ITALIEN Dicker Brocken für die Mafia

Sizilianisches Städtchen Gangi

WILFRIED BAUER / VISUM

Mit Milliardenhilfen aus Brüssel soll Sizilien wirtschaftlich fit gemacht werden. Aber die Gelder der europäischen Steuerzahler drohen in dunklen Kanälen zu verschwinden. Das organisierte Verbrechen pflegt wieder beste Beziehungen zur Politik.

o könnte das Paradies aussehen: chen nach Nicosia völlig überflüssig ist – Giuseppe Farinella? Von Gangi aus soll leuchtend roter Klatschmohn unter nur in die Landschaft gesetzt, um ein paar der die Ausschreibungen aller wichtigen Ssilbern schimmernden Olivenbäu- Firmen einen Millionenauftrag zu besche- Bauprojekte in der Provinz Messina ge- men, goldener Ginster, eine strahlende ren. Toni lacht, „so ist das eben hier“. steuert haben. Und er soll sie auch jetzt Sonne am stahlblauen Mittelmeerhimmel, Er hat ein paar Jahre in Deutschland ge- noch, obwohl er im Knast sitzt, kontrollie- Duft nach Zitronen. Am Hang des Monte lebt, später in Rom. „Diese stumpfsinnige ren. Das vermutet jedenfalls die DIA, die Marone schläft das mittelalterliche Klein- sizilianische Verschlossenheit“ findet er Polizeisondereinheit gegen die Mafia. städtchen Gangi. In der Ferne hebt sich seither „schrecklich“. Nichts sehen, nichts Antonino Giuffrè und Salvatore Lo Pic- die Spitze des Ätna aus dem Dunst. sagen – „das ist nicht mein Ding“. Doch colo? Auch sie sind Vorstandsmitglie- Toni holt eine neue Flasche Wasser. Die wenn im Gespräch bestimmte Namen fal- der der größten Firma Siziliens: „Cosa No- Terrasse ist schattig, das Gutshaus massig. len, wird auch Toni stumm. stra“ (unsere Sache), zuständig für den Es gibt viele solcher „masserie“ Großraum . Beide leben hier im sizilianischen Bergland, seit Jahren im Untergrund. Ihre knapp hundert Kilometer südöst- Fluchtburgen, glauben die DIA- lich von Palermo. Manche sind Fahnder, sind Bauernhäuser im Bauernhöfe geblieben, andere of- Paradies um Gangi. Die Idylle ferieren sich als Pensionen, bei den ist traditionelles Stammland der meisten bleibt unklar, welchem Mafia. Gewerbe ihre Bewohner nachge- Selbst der „Boss der Bosse“ hen. Das ist oft auch besser so. könnte sich hier versteckt haben, Toni, der seinen Nachnamen Cosa-Nostra-Chef Bernardo Pro- nicht gedruckt sehen möchte, ist venzano, 68, seit über 37 Jahren 30, die „rechte Hand“ seines On- flüchtig. kels und erstaunlich offen: Klar, Still ist Toni auch, als sein Onkel dass der nahe gelegene, neu ge- sich dazusetzt und das heikle Ge- baute Staudamm unsinnig ist, denn spräch beendet. „Was redet ihr da? im Tal gibt es gar kein Wasser, das Mafia? Ihr habt doch keine Ah- man stauen könnte. Klar, dass das nung! Ein Staudamm ohne Was-

gigantische Autobahnkreuz auf / SINTESI GENTILE TONY ser, eine überdimensionierte Kreu- dem verkehrsarmen Landsträß- Mafia-Mord in Palermo (1997): Der Stil hat sich gewandelt zung – na und? So fließt wenigstens

128 der spiegel 28/2001 Ausland MAIK PALAZZOTTO MAIK SHOBHA / CONTRASTO / AG. FOCUS / AG. (li.);SHOBHA / CONTRASTO (re.) TROINA FRANCESCO Autostrada in Wohnhäuser in Catania Krankenhaus in Giarre Bauruinen auf Sizilien: „Wir müssen Professionalität in die Wirtschaft und die sozialen Strukturen bringen“ ein bisschen Geld nach Sizilien, und wir nellen-Konzern wussten. Die Justiz hat mocrazia Cristiana. „Wir müssen“, sagt profitieren alle.“ Vermögenswerte von mehr als 400 Millio- Pintacuda, „Professionalität in die Wirt- Der plätschernde Geldfluss soll nun zum nen Mark beschlagnahmt. schaft und in die sozialen Strukturen brin- riesigen Strom anschwellen: Aus Brüsseler „Beachtliche Erfolge, gewiss“, resümiert gen“, die Fähigkeit der Sizilianer stärken, EU-Quellen sind Sizilien bis 2006 rund Mafia-Jäger Grasso, doch damit sei die „ohne die Firmen und Fachkräfte der Ma- 18 Milliarden Mark zugesprochen für Organisation noch lange nicht besiegt: fia zu planen und zu bauen“. Straßen- und Wasserleitungsnetze, Häfen „Wir sind nicht einmal in der Nähe des Hoch über Palermo, in einem Schloss, und Brücken, Museen und Kläranlagen. Sieges.“ das einst als Hotel geplant war und heute Und weil Europa in der Regel fördert, was Im Gegenteil. Mit den Milliarden aus eine kleine halb staatliche, halb private auch der Empfängerstaat subventioniert, den Fördertöpfen könnte die Mafia, fürch- Akademie beherbergt, bildet Pintacuda werden die italienischen Steuerzahler 27 tet Ex-Bürgermeister Orlando, „die Vor- Manager und Bankangestellte aus, trainiert Milliarden dazulegen. Insgesamt 45 Mil- herrschaft in Sizilien zurückerobern, die Beamte der Gesundheits- und Forstbehör- liarden Mark schwappen so auf die fünf sie in den neunziger Jahren verloren hat“. den. Er ist Italiens einziger Kirchenmann Millionen Inselbewohner zu. Der Ausgang des Verteilungskampfes ist „Noch nie ist so viel Geld nach Sizilien offen. „Alles“, sagt Grasso, „hängt von den Private Investoren wagen geflossen“, rechnet Leoluca Orlando vor, nächsten fünf Jahren ab.“ sich kaum noch lange Jahre Bürgermeister von Palermo. Etwa 3,5 Milliarden Mark aus den Ent- Es ist „eine einzigartige Chance für die wicklungsfonds müssen schon bis Ende nach Neapel oder Sizilien Entwicklung unserer Insel“. Leider auch, kommenden Jahres ausgegeben sein, sollen fürchtet Orlando, „ein passender Brocken sie nicht verfallen. Schon das ist – mit le- mit Bodyguards und gepanzerter Limousi- für den Appetit der Mafia“. galen Mitteln – kaum zu schaffen. Denn ne. Die Mafia liebt ihn nicht. Früher und intensiver als die öffentliche die Hilfsgelder „treffen in Sizilien auf eine Die ist noch immer eine der Haupt- Verwaltung hat sich Cosa Nostra auf schwache Unternehmensstruktur“, so die schuldigen an der Krankheit des Südens: die Geldflut aus dem Norden eingestellt. Sorge von Pater Ennio Pintacuda, „die die- Mit 100000 Mark Subventionen werden im „Die sizilianischen Mafia-Familien hoffen“, sen Summen gar nicht gewachsen ist“. Norden Italiens im Schnitt drei neue Ar- glaubt der palermitanische Chefstaats- Der Jesuit Pintacuda, 67, war einer der beitsplätze kreiert, im Süden nur einer. anwalt Piero Grasso, „mit den angekün- führenden Anti-Mafia-Aktivisten der acht- Das übrige Geld bleibt irgendwo hängen. digten Milliarden aus Brüssel und Rom ihre ziger Jahre. Gemeinsam mit Orlando grün- Insgesamt etwa 80 Milliarden Mark sind Verluste aus den neunziger Jahren wett- dete er 1991 die Partei „La Rete“ (das den Südregionen seit 1992 aus Rom und zumachen.“ Das organisierte Verbrechen Netz), organisierte den Protest gegen die Brüssel zugeflossen. Die Wirtschaftskraft hat neue, unbelastete Firmen gegründet, mafiaverfilzte Dauerregierungspartei De- ist trotzdem weiter gesunken. Private In- unbescholtene Fachleute enga- vestoren wagen sich kaum nach giert, seine internationalen Fi- Neapel oder Sizilien, wenn nicht, nanznetze neu geknüpft und vor wie bei den Fiat-Zweigbetrieben in allem seine Beziehungen zur Poli- Melfi oder Termini Imerese, der tik stabilisiert. Staat kräftig zuschießt. Denn die Mafia hat schlechte Wenn es nicht gelingt, die Wirt- Jahre hinter sich. Nach den Atten- schaft Siziliens in Rekordzeit um- taten auf die Mafia-Fahnder Gio- zukrempeln, fürchtet Padre Pinta- vanni Falcone und Paolo Borselli- cuda, „werden sich Mafia-Interes- no 1992, nach blutigen Politiker- sen der Milliarden bedienen, weil morden, nahmen viele Italiener sie die unternehmerischen Struk- – und viele Sizilianer – den Kampf turen dafür haben“. gegen die Mafia auf. Die kriminelle Großfamilie sei Über 1500 mutmaßliche Mafiosi gerade dabei, warnt der Sekretär sind seither festgenommen wor- der sizilianischen Linksdemokra- den. Viele haben, um ihre Strafen ten und Europa-Abgeordnete, zu mildern, das Schweigegesetz Claudio Fava, „die Politik neuer-

„omertà“ gebrochen und freimütig FOCUS / AGENTUR CONTRASTO lich zu kolonialisieren“. Die Rolle erzählt, was sie über den Krimi- Politiker Berlusconi, Dell’Utri: Einschlägiger Verdacht des „organischen und strategischen

der spiegel 28/2001 129 zum Lügen angestiftet zu ha- Ein junger Staatsanwalt, Luca Tescaroli, ben, um andere Pentiti-Aussa- verbiss sich damals in den heiklen Fall. Sei- gen gegen ihn selbst in Zweifel ne These: Die Blutbäder seien bei der Ma- zu ziehen. Für Dell’Utri sind fia bestellt worden, um die Regierenden das „alles Erfindungen“. zur Aufgabe zu bewegen. Ein Zeuge aus Aber wahr ist: Der Mann, Berlusconis Umfeld bestätigte, er habe im mit dem der Forza-Politiker Juni 1992 von Dell’Utri von einem Projekt und Topmanager nach Ansicht erfahren, „eine neue politische Struktur seiner Ankläger über Rausch- zu schaffen“, die zudem wichtig sei für die gift verhandelt haben soll, Vit- Berlusconi-Firma Fininvest. Die Aussagen torio Mangano, lebte zu der zweier anderer Pentiti lieferten passende Zeit, Anfang der siebziger Jah- Details. Tatsächlich gründete Berlusconi re, in Berlusconis Villa in Arco- 1993 die Forza Italia. re bei Mailand. Er war dort Auch die Geburt von Berlusconis Hol- offiziell als „Stallmeister“ en- ding Fininvest, dem Herzstück seines gagiert. Schon Staatsanwalt mächtigen Wirtschaftsimperiums, liegt bis

SHOBHA / CONTRASTO / AGENTUR FOCUS / AGENTUR SHOBHA / CONTRASTO Borsellino sah, wenige Tage be- heute im Dunkeln. Von insgesamt 21 Kon- Pater Pintacuda: Bodyguards gegen die Mafia vor ihn die Mafia 1992 um- ten soll das Gründungskapital stammen. brachte, Mangano als „einen Wem die zuzuordnen sind, wurde nie rich- Partners“ der Mafia sei früher vom And- der Brückenköpfe der mafiosen Organisa- tig aufgedeckt. Strohmänner, Deckadres- reotti-Flügel der Christdemokratischen tion nach Norditalien“. Cosa Nostra habe sen, lautete immer wieder der Verdacht. Partei ausgefüllt worden, erklärt Fava. in der Zeit Kontakt zur Wirtschaft gesucht, Nichts da, erklärte Berlusconi selbst vor Heute habe Forza Italia, die Partei des Me- sowohl um schmutziges Geld zu waschen, ein paar Wochen: Ein bekannter Kaufmann dientycoons und Regierungschefs Silvio als auch um Kapital profitabel zu investie- aus Mailand, Dr. Minna, dessen Sekretärin Berlusconi, diese Funktion jedenfalls „in ren. Mangano, der voriges Jahr an Krebs und dessen Ehefrau, hätten seinerzeit die Teilen geerbt“. starb, galt als „eine der wenigen Personen Auch die Staatsanwaltschaft in Palermo von Cosa Nostra, die in der Lage waren, „Ohne Beziehungen zur gab sich in einem langen Bericht über- derartige Beziehungen zu regeln“. Politik wäre die Mafia eine zeugt, dass die Mafia Ende 1993 „mit allen Die wohl ungeheuerlichste Anschuldi- ihren Kräften eine neue politische Forma- gung gegen Dell’Utri und seinen Chef Ber- schlichte Räuberbande“ tion unterstützte“ – Berlusconis Forza. lusconi befasste die Justiz bis in dieses Für Berlusconi sind das alles unbewie- Frühjahr hinein – wenige Wochen bevor Schecks unter ihren Namen ausgestellt, um sene Unterstellungen, zumal er selbst re- der Medientycoon Regierungschef wurde. die Gründungsprozedur zu beschleunigen. gelmäßig zum entschiedenen „Kampf ge- Der damalige Mafia-Boss Totò Riina habe Gehört habe die Firma immer seiner Fa- gen die Mafia“ aufruft. Offensichtlich ist „von bedeutenden Personen“ Geld für die milie: „Alles regulär.“ Aber leider, leider aber auch, dass es Fäden gibt, die vom tödlichen Attentate auf Falcone und Bor- hätten die damals beteiligten Banken die Dunkel der Cosa-Nostra-Welt in Berlusco- sellino im Jahr 1992 bekommen, gab im Unterlagen nicht mehr. Die seien fristge- nis Partei führen. Manche enden sogar Februar 1994 der Salvatore Cance- recht geschreddert worden. ziemlich nahe bei ihm. mi vor der Staatsanwaltschaft zu Protokoll. Im Herbst 2000 wurde der eifrige Staats- Vor allem ein langjähriger Vertrauter und Ermittlungen liefen an. anwalt Tescaroli von Caltanissetta nach Ex-Chef seines PR-Konzerns Publitalia, der Erst fünf Jahre später, im Gerichtssaal Rom versetzt. Ein halbes Jahr später stell- Forza-Italia-Abgeordnete im römischen von Caltanissetta, nannte Cancemi Namen: ten seine Nachfolger die Ermittlungen ein: Parlament, Marcello Dell’Utri, gerät immer Berlusconi und Dell’Utri seien jene „be- keine ausreichenden Beweise. wieder unter einschlägigen Verdacht. So deutenden Personen“ gewesen. Diese wie- Tescaroli beharrt bis heute darauf, hin- beschuldigte ihn die Staatsanwaltschaft, er sen die Vorwürfe entschieden zurück und ter den blutigen Attentaten, die Italien er- habe mit etwa zwei Millionen Mark ein erklärten, Cancemi habe auch in anderen schütterten, hätten womöglich „Personen Drogengeschäft finanzieren wollen. Weil Fällen gelogen. aus der Welt der Unternehmer, der Wirt- die mutmaßlichen Lieferanten des Stoffs noch vor dem Deal geschnappt wurden, Der Cosa-Nostra- PALERMO/NORDSIZILIEN ITALIEN stellten die Richter das Verfahren vor ein (68), paar Wochen ein, ohne die Vorwürfe gegen Vorstand Vorstandsvorsitzender, flüchtig seit 1963 Dell’Utri abschließend zu klären. Zuständigkeitsgebiete Antonino Giuffrè (56), flüchtig In einem anderen Verfahren setzen die auf Sizilien (58), Messina Ankläger den ehrenwerten Politiker sogar flüchtig, vertritt zusätzlich G. Madonia Reggio di neben den mutmaßlichen Mafia-Boss Vin- Palermo Calabria cenzo Virga auf die Anklagebank. Der, so MESSINA/UMGEBUNG glauben die Fahnder der DIA-Sonderpoli- Gangi zei, sei bis zu seiner Verhaftung im Febru- Guiseppe Farinella in Haft TRAPANI/WESTSIZILIEN ar dieses Jahres das „unternehmerische Enna Hirn“ von Oberboss Provenzano gewesen. Matteo Messina Caltanissetta Catania Virga und Dell’Utri sollen gemeinsam den Denaro (39), flüchtig republikanischen Ex-Senator Vincenzo Ga- Vincenzo Virga in Haft raffa zur Zahlung von etwa 700000 Mark CALTANISSETTA/SÜDSIZILIEN Schmiergeldern genötigt haben, was Guiseppe Madonia Siracusa Dell’Utri nachdrücklich bestreitet. in Haft Vor einem anderen Gericht, auch das CATANIA/SIRACUSA/SÜDOSTSIZILIEN ein noch laufendes Verfahren, ist Dell’Utri in Haft angeklagt, „pentiti“ – so nennt man in Ita- Benedetto Santapaola in Haft 100 km lien aussagebereite, „reuige“ Ex-Mafiosi –

130 der spiegel 28/2001 Ausland schaft, der Finanzen“ gestanden. „Ohne es seit 40 Jahren nicht einmal ein Foto gibt, und Krawatte tragen und vier, fünf Spra- Beziehungen zur Politik“, sagt auch Ex- sondern nur ein zusammengebasteltes chen sprechen“. Wenn sie den alten Mann Bürgermeister Orlando, „wäre die Mafia Phantombild. aus nicht mehr brauchen, werden eine schlichte Räuberbande, aber nicht die Selbst im fernen Deutschland wurden sie ihn fallen lassen. Mafia.“ die sizilianischen Fahnder aktiv. Im De- Cosa Nostra und die Mafia-Kollegen der Auf Sizilien hat die Berlusconi-Allianz zember 1999 verfolgten sie Provenzanos benachbarten Regionen Kalabrien, Kam- bei der Parlamentswahl im Mai alle 61 Di- Ehefrau Saveria Benedetta und seine Söh- panien und Apulien, schätzt der italieni- rektmandate gewonnen. Auch bei den Re- ne Angelo und Francesco Paolo bis ins sche Wirtschaftsverband Confcommercio, gionalwahlen vorigen Monat schlug Ber- Haus von Bernardos Bruder, der seit vie- setzen etwa 300 Milliarden Mark pro Jahr lusconis Statthalter Salvatore Cuffaro len Jahren in der Nähe von Frankfurt um; das sind etwa zwölf Prozent des ge- (Spitzname: „Küsschen, Küsschen“) den wohnt. Ohne Erfolg. samten Bruttoinlandsprodukts. Die krimi- Anti-Mafia-Kämpfer Orlando haushoch. Gelegentlich verhindern die Behörden nellen Clans kontrollierten Sach- und Ka- Selbst Toni hat rechts gewählt. „Warum selbst einen erfolgreichen Zugriff, ob mit pitalanlagen von zwei Billionen Mark. denn nicht?“ Er holt Wein. Es wird lang- Vorsatz oder aus Schludrigkeit, wird unter Damit ihnen die Milliarden, die jetzt sam dunkel zwischen den Hügeln um den Beamten heftig diskutiert. So glaubten Brüssel und Rom für Sizilien spendieren, Gangi. die Anti-Mafia-Spezialisten der Carabinie- nicht allzu leichte Beute werden, soll das Sein Onkel hängt seit fast einer Stunde ri im Januar dieses Jahres an eine neuer- Vergabe- und Ausschreibungssystem für am Telefon, im Büro gegenüber der Ter- liche todsichere Chance, Provenzano zu öffentliche Aufträge reformiert werden: rasse. Durch die halb geöffneten Klarere Zuständigkeiten, eindeutige Rollläden dringen Satzfetzen. Es Verantwortung derer, die die Mittel geht um Namen von Leuten, die verteilen, Transparenz der Ent- ihm gefallen oder nicht gefallen, scheidungen lauten die Ziele. Kandidaten, die er akzeptiert, Doch mehr Kontrolle bedeutet oder auch nicht. Wofür wird nicht auch immer mehr Bürokratie – un- klar. bedingt notwendige Sanierungspro- Toni weicht Fragen dazu aus. jekte würden dadurch noch weiter „In Sizilien“, murmelt er nur, hinausgezögert werden. Schlössen „muss alles im Konsens geregelt Italiens Beamte mafiaverdächtige werden, im Konsens von vielen Unternehmer von den Auftragaus- Beteiligten.“ schreibungen aus, würde sich die Konsens statt Knarre heißt die Zahl der Firmen, die Brüssel-kon- neue Devise. Im Jahr 2000 gab es forme Pläne und Kalkulationen auf- in Palermo „einen einzigen Mafia- stellen können, drastisch verringern, Mord“, sagt Orlando, „vor zehn in manchen Gebieten und Branchen Jahren waren es 240“. sogar auf null. „Die Mafia hat sich unsichtbar Und wie ortet man die unsichtba- gemacht“, bestätigt Staatsanwalt re Mafia? Ist das Traditionsunter- Grasso, „aber sie ist wahrschein- nehmen aus Pisa, das in Palermo lich effizienter denn je.“ Das Ge- aktiv wird, längst einschlägig über- schäft ist dasselbe geblieben: Waf- nommen? Wessen Geld inves- fenschmuggel, Drogenhandel, Er- tiert die Finanzierungsgesellschaft? pressung, Wirtschaftsbetrug. Nur Bankkonten haben längst die „lu- der Stil hat sich gewandelt. „Die para“ abgelöst, die Schrotflinte der sagen nicht mehr ,minchia‘ Cosa Nostra alten Schlags. (Scheiße)“, so der Mafia-Kenner Die Mafiosi, die jetzt noch ver- und Autor Beppe Grillo, „sondern haftet und abgeurteilt würden, seien

,excuse me‘.“ / AP FUCARINI ALESSANDRO alle von der alten Garde, spottet Pa- Der Cosa-Nostra-Umbau von Berlusconi-Partner Cuffaro: „Küsschen, Küsschen“ lermos Ex-Bürgermeister Orlando. der Schießtruppe alten Stils zum „Diese Bosse aus ihren Erdlöchern modernen Gangster-Konzern begann am greifen. Sie hatten dessen Freund Nicola La zu buddeln ist eigentlich Archäologie.“ 31. Oktober 1995. Bernardo Provenzano, Barbera seit Wochen Tag und Nacht be- Warum die von der Staatsmacht bedrohten der nach der Verhaftung des Oberbosses schattet und abgehört. Der trug, wie sie Fossile nicht ihre Millionen nehmen und Totò Riina am 15. Januar 1993 das Kom- wussten, Briefe von Provenzanos Frau und sich als Pensionäre in die Karibik abset- mando an sich gerissen hatte, versammel- Kindern in der Tasche und organisierte die zen, sondern sich jahrelang in Bauernhäu- te die Mafia-Elite in einem Bauernhaus heimliche Übergabe. Doch kurz bevor sich sern verstecken, ehe sie dann doch – meist an der Straße Palermo–Agrigento, nahe La Barbera und Provenzano treffen konn- mit dem Urteil „lebenslang“ – hinter Git- der Abzweigung zum Dorf Mezzoiuso. ten, fing eine andere Einheit den Boten ab, ter wandern, ist für Orlando so klar wie für Nach den Morden und Attentatsorgien der verhaftete ihn und rettete so möglicher- Grasso und jeden anderen sizilianischen Riina-Zeit, nach den darauf folgenden weise Provenzano. Mafia-Jäger: Verhaftungen und Pentiti-Offenbarun- Irgendwann wird allerdings auch er ins „Es geht um Macht, nicht um Geld“, gen müsse sieben Jahre Ruhe herr- Netz gehen. Provenzano sei krank, sagen sagt der Palermitaner Grasso, „und Macht schen, verordnete der neue Chef. Es be- Mafia-Jäger, habe ein Nieren- und Prosta- ist ans Territorium gebunden.“ In der Ka- gann, so Staatsanwalt Grasso, die „pax ta-Leiden, gehe wahrscheinlich am Stock. ribik hätte ein Mafioso Geld, aber nichts zu mafiosa“. Zudem, bescheinigt ihm Orlando, habe er bestimmen. Provenzano ist heute das Topziel der seinen Auftrag erfüllt, „das Fell der Mafia „Was soll er da?“, fragt auch Tonis On- Fahnder. Alle Versuche, ihn zu fangen, zu wechseln“. Orlando ist überzeugt, der kel zurück. Er gießt sich noch ein Gläschen scheiterten bislang. Mächtige Verbündete bisherige Chef werde verhaftet, „sobald vom schweren Roten nach und sagt be- und hochrangige Informanten, so glauben die Mafia komplett in den Händen der neu- dächtig: „Kommandieren ist dreimal so seine Jäger, schützen den Mann, von dem en, unbekannten Bosse liegt, die Anzug schön wie vögeln.“ Hans-Jürgen Schlamp

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