Dicker Brocken Für Die Mafia

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Dicker Brocken Für Die Mafia ITALIEN Dicker Brocken für die Mafia Sizilianisches Städtchen Gangi WILFRIED BAUER / VISUM Mit Milliardenhilfen aus Brüssel soll Sizilien wirtschaftlich fit gemacht werden. Aber die Gelder der europäischen Steuerzahler drohen in dunklen Kanälen zu verschwinden. Das organisierte Verbrechen pflegt wieder beste Beziehungen zur Politik. o könnte das Paradies aussehen: chen nach Nicosia völlig überflüssig ist – Giuseppe Farinella? Von Gangi aus soll leuchtend roter Klatschmohn unter nur in die Landschaft gesetzt, um ein paar der die Ausschreibungen aller wichtigen Ssilbern schimmernden Olivenbäu- Firmen einen Millionenauftrag zu besche- Bauprojekte in der Provinz Messina ge- men, goldener Ginster, eine strahlende ren. Toni lacht, „so ist das eben hier“. steuert haben. Und er soll sie auch jetzt Sonne am stahlblauen Mittelmeerhimmel, Er hat ein paar Jahre in Deutschland ge- noch, obwohl er im Knast sitzt, kontrollie- Duft nach Zitronen. Am Hang des Monte lebt, später in Rom. „Diese stumpfsinnige ren. Das vermutet jedenfalls die DIA, die Marone schläft das mittelalterliche Klein- sizilianische Verschlossenheit“ findet er Polizeisondereinheit gegen die Mafia. städtchen Gangi. In der Ferne hebt sich seither „schrecklich“. Nichts sehen, nichts Antonino Giuffrè und Salvatore Lo Pic- die Spitze des Ätna aus dem Dunst. sagen – „das ist nicht mein Ding“. Doch colo? Auch sie sind Vorstandsmitglie- Toni holt eine neue Flasche Wasser. Die wenn im Gespräch bestimmte Namen fal- der der größten Firma Siziliens: „Cosa No- Terrasse ist schattig, das Gutshaus massig. len, wird auch Toni stumm. stra“ (unsere Sache), zuständig für den Es gibt viele solcher „masserie“ Großraum Palermo. Beide leben hier im sizilianischen Bergland, seit Jahren im Untergrund. Ihre knapp hundert Kilometer südöst- Fluchtburgen, glauben die DIA- lich von Palermo. Manche sind Fahnder, sind Bauernhäuser im Bauernhöfe geblieben, andere of- Paradies um Gangi. Die Idylle ferieren sich als Pensionen, bei den ist traditionelles Stammland der meisten bleibt unklar, welchem Mafia. Gewerbe ihre Bewohner nachge- Selbst der „Boss der Bosse“ hen. Das ist oft auch besser so. könnte sich hier versteckt haben, Toni, der seinen Nachnamen Cosa-Nostra-Chef Bernardo Pro- nicht gedruckt sehen möchte, ist venzano, 68, seit über 37 Jahren 30, die „rechte Hand“ seines On- flüchtig. kels und erstaunlich offen: Klar, Still ist Toni auch, als sein Onkel dass der nahe gelegene, neu ge- sich dazusetzt und das heikle Ge- baute Staudamm unsinnig ist, denn spräch beendet. „Was redet ihr da? im Tal gibt es gar kein Wasser, das Mafia? Ihr habt doch keine Ah- man stauen könnte. Klar, dass das nung! Ein Staudamm ohne Was- gigantische Autobahnkreuz auf / SINTESI GENTILE TONY ser, eine überdimensionierte Kreu- dem verkehrsarmen Landsträß- Mafia-Mord in Palermo (1997): Der Stil hat sich gewandelt zung – na und? So fließt wenigstens 128 der spiegel 28/2001 Ausland MAIK PALAZZOTTO MAIK SHOBHA / CONTRASTO / AG. FOCUS / AG. (li.);SHOBHA / CONTRASTO (re.) TROINA FRANCESCO Autostrada in Mazara del Vallo Wohnhäuser in Catania Krankenhaus in Giarre Bauruinen auf Sizilien: „Wir müssen Professionalität in die Wirtschaft und die sozialen Strukturen bringen“ ein bisschen Geld nach Sizilien, und wir nellen-Konzern wussten. Die Justiz hat mocrazia Cristiana. „Wir müssen“, sagt profitieren alle.“ Vermögenswerte von mehr als 400 Millio- Pintacuda, „Professionalität in die Wirt- Der plätschernde Geldfluss soll nun zum nen Mark beschlagnahmt. schaft und in die sozialen Strukturen brin- riesigen Strom anschwellen: Aus Brüsseler „Beachtliche Erfolge, gewiss“, resümiert gen“, die Fähigkeit der Sizilianer stärken, EU-Quellen sind Sizilien bis 2006 rund Mafia-Jäger Grasso, doch damit sei die „ohne die Firmen und Fachkräfte der Ma- 18 Milliarden Mark zugesprochen für Organisation noch lange nicht besiegt: fia zu planen und zu bauen“. Straßen- und Wasserleitungsnetze, Häfen „Wir sind nicht einmal in der Nähe des Hoch über Palermo, in einem Schloss, und Brücken, Museen und Kläranlagen. Sieges.“ das einst als Hotel geplant war und heute Und weil Europa in der Regel fördert, was Im Gegenteil. Mit den Milliarden aus eine kleine halb staatliche, halb private auch der Empfängerstaat subventioniert, den Fördertöpfen könnte die Mafia, fürch- Akademie beherbergt, bildet Pintacuda werden die italienischen Steuerzahler 27 tet Ex-Bürgermeister Orlando, „die Vor- Manager und Bankangestellte aus, trainiert Milliarden dazulegen. Insgesamt 45 Mil- herrschaft in Sizilien zurückerobern, die Beamte der Gesundheits- und Forstbehör- liarden Mark schwappen so auf die fünf sie in den neunziger Jahren verloren hat“. den. Er ist Italiens einziger Kirchenmann Millionen Inselbewohner zu. Der Ausgang des Verteilungskampfes ist „Noch nie ist so viel Geld nach Sizilien offen. „Alles“, sagt Grasso, „hängt von den Private Investoren wagen geflossen“, rechnet Leoluca Orlando vor, nächsten fünf Jahren ab.“ sich kaum noch lange Jahre Bürgermeister von Palermo. Etwa 3,5 Milliarden Mark aus den Ent- Es ist „eine einzigartige Chance für die wicklungsfonds müssen schon bis Ende nach Neapel oder Sizilien Entwicklung unserer Insel“. Leider auch, kommenden Jahres ausgegeben sein, sollen fürchtet Orlando, „ein passender Brocken sie nicht verfallen. Schon das ist – mit le- mit Bodyguards und gepanzerter Limousi- für den Appetit der Mafia“. galen Mitteln – kaum zu schaffen. Denn ne. Die Mafia liebt ihn nicht. Früher und intensiver als die öffentliche die Hilfsgelder „treffen in Sizilien auf eine Die ist noch immer eine der Haupt- Verwaltung hat sich Cosa Nostra auf schwache Unternehmensstruktur“, so die schuldigen an der Krankheit des Südens: die Geldflut aus dem Norden eingestellt. Sorge von Pater Ennio Pintacuda, „die die- Mit 100000 Mark Subventionen werden im „Die sizilianischen Mafia-Familien hoffen“, sen Summen gar nicht gewachsen ist“. Norden Italiens im Schnitt drei neue Ar- glaubt der palermitanische Chefstaats- Der Jesuit Pintacuda, 67, war einer der beitsplätze kreiert, im Süden nur einer. anwalt Piero Grasso, „mit den angekün- führenden Anti-Mafia-Aktivisten der acht- Das übrige Geld bleibt irgendwo hängen. digten Milliarden aus Brüssel und Rom ihre ziger Jahre. Gemeinsam mit Orlando grün- Insgesamt etwa 80 Milliarden Mark sind Verluste aus den neunziger Jahren wett- dete er 1991 die Partei „La Rete“ (das den Südregionen seit 1992 aus Rom und zumachen.“ Das organisierte Verbrechen Netz), organisierte den Protest gegen die Brüssel zugeflossen. Die Wirtschaftskraft hat neue, unbelastete Firmen gegründet, mafiaverfilzte Dauerregierungspartei De- ist trotzdem weiter gesunken. Private In- unbescholtene Fachleute enga- vestoren wagen sich kaum nach giert, seine internationalen Fi- Neapel oder Sizilien, wenn nicht, nanznetze neu geknüpft und vor wie bei den Fiat-Zweigbetrieben in allem seine Beziehungen zur Poli- Melfi oder Termini Imerese, der tik stabilisiert. Staat kräftig zuschießt. Denn die Mafia hat schlechte Wenn es nicht gelingt, die Wirt- Jahre hinter sich. Nach den Atten- schaft Siziliens in Rekordzeit um- taten auf die Mafia-Fahnder Gio- zukrempeln, fürchtet Padre Pinta- vanni Falcone und Paolo Borselli- cuda, „werden sich Mafia-Interes- no 1992, nach blutigen Politiker- sen der Milliarden bedienen, weil morden, nahmen viele Italiener sie die unternehmerischen Struk- – und viele Sizilianer – den Kampf turen dafür haben“. gegen die Mafia auf. Die kriminelle Großfamilie sei Über 1500 mutmaßliche Mafiosi gerade dabei, warnt der Sekretär sind seither festgenommen wor- der sizilianischen Linksdemokra- den. Viele haben, um ihre Strafen ten und Europa-Abgeordnete, zu mildern, das Schweigegesetz Claudio Fava, „die Politik neuer- „omertà“ gebrochen und freimütig FOCUS / AGENTUR CONTRASTO lich zu kolonialisieren“. Die Rolle erzählt, was sie über den Krimi- Politiker Berlusconi, Dell’Utri: Einschlägiger Verdacht des „organischen und strategischen der spiegel 28/2001 129 zum Lügen angestiftet zu ha- Ein junger Staatsanwalt, Luca Tescaroli, ben, um andere Pentiti-Aussa- verbiss sich damals in den heiklen Fall. Sei- gen gegen ihn selbst in Zweifel ne These: Die Blutbäder seien bei der Ma- zu ziehen. Für Dell’Utri sind fia bestellt worden, um die Regierenden das „alles Erfindungen“. zur Aufgabe zu bewegen. Ein Zeuge aus Aber wahr ist: Der Mann, Berlusconis Umfeld bestätigte, er habe im mit dem der Forza-Politiker Juni 1992 von Dell’Utri von einem Projekt und Topmanager nach Ansicht erfahren, „eine neue politische Struktur seiner Ankläger über Rausch- zu schaffen“, die zudem wichtig sei für die gift verhandelt haben soll, Vit- Berlusconi-Firma Fininvest. Die Aussagen torio Mangano, lebte zu der zweier anderer Pentiti lieferten passende Zeit, Anfang der siebziger Jah- Details. Tatsächlich gründete Berlusconi re, in Berlusconis Villa in Arco- 1993 die Forza Italia. re bei Mailand. Er war dort Auch die Geburt von Berlusconis Hol- offiziell als „Stallmeister“ en- ding Fininvest, dem Herzstück seines gagiert. Schon Staatsanwalt mächtigen Wirtschaftsimperiums, liegt bis SHOBHA / CONTRASTO / AGENTUR FOCUS / AGENTUR SHOBHA / CONTRASTO Borsellino sah, wenige Tage be- heute im Dunkeln. Von insgesamt 21 Kon- Pater Pintacuda: Bodyguards gegen die Mafia vor ihn die Mafia 1992 um- ten soll das Gründungskapital stammen. brachte, Mangano als „einen Wem die zuzuordnen sind, wurde nie rich- Partners“ der Mafia sei früher vom And- der Brückenköpfe der mafiosen Organisa- tig aufgedeckt. Strohmänner, Deckadres- reotti-Flügel der Christdemokratischen tion nach Norditalien“. Cosa Nostra habe sen, lautete immer wieder der Verdacht.
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