) stimmung durch den Bundesrat vergeben worden wären. GRÜNEN]: Ich möchte Ihnen wirklich eine Frage stellen!) (Rüdiger Veit [SPD]: Trotzdem vielen Dank!) Aber wir sind bereit, darüber in den nächsten Monaten Vizepräsidentin Claudia Roth: mit den Ländern und auch mit Ihnen zu diskutieren, – Moment! – Erlauben Sie das?

Vizepräsidentin Claudia Roth: Josip Juratovic (SPD): Aber jetzt nicht mehr! Ja, bitte.

Helmut Brandt (CDU/CSU): Vizepräsidentin Claudia Roth: – um vielleicht noch die eine oder andere Gelegenheit Gut. – Kollege Beck. für eine Verbesserung zu nutzen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der Danke. Kollege Beck redet ja schon die ganze Zeit!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, weil mich die Rede des Kollegen Brandt verwirrt hat, was wir denn Danke, Herr Kollege Brandt. – Letzter Redner in die- jetzt beschließen. ser Debatte ist Josip Juratovic. Ich bitte Sie, dem Redner, der für die SPD redet, zuzuhören. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Dass Sie verwirrt sind, glaube ich Ihnen so- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fort!) der CDU/CSU) Herr Brandt hat gerade erklärt, Abschlüsse an deut- Josip Juratovic (SPD): schen Auslandsschulen führten zur Optionspflicht. Das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Bundesinnenministerium hat auf eine Kleine Anfrage Kollegen! Mit unserem Gesetzentwurf beenden wir eine unserer Fraktion geantwortet, dies könne ein Fall für die entwürdigende Situation. Härtefallregelung sein. Damit das Hohe Haus weiß, was es tut, wenn es diesen Gesetzentwurf jetzt verabschiedet (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – in ihm steht ja nicht, was in diesem Fall gilt –, würde (B) (D) NEN]: Sie beenden gar nichts!) ich gerne von Ihnen, sozusagen koalitionsamtlich, eine Auslegungsentscheidung hören. Bisher waren hier geborene Kinder ausländischer Eltern Deutsche unter Vorbehalt; das hatten wir der Kampagne von Roland Koch aus dem Jahre 1999 zu verdanken. Josip Juratovic (SPD): Dieser Vorbehalt ist nun weg. Herr Beck, ich gehe davon aus, dass Sie den Gesetz- entwurf und die Beschlussempfehlung gelesen haben. (Beifall bei der SPD) Ich möchte jetzt keine langen Erklärungen vortragen. Ein hier geborenes Kind, das hier aufwächst, ist nun ein (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Deutscher. GRÜNEN]: Sie wissen es also auch nicht? Ein Kolleginnen und Kollegen, ich will nicht verhehlen, sehr gutes Gesetz ist das!) dass wir als SPD mehr anstreben. Da denke ich vor al- – Ich weiß es sehr wohl. lem an die erste Generation der Einwanderer nichtdeut- scher Herkunft. Diese Generation, die sogenannten Gast- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- arbeiter, bleiben in der aktuellen Debatte leider NEN]: Das ist ein Fall für die Härtefallklau- unbeachtet. sel!) Warum wollen wir für sie die generelle Akzeptanz Ich wiederhole: Warum wollen wir die generelle Ak- von Mehrstaatlichkeit? Weil es einfach zur Redlichkeit zeptanz von Mehrstaatlichkeit? Weil es einfach zur Red- gehört. Diese Menschen haben ihre Lebensleistung zum lichkeit gehört. Diese Menschen haben ihre Lebensleis- größten Teil hierzulande erbracht. Diese Menschen ha- tung zum größten Teil hierzulande erbracht. Diese ben unser Land unter schweren Bedingungen mit aufge- Menschen haben unser Land unter schweren Bedingun- baut. gen mit aufgebaut und es zu dem gemacht, was es heute ist: eine starke Wirtschaftsmacht. Diese Menschen haben sich auch im Vereinsleben in unseren Städten und Ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: meinden engagiert und damit zu einer Gesellschaft bei- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder getragen, um die wir weltweit beneidet und für die wir Bemerkung des Kollegen Beck? respektiert werden. Wie loyal, Herr Minister, muss ein Mensch noch sein? Ich meine, es wäre nur redlich, dass Josip Juratovic (SPD): wir den emotional berechtigten Anspruch dieser Men- Herr Beck, Sie haben schon viel geredet. schen auf Respekt und Anerkennung würdigen, indem 4194 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Josip Juratovic (A) wir zu ihnen sagen: Du gehörst dazu, ohne dass du deine Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Herkunft verleugnen musst. Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aus- sprache. (Beifall bei der SPD) Ich bitte Sie jetzt um Ihre Aufmerksamkeit, weil von- Kolleginnen und Kollegen, als Integrationsbeauftrag- seiten der CDU/CSU und der SPD eine zweite namentli- ter der SPD-Bundestagsfraktion betrachte ich Integration che Abstimmung angemeldet worden ist. Wir werden als einen Prozess auf dem Weg zur Identifikation mit der unter Zusatzpunkt 7 a also nicht nur über den Gesetzent- Vielfalt in unserem Land – sowohl aufseiten der Einwan- wurf der Fraktion Die Linke namentlich abstimmen, derer als auch aufseiten der aufnehmenden Gesellschaft. sondern auch – das tun wir jetzt zuerst – über den von Vielfalt ist dabei nicht Beliebigkeit, sondern muss in un- der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzent- seren grundgesetzlichen Werten eingerahmt sein. Des- wurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes auf halb ist es für mich nicht wichtig, wie viele Pässe je- Drucksache 18/1312, über den wir debattiert haben. mand in der Hosentasche hat. Es ist für mich vielmehr entscheidend, was er im Herzen trägt. Für mich reicht Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- auch gegenseitige Toleranz nicht aus. Deutschland muss ner Beschlussempfehlung, diesen Gesetzentwurf in der auf gegenseitiger Empathie, Achtung und Respekt auf- Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die gebaut sein. dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zwei- der CDU/CSU) ter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Lin- Der vor uns liegende Gesetzentwurf ist ein Kompro- ken angenommen. miss, für den ich mich bei unserem Koalitionspartner trotz einiger Bedenkenträger bedanken möchte. Den Be- Dritte Beratung denkenträgern möchte ich sagen: Wir sollten die Fenster in diesem Haus einmal öffnen und nach draußen und Schlussabstimmung. Diese Schlussabstimmung ist schauen. Sie werden sehen, dass uns die Realität in namentlich. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- Deutschland längst überholt hat. Seit Roland Koch ist führer, ihre Plätze an den Boxen einzunehmen. – Sind viel passiert. die Plätze an den Boxen besetzt? – Also, die Plätze an den Boxen sind besetzt. Deutschland ist seit 2005 offiziell ein Einwande- (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Ur- rungsland. 50 Prozent der Zuwanderer haben bereits nen!) (B) mehrere Pässe. Die internationale Vielfalt ist aus unserer (D) Wirtschaft, Kunst und Kultur nicht mehr wegzudenken. – Die Plätze an den Boxen, die manche „Urnen“ nennen, sind besetzt. Damit eröffne ich die Abstimmung. – Ha- (Unruhe) ben alle Kolleginnen und Kollegen jetzt abgestimmt? – Ich gehe davon aus, dass jetzt alle Mitglieder abge- Vizepräsidentin Claudia Roth: stimmt haben. Damit schließe ich die Abstimmung und Ich bitte Sie, dem Kollegen zuzuhören. Er versteht bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der fast sein eigenes Wort nicht mehr. Wir können die De- Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen, wie batte auch unterbrechen, wenn Sie wichtigere Dinge zu immer, später bekannt gegeben.1) besprechen haben. Ansonsten hören Sie dem Kollegen Jetzt kommen wir zu der Abstimmung über den Ent- jetzt bitte die letzten 30 Sekunden zu. wurf eines Gesetzes der Fraktion Die Linke über die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörig- keitsrecht. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buch- stabe b seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksa- Josip Juratovic (SPD): chen 18/1955 und 18/2005, den Gesetzentwurf der Danke, Frau Präsidentin. – Wir feiern und identifizie- Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1092 abzulehnen. ren uns mit unserer Nationalmannschaft, in der längst nicht mehr die Herkunft zählt, sondern die Qualitäten Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlan- 2) und Fähigkeiten. gen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Diese Realität müssen wir in Gesetzen abbilden, die Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen be- helfen, dass sich alle Menschen in unserem Land als setzt? – Die Plätze sind besetzt. Ich eröffne die Abstim- Bürgerinnen und Bürger mit einem Deutschland der mung über den Gesetzentwurf. Vielfalt identifizieren. Die wachsende Vielfalt Deutsch- lands wird mit diesem Gesetzentwurf einmal mehr als Solange noch abgestimmt wird, möchte ich im Na- Wert anerkannt. Es ist ein weiterer Schritt zu mehr Ge- men des Präsidiums Ansgar Heveling ganz herzlich zu rechtigkeit und Zusammenhalt in unserem Land. seinem Geburtstag gratulieren. (Beifall) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 1) Ergebnis Seite 4197 D der CDU/CSU) 2) Anlage 14 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4195

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Gibt es noch Mitglieder des Hauses, die ihre Stimme Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) nicht abgegeben haben? – Das ist nicht der Fall. Dann Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe- Gestern wurde der neue Public Women-on-Board-Index rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- vorgestellt. Angesichts der bekannten Frauen- und Män- nen. Auch hier wird Ihnen das Ergebnis der Abstim- neranteile in Aufsichtsräten der Wirtschaft ist das Ergeb- mung, wie immer, später bekannt gegeben.1) nis jetzt nicht wirklich überraschend. Vielmehr zeigt sich hier noch einmal eines deutlich: Freiwillige Vereinba- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Schön!) rungen und unverbindliche gesetzliche Regelungen füh- ren nicht zu einer signifikanten Steigerung des Frauen- – Ja, so ist es, Herr Kauder. anteils, nicht einmal in Unternehmen mit Beteiligung Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion des Bundes. Nein, ganz im Gegenteil. Denn in den Vor- Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsangehö- ständen und in den Geschäftsführungen von Bundesun- rigkeitsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter ternehmen wurde bisher nur jede fünfte Position mit ei- Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- ner Frau besetzt. Das sind 13,9 Prozent, und das ist viel zu wenig. chen 18/1955 und 18/2005, den Gesetzentwurf der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/185 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (neu) abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer KEN) stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeigt vor allem: wurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/ Dort, wo die Politik unmittelbar Einfluss auf die Beset- CSU und SPD bei Zustimmung von Bündnis 90/Die zung von Führungsposten hat, nutzt sie diesen Einfluss Grünen und der Linksfraktion abgelehnt. Damit entfällt nicht. Damit nehmen die öffentlichen Unternehmen nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. keine Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft ein. Der Zusatzpunkt 7 b. Beschlussempfehlung des Innenaus- faktische Ausschluss von Frauen ist auch nicht gerecht. schusses zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Liebe Kolleginnen von der Bundesregierung, auch Titel „Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeits- das ist ein Grund dafür, dass wir Grünen heute erneut ei- recht“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d sei- nen eigenen Gesetzentwurf zur geschlechtergerechten ner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/1955 und Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungs- 18/2005, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck- ebenen einbringen. Denn – das sage ich Ihnen noch ein- sache 18/286 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- mal ganz klar – die Geduld der Frauen ist zu Ende. (B) schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- (D) hält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- angenommen mit Stimmen von CDU/CSU und SPD bei KEN) Ablehnung von der Linksfraktion und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Es gibt keinen Grund, den vielen hochqualifizierten Frauen den Zugang zu Karriere und besser bezahlten Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Jobs weiter zu verweigern. Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulle Wir wollen deshalb erstens eine 40-Prozent-Frauen- Schauws, Renate Künast, Katja Dörner, weiteren quote für börsennotierte Unternehmen oder Unterneh- Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ men, die der Mitbestimmung unterliegen. Diese Quote DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines soll in zwei Stufen erreicht werden: ab 2016 für alle Gesetzes zur geschlechtergerechten Besetzung Neubesetzungen, dann ab 2018 für alle Aufsichtsratsmit- von Aufsichtsräten, Gremien und Führungs- glieder. Das betrifft etwa 3 500 Unternehmen. ebenen (Führungskräftegesetz) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 18/1878 Wir fordern zweitens die dringend notwendige Refor- Überweisungsvorschlag: mierung des Bundesgremienbesetzungsgesetzes aus dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Jahr 1994. Auch hier fordern wir eine Mindestquote für Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) beide Geschlechter von 40 Prozent ab 2018 und die Ausschuss für Wirtschaft und Energie Streichung der vielen Ausnahmeregelungen. Ausschuss für Arbeit und Soziales Diese beiden Forderungen sollen drittens einhergehen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für mit Regelungen für Führungspositionen unterhalb des die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und Vorstandes, damit Frauen konsequent gefördert werden. sehe keinen Widerspruch, dann ist es jetzt so beschlos- Nur so erreichen wir es, dass Frauen nicht länger an die sen. gläserne Decke stoßen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Ulle (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schauws für Bündnis 90/Die Grünen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gut ist, dass bei die- ser Bundesregierung angekommen ist, dass die Frauen- 1) Ergebnis Seite 4200 A förderung angepackt werden muss – anders als bei der 4196 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Ulle Schauws (A) letzten. Ehrlich gesagt glaube ich allerdings, dass diese nen und für Aufsichtsräte und für Bundesgremien. Man (C) Erkenntnis tatsächlich nur bei den Kolleginnen und Kol- muss sie aber auch finden wollen. legen von der SPD so richtig angekommen ist. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) wir feiern in diesem Jahr den 20. Jahrestag der Ergän- zung des Artikels 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Dieser Von der Union hört man ja gar nichts zu dem Referen- Satz fordert die Bundesregierung zu aktivem Handeln tenentwurf. Ich will es einmal so sagen: Allgemeines bei der Frauenförderung auf. Nehmen Sie dieses Jubi- Schweigen im Walde bei der Union offenbar nach dem läum zum Anlass! Nutzen Sie Ihre Mehrheiten! Trauen Motto „Die Wirtschaft wird schon dagegen Sturm lau- Sie sich, den Frauen und Männern in diesem Land sowie fen“ – das tut sie bereits auch panisch – „und alles wie- auch der Wirtschaft effiziente Maßnahmen zur Gleich- der richten“. stellung zu! Nehmen Sie unsere Vorschläge auf, damit (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach, seien Sie wir nicht bei einem Quötchen landen, sondern bei einer nicht so streng!) wirklichen Quote, einer Quote, die am Ende nicht nur wenigen Frauen hilft. Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, wenn ich mir den Referentenentwurf Vielen Dank. ansehe, besteht eigentlich gar kein Grund zu dieser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hysterie. Denn die von Maas und Schwesig vollmundig sowie bei Abgeordneten der LINKEN) angekündigte Quote ist jetzt schon ein einziger Knicks vor der Wirtschaft: Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Debatte ist Gudrun Zollner für die CDU/CSU-Frak- NEN]: Ein Quötchen!) tion. eine Quote von 30 Prozent für Aufsichtsräte von voll (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unter- neten der SPD) nehmen ab 2016 und nur für Neu- und Nachbesetzun- gen. Das trifft nur 101 Unternehmen. Darunter ging es ja Gudrun Zollner (CDU/CSU): kaum noch. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen Nein, Frau Schwesig und Herr Maas, man muss es und Kollegen! Mit der Einführung einer gesetzlichen klar benennen: Ihre Quote ist ein Quötchen. Frauenquote zur geschlechtergerechten Besetzung von (B) Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen bringen (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir heute ein Vorhaben auf den Weg, das ich als histo- risch bezeichnen möchte. Ich erinnere genauso wie Wir sind gespannt, was am Ende im Bundesgesetzblatt meine Vorrednerin an Artikel 3 Absatz 2 des Grundge- stehen wird, wenn die CDU/CSU noch mehr Ausnah- setzes: men einbaut. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat Die große Mehrheit in der Wirtschaft geht ja beim fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleich- Thema Quote immer wieder reflexartig auf Abwehrhal- berechtigung von Frauen und Männern und wirkt tung, obwohl die Quote natürlich immer an die gleichen auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Qualifikationen von Männern und Frauen gebunden ist. Hierüber wird gern ein falsches Bild gezeichnet, nämlich Die bestehenden Nachteile beseitigen wir jetzt, wir das von einer Bevorteilung von Frauen gegenüber Män- Frauen von der CDU/CSU: 30 Prozent Geschlechter- nern. Das ist Quatsch. Denn ohne eine verbindliche ge- quote für Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflich- setzliche Regelung gäbe es weiterhin diese ausgespro- tigen und börsennotierten Unternehmen, die ab dem Jahr chen gut funktionierende Quote für Männer zum Teil 2016 neu besetzt werden, und verbindliche Zielgrößen sogar bis 100 Prozent. für die Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und obersten Managerebenen mitbestim- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mungspflichtiger und börsennotierter Unternehmen mit NEN]: Ja!) einer transparenten Berichterstattung. Mal ehrlich, anstatt als eine der Topwirtschaftsnationen Auch wenn der Aufschrei der Unternehmer noch richtig nach vorne zu gehen, wagen Sie von der Regie- immer groß ist: Sie sind selbst schuld, weil sie sich seit rung auch jetzt nur einen halbherzigen Schritt. Jahren nicht an ihre eigenen freiwilligen Zusagen gehal- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten haben. Worauf es ankommt, ist die Mischung von Frauen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und Männern in Führungsetagen. Einige wenige Unter- der SPD) nehmen haben das verstanden. Der Strategiechef von Der Regelkatalog der Regierungskommission Deutscher Roland Berger sagt ganz schlicht: „Wir brauchen die Corporate Governance Kodex, der Empfehlungen für Vielfalt, weil sie zu besseren Ergebnissen führt.“ Also: gute Unternehmensführung macht, ist für viele Manager Es gibt genug qualifizierte Frauen für Führungspositio- anscheinend nur ein Papiertiger. Wenn ihnen alle Argu- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4197

Gudrun Zollner (A) mente gegen die Quote ausgehen, dann kommt das Referentenentwurf das richtige Signal. Sicherlich ist das (C) Schlagwort der unqualifizierten Quotenfrau, die keiner mehr als nur ein Quötchen. Wir binden die Unternehmen haben will. Topmanager – wohlgemerkt: Männer – an die konkrete Umsetzung von Zielvorgaben, wir ver- haben in den letzten Jahren Milliarden in den Sand ge- pflichten sie zur transparenten Berichterstattung, und bei setzt. Wer hat da nach deren Qualifikation gefragt? Nichteinhaltung der Geschlechterquote droht der leere Stuhl. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Mit dem Antrag zum Bundesgleichstellungsgesetz gehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Ich bitte Sie aber: Lassen Sie uns die Debatte über das Bündnis 90/Die Grünen, anscheinend erfreulicherweise Für und Wider einer Frauenquote beenden. Sie heizt nur mit uns konform; denn dazu finde ich keine Vorschläge die Stimmung gegen die Quote an und schadet so im in Ihrem Antrag. Wenn Sie sagen, unsere Regierung ma- Prinzip der richtigen Sache. che zu wenig in den eigenen Reihen, so darf ich Sie da- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ran erinnern, dass zu Beginn der Regierungszeit Ihres NEN]: Da war Frau Pawelski anderer Mei- Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg 27 neue nung! Die war gut!) Stellen mit B-Besoldung geschaffen wurden und davon nur vier an Frauen vergeben wurden. Ich glaube, wir Die gesetzliche Quote kommt, und nur das zählt. können überall etwas unternehmen. Auch wir Frauen sollten uns nicht auseinanderdivi- dieren lassen. Jede von uns sollte den Weg gehen, den Vizepräsidentin Claudia Roth: sie für sich selbst für richtig hält. Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Werden wir gefragt, ob wir eine Führungsposition über- Gudrun Zollner (CDU/CSU): nehmen wollen, dann denken wir bitte nicht erst nach: Jawohl. Kann ich das? Schaffe ich das mit meiner Familie? Bin ich qualifiziert genug? – Glauben Sie mir: Wir können Vizepräsidentin Claudia Roth: das, und wir schaffen das. Ich habe das ganz sanft gesagt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Bei der Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreu- Eine erst in dieser Woche veröffentlichte Ketchum- ung hilft der Bund den Ländern seit Jahren nachhaltig Umfrage belegt: Nach Ansicht der Befragten haben (B) und tatkräftig. Insgesamt stellt der Bund den Ländern bis Frauen in Führungspositionen ihre männlichen Kollegen (D) 2014 5,4 Milliarden Euro zur Verfügung, um zusätzliche hinter sich gelassen. Sie seien die besseren Chefs. Das Plätze in Kitas und der Kindertagespflege zu schaffen sehen zumindest 58 Prozent der Deutschen so. und ihren Betrieb zu finanzieren. Ab 2015 unterstützt Ich freue mich auf den Moment, wenn es keiner Quo- der Bund den dauerhaften Betrieb der neu geschaffenen tendiskussion mehr bedarf, um Frauen dorthin zu be- Kitas mit jährlich 845 Millionen Euro. kommen, wohin sie gehören, nämlich gleichberechtigt (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt!) an die Spitze der Unternehmen. – Danke schön, Herr Kauder. – Wir schaffen Rahmenbe- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dingungen, damit Frauen und ihre Familien die Kinder der CDU/CSU) in guten und qualifizierten Händen wissen. Die ersten Bitte lassen Sie uns von einem inszenierten Quoten- Umfragen zeigen schon, dass die neue Familienpolitik horror Abstand nehmen und vielmehr Quotengeschichte eine stärkere Berufsorientierung bei Müttern bewirkt. schreiben – für die Frauen, für die Firmen und für den (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Fortschritt. Der Gesetzgeber setzt jetzt Impulse für die Gesell- Vielen Dank. schaft, um ein Umdenken aktiv zu provozieren – und dies insbesondere in der männerdominierten Unterneh- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) menskultur. Wir müssen der gläsernen Decke ein Ende setzen, den Aufsichtsräten in Männerhänden Adieu sa- Vizepräsidentin Claudia Roth: gen. Um nichts anderes geht es. Vielen Dank, Frau Kollegin Zollner. – Bevor Frau Möhring das Wort hat, möchte ich Ihnen das von den Lassen Sie uns doch bitte, werte Kolleginnen und Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- Kollegen, nicht darüber debattieren, ob jetzt 30 Prozent nis der beiden namentlichen Abstimmungen bekannt oder 40 Prozent Frauenquote richtig ist; denn irgend- geben. wann sollen doch die Quote und die Debatten darüber überflüssig sein, und das werden sie. Erste Abstimmung: Entwurf eines Zweiten Gesetzes (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, Druck- sachen 18/1312, 18/1759, 18/1955 und 18/2005. Abge- 30 Prozent Frauenanteil in Aufsichtsräten für börsen- gebene Stimmen 575. Mit Ja haben gestimmt 463, mit notierte und voll mitbestimmungspflichtige Unterneh- Nein haben gestimmt 111, Enthaltungen 1. Der Gesetz- men zu fordern, ist ambitioniert und setzt im aktuellen entwurf ist damit angenommen. 4198 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Endgültiges Ergebnis Hermann Gröhe Uwe Lagosky (Potsdam) (C) Abgegebene Stimmen: 572; Klaus-Dieter Gröhler Dr. Karl A. Lamers Lothar Riebsamen davon Michael Grosse-Brömer Andreas G. Lämmel Josef Rief Astrid Grotelüschen Dr. Norbert Lammert Dr. Heinz Riesenhuber ja: 461 Markus Grübel Katharina Landgraf Johannes Röring nein: 110 Manfred Grund Ulrich Lange Dr. Norbert Röttgen enthalten: 1 Oliver Grundmann Barbara Lanzinger Erwin Rüddel Monika Grütters Dr. Silke Launert Albert Rupprecht Ja Dr. Herlind Gundelach Paul Lehrieder Anita Schäfer (Saalstadt) Fritz Güntzler Dr. Katja Leikert Andreas Scheuer CDU/CSU Olav Gutting Dr. Philipp Lengsfeld Karl Schiewerling Christian Haase Dr. Andreas Lenz Jana Schimke Stephan Albani Florian Hahn Philipp Graf Lerchenfeld Norbert Schindler Katrin Albsteiger Dr. Stephan Harbarth Antje Lezius Tankred Schipanski Jürgen Hardt Ingbert Liebing Heiko Schmelzle Artur Auernhammer Gerda Hasselfeldt Matthias Lietz Christian Schmidt (Fürth) Dorothee Bär Mark Hauptmann Andrea Lindholz Gabriele Schmidt (Ühlingen) Norbert Barthle Dr. Stefan Heck Dr. Carsten Linnemann Patrick Schnieder Julia Bartz Dr. Matthias Heider Patricia Lips Dr. Andreas Schockenhoff Günter Baumann Helmut Heiderich Wilfried Lorenz Nadine Schön (St. Wendel) Maik Beermann Mechthild Heil Dr. Claudia Lücking-Michel Bernhard Schulte-Drüggelte Sybille Benning Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Klaus-Peter Schulze Dr. André Berghegger Mark Helfrich Daniela Ludwig Uwe Schummer Dr. Christoph Bergner Uda Heller Yvonne Magwas Armin Schuster (Weil am Ute Bertram Michael Hennrich Thomas Mahlberg Rhein) Steffen Bilger Ansgar Heveling Dr. Thomas de Maizière Christina Schwarzer Clemens Binninger Peter Hintze Gisela Manderla Detlef Seif Peter Bleser Christian Hirte Matern von Marschall Johannes Selle Dr. Maria Böhmer Alexander Hoffmann Hans-Georg von der Marwitz Reinhold Sendker Wolfgang Bosbach Dr. Patrick Sensburg Norbert Brackmann Karl Holmeier Andreas Mattfeldt Michael Brand Franz-Josef Holzenkamp Stephan Mayer (Altötting) Bernd Siebert Dr. Reinhard Brandl Dr. Hendrik Hoppenstedt Reiner Meier Thomas Silberhorn Helmut Brandt Margaret Horb Dr. Michael Meister Johannes Singhammer Dr. Ralf Brauksiepe Bettina Hornhues Jan Metzler Tino Sorge (B) Dr. Helge Braun Charles M. Huber Maria Michalk Carola Stauche (D) Heike Brehmer Anette Hübinger Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Frank Steffel Ralph Brinkhaus Hubert Hüppe Dr. Mathias Middelberg Dr. Wolfgang Stefinger Cajus Caesar Thomas Jarzombek Philipp Mißfelder Albert Stegemann Gitta Connemann Sylvia Jörrißen Dietrich Monstadt Peter Stein Alexandra Dinges-Dierig Andreas Jung Karsten Möring Erika Steinbach Alexander Dobrindt Dr. Franz Josef Jung Elisabeth Motschmann Sebastian Steineke Michael Donth Xaver Jung Dr. Gerd Müller Johannes Steiniger Thomas Dörflinger Dr. Egon Jüttner Carsten Müller Christian Freiherr von Stetten Marie-Luise Dött Bartholomäus Kalb (Braunschweig) Dieter Stier Hansjörg Durz Hans-Werner Kammer Stefan Müller (Erlangen) Rita Stockhofe Jutta Eckenbach Steffen Kampeter Dr. Philipp Murmann Dr. Bernd Fabritius Steffen Kanitz Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Hermann Färber Alois Karl Michaela Noll Max Straubinger Uwe Feiler Anja Karliczek Helmut Nowak Matthäus Strebl Dr. Thomas Feist Bernhard Kaster Dr. Georg Nüßlein Thomas Stritzl Enak Ferlemann Volker Kauder Wilfried Oellers Thomas Strobl (Heilbronn) Ingrid Fischbach Dr. Stefan Kaufmann Florian Oßner Lena Strothmann Dirk Fischer (Hamburg) Roderich Kiesewetter Dr. Tim Ostermann Michael Stübgen Dr. Maria Flachsbarth Dr. Georg Kippels Henning Otte Dr. Sabine Sütterlin-Waack Thorsten Frei Volkmar Klein Ingrid Pahlmann Dr. Peter Tauber Dr. Astrid Freudenstein Jürgen Klimke Martin Patzelt Antje Tillmann Michael Frieser Axel Knoerig Dr. Martin Pätzold Astrid Timmermann-Fechter Dr. Michael Fuchs Jens Koeppen Ulrich Petzold Dr. Hans-Peter Uhl Hans-Joachim Fuchtel Markus Koob Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Volker Ullrich Alexander Funk Carsten Körber Sibylle Pfeiffer Arnold Vaatz Ingo Gädechens Hartmut Koschyk Ronald Pofalla Oswin Veith Dr. Thomas Gebhart Kordula Kovac Eckhard Pols Thomas Viesehon Alois Gerig Michael Kretschmer Thomas Rachel Michael Vietz Eberhard Gienger Gunther Krichbaum Kerstin Radomski Volkmar Vogel (Kleinsaara) Cemile Giousouf Dr. Günter Krings Alexander Radwan Sven Volmering Josef Göppel Rüdiger Kruse Alois Rainer Christel Voßbeck-Kayser Reinhard Grindel Bettina Kudla Dr. Peter Ramsauer Kees de Vries Ursula Groden-Kranich Dr. Roy Kühne Eckhardt Rehberg Dr. Johann Wadephul Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4199

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Marco Wanderwitz Ulrike Gottschalck Detlev Pilger BÜNDNIS 90/ (C) Nina Warken Kerstin Griese Sabine Poschmann DIE GRÜNEN Kai Wegner Gabriele Groneberg Joachim Poß Bärbel Höhn Albert Weiler Michael Groß Florian Post Marcus Weinberg (Hamburg) Uli Grötsch Achim Post (Minden) Peter Weiß (Emmendingen) Wolfgang Gunkel Dr. Wilhelm Priesmeier Nein Sabine Weiss (Wesel I) Bettina Hagedorn Florian Pronold Ingo Wellenreuther Rita Hagl-Kehl Dr. Sascha Raabe CDU/CSU Metin Hakverdi Karl-Georg Wellmann Dr. Simone Raatz Veronika Bellmann Ulrich Hampel Marian Wendt Martin Rabanus Axel E. Fischer (Karlsruhe- Sebastian Hartmann Kai Whittaker Stefan Rebmann Land) Dirk Heidenblut Peter Wichtel Gerold Reichenbach Matthias Hauer Hubertus Heil (Peine) Annette Widmann-Mauz Dr. Carola Reimann Sylvia Pantel Heinz Wiese (Ehingen) Gabriela Heinrich Andreas Rimkus Marcus Held Klaus-Peter Willsch Sönke Rix DIE LINKE Oliver Wittke Wolfgang Hellmich Dennis Rohde Barbara Woltmann Dr. Barbara Hendricks Dr. Martin Rosemann Jan van Aken Tobias Zech Heidtrud Henn René Röspel Dr. Dietmar Bartsch Heinrich Zertik Gustav Herzog Dr. Ernst Dieter Rossmann Herbert Behrens Emmi Zeulner Gabriele Hiller-Ohm Michael Roth (Heringen) Karin Binder Petra Hinz (Essen) Dr. Matthias Zimmer Susann Rüthrich Heidrun Bluhm Thomas Hitschler Gudrun Zollner Johann Saathoff Christine Buchholz Dr. Eva Högl Eva Bulling-Schröter Matthias Ilgen Annette Sawade SPD Dr. Hans-Joachim Roland Claus Christina Jantz Sevim Dağdelen Ingrid Arndt-Brauer Frank Junge Schabedoth Heike Baehrens Axel Schäfer (Bochum) Dr. Diether Dehm Josip Juratovic Klaus Ernst Ulrike Bahr Thomas Jurk Dr. Nina Scheer Diana Golze Heinz-Joachim Barchmann Oliver Kaczmarek Marianne Schieder Annette Groth Dr. Katarina Barley Johannes Kahrs Udo Schiefner Doris Barnett Christina Kampmann Dr. Dorothee Schlegel Dr. Gregor Gysi Dr. Hans-Peter Bartels Ralf Kapschack Ulla Schmidt (Aachen) Dr. André Hahn Klaus Barthel Gabriele Katzmarek Matthias Schmidt (Berlin) Dr. Rosemarie Hein Dr. Matthias Bartke Ulrich Kelber Dagmar Schmidt (Wetzlar) Inge Höger Andrej Hunko Sören Bartol Marina Kermer Ursula Schulte Sigrid Hupach (B) Bärbel Bas Cansel Kiziltepe Swen Schulz (Spandau) (D) Ulla Jelpke Dirk Becker Arno Klare Ewald Schurer Susanna Karawanskij Uwe Beckmeyer Lars Klingbeil Frank Schwabe Katja Kipping Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Bärbel Kofler Stefan Schwartze Daniela Kolbe Jan Korte Burkhard Blienert Andreas Schwarz Birgit Kömpel Caren Lay Willi Brase Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Karl-Heinz Brunner Anette Kramme Sabine Leidig Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Carsten Sieling Ralph Lenkert Edelgard Bulmahn Rainer Spiering Marco Bülow Helga Kühn-Mengel Dr. Gesine Lötzsch Christine Lambrecht Norbert Spinrath Thomas Lutze Martin Burkert Svenja Stadler Dr. Lars Castellucci Christian Lange (Backnang) Cornelia Möhring Dr. Karl Lauterbach Martina Stamm-Fibich Niema Movassat Petra Crone Sonja Steffen Bernhard Daldrup Steffen-Claudio Lemme Dr. Alexander S. Neu Burkhard Lischka Peer Steinbrück Dr. Daniela De Ridder Thomas Nord Hiltrud Lotze Christoph Strässer Dr. Karamba Diaby Petra Pau Kirsten Lühmann Kerstin Tack Sabine Dittmar Harald Petzold (Havelland) Dr. Birgit Malecha-Nissen Claudia Tausend Richard Pitterle Martin Dörmann Caren Marks Elvira Drobinski-Weiß Michael Thews Martina Renner Katja Mast Franz Thönnes Michael Schlecht Siegmund Ehrmann Hilde Mattheis Carsten Träger Dr. Petra Sitte Michaela Engelmeier-Heite Dr. Matthias Miersch Rüdiger Veit Kersten Steinke Petra Ernstberger Klaus Mindrup Saskia Esken Ute Vogt Dr. Kirsten Tackmann Susanne Mittag Dirk Vöpel Karin Evers-Meyer Bettina Müller Azize Tank Gabi Weber Dr. Johannes Fechner Michelle Müntefering Frank Tempel Bernd Westphal Dr. Fritz Felgentreu Dr. Rolf Mützenich Dr. Axel Troost Elke Ferner Andrea Nahles Dirk Wiese Alexander Ulrich Dr. Ute Finckh-Krämer Dietmar Nietan Waltraud Wolff Kathrin Vogler Christian Flisek Ulli Nissen (Wolmirstedt) Halina Wawzyniak Gabriele Fograscher Thomas Oppermann Gülistan Yüksel Birgit Wöllert Dr. Edgar Franke Mahmut Özdemir (Duisburg) Dagmar Ziegler Jörn Wunderlich Ulrich Freese Aydan Özoğuz Stefan Zierke Hubertus Zdebel Michael Gerdes Markus Paschke Dr. Jens Zimmermann Pia Zimmermann Martin Gerster Christian Petry Manfred Zöllmer Sabine Zimmermann Iris Gleicke Jeannine Pflugradt Brigitte Zypries (Zwickau) 4200 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) BÜNDNIS 90/ Uwe Kekeritz Dr. Konstantin von Notz Dr. Harald Terpe (C) DIE GRÜNEN Katja Keul Omid Nouripour Markus Tressel Jürgen Trittin Luise Amtsberg Sven-Christian Kindler Friedrich Ostendorff Dr. Julia Verlinden Annalena Baerbock Maria Klein-Schmeink Cem Özdemir Doris Wagner Volker Beck (Köln) Tom Koenigs Lisa Paus Beate Walter-Rosenheimer Agnieszka Brugger Sylvia Kotting-Uhl Brigitte Pothmer Dr. Valerie Wilms Ekin Deligöz Stephan Kühn (Dresden) Tabea Rößner Katharina Dröge Renate Künast Claudia Roth (Augsburg) Harald Ebner Markus Kurth Corinna Rüffer Enthalten Dr. Thomas Gambke Monika Lazar Elisabeth Scharfenberg Matthias Gastel Steffi Lemke Ulle Schauws BÜNDNIS 90/ Kai Gehring Dr. Tobias Lindner Dr. Gerhard Schick DIE GRÜNEN Nicole Maisch Dr. Frithjof Schmidt Katrin Göring-Eckardt Marieluise Beck (Bremen) Anja Hajduk Peter Meiwald Kordula Schulz-Asche Britta Haßelmann Irene Mihalic Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Anton Hofreiter Beate Müller-Gemmeke Kuhn Dieter Janecek Özcan Mutlu Hans-Christian Ströbele

Zweite Abstimmung: Entwurf eines Gesetzes über die mit Nein haben gestimmt 108, Enthaltungen keine. Der Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörig- Gesetzentwurf ist abgelehnt. Damit entfällt nach der Ge- keitsrecht, Drucksachen 18/1092, 18/1955 und 18/2005. schäftsordnung die weitere Beratung. Abgegebene Stimmen 569. Mit Ja haben gestimmt 461,

Endgültiges Ergebnis Niema Movassat Britta Haßelmann Jürgen Trittin Abgegebene Stimmen: 569; Dr. Alexander S. Neu Dr. Anton Hofreiter Dr. Julia Verlinden davon Thomas Nord Dieter Janecek Doris Wagner Petra Pau Uwe Kekeritz Beate Walter-Rosenheimer ja: 107 Harald Petzold (Havelland) Katja Keul Dr. Valerie Wilms nein: 462 Richard Pitterle Sven-Christian Kindler (B) (D) Martina Renner Maria Klein-Schmeink Nein Ja Michael Schlecht Tom Koenigs Dr. Petra Sitte Sylvia Kotting-Uhl CDU/CSU DIE LINKE Kersten Steinke Stephan Kühn (Dresden) Dr. Kirsten Tackmann Stephan Albani Jan van Aken Renate Künast Azize Tank Katrin Albsteiger Dr. Dietmar Bartsch Markus Kurth Frank Tempel Peter Altmaier Herbert Behrens Monika Lazar Dr. Axel Troost Artur Auernhammer Karin Binder Steffi Lemke Alexander Ulrich Dorothee Bär Heidrun Bluhm Dr. Tobias Lindner Kathrin Vogler Norbert Barthle Christine Buchholz Nicole Maisch Halina Wawzyniak Julia Bartz Eva Bulling-Schröter Peter Meiwald Birgit Wöllert Günter Baumann Roland Claus Irene Mihalic Jörn Wunderlich Maik Beermann Sevim Dağdelen Beate Müller-Gemmeke Hubertus Zdebel Veronika Bellmann Dr. Diether Dehm Özcan Mutlu Pia Zimmermann Sybille Benning Klaus Ernst Dr. Konstantin von Notz Sabine Zimmermann Dr. André Berghegger Diana Golze Omid Nouripour (Zwickau) Dr. Christoph Bergner Annette Groth Friedrich Ostendorff Ute Bertram Dr. Gregor Gysi Cem Özdemir BÜNDNIS 90/ Steffen Bilger Dr. André Hahn Lisa Paus DIE GRÜNEN Clemens Binninger Dr. Rosemarie Hein Brigitte Pothmer Peter Bleser Inge Höger Luise Amtsberg Tabea Rößner Dr. Maria Böhmer Andrej Hunko Annalena Baerbock Claudia Roth (Augsburg) Wolfgang Bosbach Sigrid Hupach Marieluise Beck (Bremen) Corinna Rüffer Norbert Brackmann Ulla Jelpke Volker Beck (Köln) Elisabeth Scharfenberg Michael Brand Susanna Karawanskij Agnieszka Brugger Ulle Schauws Dr. Reinhard Brandl Katja Kipping Ekin Deligöz Dr. Gerhard Schick Helmut Brandt Jan Korte Katharina Dröge Dr. Frithjof Schmidt Dr. Ralf Brauksiepe Caren Lay Harald Ebner Kordula Schulz-Asche Dr. Helge Braun Sabine Leidig Dr. Thomas Gambke Dr. Wolfgang Strengmann- Heike Brehmer Ralph Lenkert Matthias Gastel Kuhn Ralph Brinkhaus Dr. Gesine Lötzsch Kai Gehring Hans-Christian Ströbele Cajus Caesar Thomas Lutze Katrin Göring-Eckardt Dr. Harald Terpe Gitta Connemann Cornelia Möhring Anja Hajduk Markus Tressel Alexandra Dinges-Dierig Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4201

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Alexander Dobrindt Sylvia Jörrißen Dietrich Monstadt Peter Stein (C) Michael Donth Andreas Jung Karsten Möring Erika Steinbach Thomas Dörflinger Dr. Franz Josef Jung Elisabeth Motschmann Sebastian Steineke Marie-Luise Dött Xaver Jung Dr. Gerd Müller Johannes Steiniger Hansjörg Durz Dr. Egon Jüttner Carsten Müller Christian Freiherr von Stetten Jutta Eckenbach Bartholomäus Kalb (Braunschweig) Dieter Stier Dr. Bernd Fabritius Hans-Werner Kammer Stefan Müller (Erlangen) Rita Stockhofe Hermann Färber Steffen Kampeter Dr. Philipp Murmann Gero Storjohann Uwe Feiler Steffen Kanitz Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Dr. Thomas Feist Alois Karl Michaela Noll Max Straubinger Enak Ferlemann Anja Karliczek Helmut Nowak Matthäus Strebl Ingrid Fischbach Bernhard Kaster Dr. Georg Nüßlein Thomas Stritzl Dirk Fischer (Hamburg) Volker Kauder Wilfried Oellers Thomas Strobl (Heilbronn) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Stefan Kaufmann Florian Oßner Lena Strothmann Land) Roderich Kiesewetter Dr. Tim Ostermann Michael Stübgen Dr. Maria Flachsbarth Dr. Georg Kippels Henning Otte Dr. Sabine Sütterlin-Waack Thorsten Frei Volkmar Klein Ingrid Pahlmann Dr. Peter Tauber Dr. Astrid Freudenstein Jürgen Klimke Sylvia Pantel Antje Tillmann Michael Frieser Axel Knoerig Martin Patzelt Astrid Timmermann-Fechter Dr. Michael Fuchs Jens Koeppen Dr. Martin Pätzold Dr. Hans-Peter Uhl Hans-Joachim Fuchtel Markus Koob Ulrich Petzold Dr. Volker Ullrich Alexander Funk Carsten Körber Dr. Joachim Pfeiffer Arnold Vaatz Ingo Gädechens Hartmut Koschyk Sibylle Pfeiffer Oswin Veith Dr. Thomas Gebhart Kordula Kovac Ronald Pofalla Thomas Viesehon Alois Gerig Michael Kretschmer Eckhard Pols Michael Vietz Eberhard Gienger Gunther Krichbaum Thomas Rachel Volkmar Vogel (Kleinsaara) Cemile Giousouf Dr. Günter Krings Kerstin Radomski Sven Volmering Josef Göppel Rüdiger Kruse Alexander Radwan Christel Voßbeck-Kayser Reinhard Grindel Bettina Kudla Alois Rainer Kees de Vries Ursula Groden-Kranich Dr. Roy Kühne Dr. Peter Ramsauer Dr. Johann Wadephul Hermann Gröhe Uwe Lagosky Eckhardt Rehberg Marco Wanderwitz Klaus-Dieter Gröhler Dr. Karl A. Lamers Katherina Reiche (Potsdam) Nina Warken Michael Grosse-Brömer Andreas G. Lämmel Lothar Riebsamen Kai Wegner Markus Grübel Dr. Norbert Lammert Josef Rief Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) (B) Manfred Grund Katharina Landgraf Dr. Heinz Riesenhuber (D) Oliver Grundmann Ulrich Lange Dr. Norbert Röttgen Peter Weiß (Emmendingen) Monika Grütters Barbara Lanzinger Erwin Rüddel Sabine Weiss (Wesel I) Dr. Herlind Gundelach Dr. Silke Launert Albert Rupprecht Ingo Wellenreuther Fritz Güntzler Paul Lehrieder Anita Schäfer (Saalstadt) Karl-Georg Wellmann Olav Gutting Dr. Katja Leikert Andreas Scheuer Marian Wendt Christian Haase Dr. Philipp Lengsfeld Karl Schiewerling Kai Whittaker Florian Hahn Dr. Andreas Lenz Jana Schimke Peter Wichtel Dr. Stephan Harbarth Philipp Graf Lerchenfeld Norbert Schindler Annette Widmann-Mauz Jürgen Hardt Antje Lezius Tankred Schipanski Heinz Wiese (Ehingen) Gerda Hasselfeldt Ingbert Liebing Heiko Schmelzle Klaus-Peter Willsch Matthias Hauer Matthias Lietz Christian Schmidt (Fürth) Oliver Wittke Mark Hauptmann Andrea Lindholz Gabriele Schmidt (Ühlingen) Barbara Woltmann Dr. Stefan Heck Dr. Carsten Linnemann Patrick Schnieder Tobias Zech Dr. Matthias Heider Patricia Lips Dr. Andreas Schockenhoff Heinrich Zertik Helmut Heiderich Wilfried Lorenz Nadine Schön (St. Wendel) Emmi Zeulner Mechthild Heil Dr. Claudia Lücking-Michel Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Matthias Zimmer Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Klaus-Peter Schulze Gudrun Zollner Mark Helfrich Daniela Ludwig Uwe Schummer Uda Heller Yvonne Magwas Armin Schuster (Weil am SPD Michael Hennrich Thomas Mahlberg Rhein) Ingrid Arndt-Brauer Ansgar Heveling Dr. Thomas de Maizière Christina Schwarzer Heike Baehrens Peter Hintze Gisela Manderla Detlef Seif Ulrike Bahr Christian Hirte Matern von Marschall Johannes Selle Heinz-Joachim Barchmann Alexander Hoffmann Hans-Georg von der Marwitz Reinhold Sendker Dr. Katarina Barley Karl Holmeier Andreas Mattfeldt Dr. Patrick Sensburg Doris Barnett Franz-Josef Holzenkamp Stephan Mayer (Altötting) Bernd Siebert Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Hendrik Hoppenstedt Reiner Meier Thomas Silberhorn Klaus Barthel Margaret Horb Dr. Michael Meister Johannes Singhammer Dr. Matthias Bartke Bettina Hornhues Jan Metzler Tino Sorge Sören Bartol Charles M. Huber Maria Michalk Carola Stauche Bärbel Bas Anette Hübinger Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Frank Steffel Dirk Becker Hubert Hüppe Dr. Mathias Middelberg Dr. Wolfgang Stefinger Uwe Beckmeyer Thomas Jarzombek Philipp Mißfelder Albert Stegemann Lothar Binding (Heidelberg) 4202 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Burkhard Blienert Hubertus Heil (Peine) Hilde Mattheis Dr. Nina Scheer (C) Willi Brase Gabriela Heinrich Dr. Matthias Miersch Marianne Schieder Dr. Karl-Heinz Brunner Marcus Held Klaus Mindrup Udo Schiefner Edelgard Bulmahn Wolfgang Hellmich Susanne Mittag Dr. Dorothee Schlegel Marco Bülow Dr. Barbara Hendricks Bettina Müller Ulla Schmidt (Aachen) Martin Burkert Heidtrud Henn Michelle Müntefering Matthias Schmidt (Berlin) Dr. Lars Castellucci Gustav Herzog Dr. Rolf Mützenich Dagmar Schmidt (Wetzlar) Petra Crone Gabriele Hiller-Ohm Andrea Nahles Ursula Schulte Bernhard Daldrup Petra Hinz (Essen) Dietmar Nietan Swen Schulz (Spandau) Dr. Daniela De Ridder Thomas Hitschler Ulli Nissen Ewald Schurer Dr. Karamba Diaby Dr. Eva Högl Thomas Oppermann Frank Schwabe Sabine Dittmar Matthias Ilgen Mahmut Özdemir (Duisburg) Stefan Schwartze Martin Dörmann Christina Jantz Aydan Özoğuz Andreas Schwarz Elvira Drobinski-Weiß Frank Junge Markus Paschke Rita Schwarzelühr-Sutter Siegmund Ehrmann Josip Juratovic Christian Petry Dr. Carsten Sieling Michaela Engelmeier-Heite Thomas Jurk Jeannine Pflugradt Rainer Spiering Petra Ernstberger Oliver Kaczmarek Detlev Pilger Norbert Spinrath Saskia Esken Johannes Kahrs Sabine Poschmann Svenja Stadler Karin Evers-Meyer Christina Kampmann Joachim Poß Martina Stamm-Fibich Dr. Johannes Fechner Ralf Kapschack Florian Post Sonja Steffen Dr. Fritz Felgentreu Gabriele Katzmarek Achim Post (Minden) Peer Steinbrück Elke Ferner Ulrich Kelber Dr. Wilhelm Priesmeier Christoph Strässer Dr. Ute Finckh-Krämer Marina Kermer Florian Pronold Kerstin Tack Christian Flisek Cansel Kiziltepe Dr. Sascha Raabe Claudia Tausend Gabriele Fograscher Arno Klare Dr. Simone Raatz Michael Thews Dr. Edgar Franke Lars Klingbeil Martin Rabanus Franz Thönnes Ulrich Freese Dr. Bärbel Kofler Stefan Rebmann Carsten Träger Michael Gerdes Daniela Kolbe Gerold Reichenbach Rüdiger Veit Martin Gerster Birgit Kömpel Dr. Carola Reimann Ute Vogt Iris Gleicke Anette Kramme Andreas Rimkus Dirk Vöpel Ulrike Gottschalck Dr. Hans-Ulrich Krüger Sönke Rix Gabi Weber Kerstin Griese Helga Kühn-Mengel Dennis Rohde Bernd Westphal Gabriele Groneberg Christine Lambrecht Dr. Martin Rosemann Dirk Wiese Michael Groß Christian Lange (Backnang) René Röspel Waltraud Wolff (B) Uli Grötsch Dr. Karl Lauterbach Dr. Ernst Dieter Rossmann (Wolmirstedt) (D) Wolfgang Gunkel Steffen-Claudio Lemme Michael Roth (Heringen) Gülistan Yüksel Bettina Hagedorn Burkhard Lischka Susann Rüthrich Dagmar Ziegler Rita Hagl-Kehl Hiltrud Lotze Johann Saathoff Stefan Zierke Metin Hakverdi Kirsten Lühmann Annette Sawade Dr. Jens Zimmermann Ulrich Hampel Dr. Birgit Malecha-Nissen Dr. Hans-Joachim Manfred Zöllmer Sebastian Hartmann Caren Marks Schabedoth Brigitte Zypries Dirk Heidenblut Katja Mast Axel Schäfer (Bochum)

Schnitt. Jetzt kommen wir wieder zur Quote oder wie deutlich weiter gefasst ist als im GroKo-Entwurf. Ulle auch immer man es zukünftig nennt. Also: Cornelia Schauws hat gesagt, von ihrem Gesetzentwurf seien im- Möhring hat das Wort für die Linke. merhin 3 500 Unternehmen betroffen. (Beifall bei der LINKEN) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) Im Vorschlag der Koalition steht aber nicht „oder“ zwi- Cornelia Möhring (DIE LINKE): schen „börsennotiert“ und „mitbestimmungspflichtig“, Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen sondern „und“. Dieses kleine Wörtchen macht den gro- und Kollegen! Kollegin Zollner, ehrlich gestanden, finde ßen Unterschied aus. Was uns da nämlich als gleich- ich, dass heute genau der richtige Zeitpunkt ist, um wie- stellungspolitischer Meilenstein verkauft werden soll, der über die Frauenquote zu reden. Das zeigen nicht nur gilt gerade einmal für 101 Unternehmen, und sie suchen die vorliegenden Leitlinien der Koalition für das Gesetz- – bei einer Quote von 30 Prozent – gerade einmal gebungsverfahren, sondern auch Ihr Diskussionsbeitrag. 174 Frauen. Darauf will ich gleich noch genauer eingehen. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Der Anlass unserer heutigen Debatte ist der Gesetz- 176!) entwurf der Grünen. Ich will trotzdem die Gelegenheit nutzen, etwas zum geplanten Gesetzentwurf der Großen Ich finde, da ist der Begriff „Quötchen“ durchaus ange- Koalition zu sagen. bracht. Zuerst zu den Grünen. Ich finde es natürlich sehr gut, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- dass in ihrem Gesetzentwurf der Anwendungsbereich NIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4203

Cornelia Möhring (A) Was die angedachten Sanktionen angeht, etwa die Es geht nämlich nicht, auch wenn das hier teilweise (C) Drohung mit dem leeren Stuhl: Ich sehe wirklich schon, durchklingt, um den Ausgleich zufällig zusammenge- wie die betroffenen Unternehmen in Angst und Schre- setzter Gremien, wo einmal Frauen und einmal Männer cken ausbrechen. Das, was angedacht ist, ist wirklich al- in der Mehrheit oder Minderheit sind. Frauen sollen les andere als eine harte Sanktion. nicht deshalb vertreten werden, weil sie irgendwelche geheimnisvollen Befähigungen haben oder anders mit Ich finde aber auch, dass der Vorschlag der Grünen, knappen Ressourcen und ungelösten Herausforderungen eine 40-Prozent-Quote einzuführen, ebenfalls nicht weit umgehen. Auch wenn es manche erstaunen mag: Frauen genug geht. Es gibt keinen Grund, warum wir uns mit sind nicht die besseren Menschen. Sie haben aber das weniger als der Hälfte zufriedengeben sollten. gleiche Recht auf Beteiligung an wirtschaftlichen und (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast politischen Entscheidungen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es können (Beifall bei der LINKEN) auch 40 Prozent Männer sein, Frau Kollegin!) Frauen sind keine Minderheit. Für gleiche und unteilbare Die Frauenquote ist einzig und allein eine Antidiskrimi- Menschenrechte sind Zwischenschritte unsinnig. Vor nierungsmaßnahme. Erst wenn das Geschlecht bei Ein- 100 Jahren kam niemand auf die Idee, den Frauen erst stellungen und Beförderungen keine Rolle mehr spielt, einmal ein anteiliges Wahlrecht einzuräumen. Die Linke Frau Zollner, wird die Quote überflüssig. bleibt dabei: Wir wollen 50 Prozent. Eine strukturelle Diskriminierung von Männern gibt (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder es jedoch nicht. Männer sind in Führungsetagen und in [CDU/CSU]: Wie viel? 50 Prozent?) der Politik nicht unterrepräsentiert. Wofür bräuchten sie dann eine gezielte Förderung? Ein weiterer Punkt. Die Grünen fordern so wie die Bundesregierung die Quote für Aufsichtsräte, aber nicht Deswegen teile ich auch die Kritik der Gleichstel- für Vorstände. Doch genau dort spielt die Musik. lungsbeauftragten der Bundesministerien, die völlig be- rechtigt auch das Quotengesetz der Großen Koalition (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kritisieren, weil jetzt im öffentlichen Bereich ein echter NEN]: Wer wählt den Vorstand?) Rückschritt wartet. In der Novelle zum Bundesgleich- In den Vorständen werden die weitreichenden Entschei- stellungsgesetz wird die Frauenförderung ohne Not in dungen getroffen. Deswegen brauchen wir eine verbind- eine Männer- und Frauenförderung umgewandelt. Män- liche Quote für alle Führungsetagen, erst recht, wenn nerförderung ist aber – da müssen jetzt einige ganz tap- man ein Gesetz „Führungskräftegesetz“ nennt. fer sein – tatsächlich in der Gleichstellung noch nicht an- (B) gesagt. Die gesellschaftliche Realität liefert andere (D) (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast Ausgangsbedingungen. Der Anteil von Frauen in Vor- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht ständen beträgt 5,7 Prozent, in Parlament und Politik dieses hier! Ihr habt ja auch keine Doppel- 30 Prozent. 80 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. spitze bei euch in der Fraktion!) 87 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. 80 Pro- – Darüber können wir gerne an anderer Stelle diskutie- zent aller unbezahlten Tätigkeiten werden von Frauen ren. ausgeführt. Ich meine, da muss doch bei Ihnen mal was klingeln. Wer so tut, als würden wir Gleichstellung (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Hier!) durch die Förderung des jeweils unterrepräsentierten Ge- Hier geht es um die gleiche und ungleiche Verteilung schlechts erreichen, der hat das Klingeln nicht gehört von Ressourcen in unserer Gesellschaft, wofür der Bun- und verkennt die gesellschaftliche Realität. destag die Zuständigkeit besitzt. Es geht nicht um unsere (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Fraktion. NIS 90/DIE GRÜNEN) Noch ein paar ganz grundsätzliche Anmerkungen. So- Erinnern wir uns immer an die Worte von Grethe wohl im vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen als Nestor, die sagte: Die größte Gefahr für die Gleichbe- auch im Gesetzentwurf der Bundesregierung, soweit er rechtigung ist der Mythos, wir hätten sie schon. uns bekannt ist, sind alle Regelungen geschlechtsneutral formuliert. Da mittlerweile sogar von einer Geschlech- Vielen Dank. terquote gesprochen wird, möchte ich hier ganz explizit (Beifall bei der LINKEN) noch einmal auf den Sinn einer Frauenquote eingehen. Frauenquoten wurden hier und in anderen Ländern aus einem einzigen Grund auf die politische Agenda gesetzt: Vizepräsidentin Claudia Roth: Es gibt eine sichtbare Diskriminierung von Frauen in Danke, Frau Kollegin. Führungsetagen – und nicht nur dort. Frauen wird der Ich muss leider etwas korrigieren; denn bei uns gab es gleichberechtigte Zugang zu gesellschaftlichen und wirt- einen Zahlendreher. schaftlichen Entscheidungen verwehrt. Mit der Frauen- quote sollte diesen Zuständen so lange auf den Leib ge- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Schade! Wir rückt werden, bis die Gleichstellung auch wirklich in der hatten uns schon so gefreut!) Praxis ankommt. – Das hat aber nur ein Einziger von Ihnen gemerkt. Ei- (Beifall bei der LINKEN) gentlich war es ja ein Test. Sie haben es gemerkt. Wir 4204 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) haben nämlich den Gesetzentwurf der Linksfraktion chen werden muss. – Herr Kauder; wenn Sie vielleicht (C) nicht mehrheitlich angenommen. Da gab es einen Zah- bitte zuhören würden. lendreher. Deswegen möchte ich das Ergebnis noch ein- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- mal bekannt geben. SES 90/DIE GRÜNEN) Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung der Op- Es ist ein wichtiges Thema. Es wäre schön, wenn Sie zu- tionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht, Drucksa- hören würden. – Danke. chen 18/1092, 18/1955 und 18/2005. Abgegebene Stim- men 569. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich bin wenigs- tens hier! Wo ist denn Ihr Fraktionschef?) (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Für fünf Mi- nuten war das Gesetz durch!) Es geht um Macht. Es geht um Geld. Mit Ja haben gestimmt 108, mit Nein haben gestimmt (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich bin wenigs- 461. – Es ehrt den Parlamentarischen Geschäftsführer tens hier, als Einziger von der Führung! – Ge- der Linken, dass er es gesagt hat. genruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber körperliche Anwesenheit al- (Sönke Rix [SPD], an Abg. Jörn Wunderlich leine reicht nicht!) [DIE LINKE] gewandt: Warum hast du das ge- sagt?) Und es geht um Einfluss. Davon trennt sich niemand freiwillig, schon gar nicht, wenn er in der Chefetage an- Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt. gekommen ist. Das wäre etwa so, als würden Sie mit Fi- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die falsche schen über die Trockenlegung des Teichs verhandeln. Entscheidung muss wenigstens richtig darge- Deswegen – genau deswegen! – kommt die Quote. stellt werden!) Wenn uns das Beispiel Norwegen, wo die Quote vor Nächste Rednerin in der Debatte: Birgit Kömpel für zehn Jahren eingeführt wurde, eines gelehrt hat, dann die SPD-Fraktion. das: Kein Erfolg ohne gesetzlich bindende Quote. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Birgit Kömpel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin Roth! Liebe Kollegin- Es wird einfach höchste Zeit. Nur ganz kurz zur Erin- nen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Wir be- nerung: Es studieren in Deutschland heute mehr Frauen (B) grüßen den Gesetzentwurf der Grünen. Ja, Sie haben als Männer. Häufig schließen sie ihr Studium auch er- (D) richtig gehört. Wir begrüßen den Gesetzentwurf, weil folgreicher ab als ihre männlichen Mitstreiter. Frauen wir ihn als Rückendeckung für die Regierungspläne se- sind häufig auch besser qualifiziert als ihre männlichen hen, eine gesetzliche Quote für Aufsichtsräte einzufüh- Kollegen. ren. Nur, warum spiegelt sich das nicht eins zu eins in un- (Beifall bei der SPD) seren Führungsetagen wider? Es macht allerdings überhaupt keinen Sinn, um das (Sönke Rix [SPD]: Genau!) „wie hoch“ und „wie weitreichend“ und „wie umfas- Ich habe eine Idee. Ich denke, es gibt noch viel zu viele send“ zu debattieren. So kommen wir nicht weiter. Wir konservative Rollenbilder bei uns im Land. Wir trauen müssen konkret etwas tun, meine Damen und Herren. unseren Frauen zu, dass sie unsere Kinder erziehen Der Fuß in der Tür ist allemal besser als eine verschlos- – eine sehr stressige und höchst anspruchsvolle Aufgabe, sene Tür. Unsere Idee „Für eine gleichberechtigte Teil- wie ich aus eigener Erfahrung weiß – habe von Männern und Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ macht (Sönke Rix [SPD]: Eine wertvolle Aufgabe!) unser gemeinsames und, ich hoffe, unser aller Anliegen – und wertvoll; vielen Dank –, aber wir unterstellen un- nicht nur konkret. Sie macht es erstmals auch real. Und seren Frauen, dass sie keine Lust an der Macht, keinen genau das ist es, was wir brauchen. Wir brauchen Fak- Gefallen am Führen und keine Freude am Entscheiden ten. Wir brauchen konkrete Schritte. Es muss endlich et- haben. was passieren. Die Zeiten der Appelle sind vorbei. 13 Jahre freiwillige Regelungen waren erfolglos. Nein, Gleiches gilt übrigens für Männer im Hinblick auf schlimmer: Sie waren ein erneuter Freifahrtschein für familiäres Engagement. Deshalb behaupte ich: Wir brau- unsere Unternehmen, die doch wieder fast ausschließlich chen zum Beispiel auch familienfreundliche Arbeits- Männer in die Führungsetagen geholt haben. 2013 waren zeiten. Viele junge Männer möchten mehr Zeit mit ihrer nur 15,1 Prozent der Führungspositionen der Top-200- Familie verbringen. Unsere Frauen möchten nicht mehr Unternehmen in Deutschland mit Frauen besetzt. Das ist die Nachteile in der Karriere hinnehmen, nur weil sie sehr schade, und das müssen wir ändern. Teilzeit arbeiten. Aber worum geht es eigentlich? Worum geht es uns Politik und Wirtschaft sollen sich bitte schön nach un- genau? Es geht darum, dass die Vormachtstellung der seren Menschen im Land richten. Wir von der Politik tun Männer in der Wirtschaft und in der Verwaltung gebro- dies, und zwar mit der Einführung einer Quote. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4205

Birgit Kömpel (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ich erstaunt. Zum einen liegt zu diesem Thema bereits (C) der CDU/CSU) der Entwurf des Familienministeriums vor. Er setzt die entsprechenden Vereinbarungen der Regierungsparteien Wir fangen endlich an. aus dem Koalitionsvertrag um und trägt damit den jahre- Wenn Frauen in den Aufsichtsräten angekommen langen Forderungen ganz unterschiedlicher politischer sind, dann werden diese Frauen sich auch dafür einset- Parteien und Verbände nach einer Frauenquote Rech- zen, dass mehr Gleichberechtigung bei der Besetzung nung. von Vorstandsposten herrscht; davon bin ich überzeugt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann – da bin ich mir auch sicher – wird sich die Tatsa- che, dass es noch nie so viele so gut ausgebildete Frauen Offensichtlich ist der Tenor dieser Vorlage der Grünen, wie heute gab, auch in unseren Chefetagen widerspie- die sie in Rheinland-Pfalz in ähnlicher Form vorgelegt geln, meine Damen und Herren. haben: Ja, es ist ein Fortschritt, aber er genügt uns nicht. – Frei nach dem Sportlermotto: Schneller, höher, weiter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es ist zwar legitim, noch mehr Fortschritt zu fordern, der CDU/CSU) aber idealerweise doch erst dann, wenn geplante und als richtig erkannte Schritte überhaupt erst einmal umge- Dann werden hoffentlich weder Männer noch Frauen setzt sind. Nachteile für ihre Erwerbsbiografien befürchten müssen, nur weil sie sich auch in familiärer Hinsicht engagieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Also: Her mit verbindlichen gesetzlichen Regeln! Wir sollten erst einmal den vorliegenden Entwurf der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Regierung umsetzen, die 30-Prozent-Quote erfüllen. der CDU/CSU) Dann können wir gerne die 40 Prozent oder wie viel Pro- zent auch immer als nächstes Ziel anpeilen. Wie gehen wir vor? Im Wesentlichen in drei paralle- len Schritten: Schritt eins ist eine verbindliche Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – schlechterquote von mindestens 30 Prozent für Auf- Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sichtsräte. Schritt zwei ist die Verpflichtung für NEN]: Ein Wort! Das will ich sehen!) börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen, ver- Meine Überzeugung ist – das belegen mannigfaltige bindliche Zielgrößen für Aufsichtsräte, Vorstände und Studien aus europäischen Ländern, die in Sachen Quote oberste Managementebene festzulegen. Schritt drei ist schon mehr Erfahrungen haben –, dass eine einmal ein- die Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes – geführte Frauenquote in sehr vielen Fällen dazu führt, übrigens etwas, was in Ihrem Gesetzentwurf völlig fehlt, dass sich der Frauenanteil mit der Zeit fast automatisch (B) liebe Freundinnen und Freunde von den Grünen. noch weiter erhöht, sogar über die anfangs vorgegebene (D) Zielgröße hinaus. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Unser Entwurf ist aber eingebracht, Ih- Der Gesetzentwurf der Grünen und die Forderung rer noch nicht! Wie der dann aussieht! – Ge- nach einer Frauenquote von 40 Prozent hat mich aber genruf des Abg. Marcus Weinberg [Hamburg] aus einem anderen Grund noch sehr viel mehr verwun- [CDU/CSU]: Das Gute zuletzt!) dert, den man mit dem Sprichwort zusammenfassen könnte: Erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. – Ganz wichtig ist mir dabei, zu betonen, dass wir uns Ich komme aus Rheinland-Pfalz, das bekanntlich eine mit unseren Regierungsplänen nicht mehr überwiegend rot-grüne Landesregierung hat. an Frauen richten – ich komme zum Schluss –, sondern an Männer und Frauen gleichermaßen. Es geht um echte (Sönke Rix [SPD]: Eine sehr gute!) Gleichberechtigung, um echte Chancengleichheit. Wir In den Aufsichtsgremien von Gesellschaften mit Landes- machen Schluss mit Geschlechterstereotypen. Wie beteiligung ist eine Frauenquote von 40 Prozent, milde meine allseits geschätzte Kollegin aus dem hohen Nor- ausgedrückt, ein frommer Wunsch und ein geradezu uto- den immer sagt: Anpacken, nicht schnacken! pisch weit entferntes Ziel. Oder ist Ihr Gesetzentwurf der Vielen Dank. Wunsch an Ihre eigenen Vertreterinnen in den Landes- regierungen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der CDU/CSU) NEN]: Nein, an alle!)

Vizepräsidentin Claudia Roth: doch – neben der Ministerinnenebene – an die eigenen frauenpolitischen Ansprüche zu erinnern? Ich darf Ihnen Danke, Frau Kollegin. – Das Wort hat Ursula Groden- ein paar Zahlen nennen und beziehe mich auf die Kleine Kranich für die CDU/CSU-Fraktion. Anfrage 1116 von CDU-Landtagsabgeordneten vom (Beifall bei der CDU/CSU) 27. September 2012: Von 146 Mitgliedern, die vom Land Rheinland-Pfalz in Aufsichtsgremien von Gesell- schaften mit Landesbeteiligung entsandt wurden, waren Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): 119 männlich und 27 weiblich. Das entspricht einem Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauenanteil von 18,49 Prozent. Als ich vom Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur geschlechtergerechten Besetzung von Auf- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sichtsräten, Gremien und Führungsebenen erfuhr, war NEN) 4206 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Ursula Groden-Kranich (A) – Ja, da müssen Sie jetzt durch. Ich kann Ihnen nicht hel- sichtsräten, Gremien und anderen Führungsebenen (C) fen. wachsen wird und ob wir vielleicht sogar in absehbarer Zeit die 30-Prozent-Quote übertreffen, hängt auch von (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast uns ab, davon, wie wir dies in der Praxis leben und was [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde das wir als Politikerinnen vormachen. gut! Machen Sie alle Bundesländer durch!) Einen schönen Tag. Insgesamt gab es in den entsprechenden Aufsichtsgre- mien 258 Mitglieder, davon 221 männliche und 37 weib- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- liche. neten der SPD) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Bei welchem Bundesland sind Sie Vizepräsidentin Claudia Roth: jetzt?) Vielen Dank, Frau Kollegin Groden-Kranich. – Nächste Rednerin in der Debatte: Christina Jantz für die – Rheinland-Pfalz, Frau Künast. SPD-Fraktion. (Sönke Rix [SPD]: Rheinland-Pfalz immer noch! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten GRÜNEN]: Weiter! Hessen!) der CDU/CSU)

Ich will Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht Christina Jantz (SPD): weiter mit Zahlenkolonnen langweilen, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ah!) Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen sind zwei Eigenschaften, die Frauen in der Geschichte ihres parla- aber ich denke, die Tendenz ist klar geworden: Die meis- mentarischen Wirkens immer wieder beweisen mussten. ten der genannten Frauenanteile lagen weit unter 20 Pro- Der Passus „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ zent. in Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes kam 1949 Die rheinland-pfälzische SPD und die rheinland- beispielweise nur zustande, nachdem die Sozialdemo- pfälzischen Grünen haben vor ziemlich genau einem kratin Dr. Elisabeth Selbert über mehrere Jahre dafür Jahr in einem Antrag, den wir jetzt hier wortgleich vor- kämpfte. liegen haben, dies gefordert. Zwischen Wunsch und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wirklichkeit bzw. zwischen Antrag und Umsetzung DIE GRÜNEN – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: (B) klafft in dieser Frage eine große Lücke. (D) Tolle Frau!) Ich komme auf meinen Punkt zurück, den ich vorhin Nachdem die Gleichberechtigung in das Grundgesetz angesprochen habe. Bevor wir uns damit befassen, wie aufgenommen wurde, passierte allerdings erst einmal wir den Frauenanteil auf 40 Prozent anheben können, nichts. Wieder waren es die Frauen, die innerhalb der sollten wir uns zuerst einmal an das leider an manchen Verfassungskommission 1994 – das Datum ist schon Stellen weit entfernte Ziel der 30-Prozent-Quote machen angesprochen worden – eine Ergänzung des besagten und überall dort handeln, wo wir selbst dazu in der Lage Artikels bewirkten. Seitdem heißt es dort weiter: sind, auch in Rheinland-Pfalz und auch die Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und Um es ganz deutlich zu sagen: Ich bin durchaus aus wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile vielen Gründen auch davon überzeugt, dass wir eine hin. Quote brauchen, Seit diesem imperativen Auftrag an den Gesetzgeber (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sind nun weitere 20 Jahre vergangen. Was ist seither pas- NEN]: Ja, dann trauen Sie sich doch!) siert? Wieder nichts. Die ehemalige Familienministerin und wünschte mir oft an vielen Stellen mehr partner- Kristina Schröder hatte in der letzten Legislaturperiode schaftliches Miteinander von Mann und Frau, nicht nur versucht, über die sogenannte Flexi-Quote mehr Frauen in der Politik, sondern auch im Leben und im Beruf. in Führungspositionen zu bringen. Es sollte eine freiwil- lige Selbstverpflichtung geben. Die Resonanz bei den (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DAX-Unternehmen – meine Damen und Herren, Sie NEN]: In der Fraktion!) wissen es – war gering. Manche würden sogar sagen: Sie war so gut wie nicht messbar. – Ja, Frau Künast, ich überrasche immer. Meine Damen und Herren, ein nüchterner Blick auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. die Zahlen verdeutlicht: Der Anteil weiblicher Füh- Sönke Rix [SPD]) rungskräfte in Spitzenpositionen der deutschen Wirt- Das werden wir nachhaltig aber nicht durch Quoten, schaft und der Bundesverwaltung hat sich in den letzten sondern durch ein Umdenken in der Gesellschaft insge- Jahren kaum verändert. 2013 lag die Frauenquote in samt erreichen. Wir brauchen die Quote, aber wie Aufsichtsratspositionen bei 15,3 Prozent. Das entspricht schnell und weit der tatsächliche Frauenanteil in Auf- einer Erhöhung von 0,2 Prozentpunkten im Vergleich Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4207

Christina Jantz (A) zum Vorjahr. Hier von einer echten Steigerung zu reden, Wir wollen zweitens eine Verpflichtung zur Festle- (C) wäre blanke Ironie. gung von Zielgrößen für Aufsichtsräte, Vorstände und oberste Managementebenen. Das beträfe immerhin über (Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE 3 500 Unternehmen. Zudem müssen Konzepte und Be- LINKE]) richte veröffentlicht werden, denn so wird der benötigte Die zahlenmäßige Gleichstellung in Aufsichtsräten öffentliche Druck aufgebaut. würde damit noch über 150 Jahre auf sich warten lassen. Wir wollen drittens die dringend notwendige Novel- Für mich ist eindeutig: Die Gleichstellung von Frauen lierung des Bundesgleichstellungsgesetzes und die Stär- und Männern in Führungsebenen bedarf einer klaren ge- kung der Rechte der Gleichstellungsbeauftragten. setzlichen Regelung. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd- Seien wir ehrlich: Der Appell an die Unternehmen, nis 90/Die Grünen, Sie sehen: Wir ähneln uns in unseren freiwillig zu handeln, ist doch kläglich gescheitert. Vorstellungen, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: So ist es!) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Genau: ähneln!) Die krasse Unterrepräsentanz von Frauen kann heute auch nicht mehr mit einem mangelnden Qualifikations- insbesondere in unseren Zielen. Gleichwohl bin ich der niveau gerechtfertigt werden. Die Zahl qualifizierter Meinung, dass wir die Quote fest vorgeben und diese Frauen in Deutschland hat in den vergangenen Jahren nicht in Relation zur Geschlechterverteilung in der Ar- stetig zugenommen. Knapp 33 Prozent aller Frauen beitnehmerschaft eines Unternehmens setzen sollten. haben heutzutage einen Hochschulabschluss, bei den Mit den von unseren Ministerien entwickelten Eck- Männern liegt diese Quote mit 31 Prozent darunter. Es punkten sind wir hier auf dem richtigen Weg. Das Geset- ist gesellschaftspolitisch nicht zu erklären, dass Frauen, zesvorhaben wird noch in diesem Jahr auf den Weg ge- die über 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland bracht, damit das Gesetz 2015 in Kraft treten kann. ausmachen, immer noch an die sogenannte gläserne De- cke stoßen. Vor diesem Hintergrund besteht zwingender (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- politischer Handlungsbedarf, wenn der verfassungs- NEN]: Es sollte doch längst da sein!) rechtliche Auftrag zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen tatsächlich Vizepräsident Johannes Singhammer: erfüllt werden soll. Daher begrüße ich es ausdrücklich, Frau Kollegin Jantz, Sie denken an die Redezeit, die (B) dass die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (D) vereinbart wurde? gemeinsam mit Bundesjustizminister Heiko Maas bereits im März Leitlinien eines Gesetzesvorhabens für eine gerechte Teilhabe von Frauen an Führungspositio- Christina Jantz (SPD): nen vorgelegt hat. Gerne. – Wir als SPD werden zeigen, dass dank der eingangs beschriebenen Hartnäckigkeit und unseres (Beifall bei der SPD) Durchsetzungsvermögens am Ende ein Gesetz stehen Der Gesetzentwurf wird in den kommenden Monaten wird, das die Gleichstellung in Deutschland tatsächlich im Bundeskabinett beratschlagt werden. Für uns als SPD voranbringt. ist dabei klar, dass wir im darauf folgenden Gesetzge- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. bungsverfahren nicht von den im Koalitionsvertrag ver- einbarten Zielen abrücken werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Werte Kolleginnen und Kollegen, meine Kollegin, Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kömpel, hat es vorhin schon kurz umrissen. Wir Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs- wollen erstens die bereits im Koalitionsvertrag zuge- punkt ist der Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU. sagte Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent für (Beifall bei der CDU/CSU) Aufsichtsräte von Unternehmen, die börsennotiert und voll mitbestimmungspflichtig sind – mit klaren Sanktio- nen. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! NEN]: Gut!) Gestatten Sie mir als Hahn im Korb Denn wird die Quote nicht erreicht, bleibt der Aufsichts- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ratsstuhl leer. Die sogenannten Europa-AGs sollten hier Als Quotenmann! Vergessen Sie’s!) nach Möglichkeit nicht ausgespart werden. – so kann man es auch sagen, Frau Künast –, am Ende (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marcus der Debatte einen ausschließlich juristischen Blick auf Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]) die Sachlage zu werfen. 4208 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Alexander Hoffmann (A) Im Kern geht es um die Frage der Vereinbarkeit ent- Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er (C) sprechender Quotenregelungen mit dem Verfassungs- war stets bemüht!) recht, den Grundrechten und den EU-Grundfreiheiten. Bei der Beurteilung der Frage ist entscheidend, welche Wenn Sie das Thema Frauenquote ernstlich verfolgen, Art der Quote vorliegt. Man unterscheidet drei Arten: dann haben Sie jetzt die Chance, zuzuhören, mitzu- schreiben und einen Gesetzentwurf vorzulegen, der ver- Erstens: eine absolute Frauenquote, also das Errei- fassungskonform ist. chen eines bestimmten Prozentsatzes unabhängig von der Frage, ob die Frauen gleichermaßen qualifiziert und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – geeignet sind wie männliche Mitbewerber. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, aber vor Ihnen haben schon andere (Beifall bei Abgeordneten der SPD) verfassungsrechtliche Prüfungen gemacht!) Eine solche absolute Frauenquote sehen Sie in Ihrem Sie tangieren also das Recht auf Vereinigungsfreiheit, Gesetzentwurf vor, liebe Kolleginnen und Kollegen von welches auch das Recht auf Selbstbestimmung über den Grünen. Gründung, Organisation und Verfahren der Mitbestim- mung erfasst. Da Ihr Entwurf auch § 7 des Mitbestim- Zweitens gibt es die relative Quote. Hier wird das Er- mungsgesetzes ändern möchte, um für Gewerkschafts- reichen von vornherein unter den Vorbehalt gestellt, dass vertreter eine feste Quote einzuführen, greifen Sie für die Besetzung der Stelle Frauen zur Verfügung ste- zudem in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit in Arti- hen, die ebenso geeignet sind. kel 9 Absatz 3 Grundgesetz ein. Das dritte diskutierte Modell ist eine starre Ge- All diese Eingriffe – und das ist jetzt wichtig – könn- schlechterquote, die aber eine Öffnungsklausel für den ten selbstverständlich zu rechtfertigen sein mit der den Fall enthält, dass nicht genügend qualifizierte Frauen zur Staat treffenden Gleichstellungspflicht – sie ist geregelt Verfügung stehen. in Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz –, aber immer Um es vorwegzunehmen: Während viel dafür spricht, nur dann, wenn eine ebenso geeignete Mitbewerberin dass eine relative Quote bzw. eine starre Quote mit Öff- vorhanden ist. nungsklausel und wohl auch die Variante des Referen- (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Sie ist vorhan- tenentwurfes verfassungskonform ausgestaltet werden den! Überall!) können, ist die absolute Quote, die Sie hier in Ihrem Ge- setzentwurf fordern, nach Ansicht vieler Staatsrechtler Verfassungskonform ist eine Quote dann nicht, wenn und Verwaltungsrechtler und auch nach der Rechtspre- als einzige Mitbewerberin eine Frau in Betracht kommt, (B) chung wohl verfassungswidrig. Denn er verstößt gegen die deutlich geringer qualifiziert ist und dennoch den (D) das Grundgesetz und auch gegen europäische Grundfrei- Vorzug erhält. Gerade für diese Variante, meine Damen, heiten. meine Herren von den Grünen, sieht Ihr Entwurf jedoch weder eine Relativierung noch eine Öffnungsklausel vor, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weshalb er gegen das Grundgesetz verstößt. NEN]: Was?) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Hören Sie zu! Es kommt gleich. NEN]: Ach!) Eine absolute Frauenquote greift zunächst einmal in All das von mir Gesagte ist keine freie Erfindung, den Schutzbereich des Artikels 3 Absatz 1 Grundgesetz sondern geht zurück auf die Rechtsprechung des Euro- ein, denn Sie benachteiligen dadurch einen Mann auf- päischen Gerichtshofes. grund seines Geschlechts. Das ist grundsätzlich natürlich jeder Quote zueigen. Es liegt weiterhin ein Eingriff in (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Von Männern!) Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz vor, denn Sie beschrän- ken die Freiheit der Berufswahl beim unterlegenen Gemäß EuGH sind Frauenquoten nur dann verfassungs- männlichen Mitbewerber. Sie beschränken außerdem die und europarechtskonform, wenn sie erstens einen Be- grundrechtlich geschützte Freiheit der betroffenen reich betreffen, in dem Frauen unterrepräsentiert sind, Unternehmer bzw. Anteilseigner in ihren Grundrech- wenn zweitens die Regelung den Frauen nur dann den ten auf Berufsausübungsfreiheit nach Artikel 12 Ab- Vorrang einräumt, wenn sie gleichermaßen qualifiziert satz 1 Grundgesetz und auf Eigentumsfreiheit nach Arti- und geeignet sind, und wenn drittens eine Härtefallrege- kel 14 Grundgesetz. Letztendlich tangieren Sie auch das lung für den Fall formuliert ist, dass in der Person des Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit nach Artikel 9 Ab- männlichen Bewerbers besondere persönliche Gründe satz 1 Grundgesetz, welches auch – – vorliegen, eine Behinderung zum Beispiel, die unter Umständen überwiegen. All das regelt Ihr Entwurf nicht. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Lesen Sie doch alle vor!) Die genannten Voraussetzungen hat der EuGH im Be- reich des öffentlichen Dienstes entwickelt. Sie müssen – Hören Sie doch zu! Es ist eine einmalige Chance. Ich also umso mehr für den Bereich der Privatwirtschaft gel- habe mir wirklich Mühe gemacht. ten, der mit weitaus mehr Grundrechten durchdrungen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir hö- Ihre Idee der Nichtigkeit von Beschlüssen nicht quo- ren ja zu! Das ist ja das Schlimme! – Kai tengerecht besetzter Aufsichtsräte – das ist Ihr neuer Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4209

Alexander Hoffmann (A) § 255 a des Aktiengesetzes – geht viel zu weit. Ihr Ge- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- (C) setz zur geschlechtergerechten Besetzung von Führungs- vorschlag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die ebenen ist zu unbestimmt, wenn Sie Zuwiderhandlungen Grünen, also über die Federführung beim Ausschuss für im dortigen § 5 noch mit Ordnungswidrigkeiten belegen. Recht und Verbraucherschutz. Wer dies möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Zu guter Letzt: Das Gleichstellungskonzept zielt auch Wer enthält sich? – Damit ist dieser Überweisungsvor- auf eine Quote für Vorstände ab. Da aber ein Vorstand schlag mit den Stimmen der Großen Koalition gegen die von den Aufsichtsräten besetzt wird, müssten Sie zu- Stimmen der Opposition abgelehnt. nächst einmal abwarten, ob eine Quotenregelung in den Aufsichtsräten nicht mittelfristig dazu führt – Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen, also Fe- derführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Vizepräsident Johannes Singhammer: Frauen und Jugend. Wer stimmt für diesen Überwei- Herr Kollege Hoffmann, darf ich auch Sie an die ver- sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist einbarte Redezeit erinnern? dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Großen Koalition gegen die Stimmen der Opposition an- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): genommen. – danke; das ist schon das Ende, Herr Präsident –, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Bei einer dass die Vorstände im Laufe der Zeit zunehmend von Enthaltung!) Frauen besetzt sind. Ein Grundrechtseingriff muss im- mer das letzte Mittel sein. – Bei Enthaltung des Kollegen Wunderlich. Aufgrund meiner Ausführungen werden Sie Ver- Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b ständnis dafür haben, dass wir Ihren Gesetzentwurf nicht auf: mittragen können. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald, (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Sie wollen überhaupt keinen Gesetzentwurf LINKE zur Quote!) Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur Wenn die Wirtschaft nicht liefert, müssen wir eine Rege- der Rentenüberleitung beheben lung finden; dann aber bitte verfassungskonform. Drucksache 18/1644 Vielen Dank. Überweisungsvorschlag: (B) Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) (D) (Beifall bei der CDU/CSU – Gabriele Hiller- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ohm [SPD]: Mein Hahn im Korb sind Sie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nicht mehr! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Haushaltsausschuss DIE GRÜNEN]: Ich will Frau Pawelski wie- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- derhaben!) richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- Vizepräsident Johannes Singhammer: ten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann Damit ist die vereinbarte Rednerliste abgearbeitet. (Zwickau), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Redeliste! Das ist eine Redeliste, keine Red- Angleichung der Renten in Ostdeutschland an nerliste! – Zuruf von der CDU/CSU: Eine das Westniveau sofort auf den Weg bringen Rednerinnenliste!) Drucksachen 18/982, 18/1994 – Ja, die Rednerinnen waren deutlich in der Mehrheit. Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- Jetzt kommen wir zur interfraktionellen Überweisung mentlich abstimmen. des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/1878 an die in Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Die Feder- diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Weil ich führung ist allerdings strittig. Die Fraktionen von CDU/ keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass das CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss so beschlossen ist. für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Fraktio- nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Ich eröffne hiermit die Aussprache und erteile das die Federführung beim Ausschuss für Recht und Ver- Wort dem Kollegen Roland Claus, Die Linke. braucherschutz. (Beifall bei der LINKEN) (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wo denn sonst? – Renate Künast [BÜND- Roland Claus (DIE LINKE): NIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht der Maas Herr Präsident! Vielen Dank für das präzise Vorlesen überhaupt noch was?) unserer guten Antragsüberschriften. Deshalb werden wir darüber abstimmen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) 4210 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Roland Claus (A) Meine Damen und Herren! Wir beraten in der Tat Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Das ist (C) über zwei verschiedene Anträge der Linken zur Rente im eine völlig falsche Logik. Nach dieser Logik hätte die Osten oder – besser – zur Rente von Ostdeutschen. Ab- Politik einer Rentenformel, also einer Berechnungs- schließend werden wir über einen Antrag zur Rentenan- grundlage zu folgen. Nach unserem Verständnis von gleichung in Ost und West entscheiden. Wir sagen Ihnen Politik folgen Berechnungsverfahren aber der Politik. So ganz deutlich: Es geht uns um nicht mehr und nicht we- herum muss es sein. niger als um die Anerkennung gleicher Lebensleistungen in Form von gleichen Renten, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Herr Kauder, der Volksmund hat für Ihre Deutungsho- Wir verlangen dazu die namentliche Abstimmung, um in heit einen wirklich schönen Spruch gefunden: Hier wa- allen Wahlkreisen der Bundesrepublik kenntlich zu ma- ckelt der Schwanz mit dem Hund. – Genau so ist das. chen, wie sich einzelne Abgeordnete dazu verhalten ha- ben. (Beifall bei der LINKEN) Einführend werden wir über einen Antrag beraten, der Zuweilen höre ich, die Linke wolle schon wieder ei- Lücken und Rückstände bei der Rentenüberleitung zwi- nen Schnellschuss. Als Schnellschuss bezeichnet man schen dem Rentenrecht der Deutschen Demokratischen bekanntlich eine voreilige Handlung mit bösen Folgen. Republik und dem Rentenrecht der Bundesrepublik the- Ich bitte Sie! Im 24. Jahr der deutschen Einheit von einer matisiert. Ja, meine Damen und Herren auf den Tribü- voreiligen Handlung zu sprechen, wenn wir Rentenge- nen, Sie haben richtig verstanden: Es gibt solche Lücken rechtigkeit verlangen, das ist doch nicht zu fassen. noch immer – (Beifall bei der LINKEN) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) Gelegentlich höre ich auch den Einwand, die Linke stelle diesen Antrag alle Jahre wieder. Was denken Sie 24 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit und im- denn? Jahr für Jahr werden Hoffnungen enttäuscht und mer zum Nachteil der Betroffenen. Genau das will die Versprechen gebrochen. Und dazu sollen wir schwei- Linke ändern. gen? Wovon träumen Sie eigentlich nachts? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder Fangen wir mit der Rentenangleichung an. Das war [CDU/CSU]: Von Ihnen nicht!) bekanntlich ein Versprechen der Vorgängerkoalition und Wir werden Ihnen diesen Antrag immer und immer wie- ein ganz persönliches Versprechen von Bundeskanzlerin (B) der vorlegen. (D) Merkel. Es folgte ein glatter und vollständiger Vertrau- ensbruch. Heute schreiben Sie in Ihre Koalitionsverein- Mit dem Antrag zu Lücken und Versäumnissen bei barung, Sie wollten im Jahre 2016 einmal prüfen, was der Rentenüberleitung weisen wir auf circa 15 Betroffe- sich denn da so getan hat. Meine Damen und Herren, das nengruppen hin, die bisher vergeblich auf Rentengerech- ist blanker Zynismus. Das kann man so nicht hinneh- tigkeit warten. Ich will nur wenige Beispiele nennen: men. Am 26. Juni dieses Jahres trafen sich in Magdeburg (Beifall bei der LINKEN – Waltraud Wolff Frauen des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen [Wolmirstedt] [SPD]: Das kann man so nicht zum 15. Jahrestag ihres gemeinsamen Engagements. sagen! – Daniela Kolbe [SPD]: Das lesen Sie Feierlaune ist dabei nicht aufgekommen; denn es waren noch mal nach, bitte! So viel Ehrlichkeit muss für sie 15 Jahre ohne Ergebnis, und gedacht haben sie sein!) vieler inzwischen Verstorbener. Unser Antrag spricht für sich und für die Betroffe- Beschäftigte im Gesundheitswesen der DDR, Lehre- nen dieses Rentenunrechts. Ich will nur einen einzigen rinnen und in der Braunkohleveredlung tätige Bergleute Fakt hervorheben. Es sind im Monat durchschnittlich warten vergeblich auf Renten, mit denen ihre Lebens- 100 Euro weniger, die eine Ostrentnerin gegenüber ei- leistung anerkannt wird. Wir wollen nicht vergessen: nem Westrentner erhält. Das sind 100 Euro im persönli- Gelebtes Leben lässt sich nicht wiederholen. Man kann chen Budget. Aber es sind auch 100 Euro, die für eine nicht noch einmal von vorne anfangen. Gerechtigkeitslücke sprechen, die wir so nicht mehr hin- nehmen wollen, meine Damen und Herren. Schließlich sind da noch die aus der DDR Geflüchte- ten, Ausgereisten und Abgeschobenen. Diese Menschen (Beifall bei der LINKEN) hatten ihre Gründe, die DDR zu verlassen. Aber Anfang der 90er-Jahre wurden sie via Rentenrecht wieder zu Ich will mich mit ein paar Gegenargumenten aus- DDR-Bürgern gemacht. einandersetzen, die ich gelegentlich zu hören kriege. Da wird mir gesagt: Wenn man die Rentenformel pur wir- (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das stimmt gar ken ließe, also wenn man die Hochwertung aussetzte, nicht!) könnte das Gegenteil des Beabsichtigten eintreten: Die Ossis könnten weniger bekommen. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan. Flüchtlinge waren nur so lange willkommen, wie sie als Kronzeugen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) gegen die DDR gut zu gebrauchen waren. Dazu sagen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4211

Roland Claus (A) wir Ihnen: Machen Sie in dieser Frage vor dem 9. No- Um der Legendenbildung vorzubeugen, meine Da- (C) vember dieses Jahres reinen Tisch. men und Herren, möchte ich Ihnen gerne ein paar klar- stellende Zahlen nennen. Zwischen 1991 und 2008 stie- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. gen die Renten im Osten um sage und schreibe Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- 116 Prozent und in den alten Bundesländern um 25 Pro- NIS 90/DIE GRÜNEN]) zent. Die Renten in Ostdeutschland werden heute immer Sie dürfen dabei Folgendes nicht vergessen: Im Osten noch um 18 Prozent hochgewertet, und bei gleichem ist die gesetzliche Rente meistens das einzige Einkom- Bruttogehalt gibt es im Osten einen höheren Rentenwert men. Das wird bei Ost-West-Rentenvergleichen häufig als im Westen. Deshalb sollten wir auch auf die Erfolge vergessen. Dabei geht es nicht nur um die heutigen, son- schauen, die wir bereits erzielt haben. dern auch um viele künftige Rentnerinnen und Rentner. In der Politik kommt es ja oft darauf an, ob das Glas, 24 Jahre deutsche Einheit und 25 Jahre Mauerfall – wie bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der diese Gedenktage stehen demnächst ins Haus. Wir sagen Linkspartei, halb leer ist oder ob es, wie es bei uns der Ihnen: Nicht nur Sonntagsreden halten, sondern endlich Fall ist, halb voll ist. Bei Ihnen ist es ein Skandal, dass es Rentengerechtigkeit schaffen! Das ist das Gebot der zwischen dem Rentenniveau Ost und dem Rentenniveau Stunde, und heute haben Sie die Chance dazu. West einen Unterschied von gerade einmal noch 7,8 Pro- zent gibt. Wir hingegen sind stolz darauf, dass wir das (Beifall bei der LINKEN) Rentenniveau in den neuen Ländern im Vergleich zu dem in den alten Ländern zum 1. Juli dieses Jahres auf Vizepräsident Johannes Singhammer: 92,2 Prozent angehoben haben. Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle- gin Jana Schimke, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Der Pro- Jana Schimke (CDU/CSU): zess der Wiedervereinigung ist ein gesamtgesell- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- schaftliches Jahrzehnteprojekt. Es wird nicht von ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich heute auf morgen umgesetzt, sondern das erfordert teile ja Ihre Auffassung, dass nicht nur die politische, Jahre und Jahrzehnte. Diese Aufgabe ruft auch Probleme sondern auch die soziale Einheit Deutschlands zu den hervor und läuft sicherlich nicht spannungsfrei ab. Aber großen Aufgaben vergangener, derzeitiger und künftiger wir sind auf dem richtigen Weg und fast am Ziel. Auch deshalb haben wir im Koalitionsvertrag die vollständige (B) Tage zählt. Aber glauben Sie denn ernsthaft, dass Ihnen (D) von Mecklenburg bis Thüringen noch irgendjemand ab- Angleichung der Renten in Ost- und Westdeutschland nimmt, dass es in Deutschland keine soziale Einheit gibt vereinbart und einen Fahrplan mit einem angemessenen und Altersarmut vorherrscht? Zeitraum festgelegt. Wir werden die Renten bis 2020 an- gleichen. Dies bleibt eines unserer wichtigsten Ziele, (Widerspruch bei der LINKEN) liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist nicht so. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Mit Daran erkennt man aber auch – jetzt wird es interes- dem Rentenüberleitungsgesetz – wohlgemerkt einer der sant – die rückwärtsgewandte Politik und Sicht der Lin- wichtigsten sozialpolitischen Regelungen der deutschen ken auf die Ostdeutschen. Einheit überhaupt – wurden nach der Wiedervereinigung die Bestimmungen zur gesetzlichen Rentenversicherung (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Na, na!) auf die neuen Bundesländer ausgeweitet. Im Grundsatz wurde damit ein einheitliches Rentenrecht hergestellt, Es werden scheinbare Ungerechtigkeiten identifiziert das aber auch folgende Regelung beinhaltete: Bis zur und bereits erzielte Fortschritte verklärt. Und: Sie ver- Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse sind kennen die großen Fragen der Zukunft in den neuen unterschiedliche Rechengrößen und Verfahrensweisen Bundesländern. Ich denke, das kann ich als junge Abge- für die neuen und alten Bundesländer vorgesehen. ordnete aus den neuen Bundesländern mit gutem Gewis- sen sagen. Da spreche ich nicht nur für meine Genera- Diese heute noch geltenden Unterschiede bei der Be- tion, sondern vor allen Dingen auch für die Generationen rechnung der Renten hatten und haben gute Gründe. meiner Eltern und meiner Großeltern. Denn bei der Ermittlung der Lebensverhältnisse in Ost und West stellt man fest: Es ist eben noch nicht alles (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Na ja!) gleich. Wir sind deshalb gut beraten, nicht vorschnell in die Rentenformel einzugreifen. Doch ich erinnere daran, Künftig wird es um folgende Fragen gehen: Wie kön- dass es in Deutschland nicht nur Unterschiede zwischen nen wir die ostdeutsche Wirtschaft und den jungen Mit- Ost und West, sondern auch Unterschiede zwischen telstand weiter stärken, gerade vor dem Hintergrund des Nord und Süd gibt. Deshalb sollte man nicht herumtö- Auslaufens des Solidarpaktes? Wie sichern wir den Le- nen, sondern es kommt darauf an, konkret an den Stär- bensstandard in den ländlichen Regionen gerade mit ken der Regionen zu arbeiten und sie zu fördern. Genau Blick auf den demografischen Wandel? Wie gelingt es daran arbeiten wir. uns, die jungen Menschen – wohlgemerkt eine Genera- tion, die die DDR nur aus Geschichtsbüchern kennt – in (Beifall bei der CDU/CSU) ihrer Heimat zu halten und vielleicht sogar dazu zu be- 4212 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Jana Schimke (A) wegen, selbst Unternehmen zu gründen und Werte und den alten Bundesländern. Durch ihre Lebensleistung und (C) Wohlstand zu schaffen? die gelungene Überleitung des Rentenrechts sind die Rentnerinnen und Rentner heute insgesamt sehr gut ab- (Beifall bei der CDU/CSU) gesichert. Das darf an dieser Stelle auch einmal gesagt Und, liebe Kolleginnen und Kollegen – daran würde im sein. Übrigen auch eine Angleichung der Renten nichts än- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. dern –: Wie schaffen wir es, sowohl das private Vermö- Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]) gen aufzubauen als auch die private Vorsorge zu stär- ken? Das Programm der Linkspartei gibt auf diese Lassen Sie mich abschließend noch auf eines hinwei- Fragen keine Antworten. sen: In meinem Wahlkreis fand kürzlich eine Vielzahl von Veranstaltungen anlässlich der Brandenburger Se- Letzteres ist eine zentrale Frage, gerade mit Blick auf niorenwoche statt. Dabei habe ich mich nicht nur ge- die Altersvorsorge. Von 1998 bis 2008 ist das durch- wundert, ab wann man in Deutschland schon zu den Se- schnittliche Geld- und Immobilienvermögen der Ost- nioren zählt, nämlich ab ungefähr 50 Jahren deutschen von nur 35 Prozent auf nur 42 Prozent ange- stiegen. Eine Rentenangleichung zwischen Ost und West (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Oh, ändert auch daran nichts. Was sich hier abbildet – Sie be- oh!) zeichnen das ja immer sehr gerne als Missachtung der – da waren 50- bis ungefähr 90-Jährige –, sondern ich Lebensleistung –, ist – das sage ich, wie schon bei der bin insgesamt auf eine Generation getroffen, die natür- ersten Lesung, erneut an Sie gerichtet – immer noch das lich fit und aktiv ist, die bei der Vereinbarkeit von Beruf Erbe von 40 Jahren DDR. und Familie hilft, die sich sozial engagiert und die vor (Beifall bei der CDU/CSU – Kersten Steinke allen Dingen den Anspruch hat, sich aktiv in das gesell- [DIE LINKE]: Deswegen wird es nicht bes- schaftliche und politische Leben einzubringen. ser!) Deshalb ist es gut, dass wir diese Entwicklung auch Dass die Menschen mitunter der Chancen, die sie an- vonseiten der Politik erkannt haben. Sie erinnern sich derswo möglicherweise gehabt hätten, beraubt wurden, vielleicht: Im Rahmen des kürzlich beschlossenen Ren- zeigt sich heute auch an den Vermögen und ganz konkret tenpakets haben wir uns in der Koalition darauf verstän- an diesen Zahlen. Sicher wäre auch der eine oder andere digt, auch den Übergang vom Erwerbsleben in die Rente Lebensweg anderswo anders verlaufen. Fest steht jeden- zu flexibilisieren und damit einen unmittelbaren Beitrag falls, dass die wirtschaftliche Situation der Ostdeutschen zur Altersvorsorge zu leisten. nichts mit der Rentenangleichung in Ost und West zu tun Ich glaube, das sind die richtigen Antworten, die un- (B) (D) hat. ser Land braucht und die vor allen Dingen auch die (Beifall bei der CDU/CSU) Rentnerinnen und Rentner und die Erwerbstätigen in den neuen Bundesländern brauchen. Heute, meine Damen und Herren, leben nur 31 Pro- zent der Ostdeutschen in selbst genutztem Wohneigen- Vielen Dank. tum. In Gesamtdeutschland sind es 43 Prozent. Es gilt, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- diesen Trend weiter zu stärken und zu fördern; denn die neten der SPD) Schaffung von Eigentum und von Vermögen ist Bestand- teil der Altersvorsorge in Ost und West. Vizepräsident Johannes Singhammer: Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir ge- Vielen Dank. – Ich darf eine verfahrensleitende An- rade, wenn es um die Altersvorsorge und die Generatio- merkung machen: Bei den Redezeiten handelt es sich nengerechtigkeit geht, künftig mehrere Dinge in den nicht um ungefähre Richtwerte, sondern um präzise ver- Blick nehmen müssen. Ich unterstütze hier zum Beispiel einbarte Vorgaben. gerne die Initiative der Deutschen Rentenversicherung, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die mit dem „Rentenblicker“ bereits Schülerinnen und Schülern die Bedeutung der Altersvorsorge nahebringt. Meine Bitte ist, diese auch einzuhalten. Gleichzeitig freue ich mich, dass es die Initiative Schule- Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Wirtschaft gibt, die Schülern wirtschaftliche Zusammen- Markus Kurth. hänge näherbringt und damit auch aufzeigt, dass Wohl- stand eben nicht durch Umverteilung vom Himmel fällt, sondern erarbeitet werden muss. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Meine Damen und Herren! Herr Roland Claus, kann es neten der SPD) sein, dass das Einbringen dieser beiden Anträge zum jet- zigen Zeitpunkt irgendetwas damit zu tun hat, dass dem- Beim Blick auf die ältere Rentnergeneration in Ost- nächst in drei ostdeutschen Bundesländern Landtags- deutschland sieht man, worin sich Lebensleistung ganz wahlen anstehen? konkret ausdrückt; denn auch hier gilt: Wer viel gearbei- tet hat, erhält auch mehr Rente. Die durchschnittliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Rente im Osten liegt heute bei wohlgemerkt 44 Prozent bei der CDU/CSU und der SPD – Roland des Arbeitsentgelts und damit wesentlich höher als in Claus [DIE LINKE]: Ja! Natürlich auch!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4213

Markus Kurth (A) Sie wollen hier doch gerne wieder den üblichen Zin- Es gibt aber andere Begünstigungen, die man über- (C) nober veranstalten, sich vor diesen Landtagswahlen hier haupt nicht nachvollziehen kann, zum Beispiel Begüns- hinstellen und sagen: Wir sind die Einzigen, die sich um tigungen für Spitzensportler oder Begünstigungen für die Rentnerinnen und Rentner im Osten kümmern. Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR, die man wohl aus arbeitsmarktpolitischen Grün- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) den gefördert hat. Da muss man sehr differenziert hinse- Das stimmt aber nicht. Ich sage Ihnen einmal die Bot- hen. Westdeutsche Pfleger und Sozialarbeiter bekommen schaft, die Sie mitnehmen sollten: Sie sollten ganz klar auch keinen berufsbezogenen Zuschlag auf die Rente. sagen: Bündnis 90/Die Grünen sind diejenigen, die sich Wenn man die Angleichung und Überführung des Ren- für die echte Gleichsetzung des Rentenwertes in Ost und tensystems der DDR in das westliche Rentensystem vor- West einsetzen. Das ist eine Tatsache! genommen hat, muss man dieser Logik bis zum Schluss folgen und überlegen: Was ist entschädigungsbedingt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – notwendig? Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das möchten Sie gerne!) Für bestimmte Gruppen kann man Sonderregelungen einführen, aber man kann das nicht pauschal tun, wie Sie Wenn die Bürgerinnen und Bürger Sie fragen: „Wa- es in Ihrem Antrag fordern. rum haben die denn dem Antrag der Linken nicht zuge- stimmt?“, dann sagen Sie, die Linke: Wir sind mal wie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der über das Ziel hinausgeschossen. – Sagen Sie ihnen bei der CDU/CSU und der SPD) das! Sie wollen nämlich nicht nur die Gleichsetzung des Rentenwertes Ost und West, sondern Sie wollen auch Ich sage noch einmal, an die Adresse der Koalition noch die Höherwertung beibehalten und damit faktisch gerichtet: Wir müssen etwas für die in der DDR geschie- eine Ungleichbehandlung schaffen. Das ist es doch! denen Frauen tun. Sie sitzen weiterhin auf dem Trocke- nen. Während westdeutschen Geschiedenen ein Versor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gungsausgleich zusteht, fehlt eine entsprechende und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- Regelung für in der DDR geschiedene Frauen. Meine ten der SPD) Kollegin Monika Lazar aus Sachsen hat an die Bundes- arbeitsministerin geschrieben und gefragt, wann es denn Diese Ungleichbehandlung rechtfertigen Sie mit den in ihrem Haus zu einer Regelung oder zumindest zu ei- regionalen Lohnunterschieden. Ja, die gibt es. Die gibt ner Prüfung komme. Die Bundesarbeitsministerin hat es aber nicht nur zwischen Ost und West. Während das geantwortet, sie sehe derzeit noch nicht einmal die Mög- Lohnniveau in Brandenburg und Schleswig-Holstein un- lichkeit, die Angelegenheit zu prüfen. Mit Verlaub: Das gefähr gleich ist – da gibt es nur einen minimalen Unter- (B) finde ich ein bisschen armselig. (D) schied –, gibt es zum Beispiel ein großes Lohngefälle zwischen Schleswig-Holstein und Bayern. Niemand (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) käme auf die Idee, jetzt einen Höherwertungsfaktor für Schleswig-Holstein einzuführen. Das müsste man ja Vizepräsident Johannes Singhammer: nach Ihrer Logik. Herr Kollege Kurth, gestatten Sie eine Zwischenfrage (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Sehr gut! Ich bin des Kollegen Dr. Rosemann? dafür! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): CDU/CSU und der SPD) Aber gerne. Bitte. – Ich habe die schleswig-holsteinische Kollegin Hiller- Ohm jetzt auf einen Gedanken gebracht. Das war eigent- Dr. Martin Rosemann (SPD): lich nicht meine Absicht. Herr Kollege Kurth, nachdem Sie in den ersten drei Sie haben dann einen zweiten Antrag, der sich mit der Minuten Ihrer Rede den einen Antrag der Fraktion Die Überleitung der DDR-Renten beschäftigt, eingebracht. Linke erfolgreich und brillant zerlegt haben – das war Auch das ist ein Antrag, den Sie regelmäßig einbringen, wirklich brillant –, frage ich Sie, ob Sie denn auch so bei dem Sie verschiedene rentenrechtliche Begünstigun- konsequent sind, diesen Antrag abzulehnen. Das wäre gen, die es im DDR-Recht gab, in einen Topf werfen. Ich die Konsequenz dessen, was Sie hier ausgeführt haben. sage Ihnen: Sie müssen sich die Gruppen schon einmal differenziert ansehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Bei bestimmten Zuwendungen wären wir als Grüne bereit, etwas zu machen. Ich nenne beispielhaft die Bal- letttänzerinnen und Balletttänzer. Für sie gab es renten- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rechtliche Begünstigungen, die gewährt wurden, weil Herr Kollege Rosemann, wir haben diese Sache na- klar war, dass man den Beruf der Balletttänzerin oder türlich innerhalb der Fraktion beraten. des Balletttänzers nicht bis zur Rente ausüben kann, weil (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Ah!) nach 15, 20 oder 25 Jahren Verschleißerscheinungen auftreten, die dazu führen, dass man diesen Beruf nicht Dieser Antrag der Linken schrammt in der Tat aus mei- mehr ausüben kann. ner Sicht sehr hart an der Ablehnungswürdigkeit vorbei. 4214 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Markus Kurth (A) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Wir reden am selben Tag – die Linke hat es heute auf (C) CDU/CSU und der SPD) die Tagesordnung gesetzt – über die Angleichung der Rentensysteme. Das trifft sich sehr gut. Denn das eine Wir finden es richtig, dass die Diskussion über die An- hat mit dem anderen zu tun. Ich finde, das ist eine gute gleichung des Rentenwertes Ost und West auf die Tages- Gelegenheit, über Mindestlohn, Tarifabdeckung und ordnung gesetzt wurde. Wir sind auch für die Anglei- Lohnpolitik zu reden; denn der Rentenwert, der immer chung des Rentenwertes Ost und West, lehnen aber die noch in Ost und West getrennt berechnet wird – das ist von den Linken vorgeschlagene Höherwertung entschie- die Krux an der Sache –, richtet sich nach den Durch- den ab. schnittslöhnen im jeweils gültigen Rechtsgebiet. Wären (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ein Her- die Löhne gleich, wäre der Rentenwert in Ost und West umgeeiere!) gleich, und die Höherwertung könnte wegfallen. Dann hätten wir automatisch ein Rentenrecht. Das wäre ele- In diesem Sinne haben wir uns für Enthaltung entschie- gant, großartig und wunderbar. Das ist aber nun einmal den. sehr schwierig und womöglich nicht oder erst in einigen Jahrzehnten erreichbar; denn auf dem ostdeutschen Ar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – beitsmarkt ist einiges in Unordnung. 53 Prozent der Be- Volker Kauder [CDU/CSU]: Mannhaft! Su- schäftigten in den neuen Bundesländern sind nicht tarif- per!) gebunden. In den alten Bundesländern sind es „nur“ – Trotz der vielen Ahs und Ohs gibt es in der Politik häu- 40 Prozent. Fast 30 Prozent der ostdeutschen Beschäf- fig nicht nur die Entscheidung zwischen Schwarz und tigten bekommen Löhne unter 8,50 Euro – ich kann Weiß, sondern eben auch eine ganze Menge Grautöne. glücklicherweise hinzufügen: noch; ab 1. Januar 2015 wird sich das glücklicherweise für die meisten ändern –, Lassen Sie mich mit dem Thema schließen, das ich und wir haben in Ostdeutschland sehr viele prekär Be- vor der Frage des Kollegen Rosemann angesprochen schäftigte. Diese Unordnung auf dem Arbeitsmarkt ist hatte. Für die in der DDR geschiedenen Frauen brauchen neben der Kleinteiligkeit der Unternehmensstruktur ei- wir dringend eine Lösung; sie werden immer älter. An ner der Gründe, warum die Angleichung der Entgelt- dieser Stelle sollten wir etwas tun und nicht nur wie bei punkte und damit der Rentenwerte nur so quälend lang- der Angleichung des Rentenwertes Ost und West mit ei- sam vorankommt. Aber mit dem Tarifpaket gehen wir nem Prüfauftrag daherkommen. Da ist die Große Koali- diese Themen an. Danach ist nicht alles großartig und tion wirklich gefragt. toll, aber es ist der richtige Weg. Danke schön. Man kann es auch so machen wie die Linken. Der An- (B) trag liest sich vielleicht für manche verlockend. Aber es (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden grundsätzlich zwei Rentensysteme fortgeschrie- ben; denn der Hochwertungsfaktor ist in Ihrem Antrag Vizepräsident Johannes Singhammer: enthalten. Er ändert auch nichts an den Gründen für die Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin beiden unterschiedlichen Rentensysteme. Zudem wer- Daniela Kolbe. den gravierende neue Ungerechtigkeiten verursacht. Das sind die Gründe, warum wir diesen Antrag heute mit gu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tem Gewissen – erzählen Sie das ruhig in unseren Wahl- der CDU/CSU) kreisen! – ablehnen werden.

Daniela Kolbe (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich ist heute ein wirklich großartiger Auch aus diesem Grund ist das, was die Koalition tun Tag. Wir haben heute das Tarifpaket inklusive Mindest- will, gut. Wir haben vier Maßnahmen vor: lohn beschlossen: 8,50 Euro in Ost und West. Erstens. Wir tragen dazu bei, dass die Löhne steigen. (Beifall bei der SPD) Der Mindestlohn für 4 Millionen Menschen wird für einen Teil von ihnen die größte Lohnsteigerung ihres Für Millionen Menschen bedeutet das mehr Lohn und Lebens sein. Der Osten profitiert überdurchschnittlich. Gehalt. Allein die Debatte über den Mindestlohn in den Das wird zu einer Erhöhung des Rentenwertes und zu ei- letzten Monaten hat zu Tarifverträgen geführt, wo die ner Schließung der Lücke führen. Tarifparteien früher nicht einmal voneinander wussten. Bei den Friseuren zum Beispiel, bei denen das Lohnni- Zweitens. Wir helfen nach, dass die Tarifbindung veau früher bei 4 Euro lag, gibt es bald einen Mindest- steigt. Ich habe es erwähnt: Schon heute kommt es durch lohn von 7,50 Euro im Westen und 6,50 Euro im Osten. den Mindestlohn und das Tarifpaket zunehmend dazu, Ab 1. August 2015 sind es 8,50 Euro für alle Friseurin- dass Tarifverträge abgeschlossen werden. nen und Friseure in diesem Land. Auch in der Fleisch- branche gibt es jetzt einen solchen Mindestlohn. Das fin- Drittens. Eines der nächsten Projekte von Bundes- den wir als SPD gut, und das finde auch ich als ministerin Andrea Nahles wird eine neue Ordnung auf Vegetarierin gut. dem Arbeitsmarkt im Hinblick auf Leiharbeit und Werk- verträge sein. Auch hier wollen wir auf dem Arbeits- (Beifall bei der SPD) markt Ordnung schaffen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4215

Daniela Kolbe (A) Viertens werden wir uns 2016 noch einmal mit der am 1. Juli, erfolgte die Rentenanpassung dieses Jahres. (C) Angleichung der Rentensysteme befassen. Im Westen steigen die Renten um 1,67 Prozent, im Os- ten um 2,53 Prozent, also schneller. Letztes Jahr, am Unser Fahrplan ist im Koalitionsvertrag glasklar fest- 1. Juli, war der Unterschied noch größer: Im Osten gab geschrieben: Wir wollen die vollständige Angleichung. es 3,29 Prozent mehr, im Westen nur klägliche 0,25 Pro- 2016 prüfen wir, wie weit der Angleichungsprozess voll- zent. – Das zeigt, dass die Anpassung des Rentenwerts zogen ist. Wenn die Löhne nicht ordentlich gestiegen Ost an den Rentenwert West vorankommt. Mit dem sind, wollen wir nachsteuern, und dann werden wir auch Mindestlohngesetz wollen wir dafür sorgen – das ist nachsteuern. Das heißt auch, dass wir, wenn nötig, Geld auch völlig richtig –, dass diese Rentenanpassung noch ins System leiten, um den Rentenwert entsprechend an- schneller vonstattengeht, um den Rentenwert in Ost und zuheben. West anzugleichen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Woher kommt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und das Geld?) der SPD) – Sie fragen nach dem Geld, Herr Kauder. Das steht im Nun verschweigt die Linke eine wichtige Tatsache, Koalitionsvertrag. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die als Wort schon vorkommt, nämlich die sogenannte das gemeinsam hinbekommen, weil wir alle miteinander Höherwertung. Weil wir nach wie vor einen deutlichen wissen, dass sich die Menschen auf uns verlassen. Ich Unterschied im Lohnniveau von Ost zu West haben, denke, auf diese Koalition können sich die Menschen wird all das, was ein Arbeitnehmer auf seinem Renten- auch verlassen. konto an Ansprüchen angesammelt hat – das sind die so- Ich will mit der Bemerkung schließen, dass die Ren- genannten Entgeltpunkte –, am Tag des Renteneintritts tenüberleitung in den letzten fast 25 Jahren ein Erfolg in diesem Jahr um über 18 Prozent aufgewertet. Das war und ist. Aber fast 25 Jahre nach der Wiedervereini- heißt, er bekommt einen Zuschlag von über 18 Prozent. gung wird es auch langsam Zeit, sie abzuschließen. Spä- Der Unterschied zwischen dem Rentenwert Ost und testens 2019 soll sie nach unserem Koalitionsvertrag ab- dem Rentenwert West, also dem Zahlbetrag, beträgt zur- geschlossen sein. Wir stehen dazu: Das Ende des zeit 8,4 Prozent; die Höherbewertung liegt bei über Solidarpakts muss auch das Ende dieser zwei parallelen 18 Prozent. Zu gut Deutsch: Wer sagt: „Ich führe heute Rentensysteme sein. exakt das gleiche Rentenrecht in Ost und West ein“, der Vielen Dank fürs Zuhören. verzichtet auf eine Höherwertung der Rentenansprüche um 18 Prozent, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Daniela Kolbe [SPD]: Was die Grünen tun!) (B) der CDU/CSU) (D) hat dafür aber einen um 8,4 Prozent höheren Renten- Vizepräsident Johannes Singhammer: wert. Wer rechnen kann, weiß: Das ist ein Verlust, das ist Vielen Dank, auch für die präzise Einhaltung der Re- weniger. Deswegen – das sage ich ganz klipp und klar – dezeit. – Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, werden wir als Große Koalition nicht hingehen und von CDU/CSU-Fraktion. einem auf den anderen Tag den Schalter umlegen. Die Rentnerinnen und Rentner im Osten wären nämlich die (Beifall bei der CDU/CSU) Verlierer einer solchen Operation.

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Volker Kauder [CDU/CSU]: Das weiß Herr Ich finde, die Rentenüberleitung Ost/West ist kein Grund Kollege Kurth auch! Deshalb ist er so un- zum Klagen. Hätten wir dies nicht gemacht, würden die glücklich, dass er sich enthalten muss!) Rentnerinnen und Rentner im Osten Deutschlands am Das ist übrigens auch der Grund, warum die Fraktion Hungertuch nagen. Die Linke gar nicht gleiches Rentenrecht in Ost und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- West beantragt. Wer den Antrag liest, weiß: Sie bean- neten der SPD) tragt, dass für alle Zukunft Deutschland in zwei unter- schiedliche Rentengebiete gespalten bleibt. Sie möchte Es war eine großartige Solidarleistung, die die Beitrags- nämlich, dass der Rentenwert, also der Zahlbetrag, der zahlerinnen und Beitragszahler in Ost und West mitfi- jedes Jahr verändert wird, in Ost und West der gleiche ist nanziert haben und bis zum heutigen Tag finanzieren, – schön! –, aber dass die Höherwertung der Rentenan- dass wir die Rentnerinnen und Rentner im Osten nicht sprüche über 18 Prozent im Osten für alle Zukunft gelten auf dem niedrigen Niveau der DDR-Renten gelassen ha- soll. ben, sondern in ein anständiges und funktionierendes Rentensystem in Deutschland übergeleitet haben und sie (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: So ein ihren Lebensabend davon auch finanzieren können. Unsinn!) Das würde bedeuten, dass für den gleichen Lohn der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Rentner im Osten eine höhere Rente bekommt als der neten der SPD) Rentner im Westen. Das ist keine Rentengerechtigkeit, Der Mechanismus ist allerdings in der Tat kompli- sondern die Spaltung Deutschlands im Rentenrecht auf ziert. Eine Komponente ist der Rentenwert. Vorgestern, Dauer, was die Linken beantragen. 4216 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Peter Weiß (Emmendingen) (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das machen wir (C) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE doch!) GRÜNEN) Ich will das nicht in Abrede stellen: In der Tat ist es Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): für Menschen, die wenig verdienen, ein Problem, dass Dieser Mann drückte mir eine Rose in die Hand. sie auch wenig Rente bekommen. Aber Menschen, die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie relativ wenig verdienen und geringe Rentenansprüche bei Abgeordneten der LINKEN und des haben, gibt es im Osten, aber leider auch im Westen. Es BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe gibt Gott sei Dank auch Arbeitnehmerinnen und Arbeit- bei der SPD und der CDU/CSU: Oh! Oh!) nehmer, die relativ gut verdienen, und zwar sowohl im Westen als auch im Osten. Daher kann man das Problem – Weit gefehlt! Es war kein neuer Verehrer. nicht mit einer generellen Teilung Deutschlands in zwei (Zurufe bei der SPD und der CDU/CSU: Oh! Zonen im Rentenrecht bewältigen. Vielmehr müssen im Oh!) Rentenrecht Regelungen geschaffen werden, die dafür sorgen, dass Menschen mit einem niedrigen Verdienst Als dieser Mann mir die Rose in die Hand drückte, eine Höherwertung ihrer Renten erhalten, damit sie im sagte er – das ist mein voller Ernst –: Frau Wolff, ich will Alter von ihrer Rente leben können. Aber ansonsten mich bei Ihnen bedanken. Ich bin im Mai 63 geworden. werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ost Ich darf nach 45 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. und West gleichbehandelt. Herzlichen Dank, dass Sie das beschlossen haben! Unser Ziel ist, eine schrittweise Rentenanpassung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vorzunehmen, die dazu führt, dass die Rentnerinnen und der CDU/CSU) Rentner im Osten nichts verlieren, dass Deutschland im Rentenrecht nicht mehr zweigeteilt ist, sondern dass Glauben Sie mir meine Damen und Herren: Ich war gleiches Rentenrecht in Ost und West geschaffen wird überwältigt. Ich bin seit 16 Jahren Bundestagsabgeord- – Gerechtigkeit für alle – und dass Niedrigverdiener im nete, aber so etwas war mir zuvor noch nie passiert. Aber Rentenrecht eine Hilfestellung bekommen, sodass sie was zeigt diese Begegnung? Sie zeigt, dass die Renten- von ihren Renten leben können. politik, die wir machen, bei den Menschen ankommt, und zwar auch in Ostdeutschland. Der Antrag der Linken ist in Wahrheit ein Antrag auf Spaltung Deutschlands auf Dauer. Das passt zur Linken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aber wir, die Große Koalition, wollen ein einheitliches der CDU/CSU) (B) Rentenrecht in Ost und West, Gerechtigkeit für Rentne- In dieser Woche ist das Rentenpaket in Kraft getreten. (D) rinnen und Rentner, ob im Osten oder im Westen. Heute Vormittag haben wir die Einführung eines Min- Vielen Dank. destlohns beschlossen. Ich kann nur sagen: Eine gute Woche für die Menschen in Deutschland! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Mindestlohn sorgt dafür, dass viele Menschen in den Nächste Rednerin ist die Kollegin Waltraud Wolff, neuen Bundesländern höhere Löhne und demzufolge SPD. später höhere Renten bekommen. Wir haben eine ge- samtdeutsche Entscheidung getroffen: flächendeckend (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 8,50 Euro im Westen wie im Osten. Das war richtig und der CDU/CSU) notwendig.

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich hatte vor zwei Bei der Rente muss es in Zukunft heißen: Rentenwert Wochen eine außergewöhnliche Begegnung. West ist gleich Rentenwert Ost. – Das ist uns allen klar. Die Menschen in den neuen Bundesländern fühlen sich (Zurufe bei der SPD und der CDU/CSU: Oh!) selbstredend weniger wert, wenn es für Kindererzie- In meiner Heimatstadt Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt hungszeiten, Zivildienst, Wehrdienst oder Pflegezeiten kam ein glücklicher Mann mit leuchtenden Augen auf weniger Rentenpunkte gibt. Aber nach 25 Jahren Wie- mich zu. dervereinigung ist auch klar, dass die Unterschiede zwi- schen West und Ost bei der Wirtschaftskraft nicht mehr (Zurufe bei der SPD und der CDU/CSU: Oh! allein zählen können. Das heißt, ein einheitliches Ren- Oh!) tensystem ist eine berechtigte Forderung. Deshalb haben Herr Präsident, ich brauche eine Verlängerung meiner wir einen Fahrplan dafür beschlossen. Meine Damen Redezeit. und Herren von den Linken, das ist nicht Ihr Fahrplan, das stimmt; aber es ist der Fahrplan, der die Rentenan- gleichung endlich 2020 bringt. Das ist es, was zählt. Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich bitte, der Rednerin aufmerksam zuzuhören. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4217

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) 2016 werden wir diesen Angleichungsprozess über- zur Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das (C) prüfen. Das macht auch Sinn, weil wir durch den Min- Westniveau. Sie haben in Ihrem Antrag ganz einfach destlohn, den wir beschlossen haben, ganz deutliche verdrängt, dass wir die geforderte Angleichung schon Lohnsteigerungen in Ostdeutschland zu verzeichnen ha- vor vielen Jahren in Angriff genommen haben. Eine sol- ben. Auf dieser Grundlage legen wir anschließend das che Forderung mag zwar populär sein, eher sogar popu- Gesetz vor, mit dem wir dann den Abschluss in der Ren- listisch, ist aber derzeit nicht zu realisieren. tenüberleitung festschreiben werden. Die jeweiligen Oppositionsparteien, wie jetzt die Lin- Wir werden auch die offenen Fragen der Rentenüber- ken, bringen mit schöner Regelmäßigkeit Anträge zur leitung, die hier mehrfach von den Grünen und auch den Rentenangleichung ein. Dies tun sie, obwohl sie wissen, Linken angesprochen wurden, beantworten. Aber eines dass eine solche absolute Angleichung aus einer Vielzahl ist Fakt: Die Probleme kann man nicht im Rentenrecht von Gründen derzeit überhaupt nicht machbar ist. Selbst lösen. Das hat die Vergangenheit gezeigt, und ich habe die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion räumen keine Hoffnung, dass das in der Zukunft so sein wird. in ihrem jüngsten Antrag ein, dass sich die Differenz Ich könnte mir vorstellen, dass es zu einer Fondslösung zwischen den Rentenwerten von 2012 auf 2013 um kommt. Damit wäre es auch möglich, die soziale Lage 2,7 Prozentpunkte verringert hat. Erst vor wenigen Ta- der Betroffenen zu berücksichtigen. gen, zum 1. Juli, ist die Differenz um weitere 0,7 Pro- zentpunkte verringert worden. Heute hat sich das Ren- (Beifall bei der SPD) tenniveau schon auf über 92 Prozent angeglichen. Erste wichtige Botschaft: Ende dieser Wahlperiode (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- haben wir die vollständige Rentenangleichung im Gesetz NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht das Ren- stehen. Zweite wichtige Botschaft: Wir sorgen nicht nur tenniveau! Das ist der Rentenwert!) für den gleichen Rentenwert wie in den alten Bundeslän- dern, sondern auch dafür, dass die Renten höher sind als Das wurde heute schon gesagt; aber das kann man der jetzt. Fraktion Die Linke wahrscheinlich nicht oft genug sa- gen. 1990 war der Wert bei 60 Prozent. Ich fasse das zu gern heute Abend zusammen, weil ich auf so viel sozialdemokratische Politik stolz bin: In diesem Bereich sind die Rentner in den neuen Län- Rentenpaket, Mindestlohn, Rentenangleichung und die dern übrigens schon heute deutlich weiter als die Be- noch ausstehende solidarische Lebensleistungsrente. schäftigten im Osten, die derzeit nur 80 Prozent des Wenn wir das zusammenzählen, gibt es nur einen Westbruttolohnniveaus erreichen. Das zeigt doch, dass Schluss: Unsere Politik in der Großen Koalition ist gut es bereits heute eine deutliche Annährung gegeben hat und dass es mit der Angleichung vorangeht. Erwähnen (B) für die Menschen in Deutschland. Sie ist gut für gerech- (D) tere Löhne und auch für höhere Renten. Meine Damen möchte ich in diesem Zusammenhang auch, dass eben- und Herren von den Linken, Sie reden, und Sie schreiben falls zum 1. Juli 2014 die Renten in den neuen Ländern jährlich neue Anträge; wir tun einfach das, was wir be- um 2,53 Prozent gestiegen sind, in den alten Bundeslän- schlossen haben. dern nur um 1,67 Prozent. Herzlichen Dank. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Kollege Strebl, ich darf Sie kurz unterbrechen, der CDU/CSU – Abg. Halina Wawzyniak um die Kolleginnen und Kollegen hier um Aufmerksam- [DIE LINKE] überreicht Abg. Waltraud Wolff keit zu bitten. Wir wissen, dass es viel besser ist, Gesprä- [Wolmirstedt] [SPD] eine Rose – Heiterkeit che außerhalb dieses Plenarsaals zu führen. Ich bitte und Beifall) darum, dem Kollege Strebl die entsprechende Aufmerk- samkeit zuteilwerden zu lassen. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Kollegin Wolff, Sie haben gespürt, dass Ihre Rede mit besonderer Anteilnahme des Hohen Hauses be- Matthäus Strebl (CDU/CSU): gleitet worden ist. Vielen Dank, Herr Präsident. – Richtig ist auch, Wir kommen zum Abschluss dieses Tagesordnungs- meine sehr verehrten Damen und Herren: Viele Men- punkts zum Kollegen Matthäus Strebl, der für die CDU/ schen in den neuen Bundesländern haben durch längere CSU spricht. Versicherungsbiografien höhere Rentenansprüche er- worben; das ist hier schon dargestellt worden. Das (Beifall bei der CDU/CSU) betrifft vor allem die Frauen im Osten, die viel stärker Ich darf an dieser Stelle darum bitten, weil es der erwerbstätig waren als die im Westen. Das gehört zur letzte Redebeitrag vor der namentlichen Abstimmung Geschichte und zur Wahrheit dazu. ist, dass wir gemeinsam die nötige Aufmerksamkeit für Zur Frage, ob die sofortige Angleichung der Renten, diesen Redebeitrag finden. wie im Antrag der Linken gefordert, wirklich ein Ge- winn für die Ostrentner wäre, möchte ich einen ausge- Matthäus Strebl (CDU/CSU): wiesenen Experten zu Wort kommen lassen, nämlich den Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Chef der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutsch- Damen und Herren! Wir beraten den Antrag der Linken land, Wolfgang Kohl. Ich zitiere: 4218 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Matthäus Strebl (A) Die volle Angleichung wird nach meiner Einschät- Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) zung kein Gewinn für die Ost-Rentner. Denn im Damit schließe ich die Aussprache. Moment werden die ostdeutschen Gehälter höher gewertet. Ohne diese Höherbewertung würden sich Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf die Bezüge deutlich vermindern. Der Ostdeutsche Drucksache 18/1644 an die in der Tagesordnung aufge- bekommt also für 1 000 Euro Lohn eine höhere führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich höre keinen Rentenanwartschaft als derjenige, der im Westen Widerspruch. Also sind Sie damit einverstanden. Dann 1 000 Euro verdient. ist die Überweisung so beschlossen. Ich zitiere weiter: Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das beibe- Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem hält, wenn die Rentenwerte angeglichen werden. Titel „Angleichung der Renten in Ostdeutschland an das Dann könnten sich die Schleswig-Holsteiner auch Westniveau sofort auf den Weg bringen“. Der Ausschuss hinstellen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 18/1994, den Antrag der Fraktion Die Linke auf – dieses Beispiel hat auch der Kollege Kurth genannt – Drucksache 18/982 abzulehnen. und eine Höherbewertung ihrer Gehälter fordern, Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung weil diese nicht viel höher sind als die in Sachsen. auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich Bekanntermaßen werden Ostlöhne und -gehälter für bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge- die Rente so lange aufgewertet, wie die Differenz bei sehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den den Durchschnittseinkommen noch besteht. Derzeit wird Abstimmungsurnen vollständig besetzt? – Das ist der um 18,73 Prozent aufgewertet. Das Problem dabei ist: Fall. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung über die Die Aufwertung gilt generell und führt dazu, dass bei Beschlussempfehlung. gleichem Einkommen Ostbeschäftigte besser dastehen Ist noch eine Kollegin oder ein Kollege im Plenarsaal als ihre Westkollegen. anwesend, die oder der noch gerne abstimmen möchte, dies aber noch nicht getan hat? – Ich sehe, das ist der Kollege Claus, hören Sie zu: 2 000 Euro Monatslohn Fall. Dann warten wir noch. – Ich frage noch einmal werden beispielsweise im Osten so bewertet, als wären nach: Haben alle, die es beabsichtigen, ihre Stimme es 2 374,60 Euro. Um es mit anderen Worten zu sagen: abgegeben? – Ich sehe jetzt niemanden mehr im Saal, Trotz des niedrigeren Rentenwertes Ost erhalten dadurch der seine Stimme noch nicht abgegeben hat, dies aber die Beschäftigten im Osten einen höheren Rentenan- (B) tun wollte, und schließe die Abstimmung über diese (D) spruch als die Westkollegen mit gleichem Gehalt. Beschlussempfehlung. Ich bitte die Schriftführerinnen Es ist bezeichnend, dass die Linken verlangen, den und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Rentenwert Ost umgehend an den Rentenwert West Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen wie üblich später anzugleichen, die Lohnaufwertung aber beizubehalten. bekannt gegeben.1) Damit würden bestehende Verwerfungen noch einmal Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf: verstärkt und neue Ungerechtigkeiten geschaffen. Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim In der Koalitionsvereinbarung heißt es – das möchte Dağdelen, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, ich hier noch einmal erwähnen –, dass zum Auslaufen weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE des Solidarpakts, wenn die Lohn- und Gehaltsanglei- LINKE chung weiter vorangeschritten ist, in einem letzten Schritt die vollständige Angleichung der Rentenwerte 100 Jahre Erster Weltkrieg, 100 Jahre Nein erfolgen soll. Ich möchte keinerlei Zweifel daran auf- zum Krieg – Gedenktafel für Karl Liebknecht kommen lassen, dass die CDU/CSU die Angleichung der Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland Drucksache 18/1950 weiter voranbringen wird, und hierzu gehört auch die Überweisungsvorschlag: Angleichung des Rentenniveaus. Die Renten bis 2020 Ausschuss für Kultur und Medien (f) anzugleichen, ist politisch vernünftig und liegt in einem Auswärtiger Ausschuss zeitlich und vor allen Dingen auch finanziell vertretba- Innenausschuss ren Rahmen. An dieser Aussage und an dieser Be- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für schlussfassung wollen wir festhalten. diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich eröffne damit die Aussprache. Erste Rednerin ist Dem vorliegenden Antrag können wir daher nicht zu- die Kollegin Sevim Dağdelen, Die Linke, der ich hiermit stimmen; wir lehnen ihn ab. das Wort erteile. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) 1) Ergebnis Seite 4221 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4219

(A) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Auf tausend Kriege kommen keine zehn Revolutio- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nen; so schwer ist der aufrechte Gang. 100 Jahre Erster Weltkrieg. Erinnern wir uns! Wie groß Liebknecht war einer, der aufrecht ging. Seit seiner war der Druck auch in diesem Haus, hier mitzutun? Am Ermordung durch rechtsradikale Freikorpssoldaten unter 4. August 1914 hatte Kaiser Wilhelm II. die Vertreter Billigung des sozialdemokratischen Reichswehrminis- aller im Reichstag vertretenen Parteien um sich versam- ters Gustav Noske erinnert nichts an ihn hier im Reichs- melt und erklärte – ich zitiere –: „Ich kenne keine Par- tag. Wir, die Linke, wollen das ändern. Karl Liebknecht teien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ ist ein Vorbild für Zivilcourage. Auch die oppositionelle SPD gelobte die Unterstüt- Ich bitte Sie deshalb im Namen meiner Fraktion um zung des deutschen Angriffskrieges. Es war bei weitem Unterstützung unseres Antrags zur Anbringung einer nicht nur der rechte Noske-Flügel der SPD, der den Gedenktafel für Karl Liebknecht, um zu erinnern: da- Krieg unterstützte; mals wie heute: Nein zum Krieg! (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN]: Nicht schon wieder!) nein, auch Linke in der SPD wollten den Krieg und fie- Vizepräsident Johannes Singhammer: len auf die Argumente – heute würde man das nennen: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Philipp die Argumente der humanitären Intervention – herein Lengsfeld, CDU/CSU. und rechtfertigten diesen Krieg mit einem notwendigen Feldzug gegen den russischen Zarismus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Dörmann [SPD]) Umso schwerwiegender war die Entscheidung Karl Liebknechts. Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und NEN]: Sagt mal, ihr Linken: Was macht ihr Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Links- da? Danach klagt ihr wieder, dass keiner mit partei, wir haben heute Morgen gemeinsam bereits an euch reden will!) den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erinnert. Als es keine Fraktion mehr hier im Hause gab, die sich (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Beginn! An dem mörderischen Krieg verweigerte, tat er es als Ein- den Kriegsbeginn!) zelner. Wir wollen ihn deshalb stellvertretend für viele Die Gedenkstunde gab uns die Gelegenheit, das Leid (B) andere, die gegen den Krieg kämpften, ehren. Ja, Karl und den Schrecken, die der Krieg über die Menschen (D) Liebknecht ist ein Vorbild für Widerstandsgeist. brachte, noch einmal zu reflektieren. Dies führt uns noch (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einmal drastisch vor Augen, wie groß die Verantwortung NEN]: Das hat er nicht verdient! Das hat er politischer Entscheidungsträger sein kann. nicht verdient, was Sie mit ihm machen!) Vor diesem Hintergrund halte ich das Grundanliegen Und wir wollen die Botschaft aussenden: Von deutschem Ihres Antrags – übrigens trotz Ihrer Rede, muss ich jetzt Boden darf niemals wieder Krieg ausgehen! einmal sagen, Frau Kollegin – für diskussionswürdig. Ich sage dies auch, obwohl ich die ersten Sätze Ihres An- (Beifall bei der LINKEN) trags natürlich für absolut nicht richtig halte. Inhaltlich Als am 2. Dezember 1914 erneut die Kriegskredite fordert die Linke eine Gedenktafel für den damaligen durch Aufstehen im Reichstag befürwortet werden SPD-Reichstagsabgeordneten Karl Liebknecht, und sollten, blieb Karl Liebknecht als einziger Abgeordneter zwar als Würdigung seines Abstimmungsverhaltens im sitzen. Sein Abstimmungsverhalten begründete er in ei- Dezember 1914. ner schriftlichen Erklärung wie folgt – ich zitiere –: Schauen wir uns die Sachlage einmal genauer an. Wir Dieser Krieg, den keines der beteiligten Völker haben schon einiges gehört, aber ich möchte es etwas selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des ausführen. Als der Krieg im Sommer 1914 ausbrach, deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt. Es stimmten die Parlamentarier aller Fraktionen im Reichs- handelt sich um einen imperialistischen Krieg, tag im August zunächst geschlossen den von der Regie- einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung rung beantragten Kriegskrediten zu. Karl Liebknecht des Weltmarktes, um die politische Beherrschung und einige Unterstützer votierten zwar intern in der SPD wichtiger Siedlungsgebiete für das Industrie- und gegen die Kredite, folgten aber in der Abstimmung im Bankenkapital. Plenum der Fraktionsdisziplin. Am 2. Dezember 1914 – das ist hier schon gesagt worden – stellte sich Karl Fast 100 Jahre sind seitdem vergangen. Liebknechts Liebknecht als erster und einziger Reichstagsabgeordne- Vermächtnis ist damals wie heute sein klares Nein zum ter gegen weitere Kredite für den Krieg. In einer dritten Krieg. Dieses Vermächtnis sollten wir endlich auch in Abstimmung votierten zwei Abgeordnete gegen erneute diesem Hause ehren, meine Damen und Herren. Kriegskredite. Bei weiteren Abstimmungen wuchs die (Beifall bei der LINKEN) Zahl der Neinstimmen. Sie blieben aber eine kleine Min- derheit. Die Haltung von Liebknecht und seinen Unter- Ernst Bloch hat einmal gesagt – ich zitiere –: stützern radikalisierte sich zunehmend und führte 4220 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. Philipp Lengsfeld (A) schließlich zum Bruch mit der SPD. 1916 wurde im Jahr 2003 neu aufgestellt, unfertig als ein leerer So- (C) Liebknecht verhaftet, verurteilt und eingesperrt. Zum ckel. Die Deutung des Denkmals bleibt offen. Es wird Kriegsende amnestiert, radikalisierte sich Liebknecht für den Betrachter jedoch klar, dass es eben nicht nur den weiter und beteiligte sich Anfang 1919 in Berlin aktiv einen, unkritischen Blick auf Karl Liebknecht geben am Januaraufstand zur Bekämpfung der neu entstehen- kann. den Republik. Am 15. Januar 1919 wurden Karl Damit komme ich zum dritten und aus meiner Sicht Liebknecht und Rosa Luxemburg durch Freikorpsoffi- wichtigsten Aspekt. Karl Liebknecht ist einer der Grün- ziere ermordet. So weit die Fakten. der der Kommunistischen Partei Deutschlands. Das Wir- Die Gewissensfreiheit eines Abgeordneten ist ein ver- ken der KPD in der Weimarer Republik kann und wird fassungsrechtlich verankertes hohes Gut der Demokra- jeder Demokrat negativ bewerten. Dies fing schon in der tie. Karl Liebknechts eindeutige Haltung zum aufziehen- Gründungsphase 1918/19 an. Die KPD und Karl den und im Gang befindlichen Krieg verdient unseren Liebknecht setzten von Anfang an auf bewaffneten Um- Respekt und eine angemessene Würdigung. sturz, in den Worten der Kommunisten verbrämt als re- volutionärer Kampf. Die Demokratie im Allgemeinen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und die SPD im Besonderen wurden von den Kommu- Immerhin stand er gegen die Kriegsbegeisterung in der nisten unerbittlich bekämpft. Die Entstehung der KPD Bevölkerung, bei den anderen Parteien, aber auch bei ist auch untrennbar mit dem Abstimmungsverhalten von Teilen seiner eigenen Partei. Eine Information über die- Karl Liebknecht und seinen Unterstützern beim Thema ses bedeutende Ereignis für die deutsche Parlamentshis- Kriegskredite verbunden. torie sollte sicherlich in einem der vielfältigen Informa- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das kann tionsmedien unseres Hauses herausgearbeitet werden. doch wohl nicht wahr sein!) Wir werden im Ausschuss Gelegenheit haben, uns über den Stand der Dinge zu informieren und hier gegebenen- Die Linie führte von der Gruppe International, dem Zu- falls Anregungen geben. Aber eine Gedenktafel, liebe sammenschluss der Kriegskreditgegner und ihrer Unter- Kolleginnen und Kollegen, des Deutschen Bundestages stützer, später dann benannt als Spartakusbund, über die am Reichstagsgebäude wäre ein doch sehr viel weiter USPD zur KPD. Der Name Liebknecht steht damit auch gehender Schritt. Hier sollten wir auch die weiteren am Anfang einer antidemokratischen und antiparlamen- politischen Handlungen von Karl Liebknecht berück- tarischen Tradition; denn die KPD hat einen Anteil am sichtigen. Scheitern der Weimarer Demokratie. Zunächst möchte ich daran erinnern, dass es in die- Schauen wir noch einmal auf die beiden positiven sem Land wirklich keinen Mangel an Erinnerungen an Traditionslinien des Abstimmungsverhaltens von Karl (B) (D) Karl Liebknecht gibt, weder an Orten noch Institutionen Liebknecht am 2. Dezember 1914, die Gewissensfreiheit noch Mahnmalen. Es ist nicht nur die Bundeszentrale und den Antimilitarismus. der Linkspartei nach Karl Liebknecht benannt. Wir ha- (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ben Karl-Liebknecht-Straßen und -Plätze in Berlin, in Bismarck hat auch nicht lange genug gelebt!) seiner Geburtsstadt Leipzig, in Chemnitz, in Halle – um einige zu nennen –, aber auch in Dortmund unweit des Fühlte sich die KPD diesen beiden Traditionslinien ihres Westfalenstadions inklusive eigener U-Bahn-Station. In Gründers wirklich verpflichtet? Nein, im Gegenteil: Die Potsdam spielt die erfolgreiche Frauenfußballmann- KPD war eine straff geführte Kaderpartei, durch und schaft Turbine Potsdam im Karl-Liebknecht-Stadion. Es durch undemokratisch. Innerparteiliche Demokratie und gibt Grundschulen und Gymnasien, die nach Karl Gewissensfreiheit wurden offen denunziert und brutal Liebknecht benannt sind. In meinem Wahlkreis Berlin- bekämpft. Und der Kampf gegen Militarismus und Mitte im Ortsteil Tiergarten erinnert am Neuen See eine Krieg? Sie wollen es vielleicht nicht hören, aber auch da Stele an den Ort, an dem Karl Liebknecht ermordet haben Kommunisten eine klare Haltung. Sie sind eben wurde. Der Friedhof der Sozialisten inklusive Mahnmal keine Pazifisten, sondern bekämpfen Krieg und Militär ist ein weiterer prominenter Ort, der auch jedes Jahr von immer dann, wenn es sich um Kriege und Militär ihrer der Linkspartei und neuerdings auch von anderen linken politischen Feinde handelt, dies dann aber mit großer Gruppen Ziel eines Gedenkmarsches ist. Der Name Karl Konsequenz und riesigem propagandistischen Auf- Liebknecht hat in der deutschen Öffentlichkeit also eine wand. Ihre eigenen Armeen und ihre eigenen Kriege starke Präsenz. sind für Kommunisten dagegen völlig legitim. Ich möchte in diesem Zusammenhang Ihren Blick auf ein besonders interessantes, in der Öffentlichkeit fast Vizepräsident Johannes Singhammer: völlig unbekanntes Liebknecht-Denkmal richten. Es Kollege Lengsfeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage steht nicht weit von hier, am Potsdamer Platz. oder Anmerkung des Kollegen Dr. Dehm? (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sockel!) (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Bitte nicht!) – Genau. – Sein Sockel wurde im Jahr 1951 durch die Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): SED errichtet. Zehn Jahre später fiel es, noch unvollen- Dr. Dehm, ich respektiere Ihre Lieder. Ich höre mir det, dem wesentlich größeren kommunistischen Projekt, gern Ihre Frage an. nämlich dem Mauerbau, zum Opfer. Nach dem Fall der Mauer und dem Umbau des Potsdamer Platzes wurde es (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4221

(A) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Ich lade Sie herzlich dazu ein, dass wir dort gemeinsam (C) Sie haben ja am Anfang Verständnis für das Grundan- diese Diskussion fortführen. liegen gezeigt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie wirklich (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist der Meinung sind, dass das, wofür Sie Verständnis zeig- aber eine schlappe Antwort!) ten, nämlich Karl Liebknecht in einer, wenn auch von uns abweichenden Dimension zu ehren, tatsächlich da- Ich bin auch schon fast am Ende. Ich sage es hier durch eingeschränkt würde, dass Sie die, wie ich finde, noch einmal ganz deutlich: Diesen Teil der Geschichte jetzt von Ihnen nicht belegte These aufstellen, dass der kann und wird der Deutsche Bundestag ganz sicherlich arme Mensch, der an diesem Januartag 1918 ermordet nicht veredeln. wurde, schon da um die Bolschewisierung der KPD ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wusst hatte und dafür mitverantwortlich ist? In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auch gerne fragen: Wenn Auch das sage ich ganz deutlich: Antikommunismus ist Europa dieser grausame Krieg erspart geblieben wäre, für mich ein selbstverständlicher Teil der Grundüberzeu- wäre nicht vielleicht auch die Entwicklung zu Stalin ver- gung eines Demokraten. Diesen Punkt werden wir bei hindert worden? Tragen nicht alle, die an diesem Krieg der parlamentarischen Beratung Ihres Antrages nicht aus mitgewirkt haben nicht nur bezogen auf seinen dem Auge verlieren. Ausbruch, sondern auch bezogen auf die ökonomischen Interessen, die dahintergestanden haben, eine Mitverant- Vielen Dank. wortung daran, dass dieses grausame Jahrhundert der (Beifall bei der CDU/CSU) Extreme, wie es heute Morgen von Alfred Grosser ge- nannt wurde, so zustande kam? Vizepräsident Johannes Singhammer: Bevor gleich die Kollegin Schauws zu Wort kommt, Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): darf ich das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh- Lieber Herr Dehm, vielen Dank für diese Frage. – Da- rern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- für haben wir ja Ausschusssitzungen. Da können wir mung zum Tagesordnungspunkt „Angleichung der Ren- dann im Detail darüber reden. Ich habe ausgeführt, dass ten in Ostdeutschland an das Westniveau sofort auf den ich der Meinung bin, dass eine Information über das Weg bringen“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 570. Abstimmungsverhalten des Reichstagsabgeordneten Mit Ja haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt Liebknecht angemessen sein kann. Darüber werden wir 50, Enthaltungen 54. Die Beschlussempfehlung ist damit im Ausschuss reden. Sie sind stellvertretendes Mitglied. angenommen.

(B) (D)

Endgültiges Ergebnis Norbert Brackmann Michael Frieser Helmut Heiderich Abgegebene Stimmen: 570; Michael Brand Dr. Michael Fuchs Mechthild Heil davon Dr. Reinhard Brandl Hans-Joachim Fuchtel Frank Heinrich (Chemnitz) Helmut Brandt Alexander Funk Mark Helfrich ja: 466 Dr. Ralf Brauksiepe Ingo Gädechens Uda Heller nein: 50 Dr. Helge Braun Dr. Thomas Gebhart Rudolf Henke enthalten: 54 Heike Brehmer Alois Gerig Michael Hennrich Ralph Brinkhaus Eberhard Gienger Ansgar Heveling Ja Cajus Caesar Cemile Giousouf Peter Hintze Gitta Connemann Josef Göppel Christian Hirte CDU/CSU Alexandra Dinges-Dierig Reinhard Grindel Alexander Hoffmann Alexander Dobrindt Ursula Groden-Kranich Karl Holmeier Stephan Albani Michael Donth Hermann Gröhe Franz-Josef Holzenkamp Katrin Albsteiger Thomas Dörflinger Klaus-Dieter Gröhler Dr. Hendrik Hoppenstedt Peter Altmaier Marie-Luise Dött Michael Grosse-Brömer Margaret Horb Artur Auernhammer Hansjörg Durz Markus Grübel Bettina Hornhues Dorothee Bär Jutta Eckenbach Manfred Grund Charles M. Huber Norbert Barthle Dr. Bernd Fabritius Oliver Grundmann Anette Hübinger Julia Bartz Hermann Färber Monika Grütters Hubert Hüppe Günter Baumann Uwe Feiler Dr. Herlind Gundelach Thomas Jarzombek Maik Beermann Dr. Thomas Feist Fritz Güntzler Sylvia Jörrißen Veronika Bellmann Enak Ferlemann Olav Gutting Andreas Jung Sybille Benning Ingrid Fischbach Christian Haase Dr. Franz Josef Jung Dr. André Berghegger Dirk Fischer (Hamburg) Florian Hahn Xaver Jung Dr. Christoph Bergner Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Stephan Harbarth Dr. Egon Jüttner Ute Bertram Land) Jürgen Hardt Bartholomäus Kalb Steffen Bilger Dr. Maria Flachsbarth Gerda Hasselfeldt Hans-Werner Kammer Clemens Binninger Thorsten Frei Matthias Hauer Steffen Kanitz Peter Bleser Dr. Astrid Freudenstein Mark Hauptmann Alois Karl Dr. Maria Böhmer Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Stefan Heck Anja Karliczek Wolfgang Bosbach (Hof) Dr. Matthias Heider Bernhard Kaster 4222 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Volker Kauder Dr. Tim Ostermann Michael Stübgen Martin Dörmann (C) Dr. Stefan Kaufmann Henning Otte Dr. Sabine Sütterlin-Waack Elvira Drobinski-Weiß Roderich Kiesewetter Ingrid Pahlmann Dr. Peter Tauber Siegmund Ehrmann Dr. Georg Kippels Sylvia Pantel Antje Tillmann Michaela Engelmeier-Heite Volkmar Klein Martin Patzelt Astrid Timmermann-Fechter Dr. h. c. Gernot Erler Jürgen Klimke Dr. Martin Pätzold Dr. Hans-Peter Uhl Petra Ernstberger Axel Knoerig Ulrich Petzold Dr. Volker Ullrich Saskia Esken Jens Koeppen Dr. Joachim Pfeiffer Arnold Vaatz Karin Evers-Meyer Markus Koob Sibylle Pfeiffer Oswin Veith Dr. Johannes Fechner Carsten Körber Ronald Pofalla Thomas Viesehon Dr. Fritz Felgentreu Hartmut Koschyk Eckhard Pols Michael Vietz Elke Ferner Kordula Kovac Thomas Rachel Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr. Ute Finckh-Krämer Michael Kretschmer Kerstin Radomski Sven Volmering Christian Flisek Gunther Krichbaum Alexander Radwan Christel Voßbeck-Kayser Gabriele Fograscher Dr. Günter Krings Alois Rainer Kees de Vries Dr. Edgar Franke Rüdiger Kruse Dr. Peter Ramsauer Dr. Johann Wadephul Ulrich Freese Bettina Kudla Eckhardt Rehberg Marco Wanderwitz Michael Gerdes Dr. Roy Kühne Katherina Reiche (Potsdam) Nina Warken Martin Gerster Uwe Lagosky Lothar Riebsamen Kai Wegner Iris Gleicke Dr. Karl A. Lamers Josef Rief Albert Weiler Ulrike Gottschalck Andreas G. Lämmel Dr. Heinz Riesenhuber Marcus Weinberg (Hamburg) Kerstin Griese Dr. Norbert Lammert Johannes Röring Peter Weiß (Emmendingen) Gabriele Groneberg Katharina Landgraf Dr. Norbert Röttgen Sabine Weiss (Wesel I) Michael Groß Ulrich Lange Erwin Rüddel Ingo Wellenreuther Uli Grötsch Barbara Lanzinger Albert Rupprecht Karl-Georg Wellmann Wolfgang Gunkel Dr. Silke Launert Anita Schäfer (Saalstadt) Marian Wendt Bettina Hagedorn Paul Lehrieder Andreas Scheuer Waldemar Westermayer Rita Hagl-Kehl Dr. Katja Leikert Karl Schiewerling Kai Whittaker Metin Hakverdi Dr. Philipp Lengsfeld Jana Schimke Peter Wichtel Ulrich Hampel Dr. Andreas Lenz Norbert Schindler Annette Widmann-Mauz Sebastian Hartmann Philipp Graf Lerchenfeld Tankred Schipanski Heinz Wiese (Ehingen) Dirk Heidenblut Antje Lezius Heiko Schmelzle Klaus-Peter Willsch Hubertus Heil (Peine) Ingbert Liebing Christian Schmidt (Fürth) Oliver Wittke Gabriela Heinrich Matthias Lietz Gabriele Schmidt (Ühlingen) Barbara Woltmann Marcus Held Tobias Zech (B) Andrea Lindholz Patrick Schnieder Wolfgang Hellmich (D) Dr. Carsten Linnemann Dr. Andreas Schockenhoff Heinrich Zertik Dr. Barbara Hendricks Patricia Lips Nadine Schön (St. Wendel) Emmi Zeulner Heidtrud Henn Wilfried Lorenz Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Matthias Zimmer Gustav Herzog Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Klaus-Peter Schulze Gudrun Zollner Gabriele Hiller-Ohm Dr. Jan-Marco Luczak Uwe Schummer Petra Hinz (Essen) Daniela Ludwig Armin Schuster (Weil am SPD Thomas Hitschler Yvonne Magwas Rhein) Niels Annen Dr. Eva Högl Thomas Mahlberg Christina Schwarzer Ingrid Arndt-Brauer Matthias Ilgen Gisela Manderla Detlef Seif Heike Baehrens Christina Jantz Matern von Marschall Johannes Selle Ulrike Bahr Frank Junge Hans-Georg von der Marwitz Reinhold Sendker Heinz-Joachim Barchmann Josip Juratovic Andreas Mattfeldt Dr. Patrick Sensburg Dr. Katarina Barley Thomas Jurk Stephan Mayer (Altötting) Bernd Siebert Doris Barnett Oliver Kaczmarek Reiner Meier Thomas Silberhorn Dr. Hans-Peter Bartels Johannes Kahrs Dr. Michael Meister Johannes Singhammer Klaus Barthel Christina Kampmann Jan Metzler Tino Sorge Dr. Matthias Bartke Ralf Kapschack Maria Michalk Carola Stauche Sören Bartol Gabriele Katzmarek Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Wolfgang Stefinger Bärbel Bas Ulrich Kelber Dr. Mathias Middelberg Albert Stegemann Dirk Becker Marina Kermer Philipp Mißfelder Peter Stein Uwe Beckmeyer Cansel Kiziltepe Dietrich Monstadt Erika Steinbach Lothar Binding (Heidelberg) Arno Klare Karsten Möring Sebastian Steineke Burkhard Blienert Lars Klingbeil Dr. Gerd Müller Johannes Steiniger Willi Brase Dr. Bärbel Kofler Carsten Müller Christian Freiherr von Stetten Dr. Karl-Heinz Brunner Daniela Kolbe (Braunschweig) Dieter Stier Edelgard Bulmahn Birgit Kömpel Stefan Müller (Erlangen) Rita Stockhofe Marco Bülow Anette Kramme Dr. Philipp Murmann Gero Storjohann Martin Burkert Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Dr. Lars Castellucci Helga Kühn-Mengel Michaela Noll Max Straubinger Petra Crone Christine Lambrecht Helmut Nowak Matthäus Strebl Bernhard Daldrup Christian Lange (Backnang) Dr. Georg Nüßlein Thomas Stritzl Dr. Daniela De Ridder Dr. Karl Lauterbach Wilfried Oellers Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Karamba Diaby Steffen-Claudio Lemme Florian Oßner Lena Strothmann Sabine Dittmar Burkhard Lischka Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4223

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Hiltrud Lotze Matthias Schmidt (Berlin) Wolfgang Gehrcke Agnieszka Brugger (C) Kirsten Lühmann Dagmar Schmidt (Wetzlar) Diana Golze Ekin Deligöz Dr. Birgit Malecha-Nissen Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Gregor Gysi Katharina Dröge Caren Marks Ursula Schulte Heike Hänsel Harald Ebner Katja Mast Swen Schulz (Spandau) Dr. Rosemarie Hein Dr. Thomas Gambke Hilde Mattheis Ewald Schurer Inge Höger Matthias Gastel Dr. Matthias Miersch Frank Schwabe Andrej Hunko Kai Gehring Klaus Mindrup Stefan Schwartze Sigrid Hupach Katrin Göring-Eckardt Susanne Mittag Andreas Schwarz Ulla Jelpke Anja Hajduk Bettina Müller Rita Schwarzelühr-Sutter Susanna Karawanskij Britta Haßelmann Michelle Müntefering Dr. Carsten Sieling Katja Kipping Bärbel Höhn Dr. Rolf Mützenich Rainer Spiering Jan Korte Dieter Janecek Andrea Nahles Norbert Spinrath Caren Lay Uwe Kekeritz Dietmar Nietan Svenja Stadler Sabine Leidig Katja Keul Ulli Nissen Martina Stamm-Fibich Ralph Lenkert Sven-Christian Kindler Thomas Oppermann Sonja Steffen Stefan Liebich Tom Koenigs Mahmut Özdemir (Duisburg) Peer Steinbrück Dr. Gesine Lötzsch Sylvia Kotting-Uhl Markus Paschke Christoph Strässer Thomas Lutze Stephan Kühn (Dresden) Christian Petry Kerstin Tack Cornelia Möhring Renate Künast Jeannine Pflugradt Claudia Tausend Niema Movassat Markus Kurth Detlev Pilger Michael Thews Dr. Alexander S. Neu Monika Lazar Sabine Poschmann Franz Thönnes Thomas Nord Steffi Lemke Joachim Poß Carsten Träger Petra Pau Dr. Tobias Lindner Florian Post Rüdiger Veit Harald Petzold (Havelland) Nicole Maisch Achim Post (Minden) Ute Vogt Richard Pitterle Peter Meiwald Dr. Wilhelm Priesmeier Dirk Vöpel Martina Renner Irene Mihalic Florian Pronold Gabi Weber Dr. Petra Sitte Beate Müller-Gemmeke Dr. Sascha Raabe Bernd Westphal Kersten Steinke Özcan Mutlu Dr. Simone Raatz Dirk Wiese Dr. Kirsten Tackmann Dr. Konstantin von Notz Martin Rabanus Waltraud Wolff Azize Tank Omid Nouripour Mechthild Rawert (Wolmirstedt) Frank Tempel Friedrich Ostendorff Stefan Rebmann Gülistan Yüksel Dr. Axel Troost Cem Özdemir Gerold Reichenbach Lisa Paus Dagmar Ziegler Kathrin Vogler Dr. Carola Reimann Brigitte Pothmer Stefan Zierke Halina Wawzyniak Andreas Rimkus Tabea Rößner Dr. Jens Zimmermann Birgit Wöllert (B) Sönke Rix Claudia Roth (Augsburg) (D) Manfred Zöllmer Jörn Wunderlich Dennis Rohde Corinna Rüffer Brigitte Zypries Hubertus Zdebel Dr. Martin Rosemann Manuel Sarrazin Sabine Zimmermann René Röspel Elisabeth Scharfenberg (Zwickau) Dr. Ernst Dieter Rossmann Nein Ulle Schauws Michael Roth (Heringen) Dr. Gerhard Schick DIE LINKE BÜNDNIS 90/ Susann Rüthrich Dr. Frithjof Schmidt DIE GRÜNEN Bernd Rützel Jan van Aken Kordula Schulz-Asche Johann Saathoff Dr. Dietmar Bartsch Hans-Christian Ströbele Dr. Wolfgang Strengmann- Annette Sawade Herbert Behrens Kuhn Karin Binder Dr. Hans-Joachim Enthalten Dr. Harald Terpe Schabedoth Heidrun Bluhm Markus Tressel Axel Schäfer (Bochum) Christine Buchholz Jürgen Trittin BÜNDNIS 90/ Dr. Nina Scheer Eva Bulling-Schröter Dr. Julia Verlinden DIE GRÜNEN Marianne Schieder Roland Claus Doris Wagner Udo Schiefner Sevim Dağdelen Luise Amtsberg Beate Walter-Rosenheimer Dr. Dorothee Schlegel Dr. Diether Dehm Annalena Baerbock Dr. Valerie Wilms Ulla Schmidt (Aachen) Klaus Ernst Volker Beck (Köln)

Jetzt hat die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Wir haben bereits heute Vormittag hier im Deutschen Grünen, das Wort. Bundestag gemeinsam des Ausbruchs des Ersten Welt- kriegs vor 100 Jahren gedacht. Dieser Jahrestag ist eine Chance, uns mit den verschiedensten Facetten einer der Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): größten kriegerischen Katastrophen in Europa und der Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- Welt zu beschäftigen. Als Generation, die diesen Krieg legen! Liebe Frau Dağdelen, lieber Herr Lengsfeld, eines nicht selbst erlebt hat und keine Gelegenheit mehr hat, vorweg: Diese Debatte hätte Karl Liebknecht so sicher sich mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auszutau- nicht gewollt. schen, müssen wir uns der Erinnerung anders stellen, als es unsere Eltern und Großeltern taten. Wir Grünen be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN grüßen daher ausdrücklich die verschiedenen Initiativen sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE zum Gedenken an diesen Krieg und an die vielen Millio- LINKE]) nen Opfer. 4224 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Ulle Schauws (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine Ver- Auch die Auseinandersetzung mit dem Leben oder Werk (C) antwortung für unsere Vergangenheit. Diese Verantwor- verfolgter Künstlerinnen und Künstler muss gestärkt tung zu übernehmen, bedeutet auch, die Menschen in ih- werden. rem friedlichen Streben nach Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen. Es bedeutet auch, Aber nicht nur vergangene Verbrechen sind zentral. Repressionen entgegenzutreten und sich für den Schutz Wir müssen unseren Blick auch auf überlebende Opfer, von Menschenrechten einzusetzen. beispielsweise des NS-Terrors, richten, die bislang nur wenig Anerkennung erfahren haben. Das gilt zum Bei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spiel für die überlebenden Kriegsgefangenen aus der sowie des Abg. Martin Dörmann [SPD]) Sowjetunion. Die Lehren aus der Vergangenheit geben uns aber Erinnerung und Aufarbeitung dürfen aber nicht nur auch einen ganz klaren kulturpolitischen Auftrag mit auf eine staatliche Angelegenheit sein. Es ist gerade ein Ver- den Weg, und den nehmen wir sehr ernst. Die Verant- dienst der Zivilgesellschaft, den kritischen Umgang mit wortung Deutschlands für die Verbrechen der beiden der Geschichte einzufordern und Versäumnisse aufzuho- Weltkriege und der DDR als Unrechtsstaat muss ihren len. Wenn sich unsere Aufarbeitung nicht auf offizielle Niederschlag in einer vielfältigen Erinnerungskultur fin- Gedenkfeiern und das Anbringen von Gedenktafeln be- den. Wenn diese Verantwortung keine Worthülse sein schränken soll, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann soll, dürfen sich unsere Initiativen nicht nur in Feierlich- müssen wir einmal mehr die Initiativen aus der Mitte der keiten zu Gedenktagen niederschlagen. Gesellschaft fördern. Die Fraktion Die Linke hat den vorgelegten Antrag Die Lehren aus der Geschichte dürfen wir nie verges- zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs sen; sie helfen uns, unsere Demokratie und Menschen- zum Anlass genommen, um an Karl Liebknecht und rechte täglich mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu ver- seine Ablehnung der Kriegskredite zu erinnern. Liebe teidigen. Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich verstehe Ihre Vielen Dank. Motivation; aber mir greift diese Initiative zu kurz. Wir wissen, dass bei späteren Abstimmungen zu den Kriegs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN krediten auch 30 weitere Abgeordnete den Saal verlie- sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] ßen; auch diese hätten eine Würdigung verdient. [SPD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr rich- Vizepräsident Johannes Singhammer: (B) tig!) Für die Sozialdemokraten spricht jetzt die Kollegin (D) Hiltrud Lotze. Um dem Anspruch eines verantwortungsvollen Um- gangs mit unserer Vergangenheit gerecht zu werden, ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nügt es meines Erachtens nicht, Gedenktafeln für eine einzelne Persönlichkeit zu fordern. Jenseits aller Ge- Hiltrud Lotze (SPD): denkveranstaltungen brauchen wir eine eigenständige, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! starke, lebendige Erinnerungskultur. Denn wie sonst Sehr verehrte Gäste auf der Besuchertribüne! Wir haben sollten wir ein kollektives Gedächtnis jenseits der Zeit- heute bei der Gedenkstunde aus Anlass des 100. Jahres- zeuginnengeneration wachhalten? tages des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs Alfred Grosser gehört. Er hat den Ersten Weltkrieg und seine Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Aspekt, Folgen sehr differenziert beleuchtet, und das war dem der mir wichtig ist: Auch heute finden wir Formen der Anlass angemessen. Kriegsverherrlichung, des Rechtsextremismus und Anti- semitismus in unserer Gesellschaft, und zwar bis weit in Der Antrag der Linken wird dem Anlass nicht ge- ihre Mitte. Eine lebendige und vielfältige Erinnerungs- recht. kultur ist daher eine entscheidende Voraussetzung dafür, diesen Tendenzen offensiv entgegenzutreten. Dem Be- (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Also keine reich der politischen Bildungsarbeit kommt dabei eine Tafel! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: entscheidende Aufgabe zu. Gerade hier müssen wir neue Welchem Anlass?) und innovative Formen der Erinnerungskultur systema- – Dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg. – Er miss- tisch verankern. braucht das Gedenken an den Ersten Weltkrieg für par- teipolitische Motive, indem er uns, den Bundestag, auf- Die Aufarbeitung unserer Vergangenheit, liebe Kolle- fordert, alleine Karl Liebknecht mit einer Gedenktafel zu ginnen und Kollegen, ist in vielerlei Hinsicht ein offenes ehren. Kapitel, beispielsweise der deutschen Kolonialge- schichte; ihre Verbrechen und ihre Kontinuität verdienen Die Kolleginnen und Kollegen der Linken nehmen in in der Forschung und der Erinnerung mehr Aufmerk- ihrem Antrag eine Wahrheitsgewissheit für sich in An- samkeit, als es bislang der Fall ist. spruch, die nicht zur Realität passt. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Haben wir (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem beantragt!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4225

Hiltrud Lotze (A) Ihr so leicht dahingeworfenes Urteil über die Schuld der Ich meine nur, dass wir damit der Komplexität und der (C) wirtschaftlichen Eliten des deutschen Kaiserreiches und Bedeutung dieses Themas nicht gerecht werden. Das seiner politischen und militärischen Führung, wie es im weiß auch die Linke, und dennoch hat sie diesen Show- Antrag heißt, blendet die Wirklichkeit des Jahres 1914 antrag hier eingebracht, dessen Absicht doch sehr durch- aus. sichtig ist. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach so! Da sind (Zuruf von der LINKEN: Das ist ernst ge- wir aber gespannt!) meint! Todernst!) Sie ignorieren die Ergebnisse neuerer historischer For- Jeder hier weiß doch, dass Sie mit Ihrem Antrag – Sie schungen zu Ursache und Verlauf des Krieges, und Sie haben es auch in Ihrer Einführung gesagt –, den damali- ignorieren vor allen Dingen auch die öffentliche De- gen SPD-Politiker und späteren Gründer der KPD, Karl batte, die gerade in diesem Jahr sehr differenziert geführt Liebknecht, zu ehren, gleichzeitig auf die schwierige wird. Sie ignorieren letztendlich auch die vielen Begeg- Rolle der SPD in den Jahren 1914 ff. verweisen wollen, nungen auf verschiedenen politischen und gesellschaftli- weil die SPD 1914 im sogenannten Burgfrieden den chen Ebenen zwischen Menschen, die sich vergeben Kriegskrediten zugestimmt hat. wollen und die der Opfer des Krieges gedenken. Ich sage: Ihr Antrag ist ein vergifteter Antrag. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Also so was!) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Unser An- trag ist richtig!) Wir wissen heute, dass die Katastrophe Erster Welt- krieg nicht nach einem einfachen Muster erklärt werden Es ist unwürdig, an so einem Tag – wir haben heute kann. Morgen in einer sehr ehrenvollen Gedenkstunde an den Ersten Weltkrieg erinnert und seiner Opfern gedacht – (Lachen des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE solch eine Nummer abzuziehen, wie Sie das mit Ihrem LINKE]) Antrag tun. Tiefes Misstrauen unter den europäischen Großmächten (Zuruf von der LINKEN: Sie sollten sich ein- und verhängnisvolle politische Fehleinschätzungen, das mal Ihre Wortwahl überlegen!) Versagen der Eliten und das Versagen der Demokratie führten letztendlich zum Krieg. Nein, wir sind überzeugt davon, dass Europa im Mit- telpunkt des Gedenkens stehen muss; denn Europa ist (Niema Movassat [DIE LINKE]: Welche De- die Antwort auf die Frage nach Frieden. Deutschland (B) mokratie denn? – Heike Hänsel [DIE LINKE]: kann sich keine autistische Erinnerung und auch keine (D) Die kaiserliche Demokratie?) autistische Weltsicht leisten, und schon gar nicht eine rein parteipolitisch ausgerichtete, wie die Linke es mit Fakt ist: Es gibt unter den Historikern im Jahr 2014 ihrem Antrag macht. keinen Konsens über die Schuldfrage. Ich will diese Debatte hier auch gar nicht führen; der sogenannte His- Ich bin sehr froh, dass wir mit Frank-Walter torikerstreit zeigt, wie komplex diese Frage ist. Steinmeier einen Außenminister haben, der sich mit diplomatischen Mitteln unermüdlich für eine friedliche (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Waren Sie Lösung des Ukraine-Konflikts einsetzt. im Plenum heute Morgen?) (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Der Au- Aber trotz der neueren Forschungen: Die Verantwor- ßenminister hat Ihre Rede nicht verdient!) tung, die Deutschland für diese Katastrophe trägt, ist auch für die SPD unbestritten. Es ist für uns eine histori- Er leistet damit einen wesentlichen Beitrag dazu, dass es sche Verantwortung und auch ein politisches Vermächt- in Europa nie wieder Krieg gibt. nis. Das macht letztendlich die Idee eines Friedensrau- mes Europa so faszinierend und so wichtig für uns. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Karl Liebknecht war ohne Zweifel ein Politiker, der eine einmalige Weit- Wenn es so ist, dass wir uns alle der deutschen sicht auf die Ereignisse seiner Zeit hatte. Er war mutig, Verantwortung für den Ersten Weltkrieg, dieser Urkatas- und er war unbeirrbar, und er musste für seine Überzeu- trophe des 20. Jahrhunderts, bewusst sind, und wenn wir gungen mit seinem Leben zahlen. Das ist zu würdigen. uns vor allen Dingen der Lehren bewusst sind, die wir Nicht ohne Grund haben Sie Ihre Parteizentrale nach aus dieser Katastrophe ziehen müssen, kann der Beitrag ihm benannt. Dort ist dann auch der richtige Ort für eine des Bundestages dann darin bestehen, eine Gedenkpla- Gedenktafel, die an diese mutigen Leistungen von Karl kette für eine Person an die Wand zu nageln? Liebknecht erinnert. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: „An die Ich danke für die Aufmerksamkeit. Wand zu nageln“?) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich meine das nicht despektierlich, Gedenktafeln sind absolut notwendig für unsere Erinnerung. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, die wer- Als Nächste spricht die Kollegin Julia Bartz, CDU/ den auch nicht an die Wand genagelt!) CSU. 4226 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Intakte Bündnisse müssen aber auch wehrhaft sein. (C) neten der SPD) Vielleicht ist gerade das eine zentrale Lehre aus dem Ersten Weltkrieg und den aktuellen Geschehnissen an Julia Bartz (CDU/CSU): den Ostgrenzen der Europäischen Union. Zwar haben Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Zukunfts- und Überlebensängste den Ersten Weltkrieg Kollegen! Vor 100 Jahren herrschte in Europa eine Si- begünstigt, doch insbesondere der Irrglaube, dass Krieg tuation, die zwar zu den besten wissenschaftlich aufgear- als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zwischen beiteten Epochen der Menschheitsgeschichte gehört, Großmächten irgendwie kalkulierbar sei, hat die Kata- aber trotzdem mehr Fragen aufwirft, als Antworten gibt. strophe möglich gemacht. Deshalb müssen wir als Parla- Wie konnten Staaten und Imperien mit verwandtschaft- ment zukünftig unsere inzwischen recht kleinen Streit- lich eng verbundenen Königshäusern und aufgeklärten kräfte noch stärker in die Lage versetzen, sich so tief in Bevölkerungen innerhalb kürzester Zeit in einen Ver- unsere Bündnisse zu integrieren wie nur irgend möglich, nichtungskrieg industriellen Ausmaßes ziehen, einen sich so gut auszurüsten wie technologisch machbar und Krieg, der unsere Landkarte bis in unsere Zeit so verän- für potenzielle Herausforderer unserer Bündnisse so dert hat, dass selbst wir hier in diesem Haus uns in den glaubhaft abschreckend wie nur irgendwie möglich zu letzten Wochen noch mit den Auswirkungen beschäftigt sein. Intakte, wehrhafte Bündnisse schützen unsere Si- haben? So haben wir Mandate für unsere Soldatinnen cherheit und unseren Wohlstand. und Soldaten erteilt, um auf dem Balkan, im Nahen Aber ein Großteil der Menschen auf diesem Planeten Osten und in Afrika für Stabilität zu sorgen. lebt ganz anders als wir, weit entfernt von dem Wohl- In den Jahrzehnten vor dem Kriegsausbruch war viel stand, den wir als Existenzminimum definieren. Auf erreicht worden, politisch, wirtschaftlich, wissenschaft- meinen Reisen nach Mali und Afghanistan habe ich das lich. Aber anstatt daraus Sicherheit und Zuversicht zu mit eigenen Augen gesehen, und obwohl ich genau ziehen, herrschte gerade bei den Regierungen Zukunfts- wusste, was mich dort erwarten würde, hat es mich sehr und Überlebensangst. In einer Situation, in der die Nati- berührt. In vielen Teilen der Erde gibt es mehr Smart- onalstaaten in unsicheren Bündnissen lebten, entstand phones als Toilettenspülungen. 2,6 Millionen Menschen ein fataler Nährboden. Die Marokko-Krise, der Panther- leben von weniger als 2 Dollar pro Tag. Diese Menschen sprung nach Agadir und das Attentat von Sarajewo wa- wissen aber über das Internet ganz genau, in welchem ren dann nur noch relativ beliebig austauschbare Kataly- Wohlstand wir hier in Europa leben. Allein in den ver- satoren. gangenen Monaten sind Zigtausende Flüchtlinge nach Europa aufgebrochen, und es werden immer mehr. 100 Jahre später sieht Europa anders aus. Ein Jahr- (B) hundert voller Höhen und Tiefen hat seine Spuren hin- Wir werden also nicht umhinkommen, mehr Verant- (D) terlassen und wichtige Lektionen erteilt. Wir haben ge- wortung in der Welt zu übernehmen. In einer immer ver- lernt, dass wir im friedlichen Miteinander weit mehr netzteren Welt werden wir vernetzte Antworten auf erreichen können. Wir haben gelernt, dass sich umsich- komplexe Probleme finden müssen. Diese Antworten tige und weitsichtige Menschen über tiefe Gräben hin- liegen in einem vernetzten Politikansatz. Das heißt, es weg Hände reichen können. Wir haben auch gelernt, bedarf wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Diplomatie, Si- dass Imperien innerhalb kürzester Zeit verschwinden cherheits- und Verteidigungspolitik aus einem Guss. Nur und Revolutionen nahezu friedlich verlaufen können und so können wir langfristig unseren Wohlstand erhalten, dass international aufwachsende, global denkende und für Sicherheit in Europa sorgen und Frieden in der Welt vernetzte Generationen Nationalismen weit weniger be- erreichen. tonen und optimistisch in die Zukunft schauen können. Vielen Dank. Vor bald 25 Jahren dachten vielleicht einige von Ih- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen – ich selbst war damals noch sehr jung –, ein wenig neten der SPD) vom Glück der Situation berauscht, über ein aufziehen- des Jahrhundert des Friedens nach. Bis vor wenigen Wo- Vizepräsident Johannes Singhammer: chen gingen wir ja auch im Großen und Ganzen davon aus, dass eine enge Verflechtung der Gesellschaften und Der Kollege Wolfgang Gehrcke, Die Linke, spricht Wirtschaften imperiales Denken und Großmachtsehn- jetzt als nächster Redner. süchte verhindern können. Dass dies trügerisch war, ha- (Beifall bei der LINKEN) ben wir in unserer unmittelbaren östlichen Nachbar- schaft erlebt. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Wir sind heute glücklicherweise in intakte und starke Schönen Dank, Herr Präsident. – Wir wollten hier Bündnisse integriert, und die gewachsene tiefe Freund- eine Debatte über die geschichtlichen Hintergründe und schaft zu unseren Nachbarn, die noch vor 100 Jahren un- über Widersprüche – Karl Liebknecht kann man nur dif- sere Gegner waren, ist belastbar. Unser Weg zu einem ferenziert betrachten, genauso wie Rosa Luxemburg; das vollkommen geeinten und friedlichen Europa wird zwar ist doch selbstverständlich – anstoßen, und wir wollten noch Generationen dauern, ist aber wohl die einzige eine Debatte über die Erinnerungskultur hier im Hause sinnvolle Möglichkeit für uns alle, Sicherheit und Wohl- anstoßen. Dass es viele andere Plätze gibt, die an Karl stand zu gewährleisten. Das wissen auch die europäi- Liebknecht erinnern, ist kein Argument, warum nicht schen Bürgerinnen und Bürger sehr genau. auch in diesem Parlament, in dem die Auseinanderset- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4227

Wolfgang Gehrcke (A) zungen stattfanden, in besonderer Art und Weise an Karl Vor dem Hintergrund der großen Rede, die Alfred (C) Liebknecht erinnert werden sollte. Grosser gehalten hat, schäme ich mich schon ein biss- chen dafür, wie diese Debatte verläuft. (Beifall bei der LINKEN) (Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Das liegt vor Mit einer künstlerisch gestalteten Plakette oder Tafel allem an Ihrem Beitrag!) – wie auch immer – möchte ich eine Debatte vom Zaune brechen und die Erinnerung an Karl Liebknecht wach- Man muss nicht alles teilen; aber man sollte sich erst halten, an einen beeindruckenden, mutigen Abgeordne- einmal auf dieses Niveau einlassen. ten, der als Einzelner gegen eine große Fraktionsmehr- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Christoph heit in dieser Frage gestimmt hat und konsequent Bergner [CDU/CSU]: Das sollten Sie sich geblieben ist. Diesen Mut muss man in diesem Parla- selbst auch mal vornehmen!) ment doch würdigen können, Frau Lotze. Da ich nicht so viel Zeit habe, will ich Ihnen jetzt nicht vorlesen, was – Ja, „Setzen, sechs!“ für Sie. unser Parlamentspräsident, Herr Lammert, dazu ge- Ich möchte gern, dass man auch über die Haltung von schrieben hat. Er ist darauf eingegangen und hat den Mut Karl Liebknecht, die damaligen Auseinandersetzungen von Karl Liebknecht gewürdigt. und die Spaltung der Arbeiterbewegung nachdenkt; das (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Frau Lotze ist für mich ein wichtiges Thema. Die Spaltung der Ar- auch!) beiterbewegung in diesem Lande hat mit dazu beigetra- gen, dass die Nazis die Macht erobern konnten. Die Es geht darum, diesen Mut hier im Parlament zu würdi- Spaltung der Arbeiterbewegung aufzuheben, das bleibt gen und nicht nur an anderen Plätzen. für mich die große Herausforderung, der wir alle gerecht werden müssen. Ich möchte, dass die aus meiner Sicht entscheidende Frage der damaligen Zeit – ja oder nein zu Kriegskredi- (Beifall bei der LINKEN) ten und damit ja oder nein zum Krieg – hier wieder auf- Das wird nicht immer ganz einfach werden. gerufen wird. Damit werden wir uns immer auseinander- setzen müssen. In einer Zeit der Trommeln und (Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Sie hatten Hurrarufe hat Karl Liebknecht eine andere Richtung ein- doch die SED!) geschlagen. Ich glaube, diese Richtung ist für die Ge- schichte Deutschlands von außerordentlich großer Be- – Ich will die SPD ja gar nicht vorführen. deutung und darf daher nicht verdrängt werden. (Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Die SED!) (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) Ich will sie ja gewinnen; das ist doch bekannt. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg haben ihre mu- tigen Enthaltungen später mit dem eigenen Leben be- (Heiterkeit bei der SPD) zahlt. Hunderttausenden Menschen war ihr Leben be- Ich würde Ihnen zum Schluss gern noch einen Gedan- reits auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges ken von Karl Liebknecht vorlesen, geraubt worden. Ich sage Ihnen: Wer über 1945 nach- denkt, über die Befreiung vom Faschismus, darf über (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Ich glaube, da- 1933, über die Machtübernahme der Nazis, nicht hin- für reicht die Zeit nicht mehr! Wie schade!) weggehen, und die Machtübernahme begann mit der Er- den er 1912 aufgeschrieben hat. Damals hat er geschrie- mordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, ben: mit dem Bündnis der Eliten des Kaiserreichs, den Mili- tärs, dem deutschen Kastenwesen und der Rüstungsin- Es kann kein Krieg mehr geführt werden, der nicht dustrie. Dagegen hat Liebknecht Widerstand geleistet. begeisterten Widerhall in der Masse der Bevölke- Bei aller Differenziertheit der Untersuchungen zum Ers- rung findet. ten Weltkrieg: Dieses furchtbare Bündnis – Kastenwe- sen, Militärs, Rüstungsindustrie – ist immer noch leben- Das war, wie gesagt, 1912. dig bzw. lebendig geblieben. Mit ihm muss man sich Und wie will man einen Krieg führen heutzutage, immer noch auseinandersetzen. wenn die Masse des Volkes nicht nur keine Begeis- terung für den Krieg empfindet, wenn sie mit Ab- (Beifall bei der LINKEN – Marco Wanderwitz scheu, Hass und Empörung den Kriegshetzereien [CDU/CSU]: Ach, das ist doch Quatsch! – gegenübersteht, wenn sie entschlossenen Willen be- Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Eine sehr, sitzt, den Weltfrieden aufrechtzuerhalten, koste es, sehr verblendete Sicht haben Sie!) was es wolle. Hier im Bundestag haben wir in einer Gedenkstunde In dieser Frage war Karl Liebknecht, wie auch in an- gemeinsam die Rede des französischen Publizisten deren Fragen, seiner Zeit voraus. Alfred Grosser als geistige Herausforderung wahrge- nommen. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Sie haben Herr Kollege Gehrcke, auch bei großzügiger Ausle- offensichtlich nicht zugehört!) gung der Redezeit müssen Sie zum Schluss kommen. 4228 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): den Krieg zu einer Spaltung geführt hat, die uns an vie- (C) Ja, okay, ich komme zum Schluss. – In dieser Frage len Stellen schwerstens zu schaffen gemacht hat und die war Liebknecht seiner Zeit, wie gesagt, voraus. Heute uns in Form weiterer Spaltungen – siehe Existenz der erleben wir, dass Kriege nicht mehr gegen den Willen Linkspartei und WASG-Gründung – bis in die heutige der Bevölkerung einfach vom Zaun gebrochen werden Zeit zu schaffen macht; überhaupt keine Frage. können. Ist das nicht eine gewaltige Errungenschaft? In Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied. 1914 diesem Punkt bin ich mit Deutschland mehr versöhnt, als hat der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, der ich es je gewesen bin. Auch darüber kann man doch ge- wie 13 andere in der Fraktion auch gegen die Kriegskre- meinsam nachdenken. dite war, gesagt: „In der Stunde der Gefahr lassen wir Herzlichen Dank. das Vaterland nicht im Stich“. – Es gab die Vorstellung, dass man angegriffen werden könnte. Der russische Za- (Beifall bei der LINKEN) rismus, der britische Imperialismus und die Revisionsbe- strebungen auf territorialer Ebene – auch in Frankreich – Vizepräsident Johannes Singhammer: haben dazu geführt, dass im Unterschied zu 1933/39 Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs- eben nicht diese Klarheit da war, sondern dass auch die punkt ist der Kollege Axel Schäfer, SPD. Mitglieder des Parlaments – auch die, die gegen den (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Krieg waren – von der OHL und allen Verantwortlichen, die damals an der Regierung waren, ein Stück desinfor- miert und hinter das Licht geführt wurden. Das ist der Axel Schäfer (Bochum) (SPD): grundlegende Unterschied. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Unterschied zwischen 1914 und 2014 ist in einem Punkt Das Verdienst von Karl Liebknecht, damals als Erster völlig klar: Der Beginn des Krieges 1914 war, besonders widersprochen zu haben, ist völlig unbestritten. Sehr in Deutschland, das Ergebnis der Erziehung für Verdun, viele, die hinterher in der Sozialdemokratie geblieben also der Vorbereitung auf den Krieg. Ich glaube, die his- oder zur Sozialdemokratie zurückgekommen sind, haben torische Beurteilung in Deutschland hat vor 50 Jahren ei- diesen Weg auch eingeschlagen. Viele von ihnen – ich nen entscheidenden Durchbruch erzielt, nämlich den, denke an Kurt Eisner – haben damals für ihre demokrati- dass die Hauptverantwortung dafür beim Deutschen Kai- sche und antimilitaristische Überzeugung mit dem Le- serreich lag; das ist der entscheidende Punkt. ben bezahlt. Auch das gehört zur historischen Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Warum können wir heute nicht einfach solch einen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Antrag beschließen? (B) (D) Wir müssen in dieser Debatte aber schon ein bisschen Ein Grund ist: Bei einem solchen Antrag ist es nicht differenzieren. Was die Kollegin Dağdelen hier darge- möglich, apodiktisch einfach zu sagen: Das war es; das legt hat, zeigt eine andere Traditionslinie, und zwar die war die Geschichte. Wir müssen uns darüber schon dif- Traditionslinie der KPD, für die der Hauptfeind immer ferenziert auseinandersetzen, und wir müssen auch die die SPD war. Wo das hingeführt hat – Stichwort „Sozial- Konsequenzen, die in der Demokratie gezogen worden faschismus“ etc. –, ist allgemein bekannt; das ist die an- sind, aus meiner Sicht anders würdigen und wertschät- dere Seite. zen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das stimmt Das allerwichtigste demokratische Ergebnis dieses so nicht, Herr Schäfer!) schrecklichen Ersten Weltkrieges, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, war, dass sich der Parlamentarismus, Die Ausführungen, die der Kollege Lengsfeld zu An- die Demokratie, die Frauengleichstellung und die Be- fang gemacht hat, kann ich alle unterstreichen. Aber ei- triebsräte durchgesetzt haben. Das ist auch erkämpft nes unterscheidet uns: Nein, man konnte am 15. Januar worden und war der fundamentale Unterschied zu 1945, 1919 nicht die Stalinisierung der KPD und alles andere, als es zur Niederlage und Befreiung kam. was dann geschah, sozusagen vorwegnehmen und sagen: In den Worten und Taten von Rosa Luxemburg und Karl Etwas anderes unterscheidet uns hier aber auch noch: Liebknecht war das alles angelegt. – Das ist wirklich Ganz viele, die 1914/1918 widerstanden und hinterher Unsinn. die Republik aufgebaut haben, wie insbesondere die Sozialdemokraten, aber auch die Liberalen und das Zen- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem trum, haben mit ihrem Leben dafür bezahlt, weil sie ge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen diejenigen für Demokratie standen, die den Krieg Darüber sollten Sie sich ein bisschen besser informieren herbeigeführt und hinterher mit der Durchstoßlegende und sich auch mit Rosa Luxemburgs Aussage „Freiheit die Demokratie kaputtgemacht haben. Das ist der ein- ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ auseinander- deutige Unterschied zu 1945. setzen. Gemeint waren diese Worte übrigens als Kritik Es ist jetzt nicht die richtige Reaktion, dass wir über an der Russischen Revolution und nicht als Kotau davor. das Anbringen einer Gedenktafel nachdenken. Ich Ja, Kollege Gehrcke, in einem Punkt haben Sie unbe- glaube, es ist wichtig für uns, dass wir eine Diskussion streitbar recht – das muss ein Sozialdemokrat auch vor darüber führen; denn spätestens seit der Rede von diesem Auditorium sagen –: Die SPD hat seit genau 100 Richard von Weizsäcker hat im Bundestag quer durch Jahren das Problem, dass die Auseinandersetzung um alle Parteien eine Entwicklung stattgefunden. Wir haben Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4229

Axel Schäfer (Bochum) (A) uns mit unserer Geschichte nach vorne gewandt ausei- sie reibungslos in das Melderecht eingefügt werden. Da- (C) nandergesetzt. Alle alten Ideologien, durch die viele bei geht es insbesondere um die steuerliche Gleichstel- Dinge beschönigt wurden – Deutschlands Rolle wurde lung von Ehen und Lebenspartnerschaften, die mit die- so heruntergeredet, dass möglichst die anderen Schuld sem Änderungsgesetz nachvollzogen werden soll. Trotz hatten und unsere Verantwortung relativiert wurde –, dieser fortgeschrittenen Stunde werden wir eine ausführ- wurden beseitigt. Damit ist zum Beispiel der 30. Januar liche Debatte führen. Ich glaube, das ist angesichts der 1933 nicht mehr vom 8. Mai 1945 zu trennen. Vorgeschichte gut und richtig so. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen im Der Bundesrat hat uns gebeten, zu prüfen, wie bei Ausschuss wirklich, in diesem Parlament mit dazu bei- Kirchen beschäftigte Personen, die eine Lebenspartner- zutragen, dass wir zu einer differenzierten, kritischen schaft führen, und wiederverheiratete Geschiedene in ih- und selbstkritischen Debatte kommen. Gedenktafeln ren Interessen geschützt werden können; denn diese sind richtig und wichtig; für die 94 Reichstagsabgeord- Lebenssituationen können Loyalitätsverstöße gegen neten, die 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz ge- kirchliche Vorschriften darstellen. Das heißt, sie können stimmt haben, ist das auch völlig unumstritten. Für alle arbeitsrechtliche Relevanz haben. Das war – so habe ich weiteren Diskussionen steht die SPD zur Verfügung. die Debatte wahrgenommen – der einzig wesentliche Vielen Dank. Diskussionspunkt zwischen den Parteien. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Einige Stichworte zum Verfahren, wie es bisher ge- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- laufen ist. Der Leiter des Kommissariats der deutschen NISSES 90/DIE GRÜNEN) Bischöfe, Prälat Dr. Jüsten, hat uns schriftlich mitgeteilt, dass die katholische Kirche die von den Meldebehörden übermittelten Daten, also auch den Personenstand, nicht Vizepräsident Johannes Singhammer: für arbeitsrechtliche Zwecke nutzt. Im Dialog mit der Ich schließe die Aussprache. katholischen Kirche haben wir mehrere Gespräche ge- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf führt, auch unter Einbeziehung der Oppositionsparteien. Drucksache 18/1950 (neu) an die in der Tagesordnung Wir haben auf Wunsch der Oppositionsparteien eine aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind da- Sachverständigenanhörung im Innenausschuss durchge- mit einverstanden, weil ich keinen Widerspruch höre. führt. Das heißt, wir wollen alle einbeziehen. Wir wollen Dann ist diese Überweisung so beschlossen. uns umfassend über dieses Thema informieren und eine ausgewogene Lösung finden. Ich denke, inhaltlich haben Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf: wir eine gute Lösung gefunden, wie auch die Debatte im (B) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Innenausschuss gezeigt hat. (D) regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Aber dennoch ein Hinweis auf das geltende Recht. zes zur Änderung des Gesetzes zur Fortent- Nach dem Zweckbindungsgrundsatz sind im Daten- wicklung des Meldewesens schutzrecht die Betroffenen schon jetzt geschützt; denn Drucksache 18/1284 Daten dürfen nach diesem Grundsatz nur zu dem Zweck verwendet werden, zu dem sie auch erhoben bzw. über- Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- mittelt worden sind. Das ist in diesem Fall das Steuer- schusses (4. Ausschuss) recht, aber nicht das Arbeitsrecht. Drucksache 18/2009 Die schriftliche Zusage von Prälat Jüsten hat sich in Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion den Gesprächen und in der Sachverständigenanhörung Bündnis 90/Die Grünen vor. bestätigt, aber dennoch wollen wir natürlich die Sorgen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für und Nöte ernst nehmen. Deswegen wird es eine Ergän- diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Dazu höre zung geben. Es wird eine rechtsverbindliche Klarstel- ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. lung in den kirchlichen Amtsblättern der Bistümer ge- ben, also einen Hinweis, dass die Meldedaten nicht für Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- arbeitsrechtliche Zwecke genutzt werden dürfen. ner dem Kollegen Dr. André Berghegger, CDU/CSU, das Wort. Mit dieser Regelung hätte ich mich gut einverstanden erklären können. Sie wäre aus unserer Sicht ausreichend (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gewesen. Dennoch werden wir einen Änderungsantrag vorlegen, mit dem in § 42 des Bundesmeldegesetzes eine Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Klarstellung aufgenommen wird. Darin wird aufgenom- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und men, dass die übermittelten Daten nicht für arbeitsrecht- Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten ab- liche Zwecke genutzt werden dürfen. Wichtig ist aus un- schließend über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände- serer Sicht, dass hierdurch keine neuen Pflichten rung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewe- begründet werden. Das ist eine rein deklaratorische Än- sens; der Titel ist so kompliziert, dass man ihn derung. Das ist eine angemessene Regelung. aufschreiben muss, um ihn fehlerfrei vorzutragen. Wir greifen diese Regelung nicht auf – Herr Beck, ich Wir werden mit diesem Änderungsgesetz verschie- greife Ihnen wahrscheinlich vor, das haben Sie auch im dene Veränderungen vornehmen und dafür sorgen, dass Innenausschuss gesagt –, weil Sie die Sachverständigen- 4230 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. André Berghegger Berghegger (A) anhörung beantragt haben, sondern weil wir von Anfang Schutz vor missbräuchlicher Datenverarbeitung. Bei die- (C) an Fragen und Unklarheiten vermeiden wollen. Deswe- sem Teil geht es um das verfassungsmäßige Recht auf gen erfolgt diese Klarstellung im Bundesmelderecht. informationelle Selbstbestimmung, den Schutz der Per- sönlichkeitsrechte bei der Datenverarbeitung und auch (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE den Schutz der Privatsphäre. GRÜNEN]: Vor zwei Wochen wollten Sie das noch unverändert verabschieden!) Selbstverständlich sind das alles Kriterien, bei denen – Gemach, gemach. – Noch ein Hinweis an dieser Stelle. sehr unterschiedliche Abwägungen und Bewertungen Die Kirchen haben aus dem verfassungsrechtlich garan- zum Tragen kommen. In der jetzigen Regierung haben tierten Selbstbestimmungsrecht gewissermaßen einen sich zwei Fraktionen gefunden, die oftmals gar nicht Anspruch darauf, vom Staat die zur Erfüllung ihrer Auf- genug Daten erheben können, wenn sie nur irgendwie gaben erforderlichen Daten und damit auch die Perso- verwendbar sind. Die Fraktionen, die eindeutig einen nenstandsdaten zu erfahren; denn die Familienstandsda- größeren Schwerpunkt auf die Geeignetheit und Verhält- ten brauchen sie zur Steuererhebung. Wir werden den nismäßigkeit der Datenerhebung Wert legen, also die Änderungsantrag der Grünen ablehnen. Er ist aus unse- Datensparsamkeit vertreten, finden sich in der Opposi- rer Sicht viel zu weitgehend. Er ist nicht erforderlich und tion zusammen. verfassungsrechtlich, höflich formuliert, sehr bedenk- Auch bei den aktuellen Melderechtsänderungen geht lich. es neben den notwendigen Anpassungen, die sich auf an- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. dere Rechtsänderungen beziehen, erneut um Fragen wie: Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Sammelwut oder Sammelsparsamkeit? Datenschutz oder eher großzügige Weitergabe im Vertrauen auf die kor- Bei mir – ich darf Sie noch einmal ansprechen, Herr rekte Verwendung der Daten? Beck – verfestigt sich der Eindruck, dass es Ihnen in die- ser Debatte eigentlich gar nicht um das Melderecht geht, Auch bei einer zugegeben sehr sachlichen Debatte im sondern Sie stellen – so haben Sie es in den Gesprächen Ausschuss, im Parlament, in Berichterstattergesprächen immer wieder betont – auf das Staatskirchenrecht ab. Ich und Sachverständigenanhörungen ist mit dem vorliegen- vermute – das ist mein Eindruck –, dass Sie wesentliche den Entwurf mit nicht akzeptablen Lösungsansätzen aus Elemente des Staatskirchenrechts infrage stellen. Das hat Sicht der Linken kein Fortschritt erzielt worden. Ich aber nichts mit diesem Melderecht zu tun, sondern das möchte auf einige Beispiele eingehen. muss an geeigneter Stelle thematisiert werden. Sie haben es schon angesprochen: Die Weitergabe (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE von Personenstandsdaten an Religionsgemeinschaften (B) GRÜNEN]: Das haben wir in der letzten als Arbeitgeber ist aus unserer Sicht nach wie vor ein Ri- (D) Wahlperiode auch getan!) siko für die betroffenen Beschäftigten. Lassen Sie uns hier über das Melderecht reden und (Beifall bei der LINKEN) das Staatskirchenrecht an der geeigneten Stelle diskutie- ren. Deswegen werbe ich um den aus meiner Sicht ange- Eine Lebenspartnerschaft oder auch eine zweite Ehe- messenen Vorschlag der Änderung des Melderechtes. schließung nach einer Scheidung können zum Beispiel in der katholischen Scheidung zur Kirche führen. Wir werden auf Wunsch der Länder das Inkrafttreten des Gesetzes vom 1. Mai auf den 1. November 2015 hin- (Heiterkeit) ausschieben. Das ist eine angemessene Lösung. – Okay: in der katholischen Kirche zur Scheidung füh- Herzlichen Dank für das freundliche Zuhören. ren. Das sei mir um diese Zeit verziehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall) Der Änderungsantrag der Regierungskoalition stellt Vizepräsident Johannes Singhammer: zumindest die Absicht klar, diese Datenermittlung nicht Für die Linken spricht jetzt der Kollege Frank arbeitsrechtlich zu verwenden. Wir respektieren auch, Tempel. dass es nach dieser gründlichen Debatte zu diesem Än- (Beifall bei der LINKEN) derungsantrag kommt, aber er ist aus unserer Sicht nicht ausreichend und nicht bestimmt genug. Frank Tempel (DIE LINKE): (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, wir debattieren heute noch einmal ge- Denn machen wir uns nichts vor: Wenn diese Erkenntnis setzliche Änderungen zur Fortentwicklung des Melde- zum Beispiel über die erneute Eheschließung eines Kir- wesens. Das habe ich mir auch aufgeschrieben. chenbeschäftigten erst einmal bei seinem Arbeitgeber angekommen ist, dann lässt sich auch sehr schnell eine Das heißt, auf der einen Seite geht es um notwendige Ersatzbegründung finden, und dann kommt es eben doch Datenerhebungen vom Bürger für den Staat, um grund- zur Kündigung. Das kann nicht im Sinne eines Meldege- sätzlich eine Vielzahl von staatlichen Verwaltungsvor- setzes sein. gängen zu ermöglichen. Auf der anderen Seite geht es in einem solchen Gesetz auch um den Datenschutz, also (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4231

Frank Tempel (A) Merkwürdig ist auch ein weiterer Teil – wir bleiben ten des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens (C) immer schön beim Meldegesetz, wie Sie es gefordert ha- notwendig sind, zum anderen wird die steuerliche ben –: Gegen die allgemeine Übermittlung der Daten an Gleichstellung von Ehen und eingetragenen Lebenspart- Religionsgemeinschaften können bestimmte Familien- nerschaften, die das Bundesverfassungsgericht ange- mitglieder Widerspruch einlegen. Nach dem Gesetzent- mahnt hat, jetzt im Melderecht vollzogen. wurf können auch diese Widersprüche an die Religions- gemeinschaften übermittelt werden. Machen wir uns Diese Änderungen müssen wir jetzt vornehmen; denn nichts vor: Das hebelt den Schutzzweck des Wider- die Zeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes im November spruchs völlig aus. 2015 brauchen wir für die technisch-organisatorischen Umsetzungsmaßnahmen. Außerdem wollen wir mit dem (Beifall bei der LINKEN) Gesetz auch noch den Bundesrat zu seiner Sitzung am 11. Juli erreichen. Noch ein Beispiel zum Thema Religionsgemeinschaf- ten: Wozu sollen die frühere Anschrift eines Mitglieds Die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsge- der Religionsgemeinschaft sowie die aktuellen und frü- richts hat uns vor ein Problem gestellt, das auch der Bun- heren Adressdaten von Familienangehörigen übermittelt desrat thematisiert hat. Die Meldebehörden übermitteln werden? Mit der Erfüllung einer Aufgabe einer Reli- bisher die Daten über Begründung oder Auflösung einer gionsgemeinschaft hat das gar nichts zu tun. Auch mit Ehe an die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaf- Datensparsamkeit hat das nichts mehr zu tun. ten. Aufgrund der steuerlichen Gleichstellung von einge- tragenen Lebenspartnerschaften müssen die Daten über (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Begründung oder Auflösung einer solchen nun auch an NIS 90/DIE GRÜNEN) Religionsgemeinschaften übermittelt werden. Letztendlich wurde die Chance einer Änderung des Meldegesetzes nicht genutzt, um die von Datenschützern Die Religionsgemeinschaften benötigen diese Daten mehrfach geforderte Änderung vorzunehmen. Das hät- zum Beispiel für die Erhebung der Kirchensteuer oder ten wir bei dieser Gelegenheit machen können. Die Grü- für pastorale oder soziale Seelsorge. Das kann zu Proble- nen versuchen, das mit Änderungsanträgen zu erreichen, men führen. Prälat Dr. Jüsten erklärte in der Anhörung was wir natürlich mit unserer Zustimmung unterstützen zu diesem Gesetzentwurf – ich zitiere –: werden. Ich spreche von der Hotelmeldepflicht und auch Die als Körperschaft des öffentlichen Rechts ver- der Pflicht des Wohnungsgebers zur Mitwirkung bei An- fassten Kirchen haben nach alledem einen An- und Abmeldung, weil Aufwand und Nutzen nicht im spruch auf Übermittlung des Familienstandes. Ich Verhältnis stehen. Das hätte man schon längst kürzen möchte bereits an dieser Stelle zugleich deutlich (B) können. machen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Reli- (D) Es ist auch bei der Regelung geblieben, dass Unter- gionsgemeinschaften auch umfasst, dass die Reli- nehmen, die bei den Meldeämtern personengebundene gionsgemeinschaften ihren Beschäftigten Loyali- Daten erwerben, die Einwilligung des jeweiligen Bür- tätsobliegenheiten auferlegen können, die sich auch gers zur Weitergabe vorlegen. Sicherer wäre gewesen, auf das Privatleben erstrecken. die Meldebehörden holen sich diese Einwilligung selber. Das bedeutet, dass sich Beschäftigte der katholischen Dann hätten sie die Gewährleistung, dass diese echt ist, Kirche auch in ihrer privaten Lebensführung an die mo- bevor sie die Daten an Unternehmen weitergeben. ralischen Vorgaben der Kirche halten müssen. Eingetra- (Beifall bei der LINKEN) gene Lebenspartnerschaften und die Wiederverheiratung nach einer Scheidung entsprechen nicht diesen Vorstel- Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit solchen Schwach- lungen. stellen im Datenschutz gespickt, ist es leider ein Gesetz geworden, dem die Linke auch nach der sachlichsten Prälat Dr. Jüsten, als Vertreter der katholischen Kir- Debatte nicht zustimmen kann. che, versicherte in der Anhörung, dass die Meldedaten, vor allem der Familienstand, noch nie für arbeitsrechtli- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- che Zwecke verwendet wurden. Das mag durchaus sein. NIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Pfarrer in einer Gemeinde hat sicherlich andere Möglichkeiten als die Meldedaten, um etwas über die Vizepräsidentin Claudia Roth: Lebenssituation seiner Beschäftigten zu erfahren. Man- Vielen Dank, Herr Kollege. – Einen schönen Abend ches erfährt er von den Betroffenen selbst, manches si- von mir, auch einen schönen Abend unseren späten Gäs- cherlich auch über die Kollegen und Kolleginnen der ten hier im Parlament. Die nächste Rednerin ist Gabriele Betroffenen. Fograscher für die SPD. Wir als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen es aus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten drücklich, dass die katholische Kirche eine Klarstellung der CDU/CSU) zum Melderecht in den Amtsblättern ihrer Bistümer ver- öffentlicht hat. Darin heißt es: Gabriele Fograscher (SPD): Zur Klarstellung wird nachdrücklich darauf hinge- Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen wiesen, dass die seitens der kommunalen Melde- und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf regelt behörden übermittelten Daten nicht für arbeits- zum einen technische Einzelfragen, die zum Inkrafttre- rechtliche Zwecke, insbesondere die Anbahnung, 4232 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Gabriele Fograscher (A) Durchführung oder Beendigung von Beschäfti- zes zur Fortentwicklung des Meldewesens wieder einge- (C) gungsverhältnissen, genutzt werden dürfen. führt, ohne dass man neue Erkenntnisse gehabt hätte. Wir meinen, dass die entsprechende Vorschrift wieder in Doch bei dem Problem, das wir als Bundesgesetzge- den Papierkorb gehört. Deshalb haben wir Ihnen einen ber zu lösen haben, geht es nicht nur um die katholische Änderungsantrag auf Streichung dieser Vorschrift vorge- Kirche, sondern um alle Religionsgemeinschaften, die legt. Meldedaten erhalten oder in Zukunft erhalten könnten. Ähnliches gilt für die leidige Hotelmeldepflicht. Hier (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE fragt man sich: Wozu müssen wir das alles wissen? GRÜNEN]: Sehr richtig!) Misstrauen wir allen Menschen, die in ein Hotel gehen? Wir als Bundesgesetzgeber müssen deshalb zwischen Zumindest zur Durchführung eines Verwaltungsakts den berechtigten Interessen der Religionsgemeinschaf- braucht kein Mensch zu wissen, wer wann wo in wel- ten und den schutzwürdigen Interessen der betroffenen chem Hotel welche Nacht verbracht hat und welche Per- Beschäftigten einen Ausgleich finden. Deshalb halten sonen die Nacht miteinander verbracht haben. Das geht wir es für richtig, im Gesetz eine Klarstellung vorzuneh- den Staat nichts an. Deshalb sollte er diese Daten nicht men. Wir werden § 42 um die Worte „nicht jedoch zu ar- erheben. Wir schlagen Ihnen die Streichung der entspre- beitsrechtlichen Zwecken“ ergänzen. Ich möchte an die- chenden Vorschrift vor. ser Stelle noch einmal betonen, dass diese Ergänzung kein Misstrauen gegenüber der katholischen Kirche zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausdruck bringen soll. Es geht um alle öffentlich-recht- und bei der LINKEN) lich anerkannten Religionsgemeinschaften, nicht nur um Richtig gestritten haben wir uns aber nicht über diese die katholische Kirche. Fragen. Denn es war klar: Hier liegen wir so weit ausei- Bündnis 90/Die Grünen haben Änderungsanträge ge- nander, dass wir nicht zusammenkommen. Richtig aus- stellt. So soll zum Beispiel die Mitwirkungspflicht des einandergesetzt haben wir uns über die Weitergabe von Wohnungsgebers bei An- und Abmeldung wieder abge- Familienstandsdaten an Religionsgemeinschaften, die schafft werden und die Hotelmeldepflicht entfallen. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Hier zeigt Beide Anliegen haben wir in der Debatte über das Bun- sich, dass die Opposition dazu beigetragen hat, dass die desmeldegesetz ausführlich diskutiert und begründet. Große Koalition zur Besinnung gekommen ist. Sie woll- Wir werden deshalb diese Diskussion hier nicht mehr ten ursprünglich in der letzten Sitzungswoche vor der fortsetzen und lehnen die Anträge ab. Haushaltswoche das Gesetz unverändert verabschieden. Heute legen Sie es mit einer Änderung vor. Das Bundesmeldegesetz in der jetzt geänderten Fas- (B) sung, das 2015 in Kraft treten wird, ist ein wichtiger Nun wird immerhin festgelegt – das ist nur die zweit- (D) Baustein hin zu einer modernen Verwaltung. Ich danke beste Lösung; wir haben die beste –, dass Melderechts- an dieser Stelle den Mitberichterstattern sowie den Mit- daten betreffend den Familienstand nicht für arbeits- arbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für die rechtliche Zwecke missbraucht werden dürfen. Das ist Unterstützung. meines Erachtens – hier habe ich eine andere Meinung als Sie, Herr Tempel – eine rechtlich relevante Ände- Herzlichen Dank. rung. Es ist mir egal, um welche Religionsgemein- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) schaften es dabei geht: um die katholische Kirche, die Mormonen, die Zeugen Jehovas oder die künftigen isla- mischen Wohlfahrtsverbände. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Fograscher. – Nächster In Zukunft muss ein Arbeitgeber, der jemanden we- Redner in der Debatte ist Volker Beck für Bündnis 90/ gen Wiederverheiratung oder einer geschlossenen Le- Die Grünen. benspartnerschaft kündigen will, darlegen, dass die ent- sprechenden Informationen nicht aus den Meldedaten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stammen. Unter Umständen muss er auch darlegen, dass er, wenn er eine andere Quelle angibt, diese Quelle nicht Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist erst angezapft hat, als er schon Ermittlungswissen aus mir zu dieser späten Stunde eine besondere Freude, zum den Melderechtsdaten hatte, aufgrund dessen er wusste, ersten Meldewesenfortentwicklungsänderungsgesetz re- dass es sich um einen lotterhaft lebenden Menschen han- den zu dürfen. Es ist das erste seiner Art und ist deshalb delt, und dass er nicht über diesen Weg einen zweiten von ganz besonders epochaler Wirkung. Beleg gesucht hat, den er arbeitsrechtlich verwenden Wir führen in diesem Hohen Haus schon länger eine darf. Das werden die Arbeitsgerichte zukünftig den Reli- Diskussion über die Frage, was wir im Melderecht im gionsgemeinschaften, die so etwas praktizieren, nicht Sinne der Datensparsamkeit brauchen; denn Datenspar- durchgehen lassen. Insofern ist das ein Schritt voran. samkeit ist einfach der beste Datenschutz. Daten, die es nicht gibt, können nicht zu anderen Zwecken miss- Sie haben völlig recht: Das hier ist nicht das Arbeits- braucht werden. recht. Es geht auch nicht um das Allgemeine Gleichbe- handlungsgesetz, bei dem solche Fragen in der Sache zu Im Melderechtsrahmengesetz wurden einst die Mit- regeln wären. Aber wir als Staat, als Melderechtgesetz- wirkungspflichten der Vermieter gestrichen, weil sie geber, haben die Aufgabe, darauf zu achten, dass die Da- nichts brachten. Dann wurden sie im Rahmen des Geset- ten, die wir in einem staatlichen Zwangsverhältnis von Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4233

Volker Beck (Köln) (A) den Bürgerinnen und Bürgern erheben, nicht zu ihrem Man konnte bei den Beratungen dieses Gesetzent- (C) Nachteil an Dritte weitergegeben werden. wurfs den Eindruck gewinnen, dass die Grünen die Kir- chen, insbesondere die katholische Kirche, unter den Ge- Da haben wir einen Fortschritt erreicht. Ohne die An- neralverdacht der datenschutzrechtlichen Untreue stellen hörung, die wir zusammen mit den Linken erzwungen wollen. Aus der Thematik wurde ein Politikum sonder- haben, hätten Sie, Frau Fograscher, das nicht durchbe- gleichen gemacht. Der Tiefpunkt war die Anhörung, in kommen. Insofern zeigt sich: Wo wir helfen können, hel- der der von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von fen wir gerne weiter. Dies ist ein schöner Tag, ein kleiner der Grünen-Fraktion, benannte Sachverständige das Erfolg für die grüne Opposition gemeinsam mit der Lin- Melderecht zum Vehikel für eine Generalabrechnung mit ken. der katholischen Kirche machte. Vielen Dank. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nau so war es!) und bei der LINKEN) Diese Äußerungen gehörten dort nicht hin. Schließlich saß man nicht in einem kirchenpolitischen Seminar der Vizepräsidentin Claudia Roth: Heinrich-Böll-Stiftung, sondern in einer Anhörung des Vielen Dank, Herr Kollege Volker Beck. Deutschen Bundestages zum Meldewesen. Der letzte Redner in dieser Debatte ist Dr. Tim (Beifall bei der CDU/CSU) Ostermann für die CDU/CSU-Fraktion. Sie haben dann – auch das haben wir schon gehört – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- einen Änderungsantrag vorgelegt, nach dem die Melde- neten der SPD) daten nur dann übermittelt werden dürfen, wenn die Kir- chen zuvor ausdrücklich erklärt haben, keine arbeits- rechtlichen Konsequenzen aufgrund eines bestimmten Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Familienstandes zu ziehen. Es hat sich schnell herausge- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten stellt, nicht zuletzt in der Anhörung, dass eine solche Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Regelung verfassungswidrig wäre. Sie wäre verfas- Wir widmen uns heute zum zweiten Mal und damit ab- sungswidrig, weil es ein im Grundgesetz garantiertes schließend der Fortentwicklung des Meldewesens. Ich Selbstbestimmungsrecht der öffentlich-rechtlichen Reli- habe es jetzt etwas abgekürzt. In meiner letzten Rede gionsgesellschaften gibt. In dieses Recht würde mit Ihrer hatte ich noch voller Hoffnung angekündigt, dass wir die Regelung in unzulässiger Weise eingegriffen. (B) Beratungen zu diesem Gesetz effektiv und zügig ab- (D) schließen werden. Das ist bedauerlicherweise nicht ein- (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- getreten. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Unstrittig ist die Umsetzung einiger Vorschläge, die Hinzu kommt, dass Ihr Vorschlag auch rechtssyste- der Bundesrat eingebracht hat. Dazu zählt einerseits die matisch daneben ist, Herr Beck. Sie wollen eine arbeits- Ergänzung der Datenübermittlung an öffentlich-rechtli- rechtliche Frage im Melderecht regeln. che Religionsgemeinschaften um die letzte frühere Anschrift der Mitglieder und Familienangehörigen (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE und andererseits die einmalige Übermittlung des Daten- GRÜNEN]: Nein!) bestandes zur Inbetriebnahme der regelmäßigen Daten- übermittlung. Das müssen Sie einmal denjenigen erklären, die dieses Recht anwenden müssten. Aber dies alles ficht Sie in Ein Punkt war und ist jedoch strittig: das Ansinnen keiner Weise an. des Bundesrates, für Kirchenbeschäftigte, die eine Le- benspartnerschaft führen oder als Geschiedene eine Als Ergebnis der langen Diskussionen steht nun zu zweite Ehe eingegangen sind, ein Sonderrecht zu schaf- Buche – das soll hier nicht unerwähnt bleiben –, dass die fen, das die Übermittlung von diesbezüglichen Daten an Einführung des Bundesmeldegesetzes um ein halbes die Kirchen verhindert. Damit sollen mögliche arbeits- Jahr verschoben werden muss. Aus meiner Sicht kann rechtliche Konsequenzen vermieden werden. man hier schon von einem schuldhaften Zögern spre- chen; denn man konnte nicht den Eindruck gewinnen, Dies hat zu reichlich Diskussionen und sogar einer öf- dass es den Grünen in erster Linie um das Melderecht fentlichen Anhörung des Innenausschusses geführt. Ich ging. Stattdessen haben sie den parlamentarischen Be- habe schon meine Zweifel, ob dies wirklich alles not- ratungsprozess zu diesem konkreten Gesetzgebungs- wendig war; denn schon jetzt dürfen die Kirchen die vorhaben dazu benutzt, eine Fehde mit der katholi- übermittelten Meldedaten nicht für arbeitsrechtliche schen Kirche auszutragen. Die vielen Vorteile, die das Zwecke einsetzen, und sie tun es auch nicht. Dies wurde neue Melderecht bringen wird, nämlich die Senkung der uns von Prälat Jüsten, dem Leiter des Kommissariats der Bürokratiekosten, wodurch die Wirtschaft laut Bundes- deutschen Bischöfe, versichert, und zwar glaubhaft und innenministerium jährliche Kosten im dreistelligen Mil- mehrfach. Schließlich bewegen sich die Kirchen nicht lionenbereich einspart, aber auch die Bekämpfung von im rechtsfreien Raum. Sie unterliegen ebenfalls Daten- Scheinanmeldungen – dies alles kann nun erst verspätet schutzbestimmungen und weiteren Vorschriften. starten. 4234 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. Tim Ostermann (A) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf. (C) NEN]: Wenn Sie nicht getrödelt hätten!) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene Liebe Kolleginnen und Kollegen, so viel Freude uns Mihalic, Hans-Christian Ströbele, Monika Lazar, allen die Beschäftigung mit dem Meldewesen bereitet, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- lieber Herr Beck, ist es dennoch auch ein Grund zur NIS 90/DIE GRÜNEN Freude, dass wir die Debatte mit unserem heutigen Be- Konsequenzen aus den Erkenntnissen des schluss zum Änderungsgesetz endlich abschließen kön- NSU-Untersuchungsausschusses nen. Drucksache 18/776 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Innenausschuss (f) neten der SPD) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Vizepräsidentin Claudia Roth: Technikfolgenabschätzung Danke, Herr Kollege. – Ich schließe die Aussprache. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Wir kommen zur Abstimmung über den von der die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Es gibt keinen Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. zur Änderung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Mel- Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an dewesens. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Be- Monika Lazar von Bündnis 90/Die Grünen. schlussempfehlung auf Drucksache 18/2009, den Gesetz- entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/1284 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen drei Än- Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): derungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! über die wir zuerst abstimmen. Vor circa einem Jahr haben alle Fraktionen des Bundes- tages einmütig in einem gemeinsamen Votum im Ab- Änderungsantrag auf Drucksache 18/2022. Wer schlussbericht zum NSU-Untersuchungsausschuss hier stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage- in diesem Hause bekräftigt – Zitat –: gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und Links- Wir müssen mehr gegen Rassismus und rechte Ge- fraktion mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ab- walt tun, auf allen Ebenen! Initiativen brauchen eine bessere und verstetigte Förderung. (B) gelehnt. (D) Änderungsantrag auf Drucksache 18/2023. Wer Dieser Konsens wurde im Frühjahr dieses Jahres wiede- stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage- rum vom ganzen Haus in einem Antrag für diese Wahl- gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit periode bekräftigt. Somit haben die Fraktionen und die den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung Ministerien Arbeitsaufträge für die nächsten drei Jahre. von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt. Die grüne Bundestagsfraktion gab zum Abschluss des Änderungsantrag auf Drucksache 18/2024. Wer NSU-Untersuchungsausschusses ein Sondervotum ab. stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage- Die wichtigsten Forderungen sind in den Antrag, über gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den wir heute diskutieren, eingeflossen. Wir fordern ei- den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung nen Neustart beim Bundesamt für Verfassungsschutz, von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt. Konzepte für eine neue Polizeikultur und eine langfris- tige und verlässliche Förderung von Initiativen gegen Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Rechtsextremismus. der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Kanzlerin Merkel versprach den Angehörigen der Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange- Opfer eine lückenlose Aufklärung. Doch bis heute sind nommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dage- immer noch viele Fragen unbeantwortet. So bitter es gen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten klingt: Ohne die Blindheit auf dem rechten Auge hätte hat sich die Linke. man den NSU früher enttarnen und Morde verhindern können. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die einzig wahre Opposition hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dagegen gestimmt!) Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) Dritte Beratung Die einzig logische Schlussfolgerung daraus muss und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenige, die dem lauten: Kein „Weiter so!“, sondern eine Zäsur und ein Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nun zu erheben. – Neustart bei der Sicherheitsarchitektur. Aber im gerade Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- beschlossenen Haushalt für dieses Jahr erfolgt das Ge- entwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD genteil: Der Verfassungsschutz wird für sein Versagen bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und Enthal- mit mehr Kompetenzen und zusätzlichen Millionen aus- tung der Linken angenommen. gestattet. Das ist ein Skandal, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4235

Monika Lazar (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) und bei der LINKEN) Vielen Dank, Kollegin Monika Lazar. – Nächster Redner in der Debatte ist Clemens Binninger für die einerseits, weil sich die Angehörigen der Opfer einmal CDU/CSU-Fraktion. mehr vor den Kopf gestoßen fühlen müssen; anderer- seits, weil das Geld dann dort fehlt, wo tatsächlich wirk- (Beifall bei der CDU/CSU) sam gegen Demokratiefeindlichkeit gearbeitet werden kann: bei den zivilgesellschaftlichen Initiativen. Clemens Binninger (CDU/CSU): Gerade verkündete Ministerin Schwesig die Eck- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- punkte für das neue Bundesprogramm ab dem nächsten gen! Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 14 Bank- Jahr. Wer mehr Geld erhofft hatte, wurde enttäuscht. Es überfälle und Sicherheitsbehörden in ganz Deutschland, wird nicht mehr geben als – wie bisher – die 30,5 Millio- die die Täter nicht erkannt haben: Das waren die erschüt- nen Euro pro Jahr. Dabei wären 50 Millionen Euro jähr- ternden Befunde des Versagens. lich das Mindeste, um gute Strukturen nicht nur zu si- chern, sondern bundesweit auf ein gutes Niveau Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode in ei- auszubauen. nem Untersuchungsausschuss damit beschäftigt, dieses Versagen aufzuklären. Ich sage in jedem Debattenbeitrag Auch die vom NSU-Untersuchungsausschuss ange- immer wieder: Es war nicht nur der Verfassungsschutz, mahnte Verstetigung erfolgt nicht. Immerhin soll die der Fehler gemacht hat, sondern es gab Fehler bei der Förderperiode auf fünf Jahre ausgedehnt werden. Das ist Polizei, aber auch bei der Justiz. Auch unsere föderale ein Schritt nach vorn; denn damit entfällt die Zitterpar- Sicherheitsarchitektur war beim Zusammenwirken der tie, die es jedes Mal zum Ende der Wahlperiode gab. Für verschiedenen Sicherheitsbehörden nicht gerade hilf- diese Verbesserungen möchte ich auch Ministerin reich. Der Ausschuss hat aber durchaus – ich glaube, da- Schwesig und ihrem Team ganz ausdrücklich danken. für sind wir alle, die wir mitgearbeitet haben, und dafür Da könnte zumindest die SPD einmal klatschen. sind alle Fraktionen, die ihn getragen haben, verantwort- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lich – etwas geleistet, das wir so bisher noch nie hatten. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Parteiübergreifend 15 Monate etwas zu untersuchen und der SPD) einstimmig zu einem Abschlussbericht mit 47 Empfeh- lungen zu kommen, das ist so bisher noch nie dagewe- – Auch der Koalitionspartner, sehr gut! sen. Wir waren uns immer einig, Frau Kollegin Lazar, dass wir natürlich parteipolitische Unterschiede haben, (B) Gleichzeitig sage ich – jetzt kommt wieder die bittere die auch nicht weggewischt werden. Das gilt für uns, die (D) Pille –: Das genügt uns nicht. Notwendig ist eine dauer- CDU/CSU, natürlich genauso wie für die Linken. hafte Absicherung auf gesetzlicher Grundlage. Ich glaube, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir nach den 47 Maßnahmen, die wir einstimmig be- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) schlossen haben – Sie haben darauf hingewiesen: der Bundestag hat dieses Ergebnis übernommen –, schon Wir von Bündnis 90/Die Grünen unterstützen die Minis- sehr früh wieder sagen: Aber die eine Fraktion hätte terin gerne, wenn sie diesen Weg weitergeht. Wir brau- noch diese Vorschläge, und die andere Fraktion hätte chen einen fraktionsübergreifenden Konsens gegen noch jene Vorschläge. – Ich glaube, es wäre besser, wenn Rechtsextremismus; denn das heißt „Demokratie le- wir uns nach wie vor gemeinsam daranmachen würden, ben!“, wie ja der Name des neuen Bundesprogramms zu dafür zu sorgen, dass in dieser Legislaturperiode die Recht lautet. 47 Maßnahmen umgesetzt werden, die wir gemeinsam Wir müssen aber auch staatliche Behörden wie Poli- identifiziert haben; dann leisten wir, glaube ich, der Sa- zei und Justiz sensibilisieren und uns auch mit dem insti- che den größten Dienst, und dann erreichen wir auch die tutionellen Rassismus befassen. Wir brauchen gezielte Verbesserungen, die wir dringend brauchen. Bildung, unabhängige Forschung und kompetente Bera- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tung, die schon bei der Ausbildung beginnt. neten der SPD) Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Aufarbei- Ich will nur drei Maßnahmen nennen: bessere Zusam- tung des Versagens ist eine Aufgabe von Behörden, von menarbeit von Polizei und Verfassungsschutz, was Infor- Bundesregierung und Bundestag. Jetzt müssen klare mationsaustausch angeht; Reformen im Verfassungs- Konsequenzen gezogen werden. Für die Behebung schutz – die sind teilweise schon begonnen worden – struktureller Mängel brauchen wir Reformen bei den Si- und eine grundlegende Reform des V-Leute-Wesens. cherheitsbehörden, eine bessere Qualifizierung ihres Hier sage ich wieder: So wie im Bereich Rechtsextre- Personals sowie eine effektive Bekämpfung des Rechts- mismus in den Jahren, als der NSU seine Straftaten ver- extremismus auf allen Ebenen. übt hat, V-Leute eingesetzt waren, standen Aufwand und Vielen Dank. Risiko in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn. Das muss sich dringend ändern. Das sollten wir gemeinsam (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anpacken, obwohl ich weiß, dass Sie in der letzten Kon- und bei der LINKEN) sequenz etwas anderes wollen als wir. 4236 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Clemens Binninger (A) Aber jetzt ganz ehrlich: Ich glaube, wenn wir sehr (Zuruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/ (C) früh schon wieder die parteipolitischen Debatten führen, DIE GRÜNEN]) laufen wir eher Gefahr, dass von den 47 gemeinsamen Das wäre in der Sache, glaube ich, ein guter Schritt. Vorschlägen der eine oder andere auf der Strecke bleibt. Dann war die Debatte heute zu später Stunde durchaus Deshalb wäre mein Appell, diese Dinge, so wie wir es ein Erfolg. im Ausschuss auch gehandhabt haben, noch einmal zu- rückzustellen und gemeinsam dafür zu sorgen, dass Herzlichen Dank. diese 47 Maßnahmen umgesetzt werden: im Bereich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Verfassungsschutz, im Bereich Polizei, im Bereich Jus- neten der SPD) tiz, im Bereich zivilgesellschaftliches Engagement, wo wir auch mehr tun müssen; da sind wir uns einig. Wir sind nicht weit auseinander. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Binninger. Danke für sehr Aber andere Punkte, die Sie in Ihrem Antrag haben, konstruktive Vorschläge in die Länder hinein! – Petra finde ich, haben mit dem NSU-Ausschuss direkt wenig Pau ist die nächste Rednerin für die Linke. bis gar nichts zu tun. Bei der Kennzeichnung von Poli- (Beifall bei der LINKEN) zeibeamten oder anderen Dingen mehr sind wir einfach anderer Auffassung. Petra Pau (DIE LINKE): Trotz dieser inhaltlichen Unterschiede, die, glaube Frau Präsidentin! ich, bestehen bleiben – wir sollten sie aber nicht in den (Rückkopplung der Tonanlage) Mittelpunkt der Debatte stellen –, bin ich dankbar für den Antrag, weil er das Thema NSU, wenn auch zu spä- – Zumindest sind wir jetzt alle wieder wach. ter Stunde, noch einmal auf die Tagesordnung setzt. Wir (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wolltest du alle, die wir im Ausschuss gearbeitet haben – Petra Pau, sagen, bei meiner Rede ist jemand eingeschla- Eva Högl, Hans-Christian Ströbele, ich selber –, nehmen fen?) in diesen Tagen wahr – Sie haben es kurz angesprochen –: Viele Fragen sind trotz unserer Arbeit ungeklärt. Wir – Nein, ganz im Gegenteil, Clemens Binninger. Ich hatten nur 15 Monate Zeit, was wahnsinnig wenig war. wollte gerade dem letzten Abschnitt der Rede ganz aus- Wir hatten viele Dinge zu untersuchen. Ich bin deshalb drücklich zustimmen und noch erweitern – ich habe das froh, dass es auch in Länderparlamenten, wo es bisher schon in mehreren Reden gesagt –: Wir haben in allen noch keine solchen Ausschüsse gab, jetzt Untersu- Bundesländern, ob sie Tatorte waren oder ob das Unter- (B) chungsausschüsse gibt, nämlich in Hessen und Nord- stützernetzwerk dort unterwegs war, weiteren Aufklä- (D) rhein-Westfalen. rungsbedarf. Das vorneweg. Aber ein Bundesland – es fällt mir schwer, das zu sa- Entschuldigung, Frau Präsidentin. Natürlich freue ich gen, weil ich aus dem Bundesland komme; man muss es mich, dass Sie da sind. Ich habe Sie noch nicht ange- aber sagen – ziert sich und will irgendwie nicht. Ich sprochen, weil ich gleich auf den Zuruf eingegangen bin. frage mich, warum. Das ist Baden-Württemberg. Baden- Im Tagesspiegel war jüngst zu lesen: Württemberg ist das Bundesland, von dem wir wissen, dass die meisten personellen Bezüge des NSU dorthin Die Zeichen mehren sich: Der NSU-Schock ist vor- geführt haben. 52 Personen aus dem NSU-Umfeld – das bei, die alten Routinen sind anscheinend stärker als hat der Innenminister selber eingeräumt – hatten Kon- die öffentliche Scham nach dem NSU-Skandal. takte von oder nach Baden-Württemberg. In dem Artikel ging es um eine aktuelle Statistik der Bundesregierung zu rechtsextremer Gewalt, die noch Ihrem Antrag werden wir nicht zustimmen. Aber immer oder schon wieder kleingerechnet wird; so als wenn wir uns heute Abend vielleicht auf zwei Dinge ver- hätte es das NSU-Desaster nie gegeben. ständigen könnten, Frau Kollegin Lazar – das sage ich auch in Richtung der anderen Fraktionen im Hause –, Es geht nicht nur um Zahlen. Noch immer kann keine wäre das schon etwas: Rede von der bedingungslosen Aufklärung sein, die Bundeskanzlerin Angela Merkel im Februar 2012 ver- Lassen Sie uns in den Vordergrund stellen, die sprochen hat. Ganz ausdrücklich: Das bezieht sich nicht 47 Maßnahmen umzusetzen, dafür zu kämpfen, dass es nur auf den Bund. Clemens Binninger hat es gerade dort keine Abstriche gibt! Dann wäre es schön, wenn wir deutlich gemacht. in Baden-Württemberg – ich glaube, das müssen wir ge- meinsam tun – vielleicht doch für eine kleine Verände- Der Schutz von V-Leuten der Sicherheitsbehörden rung sorgen und erreichen könnten, dass man auch dort aus dem Nazimilieu gilt noch immer mehr als die Auf- keine Scheu vor einem Untersuchungsausschuss hat. klärung rechtsextremer Verbrechen. Das jüngste Beispiel hierfür lieferte Hamburg. Andererseits sterben V-Leute (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- plötzlich auf mysteriöse Weise, just in dem Moment, wo NEN]: Die SPD hat das Problem!) sie Aussagen machen sollen. Die aktuellen Erklärungen des Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes – Ja, aber, ich glaube, wenn wir zwei es machen, hat es dazu im Innenausschuss waren nicht ausreichend. Ich er- auch schon einen Wert. spare mir andere Vokabeln. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4237

Petra Pau (A) Also dreimal „noch immer“. Bündnis 90/Die Grünen Warum wurde ein rechtsextremistischer Hintergrund (C) haben das anhaltende NSU-Desaster erneut auf die Ta- nicht in Erwägung gezogen? gesordnung des Bundestages gesetzt. Ich gestehe: Ande- renfalls, vielleicht mit einem etwas anderen Einschlag, Der Untersuchungsausschuss, den ja alle Fraktionen hätte es die Linke in nächster Zeit getan; gemeinsam eingesetzt haben, hat eklatante Fehler der Si- cherheitsbehörden offenbart. Die gewonnenen Erkennt- (Beifall bei der LINKEN) nisse haben im Abschlussbericht zu gemeinsamen Emp- fehlungen geführt – 47 an der Zahl; wir haben es schon denn noch immer wurde so gut wie keine der gehört –, sich unter anderem mit der künftigen Struktur 47 Schlussfolgerungen aus dem Bericht des NSU-Unter- der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden, ihren Befug- suchungsausschusses umgesetzt: nicht im Bund und nissen und ihrer Qualifizierung, der effektiven Bekämp- nicht in den Ländern. Das ist aus meiner Sicht nicht nur fung des Rechtsextremismus und der gruppenbezogenen schäbig, sondern auch gefährlich. Menschenfeindlichkeit, der kontinuierlichen Demokra- Bevor das NSU-Nazitrio aufflog, wollten die Behör- tieförderung, der Erweiterung der Bundesförderung und den nichts von Rechtsterrorismus wissen. Zugleich lässt der Verstetigung der Bundesprogramme zu befassen. sich aber Rechtsterrorismus nicht auf NSU reduzieren. Es ist also höchste Zeit, aktiv zu werden, sowohl – da Trotz des Bundestagswahlkampfes 2013 ist es uns ge- bin ich ganz bei Ihnen – bei den 47 Forderungen, aber lungen, uns auf diese gemeinsamen Empfehlungen und auch im gemeinsamen Nachdenken darüber hinaus. Maßnahmen zu verständigen. Dies war und ist ein Signal an die Opfer, die Angehörigen, die Öffentlichkeit, die Damit zu einem letzten Punkt. Bündnis 90/Die Grü- Behörden und die Institutionen. Wir waren uns auch alle nen schlagen in ihrem Antrag drei Aktionsfelder vor. Ich einig, dass sich dieses Thema nicht zur parteipolitischen nehme positiv auf, dass sich die Positionen der Grünen Profilierung oder zu parteipolitischen Alleingängen eig- und der Linken dabei weiter annähern. net. Für die Fraktion Die Linke unterstreiche ich dabei Es ist das gute Recht und die Aufgabe der Opposition, noch einmal drei Punkte: die Regierung zu kontrollieren, zu treiben oder auf Ver- Erstens. Die Ämter für Verfassungsschutz standen im säumnisse hinzuweisen. Aber – den Vorwurf kann ich Zentrum des Versagens bei der NSU-Nazimordserie. Sie Ihnen nicht ersparen – mit dem Antrag, den Sie uns sind Fremdkörper in einer lebendigen Demokratie, aus heute hier vorlegen, kündigen Sie auch ein Stück weit meiner Sicht nicht reformierbar und kontrollierbar. diesen gemeinsamen Konsens auf. Mit Ihrem Antrag un- terstellen Sie uns Untätigkeit. Das weise ich entschieden (B) (Beifall bei der LINKEN) zurück. Sie behaupten in Ihrem Antrag, es hätte kein (D) Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns an die Op- Deshalb sind die Ämter aufzulösen und die V-Leute-Pra- fer und die Angehörigen gegeben. Auch das ist nicht xis zu beenden. richtig. Es gäbe viele Beispiele dafür. Ich verweise auf Zweitens. Zu den gesellschaftlichen Initiativen und den Besuch des Bundespräsidenten vor wenigen Wochen zur dauerhaften Förderung wurde etwas gesagt. Die in der Kölner Keupstraße. Er hat dabei den Opfern und Linke plädiert für ein Stiftungsmodell, fernab von partei- Angehörigen versichert, dass wir alle zusammengehö- politischen Konjunkturen. ren. Er sagte: Drittens. Wir müssen uns endlich dem Thema Rassis- Und wir stehen zusammen, um allen, die von frem- mus zuwenden. denfeindlicher Gewalt bedroht sind, zu sagen: Ihr seid nicht allein. (Beifall bei der LINKEN) Auch wir hier im Deutschen Bundestag sind nicht Vizepräsidentin Claudia Roth: untätig gewesen. Wir haben diesen Beschluss aus der letzten Legislaturperiode im Februar 2014 nochmals Vielen Dank, Frau Kollegin Petra Pau. – Nächste bekräftigt. Wir werden die Arbeit des Parlamentarischen Rednerin in der Debatte: Gabriele Fograscher für die Kontrollgremiums verändern. Wir geben uns nicht mehr SPD. mit dem zufrieden, was die Dienste uns erzählen wollen. Wir haben uns ein Arbeitsprogramm gegeben, für das Gabriele Fograscher (SPD): auch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfü- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- gung stehen. Wir werden uns in nächster Zeit unter ande- gen! Im November 2011 sind die schrecklichen Morde rem mit folgenden Fragen befassen: Wie ist der Stand des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt gewor- bei der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Unter- den. Wir alle waren schockiert. Keiner von uns hätte es suchungsausschusses? Wie verhält es sich mit dem Ein- für möglich gehalten, dass eine rechtsextreme terroristi- satz von V-Leuten in der rechtsextremen Szene? Welche sche Vereinigung über Jahre hinweg in Deutschland Maßnahmen ergreift der Militärische Abschirmdienst, morden kann, Sprengstoffanschläge verüben kann, Straf- um extremistische Einstellungen und Bestrebungen von taten begehen kann. Wir haben uns alle die Frage ge- Bundeswehrangehörigen aufzudecken? Wir wollen die stellt, wie das möglich war. Warum hat die Polizei bis Zusammenarbeit des Bundesamtes für Verfassungs- heute die Taten nicht vollständig aufklären können? Wa- schutz mit den ausländischen Nachrichtendiensten näher rum hatte der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse? untersuchen. 4238 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Gabriele Fograscher (A) Auch was die Stärkung der Zivilgesellschaft angeht, Die Konsequenzen, die dieser Staat, der an eine wehr- (C) haben wir gehandelt. Als nahezu erste Amtshandlung hafte, freiheitlich-demokratische Grundordnung glaubt haben Bundesfamilienministerin Schwesig und Bundes- und sie verteidigt, gezogen hat, sind umfassend. Wir ha- innenminister de Maizière die sogenannte Extremismus- ben uns nicht mit reinem Bedauern zufriedengegeben; klausel abgeschafft, ein wichtiges Signal für Initiativen der Untersuchungsausschuss hat 47 Maßnahmen aufge- und an die Zivilgesellschaft. Für das neue, ab dem 1. Ja- zeigt, die kenntlich machen, dass wir lernen und dass nuar 2015 geltende Bundesprogramm „Demokratie dieser Staat weiterhin die Menschenwürde, die Freiheit leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und und den Rechtsstaat verteidigen möchte. Das ist ein Menschenfeindlichkeit“ stehen 30,5 Millionen Euro zur positives Signal. Verfügung. Dabei möchte ich betonen – das war uns immer ganz wichtig –, dass Strukturprojekte ab dem (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. nächsten Jahr mit einer Laufzeit von fünf Jahren planen Gabriele Fograscher [SPD]) können. Die mobilen Beratungsteams und die Opferbe- Es ist auch zu begrüßen, wenn sich eine Fraktion wei- ratung werden gestärkt. tere Gedanken macht. Jeder Gedanke, der diesen Staat stärkt, mit seinen Rechten, mit seinen Grundwerten, mit Aber das ist nicht das einzige Programm, das wir ha- seiner Idee der Freiheit, ist in diesem Hause gerne gese- ben: Vom Bundesinnenministerium gibt es das Pro- hen. Das Problem ist nur, dass die Grünen mit ihrem An- gramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“; es ist mit trag diesen Staat zwar stärken möchten, ihn im Ergebnis 6 Millionen Euro ausgestattet. Die Mittel für die Bun- aber schwächen würden, weil die Instrumente, die sie deszentrale für politische Bildung haben wir in der ver- vorschlagen, nicht dazu führen würden, dass unsere De- gangenen Woche für das Haushaltsjahr 2014 erheblich mokratie und unser Rechtsstaat stark bleiben. Vielmehr aufgestockt. Das Bundesprogramm Xenos des Bundes- würden sie Angriffspunkte für die Feinde unserer Frei- arbeitsministeriums hilft jungen Menschen beim Aus- heit schaffen. Das wollen wir in dem Maße nicht tolerie- stieg aus der rechten Szene. Auch wenn wir die Marke ren. von 50 Millionen Euro, die wir von der SPD angepeilt haben, noch nicht erreicht haben, stehen dennoch mehr Der Verfassungsschutz, meine Damen und Herren, Mittel zur Verfügung als bei der Vorgängerregierung. hat im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie schwere Fehler begangen; das ist Konsens in diesem Hohen Wir werden den Verfassungsschutz reformieren. Da Hause. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen, sind wir unterschiedlicher Meinung; denn unsere Auf- dass der Verfassungsschutz weitreichende Aufgaben hat. fassung ist: Wir brauchen den Verfassungsschutz. Wir Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist werden mit den Verfassungsschutzämtern der Länder keine wertneutrale Verfassung, sondern eine, die sich an (B) Gespräche über eine bessere und effektivere Zusammen- der Menschenwürde, an der Gewaltenteilung und an der (D) arbeit führen. Rechtsstaatlichkeit orientiert. Diese Werte hat der Ver- Mir und uns allen ist klar, dass es noch viel zu tun fassungsschutz zu verteidigen, auch mit Mitteln, die gibt; aber Untätigkeit kann man uns auch nicht vorwer- möglicherweise im Bereich der geheimdienstlichen Auf- fen. Was allerdings Zeit und Ideen braucht, ist das not- klärung angesiedelt sind, weil auch die Feinde unserer wendige Umdenken in den Köpfen; damit beziehe ich Freiheit nicht darauf warten, nur mit legalen Mitteln un- mich sowohl auf die Sicherheitsbehörden als auch auf sere Grundordnung anzugreifen. die Gesellschaft. Hier müssen wir Aufklärungsarbeit (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- leisten und Sensibilität schaffen; dabei sind wir alle ge- NEN]: Es ist generell nicht legal, sie anzugrei- fordert. Lassen Sie uns auf diesem gemeinsamen Weg fen!) weitergehen. Parteipolitische Alleingänge sind dabei der falsche Ansatz. Ich glaube, vor diesem Hintergrund ist es unsere ge- meinsame Pflicht, den Verfassungsschutz dort, wo es Vielen Dank. notwendig ist, zu reformieren und mehr Kontrolle und mehr Transparenz einzuführen. Es ist unsere Pflicht, die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 47 Punkte des Berichts gemeinsam umzusetzen, weil durch diesen Ergebnisbericht des NSU-Untersuchungs- Vizepräsidentin Claudia Roth: ausschusses letzten Endes unsere Verfassung und die Danke, Frau Kollegin Fograscher. – Zum Abschluss Menschenwürde in unserem Land gestärkt werden. Aber spricht als letzter Redner in der Debatte Dr. Volker lassen Sie uns nicht auf den Weg begeben, aus rein par- Ullrich, Augsburg. teitaktischem Kalkül heraus Organe zu schwächen; denn das bedeutet letztendlich eine Schwächung unseres Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) meinwesens. Das können wir alle nicht wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Dieses Hohe Haus wird genügend Arbeit damit ha- Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolle- ben, die 47 Punkte des Berichts des NSU-Untersu- ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! chungsausschusses umzusetzen. Die Mordserie der NSU-Terrorzelle hat dieses Land er- schüttert. Auch heute Abend gedenken wir der Opfer, (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und unsere Gedanken sind bei den Angehörigen. NEN]: Na, da sind wir uns ja einig!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4239

Dr. Volker Ullrich (A) Das wird uns in den nächsten Jahren sehr viel Kraft Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – (C) kosten. Aber die Opfer dieser Mordserie, der hohe Wert Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die Würde des Menschen, die Rechtsstaatlichkeit und auch Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): unser Ansehen, das wir durch diese Arbeit gewinnen Liebe Kollegen der Linkspartei, ich habe Ihren An- wollen, sind es wert, dass wir uns gemeinsam und ohne trag gelesen. Ich unterstütze viele Dinge, die Sie darin parteipolitische Spielchen auf diesen Weg machen. In schreiben. Ja, es besteht Handlungsbedarf. Ja, es müs- diesem Sinne sind alle eingeladen, mitzuwirken. sen mehr Wahlmöglichkeiten für die Menschen mit Herzlichen Dank. Behinderung geschaffen werden. Ja, wir haben ein gemeinsames Ziel: ein gutes Bundesteilhabegesetz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Neben diversen Meinungsverschiedenheiten, die dann doch bestehen, zum Beispiel bei der Finanzierung, muss ich Ihnen aber vor allem sagen: Auch Rom ist Vizepräsidentin Petra Pau: nicht an einem Tage erbaut worden. Ich schließe die Aussprache. Vielleicht haben Sie die Komplexität dieses Themas Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf noch nicht ganz erkannt. Aber Sie selbst sprechen von Drucksache 18/776 an die in der Tagesordnung aufge- „einer große[n] Lösung“, von „einer grundlegenden führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- und umfassenden Reform“, die im Rahmen des Bun- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung desteilhabegesetzes nötig ist. so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf. Fest steht: Das Bundesteilhabegesetz lässt sich nicht so schnell erarbeiten, wie Sie Anträge schreiben Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- können. Denn es geht hier nicht um eine Kleinigkeit, es gebrachten Entwurfs eines Bundesbesoldungs- geht hier um einen großen Reformprozess, der das und -versorgungsanpassungsgesetzes 2014/2015 Denken, die Strukturen und die Institutionen umfasst. (BBVAnpG 2014/2015) Wir sprechen hier über einige Millionen betroffene Drucksache 18/1797 Menschen, die direkt auf Teilhabeleistungen angewie- Überweisungsvorschlag: sen sind. Eigentlich sprechen wir sogar von 80 Millio- Innenausschuss (f) nen Menschen, die alle gemeinsam das Projekt der in- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz klusiven Gesellschaft vorantreiben müssen. Ausschuss für Arbeit und Soziales (B) Verteidigungsausschuss Wir sprechen über Milliarden von Euro, die nicht (D) Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO nach dem Gießkannenprinzip, sondern effektiv und Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu effizient verteilt werden müssen. Das Geld muss da Protokoll gegeben werden.1) – Ich sehe, Sie sind damit ankommen, wo es gebraucht wird und darf nicht in einverstanden. irgendwelchen Kanälen versickern. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- Wir sprechen hier über teils mehrere Hundert Jahre wurfes auf Drucksache 18/1797 an die in der Tagesord- alte Strukturen und Institutionen, die nicht alle nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es schlecht sind. Wenn man sich hier so manche Rede an- dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. hört, muss man sich schon wundern, wie die tolle und Dann ist die Überweisung so beschlossen. wertvolle Arbeit, die die Menschen für andere Men- schen in den bestehenden Institutionen leisten, verun- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: glimpft wird. Ich warne deshalb davor, funktionierende Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin und gewachsene Strukturen aus Prinzip zu zerstören. Werner, Diana Golze, Sabine Zimmermann Wir sollten eher auf ihnen aufbauen, sie flankieren. (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE Wir fangen also nicht bei null an. Das ist im Prinzip gut, vor allem für die Menschen mit Behinderung. Bundesteilhabegesetz zügig vorlegen – Volle Auch konzeptionelle Vorarbeiten wurden schon getan, Teilhabe ohne Armut garantieren wie Sie in dem Antrag selbst schreiben. Aber das ist Drucksache 18/1949 auch einer der Gründe dafür, dass die Reform der Ein- Überweisungsvorschlag: gliederungshilfe so kompliziert ist. Unterschiedliche Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Interessen, vor allem die der Betroffenen, müssen Innenausschuss gehört und in ein Bundesteilhabegesetz integriert wer- Sportausschuss den. Das ist der Hauptgrund dafür, dass wir Ihnen, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe liebe Linke, heute noch kein Bundesteilhabegesetz vor- Ausschuss für Bildung, Forschung und legen können. Sie selbst geben uns ja sogar bis zum Technikfolgenabschätzung Ende der Legislaturperiode Zeit, das Gesetz vorzule- Haushaltsausschuss gen. Wie sollten wir dann jetzt, „unverzüglich“, wie Sie fordern, die Eckpunkte dazu schon vorlegen kön- 1) Anlage 16 nen? 4240 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. Astrid Freudenstein (A) Planung und Orientierung sind bei einem Großpro- Für alle Lebensbereiche muss ein generelles Wunsch- (C) jekt wie dem Bundesteilhabegesetz das A und O. Das und Wahlrecht gelten, sei es die eigene Wohnung oder ist wie beim Wandern: Wenn man da ohne Karte und ein Platz im Wohnheim, die Förder- oder eine Regel- Kompass einfach drauflos geht, dann geht man die schule, die Werkstatt oder der ortsansässige Hand- doppelte Strecke und braucht doppelt so lange – wenn werksbetrieb. Teilhabe hat viele Facetten, und diese es gut läuft. müssen für jeden zugänglich sein. Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, Wer Arbeit hat und die Chance bekommt, seine Fä- erst einmal die Karte mit dem Höhenprofil zu nehmen higkeiten und Talente zu entfalten, fühlt sich anerkannt und den Weg zu planen. Damit haben wir nun begon- und ist zufrieden. Das gilt für alle Menschen. Mithilfe nen. Und damit auch die ganze Wandergruppe über die von Assistenz sind Menschen mit Behinderungen viel- Berge kommt, beteiligen wir sie an den Planungen. So fältig in der Arbeitswelt einsetzbar. Das erkennen auch finden wir einen gemeinsamen Weg, der uns – da bin immer mehr Betriebe. Viele schätzen die Fähigkeiten ich mir sicher – über keine bis wenige Umwege an das und die Loyalität von Mitarbeitern mit Behinderungen. richtige Ziel führt. Dann legen wir Ihnen ein gutes und Sie haben erkannt, dass eine Behinderung nicht auto- durchdachtes Bundesteilhabegesetz vor, ohne dass Sie matisch mit einer verminderten Leistung einhergeht. noch einen Antrag dafür schreiben müssen. Diese guten Beispiele wollen wir unterstreichen und damit Arbeitgeber, die keine oder nur wenige Mitar- Uwe Schummer (CDU/CSU): beiter mit Handicap in ihrer Belegschaft haben, zum Die Große Koalition hat sich vorgenommen, die Umdenken bewegen. Dazu sind Informationen, pass- überfällige Eingliederungshilfereform anzupacken. genaue Beratung und neue, flexible Förderinstrumente Ein wesentlicher Reformschritt wird sein, die Hilfen nötig. Das „Budget für Arbeit“ ist aus meiner Sicht für Menschen mit Behinderungen aus der Sozialhilfe hervorragend geeignet, alternative Wege der Beschäf- herauszuführen. Damit wird dann auch ein wesentli- tigung zu gehen. Die bisherigen Modellprojekte auf ches Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention umge- Landesebene waren erfolgreich. Nun ist es an der Zeit, setzt: Fürsorgeleistungen für Menschen mit Behinde- dieses Instrument bundesweit einzusetzen. rungen werden in Teilhabeleistungen umgewandelt. In Deutschland arbeiten derzeit fast 300 000 Men- Dabei geht es nicht nur um eine Reform im Sozialrecht, schen in einer Werkstatt. Die Zugangszahlen steigen es geht um einen fundamentalen Paradigmenwechsel. seit Jahren. Damit hat sich ein zweiter Arbeitsmarkt Wir sind dabei, diese Reform zügig und vor allem etabliert, der mit der UN-Konvention in diesem Um- fang nicht vereinbar ist. Darauf muss das Bundesteil- (B) gründlich voranzutreiben. Die Erwartungen bei den (D) betroffenen Menschen sind verständlicherweise hoch. habegesetz reagieren. Die meisten Eingliederungsleis- Aber auch die Kommunen fordern Veränderungen, um tungen im Arbeitsbereich sind heute an die Werkstatt die seit Jahren steigenden Ausgaben für Eingliede- gekoppelt. Vor allem der Eingangs- und der Berufsbil- rungshilfen in den Griff zu bekommen. dungsbereich müssen künftig auch für andere qualifi- zierte, verlässliche und geeignete Anbieter aus der In diesem Spannungsverhältnis befinden wir uns. freien Wirtschaft geöffnet werden. Dabei wollen wir als Unionsfraktion unseren Fokus auf die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen le- Die Quote der Vermittlung der Werkstätten in regu- gen, was sie in ihrem Alltag brauchen, um schneller an läre Betriebe liegt bundesweit unter 1 Prozent. Ich bin Hilfen zu gelangen. Wir wollen für sie die Chance auf mir sehr sicher, dass diese Quote nicht die tatsächliche gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Befähigung der Mitarbeiter widerspiegelt. In den Bereichen erreichen. In der Kindertagesstätte, Schule, Werkstätten sind mittlerweile viele Menschen, die dort Ausbildung, im Beruf, beim Wohnen oder in der Frei- schlicht und ergreifend nicht hingehören. Für sie wol- zeit muss künftig der Grundsatz gelten „so viel Teil- len wir Anreize setzen, ihren Weg in den ersten Arbeits- habe wie möglich, so viel Unterstützung wie nötig“. markt zu gehen. Dazu wollen wir vor allem eine Op- tion zur Rückkehr in die Werkstatt garantieren und Ein zentrales Anliegen ist für uns auch, dass Hilfen dafür sorgen, dass ihre sozialrechtlichen Ansprüche zur Teilhabe keine Armutsfalle sein dürfen. Menschen bestehen bleiben. mit Behinderungen, die ein eigenes Einkommen er- wirtschaften und daraus Vermögen aufbauen wollen, Was die Ausbildung angeht, wollen wir weg vom Al- sollen dies auch tun können. Beruflicher Aufstieg und les-oder-nichts-Prinzip hin zu einer beweglichen und Altersvorsorge müssen für alle unabhängig von einer anpassungsfähigen beruflichen Qualifizierung. Ver- Beeinträchtigung möglich sein. kürzte Ausbildungszeiten oder Ausbildungsmodule sind Optionen, mit denen sich auch die Kammern und Weitere Ziele für ein Bundesteilhabegesetz sind Teil- Gewerkschaften in Zukunft auseinandersetzen müssen. habeleistungen, die den Bedarf des Einzelnen decken und nicht an einen bestimmten Ort gekoppelt sind. Die Dies sind nur einige Bereiche, die ein Bundesteilha- Hilfen sollen sich an den Bedürfnissen der Menschen begesetz neu regeln soll. Viele weitere Schnittstellen orientieren und nicht umgekehrt. Dazu ist aus Sicht gehören noch dazu, etwa die Kinder- und Jugendhilfe der Union vor allem ein bundeseinheitliches Bedarfs- oder die Pflege. Wir stehen vor einer komplexen Struk- ermittlungsverfahren unerlässlich. turreform, die intensiv vorbereitet werden muss.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4241

Uwe Schummer (A) Deswegen wird bereits ab der kommenden Woche seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention (C) eine hochkarätig besetzte Arbeitsgruppe im zustän- alles daransetzen, diese Konvention zu erfüllen und ih- digen Ministerium mit den Vorarbeiten für einen rer Forderung nach umfassender gesellschaftlicher Gesetzentwurf für ein Bundesteilhabegesetz beginnen. Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gerecht zu 15 Vertreterinnen und Vertreter von Menschen mit Be- werden. hinderungen werden dieser Arbeitsgruppe angehören. Eines der wohl bedeutendsten Vorhaben in dieser Sie repräsentieren alle wesentlichen Gruppen von Legislaturperiode wird die Erarbeitung eines Bundes- Menschen mit Behinderungen. Diese unmittelbare Be- teilhabegesetzes sein. Auch dies haben wir im Koali- teiligung am Gesetzgebungsverfahren ist nicht selbst- tionsvertrag vereinbart. Wir wollen ein modernes Teil- verständlich und zeigt, wie ernst diese Bundesregie- habegesetz, das den Bedürfnissen und besonderen rung die Forderung der Menschen mit Behinderungen Belangen von Menschen mit Behinderungen Rechnung „Nichts über uns ohne uns“ nimmt. trägt. Vor diesem Hintergrund ist es auch zu verstehen, Diese Koalition macht sich auf, die Verantwortung dass das neue Bundesteilhabegesetz im Jahr 2016 ver- für ein Bundesteilhabegesetz zu übernehmen. Damit abschiedet werden soll. gehen wir eine große Verpflichtung gegenüber den Wir wollen, dass das Bundesteilhabegesetz noch in rund 10 Millionen schwerbehinderten Menschen in dieser Legislaturperiode in Kraft tritt. Dafür setzen Deutschland ein. Daher gilt für uns der Grundsatz wir uns ein. Wir wollen aber auch ein Bundesteilhabe- „Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“ Und dieser Grund- gesetz, dessen Inhalt hält, was der Name verspricht. satz ist mit einem Inkrafttreten vor 2017 vereinbar. Wir wollen eine wirkliche Verbesserung im Bereich der Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen Kerstin Tack (SPD): erreichen. Und wir wollen, dass die Betroffenen und Spätestens mit dem im Jahre 2006 vereinbarten ihre Interessenverbände an der inhaltlichen Entwick- Übereinkommen der Vereinten Nationen über die lung und Ausgestaltung des Gesetzes aktiv beteiligt Rechte von Menschen mit Behinderungen vollzog sich sind. Das sind unsere Ansprüche. Die werden wir er- ein Paradigmenwechsel in der Politik für Menschen füllen. mit Behinderungen. Von diesem Anspruch wollen und werden wir nicht Menschen mit Behinderungen werden nicht länger abweichen. Denn gemäß dem Motto „Nichts über uns als Objekte der Fürsorge betrachtet, sondern als ei- ohne uns!“ sind Menschen mit Behinderungen Exper- genständige Individuen mit individuellen Stärken und tinnen und Experten in eigener Sache. Ihre Beteiligung (B) Schwächen. Es ist das Bewusstsein gewachsen, dass am Entstehungsprozess des Gesetzes ist insofern auch (D) auch Menschen mit Behinderungen ein Recht auf ein Ausdruck ihrer Selbstbestimmung, und die werden Selbstbestimmung und umfassende Teilhabe am Leben wir ihnen nicht nehmen. in der Gesellschaft haben und geltend machen können. Wir freuen uns daher, dass das für das Gesetz feder- Bereits 147 Staaten haben die im Jahre 2008 in führende Bundesministerium für Arbeit und Soziales Kraft getretene UN-Konvention über die Rechte von einen breit angelegten Beteiligungsprozess noch vor Menschen mit Behinderungen unterzeichnet und ratifi- der Vorlage eines ersten Gesetzentwurfes anstrebt. Bis ziert. Die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete dahin werden wir uns weiterhin mit den notwendigen die Konvention als einer der ersten Staaten im Jahr Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz auseinan- 2007 und ratifizierte diese zwei Jahre später. dersetzen, noch offene Fragen klären und mögliche Dies führte dazu, dass die Bundesregierung zum Lösungswege erarbeiten. ersten Mal einen nationalen Aktionsplan sowie einen Zudem hat das BMAS seinen Zeitplan zur Entwick- Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Behinderten- lung des Gesetzes bereits vorgelegt. Dieser ist allen rechtskonvention vorlegte. Die einzelnen Bundeslän- Fraktionen bekannt. Der Zeitplan zeigt, dass das der zogen nach und veröffentlichten ihrerseits um- BMAS den Entwurf des Bundesteilhabegesetzes zügig fangreiche Maßnahmenpakete zur Verbesserung der und ohne Umschweife erarbeiten wird. Insofern ent- Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen. spricht dieser den Forderungen des vorliegenden An- Mit den verschiedensten Projekten wird in den Städten trages. und Gemeinden mittlerweile auch ganz unkonventio- nell versucht, dafür zu sorgen, dass Menschen mit und Diana Golze (DIE LINKE): ohne Behinderungen von Anfang an gemeinsam auf- wachsen, zusammen lernen, in einem Betrieb arbeiten Inklusion ist ein Lebensentwurf – ein Weg für Ge- sellschaftsgestaltung und Veränderung. Es geht also und ihre Freizeit miteinander verbringen. Denn nur so bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonven- lassen sich die grundlegendsten Hindernisse überwin- den: die Barrieren in den Köpfen. tion nicht um abstrakte Paragrafen. Es geht darum, al- len Menschen gleichberechtigt Chancen zu eröffnen. Die vielzähligen Anträge der SPD-Bundestagsfrak- Es geht darum, nach seinen Fähigkeiten in regulären tion zur Verbesserung der Lebenslagen von Menschen Schulen lernen und in Unternehmen arbeiten zu kön- mit Behinderungen sowie die vielzähligen Handlungs- nen, wohnortnah Kultur zu genießen und medizinisch aufträge hierzu im Koalitionsvertrag zeigen, dass wir gut versorgt zu sein, jede Behörde barrierefrei nutzen 4242 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Diana Golze (A) und alle politischen Rechte ausüben zu können. Die der in den Artikeln der UN-Konvention formulierten (C) dafür erforderlichen behinderungsbedingten Nach- Menschenrechte ist eine gesamtgesellschaftliche Auf- teilsausgleiche und inklusiven Rahmenbedingungen gabe. muss die Politik schaffen. Menschen mit Behinderung haben das gleiche Dieser Prozess verläuft in Deutschland zu langsam, Recht auf eine aktive Beteiligung. Sie muss in gleichem obwohl die Bundesrepublik doch so gern ihre Vorrei- Maße gesichert sein wie Teilhabe von Menschen ohne terrolle betont. Noch immer leben wir mit der politi- Behinderung und darf nicht von privaten finanziellen schen Fehleinschätzung, in Deutschland seien viele Möglichkeiten und erst recht nicht vom Zufall des Anforderungen der UN-Konvention bereits umgesetzt Wohnortes abhängen. Dazu gehört auch die Ermögli- und deshalb bestehe kaum Handlungsbedarf. Doch chung der Teilhabe an einem der Lieblingsprojekte der diese Selbstzufriedenheit ist völlig fehl am Platz. In al- Bundespolitik der vergangenen Jahre. len gesellschaftlichen Bereichen bestehen erhebliche Defizite. Bürgerschaftliches Engagement und eine Kultur der Mitverantwortung gewinnen als Wege zur Ge- Auch wenn die Zahl von beschäftigten Menschen staltung der Gesellschaft in einer freiheitlichen, de- mit Behinderung absolut gewachsen ist: Die Arbeitslo- mokratischen Wirtschaftsordnung im Zuge dessen senquote unter Menschen mit Behinderung ist doppelt an Bedeutung. Engagement trägt zur Sicherung und so hoch wie unter Menschen ohne Beeinträchtigungen. Stärkung des Zusammenhaltes der Gesellschaft bei. Überproportional viele sind langzeiterwerbslos. Zu- gleich sondert die Parallelgesellschaft Werkstätten für So heißt es im ersten Engagementbericht der Bun- behinderte Menschen weiterhin aus. Die Zahl der dort desregierung. Dass Menschen mit Behinderung hierin Beschäftigten wächst, die Vergütungen für ihre Arbeit keine Rolle spielen, spricht eine deutliche Sprache. Es jedoch kaum. Die als wichtiges Ziel gestellte Vermitt- kann zum Beispiel nicht sein, dass eine aktive Arbeit in lung in den regulären Arbeitsmarkt geschieht in so ge- einem Vereinsvorstand oder in einem Verband daran ringem Maße, dass man auch hier den Tatsachen ins scheitert, dass es an einer persönlichen Assistenz für Auge schauen muss: Diese Werkstätten erfüllen ihren Menschen mit Behinderung fehlt. gesetzlichen Auftrag nicht, der nun einmal genau in Es besteht also hoher Handlungsbedarf und ich dieser Vermittlung besteht. hoffe, dass unser Antrag endlich eine Debatte anstößt, Auch die – zugegeben wachsenden – Anstrengungen um die sich die Bundesregierung nicht länger drücken hin zu einer inklusiven Bildungslandschaft reichen kann. (B) nicht aus. Die Inklusionsrate in den Schulen stagniert (D) seit Jahren auf niedrigem Niveau. Realität ist, dass Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Förderschulen zwar geschlossen werden, der notwen- Die Probleme sind bekannt, seit Jahren: Menschen dige Ausgleich barrierefreier Bedingungen in den mit Behinderungen erleben Diskriminierungen in fast Regelschulen aber nicht entsprechend vorgenommen allen Lebensbereichen. So ist teilweise der Wohnort wird. Es fehlt an inklusiven Lehrplänen im Lehrer- entscheidender für Qualität und Umfang der Unter- studium ebenso wie an der ausreichenden Personal- stützungsleistungen und nicht die Frage, wie viel ausstattung vor Ort. So erleben Familien mit behin- Unterstützung gebraucht wird. Und Deutschland ist derten Kindern, dass sie im Namen der Inklusion noch weit davon entfernt, barrierefrei zu sein: Versu- weitere Schulwege und zusätzliche Belastungen in chen Sie mal kurzfristig eine Unterkunft zu finden für Kauf nehmen müssen, ohne die entsprechenden Bedin- eine Reisegruppe von zehn Personen, in der vier Leute gungen vorzufinden. So wird eine tragende Idee der Rollstuhl fahren, zwei ihre Assistenten im Zimmer ha- UN-Konvention konterkariert und gerät in den Verruf, ben müssen und niemand ein Auto hat. Versuchen Sie ein Sparmodell zu sein. mal, in ermüdenden Auseinandersetzungen darüber, Wie so oft wird für die Lösung all dieser Probleme wer Ihre Teilhabeleistungen finanzieren muss, nicht auf die Zuständigkeit der Länder verwiesen. Dabei den Mut zu verlieren. wird außer Acht gelassen, dass es bei der Umsetzung Mit Blick auf die Probleme, denen Menschen mit der UN-Behindertenrechtskonvention um eine klare Behinderungen im Alltag begegnen, ist die Frustration und stärkere Bundesverantwortung geht. Es kann nicht über das Schneckentempo des politischen Prozesses sein, dass die Bundesregierung internationale Abkom- durchaus verständlich. Schließlich ist es diese Woche men zeichnet und die Länder und Kommunen auf der 20 Jahre her, dass Artikel 3 unseres Grundgesetzes um Umsetzung sitzen bleiben. Alle sozialen Aufgaben, die einen entscheidenden Satz ergänzt wurde: „Niemand der Bund dorthin delegiert, müssen auch entsprechend darf wegen seiner Behinderung benachteiligt wer- finanziell unterlegt werden. Entlastungspakete, die den.“ sich nicht selten als Nullsummenspiel wenn nicht gar als Minusgeschäft für die Städte und Gemeinden Die Linksfraktion formuliert in ihrem Antrag eine entpuppten, können und dürfen nicht die Lösung sein. Reihe von Anforderungen an ein Bundesteilhabege- Aus politischen Verpflichtungen, die der Bund einge- setz, das Antwort auf die genannten Probleme sein gangen ist, darf er sich nicht mit taschenspielartiger soll. Sie nimmt viele Forderungen auf, die seit Jahren Zahlenakrobatik verabschieden. Denn die Umsetzung von unterschiedlichen Seiten genannt werden. Ich

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4243

Corinna Rüffer (A) freue mich, dass wir mit diesem Antrag im Zuge des Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- (C) parlamentarischen Beratungsprozesses die Gelegen- gin Kordula Kovac für die CDU/CSU-Fraktion. heit haben, ein wenig konkreter zu werden. Denn was (Beifall bei der CDU/CSU) von den Koalitionsfraktionen bisher kommt, ich habe das schon mehrfach angemerkt, sind große Töne – und wenig mehr. Da wird viel Richtiges gesagt: Zumindest Kordula Kovac (CDU/CSU): hier im Bundestag scheint sich niemand mehr wirklich Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und zu trauen, für die Anrechnung von Einkommen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir wollen heute Vermögen auf Teilhabeleistungen zu argumentieren. über den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung Das hilft aber nichts, solange wir weiter vertröstet des Weingesetzes abstimmen. Erlauben Sie mir dazu ei- werden. nen kurzen persönlichen Einstieg. Es ist richtig, komplexe Gesetze mit der dafür nöti- Vatertag in Südbaden: Mann und Frau, ja, die ganze gen Ruhe und Zeit zu erarbeiten. Es ist richtig, die Familie sitzt bei Musik an der Wanderhütte Baßgeige und lässt den Blick über die herrliche Kaiserstuhl-Land- Möglichkeit zur Beteiligung zu eröffnen und auf die schaft, vor allem über die Weinberge schweifen. – Orts- Kompetenz von Menschen mit Behinderungen als wechsel. Rheinland-Pfalz: Ein herrlicher Sommertag in Expertinnen und Experten in eigener Sache zurückzu- St. Martin bei Edenkoben mit Blick auf das Hambacher greifen. Aber es ist falsch, in der parlamentarischen Schloss. Der ganze Ort ist dabei, wenn die traditionelle Auseinandersetzung immer nur das zu sagen, was alle Wanderung in den Weinbergen stattfindet, und bewirtet hören möchten, ohne sich mit den Niederungen der die Gäste mit Köstlichkeiten. Arbeit am Detail zu befassen. Kommen Sie aus Ihrer Deckung, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union Ich könnte jetzt noch die anderen traditionsreichen und SPD. Ich möchte hier endlich über verschiedene Weinbaugebiete in Deutschland nennen: Franken, Rhein- Vorschläge diskutieren und die politischen Differenzen hessen, Pfalz, Saale-Unstrut, die Steillagen der Mosel sichtbar machen. Denn auch wenn in allen Fraktionen und den Rheingau. Bei allen ist eines gleich: die Liebe Abgeordnete sich im Sinne von Menschen mit Behinde- der Menschen in den Regionen zu ihren Weinbauge- rungen stark machen: Es stimmt auch, dass wir nicht bieten und der Stolz auf die damit verbundenen Kul- alle einer Meinung sind, nur weil es um Menschen mit turlandschaften, die ihre Vorfahren über viele Jahr- Behinderungen geht. hunderte hinweg gehegt und gepflegt haben. Diese Kulturlandschaften gilt es zu erhalten; denn wir dürfen Die Qualität des Bundesteilhabegesetzes wird sich nicht vergessen: Der Weinbau ist eines der ältesten Kul- daran messen lassen, wem es zugutekommt. Ich bin turgüter Deutschlands. Seit mehr als 2 000 Jahren wird (B) bisher nicht überzeugt, dass das alle Menschen mit bei uns Wein hergestellt. Heute nimmt Deutschland ei- (D) Behinderungen sein werden. Wenn ich mir die Vor- nen Spitzenplatz unter den weinanbauenden Ländern schläge angucke, die bisher kursieren, dann stehen ein. nicht diejenigen mit besonders hohem Unterstützungs- Die deutsche Weinwirtschaft erzeugt ausgezeichnete bedarf im Vordergrund. Lassen Sie uns gemeinsam Produkte, die für Lebensqualität und Tradition stehen. darauf hinwirken, dass sich das ändert. Und, liebe Die Winzer leisten einen wertvollen Beitrag zum Erhalt Bundesregierung: Legen Sie endlich überhaupt ir- dieser Kulturlandschaft, gendetwas vor. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Vizepräsidentin Petra Pau: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf geordneten der LINKEN) Drucksache 18/1949 an die in der Tagesordnung aufge- für den Tourismus in den Anbaugebieten und schaffen führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- zudem noch Arbeitsplätze. Dafür, dass uns dies erhalten verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung bleibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir als so beschlossen. CDU/CSU uns ein. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- LINKEN: Wir auch!) regierung eingebrachten Entwurfs eines Achten – Gut. Danke. Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes Mit aktuell knapp 100 000 Hektar Ertragsrebfläche Drucksachen 18/1780, 18/1966 gehört Deutschland im internationalen Vergleich zwar zu den kleineren Erzeugerländern, die Qualität unserer Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Spitzenweine braucht den Vergleich mit Produkten aus schusses für Ernährung und Landwirtschaft Frankreich oder Italien aber nicht zu scheuen. Im Gegen- (10. Ausschuss) teil. In Deutschland haben wir die besten Voraussetzun- Drucksache 18/1983 gen, qualitativ hochwertigen und regionaltypischen Wein zu erzeugen und uns im weltweiten Wettbewerb zu Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für behaupten. Unsere Weine sind weltweit begehrt. die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU) 4244 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Kordula Kovac (A) Neben dem Absatz in Übersee – zu nennen sind vor Ich denke, sowohl im Parlamentarischen Weinforum (C) allem Kanada und Japan, aber auch China – entwickel- als auch im Ausschuss für Ernährung und Landwirt- ten sich auch die Exporte ins europäische Ausland be- schaft haben wir über diesen Gesetzentwurf gut und sonders positiv: nach Norwegen, nach Schweden und in einmütig diskutiert. Deshalb meine Bitte an die Kolle- die Niederlande, welches mittlerweile den zweiten Rang ginnen und Kollegen: Lassen Sie uns mit dieser Ge- in der deutschen Exportstatistik einnimmt. Gründe für setzesänderung die Weichen dafür stellen, dass auch diese erfreuliche Entwicklung sind unter anderem eine in Zukunft der Weinbau in Deutschland im Sinne der positive Medienberichterstattung und eine wachsende Bürgerinnen und Bürger sowie der Winzerinnen und Wertschätzung in der internationalen Fachwelt. Damit Winzer weitergeht. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung. unsere Weine in Zukunft von dieser Entwicklung viel- leicht sogar noch stärker profitieren können, wollen wir Danke für die Aufmerksamkeit. heute das von der Bundesregierung Ende April beschlos- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem sene Achte Gesetz zur Änderung des Weingesetzes ver- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. abschieden. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir Kollegin Kovac, das war Ihre erste Rede im Deut- die entsprechende EU-Verordnung über eine gemein- schen Bundestag. Ich denke, ich spreche im Namen des same Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeug- gesamten Hauses, wenn ich Ihnen für Ihre Arbeit viel nisse – kurz GMO – in nationales Recht um. Durch die Erfolg wünsche. neuen Fördertatbestände im Rahmen der Stützungspro- gramme werden die deutschen Winzer von der neuen (Beifall) EU-Maßnahme zur Absatzförderung auf dem Binnen- Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der leb- markt erheblich profitieren. Gleichzeitig wird der Bundes- haften Glückwünsche herrscht offensichtlich ein gewis- haushalt jedoch nicht belastet. Die besondere Bedeutung ses Missverständnis. Wir sind noch in der Debatte zum der herkunfts- und gebietsbezogenen Absatzförderung Thema Weingesetz. wurde auch vom Bundesverfassungsgericht kürzlich noch einmal besonders betont. Auch werden mit dem (Zuruf von der LINKEN: Ich dachte, jetzt wird neuen Gesetz schnell und unkompliziert die Vorausset- der Wein serviert!) zungen geschaffen, geografische Angaben auch für aro- – Die Verkostung und andere Dinge sollten wir auf die matisierte Weinerzeugnisse zu schützen. Zeit nach dem Abschluss der heutigen Tagesordnung (B) (D) Lassen Sie uns das Gesetz heute verabschieden, liebe verschieben. Kolleginnen und Kollegen, damit unsere Erzeuger früh- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: War das zeitig vor Inkrafttreten der neuen EU-Regelung entschei- eine Einladung?) den können, ob und inwieweit sie heimische Produkte mit einer geschützten Angabe versehen möchten. Wir Der Beitrag der Fraktion Die Linke durch den Kolle- wollen vor allem die kleinen und mittelständischen Fa- gen Roland Claus wurde zu Protokoll gegeben.1) milienbetriebe unterstützen, indem wir dem deutschen (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Friedrich Wein eine bessere Profilierung auf dem Weinmarkt er- Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: möglichen. Gleichzeitig haben wir die Verbraucher im Wo er doch so aktiv ist!) Blick, die von der verbesserten Information profitieren. Das neue Gesetz erlaubt künftig die Nennung einer klei- Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass es, wie die Kol- neren, gekoppelten Einheit wie einer Katasterlage zu- legin Kovac eben schon dargestellt hat, im Vorfeld der sätzlich zur Einzellage. Das ist für die Herausstellung heutigen Debatte zwischen den Fraktionen sehr viel von Spitzenlagen sinnvoll, zumal der Trend im Wein- Übereinstimmung gab, und durch seinen Vortrag keine export verstärkt zum Absatz höherwertiger Weine geht. Widersprüche aufgetaucht wären. Klasse durch Qualität ist gefragt. Darin liegt die Chance Das Wort hat nun der Kollege Gustav Herzog für die des deutschen Weins. SPD-Fraktion. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und Kollegen, viele Regionen in Deutschland sind mit dem Weinbau sehr eng verbunden. Gestatten Sie mir, dass ich bei meiner ersten Rede in diesem Hohen Hause Gustav Herzog (SPD): zum Schluss etwas persönlich werde. Seit 27 Jahren ha- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ben mein Mann und ich in Südbaden eine wunderbare Ich will eine Äußerung des Kollegen Claus zitieren. Am Heimat gefunden. Da ich nun auch mit dem Bergbau Montag hat er gesagt: Am Donnerstagabend, in der De- – im wahrsten Sinne des Wortes – verheiratet bin, batte zum Weingesetz, wird der Bundestag seinen gan- möchte ich an dieser Stelle mit zwei Zeilen aus dem zen Charme entfalten. Badnerlied enden: (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN) Zu Haslach gräbt man Silbererz, Bei Freiburg wächst der Wein. 1) Anlage 17 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4245

Gustav Herzog (A) – Da klatscht sogar die Union, wenn ein Linker zitiert die Deutsche Weinkönigin ist durch dieses Urteil gerettet (C) wird. worden, Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Woche (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gab es hier im Hohen Hause eine ganze Reihe von stritti- gen Auseinandersetzungen. Das ist auch gut so, weil wir weil es nämlich das Deutsche Weininstitut ist, das hoch- darum ringen, den besten Weg zum richtigen Ziel zu fin- qualifizierte Frauen aus der deutschen Weinwirtschaft den. Aber es gibt auch Themen, bei denen wir uns sehr gewinnt, die ein Jahr lang unsere hervorragenden Pro- einig sind. Dass das bei diesem Thema der Fall ist, war dukte in der ganzen Welt vertreten. schon am vergangenen Montag, beim Parlamentarischen Was die Exportförderung betrifft, kann ich jedem, der Weinforum, festzustellen. Frau Kollegin Kovac, Sie ha- die Gelegenheit hat, empfehlen, die entsprechenden Be- ben darauf hingewiesen, dass sich Saale-Unstrut hervor- richte zu lesen. Wenn man beispielsweise an Messeauf- ragend präsentiert hat. Wir konnten uns sozusagen auf tritte in China denkt, kann man nur sagen: Da ist jeder die Woche einstimmen. Euro gut angelegt. Jetzt ist die Materie etwas trockener. Es geht um die Gut gefallen an der Entscheidung hat mir die Aus- achte Änderung des deutschen Weingesetzes. Es liegt sage, dass eine privatwirtschaftliche Organisation nicht auch ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen vor, so erfolgreich wäre wie diese Anstalt des öffentlichen mit dem wir eine Anregung des Bundesrates aufgenom- Rechts. Ich glaube, es ist auch ein Signal an uns Parla- men haben. Es geht darum, die Gelder, die uns die Euro- mentarier, die wir den Weinfonds ja per Gesetz einge- päische Union zur Weinförderung zur Verfügung stellt, richtet haben, dass dies eine kluge Entscheidung war. Da einem größeren Kreis zuzuführen. Insbesondere für die ich auch Mitglied im Absatzförderungsfonds der deut- Kolleginnen und Kollegen, die nicht so sehr in der Mate- schen Land- und Ernährungswirtschaft bin, kann ich Ih- rie stecken, muss man sagen: Als wir 2007 die große nen sagen: Hier wurde die Verfassungsmäßigkeit ja nicht Weinreform durchgeführt haben, haben wir uns entschie- festgestellt, und wir sehen, dass es keine private Organi- den, nicht länger zu reparieren, indem wir Übermengen sation gibt, die so etwas leisten kann. Es geht also nicht destillieren oder den Einsatz von RTK subventionieren, darum, die Menge zu erhöhen, sondern darum, die sondern das Geld zu nehmen, um die europäische, um die Qualität und den Preis und damit das Einkommen der deutsche Weinwirtschaft wettbewerbsfähig zu machen, Winzerinnen und Winzer, der Genossenschaften und der um die Qualität zu steigern. Das sind fast 40 Millio- Kellereien zu erhöhen. nen Euro, die jedes Jahr der Weinwirtschaft in Deutsch- land zur Verfügung stehen. Was die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betrifft, muss man aber auch einen kleinen Tropfen (B) Wir haben damals gesagt – ich glaube, das war eine Wasser in den Wein gießen. Sie wurde nämlich auch mit (D) kluge Entscheidung –, dass wir 1 Million Euro nicht den Bezug auf Weinskandale, die Jahrzehnte zurückliegen, Ländern und den Weinbaugebieten zur Verfügung stellen begründet. Ich glaube, damit hat der deutsche Weinbau wollen, sondern über das Deutsche Weininstitut ausge- überhaupt nichts mehr zu tun. Da sind wir einige Schritte ben, um insbesondere Exportförderung zu betreiben. Diese weiter. Summe werden wir auf 1,5 Millionen Euro erhöhen. Das ist gut für den deutschen Wein, weil die so geförderten Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zum Ab- Maßnahmen dafür sorgen werden, dass die Qualität schluss ein Thema ansprechen, das uns in der zweiten steigt, dass wir wettbewerbsfähiger werden und der Ab- Jahreshälfte beschäftigen wird. Es geht um das Pflanz- satz steigt. Konkret geht es um Umstrukturierungen im rechteregime. Die Europäische Kommission ist der Auf- Weinberg, Investitionen in die Kellerwirtschaft und um fassung, nicht wir als Nationalstaat sollten darüber Verbraucheraufklärung. Im Parlamentarischen Wein- entscheiden, wo in unseren Weinbaugebieten Wein ange- forum haben wir uns vorgenommen, dies gemeinsam mit pflanzt wird, sondern sie würde das gerne freigeben. den Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss und mit Aber in diesem Haus herrscht Übereinstimmung: Wein der Drogenbeauftragten, Kollegin , um- ist ein Kulturgut, und wir wollen keine industrielle Mas- zusetzen. senproduktion. Deswegen sage ich von dieser Stelle aus schon heute: Wir werden gemeinsam dafür kämpfen, Zu der Frage der Absatzförderung gab es in der letz- dass wir weiterhin darüber entscheiden können, wo Wein ten Woche eine wichtige Entscheidung. Das Bundesver- angebaut wird, damit die Steilhänge an der Mosel und fassungsgericht hat sich dazu geäußert. Es lohnt sich, die andere Flächen in Deutschland weiterhin ihren Beitrag Pressemitteilung zu dieser Entscheidung zu lesen. als Kulturlandschaft leisten können. Damit schaffen wir Daraus könnte man vieles zitieren, nicht nur die gute den Rahmen für unsere Winzerinnen und Winzer, für die Nachricht, dass der Weinfonds grundgesetzkonform ist, Kellereien und für die Genossenschaften. Das Ergebnis sondern auch, dass das höchste deutsche Gericht festge- ist ein hervorragendes Produkt, das uns hoffentlich auch stellt hat: Ein Aufgabenschwerpunkt des Weinfonds ist heute Abend, wenn die Sitzung beendet ist, Frau Präsi- die Qualitäts- und Absatzförderung. – Ich sage bewusst: dentin, schmecken wird. Wir stimmen dem Gesetzent- Es geht auch um die Qualitätsförderung, nicht nur da- wurf aus Überzeugung gerne zu. rum, die Menge an den Kunden zu bringen. Herzlichen Dank. Als überzeugter Sozialdemokrat und Republikaner muss ich aber auch sagen: Es gibt da etwas, bei dem ich (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem im Hinblick auf die Monarchie schwach werde. Auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 4246 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: auch verdient. Ein hochqualitativer Wein kann mit dem (C) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der guten Image seines Namens für sich werben. Der Grund- Kollege Markus Tressel das Wort. satz „Klasse statt Masse“ ist die Stärke der deutschen Weinwirtschaft. Das soll auch so bleiben, und das errei- Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): chen wir auch mit diesem Gesetzentwurf. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zum Abschluss des Tages geht es um ein schönes Thema sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und mit großem Konsensfaktor. Liebe Kollegin Kovac, eines der SPD) muss ich Ihnen allerdings übel nehmen: Sie haben bei Der Kollege Herzog hat es bereits gesagt: Das Bun- der Aufzählung der schönen Weinregionen das Saarland desverfassungsgericht hat eine Entscheidung über den vergessen. Die Kollegin Ferner und ich haben auch ganz Deutschen Weinfonds getroffen. Wir freuen uns, dass betroffen geguckt, weil wir die ganze Zeit darauf gewar- das Bundesverfassungsgericht den Deutschen Wein- tet haben, dass Sie auch das Saarland nennen. Aber wir fonds und seine Finanzierung vollumfänglich bestätigt sehen es Ihnen nach. Das war heute ja Ihre erste Rede. hat, und auch ich kann von dieser Stelle aus nur noch Vielleicht nennen Sie das Saarland beim nächsten Mal einmal begrüßen: Das sorgt nicht nur dafür, dass wir den ganz zu Anfang. Absatz weiter vorantreiben können, sondern das sichert (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des auch die Existenz der Deutschen Weinkönigin. Diese BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ Pointe hat der Gustav Herzog eben vorweggenommen, CSU und der SPD) (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weinbau in SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und Deutschland stärkt die regionale Wertschöpfung, er der SPD) schafft – die Kollegin und der Kollege, die vor mir ge- aber ich möchte das an dieser Stelle auch nicht uner- sprochen haben, haben das ja bereits gesagt – Arbeits- wähnt lassen. plätze auf dem Land, und er fördert den Tourismus in einzigartigen Kulturlandschaften, die von Weinbergen, Trotz dieser erfreulichen Entwicklung gibt es in der Steilterrassen und Trockenmauern geprägt sind. Diese Weingesetzgebung natürlich auch Gefahren für eine landwirtschaftliche Attraktivität gilt es zu bewahren. Für qualitätsorientierte Zukunft des Weinbaus. Der Kollege die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Weinbaus für Herzog hat das Pflanzrechteregime angesprochen. Hier den ländlichen Raum setzen wir hier und heute mit die- brauchen wir eine Lösung, die den Qualitätsweinbau in ser Novelle des Weingesetzes die Rahmenbedingungen. diesem Land garantiert. Wir wollen keine Produktions- (B) ausweitung in die Flachlagen. Das würde den Preisdruck (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verschärfen und hätte einen Qualitätsverlust zur Folge. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Das kann nicht unser Ziel sein. Deswegen müssen wir des Abg. Gustav Herzog [SPD]) gemeinsam dafür sorgen, dass das in dieser Form nicht Der Gesetzentwurf der Bundesregierung passt das kommt. deutsche Weingesetz an Änderungen im EU-Recht an. Ich muss an dieser Stelle auch das Freihandelsabkom- Mit den Neuerungen beschreiten wir den richtigen Pfad, men TTIP nennen, ohne dass ich hier jetzt eine grund- den wir in der Weingesetzgebung ja schon länger im legende Debatte zum Thema TTIP führen möchte. Auch Konsens gehen. Auch das haben die Kollegin und der das kann Auswirkungen haben, etwa dann, wenn es um Kollege vor mir ja bereits gesagt. Wir fördern die Quali- die geschützten regionalen Herkunftsbezeichnungen für tät des Weins aus Deutschland. Das ist gut für die Wirt- Wein in der EU geht, die es in den USA nicht gibt. Das schaft, für die Regionen und nicht zuletzt für das Image sollten wir auf dem Schirm haben, wenn wir über dieses unseres Landes. Thema sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einen Punkt möchte ich noch ansprechen: Die globale sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Erwärmung ist natürlich auch eine große Gefahr für die des Abg. Gustav Herzog [SPD]) Weinwirtschaft. Diese müssen wir in Zukunft auch in Bei den neuen Stützungsprogrammen für den Wein- unsere Beratungen mit einbeziehen. Deutliche Verände- sektor begrüßen wir besonders, dass die Gelder auch für rungen bei Vegetationsphasen, Reifedauern und dem die Aufklärung über gesundheitliche Auswirkungen des Lesebeginn: Hier gibt es viel zu tun. Deswegen muss die Weinkonsums genutzt werden können. So wird die Bundesregierung an dieser Stelle auch etwas für den Absatzförderung aus Perspektive der Gesundheit auch Klimaschutz tun. Das wird klar, wenn wir über die kritisch begleitet. Weinwirtschaft sprechen. Heute liegt ein Gesetzentwurf vor, den wir voll unter- Auch die neuen Verfahren, die Herkunft des Weins stützen und dem wir zustimmen werden, da er die Quali- oder des Weinerzeugnisses anzugeben, schaffen tät des Weins fördert, die gesundheitliche Aufklärung Transparenz und ermöglichen eine bewusste Kaufent- über den Weinkonsum unterstützt und – das ist ganz scheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Da- wichtig – die regionale Wertschöpfung im ländlichen von profitiert auch die Weinwirtschaft. Die Regelungen Raum stärkt. zu den Herkunftsangaben sorgen nämlich dafür, dass nur der Wein einen guten Namen trägt, der den guten Namen Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4247

Markus Tressel (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dass wir dieses Ärgernis jetzt ausräumen, ist gut, so (C) bei der CDU/CSU und der SPD) können wir vernünftige Ziele erreichen. Meine Damen und Herren, angesichts der erfolgrei- Vizepräsidentin Petra Pau: chen Entwicklung, die wir politisch vorgegeben haben, Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege erinnere ich – so lange begleiten wir schon die Änderun- Norbert Schindler für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. gen des Weingesetzes – an die Dubliner Beschlüsse von 1984. Damals übernahm ich immer mehr die Verantwor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tung. Es ging darum, den Winzern beizubringen: Weni- der SPD) ger ist mehr! Keine Massenproduktion wie bei Henry Ford mehr, sondern Qualitätsstreben. Das hat einige füh- Norbert Schindler (CDU/CSU): rende Personen das Amt und uns, die CDU, damals in Einen schönen guten Abend zu diesem Dämmer- Rheinland-Pfalz die Mehrheit gekostet. schoppengespräch! Den Entwurf eines Achten Gesetzes (Gustav Herzog [SPD]: Nicht nur deswegen!) zur Änderung des Weingesetzes werden wir einstimmig verabschieden. Das war eine bittere Erkenntnis. Seit über 2 000 Jahren haben wir in Deutschland eine Heute sind alle wie nach einer Flurbereinigung dabei Weintradition, vor allem in den Flussniederungen an und sagen: Das haben wir schon immer so gemacht. Mosel und Rhein. Auch die Saale-Unstrut-Region muss Aber ich habe das in meiner Jugendzeit als Verantwortli- man nennen, aber im Osten gab es den Weinbau erst cher im Weinbau erlebt. Wie erfolgreich wir heute mit circa 1 000 Jahre später, wobei es nicht die Römer wa- unserem Qualitätsstreben sind, zeigen die guten Ergeb- ren, die den Wein dorthin brachten. Trotzdem ist es ein nisse bei internationalen Messen von Paris bis Bordeaux sehr gutes Kulturgut. und natürlich beim Wettbewerb unserer Landwirt- Die Auseinandersetzung ist aktuell – darauf komme schaftskammer Rheinland-Pfalz. ich zum Schluss noch einmal – wir müssen mit der Euro- Was uns drückt, ist folgendes Problem: Wie gehen wir päischen Union noch einmal das Rebpflanzrechteregime mit der Rebflächenausweitung um? Wir wollen keine für die Zukunft abgleichen. Ich war bis zur Weitergabe Massenstückgutproduktion, bei der es nach altem euro- der Verantwortung an meinen eigenen Sohn aktiver päischen Denken heißt: Wein kann man überall erzeu- Winzer: Ich kann aus Trauben Wein machen. Das ist eine gen. – Wir wollen auch keine Fraktionierungsmaßnah- Grundvoraussetzung dafür, um ein erfolgreicher Winzer men, wie sie in Neuseeland oder in den USA zu sein. – Was Gustav Herzog schon sagte: Vor acht (B) selbstverständlich sind. Der freie Geist der Europäischen (D) Tagen haben wir angesichts des zu erwartenden Urteils Union in den Vorlagen hat schon viel Verärgerung aus- in Karlsruhe die Luft angehalten und uns gefragt: Wie gelöst. urteilt das Bundesverfassungsgericht beim Weinfonds – wir haben darüber debattiert – im Vergleich zur CMA? Dass wir uns übereinstimmend über alle Landesregie- Leider hat das Gericht in Karlsruhe da verkehrt entschie- rungen, über alle Parteien hinweg gegen diese multilibe- den. ralen Vorstellungen seitens der Europäischen Kommis- sion gewehrt haben und wir auch jetzt bei der (Gustav Herzog [SPD]: Richtig!) Ausweisung von Rebflächen eine restriktive Haltung Da wurde uns ein wichtiges Mittel aus der Hand genom- eingenommen haben, ist ein guter Start in der Auseinan- men. Gott sei Dank hat diese Einsicht beim deutschen dersetzung mit den privilegierten Rechtsakten seitens Weinbau getragen. Ein Grund dafür war vielleicht der der Europäischen Union, die in den nächsten Wochen er- Sturm der Entrüstung und die Tatsache, dass wir schon wartet werden. Wir werden in diesem Haus im Oktober viele Strukturen in Deutschland auflösen mussten. Das oder im November dieses Jahres in dieser sehr strittigen haben wir alles schon erlebt. Frage mit der Kommission mit Sicherheit noch einmal heftig debattieren müssen. Ich bin nicht nur wegen des Überlebens der Weinkö- niginnen froh, sie hätten auch dieses Urteil überlebt. Es geht um unsere Qualitätsphilosophie. Wir wollen Aber dass die Weinwirtschaft dieses Mittel zur Struktur- keine fraktionierten Weine, die – wie man das in Kalifor- förderung in den Händen behält, war so selbstverständ- nien erleben kann – am Computer wieder zusammen- lich nicht. Wir haben uns wirklich große Sorgen ge- gesetzt und dann wie die Light-Version von Cola auf den macht. Weltmarkt gebracht werden. Vielmehr geht es um die Individualität der geografischen Herkunft. Darauf zielt Mit diesem Änderungsgesetz geben wir in der Frage auch eine der Änderungen im Zusammenhang mit dem der Zuordnung von Werbemitteln den Bundesländern, Katasternamen. Dafür haben wir hier vor zwei Jahren aber vor allem der Weinwirtschaft, noch einmal erwei- geworben und beschlossen, dies mit der kleinsten zu be- terte Möglichkeiten. In der leidigen Frage, wie wir mit stimmenden geografischen Einheit Terroir umzusetzen. Weinen mit hohem Säureanteil umgehen, erhalten die Damit tun sich manche Länder noch ein bisschen Länder die Verfügungsgewalt. Wir führen keine großen schwer, auch meine Freunde in Rheinland-Pfalz. Dass Debatten, bis die Europäische Union ein Genehmigungs- diese Möglichkeit vom Bundesgesetzgeber vorgegeben verfahren durchführt; denn solche Verfahren sind in der wird, dient der Profilierung der Einheit Terroir. Damit Regel abgeschlossen, wenn der Wein schon vergoren ist. weiß auch der preiswillige Konsument, worum es bei 4248 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Norbert Schindler (A) diesem Begriff geht. Jetzt will ich nicht alle bekannten zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt (C) Weinlagen nennen. Das ist das Gute an diesem Gesetz. dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Aber ich wünsche mir, dass wir im Oktober oder No- vember die deutsche Vorstellung einer geringeren Flä- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der chenausweitung gegenüber der Europäischen Union ver- LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- treten. Ich werbe schon heute dafür, dass man den NISSES 90/DIE GRÜNEN) erzielten Kompromiss von 1 Prozent jährlicher Auswei- Richtig schade, dass uns die Besucher schon vor gerau- tung der Rebfläche debattiert. Wir müssen von dem mer Zeit verlassen haben. 1 Prozent wegkommen. Es geht um weniger Flächenaus- weitung und die Angleichung an die geografische Nach- (Zuruf von der SPD: Einige sind noch da!) barschaft, damit nicht irgendwo ein Acker in Mutterstadt – Einige sind noch da, gut. in der Vorderpfalz auf einmal Rebflächengelände wird und die übrigen Landwirte auf diese Erzeugung Rück- Wir kommen zur sicht nehmen müssen. Das sind Problempunkte bis hin dritten Beratung zur Abgrenzung von Einzellagen. Jetzt gehe ich sehr ins Detail. Sie merken, wir haben noch ein bisschen Arbeit und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem vor uns. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Vizepräsidentin Petra Pau: entwurf ist einstimmig angenommen. Kollege Schindler, es ist hochinteressant. Das Präsi- (Zuruf: Das feiern wir gleich!) dium hört gebannt zu. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das können Sie (Beifall bei der LINKEN) gleich feiern. Aber davor hat uns der Ältestenrat in der Verabredung noch zehn Tagesordnungspunkte zur Bera- Aber Sie müssen trotzdem zum Schluss kommen. tung aufgegeben. Ich bitte Sie jetzt um gemeinsames konzentriertes Bearbeiten. Norbert Schindler (CDU/CSU): Das mache ich gern. Wenn Sie uns zu einer geschei- Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: ten Runde mit trockenem Riesling einladen, mache ich Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts das noch viel schneller. des Innenausschusses (4. Ausschuss) (Beifall bei der LINKEN) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, (B) (D) Jan Korte, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter Vizepräsidentin Petra Pau: und der Fraktion DIE LINKE Wir haben heute noch zehn Tagesordnungspunkte zu Für eine schnelle und unbürokratische Auf- behandeln. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam. nahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland und in der EU Norbert Schindler (CDU/CSU): – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Jawohl, Frau Präsidentin. – Wir haben noch ein paar Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abge- Hausaufgaben zu machen. Aber ich bin stolz auf den in- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE ternationalen guten Ruf unserer deutschen Weine. Dazu GRÜNEN hat der Gesetzgeber seit 1985 entscheidend mit beigetra- gen. So schlecht kann unsere Politik also nicht gewesen Verantwortung übernehmen – Zügig mehr sy- sein. Die Winzer haben diese Herausforderung umge- rische Flüchtlinge aufnehmen setzt. Drucksachen 18/840, 18/846, 18/1760 Danke schön. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Am vergangenen Montag erhielten wir die Nach- Vizepräsidentin Petra Pau: richt, dass 30 Flüchtlinge in einem mit 600 Menschen Ich schließe die Aussprache. völlig überfüllten Boot im Mittelmeer erstickt sind. Solche schrecklichen Tragödien schockieren im Deut- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- schen Bundestag jeden. Denn eines steht völlig außer desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- Frage: Zur Rettung von Menschenleben gibt es keine rung des Weingesetzes. Der Ausschuss für Ernährung Alternative. und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 18/1983, den Gesetzentwurf der Darum begrüße ich es, dass unsere Kollegen im Eu- Bundesregierung auf Drucksachen 18/1780 und 18/1966 ropaparlament im Frühjahr dieses Jahres die europäi- in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- sche Grenzschutzagentur Frontex rechtlich dazu ver- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung pflichtet haben, Flüchtlinge in Seenot zu retten. In Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4249

Andrea Lindholz (A) diesem Zusammenhang muss aber auch gesagt wer- reich oder Großbritannien stellen nur 500 Sonder- (C) den, dass Frontex bereits in den Jahren vor der recht- plätze zur Verfügung. Diese massive Schieflage im eu- lichen Verpflichtung über 40 000 Flüchtlinge aus See- ropäischen Asylsystem muss behoben werden. Aktuell not gerettet hat. werden rund 60 Prozent aller Asylanträge innerhalb der EU in Deutschland gestellt. Dieser Zustand ist auf Eine wesentliche Ursache für die Katastrophen auf Dauer nicht tragbar. dem Mittelmeer und den anschwellenden Flüchtlings- strom ist der Bürgerkrieg in Syrien. Täglich fordert der Auf nationaler Ebene haben wir heute etwas getan, anhaltende Zerfall des syrischen Staates neue Todes- um den Migrationsdruck an anderer Stelle zu reduzie- opfer. Inzwischen sind über 9,3 Millionen Syrer inner- ren. Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina halb und außerhalb ihrer Heimat auf der Flucht. Alle haben wir heute zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. diese Menschen brauchen dringend humanitäre Hilfe. Damit kann rund ein Viertel aller Asylanträge in Deutschland schneller bearbeitet werden. Dem oft erhobenen Vorwurf, Europa sei eine Fes- tung, muss ich an dieser Stelle widersprechen. Seit Auf europäischer Ebene setzt sich die Bundesregie- 2008 ist die Zahl der Menschen, denen im europäi- rung seit Jahren mit Nachdruck für ein größeres Enga- schen Asylsystem Schutz gewährt wurde, um rund gement unserer europäischen Partner ein. Zuletzt hat 55 Prozent gestiegen. Das belegen die Zahlen von Eu- sie das auf dem High Level Meeting in Genf am rostat, die zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2014 27. Juni getan. Ich hoffe, dass den Worten nun auch vorgelegt wurden. Taten folgen. Ganz Europa muss sich seiner humanitä- ren Verantwortung angesichts der katastrophalen Lage Es ist aber eine traurige Tatsache, dass sich die in Syrien bewusst werden. gestiegene Aufnahmebereitschaft in Europa auf we- nige Länder, vor allem Deutschland und Schweden, Letztendlich müssen wir aber einsehen, dass wir mit beschränkt. Das zeigt sich am Beispiel der Syrien- Sonderprogrammen und dem europäischen Asylsystem Hilfe ganz deutlich. immer nur punktuell helfen können. In Deutschland gilt seit 2011 ein absoluter Abschie- Wir haben aber eine humanitäre Verpflichtung ge- bestopp nach Syrien. In den letzten Jahren sind über genüber allen Flüchtlingen. Deswegen ist es absolut 35 000 Syrer nach Deutschland gekommen und erhal- richtig, dass die Bundesregierung ihre Mittel trotz der ten über das gewöhnliche Asylverfahren Schutz. Allein Verdoppelung der Sonderprogramme nach wie vor auf zwischen Januar 2013 und Mai 2014 wurden in die Hilfe vor Ort fokussiert. Seit 2012 hat die Bundes- regierung über eine halbe Milliarde Euro für syrische (B) Deutschland nahezu 21 000 Erstanträge aus Syrien (D) verzeichnet. Die Anerkennungsquote bei diesen Anträ- Flüchtlingshilfe bereitgestellt. Damit gehört Deutsch- gen liegt bei fast 100 Prozent. Seit Ausbruch des Bür- land zu den größten bilateralen Geldgebern. gerkrieges hat sich die syrische Gemeinschaft in Vor Ort leistet unser Technisches Hilfswerk prakti- Deutschland auf rund 66 000 mehr als verdoppelt. sche Hilfe in den Flüchtlingslagern. Die Mitarbeiter Zusätzlich hat die Bundesregierung im letzten Jahr des THW und der anderen Hilfsorganisationen vor Ort zwei Sonderprogramme aufgelegt, um 10 000 beson- verrichten einen unschätzbaren Dienst für Millionen ders schutzbedürftigen Syrern Schutz in Deutschland von Flüchtlingen. Ihnen gebührt unser größter Dank. zu gewähren. Diese Programme werden voraussicht- Vor diesem Hintergrund können die Anträge von lich erst im August abgeschlossen sein. Trotzdem ha- Linken und Grünen getrost abgelehnt werden. Die ben die 16 Innenminister der Länder zusammen mit Bundesregierung hat mit ihrem großen und stetig dem Bundesinnenminister im Juni beschlossen, weite- wachsenden Engagement in Syrien die Anträge längst ren 10 000 syrischen Flüchtlingen in Deutschland im obsolet werden lassen. Rahmen eines dritten Senderprogramms Schutz zu bie- ten. Damit wird das bestehende Bundesprogramm ver- doppelt. Diesen zusätzlichen Einsatz begrüße ich aus- Nina Warken (CDU/CSU): drücklich und bin den Innenministern für dieses Es ist leicht, die Aufnahme von mehr Flüchtlingen wichtige Signal sehr dankbar. aus Syrien zu fordern, wenn man sich als Bundespoli- tiker nicht um deren Unterbringung und Versorgung Deutschland hilft mit den Sonderprogrammen nicht kümmern muss. Solche Forderungen greifen aber zu nur den insgesamt 20 000 Flüchtlingen. Die Bundesre- kurz. gierung sendet damit und mit seinem insgesamt offe- nen Asylsystem ein wichtiges Signal an den Rest der Die Meldungen aus Städten wie Hamburg, aber Europäischen Union. Auch unsere europäischen Part- auch aus meiner Heimat bringen es auf den Punkt: ner haben eine humanitäre Verantwortung und müssen „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand!“, heißt es dort, mehr für die Bewältigung der Flüchtlingskatastrophe wenn es um die Unterbringung und Versorgung von in Syrien unternehmen. Asylbewerbern geht! Ich denke, deutlicher kann man es kaum ausdrücken. Bisher haben die Staaten der EU 33 000 syrischen Flüchtlingen Schutz zugesagt. 20 000 davon entfallen Mehr als 60 Prozent aller syrischen Flüchtlinge in allein auf Deutschland. Auch große Länder wie Frank- Europa hat Deutschland mittlerweile aufgenommen.

Zu Protokoll gegebene Reden 4250 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Nina Warken (A) Wir erwarten dieses Jahr einen Rekordwert von staaten in der Europäischen Union appellieren, die- (C) 200 000 Asylanträgen in der Bundesrepublik. Davon sem Beispiel zu folgen. stammen jeden Monat 1 700 von syrischen Flüchtlin- gen. Meine inständige Bitte lautet daher, dass die neue EU-Kommission, sobald sie im Amt ist, endlich zu ei- Das sind Zahlen, die unsere Kommunen erst einmal ner Syrien-Konferenz einlädt, was die Bundesregie- bewältigen müssen. All dies wird von den beiden An- rung schon seit über einem Jahr fordert. Denn nur trägen, gelinde gesagt, heruntergespielt. Das Gleiche Europa als Ganzes kann dafür sorgen, dass die drin- gilt für das beträchtliche deutsche Engagement in den gend benötigten Hilfsmittel für die Flüchtlinge in den syrischen Nachbarstaaten. syrischen Nachbarstaaten zusammenkommen und eine Es liegt doch ganz klar auf der Hand, dass zuerst europäische Aufnahmeaktion anlaufen kann. die notwendigen Aufnahmekapazitäten vorhanden sein Lassen Sie mich abschließend noch eines betonen: müssen, bevor wir die Menschen aufnehmen können. Wir dürfen bei allen notwendigen Hilfsmaßnahmen Deshalb müssen wir, was Aufnahmekontingente an- nicht vergessen, das Problem bei der Wurzel zu pa- geht, auch auf unsere Kommunen hören, denn sonst cken. sitzen die Flüchtlinge bei uns in naher Zukunft auch auf der Straße, wie in einigen anderen Ländern in Eu- Die Menschen aus Syrien verlassen ihre Heimat ropa. Das kann doch nicht das Ziel sein, wenn wir den nicht freiwillig, sondern weil sie dort um ihr Leben Menschen wirklich helfen wollen. bangen müssen. Der Zustand, dass die Friedensver- handlungen bis auf Weiteres abgebrochen wurden, bis Hinzu kommt, dass Kapazitäten in den Aufnahme- ein „konstruktiver Dialog“ möglich ist, darf nicht ein- einrichtungen und beim zuständigen Bundesamt durch fach hingenommen werden. Asylbewerber aus den Balkanstaaten gebunden wer- den. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam alles dafür tun, Ich appelliere deshalb dringend nochmals an die dass der Krieg in Syrien beendet wird und die Men- Länder, dem Gesetzentwurf zur Einstufung von schen wieder sicher in ihrer Heimat leben können. Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina als sichere Herkunftsländer zuzustimmen, damit die Rüdiger Veit (SPD): Kapazitäten unseres Asylsystems den tatsächlich Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir es noch Schutzbedürftigen, wie den Menschen aus Syrien, auch geschafft, hier mit den Stimmen aller Fraktionen des zur Verfügung stehen. Hauses eine einheitliche Position mit dem Titel „Syri- (B) (D) Bund und Länder haben nun beschlossen, die bun- sche Flüchtlinge schützen“ zu verabschieden. Das war desweite Aufnahme auf 20 000 syrische Flüchtlinge ein Zeichen der humanitären Anteilnahme mit den Op- aufzustocken. Hinzu kommen noch die separaten fern des Konflikts, und wir haben auch – wie gesagt, Aufnahmeprogramme der Länder, wodurch Tausende gemeinsam – die damalige Bundesregierung auf die- weitere Syrer bei ihren Verwandten in Deutschland un- sem Gebiet unterstützt. terkommen können. Vor dem Hintergrund des andau- In diesem Jahr war das leider nicht möglich: Wir ernden Bürgerkriegs in Syrien und der angespannten entscheiden hier heute nur über Anträge von Bünd- Lage in den Nachbarstaaten ist dies in jeder Hinsicht nis 90/Die Grünen und der Partei Die Linke. gerechtfertigt. Warum es also dieses Jahr nicht wieder gemeinsam Doch man muss sich darüber im Klaren sein, dass möglich ist, kann ich Ihnen zwar berichten, nachvoll- jede deutsche Aufnahmeaktion stets nur eine begrenzte ziehen und verstehen kann ich es aber nicht. Nur so Zahl syrischer Flüchtlinge aufnehmen können wird. viel sei gesagt: An der Bereitschaft zur konstruktiven Deshalb ist es richtig, den Schwerpunkt der Flücht- Mitarbeit aus der sozialdemokratischen Fraktion he- lingshilfe auf die Nachbarstaaten zu konzentrieren, raus hat es nicht gefehlt. wohin mittlerweile drei Millionen Syrer nach Schät- zungen geflohen sind. Es hat sich auch an der Sachlage eigentlich nichts geändert, sondern im Gegenteil: Die humanitäre Kata- Deutschland hat seit 2012 rund 520 Millionen Euro strophe innerhalb Syriens und in den an Syrien an- für humanitäre Hilfe und zur Verbesserung der Infra- grenzenden Staaten hat sich dramatisch vergrößert. struktur in den Nachbarstaaten Syriens bereitgestellt. 2,8 Millionen Syrer sind ins Ausland geflohen, und Zudem ist das Technische Hilfswerk vor Ort und sorgt weitere 9,3 Millionen sind in Syrien selbst auf der für sauberes Trinkwasser in den Flüchtlingslagern. Flucht und jedenfalls dringend auf humanitäre Hilfe Die Erfahrungen aus diesem breit angelegten Enga- angewiesen. Im Libanon halten sich mittlerweile mehr gement haben eines unmissverständlich gezeigt: Jeder als 1 Million Flüchtlinge auf. Bei einer Einwohnerzahl Euro hilft vor Ort viel mehr Menschen als bei einer dieses Staates, die nur knapp fünfmal so hoch liegt, Aufnahme in Deutschland. Und das ist es schließlich, kann sich jeder auch ohne Aufbietung von besonderer was wir wollen, dass unsere Hilfe so viele Menschen Fantasie vorstellen, dass der Libanon kurz vor einem wie möglich erreicht und damit auch so effektiv wie Kollaps seiner Infrastruktur und vielleicht des ganzen möglich ist. Wir können daher nur an alle Mitglied- Staatswesens steht.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4251

Rüdiger Veit (A) Deutschland leistet mit mittlerweile schon über Ich finde, unser Bundespräsident Joachim Gauck (C) 400 Millionen Euro Unterstützung für die Lage vor hat in seiner bemerkenswerten Rede von Anfang dieser Ort. Beispielhaft nicht nur in Europa, sondern in der Woche zu Recht darauf hingewiesen, man werde nie ganzen Welt – natürlich ausgenommen die unmittelba- genug tun können, um dem Flüchtlingselend in der ren Anrainerstaaten – ist auch unsere Bereitschaft, Welt überall entgegenwirken zu können, man kann Flüchtlinge aus Syrien bei uns aufzunehmen. Seit Aus- aber wesentlich mehr tun, als man gemeinhin glaubt. bruch des Bürgerkrieges haben 34 000 Asylsuchende Das betrifft Deutschland genauso wie die europäische bei uns Schutz gefunden. Mit Aufnahmeprogrammen und die internationale Staatengemeinschaft. Um den des Bundes – zunächst 5 000, dann 10 000, jetzt nach notwendigen politischen und moralischen Druck auf- der letzten Innenministerkonferenz 20 000 Personen – zubauen und von einer glaubwürdigen Position aus und verschiedenen Länderaufnahmeprogrammen verhandeln zu können, sollten wir weiterhin mit gutem – nur Bayern macht hier leider eine Ausnahme – sind Beispiel vorangehen. mittlerweile weitere 10 000 syrische Flüchtlinge in Wir haben dabei im Übrigen – was bei diesen The- Deutschland eingetroffen. men nicht immer der Fall ist – in der großen Mehrheit Im Februar dieses Jahres hat der UNHCR die ge- unserer Bevölkerung mit mitfühlendem Verständnis samte internationale Staatengemeinschaft aufgerufen, und Hilfsbereitschaft zu rechnen. 30 000 Plätze für die dauerhafte Neuansiedlung oder humanitäre Aufnahme von besonders schutzbedürfti- Lassen Sie uns hier in diesen Fragen beieinander gen syrischen Flüchtlingen bereitzustellen. Für 2015 bleiben – auch wenn es heute zu einem gemeinsamen und 2016 rechnet er mit einem Bedarf für weitere Antrag noch nicht wieder gereicht hat. 100 000 Plätze. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Innerhalb Europas hat sich Deutschland – diesmal Wir beraten heute abschließend einen Antrag der und erfreulicherweise – nicht auf den Standpunkt zu- Fraktion Die Linke zur Aufnahme von Flüchtlingen rückgezogen, man wolle zunächst abwarten, was an- aus Syrien. Darin fordern wir eine deutliche Auf- dere tun, um sich dann erst selbst der Verantwortung stockung der Aufnahmekontingente für syrische zu stellen. Wir haben im Gegenteil versucht, mit der Flüchtlinge, Erleichterungen bei der Aufnahme bei Aufnahme syrischer Flüchtlinge bei uns auch für die Verwandten in Deutschland und den Verzicht auf Ab- anderen Mitgliedstaaten ein ermunterndes Beilspiel zu schiebungen von syrischen Asylsuchenden in andere geben. Diese Hoffnung war leider bisher vergeblich, EU-Staaten. Wir meinen: Alle EU-Staaten müssen sich und es wird nunmehr allerhöchste Zeit, dass die neu zu (B) an der Aufnahme syrischer Flüchtlinge beteiligen und (D) wählende Europäische Kommission sich dieser Frage dabei von der EU unterstützt werden. engagiert annimmt. Um es klar und deutlich zu sagen: Die bisherige Untätigkeit der anderen europäischen Die Konferenz der Landesinnenminister im Juni hat Mitgliedstaaten halte ich, gelinde gesagt, für einen tatsächlich das Kontingent für die Aufnahme von Skandal und mit unseren ansonsten immer viel be- Flüchtlingen, die sich bereits in den Anrainerstaaten schworenen europäischen Grundwerten für nicht ver- Syriens befinden, von 10 000 auf 20 000 aufgestockt. einbar. Wir freuen uns selbstverständlich für jeden einzelnen Flüchtling, der den überfüllten Flüchtlingslagern oder Selbst die frühere Opposition von Bündnis 90/Die den schwierigen Lebensbedingungen außerhalb der Grünen, Linkspartei und Sozialdemokraten hat die da- Lager entkommen kann. Wir sagen aber auch: Die malige Bundesregierung nachdrücklich unterstützt, Bundesrepublik könnte mehr tun. und zwar sowohl bezüglich der finanziellen Hilfen in der Krisenregion als auch im Bezug auf die Flücht- Das gilt zum einen für die Aufnahmeverfahren sel- lingspolitik, und wir sollten auch heute mit allem ber. Die im Mai und Dezember letzten Jahres beschlos- Nachdruck die Verhandlungsposition der jetzigen Re- senen Aufnahmekontingente von jeweils 5 000 Flücht- gierung und hier namentlich unserer Minister Frank- lingen sind nämlich noch gar nicht ausgeschöpft. Das Walter Steinmeier und Thomas de Maizière unterstüt- liegt unter anderem an den Auswahlverfahren beim zen, um auf europäischer Ebene weiterzukommen. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den bü- rokratischen Visaverfahren an den Botschaften. Hier In diesem Zusammenhang muss ich wiederholen, müssen weiterhin Verfahrensbeschleunigungen vorge- was ich vor zwei Tagen in einer anderen Debatte er- nommen werden, besonders für die humanitär dringli- wähnt und beklagt hatte. Für den 27. Juni 2014 hatte chen Fälle. der UNHCR zu einem High-Level-Meeting nach Genf eingeladen. Dort vertreten waren 42 Staaten. Zum anderen gilt das auch hinsichtlich der Zahl der Herausgekommen ist: Aufnahmebereitschaft für wei- Flüchtlinge, die aufgenommen werden sollen. Fast tere 565 Personen – wohlgemerkt nicht am Tag, in der drei Millionen Menschen sind in die Anrainerstaaten Woche oder im Monat, sondern insgesamt! Ich be- Syriens geflohen. Das bedeutet für diese Staaten eine trachte das als eine Schande. Mutmaßlich werden die unglaubliche Belastung. Es wäre auch ein Zeichen der Kosten dieser angeblichen High-Level-Veranstaltung Solidarität gegenüber diesen Staaten, deutlich mehr höher gewesen sein als der mehrmonatige Aufwand für Flüchtlingen die Ausreise nach Deutschland zu ermög- die Aufnahme von diesen 565 Personen. lichen. Eine sofort wirksame Maßnahme ist die Er-

Zu Protokoll gegebene Reden 4252 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Ulla Jelpke (A) leichterung des Verwandtennachzugs. Es ist erfreulich, circa 76 000 Meldungen. Denn trotz des engagierten (C) dass über die entsprechenden Aufnahmeprogramme Einsatzes von Bund, Ländern und Kommunen reicht der Länder inzwischen immerhin 5 500 Visa erteilt meines Erachtens der deutsche Beitrag für syrische wurden. Doch es liegen noch weitere 75 000 Anträge Flüchtlinge noch nicht aus. Es ist dieses wichtigen hu- auf Nachzug von Verwandten vor, die noch nicht kom- manitären Themas unwürdig, dass es nicht gelungen men konnten. Denn weiterhin sind die hier lebenden ist, hierzu einen gemeinsamen Antrag vom Deutschen Syrer, die sich um ihre Verwandten sorgen, mit hohen Bundestag beschließen zu lassen, und dies bei einem finanziellen Anforderungen konfrontiert. Sie müssen Thema, das angelblich allen Fraktionen am Herzen sich verpflichten, für den Unterhalt ihrer Verwandten liegt. Dies ist sehr bedauerlich. Es wäre auch mit Blick aufzukommen, und sie müssen das entsprechende Ein- auf die Innenministerkonferenz ein gutes Signal gewe- kommen und Vermögen dafür nachweisen können. Un- sen, wenn der Bundestag hierzu ein geschlossenes Bild ter Umständen müssen sie so die belastende Wahl tref- abgegeben hätte. fen, wen sie holen und wer dort bleiben muss. Es ist begrüßenswert, dass die Innenministerkonfe- Bund und Länder haben damit eine Entscheidung renz dennoch im Juni 2014 beschlossen hat, dass über die Zukunft dieser Menschen und ihre Überle- Deutschland ein weiteres Kontingent von 10 000 syri- benschancen an ihre hier lebenden Verwandten dele- schen Flüchtlingen aufnimmt. Fakt ist nur, dass auch giert. Keiner von uns hier will sich wohl in einer Situa- ein neues Kontingent von weiteren 10 000 syrischen tion wiederfinden, in der er über das Leben seiner Flüchtlingen nicht ausreichen wird, um alle Anfragen Geschwister, Eltern und Kinder entscheiden muss. aus Deutschland zu befriedigen, zumal es bis heute Eine solche Entscheidung ist moralisch unzumutbar. auch noch keine Aufnahmeanordnung des Bundesin- Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung: Der nenministeriums für das neue Kontingent mit den De- Nachzug von Verwandten ersten und zweiten Grades tails gibt. Es ist mir unverständlich, warum nicht direkt darf keine Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit ein Kontingent gebildet wird, das sich an der Zahl der sein. Er muss jetzt und ohne weitere Anforderungen Interessenbekundungen orientiert, zumal die Bereit- möglich sein. Bund und Länder sind dringend gefor- schaft in der Bevölkerung zur Aufnahme und Hilfe für dert, noch einmal deutlich nachzubessern. Die nun von weitere syrische Flüchtlinge groß ist. Ehrenamtliche den Innenministern beschlossene Kostenübernahme setzen sich bereits jetzt zahlreich für die ankommenden im Krankheitsfall kann da nur der erste Schritt sein. Flüchtlinge ein. Engagierte Bürger und Bürgerinnen helfen bei der Wohnungssuche, beim Ämtergang, brin- Von der Koalition wird gern auf die Verantwortung gen den Ankommenden das Fahrradfahren bei oder (B) aller EU-Staaten und die hohe Zahl syrischer Asylsu- bieten Deutschkurse an. (D) chender in Deutschland verwiesen. Deshalb sollten sich die anderen EU-Staaten selbst um die Asylsuchen- Neben der Forderung eines weiteren Kontingents den kümmern, die bei ihnen ankommen. Zugleich bleibt für meine Fraktion nach wie vor das Problem macht die Bundesregierung Druck auf die Länder an von Dublin-Überstellungen syrischer Flüchtlinge un- den Außengrenzen der EU, dass diese ihre Grenzen ef- gelöst, die in Deutschland Verwandte haben. Hierzu ist fektiver abschotten sollen. Die Bundesregierung ist mir nicht bekannt, dass das BAMF seine Praxis geän- mitverantwortlich für eine Politik, die schutzsuchende dert hätte, außer wenn man in Einzelfällen darauf auf- Menschen nur als sogenannte irreguläre Migranten merksam macht. Für hoch problematisch halten wir behandelt und sie gar nicht erst einreisen lässt. Die auch die weiter fortbestehende Praxis der Inhaftierung Landgrenzen Griechenlands und Bulgariens zur Tür- von syrischen Flüchtlingen in Zurückschiebungshaft. kei sind mittlerweile zu einer unüberwindbaren Hürde Erst am 17. Juni 2014 ist ein schwer traumatisierter geworden. Es ist diese Abschottung, die zu den tägli- syrischer Flüchtling nach 35 Tagen Haft, veranlasst chen Dramen im Mittelmeer führt. Erst gestern hat der durch die Bundespolizei, trotz Vorliegens ärztlicher At- UNHCR 75 Flüchtlinge im Mittelmeer als vermisst ge- teste über seine Traumatisierung und Folterungen meldet. Am Tag zuvor meldete die italienische Marine nach Polen rücküberstellt worden. Der Flüchtling den Tod von 45 Flüchtlingen, die auf der Überfahrt wollte hier in Deutschland zu seinem Bruder. Es ist von Libyen erstickt waren. Deshalb fordern wir, end- skandalös, dass man Opfer des Krieges als Erstes in lich sichere Fluchtwege in die EU zu schaffen, um die eine Arrestzelle steckt, anstatt ihnen Unterstützung Menschen nicht in Lebensgefahr zu treiben. Davon und medizinische Versorgung zukommen zu lassen. würden nicht zuletzt die syrischen Flüchtlinge profitie- Ebenso ungelöst ist der Ausbau der personellen Ka- ren, die weiterhin zu Tausenden Tag für Tag ihre Hei- pazitäten für die Bearbeitung von Einreiseanträgen mat verlassen müssen. von Flüchtlingen an den deutschen Botschaften in den Nachbarstaaten Syriens. Mir sind keine entspre- Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): chenden Anträge im Haushaltsverfahren bekannt ge- worden. Auch hier gab es ein großes Versäumnis, Es geht in beiden Anträgen im Schwerpunkt um die Vorkehrungen für eine schnellere Bearbeitung der Vi- Forderung eines weiteren Aufnahmekontingents des saanträge zu schaffen. Bundes für syrische Flüchtlinge, das sich in der Grö- ßenordnung an den Interessensbekundungen syrischer Klar ist, dass es eine gesamteuropäische Verant- Verwandter hier in Deutschland orientiert. Es gibt wortung für die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4253

Luise Amtsberg (A) gibt. Dies haben wir mit einem überfraktionellen An- Daneben werden wir unter anderem eine Vielzahl von (C) trag am 7. Mai im Bundestag auch festgehalten. Des- redaktionellen Änderungen und auch Vereinfachungen halb hätte sich meine Fraktion gewünscht, dass die im Steuerrecht vornehmen. Im Koalitionsvertrag Bundeskanzlerin beim Europäischen Rat letzte Woche haben wir gemeinsam mit der SPD verabredet, die Bü- das Thema auf den Tisch gebracht hätte. Denn es ist rokratie – auch im Steuerrecht – weiter abzubauen. doch angesichts der sich stets verschlimmernden Si- Versprochen und geliefert! tuation in Syrien und den Anrainerstaaten viel zu zö- gerlich, auf die Möglichkeit einer EU-Flüchtlings- Im Einkommensteuer-, Körperschaft- und Gewerbe- konferenz auf Ministerebene Ende dieses Jahres zu steuergesetz erfolgt durch Streichung von über 100 Ab- verweisen. sätzen eine Straffung der Anwendungsregelungen. Wir werden auch den Grenzbetrag für die jährliche Ab- Wie die Koalitionsfraktionen die Ablehnung der bei- gabe einer Lohnsteueranmeldung von 1 000 Euro auf den Oppositionsanträge rechtfertigen wollen, bleibt 1 200 Euro anheben. ihr Geheimnis. Menschenrechtliche Glaubwürdigkeit sieht anders aus. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, für Hörbücher den ermäßigten Umsatzsteuersatz anzu- wenden. Auch dies setzen wir mit diesem Gesetz um, Vizepräsidentin Petra Pau: wobei wir uns darin einig waren, dass die Anwendung Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- des ermäßigten Umsatzsteuersatzes die Lieferung ei- empfehlung des Innenausschusses auf Drucksache nes körperlichen Speichermediums – also zum Beispiel 18/1760. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a eine CD-ROM oder einen USB-Stick, aber auch eine seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags analoge Kassette – voraussetzt. Downloads aus dem der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/840. Wer Internet hingegen fallen nicht unter diese Begünsti- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt gung. dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen Wir waren uns auch darüber einig, dass zukünftig die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Einrichtungen zur ambulanten Rehabilitation in die Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- Gewerbesteuerbefreiung einbezogen und somit statio- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nären Einrichtungen gleichgestellt werden, soweit nen auf Drucksache 18/846. Wer stimmt für diese diese im Rahmen der verordneten Rehabilitation Leis- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer tungen erbringen. Bei dieser Ergänzung haben wir uns enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den davon leiten lassen, dass es keinen Unterschied ma- (B) Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen chen kann, ob eine verordnete Rehabilitation stationär (D) beider Oppositionsfraktionen angenommen. oder ambulant ausgeführt wird. Gleichzeitig wollen wir damit zur Verbesserung der Versorgungsstruktur Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: insgesamt beitragen. – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Wir haben mit dem vorliegenden Gesetz auch eine regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Vielzahl von Anregungen aus den Bundesländern auf- zes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts gegriffen. an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Än- derung weiterer steuerlicher Vorschriften Ein sehr gutes Beispiel, wie wir gemeinsam mit den Drucksachen 18/1529, 18/1776 Ländern auf mögliche neue Fehlentwicklungen schnell und konsequent reagieren und damit missbräuchliche Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- Steuergestaltungen verhindern, ist unsere Klarstellung ausschusses (7. Ausschuss) zur Wegzugsbesteuerung in § 50 i Einkommensteuer- Drucksache 18/1995 gesetz. Ziel dieser schnellen Reaktion ist die Gewähr- leistung der Besteuerung von in Deutschland entstan- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) denen stillen Reserven. Wir wollen nicht, dass durch gemäß § 96 der Geschäftsordnung Wegzug ins Ausland und weitere steuerliche Gestaltun- Drucksache 18/2006 gen eine steuerfreie Verbringung ins Ausland möglich ist. Die Reden gehen auch hier zu Protokoll, und Sie ha- ben Ihr Einverständnis erklärt. Die CDU/CSU-Fraktion setzt sich für die Bekämp- fung von missbräuchlichen steuerlichen Gestaltungen ein. Obwohl dieses Ansinnen oftmals dem Hase-Igel- Olav Gutting (CDU/CSU): Rennen gleichkommt, zeigt die schnelle Reaktion mit Der vorliegende Gesetzentwurf, den wir heute in dem vorliegenden Gesetz, wie flexibel auch der Ge- zweiter und dritter Lesung abschließend beraten, ent- setzgeber gemeinsam mit dem Bundesrat reagieren hält verschiedene redaktionelle Anpassungen und Än- kann, um solchen Gestaltungen einen Riegel vorzu- derungen in verschiedenen Steuergesetzen. Namensge- schieben. ber des Gesetzes sind die durch den Beitritt Kroatiens zur EU notwendigen Anpassungen des nationalen Ein- Durch die nun geregelte systematisch zutreffende kommensteuerrechts und des Tabaksteuergesetzes. Umsatzbesteuerung am Verbrauchsort von Telekom- 4254 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Olav Gutting (A) munikationsleistungen sowie auf elektronischem Weg Von den zahlreichen Änderungen, die mit diesem (C) erbrachten Dienstleistungen an Verbraucher und dem Gesetzentwurf verbunden sind, möchte ich nur einige gleichzeitig eingeführten Registrierungsprozess für herausgreifen und im Folgenden darstellen. das Mini-One-Stop-Shop-Verfahren als einzige Mini- Durch eine neue Bestimmung in § 50 i EStG wird es Anlaufstelle erwarten wir jährliche Umsatzsteuer- in Zukunft nicht mehr möglich sein, dass in Deutsch- mehreinnahmen von circa 400 Millionen Euro. Hinter- land entstandene stille Reserven durch steuerliche Ge- grund der etwas sperrigen Regelung ist die Sicherstel- staltungsmöglichkeiten bei einem Wegzug des Steuer- lung der Umsatzbesteuerung von Leistungen, die hier pflichtigen ins Ausland der deutschen Steuer entzogen in Deutschland in Onlinestores von beispielsweise werden. Mit dieser Vorschrift soll unter anderem auf Apple oder Google an Endverbraucher erbracht wer- das BFH-Urteil aus dem Jahr 2009 reagiert werden, in den. Es handelt sich hierbei im Übrigen nicht um eine dem entschieden wurde, dass eine Veräußerung oder Steuererhöhung. Es geht vielmehr darum, dass das Entnahme von Wirtschaftsgütern durch einen im Aus- Steuersubstrat, das nach Deutschland gehört, auch land ansässigen Steuerpflichtigen nur vom Ansässig- hier ankommt. keitsstaat besteuert werden kann. Mit der Klarstellung Ein Punkt, den wir bei den Beratungen und auch bei in § 50 i EStG wird nun dem deutschen Fiskus wieder der Anhörung intensiv besprochen haben, war die die Möglichkeit gegeben, diese Sachverhalte unabhän- gig von Doppelbesteuerungsabkommen nach deut- Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei schem Steuerrecht zu behandeln und das entspre- Bauleistungen und bei Gebäudereinigungsleistungen chende Steueraufkommen für Deutschland zu sichern. nach der aktuellen Rechtsprechung des BFH. Auch hier wurde eine praktikable Lösung im Interesse der Mit der Änderung des Umsatzsteuergesetzes be- Betroffenen gefunden und die Umkehrung der Steuer- züglich des Leistungsorts bei Telekommunikations- schuldnerschaft für Bau- und Gebäudereinigerleistun- leistungen und ähnlichen Leistungen wird eine wei- gen so wiederhergestellt, wie diese bereits vor einer tere Regelung getroffen, damit der deutsche Fiskus Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 22. August ihm zustehende Steuereinnahmen erhält. Zukünftig gilt 2013 bestanden hat. Das sorgt für Rechtssicherheit. in diesen Fällen als Leistungsort bei Leistungen an Nichtunternehmer der Ort, an dem der Leistungsemp- Abschließend bedanke ich mich bei den Bericht- fänger seinen Sitz hat. Damit wird eine zutreffende Be- erstattern in der Koalition für die sehr gute und steuerung am tatsächlichen Verbrauchsort erreicht. zielorientierte Zusammenarbeit. Mein Dank gilt auch Diese Regelung wird zu einem zusätzlichen Steuerauf- allen beteiligten Mitarbeitern des BMF für die kommen von schätzungsweise 400 Millionen Euro füh- (B) (D) schnelle und teilweise weit über die normalen Dienst- ren. zeiten hinausgehende Zuarbeit. Im Ausschuss wurde von der Opposition behauptet, dass diese Regelungen tatsächlich Steuererhöhungen Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): seien und wir damit unser Wahlversprechen brechen Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, würden. Liebe Kollegen der Opposition, sehen Sie enthält Änderungen des Einkommensteuergesetzes und doch bitte von so billiger Polemik ab, denn hierdurch des Tabaksteuergesetzes, die wegen des Beitritts Kroa- werden nur Steuern in Deutschland erhoben, die bis- tiens zur EU notwendig geworden sind. Die Änderun- her im Ausland anfielen und nun zu Recht dem deut- gen sind zwingend, um die europäische Richtlinie schen Staat zugutekommen. 2013/13/EU in nationales Steuerrecht umzusetzen. Eine weitere Änderung betrifft die Umkehrung der Gleichzeitig werden mit diesem Gesetz weitere Ände- Steuerschuldnerschaft für Bauleistungen und Gebäu- rungen des Steuerrechts vorgenommen, die teils auf- dereinigerleistungen sowie für Fälle des Metallhan- grund höchstrichterlicher Entscheidungen, teils auf- dels und des Handels von Tablets und Spielekonsolen. grund besonderer Anliegen der Bundesländer und teils Damit wird wieder der Zustand hergestellt, wie er vor zur Sicherung der Steuerquellen in Deutschland erfor- der Entscheidung des BFH vom 22. August 2013 derlich sind. Mit diesem Gesetz werden über 100 Ab- herrschte. Hier entsprechen wir einem Anliegen der sätze im Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer- und Bundesländer und auch den Forderungen der Betroffe- Gewerbesteuergesetz gestrichen. Damit wird eine nen. Neben diesen Änderungen enthält das Gesetz eine Straffung der Anwendungsregelungen erreicht. weitere Reihe von Änderungsregelungen für eine Viel- Hier könnte ein wenig Hoffnung aufkeimen, dass zahl von Vorschriften von der Steuerfreiheit von Un- fallentschädigungen für Beamte über den Zweiterwerb dies ein erster Schritt zur Vereinfachung und Entbüro- von Lebensversicherungen bis hin zur Reduzierung des kratisierung des deutschen Steuerrechts sein könnte. Mehrwertsteuersatzes für Hörbücher. Ich würde mich sehr freuen, wenn dies tatsächlich auch der Fall wäre; denn wir wären gut beraten, die Wie eingangs gesagt, entsprechen wir mit diesem dringend notwendigen Schritte zur Vereinfachung des Gesetz auch bestimmten Anliegen der Bundesländer Steuerrechts energisch weiter fortzusetzen. Allerdings und stellen Sachverhalte wieder klar her, die durch Ur- fürchte ich, dass der Schwung zur Steuervereinfachung teile des BFH geändert wurden. Wir sichern dem deut- wieder einmal schnell erlahmen wird. schen Fiskus das ihm zustehende Steueraufkommen

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4255

Philipp Graf Lerchenfeld (A) und straffen das Steuerrecht in einigen Vorschriften. rechtssicheres Fundament für die Bauwirtschaft. (C) Deshalb bitte ich Sie, dem Gesetz heute Ihre Zustim- Durch den neuen Satz 2 wird bereits eindeutig im Ge- mung zu geben. setz definiert, dass der Leistungsempfänger nur dann Steuerschuldner für eine an ihn erbrachte Bauleistung ist, wenn er selbst nachhaltig Bauleistungen ausführt. Andreas Schwarz (SPD): Entsprechend wird gesetzlich klargestellt, dass der Das Kroatien-Gesetz hat mich zweimal überrascht: Leistungsempfänger auch dann Steuerschuldner ist, erst mit seinem trügerischen Namen und danach mit wenn er die an ihn im Einzelfall erbrachte Dienstleis- seinem Umfang. Der Name intendiert gesetzliche An- tung nicht zur Ausführung einer Bauleistung verwen- passungen im Steuerrecht, die ganz überwiegend im det. Damit kommt künftig die vom BFH formulierte Zusammenhang mit dem kroatischen Beitritt zur Euro- bauwerksbezogene Betrachtung nicht mehr zur päischen Union stehen – über den wir uns seit einem Anwendung, sondern es kommt darauf an, dass der Jahr bereits freuen. Zu einem nicht unwesentlichen Leistungsempfänger nachhaltig Bauleistungen er- Teil handelt es sich beim vorliegenden Gesetzentwurf bringt. Diese Regelung wird auch von Verbänden, der Bundesregierung um die Anpassung geltenden Unternehmen, Steuerberatern und Finanzverwaltung Steuerrechts. Das sind weitestgehend unstrittige begrüßt und bringt für alle Beteiligten ein großes Stück redaktionelle oder rechtsförmliche Anpassungen, die an Sicherheit zurück. geschehen müssen, um bestehende Gesetze an den Beitritt Kroatiens anzupassen. Ich denke da etwa an Der Gesetzentwurf, den wir heute gemeinsam be- die Anpassung der Mutter-Tochter-Richtlinie oder die schließen wollen, bietet eine weitere Verbesserung im Anpassung der Richtlinie über die Zins- und Lizenz- Bereich des Einkommensteuergesetzes. Wenn bei- gebühren. spielsweise Lebensversicherungen den Charakter der Risikovorsorge verlieren und zu einem reinen Rendite- Nun hat man aber sinnvoller Weise die Chance modell werden, dann wird dieser Umstand künftig erkannt, notwendige redaktionelle Anpassungen im steuerpflichtig. Wir reagieren damit auf Modelle, bei gesamten Steuerrecht vorzunehmen, um ein abgerun- denen Fonds im großen Umfang „gebrauchte“ Versi- detes technisches Gesetz vorzulegen. Aber wie das cherungen – insbesondere Todesfallversicherungen – dann so ist in der Politik – je mehr Akteure, desto von den Versicherten erworben haben. Mit diesen mehr Begehrlichkeiten, ob nun aus dem Bundesfinanz- Produkten wird der Zweck verfolgt, vorab kalkulierte ministerium, dem Bundestag oder am Ende dem Bun- Erträge in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen desrat –: Aus einem rein technischen Gesetz entstehen der ausgezahlten Versicherungssumme beim Eintritt (B) nun, auch dank der Fachleute aus der Anhörung, Maß- des Versicherungsfalls, also den Tod der versicherten (D) nahmen, die das Steuerrecht häufig entschlacken, prä- Person, und den Anschaffungskosten der Versicherung zisieren oder sinnvoll verändern. Da gilt es, auch zwi- für den Zweiterwerber steuerfrei zu erzielen. schen allen Ebenen Kompromisse zu schließen. Auf vier davon möchte ich in meiner Rede kurz eingehen. Ich möchte Ihnen das gern an einem Beispiel erläu- tern. Es kam vor einigen Jahren dazu, dass sogenannte In der Umsatzsteuer, genauer gesagt in § 13 b, keh- Investoren massenhaft Lebensversicherungen von ren wir zu einer bewährten Methode zurück, die zuge- Schwerstkranken, häufig Aidskranken, aufkauften und gebenermaßen auch ich erst mal verstehen musste. mit dem Sterbedatum spekulierten, um somit Geld zu Beim Reverse-Charge-Verfahren ist nach der bisheri- verdienen. Ich muss Ihnen nicht sagen, was ich von gen Verwaltungspraxis der Empfänger von Bauleistun- solchen Wetten auf den Tod ethisch und moralisch gen Steuerschuldner, wenn er als Unternehmer selbst halte. Aber dass solche Modelle auch noch steuerfrei nachhaltig Bauleistungen erbringt. Dieses Modell hat bleiben sollen, das führt unser System ad absurdum. bisher vieles vereinfacht und letztlich auch vermieden, Diese Steuerlücke wird geschlossen, und das ist auch dass es zu größeren Steuerausfällen in diesem Bereich gut! kommt. Der BFH hat in seinem Urteil vom 22. August 2013 entschieden, dass die Steuerschuldnerschaft des Einen großen Schritt vorangekommen sind wir bei Leistungsempfängers bei Bauleistungen nur in Be- den sogenannten Mini-One-Stop-Shops – oder zentra- tracht komme, wenn der Leistungsempfänger die an len Anlaufstellen. Hier geht es um die Bestimmung ihn erbrachte Leistung selbst für eine steuerpflichtige des Leistungsortes bei Telekommunikationsleistun- Bauleistung verwende, also die sogenannte bauwerks- gen, Rundfunk- und Fernsehleistungen und bei auf bezogene Betrachtung. Auf die Eigenschaft des Leis- elektronischem Weg erbrachten Leistungen an Nicht- tungsempfängers als Bauleister und dementsprechend unternehmer. Kurzum: Welcher Steuersatz gilt, wenn die Höhe der von ihm ausgeführten Bauleistungen ich hier in Berlin ein Musikstück kostenpflichtig, etwa komme es danach nicht an. Dies führt in der Verwal- bei Amazon, herunterlade, aber das Unternehmen tungspraxis zu zahlreichen Problemen, drohenden seine Steuern beispielweise in Luxemburg bezahlt und Einnahmeausfällen und zu Unklarheiten zwischen Un- somit ein Steuersatz gilt, der hierzulande unter ferner ternehmern und Subunternehmern. Deshalb reagieren liefen eingestuft werden würde? Die neue Regelung wir hier auch zum Wohle des Mittelstandes und der verhindert zum einen totalen Steuerausfall, aber auch vielen ehrlichen und fleißigen Bauunternehmer in un- eine Niedrigbesteuerung im Ausland. Künftig gilt: serem Land auf das Urteil des BFH und gießen ein Lade ich in Deutschland etwas Kostenpflichtiges he- 4256 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Andreas Schwarz (A) runter, wird auch in Deutschland zu dem hier gültigen die Strukturen in Infrastruktur und Bildung, von denen (C) Satz versteuert. Dies vereinfacht die aktuellen Rege- besonders auch unsere Automobilindustrie derart pro- lungen massiv, sorgt für Klarheit bei allen Beteiligten, fitieren kann, wie sie es nur hierzulande tut? vereinfacht die aktuellen Regelungen und sorgt auch für ein kräftiges Plus an Steuereinnahmen. Glaubt man Als ich den Artikel in der „FAZ“ seinerzeit las, fiel den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums mir der Satz von Charles Baudelaire ein: „Für einen – und mein Vertrauen ist da fast uneingeschränkt –, Kaufmann ist sogar Ehrlichkeit eine finanzielle Speku- dann können wir jährlich mit Mehreinnahmen von lation.“ Wir antworten in unserem Gesetzentwurf mit 400 Millionen Euro rechnen, von denen Länder und dem Talmud: „Fehlt die Gelegenheit zum Stehlen, Kommunen um gut die Hälfte profitieren. glaubt der Dieb, er sei ehrlich.“ In diesem Sinne reagiert die Große Koalition und Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, liegt schließt eine weitere Steuerlücke. Die Änderung im mir besonders am Herzen, und ich freue mich, dass die § 50 i des Einkommensteuergesetzes nenne ich präven- Union hierbei unseren Vorschlägen gefolgt ist. Ich tive Steuerehrlichkeit! möchte zur Entstrickungsbesteuerung kommen, wie sie in § 50 i Einkommensteuergesetz geregelt ist, weil wir Abschließend möchte ich mich noch – weil es mein hier gemeinsam eine ganz wesentliche Steuerlücke erstes etwas größeres Gesetz war, das ich für meine schließen. Hier konnte relativ unbemerkt zuletzt eine Fraktion als Berichterstatter begleiten durfte – beim Lücke genutzt werden, um in Deutschland erzielte Bundesministerium der Finanzen, dessen Fachbeam- Gewinne, die als stille Reserven noch in deutschen tinnen und Fachbeamte immer unterstützend und fach- Depots liegen, am Fiskus vorbei ins Ausland zu schleu- kundig zur Seite standen, und natürlich beim Kollegen sen. Dabei handelt es sich um Veräußerungsgewinne, Olav Gutting von der CDU, mit dem ich sehr gute und die durch einen Wegzug nachfolgend in eine Personen- offene Gespräche geführt habe, bedanken. Wenn alle gesellschaft umgewandelt werden und so steuerneutral Gesetzesverfahren zwischen uns Koalitionspartnern so ins Privatvermögen überführt werden sollen. Anschlie- ablaufen wie das Kroatien-Gesetz, ich denke, dann ßend kann man diese Personengesellschaft dann können wir uns auf produktive und gewinnbringende beispielsweise in eine Kapitalgesellschaft umwandeln weitere drei Jahre freuen. und einige Jahre später das Vermögen steuerfrei ent- nehmen. Ich will eines ganz deutlich sagen: Das mag Richard Pitterle (DIE LINKE): zwar bis dato legale Steuerumgehung sein, aber mora- lisch handelt es sich hierbei um Steuerhinterziehung. Der uns vorliegende Gesetzentwurf trägt nach wie vor einen etwas irreführenden Namen – um den EU- (B) Damit machen wir jetzt endlich Schluss. (D) Beitritt Kroatiens geht es nämlich nur am Rande. Steu- Und es handelt sich hierbei eben nicht um einen erjahresgesetz 2014 wäre wohl passender gewesen. konstruierten Fall, der irgendwann mal auftreten Aber vielleicht kommt ein solches ja auch noch in der könnte. Im März dieses Jahres konnten wir es in der zweiten Hälfte dieses Jahres, angesichts der vielen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ doch nachlesen. Baustellen in der Steuerpolitik. Da geht es um einen Erben der Porsche-Familie, der Aber zurück zum Entwurf. In großen Teilen handelt versucht, genau dieses Modell anzuwenden. Es geht es sich bei dem hier von der Bundesregierung vorge- hier um Hunderte Millionen Euro an Steuergeldern, legten Wirrwarr um eine, salopp formuliert, Ent- die man versucht zu vermeiden, um ein milliarden- rümpelung des Steuerrechts. Die Fraktion Die Linke schweres Vermögen, das hier in Deutschland erarbei- begrüßt ein solches Vorhaben ausdrücklich. Insbeson- tet wurde. Ich zitiere mal aus dem Artikel: „Er ver- dere im nahezu undurchdringlichen Labyrinth des Ein- packt seine Beteiligungen in ein inländisches kommensteuergesetzes ist ein Großreinemachen näm- Betriebsvermögen und zieht erst dann weg. Anschlie- lich dringend notwendig. ßend entpackt er die Beteiligungen wieder in eine GmbH. Der Charme dieser Konstruktion: Dividenden Jedoch hätten Sie, meine Damen und Herren von könnten steuerfrei ausgeschüttet werden. Außerdem der Regierungskoalition, bedenken sollen, dass sich fällt in Österreich keine Erbschaft- oder Schenkung- bei einem solchen Großvorhaben schnell der eine oder steuer an.“ Dafür soll er sogar bei Finanzministern andere Fehler einschleichen kann. Sowohl durch den anrufen, in – und ich zitiere erneut – „Verantwortung Bundesrat als auch durch die Sachverständigen in der für seine Familie und das Erbe zwischen seinen vier Anhörung zu vorliegendem Entwurf im Finanzaus- Kindern“. schuss wurde angeregt, für eine sorgfältige Überprü- fung noch etwas mehr Zeit einzuräumen. Darauf sind Für mich steht der Name Porsche für Innovation, Sie bedauerlicherweise nicht eingegangen, und ich be- Erfolg und unternehmerische Verantwortung, Gerade fürchte, dass sich noch einige Schwachstellen in Ihrem deshalb frage ich mich manchmal, wo der ehrenvolle Mammutentwurf auftun werden. deutsche Unternehmer hin ist, der seine Verantwor- tung für das Gemeinwohl erkennt und auch verstanden Aber auch bereits jetzt gibt es schon einiges zu kri- hat, dass es zu großem Teil ebendieser Staat ist, der die tisieren. So wollen Sie zum Beispiel, meine Damen und Rahmenbedingungen dafür schafft, dass solche Unter- Herren von der Bundesregierung, ambulante Rehaleis- nehmen in diesem Land Erfolg haben. Wer schafft denn tungen zulasten der Kommunen von der Gewerbe-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4257

Richard Pitterle (A) steuer befreien. Falls Sie es immer noch nicht mitbe- wenig bis gar nichts mit dem EU-Beitritt Kroatiens zu (C) kommen haben sollten – viele Kommunen sind quasi tun. Die Koalition schiebt uns hier ein kleines Jahres- pleite. Was Sie hier machen, ist eine weitere Steuersub- steuergesetz unter, ohne es so zu nennen. Im Herbst ventionierung der Privatisierung des Gesundheitssek- kommt dann der nächste Schwung in einem Jahres- tors, das hat mit verantwortungsvoller öffentlicher Da- steuergesetz, das auch so heißen darf. Die Befürchtung seinsvorsorge leider nichts zu tun. bleibt, dass die Koalition auch dann die großen steuer- lichen Baustellen unbearbeitet lässt. An anderer Stelle in Ihrem Entwurf führen Sie eine Steuerpflicht für Gewinne aus gebrauchten Lebensver- Mit der Änderung bei der sogenannten Entstri- sicherungen ein. Dabei scheint es Ihnen offenbar ckungsbesteuerung mit dem § 50 i des Einkommen- nichts auszumachen, dass Geschäfte mit gebrauchten steuergesetzes schließen Sie ein Einfallstor für Gestal- Lebensversicherungen häufig eine Spekulation auf den tungsmissbrauch, das noch vor einem Jahr die Tod des Versicherungsnehmers darstellen. Solche Spe- Regierung Merkel selbst mit dem Amtshilferichtlinien- kulationen sind aber ethisch schlichtweg nicht tragbar Umsetzungsgesetz in die Welt gesetzt hat. So war das und gehören daher nach Ansicht der Fraktion Die aber nicht gemeint, wenn im Koalitionsvertrag eine Linke grundsätzlich verboten. Initiative gegen Steuergestaltung angekündigt wird. Erst die Löcher selbst zu schaffen, um sie dann wieder Versteckt in Ihrem Wust verschiedenster Gesetzes- zuzuschütten wird hoffentlich nicht zur Methode dieser änderungen sind auch Regelungen, die auf den ersten Großen Koalition. Blick ganz harmlos wirken, aber für die Betroffenen tatsächlich verheerende Auswirkungen haben könnten. Mit der Einführung des sogenannten Mini-One- Nehmen wir zum Beispiel die geplanten Änderungen Stop-Shop wird eine Vorgabe der Mehrwertsteuersys- im Steuerberatungsgesetz. Da führen Sie zum einen für temrichtlinie umgesetzt. Der Leistungsort von elektro- die Finanzbehörden die Pflicht ein, in bestimmten Fäl- nischen Telekommunikations-, Rundfunk- und Fern- len unbefugte Hilfeleistungen in Steuersachen an die sehleistungen wird an den Verbraucher gekoppelt. Steuerberaterkammern zu melden. Obendrein werden Diese Änderung führt zu deutlichen Umsatzsteuer- die Steuerberaterkammern dann noch verpflichtet, in mehreinnahmen, sodass aus einem Gesetzespaket, das diesen Fällen wettbewerbsrechtliche Ansprüche gel- eine volle Jahreswirkung von lediglich 20 Millionen tend zu machen. Im Ergebnis sollen also die Finanzbe- Euro umfassen sollte, nunmehr jährlich etwa 350 Mil- hörden bei den Steuerberaterkammern petzen und die lionen Euro zusätzlich erwartet werden. Steuerberaterkammern dann die Verpetzten mit Klagen überziehen. Meine Damen und Herren von der Regie- Doch die großen Themen, die Ihnen die EU-Kom- (B) rungskoalition, erstens ist das hier rechtsdogmatisch mission und die Sie sich selbst in ihrem Koalitionsver- (D) fragwürdig, vermischen Sie doch staatliche Sanktio- trag ins Stammbuch geschrieben haben, geht diese nen und zivilrechtliche Unterlassungs- und Schadens- Koalition nicht an. Die EU-Kommission fordert ersatzansprüche. Zweitens erschweren Sie hier den Deutschland auf, die Abgabenlast für Geringverdiener ohnehin gegenüber Steuerberaterinnen und Steuerbe- zu senken, Kapitaleinkommen höher zu besteuern und ratern benachteiligten Buchhalterinnen und Buchhal- Fehlanreize für Zweitverdiener endlich abzuschaffen. tern ihre Berufsausübung ganz erheblich, da diese Und obwohl selbst der Bundesfinanzminister von sich ständig fürchten müssen, in rechtlichen Grauzonen zu behauptet, nie ein großer Freund der Abgeltungsteuer agieren und in der Folge mit Bußgeldern und Scha- gewesen zu sein, schaffen Sie es nicht, die ungerecht- densersatzansprüchen überzogen zu werden. Das ist, fertigte steuerliche Subventionierung von Kapital- ge- mit Verlaub, ständisch orientierte Interessenpolitik zu- genüber Arbeitseinkommen abzuschaffen. gunsten der Steuerberaterlobby. Hinzu kommt der Koalitionsvertrag, der diese Ko- Ich habe es eingangs schon erwähnt, die Fraktion alition zur Bekämpfung unerwünschter Steuergestal- Die Linke begrüßt eine übersichtlichere Gestaltung tung verpflichtet. Die EU-Kommission wird aktiv und des Steuerrechts ausdrücklich. Nur leider ist der von unterzieht Irland und Luxemburg einem Prüfverfahren Ihnen vorgelegte Entwurf eben etwas vorschnell und wegen Wettbewerbsverzerrung bei der Besteuerung schwächelt in den besagten Teilen. Daher können wir von Großkonzernen. Was kommt von Ihnen? Nichts. hier leider keine Zustimmung geben, sondern werden Stattdessen gelingt es Ihnen, bei der Umsatzsteuer uns der Stimme enthalten. auch noch neue Ausnahmen zu schaffen, die an Reali- tätsferne kaum überboten werden können. Die Reform Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Umsatzsteuer ist überfällig, doch statt sich von der Das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuer- Klientelpolitik der schwarz-gelben Koalition zu lösen rechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Ände- und beispielsweise die Hotelsteuer endlich abzuschaf- rung weiterer steuerlicher Vorschriften regelt die Be- fen, setzt diese Koalition den Weg der Aushöhlung des grenzung der zollfreien Menge von Zigaretten, die aus Umsatzsteuergesetzes weiter fort. Die Erhebungslücke Kroatien mitgebracht werden darf. Darüber hinaus der Umsatzsteuer gefährdet die öffentlichen Haus- haben die von Regierung und Koalition vorgesehenen halte. Jetzt soll auf den Verkauf von Hörbüchern der Änderungen in 15 Gesetzen, 3 Durchführungsverord- ermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent gel- nungen und 19 eingebrachten Änderungsanträgen nur ten.

Zu Protokoll gegebene Reden 4258 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Lisa Paus (A) In der Begründung Ihres Änderungsantrages Dritte Beratung (C) schreiben Sie: „Von den begünstigten Hörbüchern und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem sind Hörspiele abzugrenzen, die von der Umsatz- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – steuerermäßigung ausgeschlossen sind. Hörspiele Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- unterscheiden sich von den begünstigten Hörbüchern entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen durch die Verwendung dramaturgischer Effekte, ver- ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Oppositions- teilte Sprecherrollen, Geräusche sowie von Musik und fraktionen angenommen. gehen damit über die Wiedergabe einer bloßen Buchle- sung hinaus.“ Außerdem sind sie abzugrenzen gegen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Hörzeitschriften, für die weiter der volle Mehrwert- Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten steuersatz gilt, und natürlich auch gegenüber allen Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, wei- Downloads, die ebenfalls vom verminderten Steuersatz terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE nicht profitieren. Irrsinn! Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen ein- Alle Experten, von den Finanzbeamten bis zum führen DIHK, lehnten diesen neuen Ermäßigungstatbestand in der öffentlichen Anhörung ab und stellten die Drucksache 18/1872 Frage: Wie sollen diese Abgrenzungskriterien in der Überweisungsvorschlag: Praxis überhaupt greifen? Wie sollen Umsatzsteuer- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und sonderprüfer nach Kriterien wie „keine dramaturgi- Reaktorsicherheit schen Effekte oder Geräusche“ eine sinnvolle Prüfung durchführen? Das ist doch offensichtlich gar nicht um- Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben setzbar. werden, und ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Betriebsprüfungen und Umsatzsteuersonderprüfun- Artur Auernhammer (CDU/CSU): gen kommen regelmäßig zu Mehrergebnissen in Höhe Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen zu fordern, von vier Milliarden Euro pro Jahr, die ohne diese weckt in mir als allererstes ostalgische Gefühle. Vor Prüfungen im Erhebungsverfahren unter den Tisch etwa 23 Jahren besuchte ich eine brandenburgische gefallen wären. Allein die Steuerfahndung sorgt für „Milchproduktionsstätte“ mit 2 500 Milchkühen, die weitere Umsatzsteuermehreinnahmen im Umfang von – fernab von bäuerlicher Idylle – separate Sonderstal- etwa zwei Milliarden Euro. Diese prüfungsbedingten lungen für bis zu 100 trächtige Färsen und Kühe vor- Mehreinnahmen sind ein Indiz für den unentdeckt ge- (B) hielt. In Akkordarbeit widmete man sich dort gemein- (D) bliebenen Bereich wirtschaftlicher Tätigkeiten, die der sam mit dem Tierarzt den in Reih und Glied stehenden Umsatzbesteuerung entgehen. Zählt man die Nieder- kalbenden Rindern. Kalbungen im Fließbandtakt, ein schlagungen und Insolvenzen dazu, zeigt sich, wie ganz neues Erlebnis. So auch die Bezeichnung dieses groß das Ausfallrisiko im Umsatzsteuersystem ist. All Verschlags: Abkalbestall. Dieses Bild drängt sich mir das hindert diese Koalition nicht, eine neue Ausnahme immer wieder auf, wenn ich Ihren Antrag lese, meine für Hörbücher zu beschließen. Damen und Herren Kollegen von der Linken. Immer Fazit: Dieses Omnibusgesetz ist ein kleines Gesetz, wenn ich von diesem Erlebnis berichte, verdrängt ein mit dem der Gesetzgeber seiner Pflicht nachkommt, Bild von scheinbar „böser Massentierhaltung“ die seine Hausaufgaben erledigt, nämlich missbräuchli- Idylle der „lächelnd grasenden lila Kuh“. che Steuergestaltungs- und Hinterziehungsmöglichkei- Doch es ist falsch. Konventionelle Tierhaltung, In- ten einzudämmen. Das begrüßen wir. Aber die GroKo tensivtierhaltung und kleinteilige, vielfältige Land- patzt vollständig bei der Kür. Mit dem verminderten wirtschaft sind jeweils eine Seite derselben Medaille. Mehrwertsteuersatz auf Hörbücher läuten Sie wider Das obige Bild des brandenburgischen Großbetriebes besseres Wissen und grob fahrlässig die nächste Runde – so weit er von der gefühlten ländlichen Idylle eines im steuerpolitischen Irrsinn Deutschlands ein. Wir Familienbauernhofes entfernt scheint – sagt nichts aus werden uns deshalb enthalten. über die fachliche Betriebsführung – diese war gut –, sagt nichts aus über die veterinärmedizinische Versor- Vizepräsidentin Petra Pau: gung der Rinder im Speziellen und sagt nichts aus über Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss die Tiergesundheit der Hausrinder im Allgemeinen. empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Nichts von alledem, was Tierwohl ausmacht, ist durch che 18/1995, den Gesetzentwurf der Bundesregierung mein eingangs geschildertes Erlebnis per se gefährdet auf den Drucksachen 18/1529 und 18/1776 in der Aus- gewesen. Es zeigt vielmehr eines: Gute landwirtschaft- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die liche Praxis ist keine Frage der Stallgröße; vielmehr dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen sind Wissen und der richtige Umgang mit dem Tier ent- wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – scheidend. Fachkenntnis ist nach wie vor Garant der Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- deutschen Agrarwirtschaft. Meine Damen und Herren ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Kollegen von der Linken, manchmal scheint es, dass bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Sie den Großbetrieben diese Fachkenntnis grundsätz- Bündnis 90/Die Grünen angenommen. lich absprechen wollen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4259

Artur Auernhammer (A) Nach diesen ersten, ostalgischen Gefühlen, will ich So spricht der Antrag von einem Primat der Steige- (C) gern zu Ihrem Antrag inhaltlich Bezug nehmen. rung der Tierhaltungsqualität. Doch der Zusammen- hang eines Verbandsklagerechtes mit dem Tierwohl a) Ich teile nicht Ihre Auffassung, dass die Verbrau- drängt sich mir nicht auf. Vielleicht können Sie dies cherinnen und Verbraucher konventionelle Tierhal- noch einmal aufzeigen. tung gering schätzen. Zwar ist es zutreffend, dass ein Teil der Bevölkerung Biofleischprodukte im besonde- d) Zudem bin ich der festen Überzeugung, dass wir ren Maße honoriert und auch bereit ist, diese trotz hö- die Tiergesundheit nicht steigern, wenn eine Region ei- herer Einkaufspreise zu konsumieren. Die Mehrzahl nen zugewiesenen Tierschlüssel erhält und ein Bundes- der Bürgerinnen und Bürger orientiert ihre Kaufent- gesetz eine Obergrenze an Paarhufern je Landkreis scheidung jedoch allein am Fleischpreis je Kilo- festschreibt. Doch Sie fordern von der Bundesregie- gramm, und diese Einstellung ist nachvollziehbar und rung einen Gesetzentwurf, der „Bestandsdichten für auch in der Debatte um Tiergesundheit zu beachten. Regionen“ definiert, soll also heißen: Wenn ich ein Der Kostenfaktor ist erfahrungsgemäß nur so lange Rind kaufe und zur Milchproduktion halte, muss mein ausreizbar und die Akzeptanz für weitere und höhere Nachbar zwei Schweine schlachten, damit die regio- Standards gegeben, bis Stallumrüstungen oder Ähnli- nale Tierdichte stimmt?– Und das im Namen des Tier- ches zu Betriebsschließungen führen und Produktions- wohls? verlagerungen ins Ausland die deutsche Tierhaltung Das ist nicht im Interesse des Tieres, nicht im Inte- enorm reduzieren. resse der deutschen Landwirtschaft und nicht im Inte- b) Dabei ist unser Export gerade deshalb so gut, resse des Verbrauchers. Und mutmaßlich auch nicht in weil die Qualität stimmt. Die deutschen Standards sind Ihrem Sinne, oder? auf einem guten und dem internationalen Vergleich Meine Damen und Herren, die Antragsfraktion will standhaltenden hohen Niveau. die „Tiergesundheitsvorsorge und die konkrete Situa- Sie fragen zudem in Ihrem Antrag: tion vor Ort“ durch ein Bundesgesetz aus Berlin „in den Mittelpunkt … rücken“. Ich halte dagegen und Wie und wie viele Tiere an einem Standort und in sage: Vergessen wir alle nicht, dass Landwirtschaft die einer Region gehalten werden, muss bei einer sol- Wirtschaft des ländlichen Raumes ist. Sie dient – trotz chen Diskussion im Fokus stehen. aller Greeningmaßnahmen – primär der Lebensmittel- produktion. Die Landwirtschaft ist ökologisch, sie ist Doch verkennen Sie, dass das Tierwohl durch die sozial und auch tiergerecht; aber sie muss auch ökono- (B) Qualität der Pflege und Betreuung geprägt wird, durch misch sein und bleiben. Ein nationaler Agrarsektor (D) Ernährung und artgerechte Haltebedingungen und und eine deutsche Agrarpolitik, die die Marktlage ver- nicht von der Anzahl der Tiere je Region abhängt. Da kennt, handelt fahrlässig und riskiert zudem enormes sind mir auch gesetzliche Regelungen bekannt, deren Potenzial – auch für den Lebensmittelexport. Einhaltung und Umsetzung dem Tier und dessen Für- sorge dient. Von Ihnen geforderte Regularien gibt es Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich bin bereits in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. der Meinung, 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger In dieser steht auch das Rind und dessen Wohl im Fo- wollen wir auch weiterhin ernähren. Die Linke hält da- kus; erstens. gegen, der Versorgungsgrad an Rindfleisch liegt mit 109 Prozent deutlich über dem Bedarf. Ist das wirklich Zweitens. Ich schätze, dass Standards auch hinter- Ihre Einstellung, die deutsche Lebensmittelproduktion fragt werden und ihre Überprüfung gefordert wird. Wir so zu gestalten, dass wir nur für uns produzieren und können aber nicht allein einen nationalen Weg suchen, nichts in den Export geben? Gilt dies dann auch für die wenn der Markt der Produkte längst schon ein interna- Automobilindustrie? Ich frage mich: Was machen wir, tionaler ist. Ich fordere deshalb eine Harmonisierung wenn andere Länder dann auch nichts in den Export der EU-Staatenstandards im Sinne einer Vereinheitli- geben? Kurt Tucholsky wüsste auf jeden Fall eine Ant- chung, die hohe Güte europaweit garantiert. Das heißt wort. Er würde rufen: Deutsche, kauft deutsche Bana- eben nicht, die deutschen Standards zu nivellieren. nen! Hier jedoch einseitig die guten Tiergesetze unseres Landes unter dem Deckmantel der Vorreiterrolle wei- Dieter Stier (CDU/CSU): terentwickeln zu wollen, ohne die Auswirkungen auf Wir beraten heute über einen Antrag der Fraktion die deutsche Agrarwirtschaft zu bedenken, ist der fal- Die Linke, welche die Einführung von Obergrenzen für sche Weg. Dies lehnen wir entschieden ab. Tierhaltungen fordert. Zunächst einmal bin ich der c) Ihr Antrag enthält aber auch Punkte, die wir Fraktion Die Linke dankbar, dass sie mir kurz vor der nachvollziehen können, deren Ansicht wir teilen, das Sommerpause des Parlamentes mit ihrem Antrag Gele- gebe ich offen zu. genheit gibt, ein landwirtschaftliches Thema hier im Hohen Hause zu diskutieren. Denn die Bäuerinnen und In der Summme sind die Gründe, die für eine Ab- Bauern und die Mitarbeiter der landwirtschaftlichen lehnung sprechen, jedoch gewichtiger. Ich will Ihnen Betriebe, auch der Veredlungsbetriebe mit Tierhaltun- dies abschließend an weiteren Beispielen aufzeigen. gen, sind es, die wesentlich zum Wohlstand in unserer

Zu Protokoll gegebene Reden 4260 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dieter Stier (A) Gesellschaft beitragen. Dafür sage ich zu Beginn mei- eine Daseinsberechtigung haben, jede hat auch Vor- (C) ner Rede den Beschäftigten in dieser Branche, die sich teile, und jede hat auch Nachteile. 365 Tage im Jahr, an Wochentagen, an Samstagen und Sonntagen, aber auch an Feiertagen, mit viel Hinwen- Ich glaube auch, dass die Frage der Größe von dung um ihre Tiere kümmern, herzlichen Dank. Und Tierhaltungen vor Ort viel besser entschieden werden ich sage zu Beginn meiner Rede ebenfalls unserem kann, weil auch die regionalen Unterschiede in unse- Minister für Landwirtschaft und Ernährung, Christian ren ländlichen Regionen dieses so zulassen, aber auch Schmidt, herzlichen Dank, dass er sich klar zur Tier- unterschiedliche Siedlungsstrukturen dieses erfordern. haltung in Deutschland bekennt, und dieses klare Be- Diese mit Sach- und Fachverstand abzuwägen, sie kenntnis zur Tierhaltung gebe auch ich heute für die aber auch unter den Aspekten der Wirtschaftlichkeit zu CDU/CSU-Bundestagsfraktion hier im Plenum des betrachten, sollten wir vorrangig den Betriebsinha- Deutschen Bundestages ab. bern mit ihrer Berufserfahrung überlassen und sie da- Mit Ihrer Forderung, Bestandsobergrenzen für Tier- bei mit möglichst wenig Bürokratie begleiten. haltungen einzuführen, werfen Sie die Frage auf, wie groß Anlagen für die landwirtschaftliche Nutztierhal- Wir sind bei Ihnen, wenn es um die Minimierung des tung sein dürfen. Wir sind bei Ihnen, wenn es darum Risikos der Einschleppung und Verbreitung von Tier- geht, einen gesellschaftlichen Diskurs über Größen seuchen, insbesondere Zoonosen, und volkswirtschaft- von Tierhaltungsanlagen zu führen; dabei sind wir in licher Schäden geht. Auch dazu bedarf es allerdings der Großen Koalition jedoch bereits auf einem guten Ihres Antrages nicht. Bereits in der vorhergehenden Weg. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages haben wir das alte Tierseuchengesetz durch ein modernes Nun komme ich zu einzelnen Forderungen aus Ih- Tiergesundheitsgesetz abgelöst, welches Ihre Forde- rem Antrag: Sie fordern, einen Gesetzentwurf vorzule- rung bereits aufgreift. gen, in welchem Obergrenzen pro Standort und Be- standsdichten für Regionen zu definieren sind. Wir Viel Geld haben wir auch in die Forschung gesteckt. unterstützen die weitere Diskussion zu diesen Themen, Damit sind wir auch bereits auf einem guten Weg, die halten aber die Festlegung von absoluten Tierzahlen, Sicherung der Umsetzung von wissenschaftlich be- wie von Ihnen gefordert, aus heutiger Sicht für den fal- gründeten Bekämpfungskonzepten im Fall des Aus- schen Weg. bruchs von Tierseuchen abzuarbeiten. Ich erinnere hierbei zum Beispiel an das erst im vergangenen Jahr Mir stellt sich dabei zuerst die Frage: Wie wollen eingeweihte hochmoderne Forschungslabor beim (B) wir den Begriff „Standort“ definieren? Wie wollen wir Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems. (D) den Begriff „Region“ beschreiben? Wollen wir auch zum Beispiel verschiedene Nutztierarten pro Quadrat- Ihren Vorschlag, bei Stallneubauten eine Förderung kilometer oder Ortschaft zusammenrechnen oder sie auch von Verbesserungen für den Tierschutz abhängig einzeln betrachten? Mit welcher Begründung wollen zu machen, finden wir gut. Aber auch dazu sage ich Ih- Sie einem Landwirt in einem Ort die Tierhaltung ge- nen: Jeder Stallneubau ist heute schon ein Fortschritt nehmigen und einem weiteren, weil er sich vielleicht für mehr Tierwohl. erst später zur Tierhaltung entscheidet, aber die fest- Es gibt aber auch Forderungen in Ihrem Antrag, gesetzte Obergrenze bereits erreicht ist, das Wirtschaf- welchen wir nicht folgen können. So lehnen wir zum ten oder den Stallneubau verbieten? Für mich viele Beispiel ein Verbandsklagerecht für Tierschutzorgani- Fragen, die wohl sicher nicht mit der schnellen Festle- sationen auf Bundesebene weiterhin klar ab. Bereits gung von Zahlen zu beantworten sind. heute muten wir unseren Landwirten viel Bürokratie Und ich sage es Ihnen deutlich: Ich bin nicht dafür, zu, es kann keineswegs richtig sein, hier weitere pla- landwirtschaftlichen Betrieben, die in entsprechender nungsrechtliche Hürden aufzubauen, Fachkundige Be- Größe nicht nur produzieren wollen, sondern es durch hörden in unserem Land sind durchaus in der Lage, die die fachliche Qualifikation ihrer Mitarbeiter oder die gesetzlich vorgegebenen hohen Tierschutzstandards zu Einhaltung anderer vertretbarer Parameter auch kön- beurteilen. Es braucht hier nicht die Einschaltung wei- nen, einen Deckel aufzusetzen und mit einer Bestands- terer Organisationen, welche nur die Bearbeitungszei- obergrenze die ohnehin stark reglementierte Tierhal- ten verlängern würden. tung auszubremsen. Gerade mein Heimatbundesland Sachsen-Anhalt ist schon heute eines der viehärmsten Sie sehen also, dass wir bei vielen von Ihnen ange- Flächenländer Deutschlands; ich weiß jedoch, dass es sprochenen Themen auf einem guten Weg sind. Im in anderen Regionen unseres Landes auch anders ist. Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, weitere Ver- besserungen auch in dieser Legislaturperiode zu errei- Ich darf auch daran erinnern, dass die Städte, Ge- chen. So ist es zum Beispiel Ziel, das Tiergesundheits- meinden und Landkreise bereits heute vielfältige In- gesetz und das Tierarzneimittelrecht sinnvoll in einem strumente des Planungsrechts in der Hand halten, um einheitlichen Rechtsrahmen zusammenzuführen. Ein sachgerecht über Tierhaltungsanlagen zu entscheiden. weiteres Ziel ist die Förderung der Sachkunde der Dabei „Groß“ gegen „Klein“ auszuspielen, halten wir Tierhalter. Dabei dürfen wir nach meiner Meinung je- für falsch. Jede Betriebsgröße sollte in unserem Land doch auch den Heimtierbereich nicht auslassen.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4261

Dieter Stier (A) Wir laden auch die Kolleginnen und Kollegen der Chance geben und eine umfassende Kennzeichnung (C) Opposition ein, die Diskussion zur weiteren Entwick- von Lebensmitteln befördern. lung der ländlichen Räume und der Tierhaltungsanla- gen mit uns sachlich zu führen. Im Rahmen einer na- Wir sehen bereits, dass Qualität auf dem Markt Be- tionalen Tierwohl-Offensive wird auch diese Große stand hat. Eine tiergerechte Nahrungsmittelproduktion Koalition in den nächsten Jahren weitere Verbesserun- wird zunehmend vom Verbraucher honoriert. Grund- gen erreichen. Dabei geht jedoch Gründlichkeit vor voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir diese hohen Schnelligkeit; die Wissenschaft und den Berufsstand Standards sichtbar machen. Dafür brauchen wir eine beziehen wir bei unseren Vorhaben in die Entschei- entsprechende Zertifizierung. Nur durch eine klare und dungsfindung ein. transparente Kennzeichnung mit einem Tierschutzsie- gel hat der Verbraucher eine echte Wahl und kann be- Ihren Antrag lehnen wir heute ab, da er aus unserer wusste Entscheidungen treffen. Sicht nicht zielführend ist. Natürlich geht das Wohl der Tiere vor – es muss zu- dem sichergestellt werden, dass wir mit unseren Be- Christina Jantz (SPD): trieben und unseren Produkten am Markt bestehen Zu später Stunde beraten wir den Antrag der Lin- können und zugleich einen der höchsten Standards in ken, der überschrieben ist mit „Bestandsobergrenzen der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung haben. Das für Tierhaltungen einführen“ – so klar der Titel werden Sie mit Ihrem Einheitskonzept, bei dem grund- scheint, so wenig zielführend ist das, was dahinter- sätzliche Bestandsobergrenzen festgelegt werden, steckt. Der Antrag der Linken geht inhaltlich an vielen nicht erreichen. Sie ignorieren damit nicht nur weitest- Stellen in die richtige Richtung – keine Frage – und ist gehend die regionalen Besonderheiten und Gegeben- doch zu kurz gedacht und weist handwerkliche Fehler heiten vor Ort, sondern auch, dass die Haltungsbedin- auf. gungen maßgeblich sind. Es ist schon irritierend, wenn in einem Antrag zur landwirtschaftlichen Nutztierhaltung an keiner Stelle Zu einer guten Gesetzgebung gehört es, dass man die Worte „Bäuerin“ bzw. „Bauer“ auftauchen oder nicht systematisch bestimmte Beteiligte aus diesem nur an einer einzigen Stelle von Landwirtinnen und Dialog ausklammert. Landwirten die Rede ist. Es wird uns nicht gelingen, Wir haben uns in der Großen Koalition klar auf eine echte und nachhaltige Verbesserungen beim Tierwohl Marschroute geeinigt. Deshalb werden wir in den in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu erlan- kommenden Monaten intensiv mit allen Beteiligten dis- (B) gen, wenn wir diejenigen ausschließen, die tagtäglich kutieren und handwerklich saubere Entscheidungen (D) mit den Tieren umgehen. Nachhaltige Nutztierhaltung treffen. Der Koalitionsvertrag gibt dabei die Richtung fängt im Stall an. Die große Mehrheit der deutschen vor. Wir haben unter anderem eine nationale Tierwohl- Bauernschaft ist engagiert und kümmert sich um die offensive vereinbart. Denn wir wollen sichtbare Ver- Tiere in ihrer Verantwortung – das ignorieren Sie mit besserungen beim Tierwohl. Die Nutztierhaltung muss diesem Antrag! tiergerechter werden. Sie passt sich damit auch den ge- Darüber hinaus ignorieren Sie, dass uns die Land- nannten veränderten Wünschen in der Gesellschaft an. wirte neben beispielsweise den Tierschutzorganisatio- Gemeint sind unter anderem: erstens die allgemeine nen viel zu guter Tierhaltung sagen können. Und gute Tiergesundheit – hier spreche ich insbesondere das Tierhaltung lässt sich nicht auf die Anzahl der in einem Tiermittelarzneimittelrecht an –, zweitens den Tieren Stall gehaltenen Tiere reduzieren. Vielmehr ist die zu ermöglichen, sich natürlich zu verhalten, drittens Frage des „Wie“ entscheidend. eine stärkere Berücksichtigung des Wohlbefindens der Nur im Dialog können wir zu besseren Haltungsbe- Tiere. Das heißt, dass die Verletzungs-, Schmerz- und dingungen gelangen. Wir wollen keine Schnellschüsse. Stressrisiken möglichst verhindert werden. Dies alles Wir wollen tragfähige Entscheidungen für die Land- auch vor dem Hintergrund, dass gute Haltungsbedin- wirte, damit wir eben nicht, wie Sie es so schwammig gungen weniger kranke Tiere bedeuten und damit der formulieren, zu einer „Verdrängung von kleinen Tier- Medikamenteneinsatz zurückgefahren wird. Die ge- haltungen“ kommen. Vielmehr wollen wir spürbare setzlichen Regeln zur Verringerung des Antibiotikaein- Verbesserungen für die Tiere – keine bloße Deckelung satzes werden wir unbürokratisch und praxisnah um- des Bestandes. setzen. Ebenso wie Sie die Bauern ignorieren, degradieren Daran schließt sich an, dass wir ein bundeseinheit- Sie in Ihrer Begründung die Konsumenten. Sie unter- liches Prüf- und Zulassungsverfahren für Tierhal- stellen ihnen, schon gewählt zu haben. Ihre Rede von tungssysteme einführen werden. Die SPD hat schon der „Abstimmung mit dem Einkaufswagen“ sugge- früh einen Tierschutz-TÜV gefordert. Das bedeutet, riert, dass sich der Konsument bereits dauerhaft ent- dass es zukünftig für serienmäßig hergestellte Stallsys- schieden hat und wir deshalb verstärkt regulierend in teme einheitliche Prüfrichtlinien geben wird. In diesem den Markt eingreifen müssten. Wir hingegen halten Bereich werden wir in den kommenden Wochen und den Bürger für mündig und wollen, bevor wir den Monaten intensiv diskutieren und praktikable Lösun- Markt überregulieren, dem Konsumenten eine echte gen entwickeln.

Zu Protokoll gegebene Reden 4262 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Christina Jantz (A) Ziel ist es außerdem, EU-weit einheitliche und hö- Eigentlich müsste die Dominanz des Geldes gebro- (C) here Tierschutzstandards durchzusetzen. Wir streben chen werden, um Nutztiere wirksam vor Profitgier zu eine flächengebundene Nutztierhaltung an. Ziel ist es, schützen. Aber für so tiefgreifende Systemkorrekturen eine tiergerechte Haltung in Deutschland zu fördern. gibt es zurzeit keine politischen Mehrheiten. Leider. Aber das entlässt uns als Gesetzgeber erst recht nicht In den kommenden Monaten werden wir mit allen aus der Pflicht, wenigstens die gröbsten Fehler im Sys- Beteiligten – den Tierschutzorganisationen, den Land- tem zu verhindern oder zu beseitigen. wirten, Wissenschaftlern und auch Konsumenten – sprechen. Nur auf diesem Wege kommen wir zu ver- Dazu brauchen wir Mut im Parlament; denn wir nünftig ausgearbeiteten Lösungen im Bereich der müssen uns mit den Profiteuren des Systems anlegen. Nutztierhaltung. Das heißt zum Beispiel, die Preisdiktatur der Verarbei- ter und des Lebensmitteleinzelhandels zu verhindern. Wir werden diesen Prozess nutzen, um die von uns bereits im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Leitli- Was dabei herauskommt, wenn man dem Markt das nien einer zukünftigen landwirtschaftlichen Nutztier- Regieren überlässt, sieht man an der dramatischen haltung vernünftig auszuarbeiten und in eine gute Ge- Fehlentwicklung in der Tierhaltung. Dabei geht es setzgebung umzumünzen. Schnellschüsse, die einzelne nicht nur um Schnäbelkürzen, betäubungslose Ferkel- Gruppen ignorieren, notwendige regionale Fragestel- kastration oder Schreddern männlicher Küken. Dazu lungen übergehen, die Versorgungssicherheit der Be- gehört auch, dass immer mehr Tierhaltungsanlagen weder in die Landwirtschaft noch in die Region in- völkerung gefährden können und die Haltungsbedin- tegriert sind. Diese Entkoppelung trägt dazu bei, dass gungen als entscheidendes Element weitestgehend Tierhaltungsanlagen immer größer werden. Me- außer Acht lassen, werden wir nicht mittragen. gaställe mit über 400 000 Hähnchen oder 40 000 Schweinen sind längst keine Ausnahmen mehr. Allein Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): in Brandenburg sind aktuell 35 solcher Vorhaben be- Die landwirtschaftliche Tierhaltung steckt in einem antragt. Und in einigen Regionen werden so viele Tiere Dilemma. Klar ist: Wir brauchen sie, für Milch und gehalten, dass für die Gülleentsorgung ein Vielfaches Fleisch, aber auch Leder, Wolle und andere Produkte, der Landkreisfläche gebraucht würde, zum Beispiel im niedersächsischen Schweine- und Geflügelgürtel. zur Pflege der Kulturlandschaft, für den Naturschutz und den Landtourismus. Nutztiere sind die besten Es stimmt, dass in Ostdeutschland zu wenige Deichschützer, und sie sichern die Bodenfruchtbarkeit (B) Nutztiere für funktionierende landwirtschaftliche (D) im Ackerbau. Darüber hinaus bindet eine Landwirt- Stoffkreisläufe gehalten werden. In Brandenburg sind schaft mit Tierhaltung mehr Arbeitsplätze in den Dör- es 0,4 Großvieheinheiten je Hektar. In NRW giganti- fern als der reine Ackerbau. sche 121! Aber diesen regionalen Mangel mit Me- gaställen auszugleichen, ist inakzeptabel! Außerdem Aber die Tierhaltungsbetriebe stehen am Pranger, zeigt ein Blick auf den Selbstversorgungsgrad, dass zumindest viele von denen, die noch übrig geblieben wir nicht mehr Nutztiere brauchen: 116 Prozent beim sind. Denn gerade landwirtschaftliche Tierhaltungen Schweine- und 111 Prozent beim Geflügelfleisch. Wir sind Opfer des Strukturwandels und geben auf. brauchen eine sozial-ökologisch verträglichere regio- nale Verteilung der Nutztierbestände, statt ostdeutsche Fakt ist, dass wir dramatische Fehlentwicklungen Böden als Gülle- und Mistentsorgungsflächen zu miss- in der Tierhaltung haben. brauchen und Gülletourismus aus dem Westen zu orga- Im Zentrum der Kritik stehen die Betriebe. Aber aus nisieren. Sicht der Linken gehören die eigentlichen Ursachen Deshalb legt die Linke heute diesen Antrag zur De- und die wirklichen Profiteure dieser Entwicklung an ckelung der Tierbestände vor, die pro Standort und pro den Pranger gestellt, allerdings ohne die aus ihrer Region definiert werden soll. Und das ist dringend; Verantwortung zu entlassen, die das mitmachen oder denn es geht nicht um eine hypothetische Gefahr, son- rechtfertigen und gar so tun, als ob es gar keine Pro- dern um einen real existierenden Prozess, den wir auf- bleme gäbe – wie gerade aus der Union oft zu hören halten müssen. ist. Wenn alle bisherigen Argumente nicht überzeugen Das marktwirtschaftliche Regelwerk des Kapitalis- konnten, zum Schluss ein dramatisches Szenario: Bei mus zwingt auch landwirtschaftliche Betriebe, immer Verdacht auf Afrikanische Schweinepest, die ja gerade billiger zu produzieren. Die Diktatur des Geldes macht vor der Tür steht, muss ein Bestand getötet werden, ausgerechnet die zu Verlierern, die mit sozialer und auch wenn er aus 40 000 gesunden Schweinen besteht. ökologischer Verantwortung arbeiten. Sieger sind die, Das will sich wohl niemand vorstellen müssen, die skrupellos und gierig genug sind, Bedenken – auch geschweige denn erleben. Auch deshalb sind solche ethische – beiseite zu schieben. Deshalb ist dieser so- Megaställe nicht zu verantworten. Wir sind als Gesetz- genannte Wettbewerb absurd und seine Folgen sind in- geber gefordert. Lassen sie uns gemeinsam diesen Un- akzeptabel. sinn stoppen.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4263

(A) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaft ist imstande, Tiere artgerecht und wesensgemäß (C) NEN): zu halten. Nur eine bäuerlich-ökologische Landwirt- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich schaft ist in der Lage, lebendige ländliche Räume zu glaube, Sie haben ein Problem. Einerseits ist es rich- schaffen. Es geht um das rechte Maß in der Tierhal- tig, dass die Bürgerbewegung gegen die Massentier- tung. Massentierhaltung kann nie das richtige Maß haltung längst auch den Osten erreicht hat und zu ei- sein, weder im Westen noch im Osten. ner entscheidenden politischen Kraft geworden ist. Zum Zweiten ist es richtig, dass im August und Septem- Vizepräsidentin Petra Pau: ber Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Sachsen sind und dort die Großtierhaltungen ein wich- Drucksache 18/1872 an die in der Tagesordnung aufge- tiges Thema sind. Zum Dritten ist es richtig, dass die führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Bewegung gegen Massentierhaltung ein erhebliches verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist auch diese Über- Wählerpotenzial darstellt. Diese Bewegung und die sie weisung so beschlossen. tragenden Menschen wollen keine flächendeckende Massentierhaltung im Westen, aber sie wollen auch Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: keine agroindustriellen Großmastfabriken im Osten Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- mit 36 000 Schweinen oder 400 000 Hühnchen. Der richts des Ausschusses für Menschenrechte und vorliegende Antrag ist der Versuch, diese Tatsache et- Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu der Unter- was zu kaschieren. Machen Sie sich nicht zu Handlan- richtung durch die Nationale Stelle zur Verhü- gern von Straathof und Co. Das muss ich Ihnen ja wohl tung von Folter zum nicht sagen. Jahresbericht 2013 der Bundesstelle und der So wie Sie leider immer gegen eine Deckelung der Länderkommission EU-Direktzahlungen waren, so scheuen Sie auch bei der Tierhaltung die deutliche Kritik an der ganz gro- Drucksachen 18/1178, 18/2003 ßen Agrarindustrie. Verbünden Sie sich im Osten nicht Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion mit den Falschen, so wie es die CDU im Westen tut. Sie Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. versuchen einen Spagat, der nicht gelingen kann. Ei- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich nerseits schreiben Sie Forderungen aus unseren Anträ- sehe, Sie sind damit einverstanden. gen ab, wenngleich sie dabei ungenau bleiben und sich um Zahlen drücken. Vielleicht lesen Sie da noch ein- Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): (B) mal bei uns nach. Das steht alles sehr genau drin. (D) Andererseits drücken Sie sich um das grundsätzliche Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hat Problem herum. uns den Jahresbericht 2013 vorgelegt, den wir heute zur Kenntnis nehmen und debattieren. Der Ausschuss Warum setzen Sie das Wort Massentierhaltung ei- für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe hat diese gentlich durchgängig in Anführungszeichen, sprechen Debatte bereits geführt, die Beschlussempfehlung dazu von „sogenannter Massentierhaltung“ und bezeichnen wird die CDU/CSU heute annehmen. diesen Begriff als Produkt der Medien? Massentierhal- tung ist eine Tatsache. 40 000 Schweine, 400 000 Hüh- Bevor ich inhaltlich auf den Jahresbericht eingehe, ner in einer Anlage sind Massentierhaltung. Das kann möchte ich heute einmal mit einem namentlichen Dan- man nicht wegdiskutieren, indem man behauptet, es keschön beginnen. ginge nicht um „Groß gegen Klein“. Ihr Antrag führt Sehr geehrter Herr Lange-Lehngut, sehr geehrter am Ende zu einer Ost-West-Spaltung: In den Intensiv- Herr Adam, die ehrenamtliche Arbeit, die Sie bei der regionen im Westen soll es Begrenzungen geben, aber Bundesstelle gemeinsam mit Ihren Kollegen Rainer die ein oder andere Tierfabrik im Osten darf schon Dopp, Petra Heß, Michael Thewalt und Dr. Helmut sein, wenn es insgesamt nicht zu viele werden. Roos von der Länderkommission leisten, ist kaum zu Sie versuchen, sich mit technokratischen Begriffen ermessen. Mit hohem Zeitaufwand und viel persönli- wie der epidemiologischen Einheit aus der Affäre zu chem Engagement sind Sie im Einsatz, um die Siche- ziehen, nur um nicht bekennen zu müssen, dass Sie die rung der Menschenrechte in den Haftanstalten in Hauptforderung der Bürgerinitiativen, der Volksinitia- Deutschland zu wahren. Ihre Arbeit ist ein wesentli- tive gegen Massentierhaltung, des Bündnisses „Bau- cher Faktor dafür, dass in der Bundesrepublik das ernhöfe statt Agrarfabriken“ und der „Wir haben es Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter satt“-Demo eben nicht teilen: die Abkehr von der Mas- und andere grausame, unmenschliche oder erniedri- sentierhaltung und die Förderung einer bäuerlichen gende Behandlung oder Strafe sowie das Fakultativ- Landwirtschaft. protokoll vom 18. Dezember 2002 umgesetzt werden. Hier liegt der Unterschied zwischen der Linken und Vor gut fünf Jahren hat die Bundesstelle zur Verhü- uns Grünen: Die Linke glaubt immer noch daran, dass tung von Folter ihre Arbeit aufgenommen, eineinhalb mit technologischen Lösungen innerhalb des agro- Jahre später die Länderkommission. Die Bundesregie- industriellen Komplexes die Probleme zu lösen seien. rung erfüllt damit ihre Verpflichtung zur Errichtung ei- Wir sagen: Nur eine bäuerlich-ökologische Landwirt- nes nationalen Präventionsmechanismus. 4264 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) Dass von einer nur formellen Erfüllung dieser Ver- wähnte VN-Unterausschuss stellte nach dem Besuch (C) pflichtung in Deutschland keine Rede sein kann, ver- 2013 in seinem Abschlussbericht fest, dass es in danken wir Ihnen, Herr Lange-Lehngut und Herr Deutschland keine Fälle von Folter gab. Adam. Regelmäßig legen Sie nicht nur Ihre Berichte Wie gut diese Nachricht tatsächlich ist, verrät ein vor, sondern suchen den persönlichen Kontakt zu Ab- Blick auf die Welt um uns her, den ich mir als Mitglied geordneten und dem Menschenrechtsausschuss. Dabei der Ausschüsse für Menschenrechte und Humanitäre habe ich Sie als kompetente und ausgesprochen enga- Hilfe sowie Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- gierte Vertreter Ihres Anliegens kennengelernt. wicklung erlaube. Dass es sich hier nicht nur um meine persönliche, Am 26. Juni, also vor einer Woche, wurde der Inter- subjektive Einschätzung handelt, zeigt die Feststellung nationale Tag gegen Folter begangen. 30 Jahre nach des VN-Unterausschusses zur Verhütung von Folter, Inkrafttreten der Antifolterkonvention der Vereinten der Deutschland 2013 besuchte, um die Nationale Nationen lässt sich nur eine ernüchternde Bilanz zie- Stelle zu beraten. In seinem Abschlussbericht beschei- hen: nigte dieser Ausschuss, dass große Anstrengungen un- ternommen werden, um die Orte der Freiheitsentzie- 155 Staaten sind Vertragsstaaten der UN-Kon- hung zu überwachen. Das ist nicht weniger als ein vention. Bereits mit der Allgemeinen Erklärung der Qualitätssiegel unter Ihre Tätigkeit. Menschenrechte von 1948 erkennen die Staaten das Grundrecht auf ein Leben ohne Folter für jeden Mein herzlichen Dankeschön Ihnen und Ihren Mit- Menschen weltweit an. Der Internationale Pakt über arbeiterinnen und Mitarbeitern. bürgerliche und politische Rechte schreibt das aus- Bei aller Dankbarkeit gilt aber auch: Die Arbeit der drückliche und umfassende Verbot von Folter und an- Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter kann dere Formen der Misshandlung fest. Am 26. Juni 1984 – trotz der hohen Einsatzbereitschaft der Ehrenamtli- trat die Antifolterkonvention in Kraft. chen – nicht dauerhaft mit den knappen personellen Das weltweite absolute Folterverbot ist aber auch und finanziellen Ressourcen auskommen. nach 30 Jahren noch immer nicht umgesetzt. Folter ist Auch das stellte der VN-Unterausschuss in seinem eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, die in Bericht fest. vielen Staaten ungeachtet ihres Verbots noch immer gezielt und sogar routinemäßig zur Unterdrückung Ich begrüße daher ausdrücklich, dass am 25./ Oppositioneller, zum Erpressen von Geständnissen 26. Juni die Justizministerkonferenz beschlossen hat, oder zur Ahndung von Straftaten in unerträglichem den finanziellen Anteil der Länder an der Finanzie- (B) Ausmaß angewandt wird. (D) rung der Stelle von 200 000 auf 360 000 Euro aufzu- stocken. Da auch der Bund bereit ist, seinen Anteil in Jegliche Art von Folter, von grausamer und un- gleichem Umfang, also von 100 000 auf 180 000 Euro menschlicher Behandlung muss geächtet werden, so zu erhöhen, werden der Nationalen Stelle ab 2015 wie es die UN-Antifolterkonvention verlangt. 540 000 Euro zur Verfügung stehen. Der unlängst von Amnesty International veröffent- Zurückweisen muss ich an dieser Stelle, die Forde- lichte Bericht macht das immense Ausmaß der Anwen- rung der Fraktion Die Linke, die eine unverhältnismä- dung von Folter deutlich. Insbesondere in Ländern des ßige Erhöhung fordert. Ich zitiere aus der alternativen Nahen Ostens, den Staaten der ehemaligen Sowjet- Beschlussempfehlung: „Hierfür muss das Budget ver- union und in asiatischen Ländern kommt Folter dem zehnfacht werden.“ Bericht zufolge noch immer zum Einsatz. In 79 Län- dern, die zu den Unterzeichnerstaaten der Konvention Mit der tatsächlichen Aufstockung der Mittel, die zählen, hat die Nichtregierungsorganisation in diesem fast eine Verdoppelung darstellt, wird die Arbeit er- Jahr bereits wieder Fälle von Folter dokumentieren leichtert. Mit diesen Mitteln kann eine Aufstockung der müssen. Zahl der ehrenamtlichen Mitglieder der Länderkom- mission einhergehen. Sie soll von bisher vier auf acht Folteropfer leiden – sofern sie überhaupt überle- Personen verdoppelt werden. Neben den praktischen ben – oft ein Leben lang an physischen und schwersten Erwägungen für eine Erweiterung der Kommission – psychischen Folgeerkrankungen. Da Folter meist im nach der einfachen Gleichung: mehr Personen gleich Verborgenen geschieht, muss Licht ins Dunkel, um mehr Zeit und mehr Möglichkeiten – spielen auch Menschen vor diesem grausamen Verbrechen zu schüt- fachliche Erwägungen eine Rolle: Das Expertenteam zen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Diese kann künftig breiter und stärker interdisziplinär zu- Berichte sind dramatisch. sammengesetzt sein. Das ist eine gute Nachricht und Um es zu wiederholen: Die Lage in Deutschland ist eine Anerkennung für die hochwertige Arbeit der Na- gut. Gerade im Lichte der weltweiten Situation ist das tionalen Stelle sowie des beharrlichen Einsatzes für mehr als deutlich. Aber das ist eben keine Selbstver- die Sache: die Verhütung von Folter. ständlichkeit. Die Vermeidung von Folter lebt von Und damit komme ich zum inhaltlichen Teil meiner verschiedenen Voraussetzungen, die in Deutschland Rede: zum Thema Folter in Deutschland – und in die- durchweg gegeben sind – und eben erhalten und ver- sem Zuge zu einer weiteren guten Nachricht: Der er- stärkt werden müssen. Ich nenne einige Beispiele:

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4265

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) Um Folter zu vermeiden braucht es Beschwerde- Erika Steinbach (CDU/CSU): (C) mechanismen innerhalb der Behörden sowie rechts- Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede kurz den staatliche Mittel, um gegen Verletzungen der eigenen völkerrechtlichen Hintergrund skizzieren: Das Über- Rechte auch klagen zu können. Entsprechend braucht einkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und es eine funktionierende Gewaltenteilung, eindeutige andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Gesetze und zuständige unabhängige Gerichte. Dazu Behandlung oder Strafe wird durch das Fakultativ- gehört der Europäische Gerichtshof für Menschen- protokoll vom 18. Dezember 2002 um einen präventi- rechte. ven Ansatz erweitert. Es sieht vor, den Schutz vor Fol- Ein wesentlicher Faktor zur Vermeidung von Folter ter und Misshandlung durch ein Besuchssystem zu ist das Personal: gut ausgebildete und speziell im Be- verbessern. Dies ist in Artikel 3 durch die Verpflich- reich der Menschenrechte geschulte Fachkräfte bei tung zur Errichtung nationaler Präventionsmechanis- der Polizei, der Bundespolizei und der Justiz. Die Cur- men beschrieben. ricula der Ausbildungsgänge in Deutschland zielen auf Deutschland hat das Fakultativprotokoll am 4. De- diese Kernkompetenzen ab. Das ist ausdrücklich zu zember 2008 ratifiziert. Die Bundesstelle zur Verhü- würdigen. tung von Folter hat am 1. Mai 2009 ihre Arbeit aufge- Und natürlich ist die Umsetzung des VN-Präven- nommen, die Länderkommission am 24. September tionsmechanismus durch die Nationale Verhütungs- 2010. Beide Einrichtungen zusammen bilden als stelle von Folter zu nennen. Dazu gehört elementar, sie Nationale Stelle den deutschen Präventionsmechanis- – wie erwähnt – angemessen finanziell und personell mus zur Verhütung von Folter. Gegenwärtig sind für auszustatten. die Bundesstelle der ehrenamtliche Leiter und seit Mai 2013 ein stellvertretender Leiter sowie für die Länder- Dazu gehört ebenfalls, ihre Vorschläge aufzuneh- kommission vier ehrenamtliche Mitglieder tätig. Sie men und umzusetzen. Konkrete Vorschläge enthält der werden von vier hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Jahresbericht. Mitarbeitern unterstützt. In jedem Jahr setzt die Stelle Schwerpunkte in ihrer Hauptaufgabe der Nationalen Stelle ist es, Orte der Tätigkeit. Im Jahr 2013 lag dieser Schwerpunkt auf Freiheitsentziehung aufzusuchen, auf Missstände auf- der Abschiebungshaft. Da deren Vollzug in den Zu- merksam zu machen und den Behörden Empfehlungen ständigkeitsbereich der Länder fällt, war hier eine und Vorschläge zur Verbesserung der Situation der enge Zusammenarbeit mit der Länderkommission not- Untergebrachten, zur Verhütung von Folter und sonsti- (B) wendig. Untersucht wurden ebenfalls die Rückführun- gen Misshandlungen zu unterbreiten. Dies sind 280 (D) gen per Flugzeug. Einrichtungen des Bundes sowie fast 2 000 Einrich- tungen, für die die Länder zuständig sind. Folgende konkrete Vorschläge wurden unterbreitet: Für den Vollzug von Rückführungen sind spezielle Ab- Den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit legte die Nationale schiebungshafteinrichtungen nötig, die es bislang erst Stelle zur Verhütung von Folter im Jahr 2013 auf die in drei Ländern gibt. Die anderen Länder sind nun am Abschiebungshaft, deren Vollzug in den Zuständig- Zug, diese Vorschläge umzusetzen. keitsbereich der Länder fällt, sowie auf Rückführungen auf dem Luftweg. Aber auch zum Schwerpunktthema zeigt der Be- richte vor allem positive Erfahrungen: In den besuch- Für den Vollzug plädiert die Nationale Stelle für ten neun Einrichtungen ist die Länderkommission „auf spezielle Abschiebungshafteinrichtungen, die es bis- zahlreiche gelungene und vorbildliche Praxisbeispiele lang in drei Ländern gibt. Andere Länder nutzen für beim Vollzug der Abschiebungshaft“ getroffen. Auch die Unterbringung Justizvollzugsanstalten. In den be- die beobachteten Rückführungen seien zufriedenstel- suchten neun Einrichtungen ist die Länderkommission lend verlaufen. „auf zahlreiche gelungene und vorbildliche Praxisbei- So musste die Bundesstelle nur geringe Empfehlun- spiele beim Vollzug der Abschiebungshaft“ getroffen. gen zur Verbesserung der Situation geben. Das ist Auch die beobachteten Rückführungen seien zufrie- mehr als erfreulich. Durch die verbesserte Ausstattung denstellend verlaufen, und die Bundesstelle musste nur der Nationalen Verhütungsstelle wird deren Arbeit ab geringe Empfehlungen zur Verbesserung der Situation 2015 weiter intensiviert werde. Das begrüße ich aus- geben. drücklich. Der auch für die Bundespolizei insgesamt positive Denn die Bundesregierung muss weiter alles tun, Jahresbericht 2013 stellte keinerlei Hinweise auf Ver- um sich konsequent für das Verbot von Folter im In- letzung der Menschenwürde innerhalb der Bundes- und Ausland einzusetzen, wie es der Menschenrechts- polizei fest und lobte das persönliche Engagement der ausschuss in seiner Beschlussempfehlung fordert. Beamtinnen und Beamten, die schwierige Situation von Betroffenen abzumildern. Daneben äußerte sich Nur durch eine gute Arbeit in Deutschland können die Bundesstelle positiv über besondere Initiativen ein- wir Standards setzen und ihnen auch international zelner Dienststellen, beispielsweise bei der Bereitstel- Geltung verschaffen. lung von Hygieneartikeln für mittellose Personen.

Zu Protokoll gegebene Reden 4266 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Erika Steinbach (A) 2013 besuchte der zuständige VN-Unterausschuss rechtlich überprüfen zu lassen. Das im Strafrecht ver- (C) zur Verhütung von Folter Deutschland, um die Natio- ankerte Legalitätsprinzip gewährleistet, dass bereits nale Stelle zu beraten. In seinem Abschlussbericht bei einem Anfangsverdacht für das Vorliegen einer stellt der Ausschuss rechtliche, strukturelle und institu- Straftat staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren einge- tionelle Probleme fest und bezieht sich dabei vor allem leitet werden. Dabei haben die Ermittlungen umfas- auf die finanziellen und personellen Ressourcen der send, effektiv und objektiv zu erfolgen. Stelle und auf das Auswahlverfahren der Experten. Gleichzeitig hat der Unterausschuss die Anstrengun- Neben dem Rechtsweg zu den Gerichten stehen in- gen der Behörden zur Erfüllung der Verpflichtungen nerbehördliche Beschwerdemöglichkeiten gegen poli- aus dem Fakultativprotokoll begrüßt und zur Kenntnis zeiliches Fehlverhalten jedem offen. Jedermann kann genommen, dass es nicht nur keine Fälle von Folter eine ihn betreffende polizeiliche Maßnahme mit einer gab, sondern auch große Anstrengungen unternommen Dienst- oder Fachaufsichtsbeschwerde beanstanden, werden, um die Orte der Freiheitsentziehung zu über- um die eigentliche Tätigkeit oder das persönliche Ver- wachen. halten der Beamten durch den Dienstvorgesetzten überprüfen zu lassen. Der dezentrale, den Föderalis- So sind die Themen Menschenrechte bzw. Men- mus widerspiegelnde Aufbau der Polizei in Deutsch- schenwürde und interkulturelle Kompetenz fester land sichert eine fachlich, personell und rechtlich enge Bestandteil der Aus- und Fortbildung in allen Lauf- Aufsicht durch vorgesetzte Stellen, die zuletzt durch die bahngruppen der Bundespolizei. In den Fächern bzw. zuständigen Innenministerien wahrgenommen werden. Bereichen Staats- und Verfassungsrecht/Politische Bildung, Europarecht, Eingriffsrecht, Situations- und Vor diesem Hintergrund erkennen wir das große Kommunikationstraining, Fahndung und Vernehmung Engagement der Nationalen Stelle zur Verhütung von und Psychologie werden die Themen Menschenrechte, Folter im Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezem- Grundrechte, Diskriminierungsverbot, Verbot von ber 2013 ausdrücklich an. Die intensive Auseinander- Misshandlungen und Folter, UN-Charta und Europäi- setzung der zuständigen Bundes- und Ländereinrich- sche Menschenrechtskonvention sowie interkulturelle tungen mit den jährlichen Berichten der Nationalen Kompetenz behandelt. Verschiedene Fortbildungsver- Stelle und die zeitnahe Umsetzung vieler Empfehlun- anstaltungen klären über Hintergründe und Ursachen gen zeigen das Bestreben aller Beteiligten, das er- von Diskriminierung auf und sensibilisieren für fremde reichte hohe Niveau in diesem Bereich weiter zu ver- Kulturen, Religionen und das Thema Migration. bessern. Dadurch sollen Verständnis und Toleranz für alle Wir begrüßen es sehr, dass die Justizministerkonfe- (B) Menschen geweckt werden. renz am 25./26. Juni beschlossen hat, den finanziellen (D) Führungskräfte werden zusätzlich in komplexen und Anteil der Länder von 200 000 auf 360 000 Euro interkulturellen Kommunikationsprozessen geschult. aufzustocken. Zugleich soll die Zahl der ehrenamt- Die Bundespolizeiakademie bietet weitere Fortbil- lichen Mitglieder der Länderkommission auf acht ver- dungsmaßnahmen zur Förderung der interkulturellen doppelt werden. Das Expertenteam soll künftig stärker Kompetenz und des kulturellen Verständnisses an. Bei- interdisziplinär zusammengesetzt sein. Da der Bund spielhaft seien genannt die Seminare „Polizei und bereit ist, seinen Anteil von 100 000 auf 180 000 Euro Fremde“, „Globalisierung und Polizei“, „Politische zu erhöhen, werden der Nationalen Stelle ab 2015 Bildung für Führungskräfte“ und „Training zum Aus- 540 000 Euro zur Verfügung stehen. bau sozialer Kompetenz“. Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in besonderen Hilfe verbindet diese Bewertung in der Beschlussemp- Aufgabenbereichen wie der Luftsicherheitskontrolle, fehlung mit den Forderungen an die Bundesregierung, der Rückführung und vor einer Auslandsverwendung sich weiterhin konsequent für das Verbot von Folter werden im Themenfeld der interkulturellen Kompetenz und anderer grausamer, unmenschlicher oder ernied- gesondert geschult. Spezifische Angebote gibt es da- rigender Behandlung oder Strafe im In- und Ausland rüber hinaus in der dienststelleninternen Fortbildung. einzusetzen, die Nationale Stelle zur Verhütung von Die Aus- und Fortbildungsmaßnahmen der Bundes- Folter weiterhin zu unterstützen und die Empfehlungen polizei werden regelmäßig hinsichtlich gegebenenfalls des VN-Unterausschusses zur Verhütung von Folter in bestehenden Anpassungsbedarfs überprüft und – so- der Bund-Länder-Arbeitsgruppe konstruktiv weiterzu- weit erforderlich – optimiert. Zudem sind die vielfälti- verfolgen. gen Aufgaben der Bundespolizei mit Auslandsbezug, die regionalen und überregionalen Projekte und Frank Schwabe (SPD): Kooperationen mit interkultureller Ausprägung und Folter ist niemals gerechtfertigt. Sie ist ein Angriff die Kampagnen zur Gewinnung von Nachwuchskräf- auf die Menschenwürde und eine der schlimmsten ten mit Migrationshintergrund zu erwähnen. Menschenrechtsverletzungen überhaupt. Deshalb ist Sofern Fehlverhalten oder Misshandlungen durch Folter weltweit geächtet. Das Folterverbot ist völker- Polizeibeamte gerügt werden, bestehen innerbehördli- gewohnheitsrechtlich und in zahlreichen internationa- che und außerbehördliche Beschwerdemöglichkeiten, len Verträgen – allen voran in der Antifolterkonvention um dieses Verhalten in einem unabhängigen Verfahren der Vereinten Nationen – fest verankert.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4267

Frank Schwabe (A) Folter macht Staaten zu Unrechtsstaaten. Sie trau- einrichtungen und 27 Einrichtungen der Kinder- und (C) matisiert die meisten Opfer ein Leben lang. Den Op- Jugendhilfe mit geschlossenen Plätzen. fern von Folter wurde letzte Woche, am 26. Juni, dem Internationalen Tag zur Unterstützung der Opfer von Für diese Mammutaufgabe hatte die Nationale Folter, gedacht. Ich begrüße es sehr, dass wir uns Stelle bisher nur eine ehrenamtliche Leitung und drei heute, eine Woche später, damit befassen, wie wir si- angestellte wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und cherstellen können, dass Deutschland auch in Zukunft Mitarbeiter sowie eine Bürofachkraft zur Verfügung. eine Vorreiterrolle bei der Prävention von Folter ein- Eine bessere Ausstattung konnte mit 300 000 Euro nehmen kann. nicht finanziert werden. Daher möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nationalen Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter – un- Stelle ganz herzlich für ihr großartiges Engagement ser nationaler Präventionsmechanismus – spielt dabei bedanken. Ihre jährlichen Berichte und Empfehlungen eine wichtige Rolle. Der nationale Präventionsmecha- tragen dazu bei, das hohe Niveau in Deutschland zu nismus beruht auf dem Fakultativprotokoll zur UN-An- erhalten und auszubauen und Missstände zu beseiti- tifolterkonvention vom 18. Dezember 2002. Deutsch- gen. Gott sei Dank gibt es in Deutschland keine Folter, land setzt sich weltweit dafür ein, dass möglichst viele wie die Berichte der Nationalen Stelle bestätigen; aber Staaten das Fakultativprotokoll ratifizieren; denn es ist gut, eine Institution zu haben, die ein wachsames wirksame Prävention und Kontrolle ist eine der wich- Auge hat. tigsten Voraussetzungen, damit Folter nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis weltweit ge- Umso erfreulicher ist es, dass sich die Länder in der ächtet wird. Justizministerkonferenz vom 25./26. endlich darauf ei- nigen konnten, ihren Kostenanteil von 200 000 auf Das Fakultativprotokoll wurde bisher nur von 360 000 Euro aufzustocken. Da die Nationale Stelle 73 Staaten ratifiziert. Das muss sich ändern. Wir for- von Bund und Ländern im Verhältnis 1 : 2 finanziert dern die Länder, die das Fakultativprotokoll noch wird, stehen ihr ab 2015 540 000 Euro zur Verfügung. nicht ratifiziert haben, auf, dies schnellstmöglich Meine Partei hat sich jahrelang für eine Erhöhung der nachzuholen. Mittel der Nationalen Stelle eingesetzt, die ansonsten 30 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Antifol- ihrer Aufgabe – das heißt, die eben genannten insge- terkonvention sollten wir nicht mehr darüber sprechen samt circa 2000 Einrichtungen zu überprüfen – nicht müssen, dass Folter und Misshandlungen tabu sind vollständig gerecht werden kann. Daher freut es mich, und auf das Schärfste bekämpft werden müssen. Leider dass diesbezüglich nun ein erster Schritt getan werden (B) ist die Realität, wie dem aktuellen Bericht von Amnesty konnte. Die Ausstattung ist im Vergleich zu anderen (D) International zu entnehmen ist, eine andere. Obwohl Ländern wie Frankreich, Österreich und der Schweiz 151 Staaten die UN-Antifolterkonvention ratifiziert ha- verbesserungsfähig. Allerdings ist das aufgrund der ben, werden Menschen in 141 Ländern immer noch ge- föderalen Struktur in Deutschland und der daraus re- foltert und grausam misshandelt. Das darf nicht sein. sultierenden komplexen Verfahren nicht so einfach zu Umso wichtiger ist es, dass sich Deutschland auch in erreichen. Ich hoffe sehr, dass es möglich sein wird, die Zukunft entschieden für die Ächtung von Folter und für Mittel für die Nationale Stelle zur Verhütung von Fol- die Ratifizierung der UN-Antifolterkonvention und des ter in Zukunft weiter aufzustocken. Zumindest ist nun Fakultativprotokolls einsetzt. ein erster Schritt getan. Deutschland selbst hat das Fakultativprotokoll am Abschließend bitte ich die Bundesregierung, sich 4. Dezember 2008 ratifiziert. Es sieht vor, den Schutz weiterhin konsequent für das Verbot von Folter und vor Folter und Misshandlung durch ein Besuchssystem anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigen- in Gewahrsamseinrichtungen zu verbessern. Das ist in der Behandlung oder Strafe im In- und Ausland einzu- Artikel 3 durch die Verpflichtung zur Errichtung natio- setzen und die Nationale Stelle zur Verhütung von Fol- naler Präventionsmechanismen beschrieben. Zur Um- ter zu unterstützen. Mit gemeinsamen Kräften müssen setzung hat Deutschland die Nationale Stelle zur Ver- wir alles dafür tun, damit Folter und Misshandlungen hütung von Folter eingerichtet. Diese besteht aus der verboten werden. Es ist Zeit für eine Welt ohne Folter. Bundesstelle zur Verhütung von Folter und der Län- derkommission, die am 1. Mai 2009 respektive am 24. September 2010 ihre Arbeit aufgenommen haben. Annette Groth (DIE LINKE): Hauptaufgabe der Nationalen Stelle ist es, Einrichtun- Mit der Schaffung der Nationalen Stelle zur Verhü- gen, in denen Menschen die Freiheit entzogen ist, tung von Folter wurde im Jahr 2009 eine wichtige durch unangemeldete Besuche zu überprüfen und den Institution geschaffen, die aktiv dazu beitragen soll, Behörden Vorschläge zur Verbesserung der Situation Missstände in Gefängnissen und geschlossenen Ein- der Untergebrachten zu unterbreiten. Zu diesen Ein- richtungen aufzuzeigen und zu einer Verbesserung der richtungen zählen 360 Gewahrsamseinrichtungen in Situation in den Gefängnissen beizutragen. Seit ihrer der Zuständigkeit des Bundes, 186 organisatorisch Gründung hat die Nationale Stelle zur Verhütung von selbstständige Justizvollzugsanstalten, 1 430 Dienst- Folter wichtige Arbeit geleistet. Im Namen der Frak- stellen der Landespolizei, 326 psychiatrische Kliniken tion Die Linke möchte ich allen dort Tätigen für ihre und alle Gerichte mit Vorführzellen, 7 Abschiebehaft- unverzichtbare Arbeit danken.

Zu Protokoll gegebene Reden 4268 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Annette Groth (A) Wer Menschenrechte ernst nimmt, muss gerade jährliche Finanzierung von einer Million gewährleis- (C) auch Personen, denen die Freiheit durch Gerichte tet ist. Wenn man sieht, dass aufgrund der fehlenden oder staatliche Anordnungen entzogen wird, eine men- personellen und finanziellen Ausstattung der Nationa- schenwürdige Behandlung zukommen lassen. In den len Stelle im Jahr 2013 von den 280 Einrichtungen des Zuständigkeitsbereich des Bundes fallen 280 Gewahr- Bundes lediglich 36 Einrichtungen besucht werden samseinrichtungen der Bundeswehr, der Bundespolizei konnten, zeigt dies einen eklatanten Widerspruch zu und des Zolls. Außerdem beobachtet die Bundesstelle den Notwendigkeiten auf. Abschiebemaßnahmen, die von der Bundespolizei be- gleitet werden. Für die meisten Einrichtungen ist die Wenn die Nationale Stelle darauf hinweist, dass Länderkommission zuständig. Mit 186 Justizvollzugs- aufgrund der personellen Unterbesetzung Besuche in anstalten, 1 430 Dienststellen der Landespolizei, psychiatrischen Kliniken und Alten- und Pflegeheimen 326 psychiatrischen Kliniken, allen Gerichten mit nicht möglich waren, ist dies nicht akzeptabel. Vorführzellen, aber auch 7 Abschiebungshafteinrich- In Artikel 12 der abschließenden Empfehlungen des tungen und 27 Einrichtungen der Kinder- und Jugend- WSK-Ausschusses aus dem Jahr 2011 zu Deutschland hilfe mit geschlossenen Plätzen ist der Aufgabenbe- wurde festgestellt: reich riesig. Gleichzeitig ist die Länderkommission auch für die 11 000 Alten- und Pflegeheime zuständig. Der Ausschuss stellt mit tiefer Besorgnis fest, dass der Vertragsstaat keine hinreichenden Maßnahmen Ich finde es sehr erschreckend, dass die Nationale zur Verbesserung der Lage in Pflegeheimen ergrif- Stelle in ihrem Jahresbericht darauf hinweisen muss, fen hat, in denen ältere Menschen Berichten zufolge dass es bei nahezu allen Besuchen in Einrichtungen in menschenunwürdigen Verhältnissen leben und „Anlass zu einer Reihe von Empfehlungen zur Verbes- wegen eines Mangels an Fachkräften und der unzu- serung der Unterbringung und Behandlung der unter- länglichen Anwendung von Pflegevorschriften nach gebrachten Personen gegeben“ habe, „die sich teils wie vor nicht die geeignete Pflege erhalten. auf nicht akzeptable Missstände beziehen“. Es ist auch bedenklich, dass der Schutz der Privat- und Intim- Die Fraktion hält den Beschluss der Justizminister- sphäre der Insassen in vielen Gewahrsamseinrichtun- konferenz, den Anteil der Länder von 200 000 auf gen nicht gewährleistet ist. Dies ist umgehend zu än- 360 000 Euro anzuheben, bei weitem für nicht ausrei- dern. Wenn im Bericht steht, dass „nur wenige chend. Auch die Anhebung der Mittel durch den Bund Bundesländer ausdrückliche gesetzliche Regelungen von 100 000 auf 180 000 Euro ist nur ein Tropfen auf zum Schutz der Intimsphäre im Justizvollzug bzw. für den heißen Stein. Es ist nicht akzeptabel, dass sich der (B) die Unterbringung im Polizeigewahrsam getroffen ha- Gesetzgeber vor seiner Verantwortung drückt, der Na- (D) ben“, besteht dringend Handlungsbedarf. tionalen Stelle ausreichend finanzielle und damit auch personelle Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Frak- Pro Jahr werden etwa 2 000 Ermittlungen wegen tion Die Linke wird deshalb in den Haushaltsberatun- Körperverletzung im Amt angezeigt. Der Strafrechtler gen für den Bundeshaushalt 2015 eine deutliche Nach- Tobias Singelnstein von der Freien Universität Berlin besserung dieser Beschlüsse einfordern. spricht jedoch von einer viel höheren Dunkelziffer. Die meisten Betroffenen erstatteten keine Anzeige, da sie keine Chance auf Erfolg sähen und vielmehr mit einer Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gegenanzeige rechnen müssten, die häufig dazu führe, Die Bundesstelle konnte ihre Aufgabe nur ansatz- dass aus Opfern Täter gemacht werden. Beispielsweise weise erfüllen. (Jahresbericht 2009/2010) wurden im Jahr 2008 bei 2 000 Anzeigen lediglich Mit den vorhandenen personellen und finanziellen 94 Strafverfahren wegen mutmaßlicher Körperverlet- Mitteln kann die Nationale Stelle ihren gesetzli- zung im Amt eingeleitet. In Berlin kam es zwischen chen Auftrag, wie er sich aus dem Fakultativpro- 2006 und 2008 zu nur 34 Verurteilungen, obwohl in tokoll ergibt, nicht erfüllen. (Jahresbericht 2010/ diesem Zeitraum über 1 000 Anzeigen wegen Körper- 2011) verletzung durch Polizisten vorlagen. Auch Amnesty weist in der Studie „Täter unbekannt – mangelnde Auf- Mit der gegenwärtigen Ausstattung kann die Na- klärung von mutmaßlichen Misshandlungen durch die tionale Stelle ihrem gesetzlichen Auftrag regelmä- Polizei in Deutschland“ darauf hin, dass bei ihnen in- ßiger Besuche nicht gerecht werden. (Jahresbe- nerhalb von fünf Jahren über 850 Beschwerden über richt 2012) Probleme mit der Polizei eingegangen seien. Am 1. Mai 2009 hat die Nationale Stelle zur Verhü- Artikel 18 des Fakultativprotokolls verlangt aus- tung von Folter ihre Arbeit aufgenommen. Seit ihrem drücklich, dass den Nationalen Stellen eine funktionale Bestehen musste die Nationale Stelle Jahr um Jahr da- Unabhängigkeit garantiert und ihnen ausreichende rauf verweisen, dass sie ihren gesetzlichen Auftrag finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden müss- nicht erfüllen konnte. Aufgabe der Stelle ist vor allem ten. Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag in den der Besuch von Haftanstalten, aber auch von Polizei- Deutschen Bundestag eingebracht, in dem sie eine An- dienststellen und psychiatrischen Einrichtungen. Weit hebung des Budgets der Nationale Stelle zur Verhütung über 200 solcher Einrichtungen gibt es bundesweit. von Folter um jährlich 200 000 Euro fordert, bis eine Dazu kommen rund 10 000 Altenheime, in denen zum

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4269

Omid Nouripour (A) Teil Senioren in Sicherheitseinrichtungen unterge- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) bracht sind. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- Alle Jahre wieder hat die Bundesregierung diesen schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf Appell ignoriert. Sie hat auch den Rücktritt von Drucksache 18/2003. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis Hansjörg Geiger ignoriert, der im Herbst 2012 frust- der Unterrichtung auf Drucksache 18/1178 eine Ent- schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- riert das Handtuch geschmissen hatte, nachdem seine schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Wer enthält sich? – Appelle, die Nationale Stelle besser auszustatten, kein Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko- Gehör fanden. alitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Dies hatten zuletzt auch die Vereinten Nationen an- Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- gemahnt: In seinem Prüfbericht vom April 2014 hatte nen angenommen. der Fachausschuss über das Verschwindenlassen da- rauf gedrängt, die personellen und finanziellen Mittel Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die aufzustocken, damit die Nationale Stelle ihr Mandat Linke auf Drucksache 18/2007. Wer stimmt für diesen erfüllen kann. Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer Nun endlich soll die Nationale Stelle mehr Geld enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den erhalten. Der Impuls dazu allerdings ging von den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen Ländern aus. Der Bund hat jetzt nachgezogen und sei- der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion nen Anteil um 80 000 Euro erhöht. Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Rund 13 000 Einrichtungen in der gesamten Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Bundesrepublik soll die Nationale Stelle regelmäßig Grünen auf Drucksache 18/2008. Wer stimmt für diesen überprüfen. Im vergangenen Jahr standen der Natio- Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer nalen Stelle dafür sechs ehrenamtliche Mitglieder, drei enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den wissenschaftliche Mitarbeiter sowie eine Fachkraft für Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen Bürokommunikation zu Verfügung. Die Aufstockung der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Mittel ist dringend notwendig, um das Team zu bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. vergrößern und um auch Mediziner und Psychiater Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: einstellen zu können. Mein Dank geht an das Team der Nationalen Stelle, Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn (Dresden), (B) das trotz der mangelnden Ausstattung großartige Ar- (D) beit leistet, die bislang nicht in ausreichendem Maße Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der gewürdigt wurde. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Arbeit der Nationalen Stelle ist nach wie vor LKW-Maut nachhaltig und ökologisch aus- notwendig, auch in einem Land wie Deutschland – das richten zeigen die Entwicklungen in der Terrorismusbekämp- Drucksache 18/1620 fung oder der Abschiebepraxis. Darauf hat die Natio- nale Stelle im vergangenen Jahr einen Fokus gesetzt Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) und grundlegende Änderungen der Abschiebungshaft Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfohlen, die nicht mehr in Justizvollzugsanstalten Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und vollstreckt werden sollte. Bedenken gab es unter ande- Reaktorsicherheit rem auch, ob die Inhaftierung alleinreisender Minder- Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss jähriger mit dem Schutz des Kindeswohls zu vereinba- ren ist. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell Mit der geplanten Erhöhung der Mittel ist ein erster, wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/1620 wichtiger Schritt getan. Doch das reicht bei weitem an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse nicht aus. Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist die Nationale Stelle nicht länger derart stiefmütterlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. behandelt. Das Bekenntnis zum internationalen Fol- terverbot muss sich auch übersetzen in die Ausstattung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: in den zentralen nationalen Präventionsmechanismus; ansonsten macht sich Deutschland als Verfechter von Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Menschenrechten international unglaubwürdig. gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabe- Im internationalen Vergleich steht Deutschland im- satzes (Künstlersozialabgabestabilisierungs- mer noch nicht gut da: Frankreich etwa gibt jährlich gesetz – KSAStabG) über 3 Millionen Euro für diesen Präventionsmecha- nismus aus. Wir fordern die Bundesregierung deshalb Drucksachen 18/1530, 18/1770 auf, ihren Anteil deutlich – auf 300 000 Euro im Jahr – zu erhöhen. 1) Anlage 18 4270 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Kasse finanziell stützen. Die Geringfügigkeitsgrenze (C) schusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) behebt unklare Formulierungen im Gesetz, die bisher einer der Hauptkritikpunkte vonseiten der Verwerter Drucksache 18/1985 waren. Die Entwicklung des Kosten-Nutzen-Verhält- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion nisses sollte dennoch turnusmäßig evaluiert werden, Die Linke vor. um endgültige Aussagen zu Effektivität und Effizienz des Gesetzes machen zu können. Grundsätzlich muss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – es uns als Gesetzgeber auch wichtig sein, dass die Ge- Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. setze, die wir hier beschließen, ausgeführt und umge- setzt werden. Das war bisher in diesem Bereich nicht Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): durchgängig der Fall und soll sich durch die getroffe- Bei der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven ge- nen Klarstellungen verbessern. hen Tag für Tag rund 80 Aufnahmeanträge ein. Sie werden gestellt von Malern und Bildhauern, von Musi- Betrachtet man die Gesamtsituation der Kasse und kern und Sängern, von Journalisten und Publizisten, die steigenden Mitgliederzahlen und Kosten, wird man von Übersetzern und Filmemachern – aber auch von auf Dauer aber auch andere Probleme lösen müssen – Akrobaten und Büttenrednern, von Clowns und DJs, einmal die innerhalb des Systems der Künstlersozial- von Zauberern und Puppenspielern. Die ganze Palette versicherung. Hier darf auch eine Diskussion über die künstlerischen Schaffens findet sich in der Künstlerso- an einigen Stellen sehr weite Auslegung des Künstler- zialversicherung wieder. begriffs und damit des Zugangs kein Tabu sein. Schon heute sind viele Berufsgruppen in der Grauzone des Die Künstlersozialkasse ist eine begehrte Einrich- Begriffs angesiedelt und können nur per Einzelfallent- tung, sie gewährt selbstständigen Künstlern Zugang scheidung zur Versicherung berechtigt oder abgelehnt zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, und werden. Das kann nicht nur bei den Mitarbeitern in zwar zu günstigen finanziellen Bedingungen. Jeden Wilhelmshaven hängen bleiben, sondern bedarf auch Tag werden von den Sachbearbeitern in Wilhelmsha- einer kulturpolitischen Richtungsentscheidung, wer ven aber auch Dutzende Anträge abgelehnt – was dort förderungswürdig oder förderungsbedürftig ist und ebenfalls Tag für Tag zu Streit führt. wer nicht. Eine unbegrenzte Ausweitung des Begriffs Anders als ein selbstständiger Dachdecker müssen könnte die Versicherung hingegen an ihre Grenzen und KSK-Versicherte nur die Hälfte ihrer Sozialversiche- darüber hinaus führen. In dem Zusammenhang müssen rungsbeiträge selbst zahlen. Die andere Beitragshälfte wir auch darauf achten, dass wir mit der Künstler- (B) wird zu 20 Prozent aus Bundesmitteln und zu 30 Pro- sozialversicherung keinen Ansporn zum sogenannten (D) zent von den Unternehmen finanziert, die die Künstler Outsourcing setzen. Das normale Arbeitnehmerver- beauftragen. Diese Finanzierung ist wie die ganze Ver- hältnis sollte in den meisten Berufen das Ziel bleiben. sicherung einmalig und ein eindrucksvolles solidari- Eine Ausweitung des Künstlerbegriffs könnte auch hier sches Konstrukt. Sie beruht auf zwei Annahmen: kontraproduktiv wirken. Erstens. Selbstständige Künstler haben meist nur An diesem Punkt – das kann man auch dem Ent- ein geringes Einkommen und sind deshalb auf eine so- schließungsantrag der Linkspartei entnehmen – gibt es lidarische Finanzierung ihrer Sozialversicherung an- hier im Parlament unterschiedliche Ansichten. Die gewiesen. sollten wir zu gegebener Zeit diskutieren. Eine Einen- gung der Lösungsoptionen auf eine Erhöhung des Zweitens. Wir als Kulturnation sind der Meinung, Bundeszuschusses halte ich jedenfalls nicht für pro- dass freischaffende Künstler und Publizisten einen duktiv und wird auch nicht der speziellen Logik der wichtigen Beitrag zur Kultur in unserem Land leisten Künstlersozialversicherung gerecht. und sie deshalb eine besondere Förderung verdienen. Aber auch außerhalb der Künstlersozialversiche- Ich denke, dass diese Annahmen – heute wie vor rung müssen einige Rahmenbedingungen stimmen. So 30 Jahren zur Einführung der Künstlersozialversi- sollten wir beispielsweise dafür sorgen, dass Kreative cherung – zutreffen. Denn das kulturelle Leben in auch weiterhin die grundsätzliche Möglichkeit haben, Deutschland, im Großen wie im Kleinen, in der Hoch- von ihren künstlerischen und publizistischen Leistun- kultur wie in der Alltagskultur, privat und in der Wirt- gen leben zu können. Dafür müssen ihre Leistungen schaft, wird von einer Vielfalt an freischaffenden bezahlt werden, auch in Zeiten des Internets und der Künstlern und Publizisten getragen. Viele dieser fast unendlichen Vervielfältigungsmöglichkeiten. Wer Selbstständigen leben auch heute in prekären und be- Kunst und publizistische Erzeugnisse nutzt, muss dafür scheidenen Verhältnissen. Sie sind schlichtweg auf die auch angemessen zahlen. Das gilt für den Privatmann Leistungen der Künstlersozialversicherung angewie- genauso wie für das Unternehmen. Hier ist ein Um- sen. denken notwendig. Unser Ziel war und ist es deshalb, die Versicherung Wir können Kultur nur bewahren und fördern, wenn zu erhalten. Das vorliegende Gesetz wird dazu beitra- wir die schützen und fördern, die diese Kultur aktiv gen und sie vorerst stabilisieren. Die Prüfungen wer- erhalten, weitergeben und schaffen. Das sollte unser den zu mehr Abgabengerechtigkeit führen und die Ziel sein. Denn – und das fasste Bundestagspräsident

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4271

Dr. Astrid Freudenstein (A) Norbert Lammert vor einiger Zeit prägnant zusam- der ausgeweiteten Prüfung der Künstlersozialabgabe (C) men –: „… was von dieser Generation übrig bleiben im Rahmen der Arbeitgeberprüfung ebenso Rechnung wird, sind nicht die Bahnhöfe, Flughäfen oder Steuer- getragen wie entsprechenden regelmäßigen Informa- gesetze, sondern das Selbstverständnis, das sich auf tions- und Beratungsangeboten für Arbeitgeber. den Schöpfungen von Kunst und Kultur gründet.“ Zur dritten Beratung des vorliegenden Gesetzent- wurfes reichte die Fraktion Die Linke einen Entschlie- Uwe Lagosky (CDU/CSU): ßungsantrag ein. Ihre Zweifel an einer Wirksamkeit Ruheräume im Rundfunk, leere Spalten in Zeitun- der Abgabenprüfungen von Deutscher Rentenversi- gen, Kinos ohne Filme – vor dieser unschönen Vorstel- cherung und Künstlersozialkasse teile ich nicht. Dazu lung bewahren uns Künstler und Publizierende. Trotz- ein Zitat aus der Begründung im Gesetzentwurf: dem lautet ein deutsches Sprichwort: Armut ist aller Künste Stiefmutter. Genau deswegen gibt es seit 1981 In den Jahren 2007 bis 2011 haben sich die Prüf- die Künstlersozialversicherung, die vielen Menschen dienste der Träger der Deutschen Rentenversiche- überhaupt erst eine selbstständige künstlerische oder rung zunächst erfolgreich auf die Neuerfassung publizistische Tätigkeit ermöglicht. Die Finanzierung von abgabepflichtigen Unternehmen und deren der Künstlersozialversicherung erfolgt zu 50 Prozent Prüfung konzentriert… Ab dem Jahr 2011 wurde aus Versichertenbeiträgen, zu 30 Prozent aus Künst- das Anschreibeverfahren eingeschränkt und damit lersozialabgaben von Unternehmen und Verwertern die Prüftätigkeit im Hinblick auf Neuerfassungen sowie zu 20 Prozent aus Bundesmitteln. 2013 hatten erheblich reduziert. Eine Prüfung des Verwerter- die Bundesmittel eine Höhe von circa 171 Millionen bestandes fand bis Mitte 2013 nicht statt. Aus der Euro. Prüftätigkeit wurden zwischenzeitlich kaum noch Einnahmen erzielt. Die Aufgaben der zuständigen Künstlersozialkasse decken drei Bereiche ab: Eben deshalb kommt es jetzt zur Kooperation der Prüfdienste von Künstlersozialkasse und Deutscher Erstens entscheidet sie, ob ein Antragsteller als Rentenversicherung, wodurch die Künstlersozialab- Künstler oder Publizist anzuerkennen ist. gabe stabilisiert wird. Zweitens meldet sie die versicherten Künstler und Akzeptanz für die Künstlersozialabgabe setzt mei- Publizisten bei den Kranken- und Pflegekassen sowie nes Erachtens zwei Punkte voraus: bei der Rentenversicherung an. Erstens müssen sämtliche abgabepflichtigen Ver- (B) Drittens leitet sie die Beiträge an die zuständigen werter ihre Beiträge an die Künstlersozialkasse ent- (D) Träger weiter. Rente, Kranken- sowie Pflegegeld wer- richten. den dementsprechend von den Trägern der Renten- versicherung sowie den gesetzlichen Kranken- und Zweitens muss gewährleistet sein, dass die Mittel Pflegekassen erbracht. der Künstlersozialkasse ausschließlich für ihren tat- sächlichen Zweck eingesetzt werden: die Unterstüt- Künstlersozialabgaben werden erhoben, wenn zung selbstständiger Künstler und Publizisten. Für selbstständige Künstler oder Publizisten regelmäßig eine großzügige Öffnung der Künstlersozialkasse, wie Aufträge zum Beispiel von Presseagenturen, Fernseh- im Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke ge- sendern, Rundfunkanstalten, Galerien erhalten oder wünscht, sehe ich deshalb keinen Grund. Unternehmen Eigenwerbung bzw. Öffentlichkeits- arbeit betreiben und dazu Kunstschaffende oder Publi- Evaluationen sollen die Zielumsetzungen im Zusam- zisten beauftragen. menhang mit ihren Kosten bewerten. Erstmals sind sie nach Abschluss eines vollen vierjährigen Prüfturnus Nun kommen einige der Auftraggeber dieser vom im Jahr 2019 geplant. Bundesverfassungsgericht 1987 bestätigten Verpflich- tung nicht nach, weshalb die Kosten durch die übrigen Ruheräume im Rundfunk, leere Spalten in Zeitun- aufgefangen werden müssen. In der Folge stiegen die gen, Kinos ohne Filme – vor dieser unschönen Vor- Beitragssätze von 3,9 Prozent 2012 auf 5,2 Prozent stellung bewahren uns Künstler und Publizierende. 2013. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen Danken wir ihnen mit einer stabilen Künstlersozial- wir deshalb Abgabengerechtigkeit. Durchgesetzt versicherung. werden soll sie mittels alle vier Jahre stattfindender Prüfungen. Für die Unternehmen sind diese risiko- Burkhard Blienert (SPD): basiert, da nie alle gleichzeitig geprüft werden. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung Insgesamt gestaltet sich das neue Prüfungsverfahren des Künstlersozialabgabesatzes wollen wir ein wichti- effizienter und effektiver, da die Gesamtsozialversiche- ges Vorhaben unserer Koalitionsvereinbarung umset- rungsbeiträge und die Künstlersozialabgabe zeitgleich zen, und die Zeit drängt. Die Abgabe ist in diesem Jahr in den Blick genommen werden. deutlich angestiegen. Diesen Trend wollen wir jetzt Während bei der Künstlersozialkasse ein eigener aufhalten; denn ein zu hoher Abgabesatz gefährdet die Prüfdienst geschaffen wird, erhält die Deutsche Ren- Akzeptanz der Künstlersozialversicherung. Ich will an tenversicherung 233 neue Mitarbeiter. Mit ihnen wird dieser Stelle daran erinnern, dass wir das bereits in

Zu Protokoll gegebene Reden 4272 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Burkhard Blienert (A) der vergangenen Legislaturperiode hätten regeln kön- und Vielfalt überhaupt erst möglich. Ohne sie würde (C) nen. Aber die damaligen Koalitionsfraktionen haben sozusagen das Fundament wegbrechen. Deshalb hal- zum Unverständnis aller Beteiligten eine ähnliche Vor- ten wir es für eine vorrangige kulturpolitische – eben lage aus dem BMAS im Bundestag scheitern lassen. nicht nur sozialpolitische – Aufgabe, die Künstlerso- Wertvolle Zeit ist dadurch verloren gegangen. Aber zialversicherung zukunftsfest zu machen. Ich bin froh, nun sind wir entschlossen, zu handeln. dass wir uns da über alle Fraktionsgrenzen hinweg ei- nig sind. Wir brauchen dieses Gesetz, damit die selbstständi- gen Kultur- und Medienschaffenden – derzeit sind Das kommt auch im Entschließungsantrag der 180 000 Mitglied in der Künstlersozialkasse – weiter- Fraktion der Linken zum Ausdruck; das begrüße ich. hin Absicherung in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- Zustimmen können wir diesem Antrag allerdings nicht, und Rentenversicherung finden können. Die Kreativen da hier Problemfelder aufgemacht werden, die weit sind darauf angewiesen. Sie arbeiten in der großen über die Künstlersozialversicherung hinausgehen. Mehrzahl unter schwierigen Bedingungen. Ihre Auf- tragslage ist unsicher, und sie müssen sich mit gerin- Wir sind uns vollauf bewusst: Die Künstlersozial- gen Einkommen durchschlagen. So betrug das jährli- versicherung ist nur ein – wenn auch zentraler – Pfei- che Durchschnittseinkommen der KSK-Versicherten zu ler der Absicherung der Kreativen, und diese Novelle Anfang dieses Jahres gerade einmal 14 992 Euro. Da- wird auch nicht die letzte sein. Deshalb haben wir mit kann man nicht für seine soziale Absicherung sor- auch eine Evaluierung bis 2019 vorgesehen. Lassen gen. Deshalb haben wir Anfang der 80er-Jahre des Sie uns das doch erst einmal abwarten. Dann werden vergangenen Jahrhunderts die Künstlersozialversiche- wir uns das noch einmal ganz genau anschauen und rung geschaffen. Dieses System ist international ein- gegebenenfalls erneut nachsteuern. malig und findet im Ausland große Anerkennung. Die Soziale Absicherung im Kulturbereich geht aber Künstler zahlen die Hälfte des Versicherungsbeitrags, über die Künstlersozialversicherung hinaus. Ich möchte was dem Arbeitnehmeranteil in der gesetzlichen Ver- zum Abschluss nur zwei Projekte ansprechen, die wir sicherung entspricht. Die Künstlersozialkasse über- in nächster Zeit angehen werden: Wir brauchen eine nimmt die andere Hälfte der Versicherungsbeiträge, Reform des Urheberrechts, die das geistige Eigentum quasi den Arbeitgeberanteil. Der speist sich aus einem wirksam schützt und den Kreativen damit Einkommen Bundeszuschuss und den Abgaben der Verwerter von sichert. Und die Beschäftigten im Kulturbereich brau- künstlerischen und publizistischen Leistungen. Die chen eine vernünftige Anschlussregelung für das Ende Künstlersozialabgabe ist also der Beitrag der verwer- dieses Jahres auslaufende Gesetz zum Arbeitslosen- (B) tenden Unternehmen zur sozialen Absicherung selbst- geld für kurzbefristete Beschäftigungsverhältnisse. Mit (D) ständiger Künstler und Publizisten. diesen und weiteren Aufgaben werden wir uns gleich Der Abgabesatz hat in diesem Jahr mit 5,2 Prozent nach der parlamentarischen Sommerpause befassen. eine Schmerzgrenze erreicht. Der Grund dafür ist, dass sich bisher zu viele abgabepflichtige Unterneh- Ralf Kapschack (SPD): men ihrer Pflicht entzogen haben. Das ist in höchstem Nach intensiven Debatten haben wir heute den ge- Maße ungerecht gegenüber den zahlenden Verwertern; setzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro verabschiedet. denn die zahlen für die anderen mit. Beides aber Auch viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in – hohe Abgabe und fehlende Abgabegerechtigkeit – der Kulturszene werden davon profitieren. Umso er- stellt die Akzeptanz der Künstlersozialkasse insgesamt freulicher ist es, dass wir heute – an diesem besonde- infrage. Das dürfen wir nicht zulassen. Mit dem Gesetz ren Tag – mit dem Gesetz zur Stabilisierung des Künst- sorgen wir nun mit geeigneten Maßnahmen dafür, dass lersozialabgabesatzes auch die soziale Absicherung alle ihrer Abgabepflicht nachkommen werden. selbstständiger Künstlerinnen und Künstler sowie Pu- blizistinnen und Publizisten stärken. An der Notwendigkeit dieser Versicherung für selbstständige Künstler und Publizisten hat sich bis Ich finde es bemerkenswert und sehr erfreulich, heute nichts geändert, eher im Gegenteil. Die florie- dass dieser Gesetzentwurf im Ausschuss für Arbeit und rende Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren breiten Soziales einstimmig verabschiedet worden ist. Das ist Erwerbsmöglichkeiten stützt sich auf viele dieser Kul- ein gutes Zeichen für konstruktive Zusammenarbeit in tur- und Medienschaffenden, die meist unter prekären diesem Parlament. Es ist aber vor allem ein gutes Zei- Bedingungen und mit viel Selbstausbeutung arbeiten. chen für die Wertschätzung von Kunst, Kultur und Pu- Die zahlreichen Aufnahmeanträge bei der Künstlerso- blizistik in diesem Land. zialkasse deuten an, dass die Versichertenzahlen wei- Die Künstlersozialkasse ist europaweit ein einzigar- ter zunehmen werden. tiges Modell. Sie spiegelt die Bedeutung wider, die der Aber nicht nur die Kulturwirtschaft ist auf das krea- Kulturszene Deutschlands zukommt, von Kunst über tive und künstlerische Schaffen angewiesen. Vielmehr Theater, Musik, Sport, Film bis hin zu Journalismus profitiert unsere Gesellschaft als Ganzes von der krea- und Literatur. Kurz: 180 000 Menschen, die unser tiven Kraft und den innovativen Leistungen der Kunst- Land bunter, vielfältiger und – schlichtweg – auch un- und Kulturschaffenden. Die vielen Kreativen machen terhaltsamer machen, erfahren dadurch ein Mindest- unser kulturelles und geistiges Leben in seiner Breite maß an sozialer Absicherung. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4273

Ralf Kapschack (A) Die Künstlersozialkasse wird solidarisch finanziert: eine zusammentun und sich etwa durch eine Pauschale (C) 50 Prozent zahlen die Mitglieder, 30 Prozent die soge- pro Schüler von der individuellen Melde- und Abgabe- nannten Verwerter, also Unternehmen, die künstleri- pflicht befreien. Das entlastet die einzelnen Vereine sche Leistungen in Anspruch nehmen, weitere 20 Pro- von Bürokratie und erleichtert die finanzielle Planung. zent werden vom Bund bezuschusst. Die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände Trotz der großen Bandbreite an kulturellen Angebo- hat so etwas ja gerade erst für ihren Bereich beschlos- ten stagnieren die Einnahmen, sie sind sogar rückläu- sen. fig. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf eine mangelnde Überprüfung der Verwerter. Bis 2011 hat Das neue Gesetz nimmt die Hinweise aus der Praxis sich die Prüfung auf die Neuerfassung von abgabe- auf und erleichtert und stärkt die Bildung von Aus- pflichtigen Unternehmen beschränkt. Danach ist auch gleichsvereinigungen. das eingestellt worden. „Wenn ich nicht geprüft werde, Das vorliegende Gesetz ist ein wichtiger und drin- dann zahle ich auch nicht“, mag vielleicht der eine gend notwendiger Schritt, um die soziale Absicherung oder andere Unternehmer denken. Andere sind sich ih- freischaffender Künstler und Publizisten zu stärken. rer Zahlungspflicht auch nicht bewusst. Kernstück des neuen Gesetzes ist deshalb die Ausweitung des Prüf- Dass es sich hierbei nicht um der Weisheit letzten verfahrens durch die Deutsche Rentenversicherung. Schluss handelt, ist uns Sozialdemokratinnen und So- zialdemokraten bewusst. Es sind weitere Änderungen Ihr gilt es an dieser Stelle auch einmal ausdrücklich notwendig, etwa was die Anerkennungszeiten für das zu danken. Nach intensiven Gesprächen zwischen dem Arbeitslosengeld, die Rentenhöhe oder auch insgesamt Ministerium und der Rentenversicherung ist es hier zu die prekäre Arbeitsmarktsituation betrifft. Die Hin- einer guten Lösung für alle gekommen. weise aus den Fraktionen von Grünen und Linken sind Die Deutsche Rentenversicherung Bund wird im hier völlig berechtigt. Diese Themen werden wir auch Rahmen ihrer turnusmäßigen Arbeitgeberprüfung alle angehen. vier Jahre auch die Unternehmen hinsichtlich der Karl Valentin hat einmal gesagt: „Kunst ist schön, Künstlersozialabgabe prüfen. Außerdem wird sie bera- macht aber viel Arbeit.“ Recht hat er. Und unsere ge- tend und informierend tätig sein. Dies trifft für alle Un- meinsame Arbeit für die Kunst und Kultur in diesem ternehmen mit mindestens 20 Beschäftigten zu. Klei- Land lohnt sich allemal. nere Unternehmen werden in einem Pool zusammengefasst und alle zehn Jahre geprüft. Auf- (B) wand und Ertrag stehen dabei in einem vernünftigen Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): (D) Verhältnis: Insgesamt können wir dadurch mit Einnah- Für die Linke ist die Künstlersozialversicherung men in Höhe von 32 Millionen Euro jährlich rechnen. eine sozialpolitische Errungenschaft. Sie hat sich Der Beitragssatz, der aktuell bei 5,2 Prozent liegt, bewährt. Nun müssen die Bedingungen geschaffen kann somit stabil gehalten und die Künstlersozialkasse werden, damit sie auf Dauer stabilisiert werden kann. zukunftsfest gemacht werden. Die Bundesregierung setzt in modifizierter Weise um, wozu sich die Vorgängerregierung nicht durchringen Für kleinere Unternehmen wird eine Geringfügig- konnte: Die Prüfintensität bei Unternehmen, ob und in keitsgrenze von 450 Euro eingeführt. Für Leistungen, welcher Höhe sie gegenüber der Künstlersozialkasse die darunter liegen, wird keine Abgabe fällig. Dies abgabenpflichtig sind, wird gesetzlich festgelegt. Es ist verhindert unnötige Bürokratie und schafft Rechtssi- eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass die Einhal- cherheit. tung gesetzlicher Pflichten auch geprüft wird. Es ist Im Ergebnis schafft dieses Gesetz die Grundlage für außerordentlich bedauerlich, dass es so lange gedau- Beitragsgerechtigkeit und Beitragsstabilität. ert hat. Es gibt leider guten Grund zu der Annahme, dass die abgabenpflichtigen Arbeitgeber in den letzten In den vergangenen Wochen ist sehr oft und sehr Jahren ihrer Pflicht nicht vollumfänglich nachgekom- viel darüber diskutiert worden, ob und wie das Ehren- men sind. Die Zahl der Abgabenpflichtigen hat sich in amt zum Beispiel in Musikvereinen durch die Abgabe den Jahren nach 2006 von etwa 56 000 auf 167 000 im zur Künstlersozialversicherung bedroht ist. Es ist ganz Jahr 2013 verdreifacht. Trotz des massiven Anstiegs klar: Eine Schwächung des Ehrenamtes soll es nicht der Abgabenpflichtigen stiegen die gemeldeten Hono- geben. Aber auch selbstständigen Künstlern, wie Mu- rarsummen aber nicht – wie man erwarten müsste –, siklehrern, muss der Zugang zur sozialen Sicherung sondern stagnierten bei etwa 4 Milliarden Euro. Deut- gewährleistet werden. Wenn sie Leistungen wie jeder lich mehr Arbeitgeber und Verwerter melden in der andere Arbeitnehmer bzw. jede andere Arbeitnehmerin Summe dieselben Honorarsummen. Dies ist doch sehr erbringen, müssen sie dafür auch entsprechend ent- verwunderlich. lohnt werden – dazu gehört auch eine Sozialabgabe. Es ist daher im Sinne der Beitragsgerechtigkeit Um einem Missverständnis vorzubeugen: Honorare unumgänglich, durch verstärkte Prüfungen dafür zu für selbstständige Musiklehrer etwa sind nach wie vor sorgen, dass alle Abgabenpflichtigen erfasst werden bis zu 2 400 Euro im Jahr abgabefrei. In sogenannten und darüber hinaus auch die Abgabenhöhe kontrol- Ausgleichsvereinigungen können sich auch Musikver- liert wird. Es ist nicht hinzunehmen, dass gesetzliche

Zu Protokoll gegebene Reden 4274 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Sabine Zimmermann (Zwickau) (A) Vorschriften wie die Künstlersozialgabe von einigen ment im Rahmen der sozialen Absicherung und Inte- (C) Unternehmen nicht ernst genommen werden. 143 Mil- gration von selbstständigen Kulturschaffenden in die liarden Euro betrug 2012 der Umsatz der Kultur- und bestehenden Sozialversicherungssysteme. Kreativwirtschaft. Über die Künstlersozialabgabe ge- hen gerade einmal 200 Millionen Euro an die KSK. Unabdingbar für die Existenz dieser Solidarge- Das ist keineswegs überzogen. meinschaft ist jedoch eine solide Finanzierungsgrund- lage. Immerhin 30 Prozent der KSK-Kosten werden Zudem möchte ich auf zwei Entwicklungen hinwei- durch die Künstlersozialabgabe generiert. Wenn ein sen, die die Künstlersozialversicherung auf Dauer be- Großteil der abgabepflichtigen Unternehmen vorsätz- lasten werden, wenn die Bundesregierung nicht end- lich oder unwissentlich ihrer Pflicht aber nicht nach- lich gegensteuert. Das Ausmaß an selbstständiger und kommt, gerät diese Solidargemeinschaft in eine freiberuflicher Tätigkeit wächst im Bereich Kunst, Schieflage und bedroht die Stabilität der Künstlerso- Kultur und Publizistik, nicht zuletzt bedingt durch den zialversicherung in ihrer Gesamtheit. Bündnis 90/Die Personalabbau in den öffentlichen Einrichtungen. Grünen begrüßt daher die nun vorliegende Gesetzes- Damit steigt auch der Andrang in die KSK. Die Anzahl konkretisierung zur Stabilisierung des Künstlersozial- von Selbstständigen und in kurzzeitig, unständig und abgabesatzes. Bereits in der vergangenen Legislatur- wechselnden Beschäftigungsformen Tätigen, die kei- periode hatten wir uns für einen entsprechenden nen Zugang zur Künstlersozialkasse haben, nimmt ins- Gesetzentwurf ausgesprochen, der im letzten Moment gesamt zu. Vielfach handelt es sich bei diesen Beschäf- durch die damalige Koalition aus CDU/CSU und FDP tigungsverhältnissen auch um Scheinselbstständigkeit. zurückgezogen wurde. Es ist nicht zu akzeptieren, dass die Arbeitgeber sparen und den sozial- und arbeitsrechtlichen Schutz der Die Unternehmen sowie Verwerter und Verwerterin- Beschäftigten untergraben. Die Betroffenen wenden nen tragen für die von ihnen beauftragten Kulturschaf- sich in ihrer Not an die Künstlersozialkasse. Hier wer- fenden eine arbeitgeberähnliche Verantwortung, der den sie teilweise wieder mit Verweis auf ihre Schein- sie nachkommen müssen. Die Einbeziehung aller Ver- selbstständigkeit abgelehnt. werter und Verwerterinnen ist aus Gründen der Ge- rechtigkeit gegenüber allen Abgabepflichtigen bzw. Meine Damen und Herren von der Bundesregie- Zahlenden und den Künstlern und Künstlerinnen sowie rung, ich sage Ihnen: Das darf nicht sein. Tun Sie Publizisten und Publizistinnen, die über die Künst- etwas gegen Scheinselbstständigkeit. Helfen Sie wegen lersozialkasse versichert sind, dringend geboten. Scheinselbstständigkeit von der KSK abgelehnten Be- Umfassende Kontrollen sind zur Herstellung dieser schäftigten, ihre Rechte gegenüber den Arbeitgebern (B) Gerechtigkeit ein wirkungsvolles, notwendiges und, (D) durchzusetzen. Werden Sie zudem aktiv in ihrer urei- mit Verlaub, auch ein ganz gängiges Steuerungsinstru- gensten Zuständigkeit: Ändern Sie Ihre Kulturförde- ment. rung und machen Sie gute und nicht billige Arbeit zur Voraussetzung von Kulturförderung. Die Überprüfung der Künstlersozialabgabe an die ohnehin durch die Rentenversicherung alle vier Jahre Die zweite Entwicklung ist die unzureichende stattfindende Arbeitgeberprüfung zu koppeln, ist ein soziale Absicherung vieler Selbstständiger. Viele sinnvoller Mechanismus. Nach dem vorliegenden Ge- Selbstständige und Freiberufler haben keinen Zugang setzentwurf geht dies allerdings zulasten der Beitrags- zu einer bezahlbaren und solidarischen Sozialversi- zahler und Beitragszahlerinnen in der Rentenversiche- cherung, insbesondere auch hinsichtlich der Alters- rung. Denn Mehreinnahmen ergeben sich für die sicherung. Sorgen Sie für sozialen Schutz für Selbst- Rentenversicherung aus der zusätzlichen Überprüfung ständige und Freiberufler, dann reduziert sich auch nicht und ein Ausgleich der entstehenden Kosten sieht der Druck auf die KSK. der Gesetzentwurf nicht vor. Hier besteht aus unserer Wir begrüßen zwar den vorliegenden Gesetzent- Sicht Nachbesserungsbedarf. wurf, aber damit sind die Hausaufgaben noch nicht ge- Weiteren Diskussionsbedarf sehen wir auch bezüg- macht. lich der Einführung eines Freibetrags von 450 Euro pro Jahr. Diese Neuregelung wird zwar auf der einen Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seite besonders kleinere Unternehmen vor einem hö- Die Künstlersozialkasse ist in ihrer Ausgestaltung heren Bürokratieaufwand schützen, aber auf der ande- auf die ganz spezielle Arbeits- und Lebenssituation ih- ren Seite auch eine Reduzierung der KSK-Einnahmen rer Mitglieder, die vor allem durch oft wechselnde Be- zur Folge haben. Wie erheblich diese Reduzierung schäftigungsformen und häufig geringe Einkommen letztlich ist, bedarf einer genauen Überprüfung, ebenso geprägt ist, zugeschnitten. Hinzu kommt, dass der An- die bestehende Geringfügigkeitsregelung von drei ab- teil der geringfügig Beschäftigten im Bereich der Kul- gabefreien Veranstaltungen pro Jahr. Auch hier kön- tur- und Kreativwirtschaft in den vergangenen Jahren nen die Einnahmeausfälle für die KSK, wenn es sich kontinuierlich gestiegen ist, ganz im Gegensatz zu dem zum Beispiel um besonders umfangreiche und kosten- Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. aufwendige Veranstaltungen handelt, enorm sein. Eine Vor diesem Hintergrund ist die Künstlersozialversiche- Kombination beider Voraussetzungen könnte daher rung eine Errungenschaft und ein existenzielles Instru- eine sinnvolle Alternative sein.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4275

Ulle Schauws (A) Klar ist: Der nun vorliegende Gesetzentwurf kann schen den Begriffen Europa, EU, Assoziierung und (C) nur ein erster Schritt sein, hin zu einer zukunftssiche- Beitritt besteht. ren Künstlersozialversicherung. Es gibt weitere struk- turelle Probleme, die angegangen werden müssen. Wenn wir heute über die Europäische Perspektive Nicht nur die Entwicklung des Beitragssatzes der KSK der Republik Moldau debattieren, reden wir noch und die Höhe des Bundeszuschusses müssen wir hier- lange nicht über eine Beitrittsperspektive. Europäi- bei im Blick haben. Es geht vor allem auch um die Ak- sche Perspektive heißt nicht EU-Perspektive, jeden- zeptanz der KSK in der Gesellschaft. Dies ist gerade falls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Selbst im Eilverfah- vor dem Hintergrund, dass vielen Kulturschaffenden ren wird es Monate dauern, bis das am letzten Freitag der Zutritt zur KSK verwehrt bleibt, ein großes Thema. unterzeichnete Assoziierungsabkommen wenigstens Die Probleme, die wir im Bereich der sozialen und vorläufig angewendet werden kann, und noch länger, wirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden haben, bis es vollständig in Kraft tritt. Lassen Sie uns doch sind zu vielschichtig, als dass wir sie allein über eine erst einmal dieses Vorhaben abschließen und vor allem Reform der Künstlersozialversicherung lösen könnten. mit Leben füllen, statt gleich über Beitritt zu reden. Hier gibt es verschiedene Hebel, und wir Grüne haben Denn trotz der guten Fortschritte, die das Land unter in der Vergangenheit hierzu bereits einige Vorschläge Ministerpräsident Iurie Leanca gemacht hat, müssen gemacht. Aber ohne das soziale Sicherungssystem der noch große Anstrengungen auf dem Reformkurs unter- Künstlersozialversicherung lösen wir die Probleme nommen werden. schon gar nicht. Die Republik Moldau gilt mit einem Bruttoinlands- produkt von unter 2 300 Dollar pro Kopf weiterhin als Vizepräsidentin Petra Pau: das ärmste Land Europas. Auch bei den Menschen- Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für rechten bestehen noch Defizite. Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 18/1985, den Gesetzentwurf der Bei der Korruptionsbekämpfung muss Moldau seine Bundesregierung auf den Drucksachen 18/1530 und Anstrengungen weiter intensivieren. Erste kleine Er- 18/1770 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- folge in diesem Bereich machen zwar Mut. Dennoch ist setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Korruption unter anderem in weiten Teilen der Verwal- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- tung, der Justiz, dem Gesundheitswesen und im Wirt- entwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig ange- schaftsleben immer noch ein Thema, was nicht zuletzt nommen. die Glaubwürdigkeit der Regierung, vor allem aber das Investitionsklima schädigt. Bei ausländischen Di- (B) Dritte Beratung rektinvestitionen liegt die Republik Moldau in Europa (D) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem auf dem letzten Platz. Ja, es ist wichtig, Moldau und Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – vor allem dessen Bürgern Perspektiven zu zeigen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist einstimmig angenommen. Es ist daher unerlässlich, dass die Moldauer mög- lichst bald spürbare Veränderungen erleben – auch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) damit sie das Vertrauen in die europäische Perspektive im Hinblick auf die Parlamentswahlen im November Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- nicht verlieren. ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1996. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Bei ihren entsprechenden Reformbemühungen kann Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- die seit 2009 im Amt befindliche Regierung Moldaus schließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU- durchaus Erfolge vorweisen. Die zügige Umsetzung Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der des Aktionsplans zur Visaliberalisierung ist ein positi- Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die ves Beispiel, das es den Moldauern seit April dieses Grünen abgelehnt. Jahres möglich macht, visumfrei in die Europäische Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Union einzureisen. Vor allem die bei der Presse- und Meinungsfreiheit erzielten Fortschritte sind eine für Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, den Einzelnen direkt spürbare Veränderung, denn es SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN macht eben einen Unterschied, ob am Zeitungskiosk Die europäische Perspektive der Republik nur eine oder aber fünf Sichtweisen präsentiert wer- Moldau unterstützen den. Weitere Schritte im Bereich der Grundrechte müs- sen folgen, sei es bei Rechtsstaatlichkeit, Eigentums- Drucksache 18/1956 rechten oder Minderheitenschutz. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – In der Ukraine konnten wir in der jüngsten Vergan- Ich sehe, Sie sind wiederum einverstanden. genheit beobachten, welche Kraft das Streben nach diesen Grundrechten entwickeln kann, die wir in West- Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): europa so oft als selbstverständlich erachten – und Die heutige Debatte zeigt wieder einmal, dass bei welche Gegenwehr von vormaligen Partnern und Bru- einigen immer noch eine unklare Gemengelage zwi- derstaaten kommt. 4276 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. Bernd Fabritius (A) Wie im Fall der Ukraine wird Russland schon bald 9. November 1989 ihr historisches Symbol fand und (C) wirtschaftlichen Druck ausüben, der in der Bevölke- die Welt mit der Hoffnung erfüllte, dass sich die Ideen rung schnell spürbar werden wird. Ich denke da zum der atlantischen Revolutionen des späten 18. Jahrhun- Beispiel an die 600 000 moldauischen Wanderarbeiter, derts wenn nicht global, so doch im gesamten Bereich die in Russland arbeiten und denen die russische der damals noch existierenden Sowjetunion durchset- Reaktion auf das Assoziierungsabkommen zeitweise zen würden.“ den Job kosten könnte, bevor sie eine neue Perspektive erhalten. Die Rücküberweisungen dieser Wander- So weit das Zitat. arbeiter, mit denen häufig auch die Familien versorgt Diese Zwischenphase, diese Zwischenzeit ist zu werden, machen 19 Prozent des Bruttoinlandsproduk- Ende. Putin hat Klarheit geschaffen. Er baut mit seiner tes der Republik Moldau aus. Ich muss, glaube ich, Eurasischen Union einen politischen, gesellschaftli- nicht weiter ausführen, was 600 000 unzufriedene ar- beitslose Wanderarbeiter mit den dazugehörigen Fa- chen und wirtschaftlichen Gegenentwurf zur Europäi- milien in einem Land mit 3,5 Millionen Einwohnern schen Union, zum Westen, auf. Es geht nicht mehr um für dessen Stabilität bedeuten. gegenseitigen Vorteil, um gemeinsame Interessen und Projekte, es geht nicht mehr um „win-win“, es geht Deshalb dürfen wir nicht abwarten, bis die ersten darum, rückwärts begründete russische Interessen positiven Folgen des Assoziierungsabkommens irgend- durchzusetzen, um den eigenen Einfluss in den Nach- wann im Herbst oder gar nächstes Jahr spürbar wer- barländern abzusichern. den, sondern brauchen jetzt, sofort und heute überbrü- ckende Maßnahmen. Im Falle der Ukraine ist die EU Die Nachbarländer, insbesondere die Ukraine, Mol- noch vom russischen Vorgehen überrascht worden. Im dau und Georgien, wurden durch uns als EU in einem Fall der Republik Moldau sollte sie vorbereitet sein. europäischen Zwischenraum verortet, zwischen Russ- land und der EU. Dem diente die Nachbarschaftspolitik Der hier vorliegende Antrag sieht deshalb vor, dass der EU, in gewissem Sinne auch die bisher ausgehan- die Bundesregierung sich gegenüber der EU für eine delten Assoziationsabkommen. Diese Staaten sollten an Erhöhung der Exportquoten für landwirtschaftliche die EU herangeführt werden, aber in einer Distanz von Produkte und für die kurzfristige Einrichtung eines der EU, eben in einem Zwischeneuropa, geparkt wer- Krisenfonds im Falle von wirtschaftlichen Sanktionen den. Russland – und nicht die EU – hat seine Nachbar- einsetzt. Dies sind genau die richtigen Maßnahmen, schaft vor die Wahl gestellt. Die von der EU mit der um dem zu erwartenden Druck zu begegnen. Bei die- Ukraine, Moldau und Georgien ausgehandelten Asso- sen muss es nicht bleiben, geht doch das Assoziie- (B) ziationsabkommen, einschließlich der darin vorgese- (D) rungsabkommen mit der Republik Moldau weit über henen Freihandelsabkommen, sind mit allen Verträ- den wirtschaftlichen Bereich hinaus. Ich nenne nur gen, die diese Länder mit Russland haben, voll beispielhaft die Kapitel 23 zu Bildung, Mehrsprachig- vereinbar, einschließlich des Freihandels und der Frei- keit, Jugend und Sport und Kapitel 25 unter anderem zügigkeit, die im GUS-Raum gelten. Was nicht verein- zu Kultur und Medien. Auch hier muss nicht erst Mo- bar ist, ist die von Russland als Gegenmodell gegrün- nate auf das Inkrafttreten gewartet werden. dete Eurasische bzw. Zollunion. Zölle und Freihandel Zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen, För- gehen natürlich nicht zusammen. dermittel im Bereich Kunst und Kultur, Sport, Freiwil- Vordergründig, aber nur vordergründig handelt es ligenaustausch usw. gibt es schon jetzt. Es bedarf doch sich bei der Konkurrenz zwischen europäischer und nicht dieses Assoziierungsabkommens, damit in eurasischer Integration in Osteuropa um eine geopoli- diesem Bereich etwas ganz neu entsteht, sondern damit tische Auseinandersetzung, in der sich Russland auf etwas Bestehendes optimal weiterentwickelt wird, und vermeintliche Sicherheitsinteressen beruft. Für die be- es bedarf der Menschen, die das Abkommen mit Leben troffenen Länder, und dabei besonders auch die Repu- füllen. Franz Beckenbauer hat einmal gesagt: „Gehts blik Moldau, richtet sich die Politik der europäischen raus und spielts Fußball.“ Ich sage: „Gehts raus und Integration aber tatsächlich nicht gegen Russland. Es assoziierts euch.“ ist absurd, anzunehmen, dass das kleine Moldau, das an seiner Neutralität festhält, sich in irgendeiner Manfred Grund (CDU/CSU): Weise gegen Russland wendet. Weder in den Worten In der „FAZ“ vom 26. Juni hat Heinrich August noch in den Taten der moldauischen Regierung finden Winkler in einem Namensartikel unter der Überschrift Sie irgendeine Wendung gegen Russland. „Was wir aus der deutschen Geschichte lernen kön- nen“ mit Bezug auf die Ukraine-Krise unter anderem Für Moldau, aber auch für die Ukraine oder Geor- Folgendes ausgeführt: gien geht es tatsächlich um etwas ganz anderes als Geopolitik. Es geht um die eigene Modernisierung und „Vermutlich werden spätere Historiker zu dem Entwicklung. Seit ihrer Unabhängigkeit haben diese Schluss gelangen, dass im Jahre 2014 eine Zwischen- Länder Jahrzehnte der Stagnation, der Isolation und phase zu Ende ging – jene Zeit, die vor einem Viertel- des Verfalls erlebt. Die jungen und gut ausgebildeten jahrhundert mit den friedlichen Revolutionen in Ost- Menschen verließen und verlassen diese Länder in mitteleuropa begann, im Fall der Berliner Mauer am großer Zahl. Die wirtschaftliche, soziale und demo-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4277

Manfred Grund (A) grafische Lage aller dieser Länder ist in keiner Weise Moldau ist nicht nur geografisch der nächste Nach- (C) nachhaltig und langfristig unhaltbar. bar der EU. Moldau hat in vieler Hinsicht auch die größten Fortschritte auf seinem proeuropäischen Kurs Schwache Institutionen und Korruption beschränk- erzielt. Das deutlichste Beispiel dafür ist, dass die Re- ten die Entwicklungschancen. In einer Art Pufferzone publik Moldau bereits seit April – als erstes unter den zwischen West und Ost gewannen diese Länder nie ein Ländern der östlichen Partnerschaft – Visafreiheit mit Entwicklungsmodell für ihre Zukunft. Das ist es, was der EU erlangt hat. Das Land wird von einer entschie- Zwischeneuropa für Gesellschaften in diesen Ländern den proeuropäischen Regierung geführt, die unsere bedeutete: Das Fehlen einer Entwicklungsperspektive. Unterstützung verdient. Die östliche Partnerschaft be- Darin liegt die eigentliche und tiefere Ursache der ruht auf dem Prinzip „Mehr für mehr“. Das darf auch Krise in Osteuropa. Wir werden diese Krise nur dauer- die europäische Perspektive nicht mehr ausschließen. haft überwinden können, wenn diese Länder eine klare Deshalb bekräftigen wir mit diesem Antrag heute be- Modernisierungsperspektive erlangen. Diese Moder- sonders die europäische Perspektive der Republik nisierungsperspektive wird es nur mit der europäi- Moldau. Aber wir setzen damit auch ein Zeichen für schen Integration geben. ganz Osteuropa, das Zeichen einer neuen Offenheit, ein Zeichen, dass die Alternative von Erweiterungs- Ungewissheit führt zu Instabilität. Wir haben stets und Nachbarschaftspolitik der EU überholt ist. den Grundsatz verteidigt, dass jedes Land selbst ent- scheiden kann, ob und welchem Integrationsmodell es Die Menschen in Moldau haben lange schwierige sich anschließen will. Aber als EU haben wir selbst of- Zeiten hinter sich. Sie stehen vor großen Herausforde- fengelassen, worin diese Wahl besteht. Heute erleben rungen. Wir zwingen niemandem die europäische wir eine massive Propagandakampagne gegen die EU Integration auf. Aber wir dürfen auch die Länder nicht und gegen die europäische Integration in Osteuropa. im Stich lassen, die sich für Europa entscheiden. Die Das stärkste Argument dieser Kampagne ist, dass die Republik Moldau und ihre europäische Perspektive Länder Osteuropas in Putins Eurasische Union will- verdienen unsere Unterstützung. kommen sind, aber nicht in der Europäischer Union. Diesem Argument müssen wir eine klare Absage ertei- Dietmar Nietan (SPD): len. Die Europäische Perspektive wird diesen Konflikt Neben der Ukraine und Georgien hat nun auch die zwischen europäischer und eurasischer Integration Republik Moldau einen großen Schritt in Richtung An- nicht verschärfen, sondern die Lage vielmehr klären. näherung getätigt und am 27. Juni das Assoziierungs- Ohne Klarheit in dieser Frage wird es keine dauer- (B) abkommen mit der EU unterschrieben. Das sollten wir (D) hafte Überwindung der Krise in Osteuropa geben. als Bundestag zum Anlass nehmen, unsere Unterstüt- Wenn wir heute die europäische Perspektive der zung für die Republik Moldau mit dem vorliegenden Republik Moldau bekräftigen, sprechen wir nicht von Antrag zu bekräftigen. einer Erweiterung der EU morgen oder übermorgen. Die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens Die Voraussetzungen dafür müssen durch die notwen- verdeutlicht zwei Entwicklungen: Zum einen weisen digen Reformen zuerst im Lande selbst geschaffen die seit 20 Jahren gewachsenen gegenseitigen Bezie- werden. Die Implementierung des mit der EU ge- hungen zwischen Moldau und der EU nun eine neue schlossenen Assoziierungsabkommens allein wird Qualität auf und haben eine wichtige Etappe erreicht. Jahre in Anspruch nehmen. Was wir mit der europäi- Mit der jüngst geleisteten Unterschrift ist aber gleich- schen Perspektive bekräftigen, ist eigentlich eine zeitig auch ein neuer Startpunkt erreicht: ein Start- Selbstverständlichkeit. Wir bestätigen lediglich, was punkt für weiter wachsende Beziehungen zwischen der bereits in Artikel 49 des EU-Vertrages enthalten ist: Republik Moldau und der EU, die – das sage ich an Das Recht jedes europäischen Landes, der EU beizu- dieser Stelle ausdrücklich – für Moldau ebenso wie für treten, wenn es die Voraussetzungen dafür erfüllt. alle weiteren Assoziierungspartner der EU eines Tages auch die Vollmitgliedschaft in der EU bedeuten kön- Die Republik Moldau ist ein europäisches Land. Die nen. Die jüngst unterzeichneten Assoziierungsabkom- Republik Moldau hat gemeinsam mit den baltischen men bilden damit keinen Endpunkt, sondern läuten Staaten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine neue Phase weiter wachsender Beziehungen seine Unabhängigkeit erlangt. Es teilt mit den balti- zwischen der EU und ihren neuen Assoziierungspart- schen Staaten in ähnlicher Weise die tragischen Erfah- nern ein. Dabei ist es wichtig, dass wir als Deutscher rungen des 20. Jahrhunderts. Im Vergleich zu den bal- Bundestag, wie es der heute zu beschließende Antrag tischen Staaten hat sich Moldaus Weg in die EU von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen klar verspätet. Aber es gibt keinen Grund, weshalb Moldau ausdrückt, die europäische Ausrichtung der Republik einen geringeren Anspruch auf eine Zukunft in der EU Moldau und die bisherigen Reformbemühungen auf hätte. Die Mehrheit seiner Bürger hat aufgrund ihrer dem Weg Richtung Europa würdigen und die europäi- Herkunft und Geschichte einen Anspruch auf eine EU- sche Perspektive der Republik Moldau bekräftigen. Staatsbürgerschaft. Die Frage ist nicht, ob die Mol- Das ist an dieser Stelle ganz entscheidend: Denn der dauer Mitglied in der EU werden, die Frage ist nur, ob Weg Moldaus und anderer Assoziierungspartner zur ihr Land mit ihnen kommt. weiteren Annäherung an die EU ist kein Selbstläufer.

Zu Protokoll gegebene Reden 4278 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dietmar Nietan (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es braucht hierfür Republik Moldau in die Pflicht, sofern das aktuelle (C) weiterhin auch unsere, die Unterstützung des Deut- Ziel eines Beitritts zu der EU zukünftig aufrechterhal- schen Bundestages, damit Moldau und weitere Assozi- ten bleibt. In mehreren Bereichen sind in den kommen- ierungspartner ihren Weg Richtung EU selbstbestimmt den Jahren – und mit Blick auf das langfristige Ziel des fortsetzen können. Das bedeutet zweierlei: Für uns in EU-Beitritts sicher auch Jahrzehnten – weitgehende Deutschland heißt es, auch zukünftig aktiv auf der Reformen in mehreren Politikbereichen nötig. Die Seite Moldaus zu stehen und das Land in seinem weite- Regierung der Republik Moldau muss unterstützt und ren Reformprozess zu unterstützen. Das gilt sowohl für angehalten werden, die Anstrengungen im Bereich der die notwendigen innenpolitischen Reformen in Moldau Korruptionsbekämpfung aufrechtzuerhalten und Kor- – um die Beitrittsvoraussetzungen zu erfüllen –, aber ruption auf allen Ebenen entschiedener als bisher zu auch mit Blick auf die nach wie vor vorhandenen bekämpfen. Genauso müssen ein transparentes System außen- und regionalpolitischen Herausforderungen, der Parteienfinanzierung geschaffen und das moldaui- denen sich Moldau gegenübersieht. Wir als Bundes- sche Justizwesen weiter reformiert werden. Moldau regierung sind weiterhin gefragt, uns hier aktiv ein- muss weitere Anstrengungen unternehmen, Menschen- zubringen. Unsere Bemühungen zur friedlichen rechtsstandards der Europäischen Menschenrechts- Beilegung des Transnistrien-Konflikts müssen auf- konvention uneingeschränkt Geltung zu verschaffen rechterhalten werden. Auch müssen wir uns dafür ein- und besonders auch den Kampf gegen Menschenhan- setzen, dass der Dialog zwischen der Republik Moldau del und Zwangsprostitution entschlossen fortzusetzen. und Gagausien zur künftigen Ausgestaltung der Auto- Dies sind nur einige wichtige Politikbereiche, die nomie zu einer Regelung führt. Gegenüber Rumänien verdeutlichen, dass für Moldau genauso wie für die gilt es, dass wir uns für die Ratifizierung des Grenzver- weiteren Assoziierungsländer nun eine neue Etappe trags einsetzen. Es ist klar, dass ohne eine Lösung die- beginnt und große Anstrengungen sowie, seitens der ser bisher ungelösten Konflikte und Streitfragen die Regierung, großer Veränderungs- und Gestaltungs- Aufnahme Moldaus in die EU nicht möglich sein wird. wille unabdingbar sind. An dieser Stelle kommt auch mit Blick auf Moldau Für uns als Abgeordnete des Bundestages genauso einmal mehr unserer Russland-Politik besondere Be- deutung zu. Die Bundesregierung und, ich bin mir wie für unsere Partner in der EU gilt es dabei, Moldau ziemlich sicher, auch die Partner innerhalb der EU aktiv zu unterstützen und alle Hilfe zukommen zu las- sowie der G 7 sind unverändert an konstruktiven sen, die notwendig ist, um den Weg in Richtung Europa Beziehungen zu Russland interessiert; aber eine impe- weiterhin zu beschreiten; das ist der Pfad, den Mol- dau, die Ukraine und Georgien gewählt haben. Lassen (B) rialistisch anmutende russische Einflusssphärenpolitik (D) nach dem Motto „Teile und herrsche“ wird von uns Sie uns alle Unterstützung geben, die nötig ist, damit nicht akzeptiert. So war es gestern, so ist es heute und die europäische Perspektive für unsere Assoziierungs- so wird es morgen sein. Entschieden trete ich deshalb partner nicht nur auf dem Papier steht, sondern politi- Äußerungen wie jenen des stellvertretenden Außen- sche Realität wird! Deshalb bitte ich um Ihre Unter- ministers Grigorij Karassin entgegen, der Presse- stützung für den vorliegenden Antrag. berichten zufolge gesagt haben soll, dass die Unter- schrift der Ukraine und der Republik Moldau unter Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): das Assoziierungsabkommen zweifellos ernste Folgen Die Linke wird den Antrag von CDU/CSU, SPD und nach sich ziehen werde. Grünen, der Republik Moldawien eine europäische Russland hat absolut keine Handhabe, den Regie- – oder genauer gesagt: eine EU-Perspektive – zu ge- rungen und den Menschen in den Ländern der Region ben, ablehnen. Die Vorschläge der anderen Parteien Anweisungen zu geben, in welche Richtung der jewei- sind gegenüber Moldawien heuchlerisch und wieder- lige außenpolitische Kurs gehen soll. Nach wie vor holen alle Fehler, die in der Ukraine zur politischen kann sich jeder souveräne Staat auf sein Selbstbestim- Katastrophe geführt haben. Ein Beispiel gefällig? mungsrecht berufen und selbstständig entscheiden, ob, wann und mit welchem Nachdruck er sich der EU an- In dem vorliegenden Antrag heißt es, dass grundle- nähern möchte – unabhängig davon, wie Russlands gende Entscheidungen über die Orientierung der Präsident Putin und sein außenpolitischer Beraterstab Republik Moldawien nur infolge freier und verfas- dazu stehen. sungsmäßiger Wahlen gefunden und anerkannt werden können. Die Praxis sieht völlig anders aus: Es ist be- An dieser Stelle ist ebenfalls klar, dass die EU an kannt, dass Wahlen in Moldawien im Oktober/Novem- der Seite Moldaus stehen muss, sollte das Land seitens ber stattfinden. Die EU hätte ohne Probleme die Russlands wirtschaftlich mit weiteren Sanktionen un- Schlussphase einer Unterzeichnung oder Nicht-Unter- ter Druck gesetzt werden. Hierzu sind wir als Bundes- zeichnung des Assoziierungsabkommens auf einen regierung in der Pflicht, uns für einen Notfallfonds auf Termin nach den Wahlen legen können. Das entsprä- EU-Ebene einzusetzen, mit dem Moldau im Krisenfall che dieser Aussage des Antrages. Anders jedoch als wirtschaftlicher Sanktionen unterstützt werden könnte. hier geheuchelt wird, hat man das Abkommen jetzt Die Unterstützung des Bundestages und der Bun- durchgesetzt und den Kolleginnen und Kollegen im desregierung nimmt auf der anderen Seite genauso die Parlament Moldawiens keine Chance gegeben, sich

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4279

Wolfgang Gehrcke (A) über dieses grundlegende Abkommen im Wahlkampf in der 14. Legislaturperiode finanzielle Unterstützung (C) auseinanderzusetzen. für Moldawien bei der Entsorgung von flüssigen Rake- tentreibstoffen beantragt. Diese sind hochgiftig, und Warum geht man so vor? Alle Meinungsumfragen die Lagerstätten sind nicht sicher genug. Abgelehnt sprechen dafür, dass die Kommunisten in Moldawien von der Mehrheit des Bundestages, wie so vieles Ver- die Wahlen gewinnen werden. Da will die EU das, was nünftige. sie später vielleicht nicht mehr bekommt, schnell noch unter Dach und Fach bringen. Sieht so eine demokra- Der Antrag gibt vor, dass Deutschland sich mit sei- tische, gleichberechtigte Zusammenarbeit aus? Ich be- ner Annahme für eine Deeskalation der Spannungen in haupte: Nein. Osteuropa einsetzt. Es gehören keine hellseherischen Fähigkeiten dazu, Ihnen vorauszusagen, dass das Moldawien hat bittere Bürgerkriegserfahrungen Gegenteil der Fall sein wird. Falsche Politik, heuchle- entlang des Dnestr. Im Land selbst arbeitet eine OSZE- rische Anträge – das ist die Linie der Parlamentsmehr- Mission. Ihre Erfahrung wäre interessant gewesen für heit mit Beifall und Zustimmung der Grünen. die Formulierung künftiger Politik. Kein Wort davon in dem vorliegenden Antrag von CDU/CSU, SPD und Grünen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Assoziierungsabkommen und seine Inkraftset- zung machen eine Lösung der Transnistrienproblema- Mit der Unterzeichnung der Assoziierungsabkom- tik fast unmöglich und befördern in raschen Schritten men mit der Republik Moldau, Georgien und der eine Abtrennung Gagausiens. Hier „wiederholt“ sich Ukraine rücken die Länder näher an das geeinte Eu- in bitterer Art und Weise die falsche und unverantwort- ropa heran. Europa wächst weiter zusammen. Dieser liche Herangehensweise im Ukraine-Konflikt. Erneut historische Schritt ist ein mutiger für die drei Länder. wird ein Land gezwungen, sich zu entscheiden Denn alle drei Staaten stehen unter massivem Druck zwischen enger Kooperation mit der EU oder engerer Russlands, das die Annäherung an die EU zu verhin- Zusammenarbeit mit Russland. Auch gegenüber dern sucht. Alle drei Länder sind von Territorialkon- Moldawien wird das exekutiert. Zusätzlich zu diesem flikten betroffen, die von Russland instrumentalisiert Tatbestand enthält das Assoziierungsabkommen Fest- oder hervorgerufen wurden. Sie alle werden von Russ- legungen über militärische Zusammenarbeit. Mit land mit Handelsboykotten für ihren frei gewählten diesem Trick wird auch Moldawien zum direkten EU- Weg bestraft. Militär- und indirektem NATO-Partner. Glauben Sie (B) Bereits im Vorfeld der Assoziierung hatte Russland (D) im Ernst, das würde im Parlament von Moldawien und Weinimporte aus Moldau verboten. Am Tag der Ratifi- in Russland nicht bemerkt? zierung des Abkommens durch das moldauische Parla- Der vorliegende Antrag von CDU/CSU, SPD und ment folgte gestern die nächste Strafaktion. Russland Grünen drückt sich vor einer klaren rechtlichen Aus- verbietet jetzt auch die Einfuhr von Fleischprodukten sage, was die Assoziierungsabkommen angeht. Dies aus Moldau. Die schwach entwickelte Wirtschaft des gilt schon für das Abkommen mit der Ukraine, einem Landes wird davon schwer getroffen, denn sie ist auf Nachbarland Moldawiens, und jetzt auch für das Ab- den wichtigen russischen Markt angewiesen. Zudem kommen mit Moldawien. Wenn die Abkommen in Kraft steht die Androhung im Raum, Hunderttausende mol- treten sollen, müssen sie im Bundestag ratifiziert wer- dauische Gastarbeiter aus Russland auszuweisen. den. Dazu hat die Bundesregierung bislang keine Ini- Auch dies würde die Moldauerinnen und Moldauer tiativen ergriffen. Ich stelle Ihnen gern das Gutachten hart treffen. Gut ein Viertel der Landsleute arbeitet im des Wissenschaftlichen Dienstes zur Verfügung, dann Ausland und trägt mit seinen Rücküberweisungen ei- können Sie das selber noch einmal nachlesen. nen unverzichtbaren Anteil zum Einkommen moldaui- scher Familien bei. Die ganze Vorgehensweise der EU und der USA, die mit Unterstützung der Bundesregierung agieren, ver- Der Transnistrien-Konflikt wird vom Kreml neu be- schärft die ethnischen Spannungen in Moldawien. Es feuert. Gestern traf sich der stellvertretende russische ist doch bekannt, dass in Moldawien das Nachbarland Premier Dmitrij Rogosin mit der Führung aus Tiraspol Rumänien rumänische Pässe verteilt, womit Schengen und sagte ihr Unterstützung für einen unversöhnlichen unterlaufen wird. Ähnliches hat der Bundestag im Ge- Kurs gegenüber Kischinau zu. Dies lässt schlechtes für orgienkonflikt gegenüber Russland zu Recht kritisiert. den Meseberg-Prozess erwarten, mit dem nach lang- Auch hier setzt man sich wieder dem Vorwurf aus, dass jähriger Pause das Fünf-plus-Zwei-Vermittlungs- mit zweierlei Maß gemessen wird. format der OSZE wiederbelebt werden soll. Wir dürfen nicht vergessen, dass Russland wie beim Budapester Vorschläge für praktische Hilfe für Moldawien sind Memorandum zum Schutz der Ukraine auch im Trans- in diesem Antrag eher weniger enthalten. Es wäre zum nistrien-Konflikt bereits vertragsbrüchig geworden ist. Beispiel dringend notwendig, bei der Entsorgung von Im Dokument des OSZE-Gipfels 1999 in Istanbul ver- militärischen Hinterlassenschaften – seit dem Ersten pflichtete sich Russland zum Abzug seiner Truppen aus Weltkrieg hat jeder seinen Waffendreck in Bessarabien Transnistrien bis Ende 2002. Bis heute hat der Kreml hinterlassen – zu helfen. Schon die PDS-Fraktion hatte diese Verpflichtung nicht erfüllt.

Zu Protokoll gegebene Reden 4280 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Marieluise Beck (Bremen) (A) Die Politik des Kremls gegenüber den Nachfolge- Josef Göppel (CDU/CSU): (C) staaten der Sowjetunion erinnert fatal an die Bresch- Ich freue mich, dass wir heute einen interfraktionel- new-Doktrin, mit der man die Nachbarstaaten als Vor- len Antrag zum Elefanten- und Nashornschutz beraten hof reklamierte und ihnen die volle Souveränität nicht und beschließen können. zugestehen wollte. Solch imperiale Politik hat keinen Platz im Europa des 21. Jahrhunderts und ist zurück- Der Schutz beider Arten drängt, wenn die nächste zuweisen. Generation sie noch wild lebend sehen soll. 1979 gab es noch 1,3 Millionen Elefanten in Afrika, jetzt sind es Wegen der wirtschaftlichen Strafmaßnahmen Russ- nur noch etwa 470 000, und die Zahl sinkt dramatisch lands fürchten vielen Menschen in Moldau Nachteile, weiter. Über 10 Prozent des Elefantenbestandes fallen die ihnen durch die Assoziierung mit der EU entstehen jährlich brutalen Wilderern zum Opfer. Damit wäre die könnten. Umso wichtiger ist das breite Signal der Art in zehn Jahren nahezu ausgestorben. Unterstützung des Deutschen Bundestags, das wir heute mit dem interfraktionellen Antrag nach Moldau Bei den Nashörnern ist die Lage ähnlich ernst: Es senden. Für die Bundesregierung und EU gilt, Moldau leben sogar nur noch etwa 29 000 Tiere in Freiheit, in seinem frei gewählten Weg nach Kräften zu unter- davon werden jährlich über 1 000 ihrer Hörner wegen stützen. umgebracht – Tendenz steigend. Das Assoziierungsabkommen mit Moldau ist mehr Beide Tiere sind im Washingtoner Artenschutzab- als ein Freihandelsabkommen. Es sieht vielfältige kommen in der höchsten Schutzkategorie aufgeführt. Reformen vor und soll die demokratische und wirt- Doch dazu später mehr. schaftliche Transformation des Landes unterstützen. Sorgen der Menschen wegen möglicher sozialer Fol- Nashörner gehören zu den ältesten Säugetieren auf gen der dringend notwendigen Modernisierung der unserer Erde, es gab sie bereits vor über 50 Millionen Wirtschaft müssen wir ernst nehmen und dem Land bei Jahren. Die heute verbliebenen 29 000 Tiere verteilen der Abfederung sozialer Härten helfen. Wir benötigen sich auf fünf Arten. Bei zwei Arten leben nur noch alle Anstrengungen, damit die Annäherung an die EU wenige Hundert Exemplare; ihnen droht das völlige für die Menschen in Moldau so schnell wie möglich zu Verschwinden. Neben der Wilderei ist die Lebensraum- spürbaren Verbesserungen führt. Die Gewährung der veränderung einer der Gründe für den Artenschwund Reisefreiheit im April 2014 war ein erster richtiger – hiergegen wurden bereits erfolgreiche Schutzgebiets- Schritt. So wird das Zusammenwachsen Europas auch programme aufgelegt. für Moldauerinnen und Moldauer konkret erlebbar. (B) Die Wilderei nimmt jedoch weiter zu und ist zur (D) Auch für die anderen Assoziierungsländer Ukraine Hauptbedrohung geworden. Allein in Südafrika wur- und Georgien müssen wir jetzt rasch Reisefreiheit er- den im Jahr 2013 fast 800 Nashörner von Wilderern reichen. getötet. Angefacht durch die massive Nachfrage, vor allem in der Chinesischen Medizin, findet ein wahres Vizepräsidentin Petra Pau: Gemetzel statt. Dem pulverisierten Horn werden aller- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der lei positive Wirkungen nachgesagt – Forschungen be- Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die legen nichts dergleichen. Es gilt also vor allem, den Grünen auf Drucksache 18/1956. Wer stimmt für diesen Mythos zu brechen und die Bürger in den Abnehmer- Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – ländern aufzuklären. Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- nen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Kommen wir zum Elefanten. Der afrikanische Ele- Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. fant ist seit 1989 in der höchsten Schutzkategorie im Washingtoner Artenschutzabkommen gelistet. Zuvor Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: erlitt dieses majestätische Tier durch Verfolgung und a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, Zerstörung seines Lebensraums einen starken Rück- SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gang. Die Aufnahme in das Artenschutzabkommen und das damit verbundene Handelsverbot hat vor allem im Schutz von Elefanten und Nashörnern vor südlichen Afrika zu einer Stabilisierung beigetragen. Wilderei stärken In einigen Staaten Afrikas wurde der Schutz Ende der Drucksache 18/1951 1990er-Jahre wieder herabgestuft und damit ein Verkauf von Lagerbeständen ermöglicht. Diese gut b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubertus gemeinte Aktion hat letztlich großen Schaden ange- Zdebel, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weite- richtet. Zum einen erleichterte sie durch falsche Kenn- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zeichnung den Verkauf von gewildertem Elfenbein, Wildtierhandel mit geschützten Arten verbie- zum anderen erweckte sie in den Abnehmerländern ten den Eindruck, die Bedrohung der Art sei vorüber. Zu- sammen mit der positiven Wirtschaftsentwicklung in Drucksache 18/1960 China, Thailand und Vietnam trug diese Fehleinschät- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – zung zu einer gesteigerten Nachfrage bei. Das facht Ich sehe, Sie sind einverstanden. die Wilderei erneut an. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4281

Josef Göppel (A) In einigen Regionen Afrikas haben Wilderei und Tierbestände aus. In den Bereichen Afrikas mit stabi- (C) illegaler Elfenbeinhandel ein besorgniserregendes len Elefantenpopulationen, wie Botswana, Namibia, Ausmaß erreicht und zu massiven Bestandseinbrüchen Simbabwe und Südafrika, gibt es jedoch teilweise Pro- geführt. Ein besonders drastisches Beispiel ist die Tö- bleme durch das Ausweichen von Elefanten aus den zu tung von etwa 400 Tieren Anfang letzten Jahres im engen verbliebenen Lebensräumen in menschliche Bouba-Ndjida-Nationalpark in Kamerun. Hier wie Siedlungen oder auf landwirtschaftliche Flächen. Hier auch in anderen Bereichen stehen oft große, militä- müssen die Schutzgebiete erweitert oder durch Korri- risch ausgerüstete Wildererbanden aus Nachbarstaa- dore vernetzt werden, sodass der Lebensraum der Ele- ten hinter den Taten. Aber auch einige afrikanische fanten vergrößert und Konflikte zwischen Menschen Staaten handeln illegal mit Elfenbein. Der Kauf des und Wildtieren verringert werden. Auch beim Nashorn „weißen Goldes“ finanziert also korrupte Regime. Wie können größere Schutzgebiete den Tier- mit dem Men- beim Nashorn leben die meisten Kunden in asiatischen schenschutz und mit einer positiven wirtschaftlichen Ländern, in denen Elfenbein als Statussymbol und Lu- Entwicklung verbinden, in Afrika und Asien. xusobjekt gilt. Vor allem in China und Hongkong, aber auch in Malaysia, Vietnam, Thailand und anderen Auf internationaler Ebene gilt es, die betroffenen Ländern hat die positive wirtschaftliche Entwicklung Staaten in ihren direkten Schutzbemühungen und die die Nachfrage nach Elfenbein so weit angefacht, dass Vollzugsorgane bei deren Umsetzung zu unterstützen. 2013 erneut ein Rekordjahr bei der Beschlagnahmung Es müssen aber auch die Transit- und Abnehmerländer von illegalem Elfenbein war – nach 2011 und 2012. deutlich auf ihre Verantwortung hingewiesen werden. Schätzungen zufolge werden pro Jahr rund 50 000 Ele- Und in der Bevölkerung der Zielländer muss das Be- fanten gewildert, das sind über 10 Prozent des welt- wusstsein für den Schutz von Nashörnern und Elefan- weiten Bestands. Die Tendenz ist steigend aufgrund ten gefördert werden, um die Nachfrage nach Elfen- steigender Absatzpreise. Würde sich dieser Trend fort- bein und Nashorn-Hörnern zu reduzieren. Hierbei ist setzen, wäre in weiten Regionen Afrikas mit dem voll- die Eindeutigkeit im Schutzstatus von großer Hilfe. ständigen Verlust dieser Art zu rechnen. Ausnahmen vom Handelsverbot bewirken das Gegen- teil. Nur wenn die Absatzmärkte kleiner werden, wird Gesunde und tragfähige Elefantenpopulationen sind sich die Wilderei verringern. jedoch entscheidend für viele Ökosysteme des afrikani- schen Kontinents. Der Elefant leistet einen wichtigen Unser gemeinsamer Antrag gibt der Bundesregie- Beitrag zur Offenhaltung der typischen afrikanischen rung klare Vorgaben bei internationalen Verhandlun- Savannen. Er reduziert den Baumbewuchs und erhält gen auf all diesen Handlungsfeldern. (B) so maßgeblich die Lebensgrundlage für zahlreiche (D) weitere Arten. Von einem konsequenten Elefanten- Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): schutz profitieren also auch andere Geschöpfe. Elefan- Als im April 2012 der mittlerweile abgedankte spa- ten, als symbolträchtige Tiere der afrikanischen Steppe, nische König Juan Carlos wegen seiner Elefantenjagd steigern in besonderem Maße die touristische Attrakti- weltweit in die Schlagzeilen geriet und, wie ich meine, vität vieler Regionen für Safaris und Tierbeobach- zu Recht die Öffentlichkeit ihre große Empörung hie- tungsreisen. Gesunde Wildtierbestände stellen also rüber zum Ausdruck brachte, konnte man allenfalls eine wesentliche wirtschaftliche Grundlage vieler von einer großen Geschmacklosigkeit sprechen. Denn afrikanischer Kommunen dar und sind somit von ma- illegal war der Abschuss des etwa 50 Jahre alten Ele- terieller Bedeutung für die lokale Bevölkerung. Die fantenbullen nicht, da in Botswana die Jagd in engen zunehmende Wilderei kann demnach nicht nur das Grenzen erlaubt ist. Tourismusgeschäft, sondern zugleich die wirtschaftli- che Stabilität der Region massiv gefährden. Auch an- Nicht nur geschmacklos, sondern äußerst befremd- erkannten Projekten zur Armutsbekämpfung, die auf lich war der Anfang des Jahres 2014 öffentlich ge- den Einnahmen aus dem Tourismus basieren, kann machte und als eher unfachmännisch beschriebene durch Wilderei die Grundlage entzogen werden. Ein Jagderfolg des ehemaligen Zentralabteilungsleiters erfolgreicher Schutz der Elefanten hat also positive des Thüringischen Ministeriums für Landwirtschaft, Effekte, die weit über den Artenschutz hinausgehen. Forsten, Umwelt und Naturschutz, welches auch für den Artenschutz verantwortlich zeichnet. Der Hobby- Der Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste und der Elefantenjäger hatte sich mit – seinen Jagderfolg do- KAZA-Peace-Park im südlichen Afrika, sind nur zwei kumentierenden – Fotos vor seinen Kollegen gebrüstet Beispiele der erfolgreichen deutschen Entwicklungs- und damit in der Öffentlichkeit eine große Welle des zusammenarbeit beim Schutzgebietsmanagement, die Unverständnisses ausgelöst. Auch hier war die Jagd die enge Verknüpfung eines wirksamen Natur- und legal, aber – wie ein WWF-Vertreter passend formu- Waldschutzes mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen lierte – nicht wirklich legitim. der lokalen Bevölkerung belegen. Diese Projekte gilt es fortzusetzen und weiter auszudehnen. Die Mittel da- Das Thema Elefantenjagd ist also durchaus auch in für stehen, auch dank deutscher Unterstützung, bereit. Europa und sogar in Deutschland ein aktuell diskutier- tes – und das 25 Jahre nachdem der Handel mit Ele- Ich sagte es eingangs schon: In manchen Gegenden fantenprodukten weltweit verboten wurde. Aber nicht wirkt sich das Artenschutzabkommen positiv auf die die offizielle und nach recht strengen Kriterien zuge-

Zu Protokoll gegebene Reden 4282 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. Klaus-Peter Schulze (A) lassene Jagd nach den Dickhäutern ist Thema des vor- Fluggepäck nach Vietnam geschmuggelt, wo sie als (C) liegenden Antrags von Union, SPD und Grünen. Kern- angeblich entgiftende Medizin verwendet werden, punkt ist die gewerbsmäßige Wilderei, die weltweit den wenngleich eine solche Wirkung tatsächlich nicht fest- Bestand vieler Tierarten gefährdet. Und hier sind es gestellt werden kann. In Asien wird das Horn mittler- insbesondere die Bestände von Elefant und Nashorn, weile zu Schwarzmarktpreisen von bis zu 40 000 Euro die durch eine organisierte Wildereimafia schwer ge- gehandelt. Zum Schutz der Nashörner werden mittler- fährdet sind. weile neue Wege gegangen. In Kenia startet demnächst ein Projekt, bei dem den Tieren ein Chip ins Horn ein- Allein im Jahr 2012 wurden in Afrika schätzungs- gepflanzt werden soll. In Südafrika hingegen werden weise 22 000 Elefanten gewildert. Auch im vergan- die Tiere neuerdings kurzzeitig betäubt und in das Nas- genen Jahr waren es nach Angaben des Washingto- horn ein Giftstoff injiziert, der für Menschen gesund- ner Artenschutzübereinkommens, CITES, mehr als heitsschädlich oder sogar tödlich sein kann. Die Hör- 20 000 Tiere, weshalb die Elefantenbestände in vielen ner der so behandelten Nashörner werden mit roter west- und zentralafrikanischen Ländern als stark ge- Farbe markiert, und damit sind diese Tiere für poten- fährdet gelten (vergleiche „Neue Zürcher Zeitung“ zielle Wilderer sofort als nicht mehr verwertbar zu er- vom 14. Juni 2014: „Über 20 000 Elefanten gewil- kennen. dert“). Insbesondere in Zentralafrika wird in den letz- ten elf Jahren ein Rückgang der Waldelefantenpopula- Wir als Antragsteller sehen aber nicht allein die er- tion um 65 Prozent beklagt. Das Monitoringsystem, schreckenden ökologischen Folgen der Wilderei von MIKE, des CITES hat festgestellt, dass zwei Drittel der Elefanten und Nashörnern. Uns beunruhigt es auch, im vergangenen Jahr gestorbenen Elefanten der Wil- dass der Handel mit den illegal getöteten Tieren bzw. derei zum Opfer fielen. Mit Blick darauf, dass es in deren Produkten zu den fünf einträglichsten Sparten ganz Afrika nur noch etwa 500 000 Elefanten geben der international organisierten Kriminalität gehört soll, ist dies eine bedrückende Zahl. Anfang des und sich große Kartelle, aber auch Terrorgruppen und 20. Jahrhunderts gab es nach Angaben von Pro Wild- Bürgerkriegsparteien aus den Erlösen finanzieren. life in Afrika noch 10 Millionen Elefanten, 1940 nur Nach Angaben der Vereinten Nationen profitieren noch 5 Millionen und 1979 waren es gerade einmal zahlreiche Verbrecher- und Terroristenbanden von der 1,3 Millionen Tiere, und für 1989 wird ein Bestand von seit Jahrzehnten schwersten Wildereikrise in Afrika. etwa 600 000 Elefanten benannt. Und während einerseits die Armut auf dem Kontinent die Jagd nach Elefanten und Nashörnern begünstigt, Erschreckend ist auch die Zahl der beschlagnahm- steigt im immer reicher werdenden Asien die Nach- (B) ten illegalen Elfenbeinlieferungen. In den Jahren 2011 frage nach Luxusartikeln wie Elfenbein und Nashorn- (D) bis 2013 wurde die höchste Menge an Elfenbeinbe- pulver dramatisch an (vergleiche „Süddeutsche Zei- schlagnahmungen der vergangenen 25 Jahre festge- tung“ vom 28. Juni 2014: „Jäger und Gejagte“). Die stellt. Wurden 2012 noch 25 Tonnen Stoßzähne kon- Wilderer profitieren von den steigenden Preisen und fisziert, waren es 2013 bereits über 40 Tonnen. sind bestens organisiert, sie rüsten immer mehr auf Insbesondere die Zahl der Großbeschlagnahmungen und verfügen über modernste automatische Waffen mit mehr als 500 Kilogramm Rohelfenbein hat stark und Nachtsichtgeräte. Die Wildhüter haben es zuneh- zugenommen. Geht man davon aus, dass vermutlich mend schwerer, dieser Entwicklung etwas Wirkungs- nur jede zehnte Schmuggelei durch den Zoll entdeckt volles entgegenzusetzen. wird, wird das ganze Ausmaß erst richtig deutlich. Hauptziele der meist per Containerschiff außer Landes Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, gebrachten Schmuggelware sind China und Thailand. UNEP, und die Internationale kriminalpolizeiliche Or- ganisation Interpol haben jüngst das Gesamtvolumen Auch bei den Nashörnern ist die Wilderei die der Umweltverbrechen auf bis zu 213 Milliarden US- Hauptursache des Rückgangs der Bestände, die durch Dollar geschätzt. Angesichts einer Förderquote der CITES seit 1977 unter das internationale Handelsver- Entwicklungszusammenarbeit von etwa 135 Milliar- bot gefallen sind. Da die kommerzielle Jagd und der den US-Dollar wird hier noch eine ganz andere Pro- Handel mit Nashornprodukten in fast allen Staaten mit blematik deutlich. Wilderei und Handel mit illegal er- Nashornpopulationen untersagt sind, sind die in freier zeugten Wildtierprodukten gefährden also auch unsere Wildbahn getöteten Tiere größtenteils Opfer von Wil- gleichzeitigen Anstrengungen im Bereich der interna- derei. Allein in Südafrika sind im Jahr 2013 über tionalen Entwicklungszusammenarbeit und unsere Be- 1 000 Nashörner getötet worden, während es 2007 nur mühungen im internationalen Umweltschutz, wo sich etwa 13 Tiere gewesen sind. Erschreckend ist hier, dass Deutschland mit beträchtlichen finanziellen Mitteln allein im Krüger-Nationalpark mehr als 600 Tiere ge- engagiert. tötet wurden. Und sehr beunruhigend ist es für mich, dass auch in diesem Jahr ein neuer Negativrekord er- Bereits in der letzten Wahlperiode hat der Deutsche reicht werden könnte, da bereits 442 Nashörner ge- Bundestag mit seinem Antrag „Neue Impulse für einen wildert wurden (Zum gleichen Zeitpunkt waren es im wirksamen und umfassenden Schutz der Afrikanischen vergangenen Jahr 370 Tiere). Bei einer Gesamtpopu- Elefanten“ (Drucksache 17/11554) wichtige Feststel- lation von gerade einmal 25 000 Tieren ist das eine lungen und Forderungen zu dieser Problematik be- dramatisch hohe Zahl. Die Hörner werden meist im schlossen. Die aktuellen Entwicklungen, die ich ein-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4283

Dr. Klaus-Peter Schulze (A) gangs beschrieben habe, lassen uns jedoch dahin Aber das Problem ist vielschichtiger. Die Elefanten (C) gehend erneut initiativ werden, um die Bemühungen und Nashörner werden so massiv gewildert, dass wir der Bundesregierung zu untermauern und das wichtige es mit einem Artenschutzproblem zu tun haben. Ihre und international sichtbare Signal zu senden, dass Zahl ist dramatisch zurückgegangen. Im letzten Jahr Deutschland alles tut, um diesen verbrecherischen haben Wilderer in Afrika mehr als 20 000 Elefanten Machenschaften Einhalt zu gebieten. Das beginnt umgebracht. Ähnlich dramatisch sieht die Lage bei beim Schutz der gefährdeten Tiere vor Wilderei, geht den Nashörnern aus: Allein in Südafrika wurden im weiter über die Bekämpfung des Schmuggels durch letzten Jahr über 1 000 Nashörner illegal getötet. Zum stärkere Kontrollen und die Reduzierung der Nach- Vergleich: 2007 fielen 13 Nashörner den Wilderern frage nach Elfenbein- und Nashornprodukten und en- zum Opfer. Wir haben es hier also mit einem explosi- det schließlich bei der Problematisierung auf höchster ven Anstieg dieser Entwicklung zu tun. politischer Ebene bei allen geeigneten internationalen Elefanten und Nashörner spielen auch eine große Zusammenkünften. Rolle für die lokalen Ökosysteme. Ihr Verschwinden Wir begrüßen daher ausdrücklich die Bemühungen hätte weitreichende Folgen auch für die anderen dort der Bundesregierung, auf diplomatischem Wege wei- lebenden Arten. Unsere Schutzbemühungen zielen auf terhin und unvermindert gegen Wilderei und illegalen den Erhalt der Biodiversität in Afrika. Wildtierhandel vorzugehen und im Rahmen der deut- Neben der ökologischen gibt es weitere gesell- schen Entwicklungszusammenarbeit das Thema zu be- schaftspolitische Dimensionen. Die Wilderei gehört in- rücksichtigen. Und wir fordern von der Bundesregie- zwischen zu den einträglichsten Sparten der interna- rung, dass sie sich mit Blick auf die rasant steigenden tional organisierten Kriminalität. Sie steht auf einer Wildereivorfälle gegen weitere Freigaben des interna- Stufe mit Drogen-, Menschen- und Waffenhandel. tionalen Elfenbeinhandels einsetzt. Deutschland muss Schmuggler und Zwischenhändler haben ihre Struktu- sich zudem verstärkt auf internationaler Ebene – ins- ren professionalisiert und sind technisch hervorragend besondere bei Gesprächen mit den wichtigen Ur- ausgerüstet. Als Finanzierungsbasis für terroristische sprungs-, Transit- und Abnehmerländern – für eine Gruppen in Afrika spielt die Wilderei eine immer grö- Eindämmung der Nachfrage nach Elfenbein- und Nas- ßere traurige Rolle. Es geht um sehr viel Geld. Der hornprodukten aussprechen. Und nicht zuletzt müssen Markt des illegalen Handels mit wild lebenden Arten wir dafür sorgen, dass der illegale Wildtierhandel wird auf 12 Milliarden Euro geschätzt. durch eine noch intensivere Zusammenarbeit mit Inter- pol, Europol und der Weltzollorganisation eingedämmt Laut UNEP, dem UN-Umweltprogramm, haben sich (B) wird. der illegale Elfenbeinhandel und die Wilderei seit (D) 2007 verdoppelt. 2013 wurde die größte Menge illega- Denn eines dürfte mittlerweile allen Beteiligten klar len Elfenbeins seit 25 Jahren beschlagnahmt. Das sein: Wilderei und illegaler Elfenbein- und Nashorn- Horn des Nashorns ist auf Schwarzmärkten mehr wert handel sind keine alleinigen Probleme des Arten- als Gold. schutzes. Sie spiegeln ein politikfeldübergreifendes Kriminalitäts- und Sicherheitsproblem internationalen Und: Auch Menschen sind Opfer von Wilderei. Im- Ausmaßes wider und müssen daher durch globale und mer wieder werden Wildhüter, das letzte Schutzschild interdisziplinäre Maßnahmen bekämpft werden. All für Elefanten und Nashörner, bei ihrer Arbeit durch die das berücksichtigt unser Antrag, weshalb ich Sie um Wilderer getötet. Mehr als 1 000 Wildhüter wurden in Zustimmung hierzu bitte. den letzten zehn Jahren in 35 verschiedenen Ländern ermordet. Carsten Träger (SPD): Was kann nun Deutschland tun? Deutschland ist 20 000 getötete Elefanten, mehr als 1 000 tote Nas- weder Ursprungs- noch Abnehmerland. Es gibt bei uns hörner, 1 000 ermordete Wildhüter – hinter dem Titel minimale Mengen von Elfenbein, deshalb macht eine zu unserem Antrag „Schutz von Elefanten und Nashör- öffentliche Zerstörung, wie sie auch im Antrag der Lin- nern vor Wilderei stärken“ verbirgt sich die Bekämp- ken gefordert wird, wenig Sinn. Schaufensterpolitik fung einer neuen Dimension von organisierter Krimi- hilft nicht weiter, sondern wir können nur auf dem nalität. mühsamen Weg der internationalen Verhandlungen beharrlich bleiben und mit ressortübergreifenden Anti- Wir alle kennen die furchtbaren Bilder von abge- Wilderei-Maßnahmen und konkreter Hilfe für die Men- schlachteten Elefanten und Nashörnern, die wegen ih- schen in den Ursprungsländern die Lage verbessern. rer Stoßzähne und Hörner einen grausamen Tod ster- ben mussten. Es ist für uns unvorstellbar, dass diese Bereits heute nimmt die deutsche Regierung bei den Tiere in großer Zahl getötet werden, weil in bestimm- internationalen Bemühungen zum Schutz für Elefanten ten Regionen Asiens Produkte aus Elfenbein Status- und Nashörner eine Vorreiterrolle ein und bezieht klar symbole sind und weil dem Horn des Nashorns eine Position. Die Parlamentarische Staatssekretärin ist in Art medizinische Superkraft zugesprochen wird. ihrer Rede auf die derzeitigen Aktivitäten eingegan- Schlimm genug: das Leiden dieser Tiere, denen bei le- gen. Fest steht: Das besonders große Engagement der bendigem Leib die Stoßzähne und Hörner abgeschla- Umweltministerin Hendricks verdient unsere Anerken- gen werden und die langsam qualvoll sterben. nung.

Zu Protokoll gegebene Reden 4284 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Carsten Träger (A) Eine klare Positionierung gegen weitere Freigaben dels auf die Fahne geschrieben hat, muss erweitert (C) des internationalen Elfenbeinhandels ist dabei unab- werden. Wir wollen das Ländermodell der von CITES dingbar. Ebenso muss in den internationalen Verhand- geschützten Wildtiere ändern in ein Populationsmo- lungen weiter versucht werden, die Nachfrage nach dell. Für den Schutz der Elefantenpopulationen ist es Elfenbein und Nashornprodukten zu senken. Die inter- beispielsweise nicht sinnvoll, nach den Ländergrenzen nationale Zusammenarbeit und auch die Kontrollen zu trennen und sie somit den unterschiedlichen Schutz- müssen weiter gestärkt werden. standards im CITES-Übereinkommen zu unterstellen. Denn Elefantenpopulationen machen nicht vor Gren- Ich würde es sehr begrüßen, wenn es im Rahmen der zen halt, und ein Elefant in Simbabwe ist nicht weniger geplanten Resolution der UN-Generalversammlung im schützenswert als ein Elefant im benachbarten Sam- September gelänge, sich auf ein noch schärferes und bia. umfassenderes Vorgehen gegen den illegalen Wildtier- handel zu verständigen. Der Aspekt der organisierten Leider klammert der vorliegende Antrag der Grü- Kriminalität bei der Wilderei auf Elefanten und Nas- nen und der Koalitionsfraktionen Armut und fehlende hörner und damit verbundener Delikte sollten größere Perspektiven in den Ursprungsländern als eine der Beachtung finden bei den entsprechenden UN-Kon- wichtigsten Ursachen für den Wildtierhandel komplett ventionen gegen Korruption und gegen grenzüber- aus: Wir sind der Meinung, dass die wirtschaftlichen schreitende organisierte Kriminalität. und sozialen Probleme in Afrika wesentlich dazu bei- tragen, dass Menschen in die Fänge der Wildtiermafia Ich habe in aller Kürze versucht, deutlich zu ma- geraten. Solange viele afrikanische Staaten weiterhin chen: Hier handelt es sich nicht nur um eine arten- und bewusst in neokolonialer Abhängigkeit vom globalen naturschutzpolitische Problemstellung, sondern um Norden gehalten werden, um die Profitinteressen mul- eine massive Fehlentwicklung mit menschlichen Op- tinationaler Konzerne abzusichern, wird sich der fern, ausufernder organisierter Kriminalität und weit- Trend nicht umkehren lassen. Insofern heißt Schutz der reichenden Folgen für Ökosysteme wie auch Gesell- Wildtiere auch, in der Außen- und Entwicklungspolitik schaft. umzusteuern und den betroffenen Staaten eine faire Deshalb freut es mich, dass wir bei diesem Antrag Chance für eine eigenständige Entwicklung zu geben, überfraktionell zusammenarbeiten. die den Menschen vor Ort eine Perspektive bietet. Die gegenüber Afrika gegebenen Entwicklungsfinanzie- rungsversprechen müssen endlich eingehalten und die Hubertus Zdebel (DIE LINKE): bisher entstandenen Schulden afrikanischer Länder (B) Die Linke will mehr Schutz von bedrohten Wildtie- komplett erlassen werden. Dies machen wir mit unse- (D) ren erreichen. Dazu haben wir den vorliegenden An- rem Antrag deutlich. trag eingebracht, der in seinen Forderungen über den der Grünen und der Koalition hinausgeht. Es wird Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): höchste Zeit, dass auf internationaler Ebene endlich Es mag sich ja schön und vielleicht auch ein wenig wirksame Schritte gegen den Wildtierhandel geschütz- lustig anhören, wenn es hier einen Tagesordnungs- ter Tiere unternommen werden. Die Lage könnte kaum punkt mit dem Titel „Elefanten und Nashörner“ gibt, dramatischer sein: Von den einst 100 000 lebenden Ti- leider muss ich aber sagen: Diese Angelegenheit ist gern existieren heute nur noch rund 3 000 Tiger welt- sehr ernst, und zwar todernst. 2013 wurde die größte weit. Wenn der Wildtiermafia nicht endlich wirksam Menge illegalen Elfenbeins seit 25 Jahren beschlag- das Handwerk gelegt wird, könnte es schon bald gar nahmt. Jährlich werden Zehntausende Elefanten ge- keine Tiger mehr geben. Ähnliches gilt für Elefanten wildert. Bei Nashörnern steigen die Zahlen in ähnlich und Nashörner. Laut der internationalen Tierschutz- hohem Tempo: Während 2007 in Südafrika noch organisation WWF wurden im letzten Jahr rund 13 Nashörner gewildert wurden, waren es im letzten 22 000 Elefanten in Afrika abgeschlachtet, andere Or- bereits Jahr über 1 000 Nashörner. ganisationen gehen sogar von einer Zahl von bis zu 50 000 getöteten Elefanten aus. Dies sollte für alle in- Es geht hier aber nicht nur um Artenschutz und den ternationalen Akteure ein Alarmsignal sein; denn auch Schutz von vom Aussterben bedrohten Tier, sondern hier steht längerfristig die Existenz dieser Tierart auf auch um eine viel tiefgreifendere gesellschaftspoliti- dem Spiel. Der Handel mit Elfenbein, Nashornhorn sche Dimension. Denn es zeigt sich ein dramatisches und Tigerfellen blüht. Wir schlagen deshalb in unse- Bild: In den letzten 10 Jahren wurden in 35 verschie- rem Antrag ein dauerhaftes EU-weites Im- und Export- denen Ländern mehr als 1 000 Wildhüter ermordet, die verbot von Produkten geschützter Tierarten vor. Aber sich im Schutz von Elefanten und Nashörnern verdient auch in weiteren Transit- sowie in Ursprungs- und Ab- gemacht haben. Für viele vom Aussterben bedrohte nehmerländern müssen die Märkte für Produkte be- Arten sind die Wildhüter das letzte schwache Schutz- drohter Wildtiere geschlossen werden. Zugleich braucht schild. Opfer werden aber nicht nur die Wildhüter vor es Aufklärungsmaßnahmen über den Unsinn dieser Ort, die Wilderei zieht noch viel größere Kreise. Produkte. Wilderei ist mittlerweile eine der fünf größten Spar- Das internationale Artenschutzübereinkommen ten der international organisierten Kriminalität: Laut CITES, welches sich die Bekämpfung des Wildtierhan- UNEP und Interpol steht der illegale Handel mit ge-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4285

Steffi Lemke (A) schützten Tieren und Pflanzen mittlerweile auf der aus den Jahren vor 1976. Auch diese Exporte bieten (C) gleichen Stufe mit Drogen-, Menschen- und Waffen- ein Schlupfloch für frisch gewildertes Elfenbein. Der handel. Die Schmuggler- und Händlerringe haben ihre Generalsekretär von CITES sagte Berichten zufolge, Strukturen professionalisiert und verfügen über weit- Experten gingen davon aus, dass Spekulanten Elfen- reichende Finanzierung und teilweise hochtechnisierte bein lagern in der Hoffnung auf steigende Preise, so- Ausrüstung. Sie bereichern sich extrem gut an dem il- bald Elefanten eines Tages ausgestorben sein werden. legal florierenden Geschäft. Oftmals finanzieren sich Es ist eben nicht nur ein Hirngespinst von Naturschüt- kriminelle Kartelle, Terrorgruppen und Bürgerkriegs- zern, dass Elefanten und Nashörner eines Tages aus- parteien aus den Profiten des illegalen Wildtierhan- gerottet sein werden. Die heutigen Spekulationen zei- dels. Auch Gruppen wie Somalias al-Schabab und die gen, wie ernst es um den Bestand dieser edlen Tiere kongolesische Lord’s Resistance Army sollen laut Be- tatsächlich steht. richten den Elfenbeinhandel für sich entdeckt haben. Außerdem werden die Dschandschawid-Kämpfer aus Die Wilderei und der Kampf gegen Wilderei ist kein dem Sudan, eine lokale Miliz im Darfur-Konflikt, für Randthema mehr, sondern ein Thema mitten in der ge- den Tod von 400 Elefanten im Norden Kameruns ver- sellschaftlichen und auch politischen Debatte. Auf der antwortlich gemacht. Mit dem Elfenbein finanzieren Tagesordnung der ersten Sitzung der UNEA, die ver- sie ihre Waffenkäufe und schüren damit neue Konflikte. gangene Woche zum ersten Mal in Nairobi tagte, stand Allein das Horn des Nashorns ist auf den Schwarz- der Kampf gegen Wilderei prominent auf der Tages- märkten mittlerweile mehr wert als Gold. Die Wilderei ordnung. Kürzlich kümmerte sich auch Prinz William ist mit ihren geschätzten Milliardengewinnen ein bluti- von England höchstpersönlich um ein Treffen mit ges Geschäft geworden. hochrangigen Regierungschefs, um dieses Thema in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit zu tragen. Die vorliegenden Berichte von UNEP und Interpol Nächste Woche wird der Ständige Ausschuss des zeigen, dass Wilderei zur organisierten Kriminalität Washingtoner Artenschutzabkommens über einen avanciert ist und sogar Bürgerkriege bzw. terroristi- Entscheidungsmechanismus zum zukünftigen Umgang sche Gruppen mitfinanziert. Dies muss auch das BMI mit Elfenbeinhandel verhandeln. Es ist wichtig, dass zur Kenntnis nehmen. Denn wenn es das nicht tut, ist Deutschland zum Schutz von Elefanten und Nashör- das eine gefährliche Lücke, die es sich nicht leisten nern mit einer starken Stimme gegen jegliche weitere kann. Freigaben des Elfenbeinhandels spricht. Dieser inter- Ich freue mich, dass uns nach einigem Ringen dieser fraktionelle Antrag wird der Delegation dabei den Rücken stärken. (B) interfraktionelle Antrag gelungen ist und dass die Bun- (D) desregierung zugesagt hat, sich bei internationalen Verhandlungen deutlich gegen die weitere Freigabe Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin des Elfenbeinhandels einzusetzen, um der Wilderei und bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, dem illegalem Handel mit Elfenbein und Nashornhorn Bau und Reaktorsicherheit: einen wirksamen Riegel vorzuschieben, auch wenn uns Ich freue mich über den Antrag der Regierungsfrak- ein generelles und konsequentes Verbot des Handels tionen und der Fraktion Bundnis 90/Die Grünen und mit Elfenbein und Nashornprodukten lieber gewesen bedanke mich im Namen der Bundesregierung über wäre. Denn jeglicher legaler Handelsweg öffnet Tür das darin zum Ausdruck kommende Lob für unsere Ar- und Tor für illegale Machenschaften. Die gegenwär- beit. tige Situation zeigt ganz deutlich, wie drastisch sich die Aufweichungen des generellen Verbots von Elfen- Wir können nicht hinnehmen, dass jedes Jahr 20 000 beinhandel ausgewirkt hat: Die Wilderei hat derzeit Elefanten illegal abgeschossen werden. Und wir kön- wieder ein Ausmaß angenommen wie zuletzt in den nen nicht zulassen, dass die Nachfrage nach Nashorn- 1980er-Jahren, bevor der internationale Elfenbein- pulver in Vietnam zum Aussterben des Nashorns führt. handel 1989 verboten wurde. Der Markt wurde nach Die Wilderei auf Elefanten und Nashörner hat dra- und nach wieder angeheizt. Laut Experten gab es hier- matische Ausmaße angenommen. Das ist schlimm für für zwei Ursachen: Erstens wurde im Washingtoner die Tiere, die Natur und die Ökosysteme. Diese Wilde- Artenschutzabkommen von 2007 ausgehandelt – übri- rei und der illegale Wildtierhandel bringen internatio- gens jeweils mit Beteiligung der damaligen Bundesre- nal organisierte Kriminalität in Regionen mit schwa- gierung –, den südafrikanischen Staaten Botswana, cher, zum Teil bestechlicher Verwaltung. Sie nimmt den Namibia, Südafrika und Simbabwe einmalig den Ver- Menschen, die mit den Tieren leben, die Chance, einen kauf von 108 Tonnen Elfenbein aus Staatsbesitz zu er- Nutzen daraus zu ziehen. Sie bringt Destabilisierung lauben. Zweitens wurde im Jahr 2008 China als Im- und einen Verlust an Sicherheit mit sich. portland anerkannt. Diese legalen Absätze heizten den Markt und damit auch die illegalen Machenschaften Die Bundesregierung hat daraus vier Schlüsse ge- und die Kriminalität erst richtig an. zogen: Dabei darf man auch die Ausnahmereglung im Erstens. Wir müssen dieses wichtige Thema inter- CITES-Abkommen für europäisches Elfenbein nicht national auf der höchsten Regierungsebene in Ur- unterschlagen. Diese erlaubt den Export von Elfenbein sprungs-, Transit- und Abnehmerländern ansprechen.

Zu Protokoll gegebene Reden 4286 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (A) Das haben wir getan bei den Vereinten Nationen, Beiträge viel eher zur Bewältigung dieser Krise beitra- (C) wo die Erarbeitung einer UN-Resolution im September gen. dieses Jahres vorgesehen ist. Wir haben uns für den „African Elephant Summit“ in Gaborone eingesetzt, Zweitens fordert der Antrag der Fraktion Die Linke der zehn dringliche Maßnahmen zum Elefantenschutz ein dauerhaftes EU-weites Ex- und Importverbot von formuliert hat. Bundesministerin Hendricks hat an Produkten geschützter Tierarten sowie ein Verbot des dem Londoner Gipfel im Februar dieses Jahres gegen innergemeinschaftlichen Handels. Wir wollen das den illegalen Wildtierhandel persönlich teilgenommen. Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Der Handelsar- Gerade ist die deutsche Delegation von der ersten Um- tenschutz sollte auf die Naturverträglichkeit des Han- weltversammlung der Vereinten Nationen zurückge- dels mit Tieren und Pflanzen hinarbeiten, das heißt si- kehrt, die letzte Woche in Nairobi stattgefunden hat. Zu cherstellen bzw. helfen, dass Entnahmen die frei den wichtigen, von mehr als 190 Umweltministern be- lebenden Populationen nicht schädigen, im Übrigen handelten Themen gehört auch der illegale Wildtier- aber Handel zulassen. Es gibt sehr gewichtige Gründe, handel. Dieses internationale Momentum muss genutzt dieses Prinzip im Grundsatz beizubehalten. Viele und erhalten werden. Nationen leben von der Vermarktung nachhaltig be- wirtschafteter Ressourcen. Die Forderung, wie sie von Das Zweite ist: Bei den Beschlüssen auf internatio- der Fraktion Die Linke gestellt ist, hätte nach meiner naler Ebene darf es nicht bleiben. Ihnen müssen Taten Erfahrung auf europäischer Ebene nicht den Hauch ei- folgen. In Afrika und Asien ist in Folge dieser ner Unterstützung zu erwarten und wäre im Zweifel in Beschlüsse einiges geschehen. Das stellen wir im dieser pauschalen Form auch nicht mit der WTO zu Rahmen der Diskussionen unter dem Washingtoner vereinbaren. Artenschutzübereinkommen und den dort vorgelegten Berichten fest. Ferner werden wir im März 2015 Vizepräsidentin Petra Pau: Bilanz ziehen; Botswana hat zu einem weiteren Treffen eingeladen, um zu erörtern, ob die Teilnehmer der frü- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der heren Konferenzen ihre Zusagen eingehalten haben. Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1951 mit dem Titel „Schutz Drittens: Wir müssen den Menschen in den Ur- von Elefanten und Nashörnern vor Wilderei stärken“. sprungsländern helfen, mit den gewaltigen Problemen Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – fertigzuwerden. Wer enthält sich? – Der Antrag ist einstimmig angenom- men. Im Rahmen der Entwicklungshilfe und mit ressort- (B) übergreifenden Antiwilderei-Maßnahmen gehen wir Tagesordnungspunkt 24 b: Abstimmung über den An- (D) darauf ein. Deutschland stellt dafür 240 Millionen trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1960 mit Euro zur Verfügung. Wegen der Details verweise ich dem Titel „Wildtierhandel mit geschützten Arten verbie- auf die Drucksache 18/1243. Auch andere Staaten ten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage- sowie die Europäische Union und die UNDP sollen gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stim- und wollen Antiwildereimaßnahmen inklusive nationa- men der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die ler Sicherheitsstrategien in Maßnahmen der Entwick- Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- lungszusammenarbeit integrieren. nen abgelehnt. Viertes: Wir müssen die internationale Zusammen- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: arbeit bei der Verbrechensbekämpfung in Bezug auf Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- die Wilderei verbessern. Dazu soll unter anderem das gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verrin- Mandat der Konventionen erweitert werden, die sich gerung der Abhängigkeit von Ratings mit grenzüberschreitender Kriminalität befassen. Drucksache 18/1774 Die illegale Wilderei hat ungeahnte Dimensionen erreicht. Wir brauchen handfeste Antworten und ent- Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) schlossene Maßnahmen gegen diesen Sumpf. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Der Antrag der Fraktion Die Linke enthält Über- einstimmungen mit dem der CDU/CSU, SPD und Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben Bündnis 90/Die Grünen. Allerdings sind darin einige werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Punkte enthalten, denen ich mich nicht anschließen kann. Lassen Sie mich zwei herausgreifen: Matthias Hauer (CDU/CSU): Die Vernichtung von beschlagnahmtem Elfenbein Ratingagenturen haben bekanntlich zur Entstehung ist sicherlich ein sinnvolles Zeichen für solche Staaten, der Finanzkrise im Jahre 2008 erheblich beigetragen. die Ziel- oder Transitland illegalen Elfenbeins sind. Was ist ihnen vorzuwerfen? Die Ratingagenturen be- Dazu gehört Deutschland aber gerade nicht. Ich werteten Finanzprodukte, Unternehmen und Staaten nehme im Übrigen Bezug auf die detaillierten Erläute- über Jahre hinweg oftmals unrealistisch positiv. Da- rungen in der bereits erwähnten Drucksache 18/1243. durch wurde häufig ein viel zu geringes Risiko sugge- Ich glaube, dass die in dem anderen Antrag genannten riert, und Ausfallrisiken wurden unterschätzt. Selbst Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4287

Matthias Hauer (A) als sich die Finanzkrise zuspitzte, erfolgte die Anpas- agenturen wird darüber hinaus dadurch erhöht, dass (C) sung der Ratings nur sukzessive und viel zu spät. diese bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit für feh- lerhafte Ratings gegenüber den Anlegern sowie den Die Gefahr eines zu positiven Ratings wurde zudem bewerteten Unternehmen haften können. Ebenso müs- durch massive Interessenkonflikte begünstigt. Indem sen nunmehr für die Bewertung eines strukturierten die Auswahl und die Vergütung der Ratingagentur in Finanzinstruments zwei Ratings unterschiedlicher der Regel durch das bewertete Unternehmen erfolgt, Agenturen eingeholt und dabei auch kleinere Rating- kommen abgegebene Ratings oftmals eher den Wün- agenturen einbezogen werden. schen des Emittenten entgegen als den Bedürfnissen der Anleger. Ratingagenturen berieten Emittenten bei Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregie- der Strukturierung ihrer Finanzprodukte zur Erzielung rung dient der Umsetzung der Richtlinie 2013/14/EU eines optimalen Ratings und nahmen später selbst des Europäischen Parlaments und des Rates vom Bewertungen genau dieser Produkte vor – diese Vermi- 21. Mai 2013 in nationales Recht und zur Anpassung schung von Beratungs- und Bewertungsleistungen ließ des Aufsichtsrechts an die zweite Novelle der EU- an der strikten Neutralität bei der Bewertung von Risi- Ratingverordnung. ken zweifeln. Sowohl mit der Richtlinie als auch mit der Verord- Hinzu kommen bis heute teilweise enge Verflechtun- nung soll ein übermäßiger Rückgriff auf externe Ra- gen der Beteiligten: Wesentliche Anteilseigner der drei tings zur Bewertung des Ausfallrisikos der gehaltenen großen Ratingagenturen bzw. deren Muttergesellschaf- Anlagen vermieden werden. Die Richtlinie schreibt ten sind gleichzeitig große Käufer und Verkäufer von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, Finanzprodukten, die von ihren eigenen Agenturen EbAV, Organismen für gemeinsame Anlagen in Wert- bewertet werden. Es ist offensichtlich, dass derartige papieren, OGAW, und Verwaltern alternativer Invest- Konstellationen zu Interessenkonflikten führen kön- mentfonds, AIFM, vor, einen übermäßigen Rückgriff nen. Zudem bewegen wir uns auf einem Markt, der auf Ratings zur Bewertung des Ausfallrisikos der ge- nach wie vor von den drei großen Ratingagenturen haltenen Anlagen abzubauen. Der Gesetzentwurf setzt beherrscht wird, bei deren Entscheidungen kontinen- diese Regelungen in nationales Recht um; die BaFin taleuropäische Belange schon mal außen vor geblie- erhält die Befugnis, die hierzu eingerichteten Verfah- ben sind. Auf diese Missstände hat sowohl der natio- ren zu überwachen. nale als auch der europäische Gesetzgeber reagiert. Im Koalitionsvertrag haben wir deutlich gemacht, Bereits mit der Ratingverordnung aus dem Jahre dass Ratingagenturen eine zentrale Machtstellung auf (B) 2009, CRA I, hat die Europäische Union einen wichti- den Finanzmärkten haben und sie deshalb einer stren- (D) gen Beitrag zur strengeren Beaufsichtigung von gen Regulierung bedürfen. Wir müssen dabei auch Ratingagenturen geleistet. Seitdem besteht für alle Er- sicherstellen, dass Ratingagenturen bei einem Fehl- steller von Kreditratings eine Registrierungspflicht mit verhalten effektiv zivilrechtlich haften und dass die umfangreichen Prüfungs- und Genehmigungsverfah- Wettbewerbsfähigkeit europäischer Ratingagenturen ren sowie einer laufenden Beaufsichtigung. Damit – gegenüber den drei noch immer dominierenden US- wurden erste Schritte unternommen, die Transparenz amerikanischen Agenturen – gefördert wird. des Bewertungsprozesses von Ratingagenturen zu erhöhen, Interessenkonflikte zu vermeiden und Regel- Diverse Anläufe, sowohl politisch als auch privat- verstöße mit Bußgeldern zu ahnden. wirtschaftlich motiviert, eine gemeinsame europäische Ratingagentur ins Leben zu rufen und am Markt zu Mit der ersten Novelle der Ratingverordnung im etablieren, sind in den letzten Jahren leider geschei- Jahr 2011, CRA II, konzentrierte der europäische tert. Nun gilt es, den Wettbewerb und die Vielfalt in der Gesetzgeber die Aufsichtszuständigkeit bei der Euro- Ratingbranche anzukurbeln und Markteintrittsbarrie- päischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, ren für die schon vorhandenen kleinen Ratingagentu- ESMA, und erhöhte die Transparenz für Ratings struk- ren abzubauen. turierter Finanzprodukte. Mit der aktuellen, zweiten Novelle, CRA III, wird dieser richtige Weg nun konse- Wir wollen das Handeln von Ratingagenturen quent weitergegangen, unter anderem mit folgenden weiterhin transparenter machen, die Qualität von in Regelungen: der EU abgegebenen Ratings verbessern und die Regulierung in diesem Bereich fortsetzen, um die häu- Der ausschließliche oder automatische Rückgriff fig schematische Übernahme von Ratings von Rating- auf Ratings zu aufsichtsrechtlichen Zwecken soll ver- agenturen zu unterbinden und Ausfallrisiken besser hindert und eigene Kreditrisikobewertungen sollen einschätzen zu können. vorgenommen werden. Es gilt, Interessenkonflikte zu vermeiden, indem beispielsweise durch Höchstlaufzei- Bettina Kudla (CDU/CSU): ten der vertraglichen Beziehungen zu einer Rating- Wesentliche Ursache der Finanzkrise in den Jahren agentur ein Rotationsprinzip eingeführt wird. 2008 und 2009 war, dass sich viele Unternehmen und Außerdem werden zu den Länderratings Regelun- Anleger auf das Rating der großen Ratingagenturen gen hinsichtlich Zeitpunkt und Anzahl der Veröffentli- verlassen haben. In vielen Fällen war das Rating nicht chungen getroffen. Die Verantwortung von Rating- sachgerecht untersetzt: Triple-AAA-Rating und trotz-

Zu Protokoll gegebene Reden 4288 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Bettina Kudla (A) dem nur wertlose Immobilien im Bestand. Das war das & Poor’s, Fitch Ratings und Moody’s – vorschreiben, (C) Ergebnis, weil sich zum Beispiel die Landesbanken sollen mit diesem Gesetz reduziert werden. Rating- beinahe blind auf den Ausweis der Ratings verlassen agenturen müssen einem größeren Wettbewerb ausge- haben. setzt werden. Die Bedeutung externer Ratings soll da- bei insgesamt reduziert werden. Ein bestimmtes Rating ist häufig Bestandteil von Kreditverträgen oder Vereinbarungen über Kapitalan- Ein wirksames Instrument ist die bereits geltende lagen. Rating ist der Ausweis von Bonität. Verändert Registrierungspflicht von Ratingagenturen mit dem sich das Rating eines Kreditnehmers, so wird der einhergehenden umfangreichen Prüfungs- und Geneh- Kreditnehmer laut Kreditvertrag verpflichtet, gegebe- migungsverfahren durch die Europäische Wertpapier- nenfalls einen höheren Zins zu zahlen oder zusätzliche aufsichtsbehörde ESMA, European Securities and Sicherheiten zu stellen. Versicherungen oder Stiftun- Markets Authority. Erst wenn dieses Verfahren erfolg- gen dürfen gemäß ihrer Satzung in der Regel nur das reich durchlaufen wird, können Ratingagenturen mit Geld der Kunden in Anlagen tätigen, die ein einwand- ihrer Arbeit beginnen. Die Akteure am Finanzmarkt freies Rating vorweisen. Verändert sich das Rating dürfen auch nur auf Kreditratings von Ratingagentu- dieser Geldanlagen, so werden zum Beispiel Versiche- ren zurückgreifen, die bei der ESMA registriert sind. rungen und Stiftungen unter Umständen gezwungen, ihre Vermögensanlage durch eine bonitätsmäßig bes- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Bun- sere Anlage auszutauschen, was weitreichende Konse- desregierung nunmehr die europäische Richtlinie quenzen haben kann. Rating hat enormen Einfluss auf 2013/14 vom Mai 2013 in nationales Recht um. Damit Finanzmarktgeschäfte. Im Sinne des Anlegerschutzes wird die bereits eingeschlagene Linie fortgesetzt, das muss auf das Rating Verlass sein. Ein Rating muss ob- Handeln von Ratingagenturen transparenter zu jektiv und qualitativ hochwertig untersetzt sein. machen und die Erstellung der Ratings einer strengen Regulierung zu unterwerfen. Es soll verhindert wer- Bisher unterlagen Ratingagenturen keinen klaren den, dass der Rückgriff auf externe Ratings automa- Regeln. Zwar wurde auf europäischer Ebene bereits in tisch erfolgt. Erforderlich sind Anpassungen einiger den Jahren 2009 und 2011 mit der Novellierung der Finanzmarktgesetze. Ratingagenturen der richtige Weg eingeschlagen, gleichwohl bedarf es weitreichender Regelungen, um Vorgabe der EU-Richtlinie und gleichzeitig auch das Ziel eines verlässlichen Ratings zu erhalten. politisches Ziel der Bundesregierung ist es, die Unter- Darüber hinaus gilt es, die Abhängigkeit der Finanz- nehmen der Finanzbranche, nämlich im Speziellen die marktakteure vom Rating zu verringern. Diese Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge, EbAV, (B) (D) Abhängigkeit hat sich als ein zunehmendes finanz- die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpa- markpolitisches Problem herausgestellt. Ein falsches pieren, OGAW, und die Verwalter alternativer Invest- Rating führte zu einer Unterschätzung von Verlustrisi- mentfonds, AFIM, anzuhalten, künftig mehr und besser ken und leistete damit einen erheblichen Beitrag zum auf ihre eigene Einschätzung bei der Bonitätsbewer- Entstehen und zur Verschärfung der Finanzkrise von tung von Kreditnehmern, Wertpapieren und sonstigen 2008/2009. Ausfallrisiken zu achten und Ratings nicht unkritisch und schematisch und vor allen Dingen nicht als Auto- Wie kann man das Problem nun lösen? Gelöst wer- matismus zu übernehmen. den kann das Problem nur, indem Ratingagenturen zu mehr Sorgfalt und Objektivität verpflichtet werden. Zweite Vorgabe der EU-Richtlinie 2013/14 ist die Dies kann nur durch eine verschärfte Haftung und eine strenge Überwachung dieser Vorgabe durch nationale bessere Aufsicht über Ratingagenturen erreicht wer- Aufsichtsbehörden. Der Bundesanstalt für Finanz- den und auch durch mehr Wettbewerb. Eine Monopol- dienstleistungen, BaFin, obliegt es dabei hierzulande, stellung von einigen wenigen Ratingagenturen ist im- auf die Einhaltung von Regelungen zu achten, Regel- mer ein hohes Risiko für diejenigen, die sich auf verstöße zu sanktionieren und auch dem automati- Ratings verlassen. schen Rückgriff auf Ratings entgegenzuwirken. Im Kapitalanlagegesetzbuch werden deshalb die Buß- CDU, CSU und SPD haben die Problematik der geldvorschriften für Verstöße gegen das Regelwerk zentralen Machtstellung der Ratingagenturen auf den verschärft und auch neu geschaffen, um eine wirksame Finanzmärkten erkannt und eine strenge Regulierung Sanktionierung zu ermöglichen. Damit wird der BaFin von Ratingagenturen zum politischen Ziel erklärt. Im auch ein entsprechend scharfes Schwert in die Hände Koalitionsvertrag wurde deshalb vereinbart, sich für gelegt, um ihrer Aufsichtspflicht effektiv nachkommen eine effektive Anwendung der zivilrechtlichen Haf- zu können. tungsregelungen für Ratingagenturen einzusetzen und die Wettbewerbsfähigkeit von Ratingagenturen zu för- Mit der Änderung des Börsengesetzes erfolgt die dern. von der EU-Richtlinie geforderte Klarstellung, dass auch die Börsenaufsichtsbehörden der einzelnen euro- Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verrin- päischen Staaten – in Deutschland ist dies die BaFin – gerung von Abhängigkeit von Ratings liegt heute in ers- Informationen an die europäischen Finanzaufsichts- ter Lesung vor. Die Rechtsnormen, die eine Einschal- behörden weitergeben dürfen. Damit ist einerseits In- tung der drei großen Ratingagenturen – also Standard formationsfluss gewährleistet, und andererseits haben

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4289

Bettina Kudla (A) die Aufsichtsbehörden auf europäischer Ebene eine so- ben verstoßen, und werden für deren Umsetzung ins (C) lide Basis, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können. deutsche Recht Sorge tragen.“ Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Bau- Sie sehen also, dass wir uns durchaus etwas vorge- stein für ein klares Regelwerk unseres Finanzmarktes nommen haben, was noch gar nicht alles in diesem und findet unsere Zustimmung. Gesetzentwurf vollzogen werden kann, aber wir gehen mit diesem Regierungsentwurf einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung: Ziel muss es sein, die Abhän- Andreas Schwarz (SPD): gigkeit der Finanzbranche von den Bewertungen der Die weltweite Finanzkrise, die sich später zu einer Ratingagenturen zu reduzieren. Weltwirtschaftskrise ausgeweitet hat, ist in ganz Europa immer noch spürbar. Schuldige gibt es viele. Die unkritische und oftmals schematische Über- Ursachen gibt es viele. Und für einen funktionierenden nahme der Ratings der Ratingagenturen zur Einstu- Staat muss es nach jeder Krise heißen, nicht nur die fung der Bonitätsgewichtung der Kreditnehmer und richtigen Lehren zu ziehen, sondern daraus auch die Wertpapiere muss endlich verringert werden. Dies entsprechenden Handlungen und Veränderungen führte doch häufig zu erheblichen Fehleinschätzungen abzuleiten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen von Ausfallrisiken und muss künftig vermieden wer- wir genau diesen Weg und packen ein wichtiges Puzz- den. Das ist eine der klaren Lehren aus der Finanz- leteil des gesamten Tableaus an Ursachen für die Fi- marktkrise aus dem Jahre 2008. Dafür ist es unabding- nanzkrise an. Auch wenn es nur ein weiterer von vielen bar, dass sich die Finanzbranche künftig viel stärker Schritten ist und sein kann. auf eigene Einschätzungen in der Bonitätsprüfung stützt, um unabhängiger Risiken beurteilen zu können. Die Finanzwelt, aber auch die Staaten selbst, haben Es darf nicht sein, dass der eine einfach das über- sich in den letzten Jahren in eine Art Abhängigkeit ge- nimmt, was der andere bereits formuliert hat. Ich bin genüber den Ratingagenturen begeben, die die Ab- überzeugt: Hier kommen wir mit dem Gesetzentwurf wärtsspirale der vergangenen Jahre massiv beför- ein gutes Stück voran. derte. Wir müssen uns davon endlich lösen und vor Außerdem werden wir mit dem Gesetz dafür sorgen, allem hinterfragen, was und vor allem wer hinter die- dass neue Ordnungswidrigkeiten ins Kapitalanlagege- sen Ratings steckt. Es sind keine Gutmenschen und setzbuch aufgenommen werden, um klare Grenzen auf- keine höheren Instanzen, welcher Art auch immer, die zuzeigen und auch, was es bedeutet, diese zu über- sich hier als unabhängige und neutrale Marktbeob- schreiten. (B) achter aufspielen wollen. Es sind Akteure am Finanz- (D) markt, die am selbigen partizipieren und profitieren Im Gesetzentwurf werfen wir auch einen Blick auf wollen. Peer Steinbrück hat zu Recht die Frage aufge- die Abhängigkeiten innerhalb der Finanzbranche und worfen, wer in Europa eigentlich den Taktstock des blicken auf Interessenkonflikte im Zusammenhang mit Geschehens in der Hand halten soll. Das sind aus Investitionen in Ratingagenturen und auf die Höchst- unserer Sicht ganz sicher nicht die Ratingagenturen. laufzeiten der vertraglichen Beziehungen zu Rating- Und deshalb hat die SPD im vergangenen Bundestags- agenturen. Dazu werden wir im Finanzausschuss si- wahlkampf richtigerweise gefordert, dass das Primat cher spannende Debatten führen. der Politik endlich wiederhergestellt werden muss. Ich bin dem Bundesminister für Finanzen sehr Es ist vollkommen absurd und nicht nachvollzieh- dankbar für diesen Gesetzesvorschlag, den wir – ge- bar, dass hier über Jahrzehnte hinweg im Grunde statten Sie mir diesen Ausblick in die Zukunft – im keine Regulierung stattgefunden hat. Deshalb haben weiteren Gesetzgebungsverfahren ganz sicher an der wir im Koalitionsvertrag diesen ersten wichtigen einen oder anderen Stelle noch präzisieren werden. Schritt festgehalten, und ich darf an dieser Stelle zitie- Auch in der Stellungnahme des Bundesrates sind Än- ren: „Die Bundesregierung wird sich für eine effektive derungen angemahnt, die das Bundesfinanzministe- Anwendung der zivilrechtlichen Haftungsregelungen rium nun prüfen möchte. Auf die Ergebnisse bin ich für Ratingagenturen einsetzen und die Wettbewerbsfä- sehr gespannt. higkeit europäischer Ratingagenturen fördern. Wir Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratungen wollen die Rechtsnormen reduzieren, die eine Ein- dieses Gesetzes. Es handelt sich hierbei um eine wich- schaltung der drei großen Ratingagenturen vorschrei- tige Weichenstellung für die Zukunft. Lassen Sie uns ben. Wir wollen auch die Bedeutung externer Ratings gemeinsam das Primat der Politik zurückerobern! reduzieren.“ Und weiter heißt es: „In Zukunft muss noch stärker gelten: Gemeinschädliches Handeln von Unternehmen und Managern muss angemessen sank- Dr. Axel Troost (DIE LINKE): tioniert werden. Wir unterstützen die Aufnahme stren- Der vorliegende Gesetzentwurf soll bestimmte Än- ger Vorschriften in den maßgeblichen europäischen derungen an der Europäischen Ratingverordnung aus Rechtsakten, welche insbesondere den Rahmen für dem Jahr 2013 in deutsches Recht umsetzen. Anliegen Geldsanktionen auf ein angemessenes Niveau anheben des Gesetzes bzw. der entsprechenden Verordnung ist und die Verhängung spürbarer Sanktionen gegen Un- es, dafür zu sorgen, dass sich die Finanzbranche nicht ternehmen vorsehen, die gegen regulatorische Vorga- mehr so scheuklappenhaft von den Bewertungen der

Zu Protokoll gegebene Reden 4290 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. Axel Troost (A) Ratingagenturen abhängig macht bzw. den Ratings Wesentlichen auf der These, dass durch ausgeklügelte (C) nicht länger blind vertraut. Ratings – das sollte hier und vermeintlich unbestechliche Ratings die Banken noch einmal deutlich gesagt werden – sind nach eige- viel besser und effizienter in der Kreditvergabe wür- ner Aussage der Ratingagenturen nichts anderes als den. Meinungsäußerungen, Meinungsäußerungen darüber, für wie wahrscheinlich es eine Ratingagentur hält, Diese Vorgeschichte ist wichtig, um das heutige dass ein Schuldner seinen Verpflichtungen nach- Gesetz einzuordnen. Natürlich ist es eine richtige kommt. Meinungsäußerungen sind bekanntlich von der Lektion aus der Finanzkrise, dass blindes Vertrauen Meinungsfreiheit gedeckt. Das Problem liegt aber bzw. die Abschiebung der Verantwortung für Risiko- darin, dass Ratingagenturen nicht nur Meinungen ha- bewertungen auf Ratingagenturen falsch sind. Bis ben, sondern damit auch wesentlich die Meinung aller hierhin teilen wir die Stoßrichtung des Gesetzes bzw. anderen Finanzmarktteilnehmer bestimmen. der entsprechenden EU-Verordnung. Wer das aber tat- sächlich erreichen will, muss deutlich mehr tun, als in Natürlich wissen wir alle, dass die Ratingagenturen diesem Gesetz steht. eine zentrale Rolle in der globalen Finanzkrise ge- Für Anleger liegt der Reiz von Ratings – insbeson- spielt haben und spielen. Ihre Bewertungen von kom- dere von Ratings von komplexen Finanzinstrumenten – plexen Finanzinstrumenten stellten sich als weit- genau darin, dass damit eine vermeintliche Bewert- gehend falsch heraus. Ich rate aber dringend davon barkeit suggeriert wird, die praktisch nicht existiert. ab, den Ratingagenturen die Alleinschuld zuzuweisen. Die Finanzkrise hat eindrucksvoll gezeigt, dass viele Für mich stellt sich das Bild eher so dar: Die Rating- Derivate so komplex sind, dass zuverlässige Vorhersa- agenturen übernahmen mit der Entfesselung der Fi- gen über deren Ausfallrisiko und Wertentwicklung nanzmärkte seit den 1980er-Jahren zunehmend die schlicht unmöglich sind. Rolle des Orakels und wurden auch in diese Rolle ge- drängt. Die Macht eines Orakels liegt bekanntlich da- Aus der Tatsache, dass es vor und während der Fi- rin, dass sich die Menschen in einer quasireligiösen nanzkrise viele falsche Ratings gegeben hat, ziehen die Art an den Weissagungen des Orakels bereitwillig EU-Verordnung und das vorliegende Gesetz die ver- orientieren. Vordergründig war es eine Win-win-Situa- kürzte und daher falsche Schlussfolgerung, die Ratings tion. Die Ratingagenturen konnten einerseits mit ihren seien aufgrund von Interessenkonflikten oder aufgrund Meinungsäußerungen reichlich Geld verdienen. Da handwerklicher Fehler schlecht erstellt worden. Das ihnen die Finanzbranche zutraute, zu allen noch so ab- ist falsch, denn auch ohne Interessenkonflikte und bei wegigen Finanzinstrumenten eine Meinung zu haben höchster handwerklicher Fertigkeit lässt sich für kom- (B) und gleichzeitig die Zahl dieser Instrumente immer plexe Finanzinstrumente keine seriöse Vorhersage da- (D) größer wurde, war dies ein lohnendes Geschäft für die rüber machen, wie diese auf Änderungen wichtiger Agenturen. Für die Finanzdienstleister andererseits Rahmenbedingungen reagieren werden. Es ist daher war die Orakelfunktion der Ratingagenturen ebenfalls nur eine Scheinalternative, wenn in Zukunft die Anle- eine komfortable Sache, denn so mussten sie sich kaum ger, Banken, Versicherungen etc. die Finanzinstru- eigenständig Gedanken über die immer komplexeren mente stärker selber bewerten sollen. Wenn Risiken Instrumente machen. Außerdem gab es für die Banker aufgrund der Komplexität des Produkts schlicht nicht und Fondsmanager dann immer schon einen Schuldi- bewertet werden können, dann hilft es auch nichts, gen, auf den man die Verantwortung abwälzen konnte, wenn dies in Zukunft jemand anders als die Rating- wenn im Einzelfall doch mal etwas schiefging. agenturen machen soll. Im Ergebnis entwickelte sich ein immer stärkeres Die Risikobewertung von Finanzinstrumenten muss Schwarmverhalten ohne klare Verantwortlichkeiten. dem Ziel dienen, Risiken besser zu kennen, sie besser Das ganze funktionierte so lange gut, wie die Renditen bewältigen zu können und letztlich unkalkulierbare an den Finanzmärkten durch Spekulation und Blasen- Risiken gar nicht erst einzugehen. Als Gesetzgeber bildung und durch die Umverteilung von den Lohn- zu haben wir dabei die besondere Pflicht, die Öffentlich- den Gewinneinkommen hoch waren. Nachdenkliche keit, das Gemeinwesen und damit die öffentlichen Zeitgenossen haben aber schon vor vielen Jahren die Haushalte vor falschen Risikobewertungen zu schüt- Frage gestellt, wie lange es wohl dauern werde, bis zen. Wenn die Finanzmarktakteure die Kosten ihrer dieser Schwarm bzw. eine solche Herde wie die Lem- falschen Risikobewertungen gar nicht selbst tragen minge auf eine Klippe zusteuern und entschlossen in können und daher der Staat am Ende für die falschen den Abgrund springen würde. Risikobewertungen der Banken und Versicherungen geradestehen muss, dann haben wir als Gesetzgeber Die Politik war an dieser Entwicklung keineswegs die Pflicht, sie daran zu hindern, mit Risikobewertun- unschuldig. Einerseits ließ die Politik es durch die gen zu arbeiten, die Selbstbetrug sind. Genau das tut Liberalisierung der Finanzmärkte zu, dass sich immer der Gesetzentwurf aber nicht. neuere und kompliziertere Finanzinstrumente in kurzer Zeit verbreiteten. Noch schwerer aber wog die politi- Sie alle kennen unseren Vorschlag, diesem Problem sche Fehlentscheidung, es vielen Finanzdienstleistern beizukommen. Er lautet Finanz-TÜV. In Zukunft sollen sogar vorzuschreiben, sich an Ratings zu orientieren. die Herausgeber von Finanzinstrumenten erst einmal Die gesamte Bankenregulierung von Basel II fußt im nachweisen, dass die Risiken ihrer Produkte seriös

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4291

Dr. Axel Troost (A) bewertet werden können und dass dabei nicht einfach der Vergangenheit berechnen zu können, hat viel zu (C) Risiken auf die Öffentlichkeit abgeschoben werden. lange die Regulierungsagenda geprägt. Es gibt aber Nur wer das nachweisen kann, hat den Finanz-TÜV auch Phänomene, die nicht riskant, sondern funda- bestanden und darf sein Finanzprodukt auf den Markt mental unsicher sind, und dazu gehört das menschli- bringen. che Handeln. Dieses Restrisiko wurde von den Rating- agenturen verdrängt und damit stets und lange Wenn die unkalkulierbaren Finanzinstrumente end- unbemerkt von der Gesellschaft getragen. Trotz ihrer lich vom Markt sind, dann macht es erst richtig Sinn, zweifelhaften Rolle konnten Ratingagenturen ihr Ge- sich bei den verbleibenden Instrumenten nicht blind schäftsmodell über die Krise retten. Sie mussten für auf Ratingagenturen zu verlassen und die Käufer und ihre Fehler nicht haften. Deswegen begrüßen wir prin- Händler auf den Finanzmärkten zu nötigen, sich zipiell die Regulierungsbemühungen, die Bedeutung eigene Gedanken über die Bonität der Papiere zu externer Ratingurteile deutlich zu mindern und die machen, die sie kaufen. Haftung der Agenturen zu erhöhen. Es gibt noch eine Vielzahl von Details, die wir uns Mit der EU-Verordnung CRA III und der begleiten- sicher in den Ausschussberatungen noch genau anse- den Richtlinie, die mit dem vorliegenden Gesetz umge- hen müssen, und es finden sich durchaus positive setzt wird, werden Finanzmarktteilnehmer angehalten, Ansätze in einzelnen Teilen des Gesetzes. Jenseits die- sich nicht alleine auf die Einstufungen der Rating- ser Details kann ich aber schon jetzt sicher sagen: agenturen zu verlassen, sondern verstärkt auf interne Unter den Bedingungen des Hier und Heute greift Ihr Ratings zu setzen. Dabei schätzen Banken oder Invest- Gesetzentwurf grundsätzlich zu kurz. mentfonds selbst die Risiken aus ihren Investitionen ein. Das führt aber aus zwei Gründen nicht zur Lösung Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des dargelegten Problems grundsätzlicher Unsicher- NEN): heit. Zum einen werden die Parameter, die zur internen Berechnung von Risiken herangezogen werden, sich Eigentlich sollen nach der Theorie Finanzmärkte nicht fundamental von Institut zu Institut unterschei- durch eine angemessene Preisbildung dafür sorgen, den. In einer Krisensituation werden wir also auch dass die wirtschaftliche Situation sich stabilisiert. Wo hier Panikverkäufe und Herdenverhalten beobachten hohe Risiken drohen, sollte eigentlich ein hoher Risi- können. Zum anderen besteht ein eklatanter Zielkon- koaufschlag genau das signalisieren und dadurch In- flikt zwischen den Renditeinteressen der Investoren vestoren warnen. Ratingagenturen kommt hier eine und dem Stabilitätsinteresse des Steuerzahlers. Für zentrale Rolle zu, indem sie diese Risiken erkennen weniger riskante Investitionen muss weniger haftendes (B) und publizieren sollen. Theoretisch. Eigenkapital vorgehalten werden. Damit gibt es sei- (D) Doch das Gegenteil war in der Jahrhundertkrise tens der Finanzmarktakteure immer einen Anreiz, die der Fall. Die Risikoaufschläge an den Finanzmärkten Investitionen schönzurechnen. Die Unabhängigkeit waren zu keinem Zeitpunkt so gering wie im Moment von externen Ratings befördert so die Aufweichung des höchsten Risikos, nämlich kurz vor Ausbruch der von Stabilitätsstandards. Das Risiko aber verschwin- Finanzkrise. Die toxischen Papiere des US-amerikani- det nicht. schen Immobilienmarktes bekamen jahrelang Bestno- Die Kriterien, nach denen mit dem Gesetz Unab- ten, obwohl derlei strukturierte Produkte ganz andere hängigkeit von externen Ratings gewährleistet werden Ausfallwahrscheinlichkeiten hatten als Unterneh- soll, bleiben vage. Die BaFin soll dem automatischen mens- oder Staatsanleihen. Kein Wunder, wenn die Rückgriff auf Ratings „entgegenwirken“ – allein, kon- Bewerteten die Ratingagenturen für ihre Urteile be- kret wird der Gesetzestext an keiner Stelle. Wir Grünen zahlen – ein Geschäftsmodell mit eklatanten Fehlan- haben im Europaparlament dafür gestritten, die pro- reizen. Doch solange alle vom Dreifach-A hypnotisiert zyklische Wirkung automatischer Verkäufe bei Rating- waren, funktionierte das System. Gute Renditen mit ge- abstufungen zu verhindern. Dafür müsste man etwa ringem Risiko – es war zu schön, um wahr zu sein. Fonds daran hindern, damit zu werben, dass ein Min- destprozentsatz der von ihnen erworbenen Werte ein Und tatsächlich entstanden irgendwann Zweifel an bestimmtes Rating hat. Denn dies hatte in der Vergan- der Zahlungsfähigkeit der Gläubiger. Die Risikoauf- genheit zu Marktturbulenzen geführt, wenn viele In- schläge schnellten in kürzester Zeit auf Rekordhöhe, vestoren nach einer Abstufung durch die Ratingagen- die Werte der Papiere stürzten ab. Die eilig nach unten turen gleichzeitig verkaufen müssen. Geblieben ist korrigierten Bewertungen der Ratingagenturen heizten aber nur eine Erwägung in der Verordnung. diesen Prozess noch an, da viele Finanzmarktteilneh- mer auf die Noten der Agenturen schielten. Es kam zu Die Begrenzung eklatanter Interessenkonflikte wie synchronen Panikverkäufen, die die Preise weiter nach die Beschränkung gegenseitiger Beteiligungen zwi- unten trieben. So haben die Ratingagenturen gerade schen Ratingagenturen und bewerteten Institutionen, nicht zur Stabilität, sondern zur Instabilität beigetra- wie auch Höchstlaufzeiten vertraglicher Beziehungen gen. zu einer Ratingagentur und die zivilrechtliche Haftung sind Schritte in die richtige Richtung. Doch solange Geschichte wiederholt sich nicht. Diesen Satz müs- die Ratingagenturen von denjenigen bezahlt werden, sen wir auch an den Finanzmärkten berücksichtigen. die sie bewerten, kann von Objektivität keine Rede Der Glaube, Ausfallrisiken aufgrund von Daten aus sein.

Zu Protokoll gegebene Reden 4292 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. Gerhard Schick (A) Bis 2020 sollen externe Ratings aus allen europäi- diese uneingeschränkt wahrnehmen können, das Be- (C) schen Rechtsvorschriften verschwinden. Wir Grünen völkerungswachstum nachhaltig beeinflussen. halten allerdings eine Maßnahme noch für viel wichti- ger: mehr Eigenkapital im Finanzsystem. Nur durch Seither ist viel passiert, 20 Jahre sind vergangen. eine risikounabhängige Verschuldungsquote kann man International wird um die vollständige Umsetzung des realistisch damit umgehen, dass sich Risiken nicht Kairoer Aktionsprogramms gerungen. Nach der Kon- wegrechnen lassen und die Haftung dort hingehört, wo ferenz in Kairo hat es keine weitere Weltbevölkerungs- auch die Gewinne auflaufen: bei den Investoren – konferenz der VN gegeben, dafür einen umfassenden nicht bei den Steuerzahlern. Anstatt eines paternalisti- Review-Prozess, um die bisherigen Fortschritte bei der schen Aufsichtsregimes, das weit in die Geschäftspoli- Umsetzung des Aktionsprogramms zu evaluieren und tik der Institute eingreift und jedes interne Modell der Schwerpunkte für die nächsten Jahre zu identifizieren. Risikobewertung einer Prüfung unterzieht, sollten wir Hier hat sich eine Vielzahl von Staaten eingebracht, uns mit klaren Haftungsregeln wieder auf marktwirt- nicht zuletzt mittels regionaler Konferenzen. Unser schaftliche Grundprinzipien besinnen. Eine angemes- Antrag beschreibt die Bedeutung dieser weltumspan- sene Eigenkapitalausstattung erreicht das, indem sie nenden bevölkerungspolitischen Debatte sehr schön: dazu führt, dass die Risiken wieder von den Eigentü- „Das Ziel des so genannten ICPD-Prozesses ist es, mern getragen werden. sich auf gemeinsame bevölkerungspolitische und men- schenrechtliche Maßstäbe zu verständigen, die das je- Vizepräsidentin Petra Pau: weilige nationale Entwicklungsniveau heben und jeder Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- Frau, jedem Mann und jedem Kind ein besseres Leben wurfs auf Drucksache 18/1774 an die in der Tagesord- ermöglichen.“ nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Am 22. September 2014 nun wird sich die General- Dann ist die Überweisung so beschlossen. versammlung der VN in einer Sondersitzung mit der Umsetzung des Kairoer Aktionsprogramms befassen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Vor diesem Hintergrund ist das Ziel des Antrags, die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ vollständige Umsetzung des Aktionsprogramms wei- CSU und SPD terhin zu unterstützen sowie einige Schwerpunkte her- vorzuheben, die uns in der Koalition besonders am 20 Jahre nach Kairo – Bevölkerungspolitik im Herzen liegen: Kontext internationaler Entwicklungszusam- (B) menarbeit und der Post-2015-Agenda Erstens: strukturelle Ungleichstellung. Hier erken- (D) Drucksache 18/1958 nen wir an, dass Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern eine schnellere Entwicklung bedeutet. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Mädchen und Jungen müssen in die Lage versetzt wer- Sie sind damit einverstanden. den, gleichberechtigt aufzuwachsen und den gleichen Zugang zu Bildung zu haben. Frauen und Mädchen be- Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): nötigen nach wie vor Unterstützung, damit sich ihre Ein Bevölkerungswissenschaftler antwortete vor ei- rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Stel- nigen Jahren auf die Frage: „Ist es eine gute oder eine lung verbessert. Chancengleichheit beschäftigt aller- schlechte Nachricht, dass wir 7 Milliarden Menschen dings nicht nur Entwicklungsländer. Es freut mich, auf der Welt sind?“, dass dies keine schlechte Nach- dass der Antrag auch besagt: „… in Industrieländern richt sein könne, da mit jedem Menschenleben mehr gibt es noch keine durchgängig gleichwertige Bezah- Werte verbunden seien als Gefahren, Risiken und lung von Frauen und Männern und keinen angemesse- Schäden. Diese Einstellung finde ich bemerkenswert, nen Anteil von Frauen in Führungspositionen.“ und sie entspricht nach meiner Wahrnehmung genau der Stimmung und dieser Art „Aufbruchgefühl“ bei Zweitens: Jugend im Fokus. Auch hier möchte ich der Weltbevölkerungskonferenz, International Confe- aus unserem Antrag zitieren, um die Bedeutung dieses rence on Population and Development, ICPD, der Ver- Schwerpunktes darzustellen: „Die Überprüfung der einten Nationen, VN, in Kairo 1994. Aus bevölke- Umsetzung des Kairoer Aktionsprogramms hat ge- rungspolitischer Sicht weltweit war die Konferenz ein zeigt, dass nur wenige Staaten messbare Fortschritte Meilenstein. 179 Staaten bekannten sich mit der Ver- vorzuweisen haben bei der Bereitstellung von men- abschiedung des Kairoer Aktionsprogramms zur Stär- schenrechtsbasierten und integrierten Dienstleistun- kung der Menschenrechte und der Menschenwürde. Im gen zugunsten sexueller und reproduktiver Gesundheit Gegensatz zum bisherigen Ansatz, der vor allem das und Rechte für alle Jugendlichen.“ Das ist alarmie- rasante Bevölkerungswachstum in den Blick nahm, rend, und deshalb treten wir dafür ein, dass Jugendli- rückte nun das Individuum in den Fokus bevölkerungs- che ganz spezifisch unterstützt und aufgeklärt werden, politischer Debatten und Lösungsvorschläge. Dahin- wenn es um den Zugang zu Informationen, Bildung, ter steht die Überzeugung, dass Mädchen, Jungen, umfassender Sexualerziehung und jugendfreundlichen Frauen und Männer, die sich ihrer gesundheitlichen, Gesundheitsdienstleistungen geht sowie um sexuelle reproduktiven und sexuellen Rechte bewusst sind und Selbstbestimmung. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4293

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) Drittens: sexuelle und reproduktive Gesundheit und Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): (C) Rechte. Um erst gar keine Diskussion aufkommen zu Vor 40 Jahren startete in Bukarest ein weltweites lassen: Der Antrag unterstreicht unmissverständlich Umdenken. Menschenrechte, Menschenwürde und die die Vereinbarung von Kairo, dass Schwangerschafts- Stärkung des Individuums wurden zum Kern der inter- abbrüche als Instrument der Familienplanung ausge- nationalen Bevölkerungspolitik. Menschenrechte dür- schlossen sind. Das ist uns als Fraktion sehr wichtig. fen nicht nur Männerrechte sein. In Konsequenz da- Mein Traum ist es, dass Abtreibungen eines Tages aus- raus rückte der Stand von Frauen in der Gesellschaft gestorben sind, weil unsere Welt so entwickelt und so in den Fokus. Heute herrscht genauso Konsens da- gebildet ist, dass es keine sexuelle Gewalt und keine rüber, dass Frauen das Fundament einer demokrati- ungewollten Schwangerschaften mehr gibt. Dies ist schen Gesellschaft sind, wie Konsens darüber der eine Aspekt, der mir im Zusammenhang mit diesem herrscht, dass eine wachsende Weltbevölkerung nur dritten Schwerpunkt wichtig ist. Der andere Aspekt durch die weltweite Gleichberechtigung von Frauen in betrifft den Bereich „sexuelle Rechte“. Gerade als den Griff zu bekommen ist. Simone de Beauvoir Entwicklungspolitiker beobachten wir mit großer schrieb 1949 und damit 25 Jahre vor der ersten Welt- Sorge, wie in einigen Ländern mit sexueller Selbst- bevölkerungskonferenz in „Das andere Geschlecht“: bestimmung, einvernehmlicher Partnerschaft, gegebe- „Am Rande der Welt situiert zu sein, ist keine günstige nenfalls Heirat, oder einvernehmlichen sexuellen Be- Ausgangslage für einen, der vor hat, die Welt neu zu erschaffen.“ Da Gewalt, Rechtlosigkeit und Unterdrü- ziehungen umgegangen wird. Dabei geht es nicht nur ckung heute aber immer noch die Lebenssituation von um die Rechte Homosexueller, sondern um die sexuelle zig Millionen Frauen vor allem, aber nicht nur in Ent- Selbstbestimmung aller. Einige afrikanische Länder wicklungs- und Schwellenländern kennzeichnen, ist positionieren sich hier in extremer Weise, sie missach- unsere aktive Unterstützung der Gleichstellung der ten individuelle Menschenrechte sogar per Gesetz. Frauen oberstes Gebot. Dies stellen wir klar mit unse- Aber auch viele andere Länder stehen hier vor großen rem Antrag dar. Herausforderungen. Die Liste der Länder und der Pro- bleme ist lang. Nicht zuletzt möchte ich auch hier die Indien hat in der letzten Zeit immer wieder interna- Forderung des Antrags unterstreichen, „die politi- tional Schlagzeilen gemacht durch brutalste Vergewal- schen Aktivitäten im Bereich der sexuellen und repro- tigungen, bei denen fast immer der Tod des Opfers in duktiven Gesundheit und Rechte nicht auf Entwick- Kauf genommen wurde oder das Opfer im Anschluss lungs- und Schwellenländer zu beschränken.“ Ein an die Tat ermordet wurde. In den Krisen- und Kriegs- trauriges Beispiel: Selbst in Deutschland stehen wir gebieten dieser Welt wird Vergewaltigung zunehmend (B) Ehrenmorden ohnmächtig gegenüber. Das Ziel des An- als Waffe gebraucht. Dies ist keine neue Problematik, (D) trages ist es also auch, ein internationales Signal zu und ich würde mir wünschen, dass es diesbezüglich in- senden, dass wir die Einhaltung sexueller und repro- ternational ähnliche Aufschreie geben würde wie bei duktiver Gesundheit und Rechte fordern und die Ent- einem Schiedsrichterfehler in der laufenden Fußball- wicklungen aufmerksam beobachten. weltmeisterschaft. Jedoch ist die steigende Entwick- lung in Zahl und Brutalität ein wachsendes Unrecht, Es freut mich, dass es uns gelungen ist, mittels die- dem entschieden begegnet werden muss. Systematische ses Antrags die Fortführung erfolgreicher Initiativen Vergewaltigungen wie in Ruanda, in Bosnien oder im der G8/G7 und des BMZ zu Kinder- und Müttersterb- Kongo müssen international geächtet werden. Ein lichkeit bzw. zu selbstbestimmter Familienplanung zu wichtiger Schritt auf diesem Weg ist mit der Konferenz fordern. Zudem war es mir persönlich wichtig, an zu sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten in Lon- unser selbstgestecktes Ziel, 0,7 Prozent des Bruttona- don diesen Monat vollzogen worden, an der Vertreter tionaleinkommens für Mittel der Entwicklungszusam- von 117 Nationen sowie von Hilfs- und Menschen- menarbeit bereitzustellen, zu erinnern. rechtsorganisationen teilgenommen haben. Dort wurde ein Protokoll verabschiedet, das Richtlinien festlegt, Abschließend möchte ich die Relevanz des Antrages wie sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten als sol- im Kontext der Post-2015-Agenda herausstellen, die che erkannt und verfolgt werden kann. Darüber hinaus gerade erarbeitet wird. Uns als Koalition ist es wich- müssen wir jedoch auch den Opfern jegliche Unter- tig, dass das Kairoer Aktionsprogramm umfassend stützung gewähren, um mit den Folgen der Vergewalti- Eingang findet in diese neue Agenda. Des Weiteren gungen umzugehen. sind wir dafür, dass „eigenständige Ziele für Gesund- Neben den Aspekten der Rechte von Frauen und der heit und für Geschlechtergerechtigkeit mit Unterzielen Gewalt gegen Frauen ist der Aspekt der Bildung von zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte zentraler Bedeutung. Auch dies betont unser Antrag. … als Vorschlag seitens Deutschlands weiterhin in die Nur wenn es gelingt, Mädchen und Frauen denselben Verhandlungen zur Post-2015-Agenda eingebracht Zugang zu Bildung zu ermöglichen wie Jungen und werden.“ Dafür wird es nötig sein, sich international Männern, können sie Rechte erlangen und auch wahr- auf eine Definition der Begrifflichkeit „sexuelle und nehmen. Nur durch Bildung werden Frauen befähigt, reproduktive Gesundheit und Rechte“ zu einigen. Hier qualifizierter Arbeit nachzugehen. Nur mit qualifizier- möchte ich zu einer offenen und ehrlichen Debatte er- ter Arbeit können Frauen ihren eigenen Lebensunter- mutigen und bringe mich selbst gerne ein. halt bestreiten und Unabhängigkeit erlangen.

Zu Protokoll gegebene Reden 4294 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Dr. Georg Kippels (A) Mit unserem Antrag „20 Jahre nach Kairo – Bevöl- konkrete Maßnahmen zu planen. Mir hat es einen (C) kerungspolitik im Kontext internationaler Entwick- wichtigen Anstoß gegeben, hier im Parlament für poli- lungszusammenarbeit und der Post-2015-Agenda“ un- tische und finanzielle Unterstützung für die Themenbe- terstützen wir die weltweite Ermächtigung von Frauen reiche der Entwicklungszusammenarbeit zu werben. und fordern wir auch die Bundesregierung auf, dem nachzukommen. In den Entwicklungsländern selbst geht es noch mehr darum, auch die politischen Rahmenbedingun- gen zu schaffen. Die IPCI widmet sich genau diesen Michaela Engelmeier-Heite (SPD): Fragestellungen. Aus der Konferenz heraus haben wir Kairo stellt für mich einen Meilenstein dar. Dem eine Erklärung verfasst, welche die Fragen der Bevöl- trägt unser Antrag Rechnung. Neben anderen wichti- kerungsentwicklung umfassend darstellt. gen bevölkerungspolitischen Themen hoben bereits vor 20 Jahren die teilnehmenden 179 Staaten die Rolle Sicherlich bemerken wir Fortschritte bei der Errei- von Frauen und Mädchen hervor. chung der Ziele, die auf der Konferenz des ICPD ge- setzt wurden, uns bleiben aber auch viele Herausforde- Mit der nächsten Konferenz im September in New rungen für die vollständige Umsetzung. York werden wir weiter daran arbeiten, die Herausfor- Zwei Dinge, die mich besonders berührt haben, derungen zur Stärkung von Frauen und Mädchen und möchte ich hier thematisieren: die Zwangsverheira- des Wohlergehens von Individuen, Familien, Staaten tung und die Geburtenregistrierung von Kindern. und unserer Welt zu erreichen. Innerhalb von fünf Mi- nuten werden mindestens zwei Frauen an Komplika- Erschüttert hat mich das Bild eines 11-jährigen tionen während der Schwangerschaft oder bei der Mädchens, das an einen alten 68-jährigen Mann ver- Geburt sterben. Pro Tag sind das rund 800 Frauen. Ihr kauft und verheiratet wurde. In ihren Augen war nichts Tod wäre vermeidbar, weil es sich um vermeidbare anderes als Angst und Schrecken, tiefste Furcht vor Komplikationen handelt, vermeidbar, wenn sie auf eine diesem Mann zu sehen, eine Furcht, die allzu oft be- ausreichende medizinische Versorgung zurückgreifen gründet ist. Viele Mädchen überleben diese Zwangsehe könnten, vermeidbar, wenn das Stadt-Land-Gefälle nicht, weil sie so schwer misshandelt und sexuell miss- den Zugang zu Diensten für reproduktive Gesundheit braucht werden, dass sie sterben. nicht zusätzlich erschweren würde. Wir müssen dafür eintreten, Gesetzgebungen zu be- Denn während in Deutschland und Europa Frauen seitigen, die eine frühe und Zwangsheirat zulassen. jederzeit und überall auf die medizinische Betreuung Wir brauchen Erlasse zur Durchsetzung von Rechts- (B) während der Schwangerschaft und bei der Geburt zu- vorschriften über das gesetzliche Mindestheiratsalter (D) rückgreifen können, liegt die Quote in Städten in unse- von 18 Jahren; wir müssen uns dafür einsetzen, dass ren Partnerländern bei circa 84 Prozent, im ländlichen schädliche Praktiken wie weibliche Genitalverstüm- Raum sogar nur bei circa 53 Prozent. Das sind gerade melung verhindert werden. Wir benötigen Rechtsvor- mal halb so viele wie bei uns – halb so viele Frauen, schriften zum Umgang mit jugendlichen Schwanger- die darauf hoffen können, dass sie selbst und ihre Kin- schaften, die unsichere Abtreibungen verhindern. Wir der die Schwangerschaft und die Geburt überleben. brauchen die Aufwertung des Status von Frauen und Mädchen und die Bewältigung der negativen sozialen Seit der Konferenz zu Bevölkerung und Entwicklung Folgen von Geschlechterstereotypen. Wir brauchen im Jahr 1994 in Kairo hat Deutschland insgesamt eine umfassende Sexualerziehung für Jungen und mehr als 1 Milliarde Euro für die Verbesserung der re- Mädchen. Diese Ausbildung muss genaue Angaben produktiven Gesundheit in Entwicklungsländern zur enthalten über die menschliche Sexualität Schwanger- Verfügung gestellt und auf dem G-8-Gipfel in Muskoka schaft und Geburt, HIV und sexuell übertragbare im Jahr 2010 weitere Mittel für die Gesundheit von Krankheiten, Familienleben und die zwischenmensch- Müttern und Kindern zugesagt. Bei weiteren Konferen- lichen Beziehungen, Kultur und Sexualität, und Men- zen wird ausdrücklich darum geworben, sich auf ge- schenrechtsschutz. meinsame bevölkerungspolitische und bevölkerungs- rechtliche Maßstäbe zu verständigen, die das jeweilige Mit unserer Politik, mit Programmen und Gesetzen nationale Entwicklungsniveau heben und jeder Frau, verpflichten wir uns, die Rechte aller zu schützen und jedem Mann und jedem Kind ein besseres Leben er- zu fördern. In dem Zusammenhang möchte ich mich möglichen. meinem zweiten schon erwähnten Thema zuwenden – der Geburtenregistrierung. Im April war ich als Parlamentsvertreterin bei der 6. Internationalen Parlamentarierkonferenz in Stock- In der Kinderrechtskonvention ist in den Artikeln 7 holm. Dort versammelten sich Parlamentarier aus al- und 8 das Recht verbrieft, dass jedes Kind ein Recht len Ländern, um sich in Stockholm der Umsetzung der auf seine Identität hat, das Recht zu wissen, wer es ist, Ziele zu widmen, die wir hier im vorliegenden Antrag zu welchem Staat es gehört und wer seine Eltern sind. unserer Regierungskoalition formuliert haben. Die Das Kind hat ein Recht darauf, dass es unverzüglich ICPD-Konferenzen finden in geregelten Abständen nach seiner Geburt in ein Register eingetragen wird. statt, um sich mit dem Thema Bevölkerungsentwick- Es hat das Recht auf einen Namen und von Geburt an lung zu befassen, zu lernen und zu netzwerken und das Recht, eine Staatangehörigkeit zu erwerben.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4295

Michaela Engelmeier-Heite (A) Warum ist das so wichtig? Nein, es handelt sich hier elle und reproduktive Gesundheit und entsprechende (C) nicht um einen bürokratischen Akt, den man vernach- Rechte weltweit gewährleisten wollen. lässigen kann. Weltweit sind rund 230 Millionen Kin- Die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo vor der unter fünf Jahren in keinem Geburtenregister ein- 20 Jahren war ein Meilenstein. 179 Staaten erkannten getragen. Mit weitreichenden Folgen: Weder können damals sexuelle und reproduktive Gesundheit als Teil sie ihre Nationalität nachweisen, noch nachweisen, des fundamentalen Menschenrechts auf Gesundheit wann sie geboren wurden oder wie sie heißen. an. Die Konferenz stellte klar, dass reproduktive In Afrika südlich der Sahara sind es 56 Prozent, und Rechte individuelle Menschenrechte sind, die ein Staat in Somalia und Liberia werden nur 3 respektive 4 Pro- gewährleisten muss. Mit unserem Antrag knüpfen wir zent der Kinder registriert. Kinder ohne Geburtsschein daran an und wollen dieser Bewegung neuen Schwung sind juristisch inexistent und deshalb stärker dem geben. Im Kern gehen wir damit noch weiter: Wir for- Risiko für Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt aus- dern Gleichberechtigung für Frauen, und zwar welt- gesetzt. Nichtregistrierte Kinder sind im erhöhten weit. Maße gefährdet für Kinderhandel, Kinderarbeit oder Was bedeuten sexuelle und reproduktive Gesundheit den verfrühten Einzug in den bewaffneten Dienst. und Rechte im Einzelnen? Das bedeutet zum einen, Für nichtregistrierte Kinder ist zudem der Zugang dass die Familienplanung eine selbstbestimmte Ent- zu staatlicher Bildung und medizinischer Versorgung scheidung ist, die frei von Zwängen und Vorgaben sein schwierig bis unmöglich, und das Gesetz legt ihnen muss. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, vorzu- auch später weitere Barrieren in den Weg: Erwach- schreiben, wer wann wie viele Kinder bekommt. Zum sene ohne Geburtsschein können keinen Pass bekom- anderen ist der Staat aber in der Pflicht. Er muss eine men, haben keine Bürger- und Wahlrechte, können kein selbstbestimmte Familienplanung ermöglichen, indem Konto eröffnen, keinen Besitz erwerben oder erben er Aufklärung, Beratung und Verhütungsmittel zur Ver- und nicht offiziell reisen. fügung stellt. Der Mangel an Information ist in vielen Ländern weiterhin ein großes Problem. Wie schütze Wie kommt es bei diesen weitreichenden Problemen ich mich vor Geschlechtskrankheiten? Wie kann ich dazu, dass Menschen nicht registriert sind? Weil sie eine Schwangerschaft, die ich nicht will, vermeiden? keine Kenntnis über ihre Rechte haben, es beschwerli- Nur wenn eine Frau und ein Mann überhaupt wissen, che Verfahren sind, sich benachteiligte Familien die wie sie verhüten können und Zugang zu Verhütungs- Gebühren beim Ausstellen der Geburtsurkunde nicht mitteln haben, können sie selbstbestimmt über ihre Fa- leisten können, die Meldestellen für viele Familien, milienplanung entscheiden. Weltweit wollen laut der (B) die in ländlichen Gebieten leben, nur schwer erreich- Deutschen Stiftung Weltbevölkerung 220 Millionen (D) bar sind. Es fehlt aber auch an moderner mobiler Frauen verhüten, haben aber keine Möglichkeit dazu. Technik der Datenerfassung, das Behördenpersonal ist Bei dem Zugang zu Information und Verhütungsmitteln schlecht ausgebildet. müssen wir Männer naturgemäß einbeziehen. Man- Ein weiterer schwerer Hinderungsgrund ist, dass gelndes Wissen über Verhütungsmöglichkeiten und der ethnische Volksgruppen befürchten, durch die Regis- fehlende Zugang dazu betreffen beide Partner. trierung noch stärker benachteiligt zu werden. In Eine weitere Grundlage für selbstbestimmte Fami- Afrika verfügen inzwischen viele Menschen über ein lienplanung sind Schutzvorschriften sowie die rechtli- Handy. Wäre es möglich, an eine offizielle Stelle eine che wie gesellschaftliche Stärkung von Frauen – letzt- SMS zur Geburtenregistrierung zu schicken, wäre ein lich also die Gleichberechtigung der Geschlechter. In niedrigschwelliges Angebot geschaffen, das sich Ländern, in denen Männer rechtlich und faktisch die schnell und kostengünstig realisieren ließe. Verfügungsgewalt über Frauen haben, können die se- Sie sehen: Hier können wir helfen. Mit wirksamen xuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte nicht Programmen werden wir uns aktiv an Problemlösun- erfüllt werden. Deswegen brauchen wir weltweit den gen beteiligen und Hilfe leisten. Und das werden wir gleichen Zugang zu Bildung, Arbeit und Eigentum so- auch tun! wie Schutzvorschriften, um Menschenrechtsverletzun- gen wie Zwangsverheiratung, „Kinderbräute“ und Genitalverstümmelung zu stoppen. Es ist auch die Gabriela Heinrich (SPD): Aufgabe Deutschlands, sich international für diese Wenn ein Mann seine Ehefrau straflos vergewalti- Themen einzusetzen. gen darf, wenn er mit der Eheschließung ihr Vermögen und ihren Besitz erhält und ihr Arbeitsverhältnis kün- Insbesondere junge Mädchen brauchen in vielen digen darf, dann ist das eine Missachtung von Frauen. Ländern Schutzvorschriften und gesellschaftlichen Diese Rechtlosigkeit von Frauen hat es auch in Wandel. Das zeigt das Beispiel Genitalverstümmelung. Deutschland gegeben, teilweise vor gar nicht so lan- In Ländern wie Somalia sind fast alle Frauen von ger Zeit. Vergewaltigung in der Ehe ist zum Beispiel in Genitalverstümmelung betroffen. Ihnen werden Teile Deutschland erst seit 1997 strafbar. Wenn Frauen in oder die gesamten äußeren Genitalien entfernt – ohne einer Partnerschaft keine Rechte haben, ist eine selbst- Betäubung und mit verunreinigten Werkzeugen wie bestimmte Familienplanung unmöglich. Gleichberech- Rasierklingen und Glasscherben. Diese Prozedur kos- tigung ist daher die Voraussetzung, wenn wir die sexu- tet viele Menschenleben und betrifft auch Deutschland

Zu Protokoll gegebene Reden 4296 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Gabriela Heinrich (A) und Europa. Terre des Femmes schätzt, dass allein in Geschlechteridentität oder sexueller Orientierung. (C) Deutschland 25 000 Frauen genitalverstümmelt sind Konkret heißt das auch, dass ein Staat zum Beispiel und weitere 2 500 Frauen und Mädchen gefährdet Schwulen und Lesben nicht den Zugang zu Gesundheit, sind. Es gibt mittlerweile Fortschritte. So sieht zum zu Verhütungsmitteln zur Prävention von Geschlechts- Beispiel die neue Verfassung in Somalia ein Verbot der krankheiten und zu Information versperren darf und Genitalverstümmelung vor. Die besten Gesetze nützen dass wir mit unserer Entwicklungspolitik dafür sorgen jedoch nichts, wenn sie nicht eingehalten werden und müssen, solche Sperren aufzubrechen, dass wir uns in- niemand ihre Einhaltung sicherstellt. Gesellschaft- ternational noch stärker dafür einsetzen müssen, die licher Wandel kann viel für die Frauen weltweit er- menschenrechtswidrige Verfolgung aufgrund der sexu- reichen, und die Basis dafür sind Information und ellen Orientierung zum Beispiel in Uganda aber auch Aufklärung. Gerade beim Thema Genitalverstüm- in etlichen weiteren Ländern wie zum Beispiel Zentral- melung zeigt sich in der Praxis, dass die meisten afrika, Sudan, Südsudan, Kamerun und Tansania zu Fortschritte mit Einbeziehung von Geistlichen und stoppen. Stammesführern erreicht werden. Denn viele Tradi- tionsverfechter sind sich gar nicht im Klaren darüber, Um 20 Jahre nach Kairo neue Impulse für die sexu- welche gesundheitlichen Probleme die Genitalver- elle und reproduktive Gesundheit und Rechte zu schaf- stümmelung verursacht, und hinterfragen diese Praxis fen, müssen wir unser nationales und internationales nicht. Deswegen fordern wir in unserem Antrag auch, Engagement fortsetzen. Deswegen fordern wir ein Jungen und Männer sowie örtliche religiöse und ge- Nachfolgeprogramm für die im Jahr 2015 auslaufende sellschaftliche Entscheidungsträger in Aufklärungs- Muskoka-Initiative zur Senkung der Kinder- und Müt- maßnahmen einzubeziehen. tersterblichkeit und eine Fortsetzung der Initiative „Selbstbestimmte Familienplanung und Mütter- Die Gleichberechtigung von Frauen in einer Gesell- gesundheit“. Ich sage das aber ganz klar: Für Fort- schaft ist die Basis für eine freie Entscheidung über die schritte werden wir in Zukunft mehr Geld in die Hand Familienplanung. Generell gilt, dass sich Länder nehmen müssen. Wir müssen gemeinsam daran arbei- schneller und besser entwickeln, in denen Frauen ten, unser internationales Versprechen zu erfüllen, weitgehend gleichberechtigt sind. Wenn sexuelle und 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Mittel reproduktive Gesundheit und Rechte gewährleistet der Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Da- werden, ist das eine gewichtige Entwicklungschance und der Schlüssel dafür, die Mütter- und Kindersterb- von sind wir noch weit entfernt. Umso wichtiger ist es, lichkeit zu senken. Weil sexuelle und reproduktive dass künftige Spielräume im Haushalt vorrangig dafür genutzt werden, dass wir international wieder ein Vor- (B) Gesundheit und Rechte weltweit nicht ausreichend ge- (D) währt werden, gibt es 80 Millionen ungewollte bild werden und gegenüber unseren Partnern Verläss- Schwangerschaften und 20 Millionen unsichere Ab- lichkeit beweisen. treibungen im Jahr. Jeden Tag sterben junge Frauen Ich möchte mich noch ausdrücklich bei meinem bei unsicheren Abtreibungen. Jeden Tag werden Kollegen Frank Heinrich und der Union für die gute Kinder geboren, die nicht gewollt sind und nicht aus- Zusammenarbeit bei diesem Antrag bedanken. Mit reichend versorgt werden können. unserem Antrag stellen wir die Weichen, um insbeson- Zu den Millenniumsentwicklungszielen gehören so- dere Frauen und Frauenrechte weltweit zu stärken. wohl die Gleichstellung der Geschlechter als auch die Wir hoffen daher auf Zustimmung des ganzen Hauses bessere Gesundheitsversorgung für Mütter mit dem zu unserem Antrag. Das wäre ein gutes und wichtiges Zugang zu reproduktiver Gesundheit und mit der Sen- Signal. kung der Müttersterblichkeit. Ebenso ist die Bekämp- fung von HIV/Aids immer noch ein wichtiger Punkt auf Niema Movassat (DIE LINKE): der Agenda. Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte sind der Motor, um diese Millenniumsziele zu In Diskussionen über das Thema Weltbevölkerung erreichen. Und deswegen fordern wir mit unserem werden fast immer drastische Szenarien ausgepackt. Antrag, dass sich die Bundesregierung im Rahmen der Von der Gefahr einer Überbevölkerung ist dann die Post-2015-Agenda weiterhin für Geschlechtergerech- Rede und davon, dass uns das begrenzte Ökosystem tigkeit und Gesundheit als eigenständige Ziele mit den Erde um die Ohren fliegen würde. Dahinter steckt oft jeweiligen Unterzielen zu sexueller und reproduktiver Panikmache. Schaut man sich die Fakten an, ergibt Gesundheit und der Wahrung reproduktiver Rechte sich ein anderes Bild. Die Vereinten Nationen rechnen einsetzt. Ich halte das für ganz entscheidende Punkte, heute mit drei verschiedenen Szenarien für die demo- denn Frauenrechte sind ein Entwicklungsmotor. grafische Entwicklung der Weltbevölkerung. Dabei ist für uns klar, dass sexuelle und repro- Im hohen Szenario steigt die Weltbevölkerung von duktive Gesundheit und Rechte eng mit den Men- heute 7 Milliarden bis ins Jahr 2300 auf 36 Milliarden schenrechten verknüpft sind. Wir fordern daher ei- Menschen an. Das wäre eine Katastrophe. Auf dem nen diskriminierungsfreien Zugang für die gesamte Weg dahin würde es tatsächlich zum ökologischen Kol- Bevölkerung, also unabhängig von Geschlecht, Alter, laps kommen. Dieses Szenario ist aber extrem unwahr- Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Behinderung, scheinlich.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4297

Niema Movassat (A) Im mittleren Szenario wächst die Weltbevölkerung Wie kann man die Diskriminierung von Frauen und (C) auf 9 Milliarden. Das klingt auch nach viel. Aber Mädchen so plakativ als quasi absolutes Grundübel schon heute produzieren wir genügend Lebensmittel „nachdrücklich verurteilen“, aber gleichzeitig die ab- für 12 Milliarden Menschen. 9 Milliarden sind also re- solutistische saudische Herrscherfamilie zu seinen en- lativ unproblematisch, wenn die Ressourcen global ge- gen Verbündeten zählen und ihre Herrschaft gar mit rechter verteilt würden und man davon ausgeht, dass Waffenlieferungen stützen? In diesem Land und ebenso wir uns in puncto Nachhaltigkeit noch wesentlich ver- bei anderen guten Partnern der deutschen Außenpoli- bessern können. tik ist die absolute Rechtlosigkeit der Frau Staatsreli- gion. Deshalb war es auch schon pure Augenwische- Im unteren Szenario schrumpft die Weltbevölkerung rei, als die Bundesregierung erklärte, sie führe am sogar auf 2,3 Milliarden Menschen. Hindukusch einen Krieg zur Verteidigung der Frauen- und Mädchenrechte. Früher wie heute gilt: Solange Die Geburtenrate, um eine gleichbleibende Bevöl- die Bundesregierung nicht ihre verlogene Doppelmo- kerungszahl zu gewährleisten, liegt statistisch bei ral endlich beendet, bleiben ihre Proklamationen der 2,1 Kindern pro Frau. Schon heute lebt aber die Hälfte Frauenrechte nur hohle Floskeln. der Weltbevölkerung in Ländern, die eine niedrigere Geburtenrate haben. Das gilt heute für alle europäi- Der vorliegende Antrag thematisiert leider auch mit schen Staaten ebenso wie für die bevölkerungsreichen keiner Silbe die für mich entscheidende Rolle der Ar- Schwellenländer China und Brasilien. Die Geburten- mut für die Bevölkerungsentwicklung. Wer Armut nicht rate aller sogenannten entwickelten Staaten liegt so- zulässt, braucht sich auch um eine angebliche Bevöl- gar im Schnitt bei nur 1,6 Kindern pro Frau und wäre kerungsexplosion keine Gedanken zu machen. Sobald somit auf Dauer sogar existenzbedrohend. Wenn also das Einkommensniveau ein bestimmtes Maß erreicht heute schon in dem einen Teil der Welt zu wenige Men- hat, sinkt die Geburtenrate automatisch. In Brasi- schen auf die Welt kommen, in anderen Teilen aber zu lien ist die Zahl der Kinder je Frau in den vergangenen viele – was ist logischer, als die Unterschiede durch 30 Jahren von 4,3 auf 1,9 gesunken, in der Türkei von gezielte und wohlgesteuerte Migrationsbewegungen 4,2 auf 2,0, in Extremfällen wie dem Iran sogar von auszugleichen? 7 auf 1,8. Armutsbekämpfung ist deshalb das sicherste Verhütungsmittel. Wenn wir endlich aufhören, Ländern Auch Deutschland wird ohne Einwanderung defini- des globalen Südens Freihandelsabkommen und Roh- tiv drastisch schrumpfen. Doch statt aus dieser Tat- stoffpartnerschaften nur zu unserem eigenen Nutzen sache eine Win-win-Situation zu machen, die demo- aufzudrücken, wenn wir endlich die Politik beenden, (B) grafischen Defizite auszugleichen und gleichzeitig die das Wohl der deutschen Privatwirtschaft an erste (D) Menschen aus dem globalen Süden eine Chance auf Stelle stellt, können sich die Länder des globalen ein menschenwürdiges Leben zu eröffnen, machen Südens endlich wirtschaftlich entwickeln. Regional zu Bundesregierung und EU die Grenzen dicht. Die hohes Bevölkerungswachstum würde sich automatisch europäische Flüchtlingspolitik verweigert sich jeder regulieren. Realität. Sie ist dumm, kurzsichtig und menschenver- achtend. Sie alle, liebe Mitglieder der Regierungs- Gänzlich absurd wird es, wenn die CDU/CSU- und koalition, sind dafür zu einem erheblichen Maß mitver- SPD-Fraktion die Bundesregierung auffordern, darauf antwortlich. Jetzt wollen Sie sogar noch das restriktive hinzuwirken, dass die EU-Staaten ihren finanziellen deutsche Asylrecht weiter verschärfen. Beitrag im Sinne des Kairoer Aktionsprogramms aufrechterhalten sowie weiter an der Umsetzung des Hören Sie endlich auf, die Festung Europa weiter 0,7-Prozent-Ziels zu arbeiten. Die Bilanz der Bundes- auszubauen. Hören Sie endlich damit auf, die Men- regierung aus CDU/CSU/SPD fällt in allen genannten schen im Mittelmeer ersaufen zu lassen, hören Sie end- Bereichen vernichtend aus. lich damit auf, Menschen, sogar Minderjährige, in La- gern einzusperren, nur weil sie sich auf die Suche nach Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Entwick- einem besseren Leben gemacht haben. Machen Sie lungsbudget insgesamt liegt etwa die Hälfte unter dem, endlich die Grenzen auf für eine humane Bevölke- was als internationaler Standard gilt. Auch die Ausga- rungsbewegung, die zu unser aller Vorteil ist. ben für Grundbildung sind trotz großer Ankündigun- gen viel zu gering. Mit 0,38 Prozent ODA-Quote liegt Der grundlegenden Stoßrichtung des Koalitionsan- Deutschland als stärkste Wirtschaftsnation Europas trags, 20 Jahre nach der Kairoer Weltbevölkerungs- sogar insgesamt unter dem Durchschnitt der EU. Die konferenz deren Grundlagen zu bekräftigen, stimmen Bundesrepublik ist international ein denkbar schlech- wir zu. Sexuelle und reproduktive Gesundheit und tes Beispiel, wenn es um das tatsächliche internatio- Rechte sind zentrale Menschenrechte. Alle Menschen nale Engagement für sexuelle und reproduktive Ge- müssen ihre Sexualität risikofrei leben können. Die sundheit und Rechte jenseits von wohlklingenden Linke begrüßt, dass sich die Koalitionsfraktionen so Anträgen geht. einmütig und deutlich dazu bekennen. Doch schreit die Diskrepanz zwischen den schönen Worten und der rea- Weil der Antrag alle diese Probleme nicht anspricht len Politik von CDU/CSU und SPD geradezu zum und auch nicht darauf gerichtet ist, die Widersprüch- Himmel. lichkeit von Wort und Tat zu beenden, können wir als

Zu Protokoll gegebene Reden 4298 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

Niema Movassat (A) Linke dem Antrag nicht zustimmen und werden uns Liebe Kollegen und Kolleginnen von CDU/CSU und (C) enthalten. SPD, ich begrüße es außerordentlich, dass Sie das Thema hier und heute haben aufsetzen lassen; mehr als eine Protokollrede hätte ich mir allerdings schon Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gewünscht. Die Verwirklichung der Rechte von Mäd- Zwei minderjährige Mädchen werden in Indien bru- chen und Frauen darf 20 Jahre nach Kairo nicht aus tal vergewaltigt und am Baum erhängt. Ein Mädchen dem Fokus geraten. Gerade in Bezug auf die kom- wird in Pakistan auf dem Weg zur Schule niederge- mende Agenda von Nachhaltigkeitszielen, der SDGs, schossen. Gewalt gegen Frauen ist keine traurige Aus- dürfen wir die Erfolge der letzten Jahre nicht verges- nahme, sondern weltweiter Alltag. Auch Armut trägt sen. Genau deshalb hätte ich mich gefreut, wenn Sie ein weibliches Gesicht. 70 Prozent der Allerärmsten Ihr Dogma der Farbenlehre über Bord geworfen hät- sind Frauen. Mädchen erfahren Diskriminierung und ten und uns alle an einen Tisch geholt hätten, nicht nur Ausgrenzung aufgrund ihres Geschlechtes – und dies die Grünen, sondern auch die Fraktion Die Linke. Las- sogar schon häufig vor der Geburt. 100 Millionen sen Sie uns endlich über Inhalte sprechen statt ideolo- weibliche Föten wurden laut den Vereinten Nationen gische Grabenkämpfe bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag abgetrieben. zu führen. Die strukturelle Benachteiligung von Mädchen und Ihr Antrag enthält viele gute und wichtige Forde- Frauen ist gleichzeitig Ausdruck verwehrter Rechte. rungen, die wir natürlich auch unterstützen. Bauch- Gerade deshalb war auch die Weltbevölkerungskonfe- schmerzen habe ich trotzdem mit Ihrem Antrag: Er ist renz in Kairo 1994 ein Meilenstein für die Rechte von nicht ganz glaubwürdig. Aufklärungsprogramme zur Frauen und gleichzeitig auch ein entwicklungspoliti- sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte, scher Durchbruch. Das Aktionsprogramm von Kairo Mütter- und Kindergesundheit, Bildung und all die an- machte den entscheidenden Unterschied, dass es nicht deren Forderungen gibt es nicht umsonst. Glaubwür- nur um die sogenannte sexuelle und reproduktive Ge- digkeit fängt aber auch bei der Finanzierung an. Ohne sundheit an sich geht, sondern in diesem Zusammen- zusätzliche Mittel bleiben Ihre Forderungen und insbe- hang vor allem auch um das Recht auf Selbstbestim- sondere das 0,7-Prozent-Ziel ein reines Lippenbe- mung. Denn Frauen müssen selbst bestimmen können, kenntnis. wann für sie und ihre Familien der richtige Zeitpunkt Bauchschmerzen habe ich auch noch mit einem an- ist, ein Kind zu bekommen. Nur so haben junge Frauen deren Punkt: Sie definieren den Begriff der sexuellen eine Chance, Schule und Ausbildung abzuschließen, und reproduktiven Gesundheit und Rechte als repro- (B) (D) und die Möglichkeit, einen Beruf auszuüben. Frauen duktive Rechte einerseits und sexuelle und reproduk- sind die zentralen Trägerinnen für Entwicklung. Auch tive Gesundheit andererseits. Es geht hier aber auch deshalb gehört Geschlechtergerechtigkeit in den Fo- um die sexuellen Rechte. Die sexuelle Selbstbestim- kus der Entwicklungspolitik. mung ist ein zentrales Recht, welches weltweit immer wieder missachtet wird. Wir müssen hier und weltweit Wenn wir von der Weltbevölkerungskonferenz in dafür kämpfen, dass alle Menschen frei von Zwang und Kairo sprechen, dann sprechen wir auch von sieben Diskriminierung ihre Sexualität leben dürfen. Milliarden Menschen auf dieser Welt. Dabei geht es nicht um die Zahl, sondern vor allem darum, wie wir Ihre Definition der sexuellen und reproduktiven Ge- mit den Ressourcen der Welt umgehen und wie diese sundheit und Rechte greift leider viel zu kurz, auch im verteilt sind. Fast eine Milliarde Menschen hungern Zusammenhang mit der sensiblen Frage zum Thema weltweit. Das ist ein Skandal. Auch bleibt fast einer Schwangerschaftsabbruch. Wir werden uns auch des- Milliarde Menschen der Zugang zu sauberem Wasser halb bei dem Antrag enthalten. verwehrt. Jährlich sterben 1,5 Millionen Menschen an den Folgen von verunreinigtem Wasser. Gerade Was- Vizepräsidentin Petra Pau: ser ist beispielhaft für die Verschwendung und Über- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag nutzung knapper Ressourcen. Wir brauchen endlich der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa- ein Umdenken, wir brauchen eine sozial-ökologische che 18/1958. Mir liegt eine Erklärung gemäß § 31 der Transformation. Nur so können wir alle gemeinsam in Geschäftsordnung vor. Diese nehmen wir entsprechend der „Einen Welt“ leben und eine gerechte und friedli- unseren Regeln zu Protokoll.1) Wer stimmt für diesen che Zukunft formulieren. Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der Die weltweit alarmierenden Armuts- und Hunger- CDU/CSU und der SPD bei Enthaltung der Fraktion Die zahlen zeigen aber auch eins: Das Credo der letzten Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- Jahre, Armut allein mit Wirtschaftswachstum bekämp- nommen. fen zu wollen, hat sich selbst ad absurdum geführt. Trotz enormer Wachstumszahlen wie etwa in Afrika hat Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit bei sich die Armut erhöht. Ohne Umverteilung und sozia- den letzten zehn Tagesordnungspunkten. len Ausgleich ist kein menschwürdiges Leben für sie- ben Milliarden Menschen möglich. 1) Anlage 15 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4299

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles (C) ordnung. Gute für den Rest des Tages. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- (Gustav Herzog [SPD]: Vielen Dank, Frau destages auf morgen, Freitag, den 4. Juli 2014, 9 Uhr, Präsidentin! Er ist ja auch noch so lang, der ein. Tag!) (Schluss: 23.31 Uhr)

(B) (D)

Anlagen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4301

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Daniela Kolbe (Leipzig) (beide SPD) zur na- entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich mentlichen Abstimmung über den Änderungs- antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), Alpers, Agnes DIE LINKE 04.07.2014 Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Bätzing-Lichtenthäler, SPD 04.07.2014 Michael Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost Sabine und der Fraktion DIE LINKE zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 04.07.2014 Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarif- autonomiestärkungsgesetz) (Drucksache 18/2019) Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ 04.07.2014 (Tagesordnungspunkt 4 a) DIE GRÜNEN Die Einführung des einheitlichen gesetzlichen Min- destlohnes ist ein wichtiger und historischer Schritt, um Flisek, Christian SPD 04.07.2014 Niedriglöhne zu bekämpfen und die Ordnung am Ar- beitsmarkt wiederherzustellen. Flosbach, Klaus-Peter CDU/CSU 04.07.2014 Wir begrüßen es, dass während der Gesetzesberatun- gen vereinbart werden konnte, eine erste Anpassung des Freitag, Dagmar SPD 04.07.2014 Mindestlohns bereits zum Januar 2017 durch die Min- destlohnkommission durchzuführen. Das ist ein Jahr frü- Gabriel, Sigmar SPD 04.07.2014 her als ursprünglich vorgesehen. Die Mindestlohnkom- mission hat über die Anpassung bis zum 30. Juni 2016 Gohlke, Nicole DIE LINKE 04.07.2014 zu entscheiden. Wir haben in den Beratungen zudem die (B) Aufgaben der Mindestlohnkommission dahin gehend er- (D) Hartmann, Michael SPD 04.07.2014 weitert, dass es eine laufende Evaluation der Auswirkun- gen des Mindestlohns auf den Arbeitsmarkt gibt und Dr. Hirte, Heribert CDU/CSU 04.07.2014 eine erste Evaluation bereits zum 1. Juni 2016 erfolgen wird. Mit der Übernahme der Regelung des Arbeitneh- Irlstorfer, Erich CDU/CSU 04.07.2014 mer-Entsendegesetzes zur Haftung des Auftraggebers in § 13 Mindestlohngesetz, MiLoG, haben wir zudem eine Kühn (Tübingen), BÜNDNIS 90/ 04.07.2014 klare und verbindliche Haftungsregelung durchgesetzt. Christian DIE GRÜNEN Dies wird die Arbeit des Zolls erleichtern und gewähr- leistet die konsequente Durchsetzung des Mindestlohnes Maag, Karin CDU/CSU 04.07.2014 in allen Branchen. Mit der frühen Evaluation schaffen wir die Voraussetzung, dass regelmäßig auch die in § 22 Mortler, Marlene CDU/CSU 04.07.2014 MiLoG vorgesehenen Ausnahmen für einzelne Perso- nengruppen überprüft und geändert werden können. Mit den während der Beratungen ausgehandelten neuen Re- Reiche (Potsdam), CDU/CSU 04.07.2014 gelungen im Bereich der Praktikantinnen und Praktikan- Katherina ten beenden wir den Missbrauch von Praktika. Für frei- willige Praktika im Rahmen von Ausbildung und Rief, Josef CDU/CSU 04.07.2014 Studium mit einer maximalen Dauer von drei Monaten muss der Mindestlohn nicht gezahlt werden. Aber der Dr. Schröder, Ole CDU/CSU 04.07.2014 Mindestlohn gilt für alle Praktika, die darüber hinausge- hen oder nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung Werner, Katrin DIE LINKE 04.07.2014 bzw. einem abgeschlossenen Hochschulstudium geleis- tet werden. Dank der SPD ist die Zeit, in der Praktikan- Wicklein, Andrea SPD 04.07.2014 tinnen und Praktikanten trotz abgeschlossener Berufs- ausbildung ausgebeutet und ohne Vergütung beschäftigt Winkelmeier-Becker, CDU/CSU 04.07.2014 wurden, vorbei. Elisabeth Wir freuen uns, dass es der SPD-Fraktion und Bun- desministerin Andrea Nahles gemeinsam mit den Ge- Wolff (Wolmirstedt), SPD 04.07.2014 werkschaften gelungen ist, Branchenausnahmen zu ver- Waltraud hindern. Mit den Übergangsregelungen für einzelne 4302 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) Branchen geben wir diesen die Möglichkeit, schrittweise (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Susanna (C) Anpassungen vorzunehmen, um spätestens zum 1. Ja- Karawanskij, Thomas Lutze, Thomas Nord, nuar 2017 einen Mindestlohn von 8,50 Euro zu errei- Richard Pitterle, Michael Schlecht, Azize Tank, chen. Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE zu dem von der Bundesregierung eingebrach- Es ist uns zudem gelungen, die Ausnahmen im Be- ten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der reich der Langzeitarbeitslosen zugunsten dieser Perso- Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsge- nengruppe leicht zu entschärfen. Gerade diese Gruppe setz) (Drucksache 18/2019) (Tagesordnungs- ist am Arbeitsmarkt in einer schwachen Position, sodass punkt 4 a) sie eines besonderen Schutzes vor Ausbeutung bedarf. Sie können für sechs Monate nur dann vom Mindestlohn Die Einführung des einheitlichen gesetzlichen Min- ausgenommen werden, wenn sie in einem nicht tarifge- destlohnes ist ein wichtiger und historischer Schritt, um bundenen Betrieb arbeiten. In den letzten Verhandlungen Niedriglöhne zu bekämpfen und die Ordnung am Ar- konnte zudem erreicht werden, dass Langzeitarbeitslose beitsmarkt wiederherzustellen. nicht von Betrieb zu Betrieb weitergereicht werden kön- nen, indem wir § 18 SGB III dahin gehend geändert ha- Für mich von großer Bedeutung ist die gleichzeitige ben, dass Eingliederungsmaßnahmen im Sinne von § 45 Stärkung der Tarifautonomie. Mit der Streichung des 50- SGB III, die länger als sechs Wochen gehen, und ent- Prozent-Quorums für die Allgemeinverbindlicherklä- sprechend lange Erwerbstätigkeit die Arbeitslosigkeit rung von Tarifverträgen wird es angesichts niedriger Ta- unterbrechen. Eine Langzeitarbeitslose oder ein Lang- rifbindung möglich, die tarifliche Ordnung zu stützen zeitarbeitsloser gilt dann nicht mehr als solcher und und zu stärken. Durch die Ausweitung des Arbeitneh- muss bei einer neuen Beschäftigung nach Mindestlohn mer-Entsendegesetzes, AEntG, auf alle Branchen – bis- vergütet werden. Die Bundesregierung wurde des Weite- her gibt es nur in 14 Branchen Mindestlöhne nach dem ren verpflichtet, bereits zum 1. Juni 2016 einen Bericht AEntG – wird es möglich sein, Tarifverträge durch abzugeben, inwiefern die Ausnahmeregelung der Inte- Rechtsverordnung zugunsten inländischer und ausländi- gration in den Arbeitsmarkt diente. Gleichwohl bleibt scher Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf alle die Ausnahme für Langzeitarbeitslose für uns Sozialde- Branchen zu erstrecken. mokratinnen und Sozialdemokraten schmerzhaft. Ich begrüße es, dass während der Gesetzesberatungen Bedauerlicherweise gab es im Gesetzgebungsverfah- vereinbart werden konnte, eine erste Anpassung des ren keine Änderung bei den vorgesehenen Ausnahmen Mindestlohns bereits zum Januar 2017 durch die Min- in Bezug auf unter 18-Jährige, die keinen Anspruch auf destlohnkommission durchzuführen. Das ist ein Jahr frü- diesen Mindestlohn haben werden. Wir teilen nicht die her als ursprünglich vorgesehen. Die Mindestlohnkom- mission hat über die Anpassung bis zum 30. Juni 2016 (B) Einschätzung, dass jugendliche Arbeitnehmer und Ar- (D) beitnehmerinnen durch den Mindestlohn auf eine Aus- zu entscheiden. Wir haben in den Beratungen zudem die bildung verzichten würden. Die Schulabgängerinnen Aufgaben der Mindestlohnkommission dahin gehend er- und Schulabgänger in Deutschland sind sich der Stärken weitert, dass es eine laufende Evaluation der Auswirkun- des dualen Ausbildungssystems sehr wohl bewusst. Sie gen des Mindestlohnes auf den Arbeitsmarkt gibt und werden auch nach der Einführung eines Mindestlohns eine erste Evaluation bereits zum 1. Juni 2016 erfolgen zum übergroßen Teil eine Ausbildung oder ein Studium wird. Mit der Übernahme der Regelung des Arbeitneh- aufnehmen. Eine abgeschlossene Berufsausbildung mer-Entsendegesetzes zur Haftung des Auftraggebers in schafft Sicherheit, Anerkennung und Einkommensmög- § 13 Mindestlohngesetz, MiLoG, haben wir zudem eine lichkeiten weit jenseits der Niedrigeinkommen von klare und verbindliche Haftungsregelung durchgesetzt. 8,50 Euro Stundenlohn. Dies wird die Arbeit des Zolls erleichtern und gewähr- leistet die konsequente Durchsetzung des Mindestlohnes Die Verabschiedung des gesetzlichen, flächendecken- in allen Branchen. Mit der frühen Evaluation schaffen den Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro ist eine Ent- wir die Voraussetzung, dass regelmäßig auch die in § 22 scheidung von historischem Ausmaß. 3,7 Millionen Ar- MiLoG vorgesehenen Ausnahmen für einzelne Perso- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland nengruppen überprüft und geändert werden können. Mit werden davon profitieren. Mit Inkrafttreten zum den während der Beratungen ausgehandelten neuen Re- 1. Januar 2015 wird es in unserem Land wieder gerech- gelungen im Bereich der Praktikantinnen und Praktikan- ter zugehen. Im Rahmen der bis 2017 anstehenden Über- ten beenden wir den Missbrauch von Praktika. Für frei- prüfungen des Gesetzes werden wir uns weiterhin für die willige Praktika im Rahmen von Ausbildung und Korrektur der vorgesehenen Ausnahmen einsetzen. In- Studium mit einer maximalen Dauer von drei Monaten folgedessen lehnen wir den Änderungsantrag der Frak- muss der Mindestlohn nicht gezahlt werden. Aber der tion Die Linke ab. Mindestlohn gilt für alle Praktika, die darüber hinausge- hen oder nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung beziehungsweise einem abgeschlossenen Hochschulstu- Anlage 3 dium geleistet werden. Dank der SPD ist die Zeit, in der Praktikantinnen und Praktikanten trotz abgeschlossener Erklärung nach § 31 GO Berufsausbildung ausgebeutet und ohne Vergütung be- der Abgeordneten Cansel Kiziltepe (SPD) zur schäftigt wurden, vorbei. namentlichen Abstimmung über den Ände- Ich freue mich, dass es der SPD-Fraktion und Bun- rungsantrag der Abgeordneten Jutta desministerin Andrea Nahles gemeinsam mit den Ge- Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann werkschaften gelungen ist, Branchenausnahmen zu ver- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4303

(A) hindern. Mit den Übergangsregelungen für einzelne Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), (C) Branchen geben wir diesen die Möglichkeit, schrittweise Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, Anpassungen vorzunehmen, um spätestens zum 1. Ja- Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, nuar 2017 einen Mindestlohn von 8,50 Euro zu errei- Michael Schlecht, Azize Tank, Dr. Axel Troost chen. und der Fraktion DIE LINKE zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie Es ist uns zudem gelungen, die Ausnahmen im Be- reich der Langzeitarbeitslosen zugunsten dieser Perso- (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Drucksache nengruppe leicht zu entschärfen. Gerade diese Gruppe 18/2019) (Tagesordnungspunkt 4 a) ist am Arbeitsmarkt in einer schwachen Position, sodass In dieser Woche wird in 2. und 3. Lesung die Einfüh- sie eines besonderen Schutzes vor Ausbeutung bedarf. rung des flächendeckenden Mindestlohns beschlossen. Sie können für sechs Monate nur dann vom Mindestlohn Ab dem 1. Januar 2015 gilt ein Mindestlohn von ausgenommen werden, wenn sie in einem nicht tarifge- 8,50 Euro die Stunde. Abweichungen sind bis Ende bundenen Betrieb arbeiten. In den letzten Verhandlungen 2016 grundsätzlich nur möglich, wenn ein entsprechen- konnte zudem erreicht werden, dass Langzeitarbeitslose der Tarifvertrag dies vorsieht und dieser nach dem Ar- nicht von Betrieb zu Betrieb weitergereicht werden kön- beitnehmer-Entsendegesetz für allgemeinverbindlich er- nen, indem wir § 18 SGB III dahin gehend geändert ha- klärt wurde. Ab 1. Januar 2017 gilt der Mindestlohn ben, dass Eingliederungsmaßnahmen im Sinne von § 45 dann flächendeckend in ganz Deutschland für alle voll- SGB III, die länger als sechs Wochen gehen, und ent- sprechend lange Erwerbstätigkeit die Arbeitslosigkeit jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – und unterbrechen. Eine Langzeitarbeitslose oder ein Lang- zwar für alle Branchen. Es ist ein Erfolg, dass es nach zeitarbeitsloser gilt dann nicht mehr als solcher und jahrelangen Diskussionen endlich auch in Deutschland muss bei einer neuen Beschäftigung nach Mindestlohn den überfälligen Einstieg in den Mindestlohn gibt. vergütet werden. Die Bundesregierung wurde des Weite- Ich werde dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ren verpflichtet, bereits zum 1. Juni 2016 einen Bericht zustimmen, weil die Einführung des Mindestlohns ein abzugeben, inwiefern die Ausnahmeregelung der Inte- richtiger und überfälliger Schritt ist. Den Antrag der Lin- gration in den Arbeitsmarkt diente. Gleichwohl bleibt ken halte ich zwar auch für richtig, werde ihn aber leider die Ausnahme für Langzeitarbeitslose für uns Sozialde- ablehnen müssen, um das eigentliche Gesetz nicht zu ge- mokraten schmerzhaft. fährden. Auch wenn ich die geplanten Ausnahmen für Bedauerlicherweise gab es im Gesetzgebungsverfah- falsch halte, die Union würde ohne sie nicht für das Ge- ren keine Änderung bei den vorgesehenen Ausnahmen setz stimmen. Damit würde es den Mindestlohn nicht ge- in Bezug auf unter 18-Jährige, die keinen Anspruch auf ben. Deshalb bin ich bereit, den Preis zu zahlen – wenn- (B) diesen Mindestlohn haben werden. Ich teile nicht die gleich ich mich weiterhin dafür einsetzen werde, dass es (D) Einschätzung, dass jugendliche Arbeitnehmer und Ar- erstens nicht bei 8,50 Euro bleibt und zweitens die Aus- beitnehmerinnen durch den Mindestlohn auf eine Aus- nahmen abgebaut werden. bildung verzichten würden. Die Schulabgängerinnen und Schulabgänger in Deutschland sind sich der Stärken Gut finde ich, dass wir auch bei den Praktika weiter- des dualen Ausbildungssystems sehr wohl bewusst. Sie gekommen sind und Praktikantinnen und Praktikanten werden auch nach der Einführung eines Mindestlohns zumindest teilweise den Mindestlohn bekommen. zum übergroßen Teil eine Ausbildung oder ein Studium Grundsätzlich bin ich allerdings gegen Ausnahmen und aufnehmen. Eine abgeschlossene Berufsausbildung Einschränkungen beim Mindestlohn. Vor allem, dass der schafft Sicherheit, Anerkennung und Einkommensmög- Mindestlohn für Langzeitarbeitslose in den ersten sechs lichkeiten weit jenseits der Niedrigeinkommen von Monaten nach einer Neueinstellung nicht gilt, halte ich 8,50 Euro Stundenlohn. für problematisch. Wer solche Ausnahmen zulässt, ris- kiert Missbrauch. Der Mindestlohn soll vor Lohndum- Die Verabschiedung des gesetzlichen flächendecken- ping schützen; das muss auch für Langzeitarbeitslose den Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro ist eine Ent- gelten. Menschen, die länger als ein Jahr ohne Job sind, scheidung von historischem Ausmaß. 3,7 Millionen Ar- müssen damit weiterhin befristet für weniger als beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland 8,50 Euro pro Stunde arbeiten. Ich befürchte, dass Un- werden davon profitieren. Mit Inkrafttreten zum 1. Ja- ternehmen Langzeitarbeitslose als „Niedriglöhner“ nut- nuar 2015 wird es in unserem Land wieder gerechter zu- zen könnten und dann nach fünf Monaten wieder entlas- gehen. Im Rahmen der bis 2017 anstehenden Überprü- fungen des Gesetzes werde ich mich weiterhin für die sen. Sicher gibt es für jede Ausnahme Argumente. Ich Korrektur der vorgesehenen Ausnahmen einsetzen. In- bin froh, dass die Ministerin und die SPD viele weitere folgedessen lehne ich den Änderungsantrag der Fraktion einschränkende Vorschläge der Union abgewehrt haben Die Linke ab. und so kein Flickenteppich entsteht. Dennoch, immerhin gilt nun für etwa 2 Millionen Langzeitarbeitslose im Bund und etwa 31 300 Langzeitarbeitslose in Dortmund Anlage 4 der Mindestlohn nicht, sollten sie einen Job finden. Erklärung nach § 31 GO Auch die Ausnahmen bei den Zeitungszustellerinnen und -zustellern, bei den Saisonkräften in der Landwirt- des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zu den schaft, bei den Erntehelferinnen und -helfern sowie den namentlichen Abstimmungen über: Änderungs- Praktikantinnen und Praktikanten sind nicht notwendig antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, und nur ein Zugeständnis an die CDU/CSU und unter 4304 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) anderem an die Zeitungsverlage. Dies trifft die Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und (C) Schwächsten. Hier müssen wir auf eine Überprüfung po- für Langzeitarbeitslose. chen und die Möglichkeit bekommen, diese Ausnahmen Folgende unserer Forderungen konnten leider nicht zurückzunehmen. umgesetzt werden: Ich hoffe sehr, dass zum Mindestlohn im Bundestag Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Si- noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Ich werde cherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Ar- mich jedenfalls weiterhin für einen flächendeckenden beitnehmer-Entsendegesetzes; wir erwarteten bei der Mindestlohn ohne Ausnahmen stark machen. Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifver- träge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages aner- Anlage 5 kannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Erklärung nach § 31 GO Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche der Abgeordneten Heike Brehmer, Manfred setzen; wir forderten, dass die Bereitschaft junger Men- Grund, Frank Heinrich (Chemnitz), Jörg schen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbil- Hellmuth, Matthias Lietz, Eckhardt Rehberg, dung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, in- Dr. Klaus-Peter Schulze, Tino Sorge, Carola dem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich Stauche, Dieter Stier, Arnold Vaatz, Volkmar attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingun- Vogel (Kleinsaara) und Kees de Vries (alle gen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres über den von der Bundesregierung eingebrach- 25. Lebensjahres wie in anderen EU-Ländern nicht vom ten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Mindestlohn erfasst werden. Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsge- setz) (Tagesordnungspunkt 4 a) Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, Wir stehen zum Koalitionsvertrag und stimmen dem muss sich in der Praxis noch zeigen. Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die unter erheblichen Bedenken, zu. Wir gönnen den Be- Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Morato- schäftigten, die von der Einführung des flächendecken- rium, das eine Abweichung und Heranführung an den den gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden, die- gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 sen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße. Wir (B) vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur (D) sehen jedoch die Gefahr, dass die Einführung des flä- Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser chendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu massiven massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Ta- Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen könnte. rifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie Nach Informationen, die uns von sehr vielen ostdeut- stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe schen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwi- lohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten ckelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Ar- Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor be- beitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die stehen erhebliche strukturelle ökonomische Unter- Produktivität der Arbeitnehmer überforderten. schiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion Trotz dieser offenen Fragen halten wir das Gesetz für und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Ar- sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die beitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber auf- Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeut- grund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes- schen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der regierung zeigen, erwarten wir sofortiges Handeln. abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Pro- zent. Es scheint uns nicht ausgeschlossen, dass sich Anlage 6 infolge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steige- Erklärungen nach § 31 GO rungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an zur namentlichen Abstimmung über den von sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei- Andererseits erkennen wir an, dass einigen unserer nes Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie Forderungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den (Tarifautonomiestärkungsgesetz) (Tagesord- Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Bei- nungspunkt 4 a) spiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unver- Günter Baumann (CDU/CSU): Ich stehe zum Ko- hältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauf- alitionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der tragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunterneh- Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Beden- mer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom ken, zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Ein- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4305

(A) führung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- hältnisse mit jungen Menschen zumindest bis zur (C) lohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in anderen Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Ge- EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. fahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzli- chen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich- Ostdeutschland führen könnte. keitserklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeut- schen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Morato- lohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten rium, das eine Abweichung und Heranführung an den Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor be- gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 stehen erhebliche strukturelle ökonomische Unter- vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur schiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Ta- sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die rifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeut- stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe schen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwi- betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Pro- ckelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Ar- zent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich in- beitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die folge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über Produktivität der Arbeitnehmer überforderte. dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steige- Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für rungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Ar- sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. beitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber auf- Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner For- grund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes- derungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den regierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Bei- spiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Veronika Bellmann (CDU/CSU): Neben der Ein- Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unver- führung der doppelten Staatsbürgerschaft und der Rente hältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauf- mit 63 sehe ich in der Einführung des einheitlichen ge- tragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunterneh- (B) setzlichen flächendeckenden – allgemeinen – Mindest- (D) mer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom lohns einen ordnungspolitischen Verstoß gegen die Re- Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und geln der sozialen Marktwirtschaft. Dieser liegt allerdings für Langzeitarbeitslose. schon im Koalitionsvertrag begründet, der an diesen Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht Stellen schlecht verhandelt wurde und ganz und gar umgesetzt werden: nicht dem Wahlergebnis entspricht. Die Menschen haben die Union wegen ihres Wahlprogrammes, unter anderem – Ermöglichung von Stücklohnvereinbarungen in den auch ihrer Vorschläge für einen branchen- und regional Fällen, in denen der am Monatsende ausbezahlte differenzierten Mindestlohn gewählt. Lohn bei „Normalleistung“ den gesetzlich vorgegebe- nen Mindestlohn erreicht Meine seinerzeitige grundsätzliche Zustimmung zum Koalitionsvertrag hieß deshalb auch nicht, dass ich nicht – Einführung von Übergangsfristen bis zum 31. De- Teilen daraus weiterhin kritisch gegenüberstehe und dies zember 2016 mit dem Ziel, eigene Tarifverträge zu in meinem Abstimmungsverhalten zum Ausdruck bringe, vereinbaren, die eine stufenweise Heranführung an falls nicht im konkreten Gesetzgebungsverfahren grund- den gesetzlichen Mindestlohn beinhalten; legende Mängel behoben wurden. Dass das in diesem – Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Si- Gesetz an einigen Stellen, insbesondere durch die Fach- cherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des politiker der Union, erfolgt ist, will ich gerne anerken- Arbeitnehmer-Entsendegesetzes: Ich erwartete bei der nen. Auch deshalb werde ich nicht, wie ursprünglich Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarif- angekündigt, mit Ablehnung, sondern mit Enthaltung verträge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner votieren. Nur dieses differenzierte Abstimmungsverhal- auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages ten kann ich als Vorstandsmitglied der Mittelstandsverei- anerkannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 nigung Mittelsachsens verantworten. gültig bleiben; Ich bin ein Anhänger des Mindestlohnes, und ich – Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche weiß, dass die Menschen zu Recht eine gerechte Entloh- setzen: Ich forderte, dass die Bereitschaft junger Men- nung erwarten. Ich gönne den Beschäftigten, die davon schen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsaus- profitieren, ihre hart erarbeiteten Lohnzuwächse in vol- bildung aufzunehmen, nicht konterkariert werden lem Maße. Meine Anhängerschaft gilt aber regional- und darf, indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeint- branchenbezogenen differenzierten Mindestlöhnen, durch lich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbe- die negative Beschäftigungseffekte von Mindestlohnver- dingungen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsver- einbarungen vermieden werden, die außerdem nicht weg 4306 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) von Produktivität, Wertschöpfung und der Positionie- nur mit einem Tarifvertrag vom Mindestlohn abgewi- (C) rung auf den jeweiligen Dienstleistungs- und Produkt- chen werden kann. märkten staatlich pauschal verordnet werden. Meine Mindestlohnanhängerschaft gilt der Tarifautonomie und Es hätte mit Sicherheit nicht eines allgemeinen Min- der Koalitionsfreiheit, Tarifgemeinschaften zu bilden destlohns bedurft, um im Hochlohnland Deutschland und in ihnen Lohnuntergrenzen festzulegen. Das vorlie- diejenigen Unternehmen, die auf Kosten ihrer Mitarbei- gende „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“ kann ter ihre Profitgier ausleben, einzufangen. diesen Anspruch nur unzureichend erfüllen. Auch die ostdeutsche Wirtschaft besteht nicht nur aus Schmutzkonkurrenz mit Hungerlöhnen. Die arbeits- Außerdem befürchte ich, dass durch einen allgemei- marktpolitischen Erfolge gingen nur zeitweise einher mit nen Mindestlohn insbesondere im Osten Arbeitsplätze, dem Anstieg des Niedriglohnsektors. Der Trend ist seit vor allem die von Geringqualifizierten, vernichtet wer- einigen Jahren gestoppt. Die Zahl der Beschäftigten, die den, weil Lohnkostensteigerungen zu 30 Prozent für so 2011/2012 weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen, manchen Kleinunternehmer oder Handwerker, die bisher ist um eine halbe Million zurückgegangen. Ursache ist auch für einfache Tätigkeiten Menschen statt Maschinen die Tariflohndynamik, die seit 2008 an Fahrt aufgenom- beschäftigt haben, nicht verkraftbar sind. Es sind ja nicht men hat und die sich bis dahin noch an der Produktivi- nur die 8,50 Euro pro Stunde pro Arbeitnehmer, es ist ja tätsentwicklung orientiert hat. Der Fachkräftemangel auch die Verkürzung des Lohnabstandes zu den Fach- und die demografische Situation kurbeln die Lohnsteige- kräften, die angepasst werden muss, um der höheren rung zusätzlich an. Viele KMU im Osten leisten für ihre Qualifikation Rechnung zu tragen und den Abstand zu Mitarbeiter inzwischen auch Sonderzahlungen und ver- den unteren Lohngruppen wiederherzustellen. Der allge- suchen, betriebliche Altersversorgungssysteme aufzu- meine Mindestlohn vermindert die Entgeltunterschiede bauen, um ihre Mitarbeiter zu halten bzw. Fachkräfte an- im Betrieb, wenn etwa eine Spülerin in der Restaurant- zuwerben. Das alles passiert oftmals in kleinen Schritten küche genauso viel bekommt, wie eine qualifizierte Ser- entsprechend der wirtschaftlichen Leistungskraft. Diese vicekraft im Gastraum. Dieser so entstehende „Fahr- Entwicklung wird durch das Aufdiktieren eines allge- stuhleffekt“ in den Personalkosten wird die kleinen und meinen Mindestlohnes für viele ostdeutsche Unterneh- mittleren Unternehmen überfordern, was dort, wo es men empfindlich gestört, vor allem in den Branchen, in möglich ist, zu Betriebsverlagerung ins kostengünstigere denen die Lohnsteigerung nicht über höhere Preise auf Ausland, zum Wegfall von Arbeitsplätzen oder gar zu Kunden abgewälzt werden kann. Im Übrigen dürfte das Betriebsaufgaben führen kann. Das bedeutet Abbau von allgemeine Preisniveau ohnehin steigen, ebenso die Einkommen, Wachstum, Wohlstand und Vielfalt in der Steuerpflicht, sodass der allgemeine Mindestlohn für (B) nach der Wiedervereinigung mühselig aufgebauten Wirt- viele der erwarteten vier Millionen Mindestlohnempfän- (D) schaftsstruktur, und zwar zugunsten der großen und zu- ger ein Nullsummenspiel werden dürfte. lasten der kleinen Unternehmereinheiten. Da helfen auch kaum die Ausnahmen für Praktikanten, Langzeitarbeits- Grundsätzlich führt ein Mindestlohn – wie jeder Min- lose, Saisonarbeiter oder die zweijährige Übergangszeit, destpreis, der über dem Marktpreis liegt – zu einer gerin- falls bundesweite Tarifverträge vorliegen, die für allge- geren Nachfrage, also weniger Arbeit. So trifft der Min- destlohn Arbeitsplätze, die bisher aus guten Gründen meingültig erklärt wurden. geringer entlohnt werden, entweder wegen fehlender Dieses Gesetz beinhaltet das, was nicht sein sollte – Zahlungsbereitschaft der Kunden oder auch mangelnder einen politischen Mindestlohn. Das zeigt die Ausnahme- Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer. Einige Beschäf- regelung für die Zeitungszusteller, die darüber hinaus tigte werden künftig tatsächlich mehr Lohn erhalten, noch prinzipienlos ist. Übergangszeiten bis 2017 sollte wenn Kunden mehr zahlen oder der Arbeitgeber auf Ein- nur bekommen, wer einen oben genannten bundesweiten kommen verzichtet. Dort, wo das nicht geht, wird der Tarifvertrag abgeschlossen hat. Die Zeitungsverlage, üb- Arbeitsplatz verschwinden. Auch die Ausnahmen für rigens ganz überwiegend mit SPD-Beteiligung in Ihren Langzeitarbeitslose, Saisonkräfte, Erntehelfer, Prakti- Eigentümerstrukturen, sträuben sich aber gegen den Ab- kanten oder Zeitungszusteller oder die vorgesehene Min- schluss eines Tarifvertrages – welche Ironie. Zum „Dank“ destlohn-Kommission ändern nichts an der grundsätzlich bekommen sie eine außertarifliche stufenweise Über- falschen Richtung einer ausschließlich staatlichen Lohn- gangslösung geschenkt. Die Begründung, die grundge- festsetzung. Wir haben unsere Wirtschaft und die unter setzlich verbürgte Pressefreiheit müsse durch Zustellung Sozialpartnern autonom vereinbarten Mindestlöhne sta- bilisiert. Wo das nicht gelingt, greift das Arbeitslosen- von Zeitungen, Zeitschriften am Erscheinungstag ge- geld II als Grundsicherung – kein Mindestlohn, aber ein schützt werden, ist meines Erachtens fragwürdig. Denn Mindesteinkommen. höherrangig ist das Grundgesetz hinsichtlich der Gleich- behandlung: Wenn Zeitungsvertriebe ihren Zustellern Viele mögen über die „Aufstocker“ klagen, die Lohn die 8,50 Euro erst mit zeitlicher Verzögerung zahlen von Arbeitgeber und Jobcenter erhalten. Daran wird al- müssen und dann auch noch ohne die Vorgabe eines Ta- lerdings auch der Mindestlohn nicht viel ändern. Der Zu- rifvertrages, fragen sich Arbeitgeber im Gastgewerbe, verdienst kann eine Brücke in die Beschäftigung bauen – im Handel oder anderen Gewerken, wie beim Floristen ein allgemeiner Mindestlohn bricht Brücken ab und ge- um die Ecke, zu Recht, warum sie das nicht dürfen. Zu- fährdet Beschäftigung ausgerechnet für die schwächsten dem gab es einen Grundkonsens, Übergangsregeln nicht Glieder am Arbeitsmarkt. Nötig sind stattdessen staats- über das Jahr 2017 hinaus gelten zu lassen und dass eben ferne Lösungen, die sicherstellen, dass Tarifverträge Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4307

(A) nicht von Entscheidungen des Gesetzgebers oder einer denken, zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Ein- (C) Mindestlohn-Kommission verdrängt werden. Entschei- führung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns dungen der Kommission dürfen keine Präjudizien für profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzu- künftige Tarifverhandlungen setzen. Das vorliegende wachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass Gesetz schwächt und zerstört gewaltsam regionale Tarif- die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Min- strukturen, weshalb es den Namen „Tarifautonomiestär- destlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ost- kungsgesetz“ nicht verdient. deutschland führen könnte, und ich fürchte, dass der Ar- beitsplatzverlust sehr häufig ältere Arbeitnehmer aus Schwierig bleibt auch die Regelung für Jugendliche. dem unterem Lohnbereich mit geringen Lohnersatzleis- Für sie sollte der Mindestlohn nicht schon ab dem tungsansprüchen und schlechten Vermittlungschancen 18. Lebensjahr gelten, sondern erst nach abgeschlosse- am Arbeitsmarkt betreffen wird. ner Berufsausbildung oder einem akademischen Ab- schluss. Dies wäre notwendig gewesen, damit Jugendli- Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeut- che nicht Helferjobs für 8,50 Euro annehmen, statt eine schen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Berufsausbildung zu absolvieren, und sich späterhin in Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- den Reihen der Geringqualifizierten mit geringen Chan- lohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten cen am Arbeitsmarkt wiederzufinden. Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor bestehen erhebliche strukturelle ökonomische Unter- Mit der vorgesehenen Möglichkeit, Tarifverträge zu- schiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion künftig einfacher für allgemeinverbindlich zu erklären, und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem wird außerdem die Koalitionsfreiheit, sich zu Tarifge- sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die meinschaften zusammenzuschließen – positive Koali- Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeut- tionsfreiheit – oder eigene Standards zu setzen – negative schen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der Koalitionsfreiheit –, eingeschränkt. Allerdings ist auch abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung das eine der kritisch zu bewertenden Festlegungen des Koalitionsvertrages. Zukünftig kann die Bundesarbeits- betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Pro- ministerin einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich in- erklären, wenn ein sogenanntes „öffentliches Interesse“ folge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über besteht. Bisher ging das nur, wenn mindestens die Hälfte dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steige- der Arbeitnehmer einer Branche in tarifgebundenen Be- rungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an trieben arbeitete. Dadurch wurde verhindert, dass eine sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Minderheit einer Mehrheit ihren Tarifwillen aufzwingen Andererseits erkenne ich an, dass einigen Forderun- (B) konnte. Das entfällt zukünftig. Die gesetzliche Auswei- gen ostdeutscher CDU-Abgeordneter zur Ausgestaltung (D) tung von Tariflöhnen dürfte deshalb wiederum vor allem des Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung ge- kleinere bisher nicht tarifgebundene Firmen Ostdeutsch- tragen wurde, wie zum Beispiel: Eine rechtzeitige Eva- lands treffen, die sich zwar meist an einen Tarifvertrag luation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deut- „anlehnen“, aber beispielsweise bei den Arbeitszeiten ei- schen Arbeitsmarkt, keine unverhältnismäßige Haftung gene Wege gehen. Den kleinen Firmen wird es zukünftig aller Arbeitgeber für alle beauftragten Dienstleistungs- schwerfallen, ihre Interessen ausreichend durchzusetzen. unternehmen und Werkunternehmer sowie deren Subun- Nicht unerwähnt bleiben dürfen bei dem Mindest- ternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika lohngesetz deshalb auch der Erfüllungsaufwand von von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose. 9,6 Milliarden Euro und die umfangreichen bürokrati- Andere unserer Forderungen konnten leider nicht um- schen Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten, die gesetzt werden, wie ich erhofft hatte: der Wirtschaft auferlegt werden – selbst bei der derzeiti- gen guten Konjunkturlage muss diese Summe erst ein- Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Si- mal erwirtschaftet werden –, ganz zu schweigen von den cherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des steuerlichen Belastungen, die durch den Bürokratie- und Arbeitnehmer-Entsendegesetzes; ich erwartete bei der Kontrollaufwand beim Staat zu Buche schlagen. Laut Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifver- dem Vorsitzenden der Deutschen Zoll- und Finanzge- träge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf werkschaft, Dieter Dewes, werden mindestens 2 100 Stel- Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages aner- len erforderlich – 1 600 Stellen hat Bundesfinanzminis- kannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig ter Schäuble bereits zugesagt. Bei Arbeitskosten von bleiben. Unsere Forderung nach Altersstaffelung; wir rund 75 000 Euro je Mitarbeiter wären das zusätzliche sollten keinen Fehlanreiz für Jugendliche setzen, denn Personalkosten von circa 160 Millionen Euro im Jahr. die Bereitschaft junger Menschen mit Vermittlungs- Schätzungsweise steht die Hälfte der benötigten Zollbe- hemmnissen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, darf amten noch gar nicht auf dem Arbeitsmarkt zur Verfü- nicht konterkariert werden, indem der Anreiz geschaffen gung, weshalb auch noch Ausbildungskosten in Millio- wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu nenhöhe dazu kommen dürften. Mindestlohnbedingungen aufzunehmen, daher forderten wir, dass Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zu- Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Ich stehe zum mindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie Koalitionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung in anderen EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst der Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Be- werden. 4308 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich- ber für alle beauftragten Dienstleistungsuntemehmen (C) erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, und Werkuntemehmer sowie deren Subunternehmer, muss sich in der Praxis noch zeigen. Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose. Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Morato- Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht rium, das eine Abweichung und Heranführung an den umgesetzt werden: Keine Verdrängung bestehender Ta- gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 rifverträge – Sicherstellung der Weitergeltung auch au- vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur ßerhalb des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes; ich erwar- Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser tete bei der Mindestlohnregelung, dass bislang gültige massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Haustarifverträge als Tarifverträge repräsentativer Tarif- Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautono- partner auf Branchenebene im Sinne des Koalitionsver- mie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die ge- trages anerkannt werden und bis zum 31. Dezember ringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch 2016 gültig bleiben. keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern ent- wickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die setzen; ich forderte, dass die Bereitschaft junger Men- die Produktivität der Arbeitnehmer überforderte. schen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbil- dung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, in- Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für dem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Ar- attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingun- beitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber auf- gen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit grund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes- jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres regierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. 25. Lebensjahres wie in anderen EU- Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Klaus Brähmig (CDU/CSU): Ich stehe zum Koali- tionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich- Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Beden- erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, ken, zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Ein- muss sich in der Praxis noch zeigen. führung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- lohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Ge- Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Morato- (B) fahr dass die Einführung des flächendeckenden gesetzli- rium, das eine Abweichung und Heranführung an den (D) chen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 Ostdeutschland führen könnte. vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeut- massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Ta- schen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der rifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe lohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor be- Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwi- stehen erhebliche strukturelle ökonomische Unter- ckelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Ar- schiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion beitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem Produktivität der Arbeitnehmer überforderten. sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeut- Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für schen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Ar- abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung beitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber auf- betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Pro- grund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes- zent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich in- regierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln, wie es folge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über in der Beratung des Gesetzes nachweisbar vereinbart dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steige- wurde. rungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Ich stehe zum Ko- Persönlich bedauere ich es sehr, dass die ostdeutschen alitionsvertrag und hätte daher dem Gesetz zur Stärkung Ministerpräsidenten es verpasst haben, bereits in den der Tarifautonomie gern zugestimmt. Ich gönne den Be- Koalitionsverhandlungen eine Sonderregelung für Ost- schäftigten, die von der Einführung des flächendecken- deutschland zu verhandeln. Andererseits erkenne ich an, den gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden, die- dass einigen meiner Forderungen zur Ausgestaltung des sen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich Mindestlohns in den Verhandlungen Rechnung getragen sehe dabei jedoch auch die Gefahr, dass die Einführung wurde, wie zum Beispiel: rechtzeitige Evaluation zu den des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeits- massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland füh- markt, keine unverhältnismäßige Haftung aller Arbeitge- ren könnte. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4309

(A) Ich hätte das Gesetz für vertretbar gehalten, wenn schützen. Damit ist aber nichts über das Alter ausgesagt, (C) durch seine Inkraftsetzung weder negative Effekte auf das als angemessener Anknüpfungspunkt für eine Len- dem Arbeitsmarkt noch im Ausbildungssektor zu erwar- kung hin zur Aufnahme einer Ausbildung dienen kann. ten wären. Während eventuell negative Effekte auf den Arbeitsmarkt in der für 2017 vereinbarten Evaluation Die Festsetzung der Altersgrenze auf 25 Jahre wäre korrigiert und behoben werden können, gilt dies für den ein angemessener Kompromiss gewesen, wenn ich auch Fehlanreiz junger Menschen zur Aufnahme einer unge- weiterhin dazu stehe, dass ein mit dem Mindestlohn ver- lernten Beschäftigung zulasten einer beruflichen Ausbil- bundenes Anreizsystem für das Erreichen einer abge- dung nicht in gleicher Weise. schlossenen Erstausbildung der bessere Weg ist. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Die Einführung des Mindestlohns ab 18 Jahren für Ju- wird zur Altersgrenze mit 18 ausgeführt, dass typischer- gendliche ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist ein weise von jungen Menschen nach Abschluss der Sekun- solcher Fehlanreiz, der vor allem Jugendliche, die aus darstufe I wichtige Weichen für ihren späteren berufli- bildungsunerfahrenen Familien stammen, verleiten wird, chen Werdegang gestellt werden. Allerdings entspricht einen Anlernjob anzunehmen, statt eine berufliche Aus- es nicht der Lebenswirklichkeit, für die Typisierung auf bildung zu durchlaufen. Zwar verdienen sie zunächst eine Altersgrenze von 18 Jahren abzustellen. 2013 lag etwa das Doppelte wie Auszubildende. Auf ein Erwerbs- der durchschnittliche Ausbildungsbeginn bereits bei leben bezogen bekommen sie allerdings rund ein Drittel 20,1 Jahren – bei steigender Tendenz. Über die Hälfte weniger, und ihr Arbeitslosigkeitsrisiko ist um das Vier- der Auszubildenden war beim erfolgreichen Abschluss fache erhöht. Der durchschnittliche Ausbildungsanfän- der Ausbildung älter als 22 Jahre. Typischerweise wird ger ist knapp 20 Jahre alt. Drei Viertel der Jugendlichen, somit die Entscheidung über eine Berufsausbildung ak- die eine Ausbildung beginnen, sind 18 Jahre und älter. tuell wesentlich später getroffen als mit 18 Jahren. Insgesamt sind schon heute über 300 000 unter 25-Jäh- rige sozialversicherungspflichtig beschäftigt, die sich Auch wenn hinsichtlich der Ausnahmetatbestände für weder in Ausbildung befinden noch über eine abge- Praktikanten und Studenten an den Berufsakademien im schlossene Ausbildung verfügen. Es kann nicht in unse- vorliegenden Gesetz wesentliche Verbesserungen er- rem Interesse liegen, dass sich diese Zahl erhöht. reicht wurden, die ich durchaus anerkenne, ist hinsicht- lich der Aufhebung oder zumindest der Verschiebung Das Gesetz wird durch diese Fehlsteuerung die starke der Altersgrenze von 18 Jahren und einer damit einher- duale Ausbildungslandschaft in Deutschland über ein er- gehenden Vorbeugung gegenüber den genannten Fehl- trägliches Maß hinaus schwächen, und zwar langfristig anreizen ein für mich zentraler Punkt im Gesetz nicht ge- und voraussichtlich irreparabel. Dies ist nicht nur meine ändert worden. Ich kann daher dem Gesetz nicht persönliche Meinung, sondern wird ausdrücklich und (B) zustimmen. (D) einstimmig von den bildungspolitischen Sprechern der CDU/CSU-Landtagsfraktionen geteilt. Die von mir als zuständigem Berichterstatter der Fraktion formulierte Mark Hauptmann (CDU/CSU): Heute fand im Position der AG Bildung, die eine Anhebung der Alters- Deutschen Bundestag die Abstimmung zum Gesetzent- grenze für Jugendliche ohne Ausbildung im geplanten wurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautono- Mindestlohngesetz für unumgänglich hält bzw. fordert, mie statt. Als Mitglied der Regierungsfraktion stehe ich dass Mindestlohn eine Mindestqualifikation im Sinne zum Koalitionsvertrag, in dem der gesetzlich festge- einer beruflichen oder akademischen Ausbildung vo- schriebene Mindestlohn vereinbart ist, und stimme dem raussetzt, wurde am 4. April 2014 in einer gemeinsamen Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur Sitzung der AG Bildung der CDU/CSU-Bundestagsfrak- unter erheblichen Bedenken, zu. tion mit den bildungspolitischen Sprechern der CDU/ Persönlich habe ich für das Modell der Thüringer Mi- CSU-Landtagsfraktionen in einer gemeinsamen Erklä- nisterpräsidentin Christine Lieberknecht geworben, mit rung verabschiedet. Der Freistaat Sachsen forderte im dem Politiker bewusst auf eine gesetzliche Festschrei- Antrag 841. AS / TOP 5 / SN im Deutschen Bundesrat, bung des Mindestlohns verzichten sollten, um die De- die Altersgrenze für Menschen ohne abgeschlossene Be- batte über eine angemessene Höhe allein in die Hände rufsausbildung zumindest auf 25 Jahre anzuheben. Mit der Tarifpartner legen zu können. Die Festlegung der dieser Regelung, die einen Kompromiss darstellt, wäre Lohnhöhe durch die Tarifpartner hat sich in den vergan- es mir eher möglich gewesen, dem Gesetz zuzustimmen. genen Jahren für Deutschland bewährt. Die Regelung Leider wurde diesem Punkt nicht stattgegeben. zum Mindestlohn hingegen wird ihre Tragfähigkeit in Von vornherein wurde seitens der SPD signalisiert, den nächsten Jahren erst beweisen müssen. dass bei der Verschiebung der Altersgrenze oder der von Ich gönne den Beschäftigten, die von der Einführung mir in die Diskussion eingebrachten Forderung „Min- des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profi- destlohn braucht Mindestqualifikation“ keine Ge- tieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in sprächsbereitschaft besteht. Die Bezugnahme des Ge- vollem Maße. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass die Ein- setzentwurfs hinsichtlich der Altersgrenze von 18 Jahren führung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- nimmt fälschlicherweise Bezug auf das Jugendarbeits- lohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutsch- schutzgesetz. Diese Begründung ist irreführend, hat land führen könnte. doch dieses Gesetz eine völlig andere Schutzrichtung. So sollen die dort verankerten Beschäftigungsverbote Nach Informationen, die mir von sehr vielen Unter- Gesundheit und Leben der Jugendlichen bei der Arbeit nehmen zugegangen sind, stehen mit der Einführung des 4310 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeits- Lohnentwicklungen, die die Produktivität der Arbeitneh- (C) plätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Teilen mer überforderte. Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor beste- hen erhebliche strukturelle ökonomische Unterschiede Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Ar- Einkommen je Einwohner und je Beschäftigten sind in beitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber auf- den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Ar- grund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundesre- beitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeut- gierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. schen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung Uda Heller (CDU/CSU): Ich stehe zum Koalitions- betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Pro- vertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarif- zent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich in- autonomie, allerdings nur unter erheblichen Bedenken, folge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Einführung dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steige- des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns profi- rungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an tieren werden, diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. vollem Maße. Ich sehe jedoch die Gefahr dass die Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner For- Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- derungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den lohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutsch- Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Bei- land führen könnte. spiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unver- Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeut- hältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauf- schen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der tragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunterneh- Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- mer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom lohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor be- für Langzeitarbeitslose. stehen erhebliche strukturelle ökonomische Unter- schiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem umgesetzt werden: sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Si- Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeut- cherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Ar- schen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der (B) beitnehmerentsendegesetzes; ich erwartete bei der Min- abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung (D) destlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Pro- als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Bran- zent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich in- chenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt folge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steige- rungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. setzen; ich forderte, dass die Bereitschaft junger Men- schen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsaus- Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner bildung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, Forderungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den indem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich at- Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Bei- traktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingun- spiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des gen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unver- jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres hältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauf- 25. Lebensjahres wie in anderen EU-Ländern nicht vom tragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunterneh- Mindestlohn erfasst werden. mer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich- für Langzeitarbeitslose, Anrechnung von Kost und Logis erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, bei der Mindestlohnvergütung von Saisonarbeitern in muss sich in der Praxis noch zeigen. Hinzu kommt, dass der Landwirtschaft. auch das von CDU-Seite in die Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, das eine Abweichung Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht und Heranführung an den gesetzlichen Mindestlohn bis umgesetzt werden: zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makulatur machen. Ferner ist Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Si- zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in cherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Ar- die bisherige Form der Tarifautonomie tatsächlich beitnehmer-Entsendegesetzes: Ich erwartete bei der langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Ge- Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifver- setzestitel verheißt. Die geringe Tarifbindung in Ost- träge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf deutschland war historisch keine Folge von fehlenden Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages aner- Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der Sorge kannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes angesichts von bleiben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4311

(A) Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche lohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten (C) setzen: Ich forderte, dass die Bereitschaft junger Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Ge- Menschen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, nicht fahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzli- konterkariert werden darf, indem der Anreiz geschaffen chen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Ostdeutschland führen wird. Mindestlohnbedingungen aufzunehmen. Ich bin der Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeut- Auffassung, dass jeder Jugendliche nach seinem Schul- schen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der abschluss eine qualifizierte Berufsausbildung absolvie- Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- ren sollte. Das Durchschnittsalter bei Ausbildungsbe- lohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten ginn liegt in Deutschland bei 20,1 Jahren. Daher sollten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor be- Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumindest bis stehen erheblich strukturelle ökonomische Unterschiede zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in anderen zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Da- Einkommen je Einwohner und je Beschäftigten sind in rüber hinaus sollte der Mindestlohn auch an eine Min- den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die Ar- destanforderung wie eine Berufsausbildung geknüpft beitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeut- werden, um sich von gering qualifizierter Arbeit zu un- schen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der terscheiden und Anreize für eine abgeschlossene Berufs- abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung ausbildung zu schaffen. betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Pro- Ob die Neuregelung für eine allgemeinverbindliche zent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich in- Erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, folge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über muss sich in der Praxis noch zeigen. dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steige- rungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Morato- rium, das eine Abweichung und Heranführung an den Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner For- gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 derungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Bei- Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser spiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unver- Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautono- hältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauf- mie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die ge- tragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunterneh- mer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom (B) ringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch (D) keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern ent- Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und wickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen für Langzeitarbeitslose. Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht die Produktivität der Arbeitnehmer überforderten. umgesetzt werden: Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Si- vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem cherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Ar- Arbeitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber beitnehmer-Entsendegesetzes; ich erwartete bei der Min- aufgrund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bun- destlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge desregierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Bran- chenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt Robert Hochbaum (CDU/CSU): Ich spreche mich werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. für den Gesetzentwurf zum Mindestlohn aus. Mögliche Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche Ausnahmen lehne ich jedoch ab, da ich der Überzeugung setzen; ich forderte, dass die Bereitschaft junger Men- bin, dass eine Lohnuntergrenze allen Beschäftigten zu- schen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbil- gutekommen sollte. dung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, in- Ausnahmen zu bestimmten Personengruppen wie bei- dem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich spielsweise Praktikanten oder Zustellern führen lediglich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingun- dazu, dass Schlupflöcher – zumindest zeitweise – zur gen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit Umgehung der Regelungen genutzt werden. jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in anderen EU-Ländern nicht vom Dem Gesetzentwurf stimme ich zu, denn die Einfüh- Mindestlohn erfasst werden. rung eines Mindestlohnes war für mich schon immer ein wichtiges politisches Ziel. Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich- keitserklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, muss sich in der Praxis noch zeigen. Carsten Körber (CDU/CSU): Ich stehe zum Koali- tionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Beden- Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Morato- ken, zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Ein- rium, das eine Abweichung und Heranführung an den führung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 4312 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Begründung zur Abstimmung: (C) Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser Das vorliegende „Gesetz zur Stärkung der Tarifauto- massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Ta- nomie“ ist darauf gerichtet, allen Arbeitnehmerinnen rifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie und Arbeitnehmern ungeachtet ihrer Qualifikation stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe und der zu erbringenden Leistung und ohne Berück- Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine sichtigung der Wertschöpfung einen Mindestlohn von Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwi- 8,50 Euro zu sichern. Dieses grundsätzliche Anliegen, ckelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Ar- auf diese Weise die Zahlung von sittenwidrigen Löhnen beitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die ein für alle Mal zu verhindern, ist unbestritten. Der per Produktivität der Arbeitnehmer überforderten. Gesetz festgelegte Preis einer Arbeitsstunde verletzt al- lerdings grundlegende ökonomische Gesetze und erin- Sollten sich jedoch bei der Evaluierung des Gesetzes nert an die Staatsplanwirtschaft der DDR und an die da- durch die Bundesregierung negative Effekte auf den Ar- maligen Versuche der absoluten Gleichmacherei. beitsmarkt zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Nicht zustimmungsfähig sind für mich der festgelegte Verfahrensweg und die Tragweite des Gesetzes für die Katharina Landgraf (CDU/CSU): Dem Tarifauto- künftige Ausgestaltung der Tarifautonomie und des ge- nomiestärkungsgesetz mit dem Gesetz zur Regelung ei- samten Arbeitsrechts und dessen Anwendung bezogen nes allgemeinen Mindestlohns, MiLoG, gebe ich nicht auf alle Arbeitsverhältnisse. meine Zustimmung. Das Gesetz weitet die staatliche Einflussnahme auf Vorbemerkung: das wirtschaftliche Leben in ungebührlicher Weise aus. Es ist aus meiner Sicht unbestritten, dass jeder Völlig unakzeptabel ist, dass in der Begründung im Mensch im erwerbsfähigen Alter durch seine Arbeit in Abschnitt „Reform der Allgemeinverbindlichkeitserklä- der Lage sein soll, seinen Lebensunterhalt durch einen rung nach dem Tarifvertragsgesetz“ festgestellt wird, auskömmlichen Lohn und durch ein entsprechendes Ge- dass der Allgemeinverbindlichkeitserklärung gegenüber halt bei guter Haushaltsführung ohne weitere staatliche anderen Tarifverträgen eine „verdrängende Vorrangwir- kung“ zukomme. Unterstützung zu sichern. In aller Entschiedenheit lehne ich die Zahlung von sittenwidrigen Löhnen ab. Die Ent- Unklar ist das mehrfach in die gesetzlichen Regelun- lohnung muss dem Grundprinzip der sozialen Markt- gen eingebrachte Kriterium „wenn es im öffentlichen In- wirtschaft entsprechen, Wohlstand für alle anzustreben. teresse steht“. Wer diesen subjektiven Faktor jeweils de- (B) Das ist eine im höchsten Maße moralische Frage für die finiert, wird nicht einmal in Ansätzen erwähnt. Ein (D) Unternehmerschaft, die sich zu unserem Gesellschafts- solcher Begriff ist dehn- und interpretierbar und schützt bild bekennt und bekennen sollte. Das trifft ebenso auf nicht vor willkürlichem Gebrauch. die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu, die durch Die getroffenen Ausnahmeregelungen tragen den tat- Arbeit ihren Beitrag zur Solidargemeinschaft leisten. sächlichen Verhältnissen vor allem in der Wirtschaft der neuen Bundesländer nicht annähernd Rechnung. Die Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgelegten Ausnahmeregelungen beispielsweise für gewährleistet im Artikel 9 Absatz 3 die Freiheit zum ge- Erntehelfer sind unzureichend und tragen nicht dazu bei, deihlichen Miteinander für die wirtschaftliche Entwick- dass die betroffenen Unternehmen ihre wirtschaftliche lung unseres Landes und verbietet in letzter Konsequenz Existenz sichern können. die Einflussnahme des Staates in diese Freiheit, mit der die Tarifautonomie begründet ist. Die Bedeutung dieses Mangelhaft ist die lückenhafte Quantifizierung des Grundpfeilers unserer freiheitlich-demokratischen Grund- gesamten Aufwandes in der staatlichen Verwaltung und ordnung ist in den zurückliegenden Jahren vor allem in der betroffenen Wirtschaft. Das vorliegende Gesetzes- durch Arbeitgeber und durch ihre Organisationen leider werk trägt insgesamt nicht zum nachhaltigen Bürokratie- stark gemindert worden. Eine falsche Interpretation der abbau bei. Freiwilligkeit zur Tarifpartnerschaft hat den Boden für Der parlamentarische Beratungsprozess wurde nicht die Zahlung von sittenwidrigen Löhnen wesentlich be- mit der erforderlichen Solidität bewältigt. Eine Bearbei- reitet. Wir alle stehen vor der Herausforderung, die per tung des Gesetzentwurfes und der eingebrachten Ände- Grundgesetz gesicherte Tarifautonomie in das Bewusst- rungsanträge konnte meinerseits nicht im gebührenden sein der Gesellschaft neu zu implementieren und zu fes- Maße erledigt werden, vor allem auch deshalb, weil die tigen. Mit staatlichem Zwang dies zu erreichen, ist frag- letzten Änderungsanträge erst 24 Stunden vor der 2. und würdig und entspricht schlussendlich nicht dem Geist 3. Lesung und Abstimmung in meinem Büro vorlagen. der sozialen Marktwirtschaft. Ich vertrete jedoch auch Eine gründliche Befassung war so nicht möglich. die Auffassung, dass bei extremen und die Gesellschaft stark beeinträchtigenden Entwicklungen eine entspre- Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Die Arbeit aller chende Regelungsverantwortung seitens des Gesetzge- Menschen gilt es wertzuschätzen. Dies soll sich auch in bers wahrgenommen werden sollte. Entscheidend dabei einer dementsprechenden finanziellen Vergütung des je- ist für mich die Verhältnismäßigkeit des Eingriffes des weiligen Beschäftigungsverhältnisses zeigen. Die Tarif- Staates in die Freiheiten der Beteiligten und Betroffenen. vertragsparteien stehen hierzu in Deutschland in der Ver- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4313

(A) antwortung. Dieses Prinzip hat sich in Deutschland die Kaufkraft, die durch die Erwerbstätigkeit entsteht, im (C) bewährt, deshalb sollte prinzipiell auch daran festgehal- Herkunftsland entsprechend höher. ten werden. Es gilt die Tarifautonomie dementsprechend zu stärken. Jeder Mensch in Vollzeitbeschäftigung soll Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Der flächen- auch von seiner Arbeit leben können. Besonders im Be- deckende Mindestlohn mit einer politisch gesetzten Ein- reich der einfachen Tätigkeiten sind die Tarifvertrags- stiegshöhe stellt einen erheblichen staatlichen Eingriff in parteien oftmals nicht in der Lage, Arbeitnehmerinnen die Ökonomie des Arbeitsmarktes dar. Insbesondere die und Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen Tatsache, dass der erste Mindestlohn vom Parlament und zu schützen. Es ist notwendig, von staatlicher Seite nicht von den Tarifpartnern festgelegt wird, kommt Sorge zu tragen, dass dieser Schutz vor unangemessen einem Systembruch gleich. Es ist offenkundig, dass eine niedrigen Löhnen auch gewährleistet wird. Dieses Ziel, Lohnuntergrenze, die von den Tarifpartnern ausgehan- das durch das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie delt wird und regionale sowie branchenspezifische Un- verfolgt wird, ist zu begrüßen. terschiede aufgreift, die Wettbewerbsfähigkeit Deutsch- Allerdings ist es auch notwendig, dass die oft komple- lands weniger stark herausgefordert hätte. xen Lebensrealitäten in einem solchen Gesetz auch dem- Insofern begrüße ich ausdrücklich die im parlamenta- entsprechend abgebildet werden. Es ist deshalb zu be- rischen Verfahren eingebrachten Veränderungen. Insbe- grüßen, dass durch das Hinwirken der Unionsfraktion sondere die ausgehandelte Stärkung der Mindestlohn- zahlreiche Ausnahmen in den Gesetzentwurf aufgenom- kommission durch eine laufende Evaluation der men wurden. Diese spiegeln die Lebenswirklichkeiten Beschäftigungswirkungen auf bestimmte Branchen und im Bereich der Saisonarbeitskräfte und im Bereich der Regionen ist ein wichtiger Schritt, um dem Namen des Praktikaregelungen zumindest teilweise wider. Gesetzes – Tarifautonomiestärkungsgesetz – wenigstens Die Regelungen hinsichtlich der Praktika für Studie- ansatzweise gerecht zu werden. Neben den nachträglich rende sind dahingehend bedenklich, dass ein Praktikum erreichten Verbesserungen in den Bereichen Bürokratie- auch zum Erwerb von Erfahrungen, Einblicken und und Erfüllungsaufwand für den Mittelstand in Deutsch- Kompetenzen dient. Die Erwerbstätigkeit steht hier nicht land ist dies einer der wesentlichen Punkte, die mir heute zwangsläufig im Vordergrund. Dies sollte dementspre- eine Zustimmung trotz weiterer Bedenken zum Gesetz chend in der gesetzlichen Regelung berücksichtigt wer- möglich machen. den. Die Ausnahmeregelungen für Pflichtpraktika mit einer Begrenzung auf drei Monate sind dementspre- Yvonne Magwas (CDU/CSU): Ich stimme dem Ge- chend zu gering. Gerade im Bereich der geisteswissen- setz zur Stärkung der Tarifautonomie und damit dem (B) schaftlichen Studiengänge wird dies dazu führen, dass Mindestlohn zu, denn für mich gilt der Grundsatz „Gutes (D) Einblicke in die Praxis weniger häufig wahrgenommen Geld für gute Arbeit“. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass werden können. Hinzu kommt, dass die Notwendigkeit, einige wenige Branchen, wie zum Beispiel die Textil- Pflichtpraktika in den Studienordnungen der Hochschu- und Bekleidungsindustrie sowie einige Bereiche des len zu verankern, zu weniger Flexibilität und tendenziell Handels, den Mindestlohn von 8,50 Euro aufgrund der zu längeren Studienzeiten führen kann. Weltmarktsituation und der besonderen Situation vor Ort Ebenso ist die Altersgrenze von 18 Jahren zu niedrig nicht zahlen können. angesetzt, um gerade für junge Menschen einen Anreiz Nach Informationen, die mir von sehr vielen Unter- zu setzen, eine Ausbildung einer Hilfsarbeitertätigkeit nehmen aus meiner Heimat, dem Vogtland, zugegangen vorzuziehen. sind, stehen mit der Einführung des flächendeckenden Ich halte es für bedenklich, dass durch die Überprü- gesetzlichen Mindestlohns Arbeitsplätze auf dem Spiel, fung der neuen Regelungen im Mindestlohnbereich zu- da sich die betroffenen Unternehmen hauptsächlich in sätzlich 1 600 Mitarbeiter bei der Zollverwaltung einge- direkter Konkurrenz zu asiatischen Herstellern behaup- stellt werden sollen. Das entspricht einer zusätzlichen ten müssen. Die noch in Deutschland produzierenden Belastung von circa 80 Millionen Euro. Textil- und Bekleidungsunternehmen und bestimmte Be- reiche des Handels geben oftmals gerade den Menschen Es muss bei der Umsetzung dieses Vorhabens darauf Arbeit, die aufgrund ihres Alters oder ihres Wohnortes geachtet werden, dass Unternehmer nicht in General- keine andere Beschäftigung finden. Dazu kommt, dass in verdacht gestellt werden und sich der Erfüllungsaufwand einigen Fällen selbst die Inhaber ein Einkommen unter- in Grenzen hält. halb der Mindestlohngrenze erzielen. Auch im Bereich der Saisonarbeitskräfte wurden Ich erwartete, dass für diese oft über Generationen durch die Haftungsneuregelung, durch die Höchstaufent- hinweg familiengeführten Unternehmen in struktur- haltsdauer in Höhe von 70 Tagen und die Abzugsfähig- schwachen Regionen der Übergang zum Mindestlohn im keit von Verpflegung und Unterbringung richtig Akzente Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember gesetzt. Im Bereich der Saisonarbeitskräfte ist der Tat- 2016 abgefedert wird. Dafür sollte die auf den genannten bestand, Menschen vor unangemessen niedrigen Löhnen Zeitraum befristete Ausnahmeregelung der Beschäftig- schützen zu müssen, jedoch nicht in der Art gegeben wie ten, die unter das Arbeitnehmer-Entsendegesetz fallen, für Inländer. Die Löhne, die während der Zeit der auch auf die Textil- und Bekleidungsindustrie und be- Saisonarbeit in Deutschland bezahlt werden, sind ent- stimmte Bereiche des Handels Anwendung finden. Die- sprechend im Herkunftsland auch wesentlich mehr wert, ses Vorgehen gäbe den Unternehmen die Chance, den 4314 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) Mindestlohn wenigstens schrittweise bis zum 1. Januar schen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der (C) 2017 einzuführen und in der gewonnen Zeit die Unter- abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung nehmen neu aufzustellen. betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Pro- zent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich in- Bei grundsätzlicher Zustimmung zum Mindestlohn folge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über scheint es mir nicht ausgeschlossen, dass das Gesetz in dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steige- der vorliegenden Form zu Betriebsschließungen führt rungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an und weitere negativen Auswirkungen für die Menschen sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. gerade in ländlichen Räumen wie meiner vogtländischen Heimat verursacht. Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner For- derungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den Maria Michalk (CDU/CSU): Der Koalitionsvertrag Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Bei- als Handlungsgrundlage für die politische Arbeit in die- spiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des ser Wahlperiode ist für mich bindend. Gleichwohl habe Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unver- ich Sorge, dass der flächendeckende Mindestlohn vor al- hältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauf- lem in Ostdeutschland Arbeitsplätze gefährdet. tragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunter- nehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom Grundsätzlich will auch ich Rahmenbedingungen, die Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und Beschäftigten auskömmliche Löhne für ihre Arbeit si- für Langzeitarbeitslose, Erhalt der Möglichkeit zur Ver- chern. Die Praxis mancher Unternehmen, von vornhe- einbarung von Arbeitszeitkonten. rein mit Lohnkostenzuschüssen und Aufstockerleistun- Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht gen zu rechnen, ist gerade in Zeiten eines drohenden umgesetzt werden: Fachkräftemangels nicht länger hinnehmbar. Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Si- Ich werde dem Tarifautonomiestärkungsgesetz zu- cherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Ar- stimmen. Meine Bedenken habe ich an vielen Stellen der beitnehmer-Entsendegesetzes; ich erwartete bei der Min- parlamentarischen Arbeit angemerkt. So sind im Ver- destlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge gleich zum Gesetzentwurf jetzt erhebliche Klarstellun- als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Bran- gen erreicht worden. chenebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt Mir ist wichtig, dass die staatliche Festlegung des werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Mindestlohns nur einmal am Anfang mit diesem Gesetz Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche geschieht und dann die neu einzusetzende Kommission setzen; ich forderte, dass die Bereitschaft junger Men- (B) (D) die Tarifautonomie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmer- schen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbil- vertretung entsprechend den wirtschaftlichen Erforder- dung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, in- nissen in unserem Land vollzieht. Die geringe Tarifbin- dem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich dung in Ostdeutschland ist historisch keine Folge von attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingun- fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus gen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit Sorge um den Erhalt der Arbeitsplätze. Das muss be- jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres rücksichtigt werden. Deshalb ist die Evaluation von An- 25. Lebensjahres wie in anderen EU-Ländern nicht vom fang an wichtig, um im Gesetz mögliche Korrekturen Mindestlohn erfasst werden. einzuleiten. Keine gesetzliche Klarstellung bei Stücklohnverein- barungen; ich forderte eine gesetzliche Klarstellung, Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Ich stimme dem dass Stücklohnkostenvereinbarungen weiter in den Fäl- Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur len möglich sind, in denen der am Monatsende ausge- unter erheblichen Bedenken, zu. Ich begrüße sehr, dass zahlte Lohn bei einer „Normalleistung“ des Arbeitneh- viele Beschäftigte von der Einführung des flächende- mers den gesetzlich vorgegebenen Mindestlohn erreicht; ckenden gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden. die Nicht-Klarstellung dieses Sachverhaltes kann zu Sie haben diesen hart erarbeiteten Lohnzuwachs in vol- Fehlanreizen führen, die im Gegensatz zum Grundsatz lem Maße verdient. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass die einer leistungsorientierten Vergütung stehen. Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- lohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutsch- Keine Einschränkung der Dokumentationspflichten; land führen könnte. ich forderte die Einschränkung der im Gesetzentwurf enthaltenen umfassenden Dokumentationspflichten, die Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeut- unnötige Bürokratie verursachen würden. Darunter lei- schen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der den kleine und mittelständische Unternehmen beson- Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- ders, insbesondere, weil die Dokumentationspflichten lohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten nicht nur den Mindestlohn, sondern alle Lohngruppen Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor be- umfassen. Gleiches gilt für die umfassenden Aufzeich- stehen erhebliche strukturelle ökonomische Unter- nungspflichten für geringfügig Beschäftigte. schiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlicher- sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die klärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeut- muss sich in der Praxis noch zeigen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4315

(A) Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die Keine Verdrängung bestehender Tarifverträge – Si- (C) Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Moratorium, cherstellung der Weitergeltung auch außerhalb des Ar- das eine Abweichung und Heranführung an den gesetzli- beitnehmer-Entsendegesetzes; wir erwarteten bei der chen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 vorsieht, Mindestlohnregelung, dass bislang gültige Haustarifver- Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur Makula- träge als Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf tur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive Branchenebene im Sinne des Koalitionsvertrages aner- staatliche Eingriff in die bisherige Form der Tarifautono- kannt werden und bis zum 31. Dezember 2016 gültig mie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie bleiben. das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe Tarifbindung Altersstaffelung – Keinen Fehlanreiz für Jugendliche in Ostdeutschland war historisch keine Folge von fehlen- setzen; die Bereitschaft junger Menschen mit Vermitt- den Mindestlöhnen, sondern entwickelte sich aus der lungshemmnissen, eine Berufsausbildung aufzunehmen, Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes ange- darf nicht konterkariert werden, indem der Anreiz ge- sichts von Lohnentwicklungen, die die Produktivität der schaffen wird, ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsver- Arbeitnehmer überforderten. hältnis zu Mindestlohnbedingungen aufzunehmen; daher Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für sollten Arbeitsverhältnisse mit jungen Menschen zumin- vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Ar- dest bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres wie in an- beitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber auf- deren EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst wer- grund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes- den. regierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich- erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, Martin Patzelt (CDU/CSU): Ich stehe zum Koali- muss sich in der Praxis noch zeigen. tionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, allerdings nur unter erheblichen Beden- Hinzu kommt, dass auch das von unserer Seite in den ken, zu. Ich gönne den Beschäftigten, die von der Ein- Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Morato- führung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- rium, das eine Abweichung und Heranführung an den lohns profitieren werden, diesen hart erarbeiteten gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 Lohnzuwachs in vollem Maße. Ich sehe jedoch die Ge- vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur fahr, dass die Einführung des flächendeckenden gesetzli- Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser chen Mindestlohns zu massiven Arbeitsplatzverlusten in massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Ta- Ostdeutschland führen könnte. rifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautonomie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die geringe (B) Nach Informationen, die mir von sehr vielen ostdeut- Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch keine (D) schen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern entwi- Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- ckelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Ar- lohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten beitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die die Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor be- Produktivität der Arbeitnehmer überforderten. stehen erhebliche strukturelle ökonomische Unter- Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für schiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Produktion vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem Ar- und Einkommen je Einwohner und je Beschäftigtem beitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber auf- sind in den ostdeutschen Ländern deutlich niedriger. Die grund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundes- Arbeitslosenquote ist deutlich höher als in den westdeut- regierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. schen Ländern. In Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäftigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in Westdeutschland hingegen nur 10,7 Pro- Jana Schimke (CDU/CSU): Als Abgeordnete aus zent. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass sich in- den neuen Bundesländern stehen die Schaffung und folge der Einführung von Mindestlöhnen auch im über Sicherung von Arbeitsplätzen sowie gute Löhne und dem Mindestlohn liegenden Lohnbereich starke Steige- Gehälter im Mittelpunkt meiner Arbeit. Doch was aus- rungen ergeben könnten, die neben dem Mindestlohn an gegeben wird, muss auch erwirtschaftet werden. Wir sich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnten. wissen, dass der Osten über eine unterschiedliche Bran- chen- und Lohnstruktur verfügt, die das, was politisch Dennoch bin ich zufrieden, dass einigen unserer For- wünschenswert ist, nicht immer leisten kann. So ent- derungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den spricht der Mindestlohn in den alten Ländern rund Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Bei- 54 Prozent des Medianlohns, was auch im internationa- spiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des len Vergleich ein üblicher Wert ist. In den neuen Ländern Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unver- hingegen beträgt er 71 Prozent des Medianlohns. Schon hältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauf- heute ist damit absehbar, dass ein flächendeckender tragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunter- Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde ab dem 1. Januar nehmer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom 2015 im Osten Arbeitsplätze kosten wird. Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und für Langzeitarbeitslose. Die britischen Erfahrungen bei der Einführung des Mindestlohns haben mich nochmals darin bestärkt, dass Folgende unserer Forderungen konnten leider nicht das deutsche Mindestlohngesetz über drei entscheidende umgesetzt werden: Konstruktionsfehler verfügt: Zunächst galt bei der Ein- 4316 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) führung des Mindestlohns in England die Prämisse, dass Gesetzes auf den deutschen Arbeitsmarkt, keine unver- (C) keine Arbeitsplätze verloren gehen. Diese Bedingung hältnismäßige Haftung aller Arbeitgeber für alle beauf- zog sich durch alle Entscheidungen, die den Mindest- tragten Dienstleistungsunternehmen und Werkunterneh- lohn in England betrafen. In Deutschland hingegen wird mer sowie deren Subunternehmer, Ausnahme vom der Verlust von Arbeitsplätzen jedoch in Kauf genom- Mindestlohn für Praktika von bis zu drei Monaten und men, sollten Unternehmen die steigenden Kosten nicht für Langzeitarbeitslose. schultern können. Das ist nicht mein Verständnis einer vernünftigen und weitsichtigen Politik. Weiterhin wurde Folgende meiner Forderungen konnten leider nicht bereits der erstmalige Mindestlohn in England durch die umgesetzt werden: Low Pay Commission auf einem zunächst niedrigen Keine Verdrängung bestehender Tarifverträgesicher- Niveau festgelegt und damit behutsam eingeführt. In stellung der Weitergeltung auch außerhalb des Arbeit- Deutschland hingegen wurde der Mindestlohn politisch nehmer-Entsendegesetzes: Ich erwarte bei der Mindest- festgelegt und damit ohne Berücksichtigung regionaler lohnregelung, dass bislang gültige Haustarifverträge als und gesamtwirtschaftlicher Bedingungen. Schließlich Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchen- verfügen in der Low Pay Commission Arbeitgeber, ebene im Sinne des Koalitionsvertrages anerkannt wer- Arbeitnehmer und die Wissenschaft über gleiches den und bis zum 31. Dezember 2016 gültig bleiben. Stimmrecht. Beschlüsse werden einstimmig gefasst. Die Wissenschaft als objektive Kontrollinstanz fehlt leider in Altersstaffelung – keinen Fehlanreiz für Jugendliche unserer Mindestlohnkommission. setzen: Ich forderte, dass die Bereitschaft junger Men- schen mit Vermittlungshemmnissen, eine Berufsausbil- Mein Anspruch ist es, dass sich die Vielfalt unserer dung aufzunehmen, nicht konterkariert werden darf, in- Wirtschaft zugunsten von Beschäftigung und zum Wohl dem der Anreiz geschaffen wird, ein vermeintlich der Menschen auch in Gesetzen abbildet. Dies kann ich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindestlohnbedingun- beim vorliegenden Gesetzentwurf nicht erkennen. Nach gen aufzunehmen. Daher sollten Arbeitsverhältnisse mit gründlicher Abwägung bin ich deshalb zu dem Ent- jungen Menschen zumindest bis zur Vollendung ihres schluss gekommen, dem vorliegenden Gesetzentwurf 25. Lebensjahres oder bis zum Abschluss einer Berufs- nicht zuzustimmen. qualifikation wie in anderen EU-Ländern nicht vom Mindestlohn erfasst werden. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ich stehe zum Ob die Neuregelung für eine Allgemeinverbindlich- Koalitionsvertrag und stimme dem Gesetz zur Stärkung erklärung von Tarifverträgen ein taugliches Mittel ist, der Tarifautonomie, allerdings nur unter Bedenken, zu. muss sich in der Praxis noch zeigen. Das grundsätzliche Ziel, dass jemand, der Vollzeit arbei- Hinzu kommt, dass auch das von CDU-Seite in die (B) tet, damit auch ein Einkommen erwirtschaften können (D) sollte, das über dem Niveau der Grundsicherung liegt, ist Koalitionsverhandlungen hineinverhandelte Morato- richtig. Dies ist letztlich auch eine Frage der Leistungs- rium, das eine Abweichung und Heranführung an den gerechtigkeit. Der gefundene Kompromiss führt gleich- gesetzlichen Mindestlohn bis zum 31. Dezember 2016 wohl teilweise zu problematischen Effekten. Meine dies- vorsieht, Bedingungen enthält, die es weitestgehend zur bezüglichen Bedenken möchte ich hiermit niederlegen. Makulatur machen. Ferner ist zu bezweifeln, ob dieser massive staatliche Eingriff in die bisherige Form der Insbesondere sehe ich die Gefahr, dass die Einfüh- Tarifautonomie tatsächlich langfristig die Tarifautono- rung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns mie stärkt, wie das der Gesetzestitel verheißt. Die ge- zu Arbeitsplatzverlusten in Ostdeutschland führen ringe Tarifbindung in Ostdeutschland war historisch könnte. Nach Informationen, die mir von vielen ostdeut- keine Folge von fehlenden Mindestlöhnen, sondern ent- schen Unternehmen zugegangen sind, stehen mit der wickelte sich aus der Sorge um den Erhalt des eigenen Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- Arbeitsplatzes angesichts von Lohnentwicklungen, die lohns Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand in weiten die Produktivität der Arbeitnehmer überforderte. Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel. Nach wie vor be- stehen strukturelle ökonomische Unterschiede zwischen Trotz dieser offenen Fragen halte ich das Gesetz für Ost- und Westdeutschland. Produktion und Einkommen vertretbar, solange keine negativen Effekte auf dem je Einwohner und je Beschäftigten sind in den ostdeut- Arbeitsmarkt erkennbar sind. Sollten sich diese aber auf- schen Ländern deutlich niedriger, und die Arbeitslosen- grund der Evaluierung des Gesetzes durch die Bundesre- quote ist höher als in den westdeutschen Ländern. In gierung zeigen, erwarte ich sofortiges Handeln. Ostdeutschland sind 22,4 Prozent der abhängig Beschäf- tigten von der Mindestlohnregelung betroffen, in West- Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Dem von deutschland hingegen nur 10,7 Prozent. Es scheint mir der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines nicht ausgeschlossen, dass sich infolge der Einführung „Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie“ auf Bun- von Mindestlöhnen auch im über dem Mindestlohn lie- destagsdrucksache 18/1558, über den am Donnerstag, genden Lohnbereich starke Steigerungen ergeben könn- dem 3. Juli 2014 abgestimmt werden wird, stimme ich ten, die neben dem Mindestlohn an sich zu Arbeitsplatz- zu, möchte aber Folgendes dazu erklären: verlusten führen könnten. Ich bedaure, dass mit dem vorliegenden Gesetzent- Andererseits erkenne ich an, dass einigen meiner For- wurf ein tiefer Eingriff in eine seit Jahrzehnten gut funk- derungen zur Ausgestaltung des Mindestlohns in den tionierende Tarifpartnerschaft zwischen Arbeitgebern Verhandlungen Rechnung getragen wurde, wie zum Bei- und Gewerkschaften stattfindet. Meine Bedenken gelten spiel: rechtzeitige Evaluation zu den Auswirkungen des den zu erwartenden Auswirkungen des Gesetzes und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4317

(A) wurden in zahlreichen Gesprächen in meinem Wahlkreis mung über den von der Bundesregierung einge- (C) von Unternehmern und Beschäftigten der unterschied- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung lichsten Branchen geteilt. der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungs- gesetz) (Tagesordnungspunkt 4 a) Innerhalb der Koalition sind wir uns dessen bewusst, dass die Tarifautonomie ein sehr hohes Gut und eines der Echter Mindestlohn statt schwarz-rote Mogelpa- Kernelemente der sozialen Marktwirtschaft ist. Mit der ckung: Dem Mindestlohngesetz von Union und SPD Festsetzung des Mindestlohns durch eine Mindestlohn- können wir nicht zustimmen. Die Linke tritt seit ihrer kommission werden die wichtigen Vereinbarungen zwi- Gründung für einen existenzsichernden und flächende- schen den Tarifpartnern, die branchen- und regionalspe- ckenden Mindestlohn ein. zifische Löhne zum Ergebnis hatten, konterkariert und finden nicht mehr statt. Gerade diese Vereinbarungen Das, was die Bundesregierung hier vorlegt, ist weder hatten für uns aber erhebliche positive Auswirkungen in existenzsichernd noch flächendeckend. Die Mindestlohn- der Bewältigung der Wirtschaftskrise 2008/2009. höhe von 8,50 Euro unterschreitet die Armutsgrenze – Existenzsicherung sieht anders aus. Etwa jeder sechste Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes findet eine Deutsche lebt heute am Rande der Armutsgrenze. Die „Operation am offenen Herzen“ der Sozialen Marktwirt- 8,50 Euro der Koalition schaffen dagegen keine Abhilfe. schaft statt, die mich sehr nachdenklich stimmt. Ich hoffe, dass die Mindestlohnkommission negative Ent- Noch schlimmer ist, dass bestimmte Gruppen noch wicklungen und Wettbewerbsverzerrungen erkennt und schlechtergestellt werden sollen: Die Ausnahmen für Ta- diesen mit energischen Nachbesserungen des Gesetzes rifgebundene und die willkürlichen Sonderregelungen entgegenwirkt. für Minderjährige, Langzeiterwerbslose, Praktikantinnen und Praktikanten, Zeitungszustellerinnen und -zusteller Auch die geringe Anzahl von Personen, die die Min- und Saisonarbeiterinnen und -arbeiter öffnen einer wei- destlohnkommission bilden, beunruhigt mich. Denn die teren Unterbezahlung Tor und Tür. Befugnisse dieser Personen sind erheblich. Die Befürchtungen eines Teiles der CDU/CSU-Bun- Wir stehen weiterhin zu den Forderungen des Linke- destagsfraktion für die vom Mindestlohn betroffenen Ar- Bundestagswahlprogrammes: Wir brauchen sofort einen beitnehmer bleiben aus meiner Sicht weiterhin bestehen. Mindestlohn für alle in Höhe von 10 Euro. Bis spätes- tens 2017 sollte er auf 12 Euro angehoben werden. Michael Groß (SPD): Die Verabschiedung des Ge- setzes zur Stärkung der Tarifautonomie ist ein großer Schritt für mehr Gerechtigkeit am Arbeitsmarkt. Nach Anlage 8 (B) einem langen Weg werden sozialdemokratische Grund- Erklärung nach § 31 GO (D) sätze umgesetzt. Für viele Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer wird mehr Einkommensgerechtigkeit herge- der Abgeordneten Ulrike Bahr, Klaus stellt und der Wert der Arbeit besser vergütet. Auch eine Barthel, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Gerechtigkeitslücke zwischen Ost und West ist damit ge- Dr. Karl-Heinz Brunner, Marco Bülow, schlossen. Ab dem 1. Januar wird mit der Umsetzung Dr. Lars Castellucci, Petra Crone, Sabine des vorliegenden Gesetzes und der Einführung des Min- Dittmar, Michael Gerdes, Martin Gerster, destlohnes für etwa 3,7 Millionen Menschen das Nied- Michael Groß, Dr. Ute Finckh-Krämer, riglohnzeitalter beendet. Bettina Hagedorn, Ulrich Hampel, Gabriela Heinrich, Gabriele Hiller-Ohm, Frank Junge, Ich halte einen flächendeckenden gesetzlichen Min- Josip Juratovic, Ralf Kapschack, Gabriele destlohn für den richtigen Weg. Dies trifft auch für unter Katzmarek, Cansel Kiziltepe, Daniela Kolbe, 18-Jährige zu, genau wie für Langzeitarbeitslose. Bei der Steffen-Claudio Lemme, Hiltrud Lotze, Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindest- Kirsten Lühmann, Hilde Mattheis, Klaus lohns in Höhe von 8,50 Euro je Stunde müssen aus- Mindrup, Markus Paschke, Dr. Simone nahmslos alle profitieren. Raatz, Gerold Reichenbach, Andreas Rimkus, Ausnahmen wirken meiner Meinung nach diskrimi- Annette Sawade, Dr. Dorothee Schlegel, nierend und bergen die Gefahr neuer Geschäftsmodelle Ewald Schurer, Stefan Schwartze, Ursula im Niedriglohnsektor. Ausnahmen vom Mindestlohn wi- Schulte, Norbert Spinrath, Martina Stamm- dersprechen der Intention und dem Ziel des Mindest- Fibich, Kerstin Tack, Bernd Westphal, lohns selbst. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und Gülistan Yüksel (alle SPD) zur namentlichen Abstim- In der Abwägung der Argumente und politischen mung über den von den Abgeordneten Klaus Durchsetzungsfähigkeit werde ich dem von der Bundes- Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta regierung vorgelegten Gesetzentwurf zustimmen. Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrund- Anlage 7 losen Befristung (Tagesordnungspunkt 6 b) Erklärung nach § 31 GO In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD- der Abgeordneten Inge Höger und Ulla Jelpke Bundestagsfraktion unter anderem mit dem Antrag (beide DIE LINKE) zur namentlichen Abstim- „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befris- 4318 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) tung“ – Drucksache 17/1769 – klar für die Abschaffung Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür tritt die SPD auch (C) der sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. inhaltlich weiterhin ein. Und auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestags- Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlun- wahl 2013 ist diese Position ebenso klar formuliert wor- gen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sach- den: „Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung grundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Kata- der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider log möglicher Befristungsgründe überprüfen.“ Dafür keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. tritt die SPD auch inhaltlich weiterhin ein. Dies ist umso bedauerlicher, als in der öffentlichen An- hörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Es ist bedauerlich, dass in den Koalitionsverhandlun- Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke deutlich wurde, gen mit CDU und CSU keine Abschaffung der sach- dass die 14 möglichen Sachgründe alle von den Arbeit- grundlosen Befristung vereinbart werden konnte und in gebern vorgebrachten Gründe für Befristungen abde- der aktuellen Regierungskoalition daher derzeit leider cken. keine parlamentarische Mehrheit dafür vorhanden ist. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CDU/ Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und lange CDU/CSU und SPD konnten jedoch viele wichtige und geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerin- Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute Arbeit und nen und Arbeitnehmer vereinbart werden, die für gute gegen prekäre Beschäftigung wirken werden: beispiels- Arbeit und gegen prekäre Beschäftigung, wozu auch die weise der gesetzliche Mindestlohn, die Ausweitung des sachgrundlose Befristung zählt, wirken werden. Bei- Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wo- spielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Auswei- durch höhere Branchenmindestlöhne möglich sind – so- tung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Bran- wie die erleichterte Möglichkeit der Allgemeinverbind- chen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne möglich licherklärung von Tarifverträgen, die dann für alle sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der Allge- Beschäftigten und Arbeitgeber einer Branche gelten. Zu- meinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, die dem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker regu- dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Bran- liert bzw. wird gegen deren Missbrauch vorgegangen. che gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit stärker reguliert bzw. wird gegen deren Missbrauch vor- Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfrak- gegangen. tionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Ab- stimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verstän- Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfrak- digt. Daher werden wir dem Gesetzentwurf der Fraktion (B) tionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Ab- Die Linke nicht zustimmen. (D) stimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verstän- digt. Daher werden wir dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen. Anlage 10 Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird Erklärung nach § 31 GO aber auch weiterhin unser erklärtes politisches Ziel blei- ben, wofür wir uns auch zukünftig einsetzen werden. des Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abge- Anlage 9 ordneten und der Fraktion DIE LINKE einge- Erklärung nach § 31 GO brachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung (Tagesordnungs- der Abgeordneten Kerstin Griese und Dr. Martin punkt 6 b) Rosemann (beide SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über den von den Abgeordneten In der vergangenen Legislaturperiode hat sich die Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta SPD-Bundestagsfraktion unter anderem mit dem Antrag Krellmann, weiteren Abgeordneten und der „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befris- Fraktion Die Linke eingebrachten Entwurf ei- tung“ – Drucksache 17/1769 – für die Abschaffung der nes Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlo- sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. Und auch im sen Befristung (Tagesordnungspunkt 6 b) SPD-Regierungsprogramm 2013 bis 2017 zur Bundes- tagswahl 2013 ist diese Position klar formuliert: „Die In der letzten Legislaturperiode hat sich die SPD- Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeits- Bundestagsfraktion unter anderem mit dem Antrag verträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befris- Befristungsgründe überprüfen.“ Würde die SPD Frak- tung“ – Drucksache 17/1769 – für die Abschaffung der tion im Bundestag eine Mehrheit haben, wäre dies be- sachgrundlosen Befristung ausgesprochen. reits gesetzlich geregelt. Auch im SPD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl In den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU 2013 ist diese Position formuliert worden: „Die Mög- konnte die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung lichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsver- nicht vereinbart werden, sodass in der aktuellen Regie- trägen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher rungskoalition derzeit keine parlamentarische Mehrheit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4319

(A) dafür vorhanden ist. Das ist ärgerlich, aber dem Kom- Sie ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen in der (C) promiss in der Koalition geschuldet. Über andere Ziele Bundesrepublik nicht haltbar. Wie das Bundesverfas- wurde sehr erfolgreich verhandelt: Im Koalitionsvertrag sungsgericht über die 5-Prozent-Sperrklausel zukünftig der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD konnten entscheidet, können wir nicht genau wissen. Es hat zwar viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für zuletzt in der Entscheidung über die Verfassungswidrig- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart wer- keit der 3-Prozent-Hürde bei der Europawahl an seiner den, die für gute Arbeit und gegen prekäre Beschäfti- ständigen Rechtsprechung zu den Sperrklauseln festge- gung, wozu auch die sachgrundlose Befristung zählt, wir- halten. Aber es hatte die Frage der Sperrklausel für die ken werden: beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, Bundestagswahl gar nicht zu entscheiden. die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen – wodurch höhere Branchenmindestlöhne Die Auffassung des Wahlprüfungsausschusses, dass möglich sind – sowie die erleichterte Möglichkeit der All- die 5-Prozent-Sperrklausel bei der Bundestagswahl ver- gemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, die fassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, teile ich dann für alle Beschäftigten und Arbeitgeber einer Bran- nicht. Um dies zu verdeutlichen, habe ich mich dort ent- che gelten. Zudem werden Werkverträge und Leiharbeit halten. stärker reguliert bzw. gegen deren Missbrauch vorgegan- gen. Das sind große Erfolge – und so wie ich von der Aus meiner Sicht ist es ohnehin schon gar nicht erfor- CDU/CSU-Fraktion erwarte, dass für sie schwierige derlich, Parteien von der Sitzverteilung im Bundestag Punkte aus dem Koalitionsvertrag mitgetragen werden, auszuschließen, um dessen Aufgabenerfüllung, also die werde ich auch den Gesetzentwurf der Fraktion Die Fähigkeit zur Regierungsbildung und seine Funktionsfä- Linke „Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der higkeit als Gesetzgeber, zu sichern. Demokratie setzt sachgrundlosen Befristung“ ablehnen. Und die Linke doch das Aufeinandertreffen verschiedener Positionen verhält sich in Koalitionen ebenso – andernfalls würde und das Finden von Kompromissen gerade voraus. Wa- die Linke einen Vertragsbruch an den anderen reihen. rum dies allein deshalb nicht möglich sein soll, wenn so- Und da die Fraktion Die Linke diesen Sachverhalt kennt, genannte Splitterparteien einziehen, ist schon theoretisch ist es ein durchschaubares Manöver, mich in die Position für mich nicht nachvollziehbar. Aber auch rein tatsäch- zu drängen, anders abstimmen zu müssen, als ich es bei lich sind von der Sperrklausel aufgrund deren Höhe ja entsprechenden Mehrheiten tun würde. auch Parteien mit beachtlicher Größe – 4,8 und 4,7 Pro- zent der Zweitstimmen bei der Bundestagswahl 2013 – Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestagsfrak- betroffen. Würde der Einzug solcher Parteien eine Funk- tionen von CDU/CSU und SPD darauf verständigt, dem tionsunfähigkeit des Parlaments bewirken? Der Akt der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linken nicht zuzustim- Wahl ist der wichtigste Integrationsvorgang in der De- (B) men. mokratie. Dies ist aus meiner Sicht gefährdet, wenn über (D) 15 Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wird Prozent der Stimmen der Wahlbevölkerung sich nicht gleichwohl auch weiterhin eines meiner politischen im Parlament wiederfinden. Das lässt an der Verhältnis- Ziele bleiben. mäßigkeit der Sperrklausel zweifeln. Es sind mittler- weile Zweitstimmen in einer Größenordnung betroffen, die einen ganz erheblichen Eingriff in die Wahlrechts- gleichheit und die Chancengleichheit der Parteien be- Anlage 11 deuten. Und dass dies das Bundesverfassungsgericht Erklärung nach § 31 GO nicht in die Abwägung einstellt, halte ich nicht für sehr wahrscheinlich. Damit abzuwägen ist die Sicherung der der Abgeordneten Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Funktionsfähigkeit des Parlaments, die angeblich durch zur Abstimmung über die dritte Beschlussemp- die Sperrklausel erfolgt. fehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Ein- sprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum Die Sperrklausel führt dazu, dass gewichtige Anlie- 18. Deutschen Bundestag am 22. September gen der Bevölkerung von der Volksvertretung ausge- 2013 (Tagesordnungspunkt 33 k) schlossen werden. Das schadet der Demokratie. Zu be- denken ist auch der – allerdings vom Gesetzgeber bisher Ich stimme der Beschlussempfehlung des Wahlprü- erwünschte – Effekt, dass Wählerinnen und Wähler den fungsausschusses zu, die aus den Anlagen ersichtlichen kleinen und vor allem neuen Parteien ihre Stimme Beschlussempfehlungen zu den Wahleinsprüchen anzu- deshalb nicht geben, weil sie um deren Überwindung der nehmen und damit alle betroffenen Wahleinsprüche zu- 5-Prozent-Klausel fürchten (müssen). Das erschwert ins- rückzuweisen. Ich stimme dem hier im Plenum zu, habe besondere neuen Parteien den Einzug in den Bundestag. mich im Wahlprüfungsausschuss als Vertreterin der Eine gewisse Hürde, in den Bundestag zu kommen, liegt Fraktion Die Linke jedoch bei den Abstimmungen über die Zurückweisung derjenigen Wahleinsprüche, die sich doch ohnehin schließlich in der „natürlichen“ Sperrklau- allein gegen die 5-Prozent-Sperrklausel bei der Bundes- sel, die darin liegt, dass die jeweils notwendige Anzahl tagswahl richten, enthalten. von Stimmen für einen Bundestagssitz zu erringen ist. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass es sich bei der Mein Abstimmungsverhalten begründe ich wie folgt: Sperrklausel auch um eine Gesetzgebung in eigener Sa- Die 5-Prozent-Sperrklausel bei der Bundestagswahl be- che handelt; das Bundesverfassungsgericht berücksich- gegnet meines Erachtens nicht nur verfassungspoliti- tigt auch diesen Umstand. Die aufgezählten Gründe schen, sondern auch verfassungsrechtlichen Bedenken. sprechen dagegen, dass die Sperrklausel verfassungs- 4320 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) rechtlich wirklich unbedenklich ist, wie es vom Wahl- bien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, se- (C) prüfungsausschuss dargestellt wird. hen wir problematisch. Zum einen halten wir es ange- sichts der Erfahrungen besonders der Gruppe der Roma Im Ergebnis ist es aber dennoch vertretbar, wenn der in diesen Ländern für nicht gesichert, dass sie dort nicht Bundestag die Wahleinsprüche zurückweist, da die ein- weiter Diskriminierung, sogar Verfolgung und Gewalt fachgesetzlichen Wahlvorschriften ordnungsgemäß und ausgesetzt sind. Für die Roma in diesen Ländern, aber nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfas- auch in den südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, sungsgerichts auch verfassungsgemäß angewendet wor- muss endlich eine nachhaltige und langfristig wirksame den sind. Möglichkeit gefunden werden, dass Vorurteile, Ausgren- Damit wird im Ergebnis die Prüfung der Verfassungs- zung und Diskriminierung überwunden werden, dass sie Zugang zu Bildung, Wohnen, Gesundheitsleistungen mäßigkeit der Sperrklausel im geltenden Wahlrecht und Erwerbsarbeit erhalten und dass ihre Fluchtursachen – wie in ständiger Praxis im Rahmen der Wahlprüfung in den Herkunftsländern wirksam bekämpft werden. So- üblich – dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. lange das nicht der Fall ist, bleibt der Wunsch von Fami- Für die Änderung der Rechtslage ist der Bundestag in lien bestehen, aus bitterer Armut und Not nach Deutsch- seiner Eigenschaft als Gesetzgeber, nicht im Rahmen der land zu fliehen. Wahlprüfung gefragt. Wir haben außerdem aus grundsätzlichen Gründen Festzuhalten ist: Jenseits der Wahlprüfung kann der Probleme mit der Ausweitung des Systems sicherer Her- Bundestag als Gesetzgeber seine Verantwortung für ver- kunftsstaaten. Das Recht auf Asyl ist ein individuelles fassungskonforme Gesetze nicht zurückweisen. Der Recht, das eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt. Bundestag muss daher – wie es die Fraktion Die Linke Dieses Recht sollte unseres Erachtens nicht einge- zuletzt in der 17.Wahlperiode (Bundestagsdrucksache schränkt werden. Auch wenn die Anerkennungsquote 17/5896) mit vielen überzeugenden historischen, syste- von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern matischen und demokratietheoretischen Gründen gefor- sehr gering ist, verdient jeder Einzelfall Beachtung. Wir dert hat – die Sperrklausel im Wahlrecht abschaffen. Das sind besorgt, dass mit der Ausweitung der Liste der si- stärkt die Demokratie. cheren Herkunftsstaaten eine falsche Richtung einge- schlagen wird. Stattdessen brauchen wir eine europäi- sche Flüchtlingspolitik, die legale Einwanderung Anlage 12 ermöglicht und die die Flüchtlinge innerhalb Europas verteilt. Die Erfahrung zeigt, dass unser Land von Zu- Erklärung nach § 31 GO wanderung profitiert und dass die weitaus größte Zahl der Abgeordneten Ulrike Bahr, Marco Bülow, der Zuwandernden in Deutschland Arbeit findet. (B) (D) Petra Crone, Dr. Daniela De Ridder, In dieser Diskussion muss darauf hingewiesen werden, Dr. Karamba Diaby, Petra Ernstberger, Saskia dass Deutschland zwar in absoluten Zahlen die meisten Esken, Elke Ferner, Christian Flisek, Kerstin Flüchtlinge in Europa aufnimmt, im Vergleich zur Bevöl- Griese, Gabriele Groneberg, Josip Juratovic, kerungszahl kommen aber mehr Flüchtlinge in die EU- Christina Kampmann, Steffen-Claudio Lemme, Staaten Schweden, Malta, Österreich, Luxemburg, Un- Caren Marks, Katja Mast, Klaus Mindrup, Ulli garn, Belgien sowie in die europäischen Länder Norwe- Nissen, Dr. Simone Raatz, Andreas Rimkus, gen und die Schweiz – Zahlen aus 2013. Deshalb geht es Sönke Rix, Johann Saathoff, Dagmar Schmidt um eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa (Wetzlar), Ursula Schulte, Svenja Stadler, Sonja und nicht um Ängste vor zu hohen Flüchtlingszahlen. Steffen und Gülistan Yüksel (alle SPD) zur na- Den Großstädten in Deutschland, die besondere Pro- mentlichen Abstimmung über den von der Bun- bleme haben, müssen wir helfen, damit sie Möglichkei- desregierung eingebrachten Entwurf eines ten der Unterbringung und der medizinischen Versor- Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als si- gung zur Verfügung stellen können. chere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber Mit dieser persönlichen Erklärung bringen wir unsere und geduldete Ausländer (Zusatztagesord- Kritik an der Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten zum nungspunkt 6 a) Ausdruck. Dem Gesetz werden wir aufgrund der Koali- tionsvereinbarung und wegen seiner Regelungen zum Arbeitsmarktzugang zustimmen. Mit diesem Gesetz sollen zwei verschiedene Punkte geregelt werden. Wir begrüßen ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerberin- Anlage 13 nen und Asylbewerber und für geduldete Ausländerin- nen und Ausländer nach drei Monaten Aufenthalt in Erklärungen nach § 31 GO Deutschland der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, die nach Deutschland zur namentlichen Abstimmung über den von geflohen sind, ermöglicht, ihren Lebensunterhalt zu ver- der Bundesregierung eingebrachten Entwurf dienen und durch Erwerbsarbeit ihre Integration zu er- eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten leichtern. als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichte- rung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewer- Den zweiten in diesem Gesetz vorgeschlagenen ber und geduldete Ausländer (Zusatztagesord- Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Ser- nungspunkt 6 a) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4321

(A) Heike Baehrens (SPD): Mit diesem Gesetz werden Den zweiten in diesem Gesetz vorgeschlagenen (C) zwei verschiedene Punkte geregelt. Ich begrüße aus- Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Ser- drücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme bien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für gedul- ich problematisch. Zum einen halte ich es angesichts der dete Ausländerinnen und Ausländer nach drei Monaten Erfahrungen besonders der Gruppe der Roma in diesen Aufenthalt in Deutschland der Zugang zum Arbeits- Ländern für nicht gesichert, dass sie dort nicht weiter markt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, die Diskriminierung, sogar Verfolgung und Gewalt ausge- nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren setzt sind. Für die Roma in diesen Ländern, aber auch in Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit den südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, muss end- ihre Integration zu erleichtern. lich eine nachhaltige und langfristig wirksame Möglich- keit gefunden werden, dass Vorurteile, Ausgrenzung und Den zweiten in diesem Gesetz vorgeschlagenen Diskriminierung überwunden werden, dass sie Zugang Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Ser- zu Bildung, Wohnen, Gesundheitsleistungen und Er- bien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe werbsarbeit erhalten und dass ihre Fluchtursachen in den ich als problematisch an. Zum einen halte ich es ange- Herkunftsländern wirksam bekämpft werden. Solange sichts der Erfahrungen besonders der Gruppe der Roma das nicht der Fall ist, bleibt der Wunsch von Familien in diesen Ländern für nicht gesichert, dass sie dort nicht bestehen, aus bitterer Armut und Not nach Deutschland weiter Diskriminierung, sogar Verfolgung und Gewalt zu fliehen. ausgesetzt sind. Für die Roma in diesen Ländern, aber auch in den südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, Ich habe außerdem aus grundsätzlichen Gründen Pro- muss endlich eine nachhaltige und langfristig wirksame bleme mit der Ausweitung des Systems sicherer Her- Möglichkeit gefunden werden, um Vorurteile, Ausgren- kunftsstaaten. Das Recht auf Asyl ist ein individuelles zung und Diskriminierung zu überwinden, ihnen Zugang Recht, das eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt. zu Bildung, Wohnen, Gesundheitsleistungen und Dieses Recht sollte meines Erachtens nicht einge- Erwerbsarbeit zu ermöglichen und ihre Fluchtursachen schränkt werden. Auch wenn die Anerkennungsquote in den Herkunftsländern wirksam zu bekämpfen. So- von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern lange das nicht der Fall ist, bleibt der Wunsch von Fami- sehr gering ist, verdient jeder Einzelfall Beachtung. Ich lien bestehen, aus bitterer Armut und Not nach Deutsch- bin besorgt, dass mit der Ausweitung der Liste der siche- land zu fliehen. ren Herkunftsstaaten eine falsche Richtung eingeschla- gen wird. Stattdessen brauchen wir eine europäische Ich habe außerdem aus grundsätzlicher Überzeugung Flüchtlingspolitik, die legale Einwanderung ermöglicht Probleme mit der Ausweitung des Systems sicherer Her- und die die Flüchtlinge innerhalb Europas verteilt. Die (B) kunftsstaaten. Das Recht auf Asyl ist ein individuelles Erfahrung zeigt, dass unser Land von Zuwanderung pro- (D) Recht, das eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt. fitiert und dass die weitaus größte Zahl der Zuwandern- Dieses Recht sollte meines Erachtens nicht einge- den in Deutschland Arbeit findet. schränkt werden. Auch wenn die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern In dieser Diskussion muss darauf hingewiesen wer- sehr gering ist, verdient jeder Einzelfall Beachtung. Ich den, dass Deutschland zwar in absoluten Zahlen die bin besorgt, dass mit der Ausweitung der Liste der siche- meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt, im Vergleich ren Herkunftsstaaten eine falsche Richtung eingeschla- zur Bevölkerungszahl kommen aber mehr Flüchtlinge gen wird. Stattdessen brauchen wir eine europäische in die EU-Staaten Schweden, Malta, Österreich, Flüchtlingspolitik, die legale Einwanderung ermöglicht Luxemburg, Ungarn, Belgien sowie in die europäischen und die die Flüchtlinge innerhalb Europas verteilt. Die Länder Norwegen und die Schweiz (Zahlen aus 2013). Erfahrung zeigt, dass unser Land von Zuwanderung pro- Deshalb geht es um eine gerechte Verteilung der Flücht- fitiert und dass die weitaus größte Zahl der Zuwandern- linge in Europa und nicht um Ängste vor zu hohen den in Deutschland Arbeit findet. Flüchtlingszahlen. Den Großstädten in Deutschland, die besondere Probleme haben, müssen wir helfen, damit sie Mit dieser persönlichen Erklärung bringe ich meine Möglichkeiten der Unterbringung und der medizinischen Kritik an der Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten zum Versorgung zur Verfügung stellen können. Städte wie Ausdruck. Dem Gesetz werde ich aufgrund der Koali- Duisburg, die bereits eine starke Zuwanderung aus Süd- tionsvereinbarung und wegen seiner Regelungen zum osteuropa bewältigen, stoßen schon jetzt an die Grenzen Arbeitsmarktzugang zustimmen. ihrer Belastungsfähigkeit. Mit dieser persönlichen Erklärung bringe ich meine Bärbel Bas (SPD): Mit diesem Gesetz sollen zwei Kritik an der Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten zum verschiedene Punkte geregelt werden. Ich begrüße aus- Ausdruck. Dem Gesetz werde ich aufgrund der Koali- drücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme tionsvereinbarung und wegen seiner Regelungen zum für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für gedul- Arbeitsmarktzugang zustimmen. dete Ausländerinnen und Ausländer nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland der Zugang zum Arbeits- markt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, die Karl-Heinz Brunner (SPD): Mit diesem Gesetz sol- nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren Le- len zwei verschiedene Punkte geregelt werden. Ich be- bensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit ihre grüße ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeits- Integration zu erleichtern. aufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und 4322 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) für geduldete Ausländerinnen und Ausländer nach drei In dieser Diskussion muss auch darauf hingewiesen (C) Monaten Aufenthalt in Deutschland der Zugang zum Ar- werden, dass Deutschland zwar in absoluten Zahlen die beitsmarkt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt, im Vergleich die nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren zur Bevölkerungszahl aber hinter Schweden, Malta, Ös- Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit terreich, Luxemburg, Ungarn, Belgien, Norwegen und ihre Integration zu erleichtern. der Schweiz liegt – Zahlen aus 2013. Die Zahl der Asyl- anträge liegt meilenweit entfernt von den Zahlen zu Be- Den zweiten, in diesem Gesetz vorgeschlagenen ginn der 1990er-Jahre. Gleichzeitig sehen wir weltweit Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Ser- Höchststände bei Flucht und Migration. Deutschland hat bien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe historisch begründet eine besondere Verantwortung zu ich problematisch. So halte ich es für nicht gesichert, helfen, und Deutschland kann als wirtschaftlich starkes dass Roma dort nicht weiter Diskriminierung, Verfol- Land auch helfen. Die Großstädte in Deutschland, die gung und Gewalt ausgesetzt werden. Zum anderen be- besondere Probleme haben, müssen wir unterstützen, da- steht weiterhin ein hoher Grad an Diskriminierung und mit sie Möglichkeiten der Unterbringung und der medi- Gewaltbereitschaft gegenüber homo-, bi-, trans- oder in- zinischen Versorgung zur Verfügung stellen können. tersexuellen Menschen auf dem Westbalkan. Paraden werden teilweise verboten, die Justiz unternimmt wenig, Gleichzeitig können die Probleme der Welt nicht in um vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen, Men- Deutschland und auch nicht in Europa alleine gelöst schenrechte werden allein durch die sexuelle Identität in- werden. Das Asylrecht ist nicht dazu geeignet oder be- frage gestellt. Solange dies der Fall ist, bleibt der stimmt, Migration aus sozialen und wirtschaftlichen Wunsch vieler Menschen, nach Deutschland zu fliehen, Gründen zu steuern. Auch Asylbewerberinnen und Asyl- verständlich. bewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsländern werden einzelfallgeprüft, wenn auch in einem verkürz- Mit dieser persönlichen Erklärung bringe ich meine ten Verfahren. Schon heute beträgt die Schutzquote für Sorge an der Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten zum Antragstellende der drei genannten Staaten nicht mehr Ausdruck. Dem Gesetz werde ich aufgrund der Koali- als 0,5 Prozent. Dabei vertraue ich der Kompetenz der tionsvereinbarung und wegen seiner Regelungen zum Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamts für Arbeitsmarktzugang zustimmen. Migration und Flüchtlinge, deren Arbeit nicht auf Ab- wehr zielt, sondern darauf, die wirklich Schutzbedürfti- Dr. Lars Castellucci (SPD): Mit diesem Gesetz sol- gen zu schützen. Vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass len zwei verschiedene Punkte geregelt werden. Ich be- die frei werdenden Ressourcen zu kürzeren Bearbei- grüße ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeits- tungszeiten führen, die dann beispielsweise den Bürger- (B) aufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und kriegsflüchtlingen aus Syrien zugutekommen. (D) für geduldete Ausländerinnen und Ausländer der Zugang Schließlich sollte die Bundesregierung gemeinsam zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Die Wartefrist beträgt mit der Europäischen Kommission in den laufenden Bei- künftig drei statt zwölf Monate Aufenthalt in Deutsch- trittsverhandlungen mit EJR Mazedonien und Serbien land. Damit werden mehr Betroffene ihren Lebensunter- sowie über den Kandidatenstatus Bosniens und Herzego- halt ganz oder teilweise selbst erwirtschaften können, winas insbesondere mit Blick auf die zu verhandelnden sinnvoll beschäftigt und besser integriert sein; es wird Kapitel 23 – Judikative und Grundrechte – und 24 – Jus- den Fachkräftebedarf sichern helfen, und es wird die Ab- tiz, Freiheit und Sicherheit – der Verhandlungsagenda hängigkeit von Sozialleistungen mindern und damit nachdrücklich vermitteln, dass die Einstufung als sichere Haushaltsmittel einsparen. Gleichzeitig bleibt die Vor- Herkunftsstaaten nicht bedeutet, dass diese Staaten den rangprüfung zugunsten hier ansässiger Arbeitskräfte be- Besitzstand der Europäischen Union in diesen wichtigen stehen. Es wird folglich zu evaluieren sein, wie viel sich Bereichen bereits erfüllen. in der Realität tatsächlich ändert. Ein Koalitionsvertrag enthält meist auch Zumutungen Der wesentlichere Punkt in diesem Gesetz ist die Ein- für beide Seiten. Wir können als Sozialdemokratinnen stufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und EJR und Sozialdemokraten auch viel Gutes erreichen für ein Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten. Dieses Vorha- vorurteilsfreieres Miteinander aller hier Lebenden und ben ist bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben wor- für mehr Humanität gegenüber denen, die zu uns kom- den. Ich halte es im Wortsinn für grundsätzlich proble- men wollen. Dies kommt auch in dem vorliegenden Ge- matisch. Man macht ein Grundrecht nicht besser, indem setzentwurf zum Ausdruck, dem ich mit diesen Ausfüh- man es einschränkt. Das Recht auf Asyl ist ein individu- rungen heute zustimmen werde. elles Recht, das eine Einzelfallprüfung zwingend ver- langt. Dies gilt auch, wenn die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern sehr Mechthild Rawert (SPD): Die Erlaubnis zur Ar- gering ist. Die Ausweitung der Liste der sicheren Her- beitsaufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewer- kunftsstaaten ist keine Antwort auf die drängenden Fra- ber und für geduldete Ausländerinnen und Ausländer gen von Migration und Flucht. Stattdessen brauchen wir wird in Zukunft bereits nach drei Monaten Aufenthalt in eine europäische Flüchtlingspolitik, die unter anderem Deutschland gewährt. Diese neue Regelung im Gesetz auch legale Einwanderung ermöglicht, die Flüchtlinge begrüße ich nachdrücklich. Sie erleichtert den Zugang innerhalb Europas gerechter verteilt und Fluchtursachen zum Arbeitsmarkt und ermöglicht nach Deutschland ge- bekämpft, nicht Flüchtlinge. flohenen Menschen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4323

(A) und durch Erwerbsarbeit ihre Integration zu beschleuni- werbsarbeit erhalten und dass ihre Fluchtursachen in den (C) gen. Herkunftsländern wirksam bekämpft werden. Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien sol- Zum anderen bin ich besorgt, dass mit der Auswei- len nun gemäß Unionswunsch asylrechtlich als sichere tung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten generell Herkunftsländer eingestuft werden. Sichere Herkunft- eine falsche Richtung eingeschlagen wird. Stattdessen staaten sind nach dem Asylverfahrensgesetz Staaten, bei brauchen wir eine europäische Flüchtlingspolitik, die le- denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse gale Einwanderung ermöglicht und die die Flüchtlinge die gesetzliche Vermutung besteht, dass dort weder poli- innerhalb Europas gerecht verteilt. Die Erfahrung zeigt, tische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedri- dass unser Land von Zuwanderung profitiert und dass gende Bestrafung oder Behandlung stattfindet (§ 29 a die weitaus größte Zahl der Zuwandernden in Deutsch- AsylVfG). Mazedonien beispielsweise ist aber zerrissen land Arbeit findet. von nationalen Konflikten, Gewerkschaften können In dieser Diskussion muss darauf hingewiesen wer- nicht frei agieren, die Meinungs- und Pressefreiheit wird den, dass Deutschland zwar in absoluten Zahlen die eingeschränkt. Diese Fluchtursachen in den Herkunfts- meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt, im Vergleich ländern von nach Deutschland kommenden Flüchtlin- zur Bevölkerungszahl kommen aber mehr Flüchtlinge gen, zum Beispiel Roma, sind wirksam zu bekämpfen. in die EU-Staaten Schweden, Malta, Österreich, Es bestand der Eindruck, dass das Ziel der Auswei- Luxemburg, Ungarn, Belgien sowie in die europäischen tung des Prinzips der „sicheren Herkunftsstaaten“ die Länder Norwegen und die Schweiz – Zahlen aus 2013. Einschränkung des Asylrechts ist. Das Asylrecht fordert, Deshalb geht es um eine gerechte Verteilung der Flücht- den individuellen Asylgründen gerecht zu werden. linge in Europa und nicht um Ängste vor zu hohen Hierzu ist jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig. Flüchtlingszahlen. Den Großstädten in Deutschland, die Dieses Recht darf nicht eingeschränkt werden. Dies gilt besondere Probleme haben, müssen wir helfen, damit sie auch für die Gruppe der Roma. Mir ist bekannt, dass die Möglichkeiten der Unterbringung und der medizinischen Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus den im Gesetz Versorgung zur Verfügung stellen können. genannten Ländern sehr gering ist. Aber jeder Einzelfall Dem Gesetz werde ich aufgrund des aus meiner Sicht verdient gebührende Beachtung. für die Integration von Flüchtlingen zentralen verbesser- ten Arbeitsmarktzugangs zustimmen. Ich kritisiere die Ausweitung der „sicheren Her- kunftsstaaten“. Dem Gesetz stimme ich wegen der ho- hen Beteiligung der SPD-Mitglieder beim Mitgliedervo- Susann Rüthrich (SPD): Mit diesem Gesetz sollen (B) tum (knapp 78 Prozent) und ihrer hohen Zustimmung zwei verschiedene Punkte geregelt werden. Ich begrüße (D) (76 Prozent) zur Koalitionsvereinbarung und insbeson- ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeitsauf- dere wegen seiner Regelungen zum Arbeitsmarktzugang nahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und zu. für geduldete Ausländerinnen und Ausländer nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland der Zugang zum Ar- beitsmarkt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, Dr. Martin Rosemann (SPD): Mit diesem Gesetz die nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren sollen zwei verschiedene Punkte geregelt werden, die in Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit keinem Sachzusammenhang stehen. ihre Integration zu erleichtern. Ich begrüße ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Den zweiten in diesem Gesetz vorgeschlagenen Arbeitsaufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbe- Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Ser- werber und für geduldete Ausländerinnen und Ausländer bien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland der ich problematisch. Zum einen halte ich es angesichts der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Damit wird Erfahrungen besonders der Gruppe der Roma in diesen den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, er- Ländern für nicht gesichert, dass sie dort nicht weiter möglicht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und durch Diskriminierung, sogar Verfolgung und Gewalt ausge- Erwerbsarbeit ihre Integration zu erleichtern. setzt sind. Für die Roma in diesen Ländern, aber auch in den südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, muss end- Den zweiten in diesem Gesetz geregelten Punkt, die lich eine nachhaltige und langfristig wirksame Möglich- Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und keit gefunden werden, dass Vorurteile, Ausgrenzung und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe ich pro- Diskriminierung überwunden werden, dass sie Zugang blematisch. Zum einen halte ich es angesichts der Erfah- zu Bildung, Wohnen, Gesundheitsleistungen und Er- rungen besonders der Gruppe der Roma in diesen Län- werbsarbeit erhalten und dass ihre Fluchtursachen in den dern für nicht gesichert, dass sie dort nicht weiter Herkunftsländern wirksam bekämpft werden. Solange Diskriminierung, sogar Verfolgung und Gewalt ausge- das nicht der Fall ist, bleibt der Wunsch von Familien setzt sind. Für die Roma in diesen Ländern, aber auch in bestehen, aus bitterer Armut und Not nach Deutschland den südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, muss end- zu fliehen. lich eine nachhaltige und langfristig wirksame Möglich- keit gefunden werden, dass Vorurteile, Ausgrenzung und Ich habe außerdem aus grundsätzlichen Gründen Pro- Diskriminierung überwunden werden, dass sie Zugang bleme mit der Ausweitung des Systems sicherer Her- zu Bildung, Wohnen, Gesundheitsleistungen und Er- kunftsstaaten. Das Recht auf Asyl ist ein individuelles 4324 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) Recht, das eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt. Anlage 14 (C) Dieses Recht sollte meines Erachtens nicht einge- schränkt werden. Auch wenn die Anerkennungsquote Erklärung nach § 31 GO von Flüchtlingen aus den im Gesetz genannten Ländern der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/ sehr gering ist, verdient jeder Einzelfall Beachtung. Ich CSU) zur namentlichen Abstimmung über den bin besorgt, dass mit der Ausweitung der Liste der siche- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- ren Herkunftsstaaten eine falsche Richtung eingeschla- wurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des gen wird. Stattdessen brauchen wir eine europäische Staatsangehörigkeitsgesetzes (Zusatztagesord- Flüchtlingspolitik, die legale Einwanderung ermöglicht nungspunkt 7 a) und die die Flüchtlinge innerhalb Europas verteilt. Die Erfahrung zeigt, dass unser Land von Zuwanderung pro- fitiert und dass die weitaus größte Zahl der Zuwandern- Ja, es stimmt, auch ich habe dem Koalitionsvertrag den in Deutschland Arbeit findet. zugestimmt. Dass ich das nicht mit großer Freude getan habe, ist allgemein bekannt. Sowohl im Koalitionsver- In dieser Diskussion muss darauf hingewiesen wer- trag als auch im konkreten Gesetzgebungsverfahren den, dass Deutschland zwar in absoluten Zahlen die steckt einiges, was ich mit meinem Verständnis von Uni- meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt, im Vergleich zur onspolitik nicht vereinbaren kann. Bevölkerungszahl kommen aber mehr Flüchtlinge in die EU-Staaten Schweden, Malta, Österreich, Luxemburg, Nun stellt sich in vielem heraus, dass die Zweifel Ungarn, Belgien sowie in die europäischen Länder Nor- durchaus angebracht waren bei der Rente mit 63, dem wegen und die Schweiz – Zahlen aus 2013. Deshalb geht Mindestlohn und nun auch bei der doppelten Staats- es um eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa bürgerschaft – so zum Beispiel in Bezug auf die und nicht um Ängste vor zu hohen Flüchtlingszahlen. Abschaffung der Optionspflicht der Kinder aus Zuwan- Den Großstädten in Deutschland, die besondere Pro- derfamilien, mit 23 Jahren zu entscheiden, welcher bleme haben, müssen wir helfen, damit sie Möglichkei- Staatsbürgerschaft sie angehören möchten. Im Koali- ten der Unterbringung und der medizinischen Versor- tionsvertrag wurde vereinbart, dass jeder, der in gung zur Verfügung stellen können. Deutschland geboren und aufgewachsen ist, seinen deut- schen Pass nicht verlieren und keiner Optionspflicht un- Mit dieser persönlichen Erklärung möchte ich meine terliegen soll. schweren Bedenken hinsichtlich der im Gesetz beabsich- tigen Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten zum Aus- Schon damit haben wir uns weit von unserer bisheri- druck bringen. gen Position entfernt, da sich die Optionspflicht bewährt hat und wir daran aus gutem Grund festhalten sollten. (B) (D) Mehrstaatlichkeit, das wissen wir, erschwert die Integra- Dr. Carsten Sieling (SPD): Mit diesem Gesetz sol- tion und führt zu Rosinenpickerei, weil man auf die len zwei verschiedene Punkte geregelt werden. Ich be- jeweiligen Vorteile der verschiedenen Länder zurück- grüße ausdrücklich, dass mit der Erlaubnis zur Arbeits- greifen kann. Bestes Beispiel ist die Aussetzung der aufnahme für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und Wehrpflicht in Deutschland und das Fortbestehen der für geduldete Ausländerinnen und Ausländer nach drei Wehrpflicht in der Türkei. Es ist davon auszugehen, dass Monaten Aufenthalt in Deutschland der Zugang zum Ar- sich ein Großteil der Jugendlichen, die sich bisher ohne beitsmarkt erleichtert wird. Damit wird den Menschen, Probleme für die deutsche Staatsbürgerschaft entschie- die nach Deutschland geflohen sind, ermöglicht, ihren den haben, von dieser Form der Integration aus Gründen Lebensunterhalt zu verdienen und durch Erwerbsarbeit oberflächlicher Vorteilsnahme einfach verabschieden ihre Integration zu erleichtern. wird. Davon abgesehen hat überhaupt keine Not bestan- den, die Optionspflicht abzuschaffen. Denn in der Ver- Den zweiten in diesem Gesetz vorgeschlagenen gangenheit haben sich ungefähr 98 Prozent der Betroffe- Punkt, die Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Ser- nen für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden. Wir bien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten, sehe lösen mit dem Koalitionsvertrag und dem dazugehörigen ich aus grundsätzlichen Erwägungen als problematisch Gesetz sozusagen ein Problem, was überhaupt nicht be- an, da die Ausweitung des Systems sicherer Herkunfts- standen hat. Aber wir schaffen eine Unmenge neuer Pro- staaten das Recht auf Asyl schwächt. Das Recht auf Asyl bleme, vom wiederholten Opfern unserer eigenen Prinzi- ist ein individuelles Recht, das eine Einzelfallprüfung pien ganz abgesehen. Und wir tragen dazu bei, den bis zwingend verlangt. Dieses Recht sollte meines Erach- dahin unauflösbaren Zusammenhang zwischen der tens nicht eingeschränkt werden. Auch wenn die Aner- Staatsangehörigkeit und den damit verbundenen Pflich- kennungsquote von Flüchtlingen aus den im Gesetz ge- ten und Rechten aufzuweichen. nannten Ländern sehr gering ist, verdient jeder Einzelfall Beachtung. Ich bin besorgt, dass mit der Ausweitung der Bisher mussten sich Jugendliche im Alter von 23 Jah- Liste der sicheren Herkunftsstaaten eine falsche Rich- ren, wenn sie ihre volle sittliche und geistige Reife er- tung eingeschlagen wird. Stattdessen brauchen wir eine reicht haben, entscheiden, welche Staatsbürgerschaft sie europäische Flüchtlingspolitik, die legale Einwande- tragen wollen. Jetzt soll es reichen, gerade einmal sechs rung ermöglicht und die die Flüchtlinge innerhalb Euro- Jahre in Deutschland aufgewachsen zu sein, um die pas verteilt. Die Erfahrung zeigt, dass unser Land von deutsche und weitere Staatsbürgerschaften zu behalten. Zuwanderung profitiert und dass die weitaus größte Zahl Auch sollen Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft be- der Zuwandernden in Deutschland Arbeit findet. kommen, die im Ausland geboren sind und deren Eltern Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4325

(A) die deutsche Staatsbürgerschaft nur aufgrund der Tatsa- identisch mit den im Aktionsprogramm von Kairo defi- (C) che besitzen, dass sie acht Jahre in Deutschland gelebt nierten Begriffen „reproduktive Rechte“ und „sexuelle haben. Daraus können unmöglich aufrichtige Bekennt- und reproduktive Gesundheit“ zu verstehen ist und keine nisse zum Grundgesetz, unseren Werten und Grundsät- über diese Definitionen hinausgehende Bedeutung hat, zen und ein ebenso aufrichtiger Wille, sich in unsere Ge- insbesondere kein Recht auf Schwangerschaftsabbruch sellschaft zu integrieren, erwachsen. Wir werden weder statuiert. gesellschaftlich noch rechtlich Integrationsverweigerern wirksam entgegentreten können. Der Hilfeschrei der Po- Damit ist jeder Spekulation die Grundlage entzogen, lizistin Tania Kambouri aus Bochum, die gegenüber der der Bundestag bekenne sich zu einem beliebig interpre- Staatsgewalt über respektlose moslemische Jugendliche tierbaren Begriff „sexuelle und reproduktive Gesundheit klagt, ist ein beredtes Zeugnis dafür. Stattdessen werden und Rechte“ und böte so radikalen Interpretationen Carte wir tatenlos zusehen müssen, wie sich Parallelgesell- blanche. Dieses Ergebnis begrüße ich. schaften unkontrolliert und unkorrigiert entwickeln und Ich hätte mir gewünscht, dass die Berücksichtigung weiterverbreiten, deren Mitglieder zwar in unserem von Gruppen mit Migrationshintergrund und deren be- Land und von unserem Land, aber nie mit unserem Land sonderen Bedürfnissen, was den Kairoer Beschlüssen leben (wollen). entspräche, erwähnt wird. Weiterhin hätte ich befürwor- tet, auch das weltweit zunehmende Problem des uner- füllten Kinderwunsches als Bereich der sexuellen und Anlage 15 reproduktiven Gesundheit und der Wahrnehmung repro- Erklärung nach § 31 GO duktiver Rechte anzusprechen. des Abgeordneten Hubert Hüppe (CDU/CSU) Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen, über zur Abstimmung über den Antrag der Fraktio- die bis in die letzte Zeit hinein von den Medien berichtet nen der CDU/CSU und SPD: 20 Jahre nach wurde, werden im Feststellungsteil als Menschenrechts- Kairo – Bevölkerungspolitik im Kontext interna- verletzungen angesprochen, was zu begrüßen ist. Ich tionaler Entwicklungszusammenarbeit und der hätte mir gewünscht, dass die naheliegenden Konse- Post-2015-Agenda (Tagesordnungspunkt 31) quenzen – eine unparteiische Aufklärung dieser Vor- gänge und wirksame Abhilfe für die Zukunft – ebenfalls Der Antrag verwendet den Begriff „sexuelle und re- angesprochen werden. Insbesondere wäre zu fordern, produktive Gesundheit und Rechte“, der allerdings im dass sowohl im Handeln von UNFPA als auch in den Aktionsprogramm von Kairo nicht verwendet wird. Hin- von UNFPA geförderten nationalen und regionalen Pro- gegen definiert das Aktionsprogramm die Begriffe „re- grammen sowie von den von UNFPA geförderten Nicht- (B) produktive Rechte“ und „sexuelle und reproduktive regierungsorganisationen die im Kairoer Aktionsplan (D) Gesundheit“. Die Terminologie im Kairoer Schlussdo- enthaltenen Prinzipien der Freiwilligkeit, der Freiheit kument ist – als Ergebnis der Verhandlungen zwischen von Zwang und der Nichtförderung von Abtreibung als mit offiziellem Mandat der VN-Mitgliedstaaten ausge- Familienplanungsinstrument respektiert werden. statteten Delegationen – bis heute die maßgebliche inter- national legitimierte Grundlage. Anlage 16 Radikale Gruppen propagieren unter dem Begriff „sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“, Zu Protokoll gegebene Reden SRHR, Vorstellungen, die sich nicht auf den im Aktions- programm von Kairo vereinbarten internationalen Kon- zur Beratung des Entwurfs eines Bundesbesol- sens berufen können, und sind bemüht, mit der SRHR- dungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes Terminologie diese Vorstellungen in Beschlüsse und 2014/2015 (BBVAnpG 2014/2015) (Tagesord- Dokumente internationaler, regionaler und nationaler nungspunkt 9) Gremien einfließen zu lassen. Zu diesen radikalen Vor- stellungen zählt ein behauptetes Menschenrecht auf Ab- Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ich treibung ohne jegliche gesetzliche Beschränkungen, wie hoffe auch in diesem Jahr, dass wir mit der Besoldungs- es etwa in der aktuellen IPPF-Kampagne „I decide“ er- und Versorgungsanpassung im öffentlichen Dienst nicht klärt wird. Eine IPPF-Jugendbroschüre „Healthy, happy zum Topthema an den Stammtischen landauf, landab and hot. A young person’s guide to their rights, sexuality werden. Ist zwar populär, wäre aber dennoch nicht ge- and living with HIV“ erklärt, dass zu den „sexuellen rechtfertigt. Tatsächlich geht es uns bei diesem Gesetz Rechten“ HIV-positiver Jugendlicher das Recht gehört, darum, eine starke Marke, nämlich unser „Made in Ger- ihre Sexualpartner über ihre HIV-Infektion nicht zu in- many“ weiter zu fördern. Welcher ausländische Unter- formieren. nehmer schätzt zum Beispiel nicht die Verlässlichkeit In den Beratungen über den Antragsentwurf wurde der deutschen Verwaltung, wenn er sich hier niederlas- verdeutlicht, dass der Bundestag keine vermeintliche In- sen will? Aus Sicht von Industrie und Wirtschaft gehört terpretationshoheit radikaler Gruppen wie IPPF über die der feste und stabile Ordnungsrahmen zu den Trümpfen Terminologie anerkennen will. Deutschlands. Der öffentliche Dienst ist ein hervorra- gender Standortfaktor. Und unsere Bürgerinnen und Bür- Deshalb wird im Antrag klargestellt, dass der Begriff ger unterscheiden bei ihren Erwartungen doch längst „sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ als nicht mehr zwischen einer hochleistungsfähigen Wirt- 4326 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) schaft, wie wir sie haben, und einer ebenso leistungsfähi- politischer Schwerpunkt der Unionsfraktion in dieser Pe- (C) gen Verwaltung. Wer aber in einem Hochleistungsland riode. diesen Anforderungen standhalten will, braucht leis- tungsfähiges Personal. Die Frage ist also nicht: Bekom- Die Union schreibt die verantwortliche Politik der men die Beamten schon wieder mehr Geld? Die Frage letzten fünf Jahre fort. Wir beraten heute den dritten Ge- ist: Haben die Personalchefs in unseren Behörden die setzentwurf in Folge, mit dem wir das Tarifergebnis für Möglichkeiten und Mittel, die sie brauchen, um hoch- den öffentlichen Dienst zeit- und inhaltsgleich auf die qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen? Eine sehr gut Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richter, funktionierende Verwaltung ist aktive Wirtschaftspolitik, Soldatinnen und Soldaten und Versorgungsempfängerin- und sie ist die Voraussetzung für Lebensqualität in unse- nen und Versorgungsempfänger des Bundes übertragen. rem Land. Deshalb ist sich die Union sicher, dass wir mit Die Dienst- und Versorgungsbezüge werden in zwei diesem Gesetz heute genau am richtigen Punkt investie- Schritten steigen: im ersten Schritt rückwirkend ab 1. März ren. 2014 um 2,8 Prozent und nicht weniger als 90 Euro-So- ckelbetrag. Im zweiten Schritt ab 1. März 2015 sollen IT-Systeme auf dem Stand der Technik erwarte ich die Bezüge um weitere 2,2 Prozent steigen. Mit dem Ab- bei der Bundespolizei oder dem Bundesamt für Verfas- schlag von 0,2 Prozent pro Anpassungsschritt leisten die sungsschutz. Für unsere Strategie Digitale Verwaltung Beamten ihren Beitrag zur Versorgungsrücklage des 2020 brauchen wir Geschäftsmodelle mit dem Geist vom Bundes, und sie helfen dabei, die Beamtenversorgung Silicon Valley. Wir müssen attraktiv sein für hochspezia- langfristig auf solide Füße zu stellen. Das ist gut und lisierte IT-Fachkräfte. Wenn wir im Bereich der organi- richtig; leider wird wenig darüber berichtet. sierten Kriminalität bei der Vermögensabschöpfung aus Faire Besoldung sollte uns am Herzen liegen; sie Straftaten und von Straftätern weiterkommen wollen, macht uns am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig, stärkt das geht das nicht ohne versierte Wirtschaftswissenschaftler, Binnenklima unserer Behörden und ist gerecht. Ich be- Juristen und Steuerexperten. danke mich deshalb bei unserem Koalitionspartner. Dass Ich glaube nicht, dass der öffentliche Dienst allein im vorausschauende Beamtenpolitik nicht in allen Ländern Bereich Vergütung mit der Wirtschaft konkurrieren kann so reibungslos funktioniert, liegt vielleicht auch an der oder je können wird. Wir merken das schmerzlich, wenn Partnerwahl, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD. wir nur mühsam dringend benötigten Nachwuchs in na- Drum prüfe, wer sich ewig bindet! Diese Koalition und turwissenschaftlichen Bereichen finden. Die CDU/CSU die CDU/CSU-Fraktion im Besonderen tun dem öffentli- verfolgt seit Jahren eine andere, erfolgversprechende chen Dienst jedenfalls gut. Und so soll es bleiben! Strategie: Wir wollen mit einem ganzen Bündel an Maß- (B) nahmen für gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Wir beraten (D) moderne, attraktive Arbeitsbedingungen und eine ad- heute in erster Lesung das Bundesbesoldungs- und -ver- äquate Vergütung den Bewerbern eine bestens ausbalan- sorgungsanpassungsgesetz für die Jahre 2014/2015. Es cierte Attraktivität bieten. Und: Wir haben in den letzten ist uns ein zentrales Anliegen, dass wir dieses Gesetz Jahren in dieser Hinsicht schon viel erreicht. Mit dem hier und heute debattieren. Denn dieser gesetzgeberische Fachkräftegewinnungsgesetz haben wir Anreize bei der Akt sollte nicht nur als Selbstverständlichkeit gelten, Besoldung gesetzt, mit dem Familienpflegezeitgesetz sondern auch und gerade als eine bewusste Entscheidung haben wir für bessere Vereinbarkeit von Dienst und des Bundestages mit der Regelungskompetenz zum Bun- Pflege von Angehörigen gesorgt, und wir haben den Ein- desbeamtenrecht und als Haushaltsgesetzgeber, seine tritt in den Ruhestand flexibler gestaltet. Staatsdiener und deren Arbeit zu würdigen. Gestern hieß es in der FAZ: Eine führende Unterneh- Zu Beginn betone ich, dass sich eine solche Würdi- mensberatung hat im Frühjahr dieses Jahres knapp vier- gung der Arbeit für den Staat nicht ausschließlich in einhalbtausend Studenten in ganz Deutschland befragt. Geld ausdrücken lässt. Dennoch ist und war uns bereits Und wissen Sie, was dabei herausgekommen ist? Knapp im Rahmen der vorhergehenden Plenardebatte vom ein Drittel der Studenten will später in den öffentlichen 20. März 2014 anlässlich der Tarifverhandlungen für die Dienst. Diese 32 Prozent wollen später nicht in die Pri- Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Bundes und der vatwirtschaft. Hier darf die Union sagen: Wir sind mit Kommunen im Deutschen Bundestag gewiss, dass es ein unserer Beamtenpolitik mitten in einem Reformprozess, Mehr auch für die Beamtinnen und Beamten geben wird. und der ist offensichtlich erfolgreich. Ansonsten hätte so Die Tarifautonomie in unserem Land funktioniert und eine Befragung anders ausgesehen. wird zumindest von weit überwiegenden Teilen des Deutschen Bundestages auch entsprechend respektiert. Die Steigerungsraten sind besorgniserregend: Allein im April 2014 gab es insgesamt 37 Gewalttaten gegen Ebendieser Respekt gegenüber dem erfreulich erfolg- die Polizei in Deutschland. Wie viele Repräsentanten un- ten Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst vom seres Staates in Arbeitsagenturen oder bei den Rettungs- 1. April 2014 gebietet es daher, alle – und ich betone: diensten und Feuerwehren in Ausübung ihres Amtes alle – diejenigen, die „öffentliche Aufgaben“ im Dienste nicht mehr den Respekt erfahren, den die Menschen in des Staates verrichten, in jedem Falle und damit unge- unseren Verwaltungen zu Recht erwarten dürfen, wissen achtet ihres offiziellen Dienststatus gleich zu behandeln. wir letztlich nicht. Aber dass eine rote Linie unterschrit- In dieser Tradition stehen die bisherigen und langjährig ten ist, das wissen wir. „Mehr Achtung für Menschen, praktizierten Übertragungen der Tarifergebnisse im öf- die unseren Staat repräsentieren“ ist deshalb ein innen- fentlichen Dienst auf die Beamtinnen und Beamten, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4327

(A) Richterinnen und Richter sowie Soldatinnen und Solda- Die Mehrbelastungen für die Anpassung der Dienst- (C) ten. und Versorgungsbezüge im Bundeshaushalt stellen sich wie folgt dar: Im Jahre 2014 wird die Anpassung mit Der öffentliche Dienst des Bundes bietet hervorra- 542 Millionen Euro etatisiert, im Jahre 2015 mit gende Arbeitsbedingungen, seien es – um nur einige 1,05 Milliarden Euro und im Haushaltsjahr 2016 mit Punkte zu nennen – die Möglichkeit zur flexiblen 1,13 Milliarden Euro. Die Versorgungsrücklage wird in Arbeitszeitgestaltung oder aber auch die vorbildliche den Haushaltsjahren 2014 und 2015 hierbei mit rund Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 105 Millionen Euro gespeist werden. Die Arbeitsbedingungen einschließlich der Entloh- nung machen den öffentlichen Dienst attraktiv und auch Diese Zahlen machen deutlich, dass wir uns den öf- zu einem unverzichtbaren Bestandteil und Garanten ei- fentlichen Dienst sprichwörtlich „etwas kosten lassen“. nes funktionierenden Staates. Über 1,9 Millionen Be- Dies geschieht jedoch niemals, ohne zugleich die haus- amte in ganz Deutschland und davon alleine 250 000 in halterische Vernünftigkeit sowie die Leistungsmerkmale der unmittelbaren Bundesverwaltung sorgen tagtäglich ins Verhältnis zu setzen. Stellen Sie sich vor, es gäbe dafür, dass diejenigen Gesetze, die wir Abgeordneten für keine hoheitliche Instanz, die die Steuergesetze, die wir die Menschen im Land beschließen, auch in die Tat um- beschließen, auch durch Staatsdiener vollstreckt. Stellen gesetzt werden, dass die Gesetze, die wir beschließen, Sie sich vor, es gäbe keine Zollbeamten, die Schwarzar- im Einzelfall im Verhältnis unter Privaten oder aber auch beit verfolgen und zur Ahndung vorbereiten würden. im Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zum Staat von „Stellen Sie sich vor“ – diese Liste wäre derart lang, dass Richterinnen und Richtern unabhängig entschieden wer- die Redezeit aller Redner nicht ausreichen würde, das den, dass transatlantische und europäische Bündnisse Aufgabenprofil des öffentlichen Dienstes angemessen zu von Soldatinnen und Soldaten repräsentiert werden, die umreißen. in letzter und wesentlicher Instanz dem Einsatzbefehl Mit diesem Gesetz und den künftigen Haushalten drü- des Parlamentes unterstehen. cken wir neben den Tarifbeschäftigten, die im März Diese anspruchsvollen Aufgaben sind nur mit gut 2014 aufrecht mit dem Bund verhandelt haben, auch den ausgebildetem Personal zu stemmen, und damit dieses Staatsdienern im Beamtenstatus die ihnen gebührende Personal auch täglich zufrieden an den Dienst geht, gilt Wertschätzung aus. Dies zeigt, dass die kompromissori- es für uns als Deutschen Bundestag, die Arbeitsbedin- entierte Kooperation zwischen dem Bundesministerium gungen beginnend bei der Mitbestimmung im öffentli- des Innern, dem Bundestag und den Beschäftigten im öf- chen Dienst und der Besoldung sowie darüber hinaus bei fentlichen Dienst des Bundes eine verlässliche Grund- der Versorgung der Beamtinnen und Beamten sicherzu- lage ist, auf der die deutsche Verwaltung und letztlich (B) stellen. Eine solche Sicherstellung der Qualität, Attrakti- der Staat als solcher fußt. (D) vität und Stabilität der Verwaltung erzielen wir nicht zu- letzt mit diesem Gesetzentwurf, wie er heute vorliegt. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Als ich Mitte der Dieses Vorgehen entspricht im Übrigen einer lange 80er-Jahre in den öffentlichen Dienst kam, hatte dieser gepflegten Praxis. Der Haushaltsvorbehalt ist kein noch ein anderes Gesicht. Die Büros hießen Amtsstuben, Selbstzweck, und noch viel weniger darf er eine Recht- anstelle eines PCs war an der Schreibtischkante ein Blei- fertigung für ein zaghaftes Verhalten der Politik sein, stiftspitzer angeschraubt. Obrigkeitshörigkeit, so schien Ansprüche per se anzunehmen oder abzulehnen. es, war stets wichtiger als die Sache. Dieses Bild des öf- Die aktuelle Übertragung des Tarifabschlusses vom fentlichen Dienstes hält sich zwar hartnäckig in vielen 1. April 2014 sieht vor, dass rückwirkend zum 1. März Vorurteilen, es hat aber mit der heutigen Situation nichts 2014 eine Erhöhung der Bezüge von 2,8 Prozent, min- mehr gemein. Wir alle haben zahlreiche Kontakte zu destens jedoch um 90 Euro, und ab dem 1. März 2015 Verwaltungen in Bund, Ländern und Gemeinden. Ich 2,2 Prozent Erhöhung der Bezüge auf die Beamtenschaft hoffe, Sie teilen meine Einschätzung, dass wir uns – von übertragen werden. Die Bildung und Anpassung der wenigen Ausnahme abgesehen – auf allen Ebenen auf ei- Versorgungsrücklage wiederum speist sich aus beiden nen effizienten, beratenden und verwaltenden öffentli- Stufen der Übertragung mit jeweils 0,2 Prozent. Dies chen Dienst verlassen können. Oftmals sind es Beamtin- stellt eine systemimmanente inhalts- bzw. wirkungs- nen und Beamte, die uns zuarbeiten und beraten. Es ist gleiche Übertragung dar, in Würdigung des geltenden nur gerecht, dass dieses in angemessenem Rahmen Beamtenrechts. durch Erhöhung der Besoldung entlohnt wird. Im vorge- legten Gesetzentwurf greift die Bundesregierung auf das Seit Jahrzehnten wird die soeben vorgestellte Anpas- Ergebnis des Tarifabschlusses für den öffentlichen sung nach jeder Tarifrunde im öffentlichen Dienst auch Dienst des Bundes zurück, und das ist auch gut so! Wir zum Anfang des Monats auf dem Konto der Beamtinnen haben mit der Tarifpartnerschaft ein starkes Prinzip in und Beamten, Richterinnen und Richter und Soldatinnen unserer Gesellschaft verankert. und Soldaten in Gänze spürbar. Dabei gibt es diese Übertragung natürlich nicht zum Nulltarif. Jedoch Die Übernahme der Ergebnisse der Tarifverhandlun- können wir aus den vorgenannten Gründen, die die Leis- gen ist also erfreulich: 2,8 Prozent rückwirkend zum tungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit des öffentli- 1. März 2014 und 2,2 Prozent ab März 2015 bei einem chen Dienstes beschreiben, als zuständige Innenpolitiker Mindestbetrag von 90 Euro. Von Letzterem werden die selbstbewusst in jeder Haushaltsrunde etwaige Mehr- unteren Besoldungsstufen profitieren, und das ist richtig. belastungen guten Gewissens vertreten. Es ist ein gutes Signal in Richtung Attraktivität der vie- 4328 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) len Berufsbilder im Dienst der Bundesbehörden. Junge werden. Es gibt, wie es der Vorsitzende des Deutschen (C) Menschen orientieren sich bei ihrer Berufswahl nicht nur Beamtenbundes, dbb, Klaus Dauderstädt, im Gespräch an den beruflichen Inhalten, sondern auch an den finan- mit dem Innenausschuss des Bundestages vor wenigen ziellen Perspektiven. Das ist doch vollkommen klar und Tagen formulierte, „keinen Grund für geldwerte Son- verständlich. Und der Nimbus des Berufsbeamtentums deropfer der Beamten“. Eine Absenkung der Arbeitszei- hat durch vielerlei Einflüsse schon lange an Glanz verlo- ten würde die Attraktivität des öffentlichen Dienstes er- ren. Personalabbau, Leihbeamte, Ausstattungsmängel – heblich steigern. das sind Schlagworte aus heutiger Zeit, die den Berufs- wunsch „Bundesbeamter“ schmälern. Natürlich stehen Sie wissen so gut wie ich, dass die öffentliche Hand die Begriffe für eine sehr eingeschränkte Sicht auf die im Wettbewerb um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Dinge, in der öffentlichen Wahrnehmung des Berufsbil- weniger mit Gehaltssteigerungen als vielmehr mit fami- des spielen sie dennoch eine wichtige Rolle. Der öffent- lienfreundlichen Arbeitsbedingungen, flexiblen Lebens- liche Dienst muss also wie die Privatwirtschaft um seine arbeitszeitregelungen und einer besonders ausgeprägten Attraktivität kämpfen, und das gilt besonders mit Blick Kultur der Mitbestimmung gewinnen kann. Angesichts auf die demografische Entwicklung. Der öffentliche der demografischen Entwicklung steht das Problem im- Dienst steht vor einer dramatischen Pensionierungswelle mer schärfer auf der Tagesordnung. In den kommenden und damit vor immensen Herausforderungen. Es ist vor zehn Jahren fehlen rund 700 000 Beschäftigte. diesem Hintergrund ein richtiger Schritt, dass auch die Anwärterbezüge steigen. Reichen wird das jedoch nicht. Die Arbeitszeitregelungen sind da ein zentrales Ele- ment der Attraktivitätssteigerung, aber auch Maßnah- Lassen Sie mich an dieser Stelle insbesondere einen men wie die Übernahme der Regelungen zur Mütterrente Punkt nennen, der den Beschäftigten im öffentlichen und der Rente mit 63 aus dem Bereich der Angestellten. Dienst unter den Nägeln brennt. Der Anteil der befristet In der Vergangenheit ist die Beamtenversorgung stets Beschäftigten hat deutlich zugenommen. Das bedeutet einbezogen worden, wenn es um Einschnitte in die Al- nicht nur eine Herausforderung für eine nachhaltige Per- tersversorgung ging. Gerechterweise muss diese Über- sonalpolitik, sondern stellt auch den Faktor immer mehr tragung vom Rentenbereich zur Beamtenversorgung infrage, der lange Zeit als der Garant im öffentlichen auch gelten, wenn es zu Verbesserungen kommt. Dienst galt: die Beschäftigungssicherheit. Dieser Faktor verliert durch die Befristungspraxis der letzten Jahre an Die mangelnde Attraktivität des öffentlichen Dienstes Gewicht, und das ist keine gute Botschaft in Richtung korrespondiert mit dem Problem der viel zu schmalen Nachwuchssicherung. Lassen Sie uns darüber nachden- Einstellungskorridore. Wenn nicht im gleichen Maße ken, ob das der richtige Weg für eine gute Personalpoli- ausgebildet und eingestellt wird, wie Beamte in die Ver- (B) tik ist. Wir Sozialdemokraten haben da Zweifel. sorgung gehen, nimmt die Arbeitsverdichtung immer (D) mehr zu. Weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Ich möchte somit zum Schluss das klare Signal in für eine gleichbleibende oder gar ansteigende Menge Richtung unserer Beamtinnen und Beamten senden: Uns von Aufgaben zuständig. Das hat auf die Dauer physi- ist bewusst: Mit der Übertragung der Tarifergebnisse ist sche und psychische Überforderungen, eine Qualitätsab- die Arbeit noch nicht gemacht. Wir bleiben dran. nahme der Dienstleistungen und mittelfristig eine Ge- fährdung der öffentlichen Vorsorge zur Folge. Leider Frank Tempel (DIE LINKE): Es ist ausgesprochen habe ich in den letzten vier Jahren meiner Tätigkeit im begrüßenswert, dass die Bundesregierung auch in die- Bundestag nicht den politischen Willen auf Regierungs- sem Jahr die Tarifergebnisse zeitnah und inhaltsgleich seite gesehen, grundhaft umzusteuern. Der Koalitions- für die Beamten übernimmt. Die Zugewinne für die vertrag, aber auch das bisherige Handeln der Großen niedrigen Besoldungsgruppen freut uns ebenso wie die Koalition macht mir allerdings keinen Mut, dass sich angekündigte Vereinheitlichung der Urlaubstage auf dies ändern wird. 30 pro Jahr. Leider wird immer noch der Anteil für die Versorgungsrücklage von 0,2 Prozent bei jeder Stufe der Erhöhung abgezogen. Eine einmalige Berechnung pro Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Tarifrunde wäre deutlich gerechter. Mit dem Folgegesetz Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge ist zwei- ab 2016 sollte dies geändert werden! fellos eine gute Sache. Es gibt für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, keinen Grund, sich hier be- Ich gehe nun aber fest davon aus, dass es den persön- sonders auf die Schulter zu klopfen. Denn es ist schlicht lichen Überzeugungen des Innenministers Dr. Thomas Ihr gesetzlicher Auftrag, die Besoldung und Versorgung de Maizière entspricht, auch in kommenden Jahren die regelmäßig an die allgemeinen wirtschaftlichen und fi- Übernahme der Tarifergebnisse genauso zu gestalten wie nanziellen Verhältnisse anzupassen. in diesem Jahr. Das ist aber kein Grund, sich jedes Mal als Fraktion so überschwänglich selbst zu feiern, wie es Das gilt im Wesentlichen auch für die Übertragung zum Beispiel der Kollege Schuster gern macht. Jede des Tarifabschlusses des öffentlichen Dienstes. Auch Menge Hausaufgaben sind noch offen: Die größte Unzu- hier erfüllen Sie nur Ihre rechtliche Verpflichtung, die friedenheit bei den Bundesbeamten ist die Wochenar- Beamtenbesoldung von der Einkommensentwicklung beitszeit. Die 41 Wochenstunden der Beamten sollten nicht abzukoppeln. Das ist eine Frage der Angemessen- auf das Maß der Tarifbeschäftigten des öffentlichen heit der Besoldung und damit der Wertschätzung unserer Dienstes (West) mit 38,5 Wochenstunden abgesenkt Beschäftigten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4329

(A) Zugleich machen Sie es sich hier aber auch reichlich Lassen Sie mich zum Schluss noch darauf hinweisen, (C) einfach. Die Attraktivität des öffentlichen Dienstes allein dass Sie sich auch den Ländern gegenüber aus der Ver- mit dem Öffnen der Geldbörse zu erhöhen, funktioniert antwortung stehlen. Dem Bund, dem insgesamt nur nur in den Zeiten, in denen die Staatskassen ausreichend 11 Prozent aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu- gefüllt sind. Sowohl die demografische Entwicklung als zurechnen sind, fällt es leichter, Tarifabschlüsse auf auch der Wettbewerb mit der Wirtschaft um die besten seine Beamten zu übertragen. Schwieriger ist das für die Köpfe erfordern aber viel mehr. Das Durchschnittsalter Länder und Gemeinden, bei denen Personalkosten einen im öffentlichen Dienst liegt inzwischen bei rund 45 Jah- Großteil der Ausgaben ausmachen. Genau deren Haus- ren – Tendenz steigend. Wir brauchen dringend ein Um- haltslage ist aber häufig angespannt, und sie haben es be- steuern bei der Gewinnung von Beschäftigten. Welche sonders schwer, die Schuldenbremse einzuhalten. An- Ideen bringen Sie denn mit, um die Attraktivität im stelle den Flickenteppich an Vergütungsregelungen zu öffentlichen Dienst zu erhöhen? Wie wollen Sie denn ignorieren, ist eine zukunfts- und generationengerechte konkret für familienfreundliche und moderne Arbeitsbe- Finanzierung des öffentlichen Dienstes eine gesamtstaat- dingungen sorgen, wie Sie es im Koalitionsvertrag ver- liche Aufgabe, für die ich von einer so großen Koali- einbart haben? tionsmehrheit konstruktive Vorschläge erwarte. Lassen Sie mich dazu mal einen Blick auf das Bun- deskriminalamt und die Bundespolizei werfen. Die Ant- Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bun- wort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur desminister des Innern: Die Bundesregierung hat rasch Situation von Frauen in der Bundespolizei und dem nach den Tarifverhandlungen den vorliegenden Gesetz- BKA spricht hier Bände: Frauen sind eklatant unterre- entwurf eingebracht. Wie Sie wissen, haben sich die präsentiert. Und sie werden auch noch schlechter beur- Tarifvertragsparteien nach schwierigen Verhandlungen teilt. Dabei ist die Beurteilung doch Grundlage jeder Be- am 1. April 2014 für die Tarifbeschäftigten von Bund förderung. Vor allem in Führungspositionen findet und Kommunen auf einen Abschluss verständigt, der mit Gleichberechtigung quasi nicht statt. Bei der Bundes- 5,4 Prozent Entgelterhöhung im Rahmen vergleichbarer polizei zum Beispiel waren im Jahr 2014 insgesamt we- Tarifabschlüsse anderer Branchen liegt. Dies war ein gu- niger als 14 Prozent Frauen beschäftigt. Das muss man tes, weil faires Ergebnis – fair gegenüber den Beschäf- sich einmal vorstellen. Im höheren Dienst waren gerade tigten von Bund und Kommunen, die sich zu Recht mehr mal 6 Prozent der Beschäftigten weiblich, im gehobenen Lohn wünschen, fair aber auch gegenüber den Steuer- Dienst noch gut 9 Prozent, und im mittleren Dienst wa- zahlern, die hierfür aufkommen. ren es 17 Prozent. Also haben wir hier sowieso schon Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von zwei Jahren. kaum Frauen, und je höher es geht, desto weniger. Au- Dementsprechend deckt auch die Anpassung für Besol- (B) (D) ßerdem wurden Spitzennoten bei dienstlichen Beurtei- dungs- und Versorgungsempfänger den Zeitraum bis lungen an Frauen viel seltener vergeben als an ihre 2015 ab. Das gibt Stabilität und Planungssicherheit. Ge- männlichen Kollegen. Das ist eine strukturelle Unge- lungen ist das ohne Schlichtung und Erzwingungs- rechtigkeit, und das darf nicht so bleiben! streiks. Die Sozialpartnerschaft hat funktioniert. Die vom Bundesinnenministerium beanspruchte Diese Erhöhung, die natürlich auch eine Anerken- „Vorbildfunktion des öffentlichen Dienstes für familien- nung der Leistungen der Beschäftigten darstellt, soll nun freundliche Arbeitszeiten“ widerlegt die Antwort auf un- auf die Besoldungs- und Versorgungsempfängerinnen sere Kleine Anfrage übrigens gleich mit. Denn darin und -empfänger des Bundes übertragen werden. kann man sehen, dass Teilzeitarbeit fast ausschließlich von Frauen wahrgenommen wird und dass Teilzeitarbeit Mit dem Gesetzentwurf werden die Dienst- und Ver- dienstlich schlechter beurteilt wird als Vollzeitarbeit. sorgungsbezüge im Bund für die Jahre 2014 und 2015 in Deutlich wird die Problematik auch hier anhand schnö- zwei Schritten um insgesamt 5 Prozent angehoben. Im der Zahlen. Im BKA befinden sich nur 5 von 197 Be- ersten Schritt werden sie rückwirkend zum 1. März 2014 schäftigten in Leitungsfunktionen in Teilzeit. um 2,8 Prozent erhöht, jedoch mindestens um 90 Euro. Im zweiten Schritt steigen sie zum 1. März 2015 um Polizistinnen und Verwaltungsbeamtinnen werden 2,2 Prozent. also in doppelter Weise schlechter behandelt als ihre männlichen Kollegen: Sie werden ohnehin – warum Damit wird das Ergebnis der Tarifverhandlungen zeit- auch immer – schlechter beurteilt als Männer, und dann und inhaltsgleich übernommen. Die Bezüge werden so auch noch zusätzlich schlechter durch die häufigere Teil- an die Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen zeitarbeit. und finanziellen Verhältnisse für die nächsten zwei Jahre angepasst. Alle Statusgruppen – Tarifbeschäftigte, Be- Doch wenn man die Bundesregierung danach fragt, amte, Richter, Soldaten – nehmen gleichgerichtet an der welche Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen gezo- Anpassung teil. Der öffentliche Dienst des Bundes bildet gen werden, dann steht sie einfach blank da. Es gibt von eine Einheit – daran halten wir fest. ihrer Seite keine konkreten Vorschläge, diese Missstände zu beseitigen. Können wir uns das leisten? Ich meine, Mit dem vereinbarten Mindestbetrag in Höhe von nicht. Sie verschenken damit nicht nur das Potenzial der 90 Euro enthält das Tarifergebnis eine soziale Kompo- Hälfte der Bevölkerung, sondern sie kommen auch Ih- nente für die unteren Einkommensgruppen, die in den rem verfassungsrechtlichen Auftrag zur Gleichberechti- Tarifverhandlungen besonders umkämpft war. Diese gung nicht nach. Komponente enthält jetzt auch das vorliegende Anpas- 4330 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) sungsgesetz. Für die Zukunft müssen wir bei solchen sage ich: Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesre- (C) Vereinbarungen zweierlei im Auge behalten: gierung trägt dieser Aufgabe Rechnung. Dies wird auch durch die Fachverbände im Bereich des Weinanbaus be- Erstens müssen wir prüfen, ob im Vergleich der Ver- stätigt: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird all- dienststrukturen des öffentlichen Dienstes mit denen der gemein als Verbesserung der bislang geltenden gesetzli- gewerblichen Wirtschaft tatsächlich ein entsprechender chen Regelungen bewertet. Korrekturbedarf besteht. Meine Fraktion begrüßt dabei, dass im Zuge der Zweitens müssen wir auch die innere Stimmigkeit des Rechtsangleichung die Bundesanstalt für Landwirtschaft öffentlichen Gehaltssystems bewahren. Das Besoldungs- und Ernährung, BLE, in ihrer Funktion als Gesundheits- recht spricht hier von Ämtergefüge, was letztlich nichts behörde mithilfe eines Sachverständigenausschusses anderes bedeutet als das Gebot, auch in der Vergütung zukünftig Aussagen zu den Auswirkungen des Weinkon- nicht alle Unterschiede zwischen den Verantwortungs- sums auf die Gesundheit und das Verhalten der Konsu- stufen einzuebnen. Denn eigentlich sind verbesserte mierenden bewerten wird. Die Linke hielte jedoch, Bedingungen für Fachkräfte das Gebot der Stunde. Das ebenso wie der Deutsche Weinbauverband, die Teil- räumen auch die Gewerkschaften ein, die aber dennoch nahme eines Sachverständigen der Weinwirtschaft am die soziale Komponente forderten, selbst wenn davon Sachverständigenausschuss für sinnvoll. Durch die Er- Fachkräfte wenig profitieren. weiterung des Sachverständigenausschusses um eine Die vorgesehenen Erhöhungen liegen jeweils 0,2 Pro- Fachkraft der Weinwirtschaft würden deren spezifische zentpunkte unter der Anpassung im Tarifbereich. Die Kenntnisse Bestandteil der Gesamturteilsfindung des Verminderung hat ihren Grund in gesetzlichen Vorgaben, Gremiums. Die Gefahr einer überdimensionierten Ein- wonach die Bezügeanpassung um 0,2 Prozentpunkte zu- flussnahme der Weinwirtschaft auf die Tätigkeit des gunsten der Versorgungsrücklage des Bundes zu vermin- Sachverständigenausschusses sieht die Linke, ebenso dern ist. Die entsprechenden Beträge fließen in die seit wie der Deutsche Weinbauverband, nicht. 1999 bestehende Versorgungsrücklage des Bundes. Dies Die Weiterentwicklung der Weinwirtschaft, der entspricht der Strategie der Bundesregierung zur nach- Schutz des Kulturgutes Wein und die gesundheitliche haltigen Sicherung der Finanzierungsgrundlagen der Be- Aufklärung und Vorsorge im Umgang mit Alkohol gehö- amtenversorgung und kommt letztlich allen Besoldungs- ren für uns zusammen. Deshalb wird die Linke dem Ge- und Versorgungsempfängern zugute. setzentwurf zustimmen. Die Anwärterbezüge erhöhen sich entsprechend dem Ergebnis der Tarifverhandlungen zum 1. März 2014 um Lassen Sie mich noch auf zwei Dinge hinweisen: Ers- tens hat sich am Montag dieser Woche, am 30. Juni (B) 40 Euro und zum 1. März 2015 um 20 Euro. Dies ist ein (D) Signal für den Nachwuchs im öffentlichen Dienst des 2014, das Parlamentarische Weinforum der Abgeordne- Bundes. ten des Deutschen Bundestages mit einer ersten und, wie ich finde, sehr erfolgreichen Veranstaltung ganz im Zei- Die Attraktivität des öffentlichen Dienstes folgt nicht chen des Weinanbaus an Saale und Unstrut konstituiert. allein aus der Bezahlung. Interessante und herausfor- Wie ich eingangs schon sagte: Beim Wein besteht über dernde Aufgaben sowie angemessene, den Lebensent- die Fraktionsgrenzen hinweg großes Einvernehmen. Je- würfen der Menschen gerecht werdende Arbeitsbedin- weils ein Mitglied aller im Bundestag vertretenen Frak- gungen stellen ebenso gewichtige Elemente für die tionen ist zugleich Mitglied des Parlamentarischen Anziehungskraft eines Arbeitsplatzes dar. Gleichwohl Weinforums. Bei den von uns gemeinsam veranstalteten können die Beschäftigten – dies gilt für Tarifbeschäftigte Parlamentarischen Abenden sind Winzerinnen und Win- und Beamte gleichermaßen – eine Teilhabe an der allge- zer, Vertreterinnen der Weinbauverbände, des Deutschen meinen wirtschaftlichen Entwicklung erwarten. Mit dem Weininstituts, Weinköniginnen und Weinprinzessinnen Tarifabschluss und diesem Gesetzentwurf stellt der Bund ebenso Gast wie Abgeordnete aller Fraktionen und inte- dies sicher. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zu ressierte Journalistinnen und Journalisten. Auf ein Neues dem Gesetzentwurf. und weiterhin so erfolgreich im Namen des deutschen Weines!

Anlage 17 Aber, nicht erst wir beschäftigen uns intensiv mit der Gesetzgebung zum Wein. Auch andere Politiker vor uns Zu Protokoll gegebene Rede haben dies bereits getan. Friedrich Engels etwa suchte nach einer Gesetzmäßigkeit des Zusammenhangs von zur Beratung des von der Bundesregierung ein- geistigen Getränken und politischer Tätigkeit. Ich zi- gebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur tiere: „Ernstliche und besonders erfolgreiche Aufstände Änderung des Weingesetzes (Tagesordnungs- kamen nur in Weinländern oder in solchen deutschen punkt 15) Staaten vor, die sich durch Zölle vor preußischem Schnaps mehr oder weniger geschützt hatten.“ (Marx- Roland Claus (DIE LINKE): Es gibt nicht viele poli- Engels-Werke; Band 19; Seite 41–42; Dietz 1982). Und tische Sachverhalte hier im Hohen Hause, über die ein so ernstliche gesellschaftliche Veränderungen brauchen wir großes Einvernehmen besteht wie beim Wein. Wir ste- auch in Europa und in Deutschland. Wenn der Genuss hen derzeit vor der Aufgabe, EU-rechtliche Änderungen guten Weins dazu führt, dass die zunehmende soziale angemessen in nationales Recht zu übertragen. Und da Spaltung der Gesellschaft überwunden und die zuneh- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4331

(A) mende Verwicklung Deutschlands in militärische Aben- Verkehrsträger. Aber: Die Schiene ist auch kein Allheil- (C) teuer verhindert wird, dann sollten wir hier im Bundes- mittel! Zum einen ist die Bahn oftmals systembedingt tag noch viele dem Weine dienliche Gesetzesnovellen einfach nicht mit dem Lkw konkurrenzfähig. Die Bahn verabschieden. ist vor allem auf längeren Strecken bei größeren Güter- mengen gut bzw. wenn der Zeitverbrauch weniger eine Rolle spielt. Daneben wäre eine baldige Verlagerung von Anlage 18 größeren Gütermengen von der Straße auf die Schiene – wie sie letztendlich der Antrag der Grünen fordert – Zu Protokoll gegebene Reden gar nicht leistbar. Es geht nicht nur um Verlagerung, son- zur Beratung des Antrags: LKW-Maut nach- dern um Bewältigung des auf uns zukommenden Ver- haltig und ökologisch ausrichten (Tagesord- kehrswachstums. Schon heute gibt es auf vielen Stre- nungspunkt 22) cken Stau auf der Schiene. Wir arbeiten dabei am Abbau von Engpässen und dem Ausbau wichtiger Abschnitte. Das alles kostet neben viel Geld vor allem auch viel Zeit. Steffen Bilger (CDU/CSU): „Ohne mich wäre die Es bringt deshalb nichts, jetzt umfassend die Lkw-Kos- Autobahn schön leer. Genau wie Ihr Kühlschrank.“ So ten in die Höhe zu treiben, wenn eine echte Alternative steht es auf einigen Lastern, denen wir als Autofahrer fehlt. gelegentlich auf der Autobahn hinterherfahren. Und der Spruch stimmt – es bringt überhaupt nichts, den Laster Man muss sich schon manches Mal wundern, was so zu verteufeln. Natürlich wollen auch wir mehr Güter auf in Anträgen steht. Die Grünen beklagen, dass das Wege- Bahn und Binnenschiff verlagern. Aber erstens muss uns kostengutachten für niedrigere Lkw-Mautsätze verant- allen klar sein, dass dies nicht von jetzt auf gleich geht, wortlich sei – bei angeblich steigenden Kosten für den und zweitens sollen dabei weiterhin alle Gütertranspor- Erhalt der Straßen. Die steigenden Kosten wurden in ers- ter ihre Stärken ausspielen dürfen. Wir brauchen beides, ter Linie durch fehlende frühere Sanierungen verursacht den Transport auf der Straße wie auch den auf Schiene und erst an zweiter Stelle durch mehr Lkw. Der Bundes- und Wasserwegen. Dazu ist allen Beteiligten klar, dass verkehrsminister ist sicher nicht verantwortlich dafür, der Lkw seinen Beitrag zur Straßennutzung leisten muss. dass unabhängige Gutachter im Einklang mit EU-Recht Und das tut er ja bereits in sehr großem Umfang: Zur niedrige Mautsätze festlegen. Und an den historisch Straßenbenutzungsgebühr kommen auch noch die Mine- niedrigen Zinsen – der Grund für die niedrigeren Maut- ralölsteuer und die Kraftfahrzeugsteuer. Dabei sind uns sätze – ist der Minister genauso wenig schuld. Dazu ver- selbstverständlich alle Gutachten bekannt, die auf die schweigt der Antrag ebenfalls, dass die ganze Lkw-Maut immensen – errechneten – externen Kosten hinweisen. aus grün-roter Regierungszeit stammt. Viele Forderun- (B) Das neue Wegekostengutachten 2013 enthält ja bereits gen aus dem Antrag hätten also schon damals gleich er- (D) Berechnungen zu den externen Kosten aus Luftver- ledigt werden können. schmutzung und Lärmbelastung, die seit einer Änderung des EU-Rechts im Jahr 2011 zusätzlich angelastet wer- Es ist aber nicht alles schlecht, was im Antrag steht. den können. Dass dabei erst einmal nur die Kosten der Einige Ideen sind so gut, dass wir sogar selbst schon vor- Luftverschmutzung angelastet werden sollen, beruht auf her darauf gekommen sind. Bereits im April – und damit technischen Voraussetzungen für eine Anlastung der zwei Monate vor Einbringung des grünen Antrags – hat Lärmbelastungskosten. Eine schnelle Umsetzung der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt angekün- Einbeziehung der Lärmbelastung wäre nicht möglich ge- digt, dass er sich bei der EU-Kommission dafür starkma- wesen. Außerdem ist einmal anzumerken, dass der Lkw chen wird, dass wir das Wegekostengutachten auf neue nicht nur externe Kosten, sondern auch externe Nutzen Beine stellen dürfen. Dabei hat er unsere volle Unterstüt- hat. Um ein bekanntes Sprichwort abzuwandeln, könnte zung. man auch sagen: Nicht nur die Stoßstange ist aller Laster Anfang – auch die von der Wirtschaft bezahlten Steuern Zu guter Letzt will ich natürlich noch einmal daran beginnen oft mit Lastwagen. erinnern, dass wir als CDU/CSU-Verkehrspolitiker un- sere Verantwortung der Verkehrsinfrastruktur gegenüber Eine Lieblingsforderung der Grünen ist und bleibt die sehr ernst nehmen. Viele Forderungen des Antrags wer- sogenannte Internalisierung der externen Staukosten. den wir in dieser Wahlperiode sowieso angehen. Immer- Stau entsteht aber bekanntlich durch viele Fahrzeuge auf hin haben wir bisher schon mehr Mittel durchsetzen kön- zu wenigen Fahrbahnen. Lkw würden also doppelt be- nen als die Vorgängerregierungen. Auch bei der Zukunft straft: einerseits durch staubedingten Zeit- und Geldver- von Toll Collect wird Bundesverkehrsminister Dobrindt lust sowie andererseits dadurch, dass diese auch noch in Abstimmung mit uns anderen Verkehrspolitikern der zusätzlich bezahlt werden müssten. Dabei sollte nicht Koalition ein tragfähiges Konzept vorlegen. Aus den ge- vergessen werden: Auch diese Kosten würde am Ende nannten Gründen lehnen wir den Antrag der Grünen des- der Verbraucher bezahlen. Zudem kann die Logistik- halb ab. branche noch nicht einmal etwas für nicht vom Staat ausgebaute Strecken. In William Shakespeares Hamlet heißt es einmal: „Ist dies schon Irrsinn, so hat es doch Karl Holmeier (CDU/CSU): Ich bin sehr verwun- Methode.“ dert, in welchem Maße die Grünen versuchen, Ge- schichte umzuschreiben, wohl um von eigenen Fehlern Als Union sind wir weiterhin für den Ausbau der abzulenken. Die Lkw-Maut wurde von einer Bundesre- Schiene und eine Verlagerung auf diesen ökologischen gierung eingeführt, in der die Grünen in der Verantwor- 4332 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) tung standen. Die Grünen haben es damals zum Beispiel Euro pro Jahr aus. Ab dem 1. Juli 2015 werden weitere (C) zugelassen, dass die Details des Mautbetreibervertrages 1 000 Kilometer autobahnähnliche Bundesstraßen maut- geheim waren, selbst für die Abgeordneten des Deut- pflichtig; die Einnahmen betragen rund 500 Millionen schen Bundestages. Erst nach ausufernden Spekulatio- Euro bis 2017. Zum 1. Oktober 2015 wird die Grenze, ab nen in der Öffentlichkeit und dem Druck der Unions- der die Lkw-Maut zu zahlen ist, auf 7,5 Tonnen abge- fraktion wurde der Vertrag den Mitgliedern des senkt; das sind rund 200 Millionen Euro Mehreinnah- Verkehrsausschusses zugänglich gemacht. Was hat uns men bis 2017. Am 1. Juli 2018 kommt die Mautpflicht Ihr geheimer Betreibervertrag gebracht, meine Damen für Lkw auf allen Bundesstraßen, wie im Koalitionsver- und Herren von den Grünen? Ein Schiedsverfahren we- trag vereinbart. Zudem werden wir den Umweltfaktor gen der verspäteten Einführung der Maut, in dem der beim Lkw-Verkehr stärken, indem wir besonders um- Bund eine Forderung gegen die Mautbetreiber in Höhe weltfreundliche Fahrzeuge der Euro-VI-Klasse durch von 5 Milliarden Euro plus Zinsen geltend macht, eine eine eigene günstige Mautklasse fördern. Bei der Re- Summe, die uns heute bei Erhalt und Ausbau der Ver- form des Mautwesens wird auch die Angleichung der kehrsinfrastruktur fehlt. Das ist die Realität grüner Infra- Mautsätze auf Bundesautobahnen und Bundesstraßen strukturpolitik. Berücksichtigung finden. Die deutsche Verkehrspolitik steht tatsächlich vor ge- Ich stelle also fest: Unser Verkehrsminister und die waltigen Herausforderungen, vor allem bei der Straßen- Große Koalition haben die Situation fest im Griff. Ver- infrastruktur. Hier bedarf es enormer Anstrengungen. meintlich guter Vorschläge der Grünen bedarf es nicht, Dies hat die Union mit ihren CSU-Verkehrsministern und populistische Schuldzuweisungen sind vollkommen Dr. Peter Raumsauer und Alexander Dobrindt erkannt. fehl am Platz. Wir werden die Maut in Deutschland zu- Wir haben es angepackt. Wir werden besondere Anstren- kunftssicher weiterentwickeln. gungen unternehmen, um zusätzliche Ausgaben für eine moderne, sichere und leistungsstarke Verkehrsinfra- Sebastian Hartmann (SPD): Jedem Ansinnen, die struktur auf den Weg zu bringen. Damit werden wir Stra- Lkw-Maut weiterzuentwickeln, gebührt Lob und Aner- ßen, Schienen- und Wasserwege erhalten und ausbauen. kennung. Eine solche Weiterentwicklung hat zwei ent- Diesem Ziel dient auch die Ausweitung der Lkw-Maut. scheidende Dimensionen: Zum einen ist dies die Berech- In der Tat stellt die neue Wegekostenstudie eine neue nung der Wegekosten und damit auch eine europäische Herausforderung dar: Die Mautsätze müssen reduziert Systematik. Die zweite Dimension ist die Effizienz der werden; bis 2017 werden 2 Milliarden Euro fest einge- Mauterhebung und damit verbunden die Frage der Zu- planter Einnahmen fehlen. Wir stehen aber zu den An- kunft der TollCollect GmbH. sprüchen, die wir selbst an unsere Verkehrspolitik ge- (B) Greifen wir einen der Gedanken im Antrag der Grü- (D) stellt haben: Unser Bundesfinanzminister Wolfgang nen auf: Auf einsamen ländlichen Bundesstraßen fährt Schäuble hat bereits zugesichert, diese Lücke aus dem eine Handvoll Lkw herum, deren Kostenanteil an den allgemeinen Bundeshaushalt zu schließen. So sieht ver- verursachten Schäden höher sein muss, weil sie sie nur antwortliche Infrastrukturpolitik der Union aus, ressort- unter sich aufteilen können. Aus horrenden Mautgebüh- übergreifend. ren, die demnächst dabei entstehen, wird in durchaus be- Wir werden die im Koalitionsvertrag zugesagten merkenswerter Logik die theoretische Möglichkeit abge- 5 Milliarden Euro für die dringend notwendigen Investi- leitet, dass entlegene Regionen nun – Zitat – „verstärkt tionen in die öffentliche Verkehrsinfrastruktur verwen- fordern, an eine Autobahn angeschlossen zu werden“. den. Natürlich wäre ein höherer Betrag besser. Wir kön- Aus dem Wegekostengutachten sind tatsächlich eine nen und wollen aber nicht weiter Geld ausgeben, das wir Reihe von Schlussfolgerungen zu ziehen. Dass sich aber nicht haben. Unser haushaltspolitisches Ziel steht: netto- aus ihm ergibt, demnächst Autobahnen bauen zu müs- schuldenfreier Haushalt für das Jahr 2015. Das sind wir sen, um Mautgebühren zu sparen, halte ich für unzutref- den nachfolgenden Generationen schuldig. fend. Bei den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur Und da sind wir bei der Entscheidung. Entweder sind werden wir weiter Wege gehen, die bislang noch sehr zu- Ihnen die Berechnungsgrundlagen des Wegekostengut- rückhaltend beschritten werden: Mit der mittelstands- achtens zu niedrig oder die Auswirkungen zu hoch. freundlichen Fortentwicklung von öffentlich-privaten 88,2 Milliarden Euro an externen Kosten hat die TU Partnerschaften können wir Synergieeffekte erzeugen, Dresden zusammengerechnet, indem sie jede einzelne die der Verkehrsinfrastruktur zugute kommen. Auch dies Nebenwirkung von Verkehr betrachtet. Entlang einer ist ein Bestandteil verantwortungsvoller Infrastrukturpo- Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung würde man dann litik der Union. allerdings erst recht dazu neigen, Ihre „Kostenwahrheit“ auch auf entlegene Regionen auszudehnen – dieselben Unter dem Strich kann ich zum Antrag der Grünen Regionen, in denen auch die von Ihnen geforderte Ab- feststellen, dass er im Großen und Ganzen nur das wie- senkung der Gewichtsgrenze auf 3,5 Tonnen am stärks- derholt, was bereits realisiert wird oder kurz vor der ten durchschlagen würde. Umsetzung steht. Wir werden die Maut in Deutschland im Einklang mit dem europäischen Recht reformieren. Das Ziel der Maut ist eine dauerhafte Finanzierung Bei der Lkw-Maut werden wir die externen Kosten für der tatsächlichen Kosten. Dazu zählen nicht nur die Luftverschmutzung und Lärm anrechnen; wir gehen von Finanzierungskosten bei Wiederbeschaffung – das ist zusätzlichen Einnahmen in Höhe von 400 Millionen richtig –, sondern auch die externen Kosten wie Lärm- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4333

(A) und Umweltschutz, die in die Berechnung hineingehö- Die Weiterentwicklung der Maut muss auf europäi- (C) ren. Dies sieht die SPD-Bundestagsfraktion genauso. scher Ebene stattfinden. Wir unterhalten uns dieser Tage Die Zinsfixierung der Bau- und Beschaffungskosten ist über die Umsetzung der EU-Richtlinie für den europäi- ein systematisches Problem der Wegekostenberechnung, schen elektronischen Mautdienst in Deutschland. Der das wir durch Anrechnung der anderen Faktoren in ange- Gesetzentwurf liegt dazu dankenswerterweise auf dem messener Weise korrigieren müssen. Aber man darf Tisch und befindet sich derzeit in der Verbändeanhö- nicht an der einen Stelle einer finanziellen Überlastung rung. des Transportgewerbes das Wort reden, um es an anderer Stelle zu beklagen. Was wir bei der Lkw-Maut wollen, ist völlig geklärt: Wir wollen das beste europäische System mit den ge- In Wahrheit ist es doch so: Gerade in ländlichen Re- ringsten möglichen Erhebungskosten. gionen ist der Ausbau von Bundesstraßen nötig. Dass man daran diejenigen beteiligt, die sie benutzen, er- Die faire Abbildung der Kosten aller Verkehrsträger scheint mir logisch. Es ist daran zu erinnern, dass sich ist unsere Aufgabe. Der Hinweis auf die Transparenz an- unter wohlfahrtsökonomischen Aspekten ein solcher derer Kostenarten und ihrer Berechnung wie bei den Beitrag in vielfacher Hinsicht auszahlt: Eine gute Infra- Trassenpreisen im Schienenverkehr ist zulässig, aber an struktur im ländlichen Raum schafft ja überhaupt erst die dieser Stelle nicht sinnvoll. Wir müssen hier die Kosten Voraussetzungen, Handel und Gewerbe vorwärtszubrin- der Lkw realistisch darstellen, wenn wir über die Maut gen. Das gilt für Straßen und Schienen übrigens im sel- in Bezug auf den Verschleiß der Verkehrsinfrastruktur ben Maße wie für die Breitbandversorgung. und die Folgen für die Umwelt reden; aber die Belastung der anderen Verkehrsträger sollte man lieber in einer an- Die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstra- deren parlamentarischen Initiative thematisieren als in ßen ist eine Forderung, die die SPD schon vor Jahren einem Antrag zur Lkw-Maut. aufgestellt hat und die uns in den Koalitionsverhandlun- gen besonders wichtig war. Wir freuen uns, dass der Ich fasse zusammen: Die Ermittlung der tatsächlichen Minister diesen Auftrag ernst nimmt und die Umsetzung Wegekosten ist im Interesse des Systems der Nutzer- in der schnellsten ihm möglichen Weise angekündigt hat, finanzierung. Es darf aber zu keiner Überbelastung der nämlich zum Ende dieser Legislaturperiode. Ich finde, Spediteure kommen. Beim Beitrag zur Finanzierung der wir halten uns in der Debatte häufig mit Fragen auf, die Infrastruktur muss aber auch berücksichtigt werden, dass mit dem Ziel wenig zu tun haben, sondern nur mit unter- die Leistungen und Angebote von Handel und Gewerbe schiedlichen Auffassungen über den Weg dahin. Übri- von der Existenz einer hervorragenden verkehrlichen gens ist die Erweiterung um 30 000 Kilometer auch im Anbindung abhängen – die im wirklich entlegenen Raum übrigens regelmäßig ohne Autobahnanschluss (B) Sinne nicht nur ökonomischer, sondern auch ökologi- (D) scher Betrachtung vernünftig. Sie hat auch Nebenef- auskommen wird, Frau Wilms. Die Wertschöpfung, die fekte, die nicht außer Acht gelassen werden sollten, wie auf der Basis dieser Anbindung erst ermöglicht wird, ist eine Vermeidung oder immerhin Reduzierung von Ver- einer Gesamtbetrachtung im wohlfahrtsökonomischen kehrsverlagerung und Lärm. Sinn zuzurechnen. Ich habe es letzte Woche an dieser Stelle gesagt, und Die Grünen werfen die Frage auf, in welcher Weise ich stehe dazu: Zur konzeptionellen Weiterentwicklung die Bundesregierung den Rückbau des Verkehrsnetzes der Maut gehört auch die Ziehung der Call-Option zur zu treiben gedenkt, wenn die Finanzierung von Erhalt, zumindest zeitweiligen Übernahme der TollCollect Betrieb und Sanierung nicht gewährleistet werden kann. GmbH in Bundeseigentum. Es würde uns in die Lage Bevor wir dieses Schreckgespenst an die Wand werfen, versetzen, dauerhaft die Mauteinnahmen zu sichern und schlage ich einen anderen Weg vor: Sorgen wir für aus- die Ausweitung und Vertiefung der Maut zu ermögli- kömmliche Einnahmen, indem wir die Maut und ihre Er- chen. Allerdings glaube ich nicht, dass am Ende das ge- hebung weiterentwickeln und verstärken! Mehr Mut! samte System der Mauteinnahme zusammenbricht, Wir schaffen das! wenn wir die Call-Option nicht noch in dieser Woche ziehen. Herbert Behrens (DIE LINKE): Es ist nicht das erste Mal am heutigen Tage, dass wir uns mit dem Leitlinie des Vorgehens sind drei Dinge: Wir wollen Thema der Nutzerfinanzierung im Bereich der Straßen- die Mauteinnahmen über den vertraglich vereinbarten verkehrsinfrastruktur befassen. Im Gegensatz zur De- Betriebszeitraum hinaus sichern, wir wollen so bald wie batte am Nachmittag zu den Plänen der Koalition zur möglich die zusätzlichen Einnahmen aus der Erweite- Einführung einer Pkw-Maut geht es jetzt jedoch um et- rung auf das gesamte Verkehrsnetz der Bundesstraßen was Substanzielles. vornehmen, und wir wollen die Erhebung der Maut in möglichst effizienter Weise organisieren. Ich bin ein An- Wir alle wissen, dass die Zeit drängt. Zum einen ver- hänger der Idee, dass die TollCollect GmbH in Bundes- fällt die Verkehrsinfrastruktur zusehends, und der Nach- eigentum übernommen werden muss, um diese drei holbedarf bei der Sanierung von Straßen, Schienen und Ziele zu erreichen; aber ich stelle nicht in Abrede, dass Wasserstraßen ist enorm. Wenn der Sanierungsstau nicht dieselben Ziele vielleicht auch anders zu erreichen sind. unverzüglich aufgelöst wird, drohen gravierende Kapa- Selbstverständlich ist dies eine Übergangsphase. Der zitätsengpässe im deutschen Verkehrsnetz. Zweitens Mautbetrieb ist erneut auszuschreiben und ein, zwei pressiert die Frage, wie es denn weitergehen soll mit der starke Partner sind zu gewinnen. Lkw-Maut. Im Verkehrsministerium wird jedoch seit 4334 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014

(A) Jahren so getan, als ob man auf die jährlichen Nettoein- muss abgewogen werden, ob man, um die Zukunft des (C) nahmen von mehr als drei Milliarden Euro verzichten Mautsystems nicht zu verspielen, den Traum von den könnte. Es wird der Eindruck aufrechterhalten, dass man Milliarden aus dem Schiedsverfahren nicht begräbt und sich noch entscheiden könnte, den Vertrag mit Toll einen Vergleich schließt, der den wechselseitigen Ver- Collect zu verlängern, das System neu auszuschreiben zicht auf Schadensersatz zum Inhalt hat. Dies ist zumin- oder die sogenannte Call-Option zu ziehen. dest der Extremfall, über den man angesichts des knap- pen Zeitrahmens sehr bald wird debattieren müssen. Dies leugnet jedoch die Fakten. Wie im Antrag völlig Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne richtig ausgeführt wird, muss Toll Collect spätestens bis Ende! Anders könnte man den Zustand nämlich nicht be- zum 28. Februar nächsten Jahres vom Bund übernom- schreiben, ab 2018 ganz ohne Mautsystem dazustehen. men werden. Mit einer Vertragsverlängerung kann die Lkw-Maut nämlich nicht auf alle Bundesstraßen erwei- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, wir un- tert werden, wie es SPD und die Unionsfraktionen im terstützen Ihren Antrag, der mit unseren Vorstellungen Koalitionsvertrag festgeschrieben haben. Für eine Neu- zur Zukunft des Mautsystems weitgehend überein- ausschreibung des Systems ist es inzwischen zu spät, das stimmt. Aber eine sichere Zukunft wird die Lkw-Maut heißt, sie wäre gleichbedeutend mit einem kompletten nur haben, wenn die Schiedsverfahren mit Toll Collect Ausfall der Mauteinnahmen über mehrere Jahre. Davor noch vor März 2015 beendet werden und damit erst der sollte auch die Große Koalition nicht mehr die Augen Weg für eine vorübergehende Verstaatlichung frei ge- verschließen. Wenn das immer noch nicht arbeitsfähige macht wird. Verkehrsministerium hier nicht tätig wird, muss die Kanzlerin ein Machtwort sprechen und auf die Über- Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nahme von Toll Collect drängen. Denn hier ist Angela Jahrzehnte haben wir die Verkehrsinfrastruktur immer Merkels Lieblingsvokabel, bei der sich mir die Nacken- nur auf Verschleiß gefahren und das begrenzte Geld nur haare sträuben, ausnahmsweise mal angebracht – näm- in schöne neue Leuchtturmprojekte in den Wahlkreisen lich die Alternativlosigkeit. gesteckt. Das rächt sich jetzt. Nur bei der Regierung Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, scheint diese Erkenntnis noch nicht angekommen zu Ihre Forderung, die Call-Option zu ziehen, trifft den sein. Sie fahren munter den bisherigen Kurs weiter. Kern des Problems, und wir unterstützen selbige ohne Unser Problem ist: Trotz Maut fehlen uns Milliarden Vorbehalte. Leider haben Sie eine entscheidende Frage für die Straßeninfrastruktur, wie die Daehre- und die nicht bedacht: Warum ist die Bundesregierung nicht ge- Bodewig-Kommissionen zweifelsfrei belegt haben. Ei- willt, zu tun, worüber inhaltlich eigentlich Konsens nen Teil des Problems könnte man sicherlich schon lö- herrscht? (B) sen, wenn man mit den vorhandenen Mitteln besser um- (D) Mit anderen Worten, Sie haben es schlicht unterlas- gehen würde. sen, eine zentrale Forderung zu stellen, nämlich die nach Wir werden aber nicht darum herumkommen, insge- der Beendigung der Schiedsverfahren zwischen dem samt mehr Gelder für die Verkehrsinfrastruktur bereit- Bund und dem Betreiber des Mautsystems. Es ist klar, stellen zu müssen. Dafür können und müssen wir die dass, solange die Bundesregierung auf Zahlungen von Mitfinanzierung durch die Nutzer stärken, und zwar Toll Collect in Milliardenhöhe hofft, sie keine Anstalten durch diejenigen Nutzer, die entscheidend zum Ver- machen wird, den einzig logischen Schritt der vorüber- schleiß der Straßen beitragen, also die Lkw. gehenden Verstaatlichung von Toll Collect zu machen. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Die Lkw-Maut ist konsequent und richtig, weil sie den Ansatz der verursachergerechten Anlastung an den Die Gesellschafter von Toll Collect haben freilich Unterhaltungskosten verfolgt. Mittlerweile werden die kein Interesse an einer Übernahme durch den Bund und erzielten Einnahmen zweckgebunden verwendet. Die spielen daher die Verzögerungskarte im Schiedsverfah- Idee, dass der Verursacher für die von ihm verursachten ren wirklich sehr geschickt. Die Telekom, Daimler und Kosten anteilig herangezogen wird, ist einleuchtend und Vinci wissen genau, dass ein Schiedsspruch zulasten von steht für eine nachhaltige Politik. Toll Collect nach einer Verstaatlichung den Bund vor ein Dilemma stellt. Zum einen würde er dann gegen sich Wir meinen: Das Mautsystem ist noch ausbaufähig. selbst Ansprüche geltend machen, was an Ironie kaum Bisher werden die externe Kosten etwa für Gesundheits- zu überbieten wäre. Zum anderen macht dies eine an- schäden gar nicht ausreichend berücksichtigt. Diese schließende Reprivatisierung unmöglich, denn niemand Kosten trägt immer noch die Gesellschaft, also wir alle, übernimmt ein Unternehmen mit einer Hypothek im und nicht der Lkw-Betreiber. Nur durch eine konse- zehnstelligen Bereich. Warum haben die Gesellschafter quente Internalisierung der externen Kosten, wie die von Toll Collect wohl keine Rücklagen für Schadenser- Fachkreise dazu sagen, kann eine Wettbewerbsgleichheit satzzahlungen gebildet? Weil sie am längeren Hebel sit- zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern wie Straße, zen und den Bund am Nasenring durch die Arena ziehen Schiene, Wasserstraße und Luftverkehr erreicht werden. können. Verkehrsträgern, die mehr Schäden verursachen, sollen auch die wahren höheren Kosten auferlegt werden. Die Beendigung des Schiedsverfahrens ist eine uner- lässliche Bedingung für das Ziehen der Call-Option. Den Verursachergerechtigkeit muss für alle Lkw gelten, Vertrag mit Toll Collect jetzt zu verlängern, verschiebt auf allen Bundesfernstraßen. Weil es inzwischen immer das Problem nur in die Zukunft, löst es aber nicht. Jetzt mehr Schwertransporte gibt, müssen wir uns die Frage Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. Juli 2014 4335

(A) stellen: Was machen wir mit den richtig schweren Trans- zichten? Ich denke, nein. Denn zu groß ist das Risiko, (C) porten mit über 100 Tonnen über unsere Straßen? dass wir am Ende ohne Mauteinnahmen dastehen. Dann Derzeit entrichten sie ihren Mautsatz wie ein norma- fehlen 4,5 Milliarden in der Kasse. Woher wollen Sie die ler Sattelzug, obwohl die Schwertransporte unsere Brü- dann nehmen? cken und Straßen deutlich stärker belasten. So sind schon Viel Zeit ist nicht mehr, und es bleibt auch nur noch Autobahnbrücken für Schwertransporte gesperrt worden, eine realistische Lösung übrig. Daher brauchen wir im weil sie unter den hohen Lasten der Schwertransporte Herbst eine klare Entscheidung, auch im Interesse der zusammenbrechen würden. Wo bleibt da endlich eine Mitarbeiter von Toll Collect. Das geht nur noch über die verursachergerechte Lösung? Nutzung der vertraglich vereinbarten Call-Option. Zu guter Letzt: Es fehlt immer noch eine klare Aus- sage aus dem Verkehrsministerium, wie es mit dem Nehmen wir Toll Collect in Bundeshand, so wie es Mauterfassungssystem Toll Collect weitergeht, wenn der der Vertrag mit dem Konsortium vorsieht. Nur so kön- Vertrag Ende August nächsten Jahres ausläuft. Wollen nen wir das System Maut und Straßen aus einer Hand Sie sich dann etwa einen neuen Betreiber suchen? Oder sinnvoll weiterentwickeln. Das erwarten die Menschen wollen sie gar auf die Einnahmen aus der Lkw-Maut ver- und die Wirtschaft im Land von der Politik.

(B) (D) Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7980