Plenarprotokoll 10/3

Deutscher

Stenographischer Bericht

3. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 29A Beschlußfassung über das Verfahren für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen 31 C Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde 51 A Beschlußfassung über die Einsetzung von Ausschüssen Bekanntgabe der Bildung der Bundesre- gierung Jahn (Marburg) SPD 32 B Fischer (Frankfurt) GRÜNE 33A Dr. Schäuble CDU/CSU 33 D in Verbindung mit Frau Potthast GRÜNE 35 A

Eidesleistung der Bundesminister Präsident Dr. Barzel 29 A Zur Geschäftsordnung Genscher, Bundesminister AA 30 A Porzner SPD 36 A Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 30 B Fischer (Frankfurt) GRÜNE 36 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 30 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 37 A Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 30 B Seiters CDU/CSU 37 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 30 B Kiechle, Bundesminister BML 30 C Aktuelle Stunde betr. „Volkszählung" Windelen, Bundesminister BMB . . . 30 C Hecker GRÜNE 37 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 30 C Broll CDU/CSU 38 C Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 30 D Schäfer (Offenburg) SPD 39 D Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 30 D Dr. Hirsch FDP 40 C Dr. Dollinger, Bundesminister BMV . . 31 A Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 41C Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister Dr. Wernitz SPD 42 C BMP 31 A Dr. Laufs CDU/CSU 43 C Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 31 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 31 B BMWi 44 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW . 31 B Schneider (Berlin) GRÜNE 45 B Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . . 31 B Niegel CDU/CSU 46 B II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 47 B Porzner SPD 51 D Baum FDP 48 B Nächste Sitzung 52 A Fellner CDU/CSU 49A Dr. Schmude SPD 50 A Anlage Zur Geschäftsordnung Stratmann GRÜNE 51 B Liste der entschuldigten Abgeordneten . 53* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 29

3. Sitzung

Bonn, den 30. März 1983

Beginn: 11.02 Uhr

Präsident Dr. Barzel: Die Sitzung ist eröffnet. zum Bundesminister für innerdeutsche Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Ta- Beziehungen gesordnung der heutigen Sitzung des Deutschen Herrn Bundestages wird die Tagesordnung gemäß Nr. 2 Dr. Norbert Blüm Buchstabe b der Anlage 5 der Geschäftsordnung zum Bundesminister für Arbeit des Deutschen Bundestages auf Verlangen der und Sozialordnung Fraktion DIE GRÜNEN ergänzt um eine Aktuelle Herrn Stunde zu dem Thema Volkszählung. Einer inter- Dr. Manfred Wörner fraktionellen Vereinbarung entsprechend wird die- zum Bundesminister der Verteidigung ser Zusatzpunkt nach Punkt 4 der Tagesordnung aufgerufen. — Kein Widerspruch. Herrn Dr. Heiner Geißler zum Bundesminister für Jugend, Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 und 2 auf: Familie und Gesundheit Bekanntgabe der Bildung der Bundesregie- Herrn rung Dr. Eidesleistung der Bundesminister zum Bundesminister für Verkehr Der Herr Bundespräsident hat mir hierzu mit Herrn Schreiben vom 30. März 1983 mitgeteilt: Dr. Christian Schwarz-Schilling Gemäß Artikel 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für zum Bundesminister für das Post- die Bundesrepublik Deutschland habe ich und Fernmeldewesen heute auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers Herrn ernannt: Dr. Oscar Schneider Herrn zum Bundesminister für Raumordnung, Hans-Dietrich Genscher Bauwesen und Städtebau zum Bundesminister des Auswärtigen Herrn Herrn Dr. Dr. zum Bundesminister für Forschung zum Bundesminister des Innern und Technologie Herrn Frau Hans A. Engelhard Dr. zum Bundesminister der Justiz zum Bundesminister für Bildung Herrn und Wissenschaft Dr. Herrn zum Bundesminister der Finanzen Dr. Jürgen Warnke Herrn zum Bundesminister für wirtschaftliche Dr. Zusammenarbeit zum Bundesminister für Wirtschaft Wir kommen dann zum anderen Punkt, zur Herrn Eidesleistung der Bundesminister. Meine Damen und Herren, nach Art. 64 des zum Bundesminister für Ernährung, Grundgesetzes leisten die Bundesminister bei der Landwirtschaft und Forsten Amtsübernahme vor dem Bundestag den in Art. 56 Herrn des Grundgesetzes vorgesehenen Eid. Ich bitte die Bundesminister, nach Aufruf ihres Namens zu mir 30 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Präsident Dr. Barzel heranzutreten und den Eid zu leisten. Ich werde Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister für Wirt- den Eid vorsprechen und bitte dann die Mitglieder schaft: Danke, Herr Präsident. der Bundesregierung, ihn mit den Worten „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" oder „Ich Präsident Dr. Barzel: Herr Bundesminister Kiech- schwöre es" zu bekräftigen. le, sind Sie bereit, den Eid zu leisten? (Die Anwesenden erheben sich) Kiechle, Bundesminister für Ernährung, Land- Ich verlese den Eid: wirtschaft und Forsten: Ja. Ich schwöre es, so wahr Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle mir Gott helfe. des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grund- Präsident Dr. Barzel: Herr Bundesminister Kiech- gesetz und die Gesetze des Bundes wahren und le, ich wünsche Ihnen für den Deutschen Bundestag verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft er- Glück und Segen. füllen und Gerechtigkeit gegen jedermann Herr Bundesminister Windelen, sind Sie bereit, üben werde. den Eid zu leisten? Herr Bundesminister Hans-Dietrich Genscher, ich bitte Sie zur Eidesleistung. Sind Sie bereit, den Windelen, Bundesminister für innerdeutsche Be- Eid zu leisten, Herr Bundesminister? ziehungen: Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Genscher, Bundesminister des Auswärtigen: Ich bin bereit, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag mir Gott helfe. wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesmini- ster. Präsident Dr. Barzel: Ich spreche Ihnen die herzli- chen Glückwünsche des Deutschen Bundestages Windelen, Bundesminister für innerdeutsche Be- aus und wünsche Ihnen Glück und Segen. ziehungen: Ich bedanke mich, Herr Präsident.

Genscher, Bundesminister des Auwärtigen: Ich Präsident Dr. Barzel: Herr Bundesminister Dr. danke Ihnen, Herr Präsident. Blüm, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?

Präsident Dr. Barzel: Herr Bundesminister Dr. Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- Zimmermann, sind Sie bereit, den Eid zu leisten? ordnung: Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Dr. Zimmermann, Bundesminister des Innern: Ja- wohl, Herr Bundestagspräsident. Ich schwöre es, so Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag wahr mir Gott helfe. wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesmini- ster. Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesmini- Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozial- ster. ordnung: Danke schön, Herr Präsident. Herr Bundesminister Engelhard, sind Sie bereit, Präsident Dr. Barzel: Herr Bundesminister Dr. den Eid zu leisten? Wörner, sind Sie bereit, den Eid zu leisten? Bundesminister der Justiz: Ich Engelhard, Dr. Wörner, Bundesminister der Verteidigung: Ja, schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Herr Bundestagspräsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen. Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag Herr Bundesminister Dr. Stoltenberg, sind Sie be- wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesmini- reit, den Eid zu leisten? ster. Herr Bundesminister Dr. Geißler, sind Sie bereit, Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Ich den Eid zu leisten? schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Dr. Geißler, Bundesminister für Jugend, Familie Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag be- und Gesundheit: Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, glückwünscht Sie und wünscht Ihnen alles Gute, so wahr mir Gott helfe. Herr Bundesminister. Herr Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff, sind Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag Sie bereit, den Eid zu leisten? wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesmini- ster. Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister für Wirt- schaft: Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr Dr. Geißler, Bundesminister für Jugend, Familie mir Gott helfe. und Gesundheit: Danke sehr.

Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag Präsident Dr. Barzel: Herr Bundesminister Dr. wünscht Ihnen Glück und Segen. Dollinger, sind Sie bereit, den Eid zu leisten? Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 31

Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Ja, Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesmini- helfe. ster.

Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesmini- Dr. Warnke, Bundesminister für wirtschaftliche ster. Zusammenarbeit: Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Herr Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling, sind Sie bereit, den Eid zu leisten? Präsident Dr. Barzel: Meine Damen! Meine Her- ren! Die Mitglieder der Bundesregierung haben den Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister für das nach Art. 64 Abs. 2 GG vorgeschriebenen Eid bei der Post- und Fernmeldewesen: Ja, Herr Präsident. Ich Amtsübernahme vor dem Deutschen Bundestag ge- schwöre es, so wahr mir Gott helfe. leistet. Ich spreche den Mitgliedern der Bundesre- gierung nochmals für ihre verantwortungsvolle Ar- Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag beit die besten Wünsche des Deutschen Bundesta- wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesmini- ges aus. ster. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister für das der FDP sowie bei Abgeordneten der Post- und Fernmeldewesen: Danke. SPD) Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, dem aus- Präsident Dr. Barzel: Herr Bundesminister Dr. scheidenden langjährigen Bundesminister Ertl den Schneider, sind Sie bereit, den Eid zu leisten? herzlichen Dank des Deutschen Bundestages für seine Arbeit auszusprechen. Dr. Schneider, Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Ich schwöre es, so wahr (Beifall bei allen Fraktionen) mir Gott helfe. Meine Damen und meine Herren! Damit sind Punkt 1 und Punkt 2 erledigt. Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag Ich rufe Punkte 3 der Tagesordnung auf: wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesmini- ster. Beschluß über das Verfahren für die Berechnung der Stellenanteile Dr. Schneider, Bundesminister für Raumordnung, der Fraktionen Bauwesen und Städtebau: Danke, Herr Präsident. Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt ein Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Präsident Dr. Barzel: Herr Bundesminister Dr. Drucksache 10/5 vor. Riesenhuber, sind Sie bereit, den Eid zu leisten? Meine Damen, meine Herren, ich habe gehört, es soll noch ein Änderungsantrag kommen. Mir liegt Bundesminister für Forschung Dr. Riesenhuber, aber keiner vor. und Technologie: Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Wird das Wort zur Begründung der Anträge ge- wünscht? — Das ist nicht der Fall. Präsident Dr. Barzel: Der Deutsche Bundestag Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort ge- wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesmini- wünscht? — Auch hier ist das nicht der Fall. Da ster. keine Wortmeldungen vorliegen, schließe ich — — (Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE] über- Dr. Riesenhuber, Bundesminister für Forschung und Technologie: Ich bedanke mich, Herr Präsi- reicht dem Präsidenten einen Antrag — dent. Unruhe) — Wir sind in der Abstimmung. Aber wir machen Präsident Dr. Barzel: Frau Bundesminister Dr. alles mit Geduld und Güte, meine Damen und Her- Wilms, sind Sie bereit, den Eid zu leisten? ren, aber natürlich auch korrekt. (Beifall bei der FDP — Zurufe von der Bundesminister für Bildung und Frau Dr. Wilms, CDU/CSU) Wissenschaft: Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Mir liegt jetzt ein Antrag vor. Wir werden im Älte- stenrat, wenn er sich konstituiert hat, über solche Präsident Dr. Barzel: Frau Bundesminister, der Dinge zu sprechen haben, meine Damen und Her- Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Se- ren. gen. Mir liegt im Augenblick ein Antrag der Fraktion Herr Bundesminister Dr. Warnke, sind Sie bereit, der GRÜNEN vor. Ich bitte, im Interesse der Ar- den Eid zu leisten? beitsmöglichkeiten aller, das Verfahren künftig ein- zuhalten. Nach dem Antrag der GRÜNEN soll der Dr. Warnke, Bundesminister für wirtschaftliche Antrag Drucksache 10/5 in Satz 1 folgende Fassung Zusammenarbeit: Ja, Herr Präsident. Ich schwöre erhalten — ich muß es vorlesen, weil der Antrag es, so wahr mir Gott helfe. noch nicht verteilt werden konnte —: 32 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Präsident Dr. Barzel Die Zahl der auf die Fraktionen entfallenden weise das geeignete Gremium des Bundestages zur Sitze im Ältestenrat und in den Ausschüssen Kontrolle des Finanzgebarens der Regierung. Der sowie die Regelung der Vorsitze in den Aus- Rechtsausschuß oder der Wirtschaftsausschuß er- schüssen wird nach dem Verfahren der mathe- füllen die parlamentarische Verantwortung für matischen Proportionen (St. Lague/Schepers) Rechts- oder Wirtschaftspolitik. berechnet, Jedoch erweist es sich zunehmend, daß die über- — jetzt kommt unterstrichener Text — kommene Aufgliederung der Politikbereiche nicht nachdem die Zuteilung eines Grundmandats allen Aufgaben und Notwendigkeiten gerecht wird für jede Fraktion erfolgt ist und soweit nichts und auch nicht gerecht werden kann. Abweichendes vereinbart wird. Die Zahl der Gebiete nimmt zu, auf denen die Das ist ein Punkt, den wir gestern eigentlich erör- Regierung nicht nur durch einen Fachminister han- tert hatten. Ich glaube, wir wollen in die Aussprache delt, sondern bei denen verschiedene Fachminister nicht eintreten. Verantwortung für dasselbe Gebiet der Politik tra- Ich möchte zunächst über den Antrag der CDU/ gen. Selbst wenn man unterstellt, daß die Bundesre- CSU, SPD und FDP Drucksache 10/5 und dann über gierung die Politik der einzelnen Fachminister zu- den Änderungsantrag abstimmen lassen. Sind wir sammenzuführen hat, fehlt es an einer einheitli- über das Verfahren soweit einig? — Wir können chen Verantwortung für diese Bereiche der Politik. also so verfahren. Es wächst die Gefahr, daß das Ziel, bestimmte Auf- gaben nach einheitlichen Grundsätzen zu messen Wer dem von mir genannten Antrag Drucksache und zu regeln, gefährdet wird oder gar verloren- 10/5 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das geht. Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die die überwältigende Mehrheit. Als Beispiele nenne ich den Bereich des Schutzes Ich stelle jetzt den Antrag der Fraktion der GRÜ- der Umwelt oder den Bereich der Abrüstung und NEN, den ich eben verlesen habe und der noch Rüstungskontrolle oder der Gleichstellung der Frau keine Nummer hat, zur Abstimmung. oder der Zusammenarbeit in Europa. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen Der Deutsche Bundestag hat bisher geeignete wünscht, den bitte ich um ein Zeichen. — Ich bitte Gremien, die dem Anspruch einer einheitlichen Po- um die Gegenprobe. — Der Antrag ist abgelehnt. litik auf diesen Gebieten Genüge tun, nicht geschaf- fen. Er hat sich bisher damit begnügt, durch Mitbe- Damit ist auch Punkt 3 der Tagesordnung erle- ratung und darauf gegründete Zusammenarbeit der digt. Fachausschüsse solchen ressortübergreifenden Be- Zu Punkt 4 der Tagesordnung bitte ich die Vize- reichen gerecht zu werden. Das ist unzureichend. präsidentin Frau Renger, das Präsidium zu über- nehmen. Nehmen Sie als Beispiel den Verfassungsauftrag der Gleichstellung der Frau. Eingelöst werden muß (Vo r sitz : Vizepräsident Frau Renger) dieses Verfassungsgebot in allen Lebensbereichen. Es ist weder eine Aufgabe nur der Rechtspolitik Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und noch nur der Arbeitsmarktpolitik noch nur der So- Herren, ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: zialpolitik und auch nicht allein der Familienpolitik oder auf dem Gebiet des Rechtes des öffentlichen Beschlußfassung über die Einsetzung von Dienstes. An keiner Stelle wird der verfassungs- Ausschüssen rechtliche Auftrag bislang politisch zusammenge-- Hierzu liegen die Anträge der Fraktion der SPD führt. Drucksache 10/8 sowie der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP Drucksache 10/9 vor. Für den Bereich des Schutzes der Umwelt muß Gleiches festgestellt werden. Als Bestandteil der Hierzu eröffne ich die Aussprache. — Das Wort Wirtschaftspolitik oder der Finanzpolitik oder der hat Herr Abgeordneter Jahn. Landwirtschaftspolitik oder auch der Rechtspolitik oder der Arbeitsmarktpolitik kommt der ebenfalls Jahn (Marburg) (SPD): Frau Präsidentin! Meine aus der Verfassung abzuleitende Auftrag des um- Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bun- fassenden Schutzes der Umwelt ins Hintertreffen. destagsfraktion stimmt der Einsetzung der ständi- Wir müssen deshalb überlegen und prüfen, wie gen Ausschüsse zu. Sie will damit an dem bewähr- wir den neuen Aufgaben in angemessener und ge- ten Verfahren festhalten, den einzelnen Fachmini- eigneter Form gerecht werden. Wir müssen neue stern entsprechende Fachausschüsse gegenüberzu- Wege suchen, die uns in den Stand versetzen, unab- stellen. hängig von vorgeformten fachlichen Notwendigkei- Damit wird zweierlei sichergestellt: Die fach- und ten die Fragen aufzunehmen, die übergreifende Be- sachgerechte parlamentarische Kontrolle des Re- deutung haben. gierungshandelns wird gewährleistet. Daneben Die Bundestagsfraktion der SPD macht dazu wird die eigenständige fachbezogene verantwortli- keine bestimmten Vorschläge. Wir wünschen eine che Arbeit des Parlaments ermöglicht. offene und unvoreingenommene Erörterung und Für die überkommenen Bereiche der Politik hat Suche nach der besten Form. Man könnte an ge- sich dieses Gegenüber von Regierung und Parla- meinsame Unterausschüsse der ständigen Fachaus- ment bewährt. Der Haushaltsausschuß ist beispiels schüsse ebenso denken wie an die regelmäßige Ein- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 33

Jahn (Marburg) Setzung von Enquete-Kommissionen. Dem Einfalls- ten, als niemand anderes als der bayerische reichtum sollen jedenfalls keine Grenzen gesetzt Ministerpräsident gewissermaßen als reisender sein. Das Präsidium wird von meiner Fraktion ge- Pistolero fremde Diktatoren besucht und Ihnen beten, die Aufgabe zu übernehmen, geeignete Vor- dort — — schläge zu sammeln und selber zu erarbeiten, um (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Unverschämtheit! sie dann im Einvernehmen mit dem Ältestenrat — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) vorzulegen. Mindestens für die Gebiete der Umwelt, der Abrüstung und Rüstungskontrolle, der Gleich- — Es paßt doch nicht zu Ihrem Aufzug, wenn Sie hier so randalieren! Glauben Sie mir das doch. Das stellung der Frau und der Zusammenarbeit in Eu- ropa müssen wir uns im Deutschen Bundestag un- paßt doch nicht. verzüglich die Gremien schaffen, die es uns erlau- (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei ben, der parlamentarischen Verantwortung auf die- der CDU/CSU) sen Gebieten gerecht zu werden. Dazu erbitte ich Sie bezeichnen uns als Spinner und ähnliches, wer- für die Fraktion der SPD Ihre Unterstützung und fen uns vor, wir würden der Würde nicht gerecht Zustimmung. — Vielen Dank. werden, verschanzen sich aber hinter Schlips und (Beifall bei der SPD) Kragen und benehmen sich in einer Art und Weise, die Sie uns immer vorwerfen. Nun hören Sie doch einmal zu. Ich war doch nicht bei Marcos. Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Fischer. (Beifall bei den GRÜNEN) Das war doch Herr Strauß, der dort deutsche Wert- arbeit in Form einer Pistole einem Diktator, der (Frankfurt) (GRÜNE): Meine Damen und Fischer selbst von der katholischen Kirche als das bezeich- Herren! Die Fraktion der GRÜNEN bringt einen net wird, was er ist, nämlich ein Mörder, überreicht Änderungsantrag ein, der sich auf Ziffer I des An- hat. trags der CDU/CSU-Fraktion bezieht. Wir wün- schen eine Änderung wie folgt: Die Anzahl der Mit- glieder des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- Vizepräsident Frau Renger: Einen Moment, Herr schaft und Forsten, des Verteidigungsausschusses, Abgeordneter. Seien Sie so nett und reden Sie zur des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesund- Sache. heit und des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sammenarbeit wird jeweils auf 29 erhöht. Ich möchte das seitens meiner Fraktion kurz be- Fischer (Frankfurt) (GRÜNE): Ich rede sehr wohl gründen. zur Sache, Frau Präsidentin, zu der Sache nämlich, daß wir diesen Ausschuß nicht als Reiseausschuß Offensichtlich scheint es so zu sein, daß selbst da, begreifen und daß wir es als wesentlich ansehen, wo interfraktionelle Vereinbarungen möglich sind, unser Verhältnis zur Dritten Welt auf eine neue mittlerweile eine solche Vereinbarung behandelt Basis zu stellen, fernab des privaten oder staatlich wird gewissermaßen als ein Preis für Wohlverhal- organisierten Waffenhandels. ten, verlangt von der Mehrheitsfraktion. Es war eine interfraktionelle Vereinbarung in Aussicht ge- (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN) stellt, die Zahl der Mitglieder dieser Ausschüsse Das ist die Begründung für unseren Änderungsan- über 29 hinaus zu erhöhen. Es hätte bedeutet, daß trag. — Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre freund- wir dort mit zwei Mitgliedern vertreten gewesen liche Aufmerksamkeit. - wären. (Beifall bei den GRÜNEN) In Fortsetzung jener theatralischen Merkwürdig- keiten allerdings, die die Mehrheitsfraktion schon Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- anläßlich der Sitzverteilung im Vorfeld der konsti- geordnete Dr. Schäuble. tuierenden Sitzung uns hat erleben lassen, haben wir gestern erfahren, daß offensichtlich vor allen Dr. Schäuble (CDU/CSU): Frau Präsident! Meine Dingen im Verteidigungsausschuß sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege (Biehle [CDU/CSU]: Ihr habt uns gerade Fischer, es wird Ihnen nicht gelingen, uns zu provo- noch gefehlt!) zieren. Wir sind bei dem Tagesordnungspunkt „Ein- die CDU/CSU besondere Probleme hat, zwei Abge- setzung von Ausschüssen". Darüber debattieren ordnete der GRÜNEN dort sitzen zu sehen. Mir wir. Über alles andere debattieren wir dann, wenn scheint, daß der Verteidigungshaushalt offensicht- die Zeit und die Stunde gekommen sind, um dar- lich freigehalten werden soll für eine Politik, die über zu sprechen. man auch hier als das bezeichnen muß, was sie ist: Nur muß ich Ihnen sagen: Wir haben von vorn- eine Politik forcierter Aufrüstung. herein erklärt, daß wir, die CDU/CSU, nicht die Ab- Zum zweiten steht für uns die Frage des Aus- sicht haben, wegen des Einzugs einer weiteren schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zen- Fraktion in den Deutschen Bundestag die Ge- tral im Vordergrund unseres Verhältnisses zur Drit- schäftsordnung und die Regeln, die in diesem Bun- ten Welt. Dabei wurde uns angedeutet, es handele destag gelten und die sich über neun Legislaturpe- sich vor allen Dingen um einen Reiseausschuß, und rioden bewährt haben, zu ändern. Daran halten wir zwar einen Reiseausschuß, der von der CDU/CSU uns. so gehandhabt wird, wie wir neulich erleben durf (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 34 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Dr. Schäuble Dies gilt insbesondere zum Schutze der Minder- wissen. Wir brauchen doch wirklich nicht das Präsi- heit. dium zu bitten, darüber nachzudenken. Zum Thema Meine Damen und Herren, die CDU/CSU weiß Gleichstellung der Frau haben wir während zwei sehr genau, daß die Geschäftsordnung insbeson- Legislaturperioden eine Enquete-Kommission ge- dere die Minderheit, die Opposition, und das Recht habt. Deren Bericht liegt uns vor und ist noch lange der Opposition, hier zu Wort zu kommen, schützen nicht in allen einzelnen Punkten in den ständigen muß. Wir haben nicht die Absicht, den Schutz der Ausschüssen des Bundestages abgehandelt. Minderheit in der Geschäftsordnung unseres Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) destages abzubauen. Wir haben allerdings auch Wir müssen erst einmal das machen. Das ist viel nicht die Absicht, die Geschäftsordnung zu ihren wichtiger. Wir müssen unsere Hausaufgaben aus Gunsten zu verändern. Sie sind gegen Manipula- den vorigen Legislaturperioden noch erledigen. tion. Wir auch. Wir lassen es so, wie es ist, und so, Aber da braucht das Präsidium wirklich nicht zu- wie es sich bewährt hat. Und dies dient Ihrem und sätzlich nachzudenken. Wir waren uns im 9. Deut- unserem Schutz. schen Bundestag unter den Fraktionen einig, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir für das Thema „Zusammenarbeit in Europa" Nun haben wir über den Tagesordnungspunkt eine zusätzliche Form der institutionellen Behand- „Einsetzung von Ausschüssen" keine interfraktio- lung brauchen. Wir haben damals eine Art interpar- nelle Vereinbarung erzielen können, weil eine Frak- lamentarische Kommission einsetzen wollen. Wir tion eine von der Auffassung der anderen Fraktio- werden darüber nachdenken. nen abweichende Meinung hat. Dies ist Ihr legiti- Das heißt, Herr Kollege Jahn: Die CDU/CSU- mes Recht. Aber dann gibt es keine interfraktio- Fraktion lehnt Ihren Antrag nicht ab. Aber wir hal- nelle Vereinbarung, sondern dann gibt es einen An- ten ihn für in der Sache eigentlich gar nicht abstim- trag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der mungsfähig, weil er etwas Selbstverständliches FDP. zum Inhalt hat. Wenn Sie beantragen, wir sollen Die Ausschüsse, bei denen Sie jetzt eine Erhö- beschließen, daß 2 + 2 = 4 ist, können wir dem hung der Zahl der Mitglieder beantragen, haben in nicht widersprechen. Aber eigentlich finden wir, der zurückliegenden Legislaturperiode dieselbe daß wir solche Anträge nicht brauchen. Sie sind Zahl von Mitgliedern gehabt, wie wir es beantragen. wirklich überflüssig. Dies hat nichts mit der Fraktion der GRÜNEN zu (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tun. Deswegen haben wir nicht die Absicht, an der Wir werden, wenn Sie auf der Abstimmung beste- von uns beantragten Zahl etwas zu ändern. Wir leh- hen, Ihrem Antrag nicht widersprechen, sondern nen Ihren Änderungsantrag auf Erhöhung der Zahl wir werden ihn passieren lassen, wir werden ihm der Mitglieder in den von Ihnen genannten Aus- vielleicht auch zustimmen. Aber ich appelliere noch schüssen ab. einmal an Sie, zu überlegen, ob Sie ein solches Nul- Nun möchte ich auch zu den Ausführungen des lum hier wirklich zur Abstimmung stellen wollen. Herrn Kollegen Jahn und zu dem Antrag der Frak- tion der SPD einige Bemerkungen für die Fraktion Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, der CDU/CSU machen. Es ist völlig richtig und völ- Sie erwecken hier den Eindruck, als hätten wir lig unbestritten, daß wir in diesem Hause neben den diese Themen in den zurückliegenden Legislaturpe- ständigen Ausschüssen, über deren Einsetzung wir rioden des Deutschen Bundestages nicht behandelt. jetzt beschließen, zusätzliche Gremien brauchen, Dies ist ein völlig falscher Eindruck. um bestimmte Themen und Sachbereiche abzuklä- Es gibt eine zusätzliche Fraktion im Deutschen ren. Dazu gibt es eine Vielfalt von Instrumentarien, Bundestag. Wir haben gestern gesagt — und das die in der Geschäftsordnung des Bundestages, die gilt —: Wir sind für jede Anregung und für jeden wir gestern beschlossen haben, vorgesehen sind. Es Verbesserungsvorschlag dankbar, und wir werden gibt die Möglichkeit, Sonderausschüsse einzuset- das alles sorgfältig prüfen. Aber wir werden nicht zen; es gibt die Möglichkeit, Unterausschüsse, auch die Verbeugung machen, den wahrheitswidrigen ausschußübergreifende Unterausschüsse, einzuset- Eindruck zu erwecken, als hätten wir bisher über zen; es gibt die Möglichkeit, Untersuchungsaus- diese Themen nicht nachgedacht. Dies ist nicht not- schüsse einzusetzen, Enquete-Kommissionen einzu- wendig. setzen. All dies haben wir. Deswegen bitten wir Sie, Ihren Antrag zurückzu- Herr Kollege Jahn, ganz haben wir noch nicht ziehen. verstanden, warum wir auf Grund eines Antrags (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) beschließen sollen, daß wir darüber nachdenken, was wir tun. Wir denken ebenso wie die Kollegen, die vor uns im Bundestag waren, ständig darüber nach, was wir tun. Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Herren, es ist noch immer etwas schwierig mit den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Verständigungsmöglichkeiten. Ich bitte herzlich um Und neu, Herr Kollege Jahn, ist das alles ja nun Nachsicht. auch nicht. Zum Thema Abrüstung und Rüstungs- kontrolle haben wir im vorigen Deutschen Bundes- Es liegt noch ein weiterer Antrag der GRÜNEN tag einen Unterausschuß gehabt. Der Vorsitzende vor, der noch begründet werden muß. hat Ihrer Fraktion angehört. Das müssen Sie doch Dazu hat Frau Abgeordnete Potthast das Wort. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 35

Frau Potthast (GRÜNE): Meine Damen und Her- — Wenn Sie möchten, warte ich auch so lange, bis ren! Liebe Freundinnen und Freunde! Liebe sich hier ein bißchen Ruhe ergeben hat. Frauen! (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU — Vogel [Ennepetal] [CDU/ (Zurufe von der CDU/CSU: Und die Män CSU]: Darauf gibt es keinen Anspruch!) ner?) Frau Präsidentin, können Sie vielleicht dafür sor- 34 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes, gen, daß es sich etwas beruhigt? in dessen Art. 3 Abs. 2 die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festgeschrieben wurde, sieht Vizepräsident Frau Renger: Verehrte Kollegin, es die Realität immer noch so aus, daß die Mehrheit ist nicht ganz so einfach. Versuchen Sie doch ein- der bundesrepublikanischen Bevölkerung von einer mal fortzufahren. — Ich bitte wirklich um etwas Minderheit regiert und diskriminiert wird. mehr Ruhe. (Allgemeine Unruhe) Frau Potthast (GRÜNE): Es gibt vielleicht ein paar Obwohl Frauen über 53 % der Bevölkerung stel- Analysen, die Sie, meine Herren von der CDU, be- len, sind sie in diesem politischen Entscheidungs- sonders interessieren, denn Sie gelten j a als die gremium — sprich Bundestag — mit knapp 10 % Vertreter dieser Heim- und Herd-Ideologien, insbe- vertreten. Diese für die letzten Jahre sogar noch sondere aber der Familien-Ideologie. relativ hohe Anzahl (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei (Allgemeine Unruhe — Glocke des Präsi der CDU/CSU) denten) Jährlich werden Tausende von Frauen in der Bun- desrepublik vergewaltigt — der überwiegende Teil kommt wohl auch nur dadurch zustande, daß der davon: in der Ehe. Frauenanteil bei uns GRÜNEN mit 40 % wohl über- durchschnittlich hoch ist, wenngleich auch diese (Lachen bei der CDU/CSU) Anzahl für uns Frauen bei den GRÜNEN nicht zu- Jährlich werden zirka 4 Millionen Frauen mißhan- friedenstellend ist. Das allerdings drastische Miß- delt — der überwiegende Teil davon von ihren Ehe- verhältnis von insgesamt 10 % Entscheidungsträge- männern. Bezeichnenderweise treffen Delikte nach rinnen im Bundestag zu einem Frauenanteil von § 177 — Vergewaltigung — und nach § 178 StGB — 53 % in der Gesamtbevölkerung kann wohl kaum im Sexuelle Nötigung — nach wie vor auf den außer- Sinne der vier Mütter des Grundgesetzes gewesen ehelichen Bereich zu. Das heißt im Klartext: Der im sein. Grundgesetz verankerte Grundsatz des Art. 1 (Beifall bei den GRÜNEN) Abs. 1, der die Würde des Menschen garantieren soll, gilt für Frauen in der Ehe nicht. Die Würde von Daß Frauen nicht die gleichen Chancen haben Frauen — gerade in der Ehe — ist antastbar. Und wie Männer, daß Frauen diskriminiert und daß das ist sogar noch gesetzlich verankert. Frauen ungleich behandelt werden, wird in keinem Frauen sind unter derartigen Lebensbedingun- Programm der im Bundestag vertretenen Parteien gen gezwungen, in Frauenhäusern Schutz zu su- bestritten. Sie, meine Herren, bestätigen ersteres chen. Da diese jedoch nicht in ausreichendem Maße durch Ihre Unaufmerksamkeit und durch Ihre lau- vorhanden sind, bleiben die Frauen häufig jahre- ten Zwischenrufe voll. lang in einer Situation, in der sie gedemütigt wer- den, in der sie psychische und physische - (Beifall béi den GRÜNEN — Zuruf von der Gewalt in der Familie tagein tagaus ertragen müssen. CDU/CSU: Frau Oberlehrer! — Weitere Zu rufe von der CDU/CSU) Hier müssen Lösungen gefunden werden, und zwar nicht im Sinne einer Friede-Freude-Eierku- Nicht umsonst hat sich eine Enquete-Kommis- chen-Familien-Ideologie; denn gerade die Familie sion schon seit Jahren mit diesem Thema beschäf- entpuppt sich als der Ort, wo Frauen der männli- tigt. Nur: Analysen gibt es und gab es schon seit chen Gewalt am häufigsten ausgeliefert sind. Jahren wie Sand am Meer. Wir vermissen in erster (Unruhe) Linie die praktischen Konsequenzen, die aus all den umfangreichen Erkenntnissen gezogen werden Der Bereich, in dem Frauen immer noch und in müssen, Konsequenzen, die zwingend notwendig der Hauptsache tätig sind, ist der der Familie. In werden, wenn wir uns die Analysen zum Thema der Bundesrepublik und in West-Berlin kommen Gewalt gegen Frauen, zum Thema Hausarbeit und Vollhausfrauen und Feierabendhausfrauen auf 45 zum Thema Erwerbsarbeit ansehen. bis 50 Milliarden Arbeitsstunden, Gratisarbeits- stunden, im Jahr. Das sind fast genauso viel, wie bei Ein etwas heikles Thema in diesem Saal ist wohl der gesamten Lohnarbeit geleistet werden. Daß die Vergewaltigung. Vergewaltigung ist eine der Frauen darüber hinaus noch zu 30 % an der Er- schlimmsten Formen von Gewalt gegen Frauen, werbsarbeit beteiligt sind, heißt, daß sie im Jahr aber es ist nur die Spitze dieser menschenverach- zwei Drittel der gesamtgesellschaftlich notwendi- tenden Diskriminierung. gen Arbeit leisten. Und sie werden dafür dadurch belohnt, daß sie im Erwerbsleben die niedrigsten (Anhaltende Unruhe — Glocke des Präsi Löhne und die schlechtesten Ausbildungsbedingun- denten) gen erhalten. 36 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Frau Potthast Hier sind Veränderungen absolut notwendig. Das die Abgeordneten, die bis Montag Mitglieder des heißt, wir brauchen nicht noch eine weitere Alibi- Bundestages waren, nicht aus ihren Zimmern hin- Kommission, die dafür sorgt, daß noch mehr Analy- ausschmeißen. sen und noch mehr Empfehlungen ausgearbeitet (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der werden, sondern wir brauchen einen Frauenaus- FDP) schuß, (Beifall bei den GRÜNEN) Jemand, der neu gewählt ist — ich bin zufällig einer, einen Frauenausschuß, der dafür sorgt, daß Art. 3 (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE]) Abs. 2 des Grundgesetzes zumindest ansatzweise umgesetzt wird. Wir bezweifeln, daß die zu leistende hat vor der Sitzungsperiode keinen Anspruch auf Arbeit in den anderen Ausschüssen mit der Dring- einen Raum. Die objektiven Schwierigkeiten, die es lichkeit behandelt würde, mit der sie gemacht wer- dann mit den ganzen Umzügen gibt, kennen Sie den müßte. sowieso. Das Argument, daß in diesem Parlament die we- (Frau Potthast [GRÜNE]: Was heißt das für nigen Frauen in diesen Ausschuß abgeschoben wür- uns?) den, lassen wir nicht gelten; denn wir sehen gerade Ich will zu dem zurückkommen, was den Antrag in der Arbeit in einem Frauenausschuß — auch im betrifft. Meine verehrten Damen und Herren von Hinblick auf die Frauen der anderen Fraktionen — den GRÜNEN, Sie reden von „Transparenz" und ein Moment praktischer Frauensolidarität, die geben weder uns noch der Öffentlichkeit die Mög- darin besteht, dafür zu sorgen, daß traditionelle lichkeit, überhaupt zu sehen, was Sie wollen. Das Strukturen so verändert werden, daß Frauen der wäre auf einem Blatt Papier rechtzeitig zu schrei- Zugang zu politischen Entscheidungsgremien über- ben gewesen. haupt erst ermöglicht wird. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der (Beifall bei den GRÜNEN) FDP) Deswegen meine Bitte und mein Antrag, über Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und den erwähnten Antrag heute nicht zu entscheiden. Herren, das Wort zur Geschäftsordnung hat der Ab- Ich sage aber: Er ist damit nicht vom Tisch geordnete Porzner. (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Er ist ja noch gar nicht auf dem Tisch!) Porzner (SPD): Frau Präsidentin! Meine verehrten — er ist damit politisch nicht vom Tisch —, denn Damen und Herren! Ich bitte darum, daß wir uns Sie haben die Möglichkeit, das in einer der näch- auch am zweiten Sitzungstag an die Geschäftsord- sten Sitzungen des Bundestages — Sie können nung halten, die wir gestern beschlossen haben. Wir selbst auswählen, in welcher Sitzung — wiederum beraten hier einen Antrag oder Anträge — ich weiß auf die Tagesordnung zu setzen. Wir sind uns dar- es nicht —, der oder die nicht vorliegen und die wir über einig, daß natürlich, auch wenn die Liste der inhaltlich nicht kennen. Ausschüsse beschlossen ist, in späteren Sitzungen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der eine Ergänzung oder Änderung möglich ist. — FDP) Recht vielen Dank. Es ist für uns, für mich nicht möglich, Anträgen (Beifall bei der SPD) zuzustimmen oder sie abzulehnen, wenn sie hier nicht vorliegen, nicht für jeden sichtbar auf dem Vizepräsident Frau Renger: Das Wort zur Ge- Tisch liegen. schäftsordnung hat der Abgeordnete Fischer. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Fischer (Frankfurt) (GRÜNE): Herr Kollege Porz- Meine Fraktion nimmt die Bundestagsarbeit so ner, Sie haben mit dem, was Sie gesagt haben, zwei- ernst, daß sie Anträge in aller Form in Fraktionssit- fellos recht. Nur sollten Sie, wenn schon die Hand- zungen zu beraten wünscht, weil die Zustimmung habung der Geschäftsordnung seitens der GRÜ- oder die Ablehnung oder die Enthaltung sachlich, NEN bemängelt wird, daß die Anträge nicht recht- inhaltlich begründet sein müssen. Es genügt nicht, zeitig gekommen seien, daß die Transparenz man- wenn man vorher darüber etwas in Zeitungen hat gelhaft sei, eines bedenken: Die Fraktionsführung lesen können oder wenn etwas gesprächsweise er- und die Geschäftsführung der GRÜNEN lebt seit wähnt worden ist. Wochen aus dem Koffer. Entsprechend gestalten (Schily [GRÜNE]: Deshalb brauchen wir sich die Ergebnisse. Räume, Herr Porzner!) (Widerspruch bei der CDU/CSU) — Ich habe wie Sie — das sage ich jetzt für mich — — Wir sind halt nicht so gut versorgt wie Sie, meine warten müssen, bis ich einen Raum bekommen Damen und Herren von der CDU/CSU. habe. Auch ich habe die Geschäftsführerarbeit schon zu einem Zeitpunkt übernommen, als mein (Zurufe von der CDU/CSU) Vorgänger den Raum, den ich bekommen sollte, Ich finde, wir sollten Verständnis dafür haben und noch nicht räumen konnte, so daß ich das Büro mit fair genug sein, daß am Anfang wahrscheinlich eini- ihm gemeinsam benutzen mußte. Ich habe mich da- ges in eine schwierige Richtung laufen und ver- durch nicht benachteiligt gefühlt. Man konnte doch bockt werden wird. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 37

Fischer (Frankfurt) Herr Kollege Porzner, es geht nicht darum, etwas Ich kann nur sagen: Ich fühle mich durch Ihr Auf- intransparent zu machen. Wir werden in Zukunft — treten in der Öffentlichkeit nach zwei Sitzungen der ich hoffe, wir bekommen die Räume für unsere Raumkommission getäuscht! Fraktionsführung sehr schnell — versuchen, die (Lebhafter B eifall bei der CDU/CSU und Anträge genauso auf den Tisch des Hauses zu brin- der FDP und bei Abgeordneten der SPD) gen, wie es die anderen Fraktionen auch tun. Das ist alles. Ich kann nur sagen: Wir hatten nach jeder Bun- (Beifall bei den GRÜNEN) destagswahl diese Probleme zwischen den Fraktio- nen, die Räume zu bekommen haben, und jenen, die Räume abzugeben haben. Wir werden den Schutz Vizepräsident Frau Renger: Das Wort zur Ge- der Minderheiten auch in diesem Bereich garantie- schäftsordnung hat der Abgeordnete Wolfgramm. ren. Sie werden im April auch Ihre Räume bekom- men. Nur, eines geht natürlich nicht: daß wir, die Wolfgramm (Göttingen) (FDP): Frau Präsidentin! Parteien, die seit vielen Jahren im Parlament sit- Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir zen, unseren Kollegen sagen müssen, sie müßten sind j a geduldig, aber ich glaube, wir können nicht zurückstehen, nur weil Sie an uns übertriebene und noch geduldiger werden. überzogene Forderungen stellen. (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wir sind (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der mit Ihnen auch geduldig!) SPD — Zurufe von den GRÜNEN) Der Punkt ist folgender. Sie haben gestern form- gerechte Anträge vorgelegt, über die man sich infor- Vizepräsident Frau Renger: Jede Fraktion hat zur mieren und über die man dann tatsächlich auch Geschäftsordnung gesprochen. Damit sind die Mög- debattieren konnte. Warum kann das nicht auch lichkeiten, zur Geschäftsordnung zu sprechen, er- heute der Fall sein? Ich sehe keine Möglichkeit, daß schöpft. wir hier in dieser Weise unterschiedlich verfahren. Gemäß § 25 der Geschäftsordnung stelle ich jetzt Ein nicht vorgelegter Antrag kann nicht debattiert den Antrag, die Beratung über die Änderungsan- und über ihn kann auch nicht beschlossen werden. träge auszusetzen, zur Abstimmung. Wer diesem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Es ist ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Änderungsantrag!) Das ist so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den An- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort zur Ge- trag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP schäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Seiters. „Einsetzung von Ausschüssen", I und II auf Druck- sache 10/9. Gibt es dazu Bemerkungen? — Keine weiteren Bemerkungen. Wer diesem Antrag zuzu- Seiters (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Da- stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- men und Herren! Nachdem die Fraktion der GRÜ- chen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei eini- NEN auch heute wieder in dieser Diskussion zur gen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen ist die- Frage der Raumverteilung Stellung genommen und ser Antrag mit großer Mehrheit angenommen. dies bereits in der Öffentlichkeit getan hat, möchte ich als Vorsitzender der Raumkommission folgen- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den An- des klarstellen. trag der SPD „Einsetzung von Gremien", Drucksa- che 10/8. Wird dieser Antrag noch einmal begrün- Die Grünen sind besser behandelt worden als det? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag zu- etwa die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, die entsprechen wünscht, den bitte ich um das Hand- neu in den Deutschen Bundestag gekommen sind. zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen (Beifall bei der CDU/CSU) einige Stimmen und bei einigen Enthaltungen ist Wir haben rund 20 Abgeordnete, die noch nicht über das so angenommen. einen Raum im Deutschen Bundestag verfügen. Ich darf erklären, daß die Fraktion der SPD in den Ich rufe den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf: ersten Tagen sofort 14 Räume im Vorgriff für die Aktuelle Stunde zu dem Thema „Volkszäh- Fraktion der GRÜNEN zur Verfügung gestellt hat. lung" Die FDP-Fraktion und auch die SPD-Fraktion ha- ben dies zusätzlich getan. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hecker. Sie haben fünf Minuten Redezeit, wie Sie wissen. Ich meine, daß Sie von den GRÜNEN über etwa 25 Räume bereits jetzt verfügen; legen Sie mich nicht auf eine Zahl fest. Sie haben einen vorläufi- Hecker (GRÜNE): Liebe Gäste! gen Fraktionssaal bekommen. Sie haben andere (Lachen) Räumlichkeiten. In der Sitzung der Raumkommis- Meine Damen und Herren! Am 27. April 1982, also sion hat der Vertreter der GRÜNEN durchaus posi- heute in genau vier Wochen, wird nach dem derzei- tiv anerkannt, daß sich die Vertreter der Fraktionen tigen Stand der Dinge der Stichtag für die soge- in der Raumkommission zusammen mit der Bun- nannte Volkszählung sein. Jeder Mensch, der die destagsverwaltung intensiv darum bemühen. verschiedenen Fragebögen mit offenen Augen (Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜ durcharbeitet, wird mit mir darin übereinstimmen, NE]) daß es sich hier nicht um eine Volkszählung, daß es 38 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 Hecker sich vielmehr um die totale Erfassung der Daten erfolgen kann. Drittens. Wir appellieren an jeden, des einzelnen Bürgers handelt. sich selbst ein Bild über die Volkszählung und über einen möglichen Boykott zu machen, sich bei den Nach dem Gesetz wird dabei zwischen admini- Volkszählungsboykottinitiativen Informationen strativen und statistischen Daten unterschieden, einzuholen und die Konsequenzen der Volkszäh- und diese sollen auch unterschiedlich behandelt lung selbst zu erkennen. werden. Aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung kann ich sagen — das wird Ihnen jeder bestätigen, Wir halten die individuelle Freiheit des einzelnen der sich mit dem Programmieren elektronischer für ein so hohes Gut, daß Widerstand des einzelnen Datenverarbeitungsanlagen befaßt hat —: Die Mög- nötig ist, wenn der Staat sich an diesem Gut ver- lichkeiten dieser Anlagen im systematischen Verar- greift. beiten, Suchen und Einordnen sind so groß, daß (Beifall bei den GRÜNEN) eine Trennung von persönlichen und statistischen Angaben jederzeit unterlaufen werden kann, daß Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- also für die Benutzer der Daten — das ist nach dem geordnete Broll. Gesetz praktisch allen Behörden und sogar Privat- firmen möglich — auch die persönlichen Daten des einzelnen zugänglich sind. Ich halte das für einen Broil (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr untragbaren Zustand, der mich bitterernst an die verehrten Damen und Herren! Das Volkszählungs- Situation in Orwells Buch „1984" erinnert. gesetz 1983 ist am 2. Dezember 1981 von diesem Bundestag nach rund vierjähriger Beratung im In- Ganz offensichtlich haben auch die Unternehmer nenausschuß einstimmig verabschiedet worden. Es ein ähnliches Gefühl gehabt, als sie erklärten, daß ist mit zwei unwesentlichen Änderungen vom Bun- sie Umsätze ihrer Firmen ebenfalls nicht offenle- desrat gebilligt und dann als Gesetz in Kraft gesetzt gen wollten. Wie Sie wissen, ist dieser Tatsache ja worden. Vier Jahre lang hat der Deutsche Bundes- dann auch durch Änderung des Gesetzes Rechnung tag sich im Innenausschuß kontinuierlich mit den getragen worden. Fortgängen der Verwaltungsarbeit zu diesem Ge- Nicht Rechnung getragen wurde dagegen den Be- setz beschäftigt. denken vieler Bürger. Erst der Einzug der GRÜ- (Zuruf von den GRÜNEN) NEN in den Bundestag führt dazu, daß von diesem Der Fragebogen hat im Entwurf dem Innenaus- Redepult aus der Widerstand in dieses Parlament schuß vorgelegen. Wir haben eine Anhörung von hineingetragen werden kann. Das ist auch bitter- Interessenten an den Daten und von solchen Perso- ernst nötig. Denn Hunderttausende von Bürgern nen veranstaltet, die der ganzen Erhebung und und Bürgerinnen haben sich inzwischen zusam- manchen Einzelfragen kritisch gegenübergestan- mengefunden, die sich dieser Totalerfassung wider- den haben. setzen wollen. Sie wollen durch einen Boykott der Volkszählung verhindern, daß am 27. April die (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Durchleuchtung, Überwachung und Verplanung des Die Datenschützer waren in großer Zahl beteiligt, einzelnen Bürgers möglich wird. Wir alle, die wir haben unsere Beratungen begleitet und haben am zum Boykott der Volkszählung aufrufen, halten die- Ende zugestimmt. Denn hätten sie einen wesentli- ses Sammeln von Daten über den einzelnen für chen Einwand erhoben, ich kann Ihnen versichern, unerträglich. Hier wird von einem Staat, dessen in- dieses Gesetz wäre so überhaupt nicht beschlossen terne Vorgänge für den einzelnen Bürger schon worden. lange nicht mehr verständlich, lange nicht mehr (Zustimmung bei der CDU/CSU) transparent sind, völlige Transparenz sogar der pri- Einer der in der Anhörung anwesenden Sachver- vaten Sphäre des einzelnen gefordert. ständigen — Professor Krupp aus Berlin — hat viel So dürfte es auch nicht verwundern, daß für viele weitergehende Vorstellungen über die Weitergabe Menschen ein Zusammenhang besteht zwischen von statistischen Daten an wissenschaftliche und der Verweigerung des Staates, die Stationierungs- andere Institute vorgetragen. orte für die neuen Atomraketen zu nennen, die ge- (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Der war doch in gen den Widerstand eines Großteils der Bevölke- der Wahlkampfmannschaft von Herrn Vo- rung aufgestellt werden sollen, und der Verweige- gel!) rung, Auskünfte über Einzelheiten unseres Lebens zu geben — ein weiterer Schritt in den Überwa- Ich wüßte nicht, was Herr Vogel, der Herrn Dr. chungsstaat. Krupp j a eine wesentliche Rolle in seiner Regie- rung zugedacht hatte, heute täte, wenn er die Wahl (Beifall bei den GRÜNEN) gewonnen hätte. Ich glaube nicht, daß er das, was er Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal sehr vorhat, verwirklichen könnte: eine Verschiebung konkret werden. Erstens. Die GRÜNEN werden der Volkszählung zu beantragen, weil gerade sein dem Bundestag eine Gesetzesinitiative zuleiten, die Wirtschaftsfachmann die Notwendigkeit der Volks- die Aufhebung des Volkszählungsgesetzes zum zählung — wie kein anderer, möchte ich fast sagen Ziele hat. Zweitens. Die GRÜNEN sind sich darüber — im Innenausschuß vertreten hat. im klaren, daß auf Grund der Geschäftsordnung Meine sehr verehrten Damen und Herren, Probe- ohne Ihre Hilfe — ohne die Hilfe eines Drittels der befragungen, die wir von Gesetzes wegen vorge- Abgeordneten — eine Diskussion über eine Aufhe- schrieben haben, haben ergeben, daß die Bevölke- bung des Gesetzes vor dem Stichtag 27. April nicht rung den Fragebogen vernünftig und die Fragen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 39

Broil angemessen findet. Es sind inzwischen über 50 000 die Kollegen von der SPD auf: Verfallen Sie bitte Bürger probebefragt worden. Sie sollten sich diesen nicht der Versuchung, auf eine Kampagne herein- Fragebogen ansehen. Gott sei Dank haben ja nun zufallen und bei ihr mitzumachen, die das zerstört, neuerdings auch die Presse und die anderen Me was Sie Selbst bis zum letzten Augenblick hier im dien Interesse an diesen Dingen gewonnen, wäh- Bundestag mitgemacht haben. rend ich damals als Redner zu diesem Thema be- (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordne- klagt habe, daß meine Rede nicht auf der ersten ten der FDP) Seite der Zeitung erwähnt worden war — zugegebe- nermaßen. Wenn Sie diese beiden Fragebögen be- gucken, meine sehr verehrten Damen und Herren, Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, werden Sie keine einzige Frage sehen, von der Sie Ihre Redezeit ist beendet. sagen könnten, Sie beträfe den intimen Bereich des Menschen. Broil (CDU/CSU): Die Abgeordneten der GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN fordere ich auf, sich wesentlichere Themen auszusuchen, um den Staat unregierbar zu machen. Nichts von dem, was auf der ersten Seite zu fin- Mit diesem Thema schaffen Sie es nicht. den ist — Name des Haushaltsvorstands, Zahl der Angehörigen, Straße, eventuell freiwillig Telefon- Die Bürger bitte ich — — nummer — wird überhaupt gespeichert. Diese ganze erste Seite verschwindet, sobald die vielen Vizepräsident Frau Renger: Ihre Redezeit ist been- tausend Helfer bei den Haushaltungen gewesen det! sind und die Einzeldaten in ihre Sammelakten übertragen haben. Ich sehe absolut nicht ein, — — Broil (CDU/CSU): Die Bürger bitte ich zum Ab- schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, (Abg. Schily [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) jenes Maß an Treue und Opferbereitschaft für den Staat aufzubringen, das nötig ist, um unseren Staat — Lieber Herr Kollege, die Geschäftsordnung sieht mit guten Daten zu versorgen. Zehn Minuten Arbeit Zwischenfragen in der Aktuellen Stunde nicht vor. an der Volkszählung bedeuten zehn Jahre bessere — Ich hoffe, daß der Bundestag den Kollegen der Grundlage für Politik. GRÜNEN die Geschäftsordnung zugestellt hat. Persönliche Daten, die irgendwie durch Daten- Vizepräsident Frau Renger: Die Redezeit ist abge- schutz berührt werden können, werden im Grunde schlossen. Verehrter Herr Kollege, Sie haben das schon gar nicht erhoben. Das Statistikgeheimnis ist Ende der Redezeit erreicht. Sie wissen: Das ist bei in der Bundesrepublik nebst dem Beichtgeheimnis, dieser Debatte wichtig. möchte ich sagen, das bestgehütete Geheimnis. Es (Beifall bei der CDU/CSU) gibt kein einziges Beispiel seit 1949, daß ein Befra- Herr Abgeordneter Schäfer, Sie haben das Wort. ger in irgendeiner Weise gegen das verstoßen hat, was ihm als öffentlich Verpflichtetem obliegt. Schäfer (Offenburg) (SPD): Frau Präsident! Meine Ich weiß nicht, meine Damen und Herren von den sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin- GRÜNEN, was Sie von Eid und öffentlicher Ver- nen und Kollegen! Aktive staatliche Arbeitsmarkt- pflichtung halten. Was Sie bisher gezeigt haben, politik, vorausschauende Strukturpolitik, zukunfts- war sehr diffus. weisende Energiepolitik, der Ausbau des öffentli- (Beifall bei der CDU/CSU) chen Nahverkehrs sind, um nur einige wichtige Po- - litikbereiche zu nennen, ohne aktualisierte statisti- Ich verlange, daß unseren öffentlichen Bedienste- sche Daten nicht möglich. ten und all den ehrenamtlichen Helfern, die sich (Zuruf von den GRÜNEN: Mikrozensus!) bereitfinden, bei der Volkszählung mitzumachen, der Respekt gezollt wird, den sie verdienen. Kein moderner Staat kann also auf Planungsdaten verzichten. Dazu ist auch die Volkszählung notwen- (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordne dig. ten der FDP) (Beifall bei der SPD) Sie haben Anspruch darauf, daß wir ihrer Ehrlich- Deshalb haben wir Sozialdemokraten in der 8. und keit und ihrer Treue vertrauen, so, wie wir es bisher 9. Legislaturperiode am Volkszählungsgesetz kon- zu Recht getan haben. struktiv mitgearbeitet, deshalb haben wir diesem Gesetz auch zugestimmt, deshalb bejahen wir un- (Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Bloß Kopf verändert die Notwendigkeit statistischer Erhebun- gelder für Ausländer!) gen. Der Innenausschuß hat die Zahl der Fragen sogar Die vorgesehene Durchführung des Gesetzes läßt fast halbiert, wenn Sie das einmal mit dem verglei- freilich gravierende Fehler erkennen. Der Vollzug chen, was im Jahre 1970 oder ein paar Jahre später des Gesetzes entspricht in wesentlichen Punkten zur Wohnungszählung gefragt worden ist. nicht dem Willen des Gesetzgebers. Einige Punkte Wir haben die Zahl der Fragen dieser Volkszäh- will ich nennen. Abzulehnen ist beispielsweise der lung, die sicher für den Bürger lästig ist, so gering Einsatz von Polizeibeamten als Zähler. wie möglich gehalten, um dennoch das nötige Mate- (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei rial zu bekommen. Deswegen fordere ich erstens Abgeordneten der FDP) 40 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Schäfer (Offenburg) Hier finden wir uns in Übereinstimmung mit der antwortung dafür, daß rund eine halbe Milliarde Gewerkschaft der Polizei, die einen solchen Einsatz DM Steuergelder verschwendet werden. ausdrücklich ablehnt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Abzulehnen ist das In-Aussicht-Stellen von soge- Niemand kann sagen, eine Verschiebung sei nicht nannten Kopfprämien. möglich. Wir haben in der 8. Legislaturperiode, alle insgesamt, die damals im Bundestag vertreten wa- (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei ren, plus alle Länder, plus die Bundesregierung, Abgeordneten der FDP) einer Verschiebung der Volkszählung zugestimmt, Es ist ein schlimmer Vorgang, wenn die Stadt Mün- weil man sich nicht einigen konnte, wie die Kosten chen für nicht gemeldete deutsche Staatsbürger der Volkszählung zwischen Bund und Ländern zu 2,50 DM Belohnung und für ausländische Staatsbür- verteilen seien. Jetzt, wo es darum geht, den Termin ger 5 DM Belohnung in Aussicht stellt. Hier wird der Volkszählung um einige wenige Monate zu ver- zudem noch die Ausländerfeindlichkeit geschürt. schieben, um die Volkszählung datenschutzfreund- lich, bürgerfreundlich durchzuführen, um den Er- (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei folg der Volkszählung nicht zu gefährden, sperren Abgeordneten der FDP — Zurufe von den Sie sich. Sie tragen die Verantwortung dafür, wenn GRÜNEN) die Volkszählung zu einem Reinfall wird. Der mangelhafte Fragebogen muß überarbeitet (Beifall bei der SDP und bei Abgeordneten werden. Durch die Gestaltung des Fragebogens der GRÜNEN) muß sichergestellt werden, daß die unverzichtbare Trennung zwischen Statistik und Verwaltungsvoll- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr zug wieder hergestellt wird. Dies ist im Interesse Abgeordnete Hirsch. eines Datenschutzes unverzichtbar.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Dr. Hirsch (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr Abgeordneten der FDP) verehrten Damen und Herren! Wenn ich das hier Es muß durch verbindliche Verwaltungsvorschrif- höre, habe ich den Eindruck, daß die Volkszählung ten sichergestellt werden, daß die Daten erst dann benutzt werden soll, um alle möglichen Rechnun- zu statistischen Zwecken weitergeleitet werden, gen zu begleichen. wenn die personenbezogenen Angaben gelöscht (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sind. Ich möchte erst einmal die Vaterschaftsfrage klä- (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Wo waren ren. Als wir das Gesetz gemacht haben, waren wir Sie denn bei der Abstimmung über das Ge umlagert von Wohnungsbauern, Raumordnern, den setz?) zuständigen Ausschüssen, dem Ministerium, das damals der verehrte Kollege Haack unter sich All dies hat unser Fraktionsvorsitzender in einem hatte, das unerbittlich weitere Daten wollte, von Brief an den Bundeskanzler festgehalten. Diese den kommunalen Spitzenverbänden, von den Ge- Forderungen wären rechtzeitig zu verwirklichen ge- meinden, von den Statistikern, von den Kirchen, wesen, wie das Beispiel der Länder Hamburg und und zu allem haben, wie ich gehört habe, die Alter- Berlin zeigt. Es hätte einen ländereinheitlichen, da- nativen in Berlin noch draufgesattelt, weil ihnen tenschutzfreundlichen und bürgerfreundlichen das Fragevolumen überhaupt nicht ausgereicht Vollzug gewährleistet. Statt dessen hat die Bundes- hat. - regierung auf stur geschaltet. Wir haben angesichts (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der datenschutzfeindlichen Äußerungen der Herren der CDU/CSU) Zimmermann und Spranger Verständnis dafür, daß vielen Bürgern das Ehrenwort des Herrn Zimmer- Wir haben von keinem rechtliche Bedenken gehört, mann nicht genügt, es würde kein Mißbrauch mit sondern wir haben immer nur gehört: Das reicht Daten der Bürger betrieben werden. eigentlich nicht aus. Ich möchte, daß sich alle, die dafür waren, daß diese Fragen erhoben werden, (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) nicht hinter der Fichte verbergen und die Vater- schaftsfrage plötzlich verschleiern wollen. Sie sol- Angesichts der gravierenden Mängel, angesichts len sich zu ihren Kindern bekennen, sie sollen offen der Tatsache, daß der Erfolg der Volkszählung nur auf die Lichtung treten und dafür sorgen, daß das dann gewährleistet ist, wenn möglichst vollständige etwas wird, was wir gemacht haben. Angaben zu erwarten sind, ist eine Verschiebung die einzige sachgerechte Möglichkeit, um einen län- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dereinheitlichen datenschutzfreundlichen, bürger- Es gibt eine Gruppe von Leuten, die das über- freundlichen, und vor allem auch vollständigen Er- haupt nicht wollen. Da hat eine Verschiebung und folg der Volkszählung erreichen zu können. eine Vertagung überhaupt keinen Sinn. Das kann man nur zur Kenntnis nehmen. Wir müssen um die (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Sie haben Datenschutz und doch zugestimmt!) Bürger werben, die einen Sinn für für Privatheit entwickelt haben und die sich nicht Sie von der CDU/CSU und FDP haben die Mehr damit zufrieden geben, daß sie eigentlich nichts zu heit, Sie tragen die Verantwortung, wenn der Erfolg verbergen haben. Ich könnte meine Daten auch an der Volkszählung gefährdet ist. Sie tragen die Ver einem schwarzen Brett irgendeines Ministeriums Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 41 Dr. Hirsch aufhängen, wenn der Innenminister es zuläßt. Nur daß die Volkszählung deswegen verschoben wird. habe ich ein Gefühl dafür, daß das eigentlich nie Ich appelliere an die Kollegen der SPD, nicht den menden etwas angeht. Wir müssen dafür sorgen ,,schlanken Fuß zu machen" und sich der Verant- und bei diesen Bürgern dafür werben — nicht mit wortung zu entziehen, daß wir diese notwendigen einer Strafdrohung — sondern damit sie den Sinn Daten bekommen und daß der Bürger darüber auch dieses Unternehmens sehen — , daß sie erkennen, aufgeklärt wird, daß die Daten notwendig sind. daß die Daten notwendig sind, daß sie bereit sind (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mitzuwirken und daß sie wissen und darauf ver- Wir appellieren schließlich an den Bürger, sich trauen können, daß die Daten anonym behandelt dieser notwendigen Aufgabe in unser aller Inter- werden. esse nicht zu entziehen. Ich sage: Von einer Totalerfassung kann über- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) haupt keine Rede sein. Die Daten, die angefragt werden, sind notwendig für Wohnungsbau, für Bil- dungswesen, für Straßenbau, für Bevölkerungs- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Bun- prognosen und für unsere sozialen Systeme. Wir desminister des Innern. brauchen sie selbst. Daran kann eigentlich keiner ernsthaft zweifeln. Dr. Zimmermann, Bundesminister des Innern: Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Not- Nun haben wir, was den zweiten Teil angeht, wendigkeit der Volkszählung und den anderen wirt- nämlich die Frage der Anonymität, in der Tat nicht schaftspolitischen und sozialpolitischen Fragen alles in das Gesetz hineingeschrieben, was man wird mein Kollege Otto Graf Lambsdorff für die hätte hineinschreiben können. Es kommt also in besonderer Weise auf die Durchführung dieses Ge- Bundesregierung antworten. Ich möchte auf einige Argumente eingehen, die hier gebracht worden setzes an. sind. (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE]) Herr Kollege Schäfer, zunächst einmal muß ich

— Herr Kollege Schily, ich kann leider auf Ihre Ihrem Informationsstand auf die Beine helfen. Das, Zwischenfrage nicht antworten, weil ich sie nicht was München tut, nämlich den Zähler bei Zählung verstanden habe. von ausländischen Haushalten mit einer zusätzli- (Schily [GRÜNE]: Warum werden die Un chen Prämie zu belohnen, ist ein Beschluß des Mün- chener Stadtrates, dem die SPD-Fraktion des Mün- ternehmer privilegiert?) chener Stadtrates zugestimmt hat.

— Es wird kein Mensch in dieser Frage privilegiert, (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Schäfer sondern die Daten werden nur anonym verwendet [Offenburg] [SPD]: Das wird dadurch nicht und nur für die Zwecke, für die sie nach dem Gesetz besser! — Zuruf des Abg. Dr. Hupka [CDU/ bestimmt sind, nämlich für statistische Zwecke. CSU]) (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE]) Es ist nämlich ein großer Unterschied für einen

Was die Durchführung des Gesetzes angeht, hat Zähler, ob er einen Normalhaushalt oder einen der Innenminister von Nordrhein-Westfalen eine, schwierigen Haushalt vor sich hat — mit Überset- wie ich finde, vorbildliche Regelung vorgeschlagen: zungsschwierigkeiten oder anderen Problemen —, bessere Aufklärung der Bürger über den Sinn, auch wo er den doppelten oder dreifachen Aufwand hat, über ihre Rechte, die Beschränkung bei der Aus- um dafür zu sorgen, daß der Fragebogen sachver- wahl der Zähler — bestimmte Berufsgruppen, näm- ständig und richtig ausgefüllt wird. - lich Polizeibeamte und Finanzbeamte, werden nicht Was zweitens den Vollzug betrifft, so wissen Sie hinzugezogen —, keine zusätzlichen Fragen durch ganz genau, daß die Bestimmung des Zählers erst die Gemeinden — was in München passiert ist, ist Sache der Länder und dann der Gemeinden ist. in der Tat grotesk —, die Beschränkung des Ver- Jedes Land kann sich also verhalten, wie es will. Es gleichs mit den Melderegistern, seine Durchfüh- kann Beamte, öffentliche Angestellte, Polizeibeam- rung durch die Zählungsdienststellen und die Ver- te, Steuerbeamte nehmen oder weglassen. Es kann nichtung der Fragebogen und der Kennummern, so- Privatpersonen einsetzen. Der Bund hat darauf bald das statistisch möglich ist — das kann ab 1984 nicht den geringsten Einfluß. Das sollte man hier geschehen. nicht verschweigen.

Diese Regelungen halte ich für außerordentlich Ein weiteres betrifft die Praxis eines anderen sinnvoll. Wir müssen zum einen an Bund und Län- Landes. Es ist nicht Hamburg und nicht Bremen, der appellieren, daß sie sich auf ein einheitliches sondern ein sozialdemokratisch regiertes großes Verfahren in dem Sinne, wie von Nordrhein-Westfa- Flächenland. Da schreibt mir der Ministerpräsident len vorgeschlagen, verständigen. des Landes Nordrhein-Westfalen:

(Beifall bei der FDP) Sehr geehrter Herr Bundesminister! Für Ihr Fernschreiben zur Volkszählung danke Unsere Aufforderung an den Bundesinnenminister geht dahin, dafür zu sorgen, daß die Innenminister- ich. konferenz baldmöglichst zusammentritt, um das si- Die Haltung der Landesregierung ist eindeutig. cherzustellen. Wir sind bereit, eine Novelle zu un- Die Landesregierung hat sich mit Beschluß terstützen, die z. B. das Enddatum für die Vernich- vom 15. März 1983 nochmals für die Durchfüh- tung der Unterlagen sichert. Das setzt nicht voraus, rung der Volkszählung ausgesprochen. Sie ist 42 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Bundesminister Dr. Zimmermann auch mit dem vorgesehenen Stichtag 27. April Wir brauchen also aktuelle Einwohnerzahlen, 1983 einverstanden. und wir brauchen die Daten über die Struktur der Bevölkerung bei der letzten Wahl. Wir sind jetzt Ihr Johannes Rau. 13 Jahre von der letzten Volkszählung entfernt. Bei Daran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen, der letzten Wahl hat sich gezeigt, daß — ich sage es vorsichtig — Zehntausende von Wahlscheinen dop- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) pelt ausgegeben worden sind. Man stelle sich ein- anstatt hier so billig und heuchlerisch zu polemisie- mal vor, zu welchen Unzuträglichkeiten das bei ren. einer Kommunalwahl führen könnte, wenn mögli- cherweise wenige Stimmen über die Zuteilung oder (Beifall bei der CDU/CSU — Pfui-Rufe und Nichtzuteilung eines Mandats entscheiden können. weitere Zurufe von der SPD) Unter allen denkbaren Gesichtspunkten — das Sie wissen doch ganz genau, daß es nach § 9 des kann ich nur noch einmal sagen — ist es notwendig, Volkszählungsgesetzes ganz klar ist diese Volkszählung durchzuführen. Jeder von uns, (Zuruf der Abg. Frau Dr. Timm [SPD]) meine Damen und Herren, weiß doch: Wenn die Volkszählung jetzt um ein paar Monate verschoben — dafür, was „unglaublich" ist, bieten Sie minütlich würde, wären die Argumente, die wir bisher gehört ein Beispiel, verehrte gnädige Frau —, daß Einzel- haben, die gleichen. Keines ist überzeugend gewe- angaben nicht für Vollzugszwecke im Einzelfall ver- sen. wendet, nicht an die Polizei, nicht an den Verfas- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sungsschutz, nicht an das Finanzamt, nicht an das Wohnungsamt, nicht an das Sozialamt gegeben werden dürfen. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Herr Ab- (Schily [GRÜNE]: Was hat Herr von Heere geordneter Dr. Wernitz. man gesagt? Die Volkszählung soll dazu dienen, Staatsfeinde festzustellen!) Dr. Wernitz (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr Sie dürfen auch nicht der Wirtschaft für deren verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Be- Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Alle ande- ginn die Bemerkung von Herrn Zimmermann zu- ren Behauptungen sind falsch. rückweisen, daß unsere Position und unsere Dar- stellung „billig und heuchlerisch" sei. So gehen wir Die einzige Möglichkeit, Einzelangaben für den hier nicht miteinander um. Verwaltungsvollzug zu verwenden, bringt die Zuläs- sigkeit des Vergleichs mit den Melderegistern. Sie (Beifall bei der SPD) dürfen nur für diesen Zweck des Vergleichs mit den Meine Damen und Herren, jeder moderne Staat, Melderegistern verwendet werden. Dieser Register der seinen Aufgaben und Verpflichtungen entspre- abgleich war nicht nur bei allen vergangenen chend den Gesetzen und der Verfassung gerecht Volkszählungen zulässig, sondern er ist auch abso- werden will, der braucht möglichst genaue und ak- lut notwendig, vor allem für die Gemeinden. tuelle Angaben und Planungsdaten. Deshalb sollen Es besteht ein allgemeines Interesse daran, daß alle über den Tag hinaus denkenden Politiker — die Melderegister der Gemeinden wegen ihrer viel- das sage ich klar und deutlich — den Mut haben, fältigen Funktionen richtig sind. Die Melderegister auch jetzt zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer haben auch eine besondere statistische Bedeutung, Volkszählung zu stehen. da zukünftig nach den Angaben im Melderegister (Beifall bei der SPD — Beifall bei Abgeord-- hinsichtlich der Hauptwohnung die Zahl der Ein- neten der CDU/CSU) wohner einer Gemeinde ermittelt werden soll. Man kann unter den Bedingungen des modernen Der Münchener Oberbürgermeister hat mir an Rechts- und Sozialstaats nicht bei vollem staatli- drastischen Beispielen klargemacht — nicht nur chen Service auf allen Ebenen und in allen Lebens- er —, wie notwendig es für ihn ist, nicht nur die lagen Robinson spielen. Das geht nicht. Zahl der Hauptwohnungen, die Zahl der vermiete- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten Wohnungen, die Zahl der Sozialwohnungen, die ten der CDU/CSU und der FDP — Zuruf Zahl der Notunterkünfte, die Zahl der Werkswoh- des Abg. Schily [GRÜNE]) nungen, die Zahl von Ausländerwohngemeinschaf- ten, die Zahl ausländischer Haushaltsvorstän- Allerdings nehmen wir die in der Bevölkerung de — — entstandenen Bedenken und Zweifel an der geplan- ten Volkszählung in der jetzigen Form ernst. Aber (Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Die ganz ich sage hier auch mit vollem Ernst und großem besonders!) Nachdruck: Der Boykott eines gültigen Gesetzes — Ja, die ganz besonders. Es ist außerordentlich wäre Rechtsbruch. Dazu sollte von diesem Pult notwendig und wichtig, zu wissen, ob wir in der nicht aufgerufen werden. Bundesrepublik Deutschland 4,7 oder 5,3 Millionen (Beifall bei der SPD sowie bei der CDU/ Ausländer haben. CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Beck Meine Damen und Herren, der Bund und die Län- Oberdorf [GRÜNE]: Wieviel man verkraf der müssen sich allerdings vorhalten lassen, daß sie ten kann!) es versäumt haben, die Bürger rechtzeitig Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 43 Dr. Wernitz und hinreichend über die Volkszählung aufzuklä- Wir werden uns im Parlament — ob nun verscho- ren. ben wird oder nicht — mit der Durchführung, mit (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zu der Umsetzung und der Auswertung dieses Geset- ruf von der SPD: Das ist der wesentliche zes auf allen Ebenen des Deutschen Bundestages sehr gründlich zu beschäftigen haben. Das sind wir Punkt!) uns, dem Bürger und der Akzeptanz dieser notwen- So sind z. B. entsprechende Forderungen und Vor- digen Gesetze schuldig. — Vielen Dank. stöße des Deutschen Städtetages nach rechtzeitiger (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Öffentlichkeitsarbeit gegenüber der Bundesregie- der FDP) rung seit April 1982 nicht erfolgreich gewesen — bis in die letzten Wochen hinein. Eine intensive, an- schauliche und seriöse Aufklärungsaktion von Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- Bund und Ländern ist unabhängig von der Ver- geordnete Dr. Laufs. schiebung oder Nichtverschiebung unverzichtbar. Eine weitere vertrauensbildende Maßnahme Dr. Laufs (CDU/CSU): Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt Gruppierun- könnte es sein, wenn im Rahmen der Innenmini- sterkonferenz alle kritischen Fragen bezüglich der gen in unserem Land, die aus den staatsbürgerli- Durchführung der Volkszählung beraten und not- chen Pflichten aussteigen wollen, aber gleichzeitig wendige Maßnahmen bundeseinheitlich ergriffen auf allen Rechtsansprüchen der sozialen Fürsorge würden. Hier ist leider wertvolle Zeit vertan wor- und Daseinsvorsorge, von der Sozialhilfe bis zum den. Das muß ich auch einmal sehr deutlich sagen. Umweltschutz, bestehen bleiben. (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE]) Meine Damen und Herren, das Engagement der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern Unsere Aussage dazu ist: Ohne ein Mindestmaß an ist im Zusammenhang mit den Diskussionen der Solidarität, Pflichterfüllung und Vertrauen der Bür- letzten Wochen und der letzten Tage außerordent- ger gegenüber ihrem Staat ist unser Sozialstaat lich positiv zu werten. Dies verdient anhaltende Un- nicht lebensfähig. terstützung und Förderung, auch von seiten der Po- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord- litiker hier im Parlament. neten der FDP) (Beifall bei der SPD) Zu diesem Mindestmaß gehört die Bereitschaft der Bürger, die Volkszählung 1983 mitzutragen. Es ist Die Akzeptanz der Volkszählung wäre beim Bür- unerhört, was da an Volksverunsicherung und ger sicher größer gewesen, wenn sich die zunächst Falschinformation in die Welt gesetzt wird. im Parlament beschlossene Fassung des Gesetzes behauptet hätte. Die Reden draußen, daß wir dieses (Lachen bei den GRÜNEN) und jenes nicht erkannt hätten, gehen an den Tat- Ihre klaren Aussagen, Herr Kollege Wernitz, zu sachen vorbei. Hier hat der Kollege Broll absolut den Boykottaufrufen und der Angstmacherei begrü- Recht mit dem, was er gesagt hat. Ich bitte diejeni- ßen wir. Aber die öffentliche Begleitmusik von sei- gen, die hier kritisch eingestellt sind, auch das bei ten der SPD — ich erinnere an den Kollegen Schä- ihren Diskussionen zu berücksichtigen. fer — zur, wie Sie gesagt haben, sturen daten- schutz- und bürgerfeindlichen Haltung der Bundes- Meine Damen und Herren, die im Vermittlungs- regierung verfahren durchgesetzte Fassung ist in manchen Punkten nicht unproblematisch und ohne Zweifel (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist Wahr- verbessungswürdig. Hier ist einiges schon gesagt heit!) worden. Ich wäre froh darüber, wenn die Umset- ist ebenso unverantwortlich. zung, die Auswertung und damit das Aufbewahren Nach einer Befragung der Forschungsgruppe der einschlägigen personenbezogenen Daten nicht Wahlen Mitte März sollen viele Bürger befürchten, erst nach 18 Monaten, sondern zu einem früheren daß ihre Angaben mißbraucht werden könnten. Zeitpunkt beendet bzw. gelöscht werden könnte. Ich würde weiter vorschlagen, daß bundesweit sicher- (Zuruf von den GRÜNEN) gestellt sein sollte, daß zur Übermittlung von Daten Das ist auch uns Anlaß zur Sorge. Natürlich läßt an eine Gemeinde das Bestehen einer Datenschutz- sich Mißbrauch bei keinem Gesetz mit absoluter satzung Voraussetzung ist, über den Rahmen des Sicherheit ausschließen. Aber der vorgesehene gültigen Gesetzes hinaus. Schutz des Bürgers durch das Statistikgeheimnis und die datenschutzrechtlichen Vorschriften ist gut Und schließlich muß alles getan werden, um die und belastbar. Ich sage dies nach allen eingehenden Gestaltung des Fragebogens streng nach Geist und Beratungen im Innenausschuß, die sich j a über Buchstaben des Gesetzes zu regeln. Dies scheint Jahre hingezogen haben. mir wichtig zu sein. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, daß der Kollege Hirsch für (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE]) seine Fraktion gesagt hat, eine Initiative, die wir Es wird gefragt: Kann sich der Bürger auf diesen einbringen wollen, um eine Weitergabe der erhobe- gesetzlichen Schutz aber wirklich verlassen? Pro- nen Daten nach strengeren Regeln zu sichern, fessor Bull, der Bundesbeauftragte für den Daten- würde von Ihnen eventuell konstruktiv mitgetra- schutz, der gewiß nicht im Verdacht steht, jemals gen. Hierzu rufe ich alle Fraktionen des Bundesta- einer Regierung nach dem Munde geredet zu ha- ges auf. ben, sagt dazu: 44 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Dr. Laufs Darüber wachen die Landesbeauftragten und Wir wollen die Sorgen der Bürger sehr ernst neh- der Bundesbeauftragte für den Datenschutz. men und alle Fragen sorgfältig aufklären. Es ist Unsere Erfahrungen zeigen, daß das Statistik- unser Wille, uns im zuständigen Innenausschuß ins geheimnis zu den am besten gehüteten Ge- einzelne gehend über die Durchführung des Volks- heimnissen gehört. Es ist kein einziger Verstoß zählungsgesetzes auch von den Ländern unterrich- dagegen bekanntgeworden, obwohl es bekannt- ten zu lassen. lich sehr viele Statistiken gibt. Die Volkszählung, Herr Kollege Schäfer, wird An anderer Stelle sagt Professor Bull: kein Reinfall werden. — Danke schön. Ich bin überzeugt, kein Bürger braucht zu be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fürchten, daß seine personenbezogenen Daten mißbraucht werden. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Zuruf des Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Graf Lambs- Abg. Schily [GRÜNE]) dorff. Es ist unsere Pflicht und es ist die Wahrheit, den Bürgern draußen zu sagen, das altbewährte Stati- Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister für Wirt- stikgeheimnis sichert die Geheimhaltung der Volks- schaft: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da- zählungsdaten. Der Datenschutz beim Vollzug des men! Meine Herren! Ich habe den Bundesregierun- Volkszählungsgesetzes durch die Länder und Ge- gen angehört, die dieses Gesetz verabschiedet ha- meinden — dazu brauchen wir keine zusätzliche ben. Ich bin immer wieder Mahner und Treiber Gesetzesänderung — gewesen. Denn nach meiner Überzeugung kommt (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE]) es drei Jahre zu spät. Es ist damals an finanziellen Bedenken gescheitert, nicht an inhaltlichen Ein- wird sorgfältig beachtet werden. wendungen. Ich habe mich natürlich darauf verlas- Wir unterstützen alle Vorschläge, z. B. der Daten- sen, daß besonders die Kollegen Justizminister der schutzbeauftragten des Bundes und der Länder, zur früheren Regierungen, die Herren Dr. Vogel und Dr. optimalen Sicherung des Datenschutzes, wo es um Schmude, die Rechtsförmlichkeit dieses Gesetzes die Auswahl der Zähler geht, wo es um die Aufbe- für in Ordnung befunden und auch die Innnenmini- reitungsverfahren, die frühzeitige Trennung von ster das so gehandhabt haben. Namen und sonstigen Daten oder wo es um die Ver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — nichtung der Erhebungsbögen und die Löschung Dr. Vogel [SPD]: Was heißt hier „Rechts- der Kennummern nach der elektronischen Speiche- förmlichkeit"?) rung geht und vieles andere mehr. Wenn jetzt gegen die verwaltungsmäßige Durch- Wir begrüßen, daß die Vertreter des Bundes und führung Bedenken erhoben werden, stelle ich zu der Länder am 24. März dieses Jahres betont und meiner Zufriedenheit fest, daß man sich offensicht- festgestellt haben, daß Vorbereitung und Durchfüh- lich darauf verständigen und einigen kann, diese zu rung der Volkszählung den Verfahrensvorschlägen beseitigen. Besonders der Vorschlag, die Daten soweit wie möglich entsprechen, wie sie die Konfe- nach einer bestimmten Zeit wirklich und garantiert renz der Datenschutzbeauftragten zum Volkszäh- zu vernichten, scheint mir sehr bedenkenswert zu lungsgesetz 1983 vom 22. März 1983 zum Ausdruck sein. gebracht haben. Diese Stellungnahme der Daten- Richtig ist es, daß wir z. B. im Jahr 1970 bei der schutzbeauftragten schließt mit dem Satz: „Wird Volkszählung als Ergebnis gefunden hatten, daß es diesen Forderungen der Datenschutzbeauftragten in der Bundesrepublik Deutschland 860 000 Men- Rechnung getragen, so sind nach ihrer Überzeu- schen weniger gab, als wir bis damals wußten. Rich- gung die Sorgen der Bürger im wesentlichen unbe- tig ist, daß wir jetzt schätzen, daß wahrscheinlich gründet." im Jahr 1983 1 Million Menschen weniger in der (Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] Bundesrepublik leben, als wir annehmen. Allein der [SPD]) Wohnraum dafür bedeutet ein Investitionsvolumen von 53 Milliarden DM. So wurde es vor wenigen Tagen gesagt. (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Des weiteren begrüßen wir, Herr Schily, daß der Bund und die obersten Landesbehörden vorgeschla- Wie soll ein Staat, wie soll eine Politik planen, wenn gen haben, den Melderegisterabgleich nicht in den sie auf so unsicheren Planungsgrundlagen stehen? Meldebehörden vorzunehmen, sondern in den Erhe- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) bungsstellen. Die Grunddaten für den Registerab- Wir können keine vorausschauende Wirtschafts-, gleich — das sind sehr wenige Daten — sollen also Wohnungsbau-, Struktur-, Arbeitsmarkt-, Renten- nicht an die Meldeämter übermittelt werden, son- und Finanzpolitik betreiben, wenn wir hier nicht dern diese sollen zu den Erhebungsstellen kommen. mehr wissen, wenn wir uns hier — ich sage das Dieser Vorschlag geht noch über den Forderungs- sehr deutlich — volkswirtschaftlich und statistisch katalog der Datenschutzbeauftragten hinaus, aber auf den Zustand eines Entwicklungslandes zubewe- auch ihn bejahen wir. Deshalb kann ich Ihre Aufre- gen. Das darf nicht geschehen. Politische Entschei- gung überhaupt nicht verstehen. dungen erfordern eine umfassende, aktuelle und si- (Schily [GRÜNE]: § 9 Abs. 2!) chere Datenbasis. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 45

Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff Das gilt ganz besonders für die Arbeitsstätten- heißt, hinweisen. Das sind die Folgerscheinungen, zählung. Sie spielt eine zentrale Rolle für die Erfas- die in dieser Frage auf die Ausländer zukommen. sung der mittelständischen Wirtschaft und eine Man will nicht wissen, ob 4,5 Millionen oder 5,3 Mil- zentrale Rolle für die Möglichkeiten und Notwen- lionen Ausländer in diesem Lande leben, sondern digkeiten der Zonenrandförderung, die wir z. B. mit es geht hier darum — das hat die CDU in ihren der Europäischen Kommission wegen der Geneh- Erklärungen ganz deutlich gemacht —, daß die migungsbedürftigkeit zu diskutieren und zu bewei- CDU die Zahl der Ausländer in diesem Lande um sen haben. Sie spielt eine zentrale Rolle für die mindestens die Hälfte herunterdrücken und daß sie Ersatzarbeitsplätze, die wir durch regionale Wirt- die Ausländer wieder aus dem Lande heraustreiben schaftspolitik schaffen wollen. Ohne gesichertes will, nachdem sie sie einmal als Arbeitskräfte ge- Zahlenmaterial gibt es diese Ersatzarbeitsplätze holt hat, damit sie das Land aufarbeiten. nicht. Es gibt sie nicht für die Stahlarbeiter in Dort- Unsere Ausländergesetze stempeln die Ausländer mund, für die Textilarbeiterinnen in Gronau und zu Menschen zweiter Klasse. Eine ganze Reihe von für die Werftarbeiter in Bremen und Hamburg. Sie restriktiven Maßnahmen bestimmen ihre Realität. brauchen dazu diese Daten. Beruflich und kulturell können sie nicht das durch- (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE]) setzen, was sie wollen. Sie sind sozial und rechtlich — Herr Schily, wenn Sie sich durch Zwischenrufe benachteiligt. hier so intensiv betätigen, hätte ich diese Energie (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Deswegen kom- gewünscht, als Ihre Freunde in Berlin auf die Fra- men so viele!) gen draufgesattelt haben. Da haben Sie sie nicht gezeigt. Nicht einmal das kommunale Wahlrecht wird den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ausländern zugestanden. Doch sind sie hier in der Bundesrepublik inzwischen als Arbeitseinwande- Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist eine zen- rer, als Arbeitsemigranten anzusehen. trale Aufgabe dieser Bundesregierung und auch dieses Bundestages. Ohne gesicherte Erkenntnisse Bei der Volkszählung rechnet man sie plötzlich geht das nicht. zum Volk; da gehören die Ausländer ganz selbstver- ständlich dazu, und sie werden verpflichtet, ihre Le- Ich bitte alle Bürger im Lande, daran mitzuwir- bensverhältnisse genau offenzulegen. Sie haben ken. Wer uns daran hindert, bekämpft nicht Ar- auch mit Bußgeldbescheiden zu rechnen, wenn sie beitslosigkeit; er verlängert Arbeitslosigkeit. — Vie- bei der Volkszählung nicht mitwirken. Diese Buß- len Dank. geldbescheide werden dann in die Register der Aus- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) länderbehörde eingetragen. Auch Herr Zimmer- mann kann nicht dafür garantieren, daß diese Ein- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- tragungen später nicht dazu führen werden, daß geordnete Schneider (Berlin). das als eine gegen die Belange der Bundesrepublik gerichtete Maßnahme angesehen wird, wenn Aus- länder um eine Verlängerung ihrer Aufenthalts- Schneider (Berlin) (GRÜNE): Frau Präsidentin! und Arbeitserlaubnis nachsuchen, mit der Folge, Meine Damen und Herren! Liebe Leute! daß sie ausgeliefert oder ausgewiesen werden. (Heiterkeit bei allen Fraktionen) Die Datenerhebung der Volksaushorchung wird Wenn man den Wirtschaftsminister hier so hört, den Behörden genaue Hinweise liefern können, ob dann muß man glauben, daß in diesem Land deswe- Ausländer gegen die verschiedenen Bestimmungen gen so schlecht regiert wird, weil nicht genug Fak- verstoßen haben, z. B. ob sie in den Gebieten woh- ten bekannt sind. Ich bin der Auffassung, daß nen, wo sie wohnen sollen, oder ob sie auch alle durchaus genug Fakten vorliegen, um gute Regie- Kinder angegeben haben, die sie wirklich haben. rungsreformen zu machen, daß sie aber aus ganz anderen Gründen nicht gemacht werden. (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU) Ich bin auch der Auffassung, daß der Widerstand Daß das Mißtrauen berechtigt ist, ob die Angaben der Bevölkerung gegen diese Volkszählung sehr, ordnungsgemäß und nur zu statistischen Zwecken sehr groß ist. Auch die Umfragen im Fernsehen verwendet werden, beweist sehr deutlich ein Skan- haben das deutlich gemacht. 50 % der Bevölkerung dal um Angaben, die Asylanten im Rahmen des glauben nicht an das Versprechen, dieses Ehren- Asylverfahrensgesetzes gemacht haben, der jetzt wort, das Innenminister Zimmermann gegeben hat, durch ein Gerichtsurteil in Berlin aktenkundig ge- daß die Daten nicht mißbraucht werden. Und bis zu worden ist. Alle diese Asyl-Daten wandern über die 25% sind durchaus bereit, Widerstand gegen diese Tische deutscher Behörden, über die Tische des Volkszählung zu leisten. BND und des Verfassungsschutzes; es gibt eine Fülle von Hinweisen, daß diese Daten dann an Ge- (Beifall bei den GRÜNEN) heimdienste in der Türkei, im Irak und Iran weiter- Die Volkszählung mit ihren enormen Kosten treibt gegeben wurden, was dazu geführt hat, daß aus der auf ein Fiasko zu, und sie wird unserer Meinung Bundesrepublik Ausgelieferte später mit Gefäng- nach auch ein grandioser Mißerfolg werden. nis, Verhaftung und sogar mit Hinrichtungen haben (Zustimmung bei den GRÜNEN) rechnen müssen. Ich möchte aber noch auf einen besonderen Ge- (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: In sichtspunkt bei der Volkszählung, wie sie ja offiziell welchen Ländern?) 46 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Schneider (Berlin) — In der Türkei z. B. ist es ganz deutlich geworden. die letzte Zählung bereits aus dem Jahre 1968 — Die CDU/CSU hat deutlich gemacht, daß sie die stammt. Zahl der Ausländer drastisch verringern will. Das ist der Wortlaut des Beschlusses, der einstim- mig gefaßt worden ist. Und das möchte ich diesem Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter Hohen Hause auch bekanntgeben. Schneider, ich muß Sie leider bitten, die Rede sofort abzubrechen, (Beifall bei der CDU/CSU) (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Ich komme Meine sehr verehrten Damen und Herren, die zum Schluß!) Notwendigkeit ergibt sich schon daraus, weil die fünf Minuten um sind. (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Die Notwen- digkeit der Volkszählung bestreitet nie- Schneider (Berlin) (GRÜNE): Ich sage nur noch mand von uns!) meine Schlußsätze. daß man in der Wohnungspolitik nicht weiß, wie viele Familien vorhanden sind, die Wohnungen Vizepräsident Frau Renger: Nein, das können Sie leider nicht. In dieser Debatte ist das nicht mög- brauchen, wie viele Wohnungen vorhanden sind, die leer stehen, die renovierungsbedürftig sind usw. lich. Und da wundert es mich gar nicht, daß am 17. Okto- (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Einen Satz ber 1974 in diesem Hause ein Gesetz beschlossen zum Schluß, Frau Präsident!) wurde, das sogenannte Zweite Wohnraumkündi- — Einen Satz zum Schluß, gerne. — Bitte. gungsschutzgesetz, das auf fehlenden Daten basier- te, das zu diesem Zeitpunkt gar nicht notwendig Schneider (Berlin) (GRÜNE): Ich möchte zum gewesen wäre. Wir wissen heute eben nicht, wie Schluß sagen: Der Wert einer Demokratie bemißt viele leer stehende Wohnungen vorhanden sind. Wir sich danach, wie man mit Minderheiten umgeht. wissen heute nicht, wie viele unterbelegte Wohnun- (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord gen vorhanden sind, wie viele Wohnungen moderni- neten der FDP) sierungsbedürftig sind. Wir sind durch unsere Vergangenheit gewarnt, und Da die Wohnungspolitik gerade im letzten halben wir müssen darauf achten, daß wir nicht wieder in Jahr zur Wiederankurbelung der Wirtschaft eine Denk- und Handlungsformen von gestern zurück- große Rolle gespielt hat, meine ich, sollte auch das fallen. Es gibt ungezählte Menschen; sorgen wir da- mit im Zentrum der Volkszählung stehen. für, daß das so bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord- (Beifall bei den GRÜNEN) neten der FDP)

Das Wort hat der Ab- Früher hatten wir eine eigene Wohnungszählung, Vizepräsident Frau Renger: die letzte im Jahre 1968. Diese Wohnungszählung geordnete Niegel. sollte später wiederaufgelegt werden. Aber das war nicht möglich. Man hat sie jetzt mit der Volkszäh- (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr Niegel lung verbunden, in einem sogenannten Huckepack verehrten Damen und Herren! Ich darf vor allem im Verfahren, wie man das so schön sagt. Namen der Politiker, die im Bereich Raumordnung, Bauwesen und Städtebau tätig sind, darauf hinwei- Wir wollten sogar — und deshalb habe ich vorhin sen, daß die mit dieser Volkszählung verbundene den Beschluß zitiert — eine Gebäude-, Grund- Wohnungszählung unbedingt notwendig ist. Wir ha- stücks- und Wohnungszählung haben. Aber das- ist ben seinerzeit einstimmig — auch die Kollegen der dann nicht möglich gewesen, wegen der Bemühun- SPD haben zugestimmt — gen um Vereinfachung und der Kosten wegen, nicht (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) etwa wegen nicht vorhandener Notwendigkeit — das will ich ganz klar sagen. dies beschlossen. (Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] Ich möchte noch eines hinzufügen: Wir Woh- [SPD]) nungsbau- und Raumordnungspolitiker könnten es vielleicht so ähnlich wie Karl Valentin ausdrücken: — Ich darf Ihnen das seinerzeit Beschlossene noch „Wollen haben wir schon mögen, aber dürfen haben einmal vorlesen, Herr Schäfer: wir uns nicht getraut." — Deswegen sind erhebliche Die Volkszählung dient mit ihrem gesamten Teile des Volkszählungsprogramms reduziert wor- Zählungsprogramm dem Informationsbedarf den. Es ist alles zusammengepreßt worden. Es ist von Bund, Ländern und Gemeinden. Besonders nur noch das Notwendigste enthalten, so viel, daß ausgeprägt ist das Interesse des Bundes an der man mit diesen Zahlen gerade noch etwas anfan- geplanten Grundstücks-, Gebäude- und Woh- gen kann. Eine Maßnahme weniger, und die Zäh- nungszählung. lung würde uns schon nicht mehr die notwendigen Ich sage diese drei bewußt. Zahlen bringen. Ohne diese durch die geplante Grundstücks-, Ich meine, wie sollten die Zählung in dieser Form Gebäude- und Wohnungszählung erhobenen durchführen. Auf Einzelheiten brauche ich jetzt Daten lassen sich seitens des Bundes die woh- nicht mehr einzugehen. Was in diesem Bogen letzt- nungspolitischen, städtebaulichen und raum- lich erfragt wird, insbesondere was die Miete, den ordnerischen Aufgaben nicht erfüllen, zumal Wohnbedarf usw. angeht, ist etwas, was keineswegs Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 47

Niegel in den Intimbereich hineinreicht. Die Fragen sind wortet oder nicht. Aber es heißt auch, daß wir es sehr eindeutig. Man muß wissen, oh eine Wohnung gegen die Bevölkerung und ohne die Bereitschaft mit einer Küche ausgestattet ist oder ob nur eine der Bevölkerung, mitzumachen, ohne die Einwilli- Kochnische vorhanden ist. gung der Bevölkerung nicht durchziehen können (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE]) und auch nicht sollten. Man muß wissen, ob eine Etagenheizung vorhan- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten den ist oder Einzel- oder Mehrraumöfen, mit wel- der GRÜNEN) chen Brennstoffen geheizt wird. Das letzte muß z. B. Anderenfalls entsprächen die Antworten nicht der der Wirtschaftsminister wissen, wenn er mit den Wahrheit. Dann wären 370 Millionen DM umsonst Ölländern verhandelt. Das ist für eine gesunde ausgegeben. Wir hätten hinterher höchstens eine Wirtschaftspolitik notwendig. — Aber der Intimbe- Vielzahl von Bußgeldverfahren, die die Gerichte auf reich als solcher wird doch nicht berührt. Das hat, Jahre hin vollstopfen. Das kann doch nicht unser glaube ich, auch der Herr Bundesinnenminister ein- Wille sein. deutig zu verstehen geben. Deshalb müssen wir die Ängste und das Miß- (Schily [GRÜNE]: Warum muß man nach trauen der Bürger ernst nehmen. Deshalb müssen der Religionszugehörigkeit fragen?) wir darauf achten, daß die Verbesserungsmöglich- Auf noch eines darf ich hinweisen: Es gibt viele keiten, die es gibt, genutzt werden. Tun Sie doch Städte, denen das Befragungsprogramm zu gering nicht so, als sei ein Gesetz, das wir einstimmig ist. Wir haben im Bundesgebiet etwa 70 Städte, die beschlossen haben, nicht noch verbesserungsfähig. zu den Fragen auf diesem Bogen noch weitere An- In den letzten vier Monaten ging es doch bei Ihnen, gaben auf eigenen Bögen erheben wollen, damit sie meine Damen und Herren von der CDU/CSU, im Gebäude, Grundstücke erfassen können. Das ist Zusammenhang mit dem Hickhack um die Zwangs- meines Erachtens auch notwendig. Dazu reicht ein anleihe nach dem Motto „Rein in die Kartoffeln, sogenannter Mikrozensus nicht mehr aus. raus aus den Kartoffeln". (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE]) (Beifall bei der SPD) Deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich Daß Sie, Herr Hirsch, hier so tun, als sei das Gesetz an alle Bürger in diesem Lande appellieren, diese nicht verbesserungswürdig, verstehe ich gar nicht, Volkszählung so ernst zu nehmen, wie es Joseph da Sie doch an den Innenminister geschrieben ha- aus Nazareth vor rund 2 000 Jahren getan hat, ben, daß es nicht nur verbesserungswürdig, sondern (Lachen und Beifall) sogar verbesserungsbedürftig sei. Dann tun wir es doch auch! der mit seiner Maria nach Bethlehem gegangen ist. Ich meine, alle Bürger sollten am 27. April diesen (Beifall bei der SPD — Freiherr von Schor- Bogen ausfüllen, diese zehn Minuten Zeit dazu auf- lemer [CDU/CSU]: Was sagt denn Herr wenden, damit wir als Politiker die Unterlagen ha- Rau?) ben, um die notwendigen Entscheidungen treffen zu Unser Kollege Schäfer hat schon darauf hinge- können. — Herzlichen Dank. wiesen, daß das, was wir zur Verbesserung des Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) setzes einbringen werden, die Erhebung der Daten gar nicht unmittelbar verzögert. Wir müssen die Volkszählung aber verschieben, wenn wir sie sinn- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Frau Ab- voll durchführen wollen, weil die Durchführungs- geordnete Dr. Däubler-Gmelin. mängel bisher nicht behoben wurden. - Herr Innenminister Zimmermann, warum treten Frau Dr. Däubler-Gmelin (SPD): Frau Präsidentin! Sie eigentlich den Wünschen nach Verbesserung Meine Damen und Herren! Das, was mich bei der der Durchführung nicht mit sachlichen Argumen- Diskussion um die Volkszählung draußen und zum ten entgegen? Warum antworten Sie auch hier mit Teil leider auch hier am meisten ärgert, sind die nichts als dieser unglaublichen Arroganz der maßlosen Übertreibungen. Sagt die eine Seite, der Macht? Rechtsstaat sei in Gefahr, kontert die andere Seite (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten mit Sicherheit, es gehe darum, Staatsfeinde aufzu- der GRÜNEN) stöbern, es gehe darum, diese „maßlose Heuchelei" zurückzuweisen. Warum erklären Sie — und das auch noch falsch —, und entschuldigen damit, daß man in München Meine Damen und Herren, in Wirklichkeit geht Kopfprämien für Ausländer brauche, weil es mehr es darum, wie wir sicherstellen, daß die notwendi- Arbeit mache, obwohl Sie wissen, daß für Deutsche gen Planungsdaten, die Bund, Länder und Gemein- 2,50 DM und für Ausländer 5 DM gezahlt werden? den brauchen, auf eine sinnvolle Art erhoben wer- den können. (Zuruf von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Warum sagen Sie nicht von diesem Pult aus, daß „Sinnvoll" heißt: unter Beachtung der Freiheits- Sie Polizeibeamte, Vollzugsbeamte und Steuerbe- rechte des einzelnen; „sinnvoll" heißt: unter Beach- amte nicht einsetzen wollen? Warum sagen Sie tung des Datenschutzes. „Sinnvoll" heißt natürlich nicht sehr deutlich, daß es bei der Volkszählung auch, daß wir es nicht in das Belieben eines jeden nicht darum geht, Staatsfeinde — das „Boykottpo- einzelnen stellen können, ob er die Fragen beant tential" — aufzuspüren? Das sind doch die Dinge, 48 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Frau Dr. Däubler-Gmelin die wir von Ihnen hören wollen. Das sind doch die macht — das Land Nordrhein-Westfalen gestern Dinge, die draußen das Mißtrauen hervorrufen. mit den Vorschlägen von Herrn Schnoor und das (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Er Land Hessen mit den Vorschlägen von Herrn Simi- hard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]) tis —, daß man die Erhebung durchaus innerhalb des Zeitrahmens durchführen kann; und ich füge Warum sagen Sie nicht, wenn die Sinti und Roma hinzu: auch durchführen muß. wegen der Zähleranleitung Sorge haben, sie wür- den wieder wegen „Zigeunerlagern" erfaßt, daß die Ich möchte an Sie appellieren, meine Damen und Bundesregierung das nicht wolle und daß sie das Herren von der SPD, jetzt die Gemeinsamkeit, die rückgängig machen werde? wir bei dem In-Gang-Setzen dieses wichtigen Un- ternehmens praktiziert haben, nicht aufzugeben, Wir haben Sie vor einiger Zeit aufgefordert, diese sondern sich mit uns gemeinsam zu bemühen, daß Durchführungsmängel zu beheben. Aber Sie haben diese Erhebung, deren Notwendigkeit ja kein es nicht getan. Mensch hier bestritten hat, auch durchgeführt wer- Jetzt zu einem letzten Punkt. Die Frage des Da- den kann. tenschutzes ist einer der Punkte, die den Bürgern (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sorge machen. Warum denn? — Weil doch die Bür- ger nicht vergessen haben, wie der jetzige Staatsse- Ich begrüße die Sensibilität der Bürger in Sachen kretär Spranger im Jahre 1980 den damaligen FDP- Datenschutz. Sie wissen, wir haben 1976 gemein- Innenminister, von dem wir heute gar nichts hö- sam das erste Datenschutzgesetz Westeuropas ver- ren, abschiedet. Wenn ich sage „wir", dann meine ich (Lachen und Zurufe von der FDP) dieses Haus insgesamt. Heute gibt es andere euro- als „Freiheitsrisiko", als „Sicherheitsrisiko" darge- päische Länder, die sich bei ihren Überlegungen an stellt hat, weil er sich um die Rechte des einzelnen unserem Gesetz orientieren. kümmere, und das im Zusammenhang mit dem Da- Wir leben nicht in einem Überwachungsstaat; das tenschutz. hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Herr Bull, gesagt. Ich stimme dem zu, obwohl es natürlich Übergriffe gibt. Aber die werden j a nun Meine Damen und Herren, es wäre gut, wenn der genannt und hier auch besprochen. Die Volkszäh- Datenschutz bei Ihnen einen höheren Stellenwert lung hat nicht das Ziel einer totalen Ausforschung bekäme. Es wäre gut, wenn Sie das sichtbar mach- des Bürgers. Ich bitte Sie, meine Damen und Her- ten. Es wäre gut, wenn wir die Verschiebung der ren von den GRÜNEN, doch wirklich, jetzt zur Volkszählung gemeinsam beschlössen, um die stati- Sachlichkeit zurückzukehren. Das ist nicht der Weg stischen Angaben in einer vernünftigen Weise zu in einen Überwachungsstaat. Der Staat will nicht in bekommen. — Herzlichen Dank. die Privatsphäre des Bürgers eindringen, sondern (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten er braucht Planungsdaten. Diese zu bekommen ist der GRÜNEN) der Sinn des ganzen Unternehmens. Wenn ich jetzt davon spreche, daß die Verwal- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- tungsmodalitäten streng kontrolliert und auch ein- geordnete Baum. gegrenzt werden müssen, so beziehe ich mich bei- spielsweise auf die Empfehlungen von Herrn Simi- tis in Hessen. Ich möchte daraus einige Dinge nen- Baum (FDP): Frau Präsident! Meine Damen und nen. Die Übermittlungen mit Personenbezug sind Herren! Sie hören also noch von mir, auch zu die- auf ein Minimum zu beschränken. Sie dürfen- sem Thema. grundsätzlich nur faktisch anonymisierte Einzelan- Ich stehe zu diesem Gesetz und halte es rechts- gaben enthalten. Beim Melderegisterabgleich dür- staatlich nach wie vor für unbedenklich. Wir haben fen nur solche Verfahren praktiziert werden, bei es mit dem Datenschutzbeauftragten sorgfältig be- denen den Meldebehörden nur die ausdrücklich raten. Ich verhehle jedoch nicht, daß ich einige Be- vom Volkszählungsgesetz vorgesehenen Daten zur Kenntnis gebracht werden. Das ist ja schon sicher- denken habe, was die Verwaltungspraxis angeht. gestellt. (Beifall bei der SPD) Bei der Auswahl der Zähler muß sorgfältig ver- — Die haben wir mehr oder minder ja alle hier fahren werden. Polizeibeamte dürfen dafür nicht in geäußert. — Frage kommen. Der Hinweis der Freiwilligkeit muß (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Außer Zim dort gemacht werden, wo die Angaben freiwillig mermann!) sind. Die Erhebungsunterlagen sind zu vernichten, Ich möchte, daß in Bund, Ländern und Gemeinden sobald die dafür vorgesehenen Daten auf elektroni- dafür gesorgt wird, daß wir jetzt eine einheitliche sche Speicher übernommen sind. Wir brauchen Sat- Verwaltungspraxis bekommen. zungen der Gemeinden, die den Datenschutz betref- fen. Der Auskunftspflichtige muß auch die Möglich- (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Aha!) keit haben, ohne Angaben von Gründen seinen aus- — Das ist aber ohne Verschiebung möglich, Herr gefüllten Erhebungsbogen im verschlossenen Um- Kollege Schäfer. schlag bei der Zählstelle abzugeben. Ich verstehe Ihren Antrag nicht; denn auch die Kehren wir bitte in dieser Diskussion zur Sach- von Ihnen regierten Länder haben deutlich ge lichkeit zurück. Ich möchte die Bundesregierung im Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 49

Baum Namen meiner Fraktion bitten, eine gemeinsame zur Verfügung zu stellen, damit wir sachgerechte Anstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden in Planungsentscheidungen treffen können. Zusammenarbeit mit den Datenschutzbeauftragten zu unternehmen — am besten eine Innenminister- (Zurufe von den GRÜNEN) konferenz —, um den Bürgern dieses Verfahren Ich glaube, es ist jetzt die Stunde all derer, die noch einmal deutlich zu erklären — hier hat es an sich mit Recht darüber erregen, daß in unserem Aufklärung gefehlt; sie ist viel zu spät erfolgt — und Staat vielfach Fehlplanungen stattfinden, daß Fehl- den Bürgern klarzumachen, daß die Datenschutzre- investitionen vorgenommen werden. Darüber erre- gelungen eingehalten und noch verbessert werden. gen sich doch unsere Bürger. Ich bitte diejenigen, Das ist der Wunsch meiner Fraktion. sich jetzt zu Wort zu melden. Wir bitten jetzt um Wir wollen, daß die Volkszählung aus der Polemik den Solidaritätsbeitrag aller. Es sind zehn Minuten herauskommt. Wir wollen, daß wir dieses Unterneh- Solidaritätsbeitrag aller Bürger, die wir brauchen, men gemeinsam zu Ende führen. damit wir sachgerechtes Material für unsere Ent- scheidungen haben. Wir verlangen kein Ausplau- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dern von Geheimnissen. Ich kann allerdings einem, der Angst hat, wir könnten ihm auf irgend etwas draufkommen, nicht garantieren, daß wir es überse- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- hen. Das sage ich ganz offen. Aber niemand hat geordnete Fellner. auch das Recht, im Dunkeln zu munkeln. (Zurufe von den GRÜNEN) Fellner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Da- Das ist, glaube ich, doch eine Forderung, um die wir men und Herren! Ich glaube, es übersieht niemand, uns hier nicht zu grämen brauchen. daß diese heutige Aktuelle Stunde dazu benutzt werden soll, für die Ferienzeit noch entsprechendes (Zurufe von den GRÜNEN) Material zur Verunsicherung unserer Bürger hier — Wenn Sie sich zum Sprecher derer machen wol- aufzubereiten. Ich möchte gerade an die Adresse len, die im Dunkeln auf Kosten der Solidargemein- der Kollegen von der SPD die Bitte richten, doch zu schaft munkeln wollen, dann sagen Sie es bitte laut sehen, daß es hierbei zwar um eine Kampagne der und deutlich. Verunsicherung geht, daß diese Kampagne aber mehr sein wird, nämlich eine Kampagne, die zum (Beifall bei der CDU/CSU und bei der Vertrauensverlust in die Arbeit dieses Parlamentes FDP) führt. Ich meine, daß kein anderer Bürger wegen dieses Ich möchte Sie herzlich fragen, ob wir denn nicht Gesetzes Angst zu haben braucht, auch nicht wegen alle miteinander über zwei Perioden hinweg sehr etwaiger Meldeversäumnisse. Ich bin gestern dar- sachgerecht und sorgfältig — und alle miteinander auf gekommen, daß ich mich eventuell selber auf doch eifrig bemüht — an dem Gesetz gearbeitet die Ausnahmeregelungen in diesem Gesetz berufen haben. Es ist ein Gesetz, das einstimmig auch von muß, weil auch ich vergessen habe, mich hier in diesem Hause verabschiedet worden ist. Wenn Sie Bonn anzumelden. Ich hoffe, daß ich hier Gnade fin- meinen, Sie müßten nicht mehr zu dem stehen, was de, wie es in dem Gesetz darinsteht. Sie einmal veranstaltet haben, wenn Sie meinen, Sie müßten sich selber kasteien, dann wird es auf Es sind all diejenigen gefordert, die wollen, daß Sie zurückfallen. Sie können auf einen Zug auf- wir sachgerecht planen. Ich möchte nur folgende springen, wenn Sie meinen, Sie könnten noch zügig Beispiele nennen. Es regen sich so viele Leute über mitfahren; Sie müssen aber wissen, daß es der fal- Fehlplanungen in unserem Bildungswesen auf. Sie sche Zug ist. Das sollten Sie gerade aus der letzten sollen uns doch bitte jetzt die Chance geben, daß Wahl wissen. man, auf sachgerechten Zahlen aufbauend, eine Ab- schätzung des Lehrerbedarfs, eine Analyse der bis- Liebe Freunde, ich stelle auch die Frage, was wir herigen und der geplanten bildungspolitischen Ent- eigentlich von den zuständigen und verantwortli- scheidungen vornehmen kann. Es gibt so viele, die chen Kollegen in den Ländern halten, wenn wir sich über die fehlende Effektivität unserer Arbeits- ihnen nicht zutrauen, daß sie all das machen kön- verwaltung aufregen. Sie sollen uns doch jetzt hel- nen, was wir hier angesprochen haben, was notwen- fen, Arbeitsmärkte zu erkennen, Arbeitskräfteange- dig ist, um dieses Gesetz sachgerecht unter Wah- bote zu steuern und den Erwerbsbedarf in den ein- rung der Interessen und der Rechte der Bürger zelnen Berufen abzuschätzen. Und es regen sich so durchzuführen. Wir hören doch aus den Ländern viele über Fehlentwicklungen in der Infrastruktur wirklich Stimmen, die uns das Vertrauen geben auf. Sie sollen uns doch jetzt bitte mit Informatio- können, daß dieses Gesetz sachgerecht durchge- nen ausstatten über den Bedarf an Schulen, Kran- führt wird. Und es wird selbstverständlich durchge- kenhäusern, Wohnungen und Arbeitsplätzen. führt werden. Ich sage auch an die Adresse all Schließlich müssen wir auch eine sachgerechte Ver- derer, die meinen, sie würden in einer breiten Front kehrspolitik machen. Wir haben keine Vorstellun- der Verweigerung stehen; sie werden ganz einsam gen darüber, wie viele Mitbürger bei uns täglich dastehen, und niemand wird ihnen dann helfen, pendeln müssen, wie die Pendlerströme laufen, in wenn sie die Solidarität verweigern. welchem Umfang hier Bürger sind, um die wir uns Denn darum geht es j a doch letztendlich: daß wir in nächster Zeit verstärkt kümmern müssen. Ich unsere Bürger bitten, uns sachgerechtes Material meine auch, wir sollten unser Gemeinwesen nicht 50 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Fellner ständig als ein Staatswesen verdächtigen, in dem kommen sind — etwa, daß die Personaldaten nicht dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet ist. von diesem Fragebogen abtrennbar sind, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD) All diejenigen — — etwa, daß in einzelnen Ländern Vollzugsbeamte als Zähler eingesetzt werden sollen, und gar noch diese Vizepräsident Frau Renger: Kommen Sie bitte zum Idee mit der Kopfprämie. Ende, Herr Kollege. Da ist es verdienstvoll, wenn einzelne Länder wie Nordrhein-Westfalen — durch seinen Innenmini- Fellner (CDU/CSU): Ja. All diejenigen, die sich be- ster Schnoor — versuchen, Fehlentwicklungen zu reit erklären, hier mitzuzählen, sind unsere Mitbür- vermeiden, indem sie bestimmte sicherstellende ger, die unter Strafe verpflichtet sind, das nicht zu Weisungen geben. Sie können aber eine einheitli- mißbrauchen. Ich darf nur die Bitte an alle Bürger che, bedenkenfreie Anwendung damit nicht herbei- richten, dem Gemeinwesen diese zehn Minuten zur führen. Die Aufklärung, von der Herr Baum und Ausfüllung des Fragebogens zu opfern und uns Ma- andere zu Recht sagen, sie komme zu spät, ist — terial für sachgerechte Entscheidungen zu liefern. das sollten wir erkennen — zu spät gekommen. Sie — Danke schön. wird jetzt nicht mehr gelingen. Dazu braucht man (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mehr Zeit. In dieser Situation einen rigorosen Durchmarsch zu machen, wäre falsch. Er würde das Scheitern des Unternehmens begünstigen. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- geordnete Schmude. (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜNEN) Dr. Schmude (SPD): Frau Präsidentin! Sehr ge- Nehmen Sie doch zur Kenntnis, meine Damen ehrte Damen und Herren! Uns allen, die wir vor und Herren von CDU und CSU und auch von der einem Jahr dieses Gesetz einstimmig beschlossen FDP, daß es nicht nur die befragten Bürger, son- haben, muß zu denken geben, was inzwischen an dern daß es auch die Zähler sind, die sich inzwi- Sorgen und Bedenken gegen das Gesetz und gegen schen weigern, und zwar bis hin zu einem Diakoni- seine Durchführung aufgekommen ist. schen Werk in Westfalen, das darum bittet, seine (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Was Mitarbeiter nicht als Zähler einzusetzen. haben Sie denn in Ihrem Hause dazu ge macht?) Da sollten wir die Konsequenz ziehen, daß die Ängste zwar übertrieben sein mögen, daß sie aber — Wir haben uns auf Fragen der Rechtsförmlich- real sind und am 27. April eine große Rolle spielen keit konzentriert, die mit diesen Bedenken nahezu werden. Ich wehre mich gegen Übertreibungen — nichts zu tun haben. Wir haben uns konzentriert auf wie meine Vorredner — und sage: Panikmache und Fragen der Bezahlung. Aber was uns heute begeg- Dämonisierung bringen uns überhaupt nicht weiter. net, ist ein gesteigertes Bewußtsein für die Emp- Wer meint — wie hier der Antragsteller —, die indi- findlichkeit der Privatsphäre, für die Empfindlich- viduelle Freiheit des einzelnen sei bedroht und da keit des Datenbestandes aus dem individuellen Be- sei nun Widerstand geboten, der vergreift sich in reich. Wir sollten die Fähigkeit haben, uns damit der Dimension, der vergreift sich — so meine ich — selbstkritisch auseinanderzusetzen. auch in den Begriffen. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) - (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Freilich sollte diese Entwicklung auch denen zu FDP) denken geben, die heute die Aktuelle Stunde bean- tragt haben; denn auch von Ihnen, meine Damen Der Widerstand sollte uns ein zu wichtiger Begriff und Herren von den GRÜNEN, hat man vor Beginn sein, als daß er zu so kleiner Münze gemacht wird. dieses Jahres nichts von den jetzigen Bedenken ge- hört, die Sie hier so lautstark vortragen. (Zustimmung bei der SPD) (Zustimmung bei der SPD) Lassen Sie uns die Zeit einer Verschiebung zu Ich muß Ihnen sogar vorhalten: Sie haben das Auf- einem gemeinsamen Neuanfang nutzen, um das kommen dieser Stimmung im Wahlkampf sehr gut Vertrauen der Bürger zu erwerben, das bisher of- zu nutzen verstanden. fenbar nicht vorhanden ist. Lassen Sie uns nicht öffentlich darüber diskutieren, wie hoch das Buß- (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sie geld sein muß oder sein kann, sondern wie wir aber auch!) wirklich um die Einsicht werben, von der Sie, Herr Aber nun, nachdem der Wahlkampf vorbei ist, Kollege Hirsch, gesagt haben, daß sie beim Bürger sollten wir uns gemeinsam um Lösungen bemü- notwendig sei. hen. Und noch einen letzten Gedanken. Herr Bundes- (Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Das kön innenminister Zimmermann, wenn Sie eine ver- nen Sie gleich unter Beweis stellen!) trauensbildende Maßnahme ergreifen wollen, sor- Freilich muß man einräumen, daß Ungeschicklich gen Sie für die Klarheit, daß der Bundesbeauftragte keiten in der beabsichtigten Durchführung die Äng für den Datenschutz, Herr Bull, in seinem Amt ste und Bedenken bestärkt haben, die hier aufge bleibt. Damit werden Sie vielen einen erheblichen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 51

Dr. Schmude Teil des Vertrauens geben, das bisher nicht vorhan- am 27. April 1983 zu verhindern. Darin besteht un- den ist. ser gemeinsames Interesse, wenn wir auch weiter- (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der gehende Vorstellungen als die SPD haben. Ich bitte FDP) Sie deswegen, diesem Antrag zuzustimmen. Um die Eilbedürftigkeit noch einmal drastisch vor Augen zu führen, möchte ich einen Kollegen Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und von der CDU zitieren, den ich mit folgender Pas- Herren, wir sind am Ende der Aktuellen Stunde. sage aus der „Emsdettener Volkszeitung" auf der Wir haben noch über einige andere Dinge zu be- dort erwähnten Veranstaltung selbst erlebt habe, finden. nämlich Herrn Abgeordneten Heereman. Er wird in Der Bundestag tritt heute in die Osterpause ein. der „Emsdettener Volkszeitung" mit Ausführungen Seine nächsten Sitzungen sind für die Woche vom auf einer CDU-Wahlkampfveranstaltung am 17. Fe- 2. Mai 1983 vorgesehen. Wir müssen deshalb heute bruar 1983 in Emsdetten zitiert — Herr Heereman, beschließen, daß, wie die Fraktionen der CDU/CSU, Sie erinnern sich —: „Der CDU-Wahlkreiskandidat SPD und FDP vorschlagen, in dieser Woche, in der erklärte unmißverständlich, ,daß wir denen auf die die Regierungserklärung abgegeben und debattiert Finger klopfen werden, die unseren freiheitlichen wird, von Fragestunden abzusehen ist. Mit dem vor- Rechtsstaat zerstören wollen`". Herr Heereman ver- geschlagenen Verzicht auf Fragestunden würde von schwieg, ob er sich damit selbst meinte. der Geschäftsordnung abgewichen. Nach § 126 der (Beifall bei den GRÜNEN) Geschäftsordnung setzt diese Abweichung einen Beschluß mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Weiter im Text: „Im Gegensatz zu den GRÜNEN, Mitglieder des Bundestages voraus. die einen Volksaufstand gegen die Volkszählung wollten, ist er der Auffassung, ,daß wir sie brauchen, Ich darf diejenigen um ihr Handzeichen bitten, um festzustellen, wo die Feinde unserer Republik die mit dieser Regelung einverstanden sind. — Ge- stecken', erklärte er unter großem Beifall der Zuhö- genprobe! — Enthaltungen? — Eindeutig haben rer." zwei Drittel der anwesenden Mitglieder diesen An- trag angenommen. Ich stelle noch einmal ausdrück- Ich denke, es ist deutlich geworden — damit lich fest, daß die Abweichung mit der erforderlichen schließe ich —, daß unser Antrag auf Abhaltung Mehrheit beschlossen ist und in der Woche vom einer Sondersitzung eilbedürftig ist, um diesen ver- 2. Mai 1983 keine Fragestunden stattfinden. steckten Intentionen, die hinter der Volkszählung stecken, entgegenzuwirken. — Danke schön. Bevor ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. Mai 1983, 10 Uhr (Beifall bei den GRÜNEN) einberufe, erteile ich dem Herrn Abgeordneten Stratmann das Wort zu einem von ihm eingebrach- ten Antrag zur Geschäftsordnung. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort zur Ge- schäftsordnung hat der Abgeordnete Porzner.

Stratmann (GRÜNE): Liebe Bürgerinnen und Bür- ger! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Porzner (SPD): Frau Präsidentin! Meine verehrten Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag beantragt Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bun- eine Sondersitzung des Bundestages am Donners- destagsfraktion ist nicht der Meinung, daß eine tag, den 14. April 1983, um 9 Uhr. Tagesordnung: Sondersitzung stattfinden soll. Die Argumente sind Beratung und Beschlußfassung zu einem Gesetz- jetzt ausgetauscht. Herr Stratmann, es ist nicht so, entwurf der Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag, wie Sie sagen, daß Sie uns mit diesem Antrag ent- (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Im Plenum oder gegenkommen. Sie wollen etwas anderes als wir. im Freien?) Wir wollen eine zeitliche Hinausschiebung der dessen Substanz in § 1 zum Ausdruck kommt: „Das Volkszählung. Sie wollen die Volkszählung generell Volkszählungsgesetz 1983 wird aufgehoben. Die ablehnen. nach dem Volkszählungsgesetz vorgesehenen Zäh- (Zuruf von den GRÜNEN) lungen finden nicht statt." Meine Fraktion spricht sich also nicht für eine Son- Dieser Gesetzentwurf wird heute dem Bundes- dersitzung aus. Opposition heißt, daß wir uns mit tagspräsidium zugeleitet. Wir beantragen gleichzei- der Regierung voll und hart in der Sache auseinan- tig, auf der Sondersitzung alle drei notwendigen Be- dersetzen werden, ratungen vorzunehmen und die Beschlußfassung (Zurufe von den GRÜNEN) herbeizuführen. ebenso wie mit allen Fraktionen. Dafür brauchen Begründung: Angesichts des Termins der anbe- wir die Regierungserklärung. Die Regierungserklä- raumten Volkszählung ist klar, daß sie nur inner- rung wird am 4. Mai abgegeben. halb der nächsten 14 Tage verhindert werden kann. Unser Antrag ist also eilbedürftig. Wir bitten insbe- (Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜ- sondere die Abgeordneten der SPD, diesem Antrag NE]) zuzustimmen, weil ich denke, daß es ihrer politi- Das ist mit unserer Zustimmung so vorgesehen, auf schen Absicht zumindest auf Verschiebung der unseren Wunsch sogar, nicht in der letzten Aprilwo- Volkszählung entgegenkommt, die Möglichkeiten che. Es ist nicht notwendig, in dieser Sache eine zu nutzen, die Durchführung dieser Volkszählung Sondersitzung abzuhalten. 52 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983

Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Herren, wir stimmen über den Antrag ab, der nach § 20 gestellt worden ist und mit dem eine Sondersit- zung für den 14. April beantragt wurde.

Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.

Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. Mai 1983, 10 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Osterzeit.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluß der Sitzung: 13.07 Uhr) Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 53*

Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten

Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 30. 3. Conradi 30. 3. Dr. Glotz 30. 3. Frau Dr. Hickel 30. 3. Frau Huber 30. 3. Dr. Jens 30. 3. Junghans 30. 3. Kittelmann * 30. 3. Frau Dr. Martiny-Glotz 30. 3. Matthöfer 30. 3. Milz 30. 3. Offergeld 30. 3. Rappe (Hildesheim) 30. 3. Reuschenbach 30. 3. Frau Roitzsch 30. 3. Schmidt (Hamburg) 30. 3. Schreiner 30. 3. Dr. Soell 30. 3. Vosen 30. 3. Würtz 30. 3.

* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union