Strafvollzugsanstalt  1951 – 1990

Heike Hoffmeister Schutzgebühr: 2,– Euro Strafvollzugsanstalt Rummelsburg 1951 – 1990

Inhalt WiR erinnern 02 Vorwort von Dr. Matthias Bath Der Freundeskreis „WiR erinnern“ gründete sich im Herbst 2009 unter­ dem Dach des Nachbarschaftsvereins „Wohnen in Rummelsburg e. V.“. 04 „Deine Erinnerung kann dir keiner nehmen“ Der Freundeskreis ist ein Zusammenschluss von BewohnerInnen­ des Zeitzeugenbericht von ­Jürgen Stahf ­Geländes der ehemaligen ­Arbeitshäuser beziehungsweise der Strafvoll­ 10 Strafvollzug in der DDR zugsanstalt Rummelsburg. Motivation ist, die ­verschiedenen historischen Phasen zu ­würdigen und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. 14 „Ich habe meine Meinung nicht ­ändern können – Dies geschieht­ über die ­Organisation von Vorträgen und Führungen mit dem Strom wollte ich einfach nicht schwimmen“ mit ­Zeitzeugen und ­HistorikerInnen auf dem heutigen Campus Zeitzeugenbericht von Manfred Migdal und über Publikationen, die sich mit der Historie des Geländes befassen. Mit dieser Broschüre erscheint gleichzeitig ein Lageplan, der eine 18 Die Strafvollzugsanstalt Rummelsburg von 1951–1971 ­Übersicht über alle zeitlichen Epochen gibt. 28 „Ich wollte in diesem Staat nicht mehr leben“ Wenn Sie mehr über die Arbeit des Freundeskreises erfahren­ oder Zeitzeugenbericht von Hartmut Richter ­mitwirken möchten: ­ www.wir-in-rummelsburg.de 34 Die Strafvollzugsanstalt Rummelsburg von 1971–1990 [email protected] 42 „Ich fühle mich nicht als Opfer – was ich gemacht habe, habe ich aus Überzeugung getan“ Mit freundlicher Unterstützung der Bundesstiftung Zeitzeugenbericht von Mike Fröhnel zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 48 Lageplan und Gebäudesituation

54 Fußnoten, Quellen, Literaturverzeichnis, Impressum­ Vorwort Allen in Rummelsburg Inhaftierten ist jedoch gemein, dass sie hier unter menschenrechtswidrigen Umständen leben mussten. Sechs bis acht Häft­ linge waren in einer Zelle auf engstem Raum zusammengepfercht, bei ­zumindest qualitativ schlechter Verpflegung und unter Verlust jeglicher ­Intimsphäre. Hinzu kamen gar nicht selten Misshandlungen seitens des Wachpersonals und die teilweise sehr schlechten Arbeitsbedingungen in den Betrieben der Anstalt. Angesichts dessen war es wohl nur Galgenhumor, der schon die ersten Häftlinge Anfang der fünfziger Jahre diese gastliche Stätte als „Haus am See“ bezeichnen ließ. Das klingt jedenfalls idyllischer als „Das Gelbe Elend“ oder „Der Gläserne Sarg“, wie der Volksmund andere große Strafanstalten der untergegangenen DDR benannte. Gleichwohl war auch Rummelsburg alles andere als idyllisch und blieb ein Ort des Leidens. Deshalb begrüße ich es als ehemals hier Gefangener sehr, dass nun­ Rummelsburg, das war von 1951/52 bis zum Ende der DDR das Gefängnis mehr auch die wissenschaftliche Erforschung des Haftortes Rummelsburg ­für den abgespaltenen Ostteil . Zeitweilig waren hier auf dem ­beginnt und die einstigen Opfer so dem Vergessen entrückt werden. ­weit­läufigen Gelände des früheren Arbeitshauses der Stadt Berlin mehr Dem WiR-Verein und der Historikerin Heike Hoffmeister danke ich für ihr als 5.000 Menschen eingesperrt. Üblicherweise war die Anstalt für ­zwi- Engagement, dem letztlich die vorliegende Broschüre entwachsen ist. schen 1.300 (in den 50er Jahren) und 1000 (in den 80er Jahren) Gefange­ ­Davon, dass diese Broschüre ihr Publikum finden wird, bin ich schon jetzt ne ­ausgelegt. überzeugt. Rummelsburg ist gleichwohl kein zentraler Gedenkort für die Opfer ­po­litischer Verfolgung in der DDR wie etwa das frühere Stasi-Unter­ suchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen oder die ehemalige Straf­ Berlin, im August 2011 anstalt Bautzen II. Das liegt vor allem daran, dass hier nicht nur politisch Verfolgte, sondern überwiegend Häftlinge einsaßen, deren Verfolgung Matthias Bath auch aus rechtsstaatlicher Sicht nicht zu beanstanden ist. Natürlich waren (von 1976 – 1979 als Fluchthelfer in Rummelsburg inhaftiert) hier neben Dieben, Betrügern und Sittlichkeitsverbrechern aber auch ge­ scheiterte Flüchtlinge und Fluchthelfer inhaftiert. Aus Sicht der DDR machte dies ­keinen allzu großen Unterschied. Nach dortiger Lesart gab es in der DDR nämlich keine politischen Gefangenen, denn wer von den – ihrerseits durch nichts legitimierten – politischen Vorgaben der Partei- und Staats­führung abwich und sich dem damit verbundenem Macht­ anspruch widersetzte, galt als Sozialschädling und damit letztlich als Krimineller. Aber auch nach dem Ende der DDR führt die angesprochene Mischung der Häftlinge und Verurteilungsgründe zu einem allenfalls ­verhaltenen Gedenken an die hier zu DDR-Zeiten Inhaftierten.

2 3 1953 – 1955 Keibelstraße – Stadtvogtei – Rummelsburg Jürgen Stahf wurde im Januar 1953 in seinem Zimmer am Großberliner Damm verhaftet, in die Volkspolizeiinspektion gebracht „Deine und verhört. Es folgten weitere Vernehmungen und die Inhaftierung im ­Gefängnis in der Keibelstraße und in der Stadtvogtei Berlin. Dort war Erinnerungen er auch am 17. Juni 1953. Obwohl die Häftlinge hermetisch von der Außen­- welt abgeschirmt waren, war ihm an diesem Morgen sofort klar, dass etwas ­anders war als sonst, da keine S-Bahnen fuhren und auch der sonst kann dir alltäg­liche ­Straßenlärm fehlte. Als dann noch vor dem Tor Schüsse und der Ruf ­„Freiheit! – wir holen euch da raus“ zu hören waren, schöpften keiner nehmen“ die Gefangenen Hoffnung, nun bald das Gefängnis verlassen zu können. ­Jürgen Stahf erlebte das Gefängnispersonal an diesem Tag als weitaus freundlicher als sonst – und auch das Essen war um einiges besser. Dieses Jürgen Stahf, Verhalten war wohl der Unsicherheit geschuldet, wie alles weiterginge, geboren 1931 in Altlandsberg, sollte der Aufstand Erfolg haben. Nach dessen Niederschlagung füllten aufgewachsen in Berlin sich die ­Gefängnisse der DDR mit einer großen Zahl von im Zuge des ­Aufstands Verhafteten.­ Auch in die Zelle von Jürgen Stahf wurde ein Betei­ ligter des 17. Juni gebracht, sodass er von den Ereignissen draußen erfuhr. Ende Juli 1953 wurde Jürgen Stahf zusammen mit anderen Gefangenen Jürgen Stahf war nach einer Lehre als Filmfotograf ab 1951 als aus der teilweise kriegszerstörten Stadtvogtei nach Rummelsburg verlegt. ­Kameraassistent bei der DEFA in Babelsberg und in Berlin-Johannisthal Er kam zuerst in einen Verwahrraum in Haus 3 und ab Oktober in das Haus 1. tätig. Er spürte, dass er unter Beobachtung der Stasi stand. Wie viele Jürgen Stahf wurde nach einigen ersten Vernehmungen über Monate andere, die auf Distanz zur neuen politischen Ordnung in der DDR ­hinweg nicht mehr vernommen. Da er noch immer nicht wusste, weshalb ­gegangen waren, wurde auch Jürgen Stahf, der sich weigerte, sich er sich in Gefangenschaft befand, war seine größte Sorge, eines Tages einfach in der SED politisch zu engagieren, schließlich unter einem Vorwand von der Stasi abgeholt zu werden und in einem der berüchtigten ­Keller ­verhaftet. des Ministeriums für Staatssicherheit zu landen oder aber in ein ­Arbeits- Nach seiner Festnahme im Januar 1953 war Jürgen Stahf zunächst lager in die Sowjetunion verschleppt zu werden. Für Jürgen Stahf waren­ in der Keibelstraße und in der Stadtvogtei in Berlin in Untersuchungs- seine ­Erinnerungen an Erlebnisse in Freiheit eine wichtige Möglichkeit, in haft. Dort ­erlebte er die Ereignisse des 17. Juni 1953 mit. Im Sommer ­Gedanken aus dem Ge­fängnisalltag zu fliehen und so die Zeit in Haft zu desselben Jahres wurde er in die Untersuchungshaftanstalt nach überstehen. ­Berlin-Rummelsburg verlegt. Nach seiner ­Verurteilung im März 1954 verbrachte Jürgen Stahf die ­gesamte Haftzeit in Rummelsburg. „Ich hätte mir die Hand abhacken lassen für eine Flasche Selters“ Im Juli 1955 wurde er ­entlassen und ­lebte anschließend in West-Berlin, Aus Verzweiflung über die unklare Situation bezüglich seiner Gefangen­ ­Kanada und Niedersachsen, wo er als Kamera­mann und Doku­­men­tar­ nahme, trat Jürgen Stahf im Februar 1954 in einen Hungerstreik. Er wurde filmautor arbeitete. Er ist heute freiberuflich als Tierfilmertätig. ­ daraufhin in eine Einzelzelle im Keller verlegt. Um den Hungerstreik zu

4 5 ­unterbinden, gab das Gefängnispersonal Jürgen Stahf fortan auch nichts 1954 aus der Strafvollzugsanstalt Bautzen entlassen wurde. Ein wohl­ mehr zu trinken. Konkret bedeutete dies, dass das Wasser für das Wasch­ meinender Schließer zeigte Jürgen Stahf daraufhin das Telegramm, in dem becken und die Toilette abgestellt wurde und er, um sich zu waschen, nur Stahfs ­Mutter ihm dieses Ereignis mitteilen wollte, sodass die Sorge um ein nasses Handtuch bekam. Dieses unmenschliche Vorgehen zwang Jürgen ­seinen ­inhaftierten ­Vater von ihm genommen war. Stahf zu ihn erniedrigenden Verhaltensweisen: Um den quälenden Durst ­wenigstens etwas zu mildern, wrang er das nasse Handtuch über seinem „Der Gesang der Amsel“ Zahnputzbecher aus, um an ein paar Tropfen Wasser zu gelangen. Außer­ Jürgen Stahf verbüßte seine gesamte Zeit als Strafgefangener in der Straf­ dem trank er in einem unbeobachteten Augenblick auf Knien aus dem ­ vollzugsanstalt Berlin-Rummelsburg. Ein Jahr vor seiner Entlassung kam er E­imer, den man zum Spülen der Toilette gebracht hatte und schöpfte mit der aus seinem engen Verwahrraum in Haus 5 in einen großen Saal, in dem hohlen Hand Wasser aus der Toilette. Ein ihm wohl gesonnener Kalfaktor ­ungefähr 50 Strafgefangene Platz hatten. Als Erleichterung empfand Stahf gab ihm den Rat, nach einer Kopfschmerztablette zu verlangen, denn dazu trotz der Härte der Arbeit den Umstand, nun an der frischen Luft zu arbeiten. bekam man ein Schnapsglas voll Wasser. Da der Umbau des ehemaligen Arbeitshauses zum Gefängnis 1954 noch Ab dem fünften Tag seines Hungerstreiks spürte Jürgen Stahf massive nicht abgeschlossen war, räumten die Strafgefangenen vor allem den ­gesundheitliche Beeinträchtigungen wie starke Kopfschmerzen, Sehpro­ ­anfallenden Schutt beiseite, ebneten den Hof wieder ein und harkten und bleme und Schwindelgefühle. Er sah in seinen Vorstellungen Seltersflaschen ­jäteten den „Todesstreifen“. Nach über einem Jahr der Haft, die er fast nur mit perlendem Sprudelwasser vor sich. Endlich, nach neun Tagen ohne im Verwahrraum­ verbracht hatte, war es wohltuend, dass die Augen hierhin ­Nahrung und fast ohne Wasser, bekam er im Anwaltssprechzimmer über und dorthin schweifen konnten und der Körper wieder in Bewegung war. ­seinen Anwalt einen Gerichtstermin noch im März 1954 mitgeteilt. Ein Motiv, das sich durch die gesamte Gefängniszeit von Jürgen Stahf zog, war der Gesang der Amseln. Für ihn, der sehr naturverbunden ist, „… die DDR nachhaltig geschädigt“ bedeu­teten die Amseln vor seinem Zellenfenster immer Trost in seiner März 1954 wurde Jürgen Stahf im Bezirksgericht Berlin-Mitte in einem ­verzweifelten Situation und eine Erinnerung an glückliche Tage in Freiheit. nicht-öffentlichen Prozess zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis Im Juli 1955 wurde Jürgen Stahf aus der Haft entlassen. Zu den ihm ­wegen „friedensgefährdender faschistischer Propaganda, Unterschlagung ­lebenslang auferlegten Sühnemaßnahmen in der DDR gehörten unter von Volkseigentum gemäß § 246 StGB sowie wegen Verstoßes gegen die ­anderem, dass er nicht Auto fahren und nicht wählen durfte sowie für ­­Reisen ­Bestimmungen des Innerdeutschen Zahlungsverkehrs“ verurteilt. Zur Last oder für eine Heirat die Erlaubnis der zuständigen Dienststelle ­ein­holen gelegt wurden ihm ein in West-Berlin veröffentlichter Zeitungsartikel, eine musste. Doch längst hatte ihm seine Mutter bei einem Besuch im Gefängnis Rohfilmrolle, die er vor seiner Verhaftung noch nicht wieder in Babelsberg die neue, Westberliner Adresse der Eltern zuflüstern ­können. Und so fuhr abgegeben und ein Ledermantel aus West-Berlin, den eine Tante bezahlt hatte. Jürgen Stahf mit der S-Bahn vom Bahnhof aus direkt nach Tempel­ Trotz dieses willkürlichen, harten Urteils war Jürgen Stahf froh nun zu hof und kehrte bis nach der politischen Wende in der DDR 1989/1990 nicht wissen, wie lange seine Haftzeit noch andauern würde und dass eine Über­ mehr dorthin zurück. stellung an die Stasi nun nicht mehr zu befürchten war. Gleichzeitig mit Er fand Arbeit beim Sender Freies Berlin, lebte zwischenzeitlich in Kana­ ­Jürgen Stahf war auch sein Vater in einer DDR-Haftanstalt. Dieser war 1950 da und arbeitet bis heute als Tierfilmer. Im Jahr 2005 veröffentlichte er seine in Waldheim zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Er hatte insgesamt Erinnerungen an die Haftzeit unter dem Titel „Jahre der Angst“. über acht Jahre in sowjetischen Speziallagern und DDR-Gefängnissen ­zugebracht, bevor­ er als gebrochener und schwerkranker Mann im Sommer Das Gespräch mit Jürgen Stahf führte Heike Hoffmeister am 21. Februar 2011

6 7 Strafvollzugseinrichtung Berlin-Rummelsburg

Kfz-Schleuse, aufgenommen von der Hauptstraße 8

Aufnahme vom 11./12. Oktober 1990

8 9 Strafvollzug in der DDR  Neuordnung des Justizwesens und Vollzug der Freiheitsstrafen in der Sowjetischen Besatzungszone/DDR 1945 – 1971 Durch die Erfahrungen mit der inhumanen Strafvollzugs- und ­ Ver­fol­gungs­ praxis während des Dritten Reiches gab es in der Sowjetischen Besatzungs­­ Von der Neuordnung des Justizwesens nach zone Hoffnungen auf eine Reform des Strafvollzugs. Doch ­einer Humani­ sierung stand, neben materiellen und räumlichen Proble­men, vor allem die dem Zweiten Weltkrieg bis zum Strafvollzug Sowjetische Besatzungsmacht entgegen, die, nach sowje­tischem­ Vorbild, die unter Honecker Herauslösung des Strafvollzugs aus der Justizverwaltung favorisierte. Am 16. November 1950 erließ die ­Regierung der 1949 ­gegründeten DDR eine Ver­ ordnung zur Übertragung des Strafvollzugs an das Ministerium­ des Innern.1 Damit waren die Hoffnungen auf einen reformierten, humaneren ­Strafvollzug gescheitert: Die Zuständigkeiten im DDR-Strafvollzug wurden ­zugunsten eines Polizeivollzuges entschieden. In Folge dessen wurde­ bei­nahe das gesamte Personal in den Haftanstalten ausgetauscht. An die Stelle der Justizangestellten traten Angehörige der Deutschen Volkspolizei. Die Isolierung der Gefangenen und die Sicherheit der Gefängnisse standen ­fortan im Vordergrund. In den 1960 durch das Ministerium des Innern formulierten „Grund­ Die Leitlinien des Strafvollzugs in der DDR, der fragen des Strafvollzugs“ wurde bereits die bis zum Ende der DDR gültige nicht dem Justizministe­rium, sondern dem „Erziehungsaufgabe“ betont, die konkret auf drei Säulen basierte: Ord­ ­Ministerium des Innern (MdI) unterstand, können nung und Disziplin, gemeinsame produktive Arbeit und ­politisch-kulturelle Erziehungsarbeit. 2 Die erste gesetzliche Grundlage wurde mit dem „Gesetz mit den Schlagworten „Sicherheit, Arbeit und über den Vollzug der Strafen mit Freiheitsentzug und über die Wieder­ ­Erziehung“ wiedergegeben werden. Die Umgangs­- eingliederung Strafentlassener in das gesellschaftliche­ L­eben“ (SVWG) am ­formen seitens des Anstaltspersonals waren 12. Januar 1968 durch die Volkskammer verabschiedet.

­militärisch geprägt und die Behandlung der ­  Strafvollzug in der Ära Honecker 1971 – 1989: Die Periode bis 1977 Strafgefangenen oftmals von Willkür ­bestimmt. Insgesamt lässt sich für die ersten Jahre nach Erich Honeckers Macht­antritt Die Inhaftierten hatten kaum eine Möglichkeit, feststellen, dass es eine Entwicklung hin zu einem harten Strafverfolgungs­ kurs gab. Es wurden mehr Verhaftungen und schnellere Verurteilungen ihre Rechte wirksam einzufordern. Neben durchgeführt. Es erfolgte eine innen­politische Kursänderung, die sich vor der ­sicheren Verwahrung und Erziehung, war die allem auf die Bekämpfung der Kriminalität und auf die Justizpolitik aus­ ­Arbeit der Strafgefangenen in volkseigenen wirkte. Die Belange militär- und sicherheitspoli­tischer Eliten fanden nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker verstärkt Berücksichtigung, Betrieben bzw. in den anstaltseigenen Hauswerk­ was sich zum Beispiel im Vorgehen des SED-Regimes gegenüber so genann­ stätten ein wichtiger­ ökonomischer Faktor. ten „Asozialen“ und „Arbeitsscheuen“, aber auch im Umgang mit dem ­so

10 11 bezeichneten „Rowdytum“ zeigte.3 Der seit 1968 im Strafgesetzbuch der DDR verankerte § 249 regelte die Einweisung in ein ­Arbeitserziehungslager, wenn sich jemand „aus Arbeitsscheu einer gere­gelten Arbeit hartnäckig ­entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist“ und auch in Fällen der Prostitution.4

 Das Strafvollzugsgesetz vom 7. April 1977 Die Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes am 7. April 1977, welches eine Reihe von Verbesserungen im Strafvollzug beinhaltete, war vor allem auf das Bestreben der DDR zurückzuführen, ein international anerkannter Partner zu sein. Bedingt durch zunehmende Freikaufaktionen politischer Häftlinge aus der DDR durch die Bundesrepublik, waren Interna aus den Strafvollzugseinrichtungen bekannt geworden. Seinem Anspruch nach soll­ te das Gesetz den Strafgefangenen vor allem eine größere Rechtssicherheit bieten. Doch die Strafvollzugspraxis in den Gefängnissen der DDR sah oft­ mals ­anders aus. Die Umgangsformen seitens des Anstaltspersonals ­waren ­militärisch geprägt und die Behandlung der Strafgefangenen oftmals von ­Will­kür bestimmt. Mit den zumindest theoretisch fixierten, ­verbesserten Haftbedingungen einher ging eine verschärfte Verfolgungspraxis.5

 Die „Staatssicherheit“ Obgleich die Strafvollzugseinrichtungen der DDR formal dem Ministerium des Innern unterstanden, hatte das Ministerium für Staatssicherheit Ein­ fluss auf sie. Das DDR-Strafvollzugswesen wurde also mittels geheimdienst­ licher Methoden vom Staatssicherheitsdienst kontrolliert durch: – die Auswahl politisch geeigneten Personals, – den Einsatz von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) oder Offizieren im­­­beson- deren Einsatz (OibE), – die Anwerbung von Inhaftierten und Strafvollzugspersonal für Spitzel­ dienste, – die „politisch-operative Bearbeitung“ von Häftlingen.

Zielsetzung war hierbei, die „innere Sicherheit“ der Strafvollzugseinrich­ Strafvollzugseinrichtung Berlin-Rummelsburg tungen zu gewährleisten, sodass für die harten Haftbedingungen in DDR- Haftanstalten auch das Ministerium für Staatssicherheit verantwortlich Außenmauer mit war. Missstände, wie Übergriffe des Strafvollzugspersonals waren der Stasi Sicherungszäunen aufgrund ihrer Präsenz bekannt. Vorrangig ging es jedoch nicht um ein Aufnahme vom ­Beheben, sondern um das Vertuschen der Vorfälle, um ein Bekanntwerden 11./12. Oktober 1990 im Westen möglichst zu verhindern.6

12 13 1962 – 1963 1966 – 1967 1970 – 1971 „Ich sollte zu einem besseren, sozialistischen Menschen erzogen werden“ Bereits mit neun Jahren wurde Manfred Migdal für zwei Jahre in das „Ich habe ­„Sonderkinderheim“ Wenigenlupnitz in Thüringen gebracht. Die Jahre 1958 – 1960 verbrachte er im Jugendwerkhof Hummelshain/Thüringen. meine Meinung ­Beide Aufenthalte waren auf Anzeigen einer im selben Haus wohnenden SED-Funktionärin beim Jugendamt veranlasst worden. Nach einem ersten Fluchtversuch wurde Manfred Migdal von Mai 1962 nicht ändern ­ bis November 1963 inhaftiert. Die Untersuchungshaft verbrachte er im ­Gefängnis in Berlin-Rummelsburg in Haus 3, bevor er zum Strafvollzug können – mit dem in das Arbeitslager „Schwarze Pumpe“ in der Niederlausitz verlegt wurde. Schon im April 1966 erfolgte die nächste Verhaftung in Rudolstadt. Einer­ Strom wollte ich Streife der Transportpolizei war in einem Zug ein junger Mann mit Ruck­ sack aufgefallen: Manfred Migdal. Nach einem Monat Unter­suchungshaft ­ in Rudol­stadt wurde er wieder nach Rummelsburg verlegt, wo er bis zur einfach nicht ­Verurteilung wegen „Verstoßes gegen § 5 der Paßverordnung“ in Unter­ suchungshaft war. Auch die folgende Zeit des Strafvollzugs verbrachte­ er mitschwimmen!“ in Rummelsburg, wo er als Tischler arbeitete. Das letzte halbe­ Jahr seiner ­Strafzeit war Manfred Migdal im ehemaligen ­Frauen­gefängnis in der ­Ber­liner Barnimstraße inhaftiert. Zusammen mit einigen anderen männ­ Manfred Migdal, lichen Gefangenen musste er bis zu seiner ­Entlassung im Dezember 1967 geboren 1942 in Berlin. dort ­anfallende Handwerkstätigkeiten durchführen.

Manfred Migdals Leben in der DDR war bis zu seinem Freikauf im Jahr Im Juni 1970 wurde Manfred Migdal erneut festgenommen. Wieder 1971 von jahrelangen Aufenthalten im Kinderheim und Jugendwerkhof musste er die U-Haft im Rummelsburger Gefängnis verbringen, bevor­ er sowie im Arbeitslager und in Gefängnissen geprägt. Dreimal wurde er im ­Dezember 1970 wegen „versuchten ungesetzlichen Grenz­übertritts im ­wegen des ­Versuches, die DDR zu verlassen, inhaftiert. schweren Fall in Tateinheit mit versuchtem ungesetzlichem Aufenthalt Das Gefängnis in Rummelsburg lernte er aus der Perspektive des im Grenzgebiet gemäß den §§ 213 Abs. 1, Abs. 2 Ziffer 1 und 4, Abs. 3 StGB/ Unter­suchungshäftlings und aus der Perspektive eines Strafge­­fan­genen DDR, § 6 Grenzschutzverordnung“ zu zwei Jahren und sechs Monaten kennen. Weitere Haftstationen waren für Manfred Migdal das Arbeitslager ­Freiheitsstrafe verurteilt wurde. „Schwarze Pumpe“, das Gefängnis Brandenburg und das Frauen­gefängnis Als Strafgefangener musste Manfred Migdal auf dem Gefängnis­gelände Barnimstraße in Berlin. Dort gehörte er einer kleinen Gruppe inhaf­tierter in der Großwäscherei REWATEX arbeiten, bevor er in das Gefängnis ­­ Männer an, die im Frauengefängnis als Handwerker ­tätig waren. Brandenburg verlegt wurde. Im Sommer 1971 wurde er zurück nach Er lebte nach seiner Ausreise im Bergischen Land und in West-Berlin, ­Rummelsburg gebracht, bevor Ende Juli 1971 endlich seinem Antrag auf wo er als Tischler und Zimmermann arbeitete. Heute wohnt Manfred Ausreise aus der DDR stattgegeben und er aus der Haft in die Bundes­ ­Migdal in der Region Teltow-Fläming. republik Deutschland entlassen wurde.

14 15 „Wir haben natürlich auch für uns Der Heilige Abend wurde von den Gefangenen mit Roulette- und schicke Sachen gemacht …“ ­Gitarrenspiel bei Kerzenlicht verbracht. Doch das Wachpersonal wurde Rund ein Jahr arbeitete Manfred Migdal während seiner zweiten ­­ auf den Kerzenschein aufmerksam. Die ganze Zelle wurde durchsucht, Inhaftierung in der Tischlerei der Rummelsburger Strafvollzugsanstalt. die ­Gitarre und das Roulettespiel einbehalten und die Häftlinge arrestiert. Die Tisch­lerei befand sich zu dieser Zeit in Haus 7, der späteren Kartoffel­ Die Arreststrafe war die härteste Maßnahme, die gegen Inhaftierte schälküche. Dort wurden gebrauchte Büromöbel für verschiedene ­­ ­verhängt werden konnte. Die Arrestzellen befanden sich im Keller, sie Gefängnisse und Behörden instand gesetzt. Daneben glückte es den ­waren nur schwach ­beleuchtet und sehr klein. Zudem war der Arrestant ­Gefangenen auch, heimlich hübsche Holzkästchen herzustellen, die dann von der ­Außenwelt und jeder Ablenkung abgeschnitten und bekam eine zum ­­Tausch – zum Beispiel ­gegen Kerzen für Weihnachten – verwendet sehr ­kalorienarme und schlechte Verpflegung. Manfred Migdal musste wurden. mehrmals während seiner Haftzeiten in den Arrest – einmal sogar für zwei Monate. Die Zeiten im ­Arrest bedeuteten für die Gefangenen eine sehr Um einem Gitarristen auf der Zelle eine Freude zu machen, bauten starke physische und psychische Belastung. So verschieden die Charaktere ­Tischlereiarbeiter eine „elektrische“ Gitarre. Doch woher die Saiten der Inhaftierten waren, so viel­fältig waren die Methoden, um diese Zeit ­nehmen? Da die in den turnusmäßig gestatteten Paketen mitgeschickten zu überstehen: das Rezitieren von Gedichten, das Summen von Liedern Kuchen vom Strafvollzugspersonal zerschnitten wurden, um eventuell und das Zählen von Wassertropfen ­gehörten beispielsweise dazu. ­darin versteckte Werkzeuge aufzufinden, buken die Eltern ihrem Sohn kleine­ Törtchen. Oben, im Baiserschaum versteckt, befanden sich „… aber wir haben unsere Bratkartoffeln gehabt!“ die zusammengerollten Gitarrensaiten. Die schlechte Ernährung in Kombination mit harter Arbeit ließ einige ­Gefangene auf Ideen kommen, die die ganze Härte des Strafvollzugs „Deutsche Wertarbeit“ ­offenbarten. So wurde sonntags, wenn die Wachmannschaften eventuell Der größte Plan der Tischler war der Bau eines Roulettetisches. Selbst­ nicht ganz so aufmerksam waren, die Toilette mit der Bürste vom Wasser verständlich musste dieses Unternehmen unbemerkt vom Wachpersonal befreit. Pellkartoffeln, die die Gefangenen von vorhergehenden Mahl­- vor sich gehen. Was fehlte, wurde eingetauscht und schließlich war das zeiten aufgehoben hatten, wurden geschält, Zwiebeln und manchmal Spiel fertig. Das größte Problem war, es von der Tischlerei in den Verwahr­ ­etwas Speck waren zuvor organisiert worden. Dann wurde Bohnerwachs raum zu bringen. Ein von den Häftlingen als Vorwand gestellter Antrag auf mit ­einer Lunte versehen in die Kloschüssel gegeben und ­angezündet. Restaurierung der Zellentische wurde genehmigt. Ein Tisch nach dem Auf ­einem Stück Blech wurden dann die Bratkartoffeln über dem Klo ­anderen kam so in die Tischlerei und wieder hinauf in die Zellen. Doch ­gebraten und möglichst rasch gegessen, da spätestens zu diesem Zeitpunkt ­ausgerechnet bei dem Tisch, an dem auf der Unterseite der Tischplatte das das Wachpersonal durch die Rauchentwicklung und den Geruch auf­ heimlich angefertigte Roulettespiel befestigt war, gab es Probleme: Vor merksam geworden war. Nach dieser – natürlich verbotenen – Aktion, war der Wachzentrale gab der mit „Eisenhauer“ betitelte Schließer den Befehl, die Toilette völlig verrußt und der ganze Verwahrraum voll Rauch. Alles­ den Tisch abzu­stellen. Den Gefangenen sank der Mut. Doch ­„Eisenhauer“ musste wieder gereinigt werden und die Häftlinge wurden oft zur Strafe beugte sich über den Tisch, schlug mit der Hand darauf und sagte: im Keller arrestiert. „Deutsche Wertarbeit – habt ihr jut jemacht, Leute!“

Das Gespräch mit Manfred Migdal führte Heike Hoffmeister am 18. Februar 2011

16 17 Die Strafvollzugsanstalt Rummelsburg 1.500 Inhaftierte umzubauen. Um die Kosten niedrig zu halten, wurde die Arbeitskraft der Häftlinge für den geplanten Umbau von vorneherein mit eingerechnet. Da das Gelände des Arbeitshauses zum Areal des damals ­geplanten neuen Osthafens gehörte, war eine Nutzung der Gebäude als Gefängnis ­zunächst lediglich für fünf Jahre vorgesehen.8 Schon zum 17. April 1951 übernahm die Volkspolizei die Anstalt und von 1951 ­begann mit Arbeiten für die künftige Nutzung als Gefängnis. Unter anderem wur­den Umbettungen von Verstorbenen vorgenommen, da ein Teil des ­Geländes unmittelbar nach dem Krieg als Friedhof genutzt worden war. Die durch Kriegseinwirkung teilweise zerstörte Umfassungsmauer wurde durch bis 1971 Häftlinge ­wiederhergestellt und deren Umgebung zur besseren Einsicht für das Wach­­per­so­nal von ­Gebüsch und Bäumen befreit. Die einzelnen Häuser wurden nach und nach für die Unterbringung der ­Gefangenen umgebaut, es wurden Wachtürme errichtet und die Anstalt mit einer provisorischen ­Außenbeleuchtung versehen.9 Vom Arbeitshaus Nachdem klar war, dass die Anstalt auch über die anfangs vorgesehenen fünf Jahre hinaus bestehen würde, wurde sie Schritt für Schritt weiter ausge­ zur Haftanstalt baut und gesichert.

 17. Juni 1953 und 13. August 1961  Ausbau des Geländes zum Gefängnis In Rummelsburg entstand ein Areal, das eine Quasiautonomie besaß: ­Neben Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden einige der bei Luftangriffen teilweise den Häusern zur Unterbringung der Gefangenen gab es verschiedene Werk­ zerstörten Gebäude in Rummelsburg weiterhin als Arbeitshaus ­genutzt.7 stätten und Wirtschaftsgebäude, unter anderem eine Küche, eine Bäckerei, Ost-Berlin hatte nach der Gründung der DDR 1949 das Problem, dass alle eine Tischlerei und eine Schlosserei. größeren Gefängnisse im Westteil der Stadt gelegen waren und so dem Doch neben dem schrittweisen Ausbau der Häuser zu Zellenbauten DDR-Strafvollzug nicht zur Verfügung standen. Mit dem ­Übergang der ­ließen besondere politische Ereignisse die Häftlingsanzahl in die Höhe ­Zuständigkeit des Strafvollzugswesens an die Deutsche Volkspo­lizei zum schnellen. Nachdem sie Ende Mai 1953 bereits rund 2.500 Personen betrug, 1. Januar 1951, beantragte deren Präsident, ihm den gesamten Arbeits­ hatten die Ereignisse des 17. Juni 1953 auch auf die Rummelsburger Anstalt hauskomplex in Rummelsburg mit sämtlichen Gebäuden zu über­tragen, massive Auswirkungen. Die Zahl der Inhaftierten stieg in dieser Zeit auf um ihn fortan als Gefängnis nutzen zu können. Zu dieser Zeit waren etwa über 4.000 an. Diese Insassen wurden isoliert von den anderen Gefange­ 380 Personen auf dem Rummelsburger Areal untergebracht: so ­genan­nte nen in Haus 3 unter äußerst harten Bedingungen inhaftiert. ­Verwahrte, Arbeitshäusler, Altersheiminsassen sowie „schwer ­erziehbare“ Die Folgen des Mauerbaus am 13. August 1961 waren ähnliche wie nach Jugendliche. dem 17. Juni 1953: Wieder stieg die Anzahl der Inhaftierten rapide an, dieses Mal auf unglaubliche rund 5.200 Gefangene bis April 1962. Viele dieser Ein Magistratsbeschluss vom 12. April 1951 sah vor, die Häuser mit gerin- Häftlinge hatten versucht, in den Westen zu flüchten, und waren ­dabei gen finanziellen Mitteln zur Untersuchungs- und Strafvollzugsanstalt für ­festgenommen worden. Um diese große Häftlingszahl überhaupt unter­

18 19 bringen zu können, wurden große Armeezelte auf den Freistunden­- ­erfolgte eine Renovierung des Hauses 8 und anschließend die Belegung höfen aufgestellt. Die Strafvollzugsanstalt geriet in die Schlagzeilen, als dort mit TBC-kranken Häftlingen.13 Da die Anstalt noch nicht ­überall ausrei­ ­wegen der ungenügenden hygienischen Verhältnisse und wegen der Über­ chend gesichert war, gelang in den ersten acht Monaten ihres Bestehens be­legung – die Zellen waren teilweise mit doppelt so vielen Gefangenen ­sieben Häftlingen die Flucht.14 ­belegt, wie vorgesehen – im September 1967 eine Ruhrepidemie ausbrach. Ein Großteil der rund 2.400 Häftlinge erkrankte und erst Ende November Den Akten ist zu entnehmen, dass sich die Fertigstellung weiterer ­Gebäude war die ­Seuche abgeklungen.10 und deren Nutzung als Gefängnis immer wieder verzögerte. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte oftmals Materialknappheit, sodass beispiels­ Im Rummelsburger Gefängnis waren männliche Untersuchungshäftlinge weise Rundeisen für die Fenstervergitterungen und Mauersteine fehlten. und Strafgefangene untergebracht. Für straffällig gewordene Frauen gab Als nächstes Gebäude wurde Haus 9 zum Anstaltslazarett umge­baut und es bis 1973 das Gefängnis in der Berliner Barnimstraße. Nach dessen Auf­ mit dem Ausbau von Haus 2 begonnen, um weiteren Haftraum zu ­schaffen. lösung und Abriss waren sie in Köpenick in der Grünauer Straße in einer Um diese Bauarbeiten möglichst kostengünstig und schnell erledigen­ zu Strafvollzugsabteilung inhaftiert, die der Rummelsburger Anstalt nach­ können, wurden täglich rund 350 bis 400 Häftlinge beschäftigt. ­Neben dem geordnet war.11 Ausbau der bereits vorhandenen Häuser wurden auch neue ­Gebäude errich­ tet, wie zum Beispiel das Industriegebäude, ein großer Anbau an Haus 6.  Gebäude Nach der Übernahme der Gebäude des ehemaligen Arbeitshauses durch die Volkspolizei gab es zwei vordringliche Aufgaben: die Instandsetzung der teilweise noch kriegszerstörten Häuser und deren Umbau zum Gefängnis. Noch 1950 besaß zum Beispiel das Haus 3 kein Dach und war somit ständig Alltag der Inhaftierten feucht und an vielen Stellen schimmlig. Die Zeit drängte, denn nach Gründung der DDR 1949 besaß Ost-Berlin zu wenige Haftplätze, sodass die Nutzung des Rummelsburger Areals hier  Unterbringung Abhilfe schaffen sollte. Haus 4 sollte ursprünglich bis Ende des Jahres 1951 Von Anfang an wurde in der DDR von offizieller Seite nicht zwischen krimi­ weiterhin als Altersheim und als Unterkunft für die so genannten Verwahr­­ nellen und politischen Häftlingen unterschieden. Oftmals wurden diese­ ten verwendet werden. Doch schon im Oktober 1951 wurde auch ­dieses ­beiden Häftlingsgruppen bewusst gemeinsam in einem Verwahrraum unter­ Haus vorzeitig der Volkspolizei übergeben. gebracht. Die wegen politischer „Delikte“ Inhaftierten waren zumeist in ei­ ner Untersuchungshaftanstalt der Stasi oder – zu Beginn der 1950er Jahre – Die Werkstätten wurden wieder in Betrieb genommen und in der Schlos­ in einem der berüchtigten Kellergefängnisse des Ministeriums für Staats­- serei wurde mit der Herstellung von Fenstergittern begonnen. Als erstes sicherheit untergebracht, bevor sie nach Rummelsburg kamen. Oftmals ­konnten Häftlinge in Haus 6 in großen Gemeinschaftssälen aufgenommen waren sie durch ihre schlimmen Erlebnisse dort gebrochene Menschen. werden, nachdem dort die Fenster vergittert und Sicherheitstüren ein- Mit­arbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit fuhren täglich mit einem gebaut worden waren. Gefangene, die eine langjährige ­Freiheitsstrafe zu als Brotauto getarnten Trans­porter auf dem Gelände vor, um Häftlinge nach ­verbüßen hatten, wurden in der Anfangszeit der Straf­anstalt in Haus 8 Rummelsburg einzuliefern oder von dort abzuholen. Ein beliebtes Mittel ­untergebracht, das als einziges vergitterte Fenster hatte,12 da es bereits zu der Stasi war das in Aussicht Stellen von Hafterleichterungen, um Inhaftier­ Arbeitshauszeiten als Gefängnis genutzt worden war. Im Sommer 1952 te dazu zu bringen, Mitge­fangene auszuspionieren und über sie zu berichten.

20 21 Den Alltag – vor allem in der Anfangszeit der Rummelsburger Strafanstalt – Gefangenenkleidung. Die Oberbe­kleidung wurde nur sehr selten gewech­ kann man sich nicht karg genug vorstellen: Es fehlte an Einrichtungsgegen­ selt. Als Kopfbedeckung dienten Käppis. Die Schuhe waren in den 1950er ständen und Bedarfsartikeln. Bettwäsche beispielsweise war für die Gefan­ Jahren noch aus Holz, später trugen die Gefangenen hohe Schnürschuhe. genen überhaupt nicht vorhanden und geschlafen wurde bis Anfang der 1960er Jahre auf Strohsäcken. In einer ersten Aktion wurde für alle Häft­  Verpflegung linge je ein Bettlaken, eine Zahnbürste und das dazugehörige Zahnpulver Die Ernährung der Häftlinge war zu jeder Zeit schlecht, was die Versorgung beschafft.15 mit Vitaminen etc. anging. Ob die Häftlinge hingegen satt wurden, hing sehr Die Verwahrräume waren für die Häftlinge der Untersuchungshaft in stark von der allgemeinen Versorgungslage in der DDR ab. In den 1950er den 1950er Jahren jeweils mit neun Mann belegt. Das bedeutete, dass in Jahren war das Essen sehr einfach: Es gab beispielsweise Innereien, Brüh­ ­einer Zelle von circa 14 Quadratmetern Größe drei Dreietagen-Betten, ein nudeln und Nudelsuppen mit wenig Fett, dazu Brot sowie Kunsthonig und schmaler Tisch, zwei Bänke und ein Regal standen. In der Ecke des Ver­ Kunstkaffee. wahrraumes, nahe bei der Tür, befand sich – gänzlich ohne Sichtschutz – eine Toilette. Die Zelle war auch im Winter unbeheizt, sodass sich morgens Zum ersten Weihnachtsfest in Rummelsburg bekam jeder Häftling 1951: oft eine dicke Eisschicht auf dem Fenster befand. Natürlich vermieden die – 1 bunten Teller mit ca. 0,5 kg Weihnachtsgebäck Inhaftierten es unter diesen Umständen, ausreichend zu lüften. Dieses, – 1 Bockwurst die Enge durch die Belegung mit neun Männern, die Toilette im selben – 5 Ziga­retten17 Raum, die mangelhaften Hygieneverhältnisse und die sehr begrenzten Mög­lichkeiten des Kleiderwechsels machen vorstellbar, welch unangenehme In den 1960er Jahren waren Pellkartoffeln das vorherrschende Grundnah­ Gerüche in den Verwahrräumen oftmals vorherrschten. rungsmittel. An den Wochenenden gab es oft Bohnen oder Erbsen mit ­wenig Nur der obere Teil der Fenster war durchsichtig, und die Inhaftierten fettem Fleisch oder etwas Wurst. konnten nur vom obersten Bett aus ins Freie sehen. Das Benutzen der Bet­ ten bei Tage war jedoch untersagt – bei Nichtbeachtung dieses Verbotes  Einkauf drohten Strafen wie Schreib-, Päckchen- und Postempfangsverbot.16 Ab dem 18. Oktober 1951 bestand für die Gefangenen die Möglichkeit, in Für den Strafvollzug, also die Zeit nach einer Verurteilung zu einer ­begrenztem Umfang bei der Handelsorganisation (HO) einzukaufen. Ange­ ­Freiheitsstrafe, gab es in der Rummelsburger Anstalt zunächst noch große hörige durften fortan den Häftlingen nur noch Geld zukommen lassen. Gemeinschaftssäle, in denen rund 50 Strafgefangene zusammen unter­ge­ ­Arbeitende Gefangene bekamen so genannte Arbeitsbelohnungen in Form bracht waren. Diese Säle waren beheizt. Nach und nach wurden diese ­großen von Gutschreibungen. Für einen Teil dieser Gutschriften konnten sie sich Räume in kleinere Zellen unterteilt. zusätzlich Ess- oder Rauchwaren auf dem Anstaltsgelände kaufen.18

 Kleidung Für die Inhaftierten in Rummelsburg war es ­wichtig, die karge Verpflegung Die Strafgefangenen erhielten bei ihrer Einlieferung nach Rummelsburg:­ durch Einkäufe etwas aufbessern zu können. ­Anfang der 1960er Jahre Hosen und Jacken von dunkler Farbe, die an den Ärmeln und Hosenbeinen ­bestand das Sortiment der HO unter anderem aus Teewurst, Braunschwei­ sowie auf dem Rücken mit gelben Streifen versehen waren. Diese farbigen ger Wurst und Leberwurst sowie Butter und Schokolade. Erscholl das Streifen kennzeichneten den ­Träger auffällig als Häftling. In den ersten ­Kom­mando „Einkauf! Fertigmachen!“ wurden die Häftlinge zellenweise Jahrzehnten der Rummelsburger Haftanstalt hatten Strafgefangene, die zu dem Raum geführt, in dem die HO ihren Verkaufstisch hatte. Die meisten ­wegen krimineller Delikte einsaßen, rote Streifen als Markierung auf ihrer Gefan­genen rauchten, um die harten Haft­­­­be­dingungen etwas erträglicher

22 23 zu ­gestalten, und der Einkauf war auch immer eine Möglichkeit, die Tabak­ die Inhaftierten schon aus diesem Grund nicht lange lesen konnten. In den vorräte aufzufüllen. Die Bezahlung erfolgte mittels Wertkarten, auf denen 1960er Jahren war die Vorgehensweise so, dass einmal pro Woche ein klei­ die entsprechenden ­Beträge abgeknipst wurden. ner Wagen mit Büchern aus der Gefängnis­bibliothek von Zelle zu Zelle ­geschoben wurde und die Häftlinge sich aus dem bescheidenen Ange­bot  Persönliche Verbindungen Bücher entleihen konnten, die sie dann auch untereinander tauschten. In der Anfangszeit der Strafvollzugsanstalt waren die Besuchszeiten­ für die Der „Aufenthalt im Freien“ fand in den 1950er Jahren zunächst nur­ Gefangenen derart geregelt, dass Untersuchungshäft­linge alle vier Wochen ­unge­fähr zweimal pro Woche statt und dauerte rund 20 Minuten. Die Häft­ und Strafgefangene alle sechs Wochen eine 15-minütige „Sprechstunde“ er­ linge mussten hierbei in Reih und Glied gehen. In den 1960er Jahren verlän­ halten konnten. Für diese Sprechstunde wurde zunächst in Haus 5 ein Raum gerte sich für Untersuchungshäft­­­ ­linge und Strafgefangene die Zeit, die sie geschaffen. Später gab es für die Besuche Räume in einem Gebäude nahe im Freien verbrin­gen konnten, auf eine halbe Stunde pro Tag. der Schleuse. Bereits im Frühjahr 1952 wurden die Abstände der Besuchszeiten für die  Arbeit ­Strafgefangenen verdoppelt, sodass sie fortan nur noch alle drei ­Monate Während in der ersten Zeit der Haftanstalt die ganze Arbeitskraft der ­Besuch erhalten durften.19 Selbstverständlich wurden die Gespräche vom ­Gefangenen für Arbeiten auf dem Areal und den Wiederaufbau des Gefäng­ Gefängnispersonal kontrolliert. nisses gebraucht wurde, begann man schon sehr bald, die Häftlings­arbeit auch für „Volkseigene Betriebe“ (VEB) auszunutzen. So genannte Arbeits­ Wichtig waren für die Gefangenen auch die Pakete, die ihnen ihre Ange­­- ein­satzbetriebe der Strafvollzugsanstalt Rummelsburg waren in den 1950er hö­rigen ins Gefängnis schicken konnten. Wie auch bei der Besuchszeit, än­ und 1960er Jahren – neben vielen anderen – folgende VEB: derten sich die diesbezüglichen Regelungen im Laufe der Jahre und Jahr­ Bä­ren­­quell-Brauerei, Bauunion Süd für die Baustelle des Zentralflughafens zehnte. Die Pakete wurden vom Gefängnispersonal geöffnet und der Inhalt, Berlin-Schönefeld, Berliner Bremsenwerk, Elektro-Apparate-Werke Trep­ wenn er als Versteck dienen konnte, zerschnitten. tow (EAW), Kabel-Werk Oberspree (KWO), Kindl-Brauerei, Kühlautomat Ebenso wie die Päckchen waren auch die Briefe für die Beziehung der und REWATEX (Reinigen-Waschen-Textil).22 Häftlinge zu ihren Angehörigen wichtig. Sie durften in dem jeweils gültigen Daneben war auch eine Beschäftigung in den anstaltseigenen Werk­ Turnus geschrieben und empfangen werden und waren ein wichtiges Bin­ stätten wie zum Beispiel der Tischlerei oder der Schlosserei möglich. deglied nach draußen. Die Post wurde zensiert.  Arrest  Freizeit Die härteste Strafe, die gegen Gefangene ausgesprochen werden konnte, Die kulturelle Betreuung der Strafgefangenen stand grundsätzlich unter war die Arreststrafe. Die Arrestzellen befanden sich im Keller und waren dem Zeichen der ­Erziehung zu „vollwertigen“ Menschen der sozia­lis­tischen sehr eng. Mit ausgestreckten Armen ließen sich die gegenüberliegenden Gesellschaft. In Rummelsburg wurden in der Frühzeit der Straf­voll­zugs­ Wände ­berühren. Der Inhaftierte stand in keinerlei Kontakt zu anderen anstalt vor allem Film- und Kulturveranstaltungen unter diesem Erziehungs­ Mithäft­lingen. Zudem fiel in diese speziellen Verwahrräume immer nur aspekt durchgeführt.20 ­wenig Licht, da die ohnehin kleinen Fenster verblendet oder aus Glasbau­ Anfang der 1950er Jahre bekamen die Gefangenen Bücher, die wöchent­ steinen ­gefertigt waren. Die sehr karge Ernährung unterstützte zusätzlich lich getauscht wurden. Bei guter Arbeitsleistung und einwandfreier Füh­ das Ziel, den Häftling psychisch und physisch zu brechen. rung konnten sie auch zweimal pro Woche neue ­Bücher erhalten.21 Oftmals waren jedoch in den Verwahrräumen die Licht­verhältnisse so schlecht, dass

24 25 Strafvollzugseinrichtung Berlin-Rummelsburg

Haus 3 Treppenhaus mit Ausblick auf Freistundenhof

Aufnahme vom 11./12. Oktober 1990

26 27 1975 – 1980 „Ich wusste, was ich tat“ Nach Inkrafttreten des Transitabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR am 3. Juni 1972 wurden Fahrzeugkontrollen „Ich wollte auf den Transitstrecken nur noch in Verdachtsfällen durchgeführt. Deshalb und aufgrund einer DDR-Amnestie für „Republikflüchtlinge“ in diesem war es Hartmut Richter ab den frühen 1970er Jahren möglich, Freunde und ­Bekannte in seinem Auto in den Westen zu bringen. 33 Mal gelang dies, doch beim Versuch, seine Schwester und deren Verlobten über die Grenze Staat nicht zu bringen, wurde Hartmut Richter verhaftet. Die Staatssicherheit hatte ihn schon über längere Zeit ­beobachtet und im März 1975 griff sie zu. mehr leben“ Es folgte die schlimmste Zeit seines Lebens. 13 Monate wurde er in den Untersuchungshaftanstalten des Ministeriums für Staats­sicherheit in Potsdam (dem so genannten Linden­hotel) und Berlin-Hohenschön­hausen gefangen gehalten. Nach endlosen Verhören, Isolation und Desorien­ ­- Hartmut Richter, tierung – unter anderem über den Verbleib seiner Schwester – gelang geboren 1948 in Glindow/Brandenburg es der Stasi, ihm Fluchthilfe in achtzehn Fällen nachzuweisen. Hartmut Richter wurde zu 15 Jahren Haft wegen „Staatsfeindlichen Menschen­ Nach anfänglicher Begeisterung für die sozialistische Idee begann handels zum Zwecke, die DDR zu schädigen“ (§ 105) verurteilt. Ab April Hartmut Richter als Jugendlicher auf Distanz zu gehen und die DDR 1976 befand er sich im Strafvollzug in der StVE I Berlin-Rummelsburg. kritisch zu hinterfragen. Zweimal versuchte er, aus der DDR in den Westen zu fliehen. Das erste Mal wurde er mit 18 Jahren beim Versuch, „Der Strafgefangene Richter ist ein Feind der DDR“ über die ČSSR nach Österreich zu gelangen, verhaftet und in die Hartmut Richter weigerte sich, sich dem militärischen Reglement des ­Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in DDR-Strafvollzugs unterzuordnen. Weder das Marschieren im obliga­­to­ Potsdam gebracht. rischen Gleichschritt noch die Arbeitsnormerfüllung beim VEB Elektro- Nach der Verurteilung zu zehn Monaten auf Bewährung unternahm Appa­rate-Werke machte er mit. Zweimal befand sich Hartmut ­Richter in er im ­selben Jahr einen zweiten Fluchtversuch und durchschwamm Rummelsburg im Hungerstreik. Er protestierte auf diese Weise gegen die ­erfolgreich den Teltowkanal, um nach West-Berlin zu gelangen. Strafvollzugsbedingungen der DDR sowie dagegen, dass seine Schwester ­Hartmut Richter verhalf in den 1970er Jahren 33 Menschen im Koffer- nach Verbüßung ihrer Haftstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten in raum seines Autos zur Flucht aus der DDR. Ausgerechnet als er 1975 die DDR entlassen wurde, und nicht in die BRD. seine Schwester in die Bundesrepublik bringen wollte, wurde er an Die Konsequenzen von Hungerstreiks waren äußerst hart: Das Essen der „Grenzübergangsstelle“ Drewitz festgenommen. Er wurde zu für den sich im Hungerstreik befindenden Strafgefangenen wurde in den 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Fünf Jahre und sieben ­­­Monate ver- Verwahrraum geschoben und kontrolliert, ob dieser heimlich davon aß. brachte Hartmut Richter in Haft in Potsdam, Berlin-Hohen­ schön­ hau­ sen,­ Am fünften bis sechsten Tag, wenn bereits eine merkliche Schwächung Rummelsburg und Bautzen II, bevor er 1980 von der Bundesrepublik eingetreten war, wurde dieser einer Befragung aus­gesetzt, bei der ihm freigekauft wurde. Hartmut Richter lebt seit seiner Freilassung­ in das Strafvollzugspersonal androhte, lebenserhaltende Maßnahmen (West-)Berlin. ­ein­zuleiten. Dazu wurde der betreffende Häftling in das Haftkrankenhaus

28 29 Leipzig-Meusdorf gebracht und die Zwangsernährung mittels­ einer ­Jahrestag der Gründung der DDR am 7. Oktober möglichst groß­flächig in Magen­sonde begonnen. Hartmut Richter löste die Situation für sich so, der StVE I Berlin-Rummelsburg verteilt werden. Dazu brauchte es einige dass er die Sondennahrung trank, um die Zwangsernährung zu umgehen, wenige Helfer, die eingeweiht wurden. Ein Sanitäter, „Inoffizieller Mitar­ darüber hinaus jedoch keine weitere Nahrung zu sich nahm. beiter“ der Stasi, wie sich später herausstellte, hatte das geplante Vorhaben verraten. „Nimm die Lissi und pump den Leo leer!“ Hartmut Richter wurde daraufhin erneut in Untersuchungshaft genom­ Aufgrund seines Verhaltens verbrachte Hartmut Richter ­immer wieder men und anschließend in den Strafvollzug nach Bautzen II überführt, wo ­Zeiten seiner Haft im Arrest oder in Einzelunterbringung. Um sich die er einen dritten Hungerstreik durchführte. Die Zeit bis zu seinem Freikauf ­äußerst harten Bedingungen auf der Station A, also im Keller des Gefäng­ und der Entlassung nach West-Berlin im Oktober 1980 verbrachte Hartmut nisses, wenigstens etwas erträglicher zu machen, spielte ­Hartmut Richter Richter weitgehend in Einzelhaft. mit anderen, ebenfalls im Keller inhaftierten Gefangenen, ­Fernschach. Die Spielzüge wurden einander durch die Tür über den Gang zugerufen.­ „Richter, wir kriegen Sie ooch im Westen“ Das „Spielfeld“ war oftmals schon von einem Vorgänger vorhanden.­ Wenn Auch im Westen blieb Hartmut Richter den Maßnahmen des Ministeriums nicht, wurde es im Arrest, wo keine sonstigen Hilfsmittel zur ­Verfügung für Staatssicherheit ausgesetzt, die bis zur geplanten „physischen Ver­ standen, mit dem Fingernagel zum Beispiel in den Fuß­boden eingeritzt. nichtung“ reichten. Er engagierte sich in der „Internationalen Gesellschaft In der Einzelunterbringung konnte es auf ein Stück ­Papier oder Pappe mit für Menschenrechte“ und machte mit spektakulären Aktionen auf einem Stift aufgezeichnet werden. Die Schachfiguren wurden aus Brot die Menschenrechtsverletzungen in der DDR aufmerksam. So wirkte er oder Zahnpasta mit Speichel geformt. am ­20. Jahrestag des Berliner Mauerbaus am Vermauern des sowjetischen­ Eine Möglichkeit, mit den Kommandos der oberen Etagen Kontakt zu Aeroflotbüros in West-Berlin mit und zog im Mai 1983 mit einem Enter­ halten, war das Benutzen der Toilette als „Sprachrohr“. Dazu wurde mit haken ein Stück so genannten Stalinrasen aus dem Todesstreifen hinüber der Toilettenbürste („Lissi“) die Toilette („Leo“) leer gepumpt. Auf diese in den ­Westen. Durch solche Metallmatten, die mit ungefähr zehn Zenti­ Weise wurde eine Unter­haltung mit anderen Verwahrräumen möglich. meter ­langen Eisendornen versehen waren, sollte verhindert werden, dass ­Dabei wurden notgedrungen der penetrante Gestank, die Gefahr von aus DDR-Flüchtlinge in den Todesstreifen sprangen. der Kanalisation kommenden Ratten und das Entdecktwerden durch das Hartmut Richter, der bereits seit 1981 im Rahmen eines „Operativen Strafvollzugspersonal in Kauf genommen. Besonders wichtig war diese ­Vorgangs“ (OV) unter dem Namen „Parasit“ von der Stasi beobachtet und Aufrechterhaltung der Verbindung zu anderen Gefangenen, wenn ein Häft­ bearbeitet wurde, sollte von einem ehemaligen Mithäftling, einem ling längere Zeit isoliert war. Das Leerpumpen der Toilette war nur in der ­„Inoffiziellen Mitarbeiter“ des Ministeriums für Staatssicherheit, zur Einzelunterbringung und nicht im Arrest möglich, da dort die Toilette nicht ­Wiederholung der Aktion, ein Stück Stalinrasen in den Westen zu ziehen, frei zugänglich war. verleitet werden. Bei dieser Gelegenheit sollte – so der Plan der Stasi – Am 30. September 1977 wurden im Rahmen einer Verwahrraum­ ­Hartmut Richter ­erschossen werden. Er lehnte jedoch eine erneute Aktion durchsuchung 63 Flugblätter in Postkartengröße gefunden, die Hartmut dieser Art ab – und überlebte. Heute engagiert er sich in der Gedenkstätte Richter angefertigt hatte. Darauf wurden die Lebensbedingungen in Berlin-Hohen­schönhausen sowie in zahlreichen Vorträgen und Veranstal­ der Rummelsburger Strafanstalt und vor allem die Praxis des Ankettens tungen gegen eine DDR-Geschichtsverfälschung. ­angeprangert. Die Flugblätter waren, in Zeitungspapier eingewickelt, unter dem Matratzenstoff im Bett versteckt gewesen. Sie sollten zum Das Gespräch mit Hartmut Richter führte Heike Hoffmeister am 27. Februar 2011

30 31 Strafvollzugseinrichtung Berlin-Rummelsburg

Haus 6 Arrestzelle mit hoch­ klappbarer Pritsche

Aufnahme vom 11./12. Oktober 1990

32 33 Die Strafvollzugsanstalt Rummelsburg Jedes Stockwerk der Zellengebäude wurde mit einem Buchstaben und einer Ziffer gekennzeichnet. Keller trugen also die Bezeichnung A, Erdgeschosse erhielten ein B usw. Die Größe der einzelnen Zellen, die in der DDR ­Verwahrräume genannt wurden, betrug rund 14 Quadrat­meter.24 Jeder ­Erzieherbereich wurde von einem Offizier des Strafvollzugs (SV) geleitet, der, um den Anspruch des DDR-Strafvollzugs auf Erzie­hung der Straf­ von 1971 gefangenen zu dokumentieren, die Bezeichnung „Erzieher“ führte. Die Unter­bringung der Häftlinge erfolgte in Rummelsburg – wie in der DDR ­üblich – gemeinschaftlich. Dieses Prinzip der Kollektiverziehung ­bedeu- tete für den einzelnen Inhaftierten einen fast vollständigen Wegfall jeder bis 1990 Intimsphäre, da außer der gemeinschaftlichen Unterbringung auch die Freizeit mit dem Aufenthalt im Freien sowie die Arbeit ­stationsweise ­organisiert war. Hinzu kamen ­erschwerend die mangelhaften hygie­nischen ­Bedin­­­gungen, ­sodass nicht ­einmal in diesem Bereich der Schutz der Sicherung und Organisation ­ ­Privat­sphäre gegeben war. der Strafvollzugsanstalt

 Sicherung der Strafvollzugsanstalt Alltag der Inhaftierten In den letzten beiden Jahrzehnten des Bestehens der Strafvollzugseinrich­ tung war diese nahezu perfekt gesichert. Der gesamte Gefängniskomplex in Rummelsburg war von einer rund vier Meter hohen Mauer umgeben.  Aufnahme in die Strafvollzugseinrichtung In ­jeder Ecke sowie über der Zufahrtsschleuse stand ein Wachturm. Nach der Einfahrt in das Gelände der Strafanstalt, die von der Hauptstraße ­Zwischen der Innenmauer und den Gefängnisgebäuden befanden sich aus durch eine Schleuse erfolgte, wurden die Gefangenen in das Haus 4 Hundelauf­anlagen, die nach innen hin mit Draht­zäunen zum einem dahin­ ­gebracht, wo sich u. a. die „Effektenkammer“25 befand. Nach dem Ausklei­ ter ver­laufenden Patrouillenweg abgesperrt waren. Auf diesen folgte noch den beka­men die Gefangenen anstaltseigene blau-weiße Wäsche und ein elektrisch gesicherter Zaun. Diese Sicherungsmaßnahmen bildeten die ­Socken ausgehändigt, wobei das Hemd auf dem Rücken einen gelben Strei­ Sperrzone. Die Gefangenen durften sich dieser Zone nicht nähern. Nach fen hatte. In der Kleiderkammer erhielt der Inhaftierte eine dunkle Hose Einbruch der Dunkelheit wurden die Fronten der Gebäude und das gesamte mit eingenähten gelben Streifen an der Hosennaht, eine braune Jacke aus Areal mit Scheinwerfern beleuchtet.23 Tuchstoff mit einem gelben Streifen an jedem Ärmel und in der Mitte des­ Rückens, ein grünes Käppi, schwarze knöchelhohe Schuhe und eine ­Decke,  Organisation der Verwahrhäuser in die die Bedarfsgegenstände für die Gefängniszeit eingeschlagen waren. ­Neben der Untersuchungshaftanstalt (UHA I) gab es in Rummelsburg die Hosen und Jacken waren ehemalige Uniformteile.26 Die gelben Streifen wa­ ­1. Vollzugs­abteilung (1. VzA), für inhaftierte DDR-Bürger und die 2. VzA für ren so zwischen den Stoff genäht, dass sie nicht entfernt werden konnten, strafgefan­gene Ausländer, worunter in der DDR auch Westberliner und ohne einen sichtbaren Riss zu hinterlassen, damit der Häftling bei einer Westdeutsche verstanden wurden.

34 35 Flucht über keine intakte Kleidung verfügen würde. Es folgten eine Bis 1977 gliederten sich die Essensrationen in eine A-, B- und C-Verpflegung: ­medizinische Aufnahmeuntersuchung und die Einweisung in die Auf- Die C-Verpflegung war für Arbeiter vorgesehen, die ihr Soll mit 130 % nahme­abteilung in Haus 3 sowie ein Aufnahmegespräch. Auf der Zugangs­ ­übererfüllten. B-Verpflegung erhielt, wer arbeitete, dessen Sollerfüllung station (Nichtarbeiterstation) verblieb der neu eingelieferte Häftling so ­jedoch unter 130 % lag. A-Verpflegung bekamen Nichtarbeiter. Konkret be­ ­lange, bis auf einem der Arbeitskommandos ein Platz frei wurde. deutete das, dass die A-Verpflegung kein Frühstück enthielt und auch die Ration am Abend um die Hälfte geringer war als bei der C-Verpflegung.  Bestandsüberprüfung der Inhaftierten (Zählung) Ab Januar 1977 verbesserte sich die Verpflegung kalorienmäßig etwas, Zweimal pro Tag wurde die Vollzähligkeit der Gefangenen durch „Kopfzäh­ die ­Arbeiterverpflegung entsprach fortan der früheren C-Verpflegung und lung“ überprüft. War auf dem Flur das Kommando „Station, fertigmachen die Nichtarbeiterverpflegung der bisherigen B-Verpflegung.28 zur Zählung!“ zu hören, so mussten die Inhaftierten sich vollständig ange­ Obwohl laut Hausordnung streng verboten, gab es viele Versuche seitens zogen, d. h. mit Tuchhose, Jacke und Hauspantoffeln mit dem Gesicht zur der Gefangenen, alko­ho­­­lische Getränke herzustellen.29 So wurde Wein aus Verwahrraumtür aufstellen. Nachdem das Kommando „Zählung!“ erfolgt Brot, Zucker und Apfel­schalen, die als Reste in der Küche übrig waren, war, wurden nacheinander die Zellen aufgeschlossen und entriegelt und der ­hergestellt und der ­Behälter beispielsweise in einem Bodenversteck in einer jeweilige Verwahrraumälteste musste Meldung erstatten sowie den Tages­ Werkstatt einge­lassen. Die Herstellung von Brotwein, das Trinken von gruß entrichten. Dazu hatte er die Verwahrraumnummer und die Belegungs­ ­Rasierwasser oder das Schnüffeln von Lösungsmitteln – teilweise in den stärke der Zelle zu nennen, also zum Beispiel: „Verwahrraum 21, belegt mit Werkstätten zugänglich – waren vor dem Hintergrund zu sehen, sich die sechs Mann, guten Abend Herr Meister.“ Haftbedingungen in Rummels­burg etwas erträglicher zu machen.

 Die Angehörigen des Strafvollzugs  Einkauf Die Angestellten des Strafvollzugs trugen militärähnliche Dienstränge, also Inhaftierte der Strafvollzugseinrichtung Rummelsburg konnten in einem beispielsweise Oberwachtmeister des SV oder Leutnant des SV. Von den ­­­ gewissen Umfang in den Verkaufsstellen der Handelsorganisation (HO) auf Absolventen­ wurde „Befehlstreue und militärische Disziplin“ gefordert. Das dem Gefängnisgelände „Waren des persönlichen Bedarfs“ kaufen. Zah­ Per­sonal in Rummelsburg war vorwiegend männlich, wenngleich es Ausnah­ lungsmittel waren Anfang der 1970er Jahre noch Geldmarken, auf die außer men beispielsweise im Diensthundewesen, beim Transportdienst und in der der Häftlingsnummer Pfennig- und Markbeträge aufgedruckt waren. Durch Haftkrankenhausabteilung gab.27 Die Angehörigen des Strafvollzugs muss­ ­Lochen der entsprechenden Beträge wurde die Geldmarke entwertet.30 ten von den Gefangenen mit „Herr“ bzw. „Frau“ und dem Dienstgrad ange­ Diese Geldmarken wurden von Wertgutscheinen abgelöst, die es in den sprochen werden. Wert­größen 1, 5, 10 und 50 Pfennige sowie 1, 5, 10 und 20 Mark gab. In den verschiedenen Haftanstalten der DDR galten nur die jeweils dort ausgege­  Verpflegung benen Wertgutscheine. Prinzipiell ist zum Thema Verpflegung in Rummelsburg zu sagen, dass vor allem die Versorgung mit Vitaminen und anderen wichtigen Stoffen völlig  Freizeit unzureichend war. Es gab selten frisches Obst und Gemüse, das Essen war Auch die arbeitsfreie Zeit der Strafgefangenen unterlag bestimmten Inten­ häufig zu einem grauen Brei verkocht und das Brot viel zu feucht, sodass tio­nen und Restriktionen. Verbindlich war zum Beispiel für DDR-Gefange­ es bei den Gefangenen oftmals zu Mangelerscheinungen wie Haarausfall ne die Teilnahme an ­Veranstaltungen der „Staatsbürgerlichen Erziehung und zu Verdauungsproblemen kam. Das Austeilen des Essens nahmen die und allgemeinen Bildung“. Neben Vorträgen gehörten hierzu die „politisch- so genannten Kalfaktoren vor. ­aktu­ellen Gespräche“, die kostenlos zur Verfügung gestellte Zeitung „Neues

36 37 Deutschland“ sowie die Gefängnisbibliothek. Die Strafgefangenen durften und galt fortan für zwei Personen. Dem System des Strafvollzugs der die Bibliothek jedoch nicht selber aufsuchen, um sich Bücher auszuleihen, DDR entsprechend handelte es sich oftmals um „Kann-Bestimmungen“. So sondern es wurde ungefähr einmal monatlich eine Bücherkiste auf jede ­konnte die Übergabe kleinerer Geschenke während des Besuches gestattet ­Station gebracht, wo die Bücher verteilt wurden. ­werden. Ebenso abhängig von der Willkür des Wachpersonals war das Fernsehen war vor 1977 sowohl für Gefangene der 1. als auch der 2. Voll­ ­Gewähren eines Händedruckes­ zwischen Strafgefangenen und Besuchern. zugsabteilung eine Vergünstigung. Mit Inkrafttreten des Strafvollzugs­gesetzes Zu diesem Zweck ­konnte ­die Trennscheibe in der Sprechkabine hoch­- 1977 war im so genannten Ausländervollzug tägliches Fernsehen möglich. geschoben werden.32 Vorrangig wur­den Kontakte zu nahe stehenden ­ ­Erlaubt waren die Sender des DDR-Fernsehens. In der 1. Vollzugs­abteilung Per­sonen wie Ehegatten oder engen ­Verwandten gewährt. Kindern unter war die Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ Pflicht für die Strafgefan­ 14 Jahren war das Betreten von S­traf­voll­zugseinrichtungen verboten, sie genen. Ob anschließend weiter ferngesehen werden durfte, hing zum einen durften also keine Besuche durchführen.33 davon ab, ob der betreffende Häftling die Arbeitsnormen (über-)erfüllt hatte, zum anderen, welcher Art der Film war. Kriminalfilme waren verboten.  Arbeitseinsatz Strafgefangener Gesellschafts- und Kartenspiele waren – da es oftmals an Lesestoff man­ Die allgemeine Arbeitspflicht für Strafgefangene war in der DDR in den gelte – unter den Inhaftierten ein häufiger Zeitvertreib. Jedoch waren nicht 1950er Jahren eingeführt worden. Die Ausbeutung der Inhaftierten durch alle Spiele erlaubt. Trotz des Verbotes wurden von den Häftlingen auch Spiele Arbeit führte in den kommenden Jahrzehnten nicht nur zu einem volkswirt­ selbst hergestellt, zum Beispiel Spielkarten aus Zigarettenschachtel­etiketten schaftlichen Gewinn, sondern war auch eine Ertragsquelle für das ­Minis- oder Brettspiele auf der Rückseite von Spindeinlegeböden. terium des Innern. Die Arbeitseinsatzbetriebe bezahlten den Tariflohn ein­ Der Aufenthalt im Freien betrug vor dem Jahr 1977 eine halbe, danach schließlich aller Prämien und Zuschläge an die Strafvollzugseinrichtungen. ­ungefähr eine Stunde pro Tag. War zuvor nur das Rundendrehen in geschlos­ Das, was nach Abzug des Gefangenenanteils und etwaiger Unterhaltszah­ sener Ordnung und mit Sträflingskäppi erlaubt, so durften sich die Inhaf­ lungen von den überwiesenen Arbeitslöhnen verblieb, ging als Einnahme an tierten ab 1977 frei auf dem jeweils zu ihrem Haus gehörenden Hof bewegen, den Strafvollzug.34 Unter dem Motto: „Erziehung durch ­Arbeit“ wurden die wobei auch Unterhaltungen und gymnastische Übungen gestattet waren. Strafgefangenen in Rummelsburg entweder in den Hauswerkstätten be­ schäftigt oder sie mussten in volkseigenen Betrieben auf dem Gefängnis­  Besuch gelände, zum Beispiel den Elektro-Apparate-Werken (EAW) ­Treptow oder Wichtig waren für die Gefangenen die so genannten Persönlichen ­Ver­bin­­- der Großwäscherei REWATEX Dienst tun. Bezahlt wurden die Häftlinge dungen. Sie waren die einzige – wenn auch streng reglementierte – Verbin­ nach dem Leistungsprinzip, gearbeitet wurde im Schichtsystem. Da die wirt­ dung nach außen. Dazu gehörten der Empfang von Besuch, im Häftlings­ schaftliche Ausnutzung der Inhaftierten vorrangig war, spielten Arbeits­ jargon „Sprecher“ genannt, der Briefverkehr sowie der Paketempfang. Auch schutzmaßnahmen eine untergeordnete Rolle und Arbeitsunfälle waren hier stellte das Jahr 1977 mit Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes eine nicht selten.35 ­Zä­sur dar. Beispielsweise durfte vor 1977 ein Gefangener lediglich viertel­ jährlich Besuch von einer ­Person für die Dauer von einer halben Stunde  Disziplinarmaßnahmen empfangen. Das vorausgehende Prozedere war aufwendig und ein „Fehl­ Die Disziplinarmaßnahmen reichten von dem Ausspruch einer Missbilli­ verhalten“ des Inhaftierten bedeutete oftmals den Entzug der Besuchs­ gung über die Einschränkung oder den Entzug von Vergünstigungen bis zur erlaubnis. Durch eine Arreststrafe erlosch zum Beispiel die Besuchserlaub­ härtesten Disziplinarmaßnahme, dem Arrest. Dieser wurde im Häftlings­ nis für ein halbes Jahr.31 Mit der erwähnten Gesetzesänderung 1977 erhöhte jargon „Mumpe“ genannt und in Rummelsburg in den Kellern der Häuser 2, sich die Besuchszeit im allgemeinen Vollzug auf eine Stunde alle zwei Monate 3 und 6 durchgeführt.

38 39 Die Arrestzellen in Haus 6 waren mit speziellen Trenngittern ausgestattet, wurden, wird für die frühen 1970er Jahre beschrieben.37 Doch auch nach die die ohnehin kleinen Zellen in drei Teile aufteilten: einen zum Korridor 1977 wurde diese Praxis des ­Ankettens im Arrest noch praktiziert, zum hin gelegenen Teil, einen Bereich mit Waschbecken und Toilette und einen ­Beispiel durch Fesselung an die Pritsche.38 Diese Maßnahmen hatten ­einen Schlaftrakt, in dem sich die Pritsche befand. Die Pritsche war tagsüber deutlichen Misshandlungs­charakter, da sie missbräuchlich zum ­Zwecke der ­hochgeklappt und durch einen Schließmechanismus, der sich außerhalb Disziplinierung verwendet wurden. Zumeist wurde seitens des Personals des ­Gitters befand und nur durch das Gefängnispersonal bedient werden das Verhindern eines ­­Sui­zids als Vorwand benutzt, um den Häftling anket­ ­konnte, an der Wand befestigt. So war es dem Gefangenen in der Arrestzelle ten zu können. Besonders ­erniedrigend war es für den Betreffenden, wenn nicht möglich, sie zu benutzen, bevor ein Angehöriger des Strafvollzugs dies er beispielsweise in der Nacht nicht von seinen Fesseln befreit wurde, um ­gestattete. Ein kleiner quadratischer Tisch und ein ebensolcher Sitz, beides seine Notdurft zu ver­richten, und dann in seinen eigenen ­Ausscheidungen nur Holzbretter, waren am Trenngitter so angebracht, dass sie vom Anstalts­ liegen musste. personal durch das Gitter nach außen gedreht werden konnten („Karussell“ genannt), damit die Pritsche in der Nacht Platz fand. Die Arrestzellen in Der Sinn der Arreststrafe war auch in den letzten beiden Jahrzehnten des Haus 3 waren noch kleiner als in Haus 6 und hatten aus Platzgründen keine DDR-Strafvollzugs das Zermürben der Inhaftierten durch das Fehlen Trenngitter. ­jeg­licher Ablenkung und Beschäftigung und durch die fehlende Kommu­ nikationsmöglichkeit mit anderen Menschen.39 Auch erfolgte durch die Das Gefängnis in Rummelsburg litt unter einem massiven Rattenproblem, ­unzureichenden und kargen Mahlzeiten eine Schwächung sowohl körper­ bedingt durch den baulichen Zustand der alten Gebäude und die Lage direkt licher als auch ­willensmäßiger Art. Diese harten Bedingungen, von denen an der Rummelsburger Bucht. Betroffen waren vor allem die in den Kellern die Gefan­genen ­natürlich wussten, dienten gleichzeitig als Abschreckung. gelegenen Arrestzellen, aber auch andere Bereiche der Anstalt und sogar die Möglicher ­„Ungehorsam“ wurde so oftmals von vornherein im Keim Haftkrankenhausabteilung. Die Tiere kamen vor allem in der Nacht durch erstickt. die Toiletten in die Zellen. In die Arrestzellen fiel nur sehr wenig ­Tageslicht, was zum einen durch die Kellerlage bedingt war und zum anderen an den  Schließung der Strafvollzugsanstalt Verblendungen der Fenster lag, die zugleich als Sicht- und Durchsteckab­ Nach Amnestien im Oktober und Dezember 1989 leerten sich die Gefäng­ weisungen dienten, sodass andere Gefangene den Arrestanten nichts durch nisse der DDR merklich. Auch in Rummelsburg sanken die Gefangenen­ die Fenster stecken konnten. Die Fenster der Arrestzellen in Haus 3 ­waren zahlen. Es bildeten sich Gefangenenräte, welche die Interessen der Inhaf­ mit Glasbausteinen versehen, was den Tageslichteinfall noch verringerte.­ tierten vertraten, und es kam zu Streiks und Ausbruchversuchen. Zweimal ­gelang es Häftlingen im Jahr 1990, den Schornstein des Heizhauses zu Die Verpflegung im Arrest umfasste bis 1977: täglich sechs Scheiben Brot ­besteigen und so ihren Amnestieforderungen Ausdruck zu verleihen. Am (entsprechend ca. 200g), zwei Becher Kaffeeersatz und an jedem dritten 30. Oktober betrug der Gefangenenbestand „null“ – alle Inhaftierten, die Tag eine warme Wassersuppe. Ab 1977 bekamen die Arrestanten der 2. Voll­ weiterhin ihre Strafe verbüßen mussten, waren in Justizvollzugsanstalten zugsabteilung („Ausländervollzug“) Nichtarbeiterverpflegung – auch das im Westteil Berlins verlegt worden. Die Strafvollzugseinrichtung I Berlin- eine Minimalverpflegung, wenn auch nicht ganz so karg wie zuvor.36 Diese Rummelsburg hatte ihre Tore geschlossen.40 ­geringfügige Verbesserung der Ernährung im Arrest scheint jedoch nicht für die DDR-Häftlinge gegolten zu haben. Das Anketten in der Arrestzelle ­mittels zwei Handfesseln, die jeweils um ein Handgelenk gelegt und mit dem anderen Ende an das Gitter geschlossen

40 41 1984 1986 1988 Eine Jugend in DDR-Haft Am Tag seines 17. Geburtstages wurde Mike Fröhnel 1982 auf dem Alexander­ platz verhaftet. Er trug einen in der DDR unerwünschten Aufnäher auf „Ich fühle mich nicht ­seiner Jacke. Weil er sich gegen die Schläge von ihm unbekannten Personen wehrte, wurde er schon am nächsten Tag in einem so genannten Schnell­ als Opfer – was ich gerichtsverfahren vom Stadtbezirksgericht Berlin- wegen ­„Widerstands gegen die Staatsgewalt“ zu einem halben Jahr Haft im Jugend­ haus „Frohe Zukunft“ in Halle verurteilt. Er hatte nicht gewusst, dass der ­gemacht habe, habe ich Angriff auf ihn eine Provokation der Stasi gewesen war. Im April 1984 wurde Mike Fröhnel zum zweiten Mal verhaftet. Er hatte aus Überzeugung getan“ aus Protest gegen die deutsch-deutsche Grenze einige Flugblätter gezeich­ net, auf denen die Berliner Mauer in Verbindung mit dem Tor zum national­ sozialistischen Konzentrationslager Sachsenhausen zu sehen war. Diese warf er in Hausbriefkästen der Umgebung. Was er nicht wusste war, Mike Fröhnel, dass diese Gegend vor allem von Mitarbeitern des Ministeriums für Staats­ geboren 1965 in Schwerin, aufgewachsen in Berlin. sicherheit bewohnt und mit Kameras überwacht wurde. Es folgten sieben Monate Untersuchungshaft in der Zentralen Untersuchungshaftanstalt des Mike Fröhnel verbrachte den größten Teil seiner Zeit als junger Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen. Die Haft ­Erwachsener in Haft. Zum ersten Mal wurde er mit 17 Jahren auf dem dort bedeutete, dass dem Häftling ein Gefühl absoluter Ohnmacht vermittelt Alexanderplatz verhaftet, nachdem er von der Stasi provoziert worden wurde. Er durfte keinen Anwalt sprechen, war zumeist in Isolationshaft und war. Schon am nächsten Tag wurde er in einem Schnellgerichts­ wurde oft über viele Stunden – auch in der Nacht – verhört. Die Vernehmer verfahren zu einem halben Jahr Haft wegen „Widerstands gegen die waren besonders geschult darin, die Häftlinge durch die sich über Monate Staatsgewalt“ verurteilt und nach Halle in das Jugendhaus „Frohe hinziehenden Verhöre zu sie belastenden Aussagen zu bewegen. ­Zukunft“ gebracht. Es folgten drei weitere Gefängnisaufenthalte. Drei Wochen nach Im November 1984 wurde Mike Fröhnel wegen „ungesetzlichen Grenz­ dem Fall der Mauer wurde Mike Fröhnel entlassen. Ohne jede Ahnung übertrittes“ zu 18 Monaten Freiheitsentzug verurteilt, obwohl er gar keinen über die politischen Veränderungen fuhr Fröhnel nach Berlin zurück. Fluchtversuch unternommen hatte. Er kam zunächst für einen Monat Er hatte sechs Jahre in verschiedenen Gefängnissen der DDR zuge- in das Gefängnis Rummelsburg, bevor er in die Strafvollzugseinrichtung bracht. Zunächst lebte er in Schleswig-Holstein und Dänemark, bevor Bautzen weitertransportiert wurde, wo er bis Oktober 1985 inhaftiert war. er wieder nach Berlin zurückkehrte. Mike Fröhnel setzte sich vehement Schon zwei Wochen nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis wurde für den Erhalt der ehemaligen zentralen Untersuchungshaftanstalt Mike Fröhnel wieder von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicher­ des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen heit wegen des Verdachtes des illegalen Waffenbesitzes festgenommen. als Gedenkstätte ein. Heute ist er dort als Referent tätig und klärt in Ein Spitzel hatte ihm den Besitz einer Pistole angedichtet. Bei der anschlie­ ­zahlreichen Veranstaltungen in Deutschland aber auch in Skandinavien ßenden Wohnungsdurchsuchung wurde zwar keine Waffe gefunden, wohl über die DDR auf und berichtet über seine Hafterlebnisse. aber eine Skizze der Grenze. Die Folgen waren für Mike Fröhnel äußerst

42 43 schwerwiegend: Er wurde erneut in das Stasigefängnis in Berlin-Hohen­ Texas, der schnellste Schließer von Rummelsburg schönhausen eingeliefert und im März 1986 zu 20 Monaten Freiheits­ Sehr plastisch berichtet Mike Fröhnel von den verschiedenen Schließern entzug verurteilt. Danach wurde Fröhnel für drei Monate in den Strafvoll­ der ehemaligen Strafvollzugseinrichtung Rummelsburg. Da die Gefange­ zug nach Rummelsburg gebracht. Die Zeit von Juli 1986 bis Ende August nen deren wirkliche Namen in den meisten Fällen nicht kannten, erfüllten 1987 verbrachte er in verschiedenen Gefängnissen der DDR. Spitznamen den Zweck der Unterscheidung und Charakterisierung. Da gab es „Kompotti“, der von den Häftlingen so genannt wurde, weil Mike Fröhnel, der nach den jahrelangen, ungerechtfertigten Gefängnis­ er sehr starke Brillengläser trug, die an Kompottschalen erinnerten. Von aufenthalten vollends mit der DDR gebrochen hatte, setzte sich trotz eines ­diesem Schließer ist folgende Begebenheit überliefert: Während ihres Verbotes zu Freunden in die damalige ČSSR ab. Schon Anfang Oktober „Aufenthaltes im Freien“ im Hof zwischen Haus 1 und Haus 2 wurden 1987 wurde er daraufhin erneut verhaftet. Nach zweimonatiger Unter­ die Häftlinge von „Kompotti“ beaufsichtigt. Die Untersuchungshäftlinge, suchungshaft in Prag wurde Fröhnel an die Staatssicherheit der DDR über­ die nicht auf dem Hof, sondern in ihren Verwahrräumen waren, durften stellt, zum dritten Mal in das Untersuchungsgefängnis nach Berlin-­ während der Freistunde ihrer Mitgefangenen nicht an den Fenstern sein. Hohenschönhausen gebracht und im Mai 1988 wegen „ungesetzlichen Trotz dieses Verbotes sah „Kompotti“ aber ein Gesicht an einem Fenster. Grenz­übertritts“ verurteilt. Den anschließenden Strafvollzug verbrachte Die Hand schon am Schlagstock, stürmte er mit einem energischen er zunächst in Rummelsburg und anschließend in der Strafvollzugs­ „weg da!“ auf den vermeintlichen Gefangenen zu, der in Wirklichkeit­ einrichtung Karl-Marx-Stadt (Chemnitz). ­jedoch sein Vorgesetzter war. Für die Häftlinge bot ein solches Ereignis ­natürlich ergiebigen Gesprächsstoff. „Hauptsache, es hat gequalmt“ – Rauchen in Rummelsburg Während Mike Fröhnel an „Kompotti“ gute Erinnerungen hat, über­ Viele Inhaftierte – so auch Mike Fröhnel – rauchten während ihrer Haftzeit. wiegen bei „Texas, dem schnellsten Schließer von Rummelsburg“, die Das Rauchen half, die Haftbedingungen etwas erträglicher zu machen, ­unangenehmen Erlebnisse. Dieser schaffte nicht nur das Kunststück, in und war gleichzeitig ein Stück Freiheit im ansonsten streng reglemen­ Windeseile die Schlösser und Riegel der Zellentüren gleichzeitig zu öffnen, tierten Gefängnisalltag. Die Verkaufsstellen der Handelsorganisation (HO) sondern war teilweise zu den Gefangenen sehr brutal, indem er seine der DDR verkauften in Rummelsburg neben anderen Dingen auch Tabak­ Kampfsportkenntnisse einsetzte. waren. Gekauft wurde von den Häftlingen vor allem Tabak zum Selbst­ drehen von Zigaretten, zum Beispiel die im Gefängnis beliebte Sorte Entlassen wurde Mike Fröhnel am 30. November 1989, drei Wochen nach „Schwarzer Krauser“. Ein Päckchen kostete 1,25, die Blättchen 0,50 Mark. dem Fall der Mauer. Da er die letzte Zeit im Gefängnis in Absonderungshaft,­ Tabak war jedoch auch manchmal rar, etwa, wenn die HO nicht genug das heißt, ohne jeglichen Kontakt nach außen, zugebracht hatte, wusste Tabak am Lager hatte oder ein Gefangener nicht genügend Wertgutscheine er nichts von den Veränderungen in der DDR. Als er in ­Berlin davon besaß. Fröhnel berichtet von skurrilen Einfällen, um den Mangel an Tabak ­erfuhr, glaubte er den Berichten über die Maueröffnung ­zunächst nicht. auszugleichen. Eine Möglichkeit war das „Tischkante-Rauchen“. Hierfür Erst mit dem eigenständigen Grenzübertritt am nächsten Tag begann­ für schabten die Inhaftierten Späne von der Tischkante und rauchten diese in Fröhnel ein neues Leben in Freiheit. Er lebt heute in Berlin und ist in der Zigarettenpapier oder aber in Zeitungspapier des Neuen Deutschland. Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen als Besucherreferent­ beschäftigt. Eine andere Methode war, Seegras aus den Matratzen als Zigarettenfüllung zu verwenden. Tabak war jedoch nicht nur zum Rauchen wichtig, sondern­ war unter den Gefangenen eine eigene Währung. Das Gespräch mit Mike Fröhnel führte Heike Hoffmeister am 25. August 2011

44 45 Strafvollzugseinrichtung Berlin-Rummelsburg

Luftbildaufnahme

Aufnahme von 1987

46 47 Rummelsburger See 30 Lageplan 29 Stand 1980er Jahre Norden 32 31

10 8 12 1 Haus 1 19 20 Lager 16 2 Haus 2 21 Verwaltungs- gebäude 3 Haus 3 21a Sporthalle 32 6a 7 4 Haus 4 18 22 Kfz-Schleuse 5 Haus 5 23 Block A/B 6 Haus 6 24 Block C 6a Industrie- und 19 Hallengebäude 25 Block D 6 3

7 Haus 7 26 Wachgebäude 20 17 8 Haus 8 27 Block F

32 9 Haus 9 28 Transportdienst 9

11 10 Haus 10 29 Seehalle 14 13

11 Wäscherei 30 Zwingeranlage

12 Gärtnerei 31 Diensthundewesen

5 2 13 Küchengebäude, 32 Mauerbegrenzung und Bibliothek, Hundelaufanlage

Raum für „Staats- 15 bürgerliche Erziehung und allgemeine 4 Bildung“ 1

14 Heizhaus

15 Kirche 32 21a 26 Ursprüngliche Bebauung 16 Wirtschaftsgebäude als Arbeitshaus 21 23 28 17 Halle der VEB Elektro- Ursprüngliche Bebauung, 22 Apparate-Werke heute nicht mehr vorhanden Ergänzte Gebäude zu ­DDR-Zeiten, Hauptstraße 27 25 18 Trafostation heute nicht mehr vorhanden 24

Zufahrt 48 49 Gebäudesituation 5 Haus 5: Hauswerkstätten sowie Produktionsstätten VEB NARVA und VEB EAW sowie der besonders gesicherte Bereich Stand 1980er Jahre der Schlüsselwerkstatt

6 Haus 6: 2. Vollzugsabteilung Ab 1977 nach umfangreichem Umbau: Strafvollzug für Ausländer, d. h. auch für Westberliner und ­Westdeutsche, mit eigenem Arrest­ bereich und Absonderungszellen im ­Keller, drei ­Freiganghöfe hinter dem Gebäude, zwei davon mit ­Zugang zu Das Areal der Haftanstalt grenzte in südwestlicher Richtung an die ­­Rum- ­HO-Kiosk mit speziellem Angebot für das ­Ausländerkommando, mels­burger Bucht und in nordöstlicher Richtung an die Hauptstraße. West­ Sitz des „Verbindungsoffiziers der Staatssicherheit“42 lich der Strafvollzugseinrichtung war das DDR-Grenzregiment 35 in der Nikolai-­Bersarin-Kaserne stationiert, östlich befand sich ein ­Industrie­gebiet. 6a Industriegebäude Der Zugang erfolgte von der Hauptstraße. Anbau an Haus 6, Mitte der 1950er Jahre errichtet, genutzt u. a. durch VEB EAW (Elektro-Apparate-Werke) Das Gefängnisgelände war in einen inneren, eigentlichen Haftbereich A und 7 Haus 7: Tischlerei, später Kartoffelschäl­betrieb („Schälküche“) einen äußeren Bereich B gegliedert. 8 Haus 8: Haftkrankenhausabteilung Inklusive gesonderter „Station C“ für ­„Ausländer“

9 Haus 9: Funktionsgebäude für Strafvollzugspersonal Details zu Häusern im A-Bereich Kantine mit Speiseraum und Imbiss, Verkaufsstelle, ­Bücherei der StVE Rummelsburg: und ­Versammlungsräume, Räume des Ministeriums für Staatssicherheit

1 Haus 1: Untersuchungshaftanstalt I (UHA)41 10 Haus 10: Zellen- und Funktionsgebäude Vermutlich in den 1960er oder 1970er ­Jahren gebaut 2 Haus 2: Untersuchungshaftanstalt I (UHA) Keller: Arrestzellen 11 Wäscherei des VEB REWATEX Zwischen Haus 1 und 2: Freiganghof mit HO-Verkaufsstelle 12 Gärtnerei/Gewächshaus, Anbau an Haus 8 1972: Station für „Ausländer“ 13 Küchengebäude, Bibliothek 3 Haus 3: 1. Vollzugsabteilung für Strafgefangene DDR-Bürger Mit Raum für Staatsbürgerliche Erziehung und allgemeine Bildung ­Zellen zur Einzelunterbringung, Arrestzellen, Absonderungszellen, (StEAB) 1973 – 1976: Zugangsstation und „Arbeitskommando“ des „Ausländer­ kommandos“ 14 Heizhaus mit Kohlelager

4 Haus 4: Funktionsgebäude Strafvollzug 15 Kirche (Abriss in den 1950er Jahren) U. a. Effekten- und Kleiderkammer,­ ­Transpor­terstation mit Trans­ 16 Wirtschaftsgebäude porterzellen, Räume für: Fachärzte, Röntgen, Psychologe, Kontroll­ offizier, ­Poststelle, Akten­haltung sowie Büros und Archive 17 Halle der VEB Elektro-ApParate-Werke (EAW)

50 51 Folgende Gebäude befanden sich im Bereich B:

21 Verwaltungsgebäude: Sitz des Leiters der Strafvollzugseinrichtung­ I Berlin

21a Sporthalle mit Schießkeller43 Für Straf­vollzugsangehörige

22 KfZ-Schleuse Zwischen Verwaltungs­gebäude und Wache gelegen44

23 Block A/B: Abteilung K (Kriminalpolizei), Dezernat II Zentraler „Zuführungspunkt“45

24 Block C: Abteilung K (Kriminalpolizei), Dezernat II46

25 Block D: Wache (Rezeption) Besucherwarteräume einschließlich der Räume für Diplomaten, Sitz des Verbindungsoffiziers (VO) der Staatssicherheit­ 47

26 Wachgebäude U. a. Besuchsdurch­führung, Poststelle, Waffenkammer, ­Munitionskeller 48

27 Block F Wohnheim und Ledigenunterkunft49

28 Transportdienst Gebäude und zwei Garagen

29 Seehalle Lagerhalle50

30 Zwingeranlage Strafvollzugseinrichtung Berlin-Rummelsburg Mit Futterküche für die Diensthunde Blick aus dem 31 Diensthundewesen Verwaltungsgebäude

32 MAUERBegrenzung UND HUNDELAUFANLAGE Aufnahme vom 11./12. Oktober 1990

52 53 32 Vgl. StVG (1977), 1. DB, § 30, Abs. 1 u. 5. Fußnoten, Quellen, 33 Vgl. StVG (1977), 1. DB, § 28. 34 Vgl. Dölling, B. (2009), S. 77. Literaturverzeichnis, 35 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 13 u. 14*, Unfallmeldungen. 36 Vgl. Bath, M. (2007), S. 163. Impressum 37 Vgl. Zilli, T. (1993), S. 139 u. 183. 38 Vgl. Bath, M. (2007), S. 196. 39 Vgl. Bath, M. (2007), S. 205. 40 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 4*. 41 Haus 1 und 2 dienten, neben dem Polizeiuntersuchungsgefängnis Keibelstraße, als zweites Ostberliner Untersuchungsgefängnis. Fußnoten 42 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 5*, Plan v. 26.10.1981. 43 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 33*. 1 Vgl. Wunschik, T. (2000), S. 467. 44 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 8*, Objektsicherungsplan 1981. 2 Vgl. Ansorg, L. (2005), S. 149. 45 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 2*, Akte Nr. 10. Heute „Zentrale Serviceeinheit“ 3 Vgl. Raschka, Johannes: Militarisierung der Gesetzgebung in der DDR. (2000), S. 3–4. (ZSE III A 4) der Polizei. Im Internet unter URL: http://www.rewi.hu-berlin.de/FHI/zitat/0007raschka.htm. 46 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 33*. Zugriff: 15.4.2011. 47 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 5*, Tätigkeitsbuch 1986 – 1990. 4 Vgl. Werkentin, F. (1995), S. 389. 48 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 5*, Plan vom 26.10.1981. 5 Vgl. Ansorg, L. (2005), S. 214–216 und Bath, M. (2007), S. 174–175. 49 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 3*. 6 Vgl. Wunschik, T. (2000), S. 493. 50 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 26*, Lageplan StVE und Bauarchiv Lichtenberg, Karton 2. 7 Vgl. Irmer, Thomas: Thomas Irmer, Barbara Reischl und Kaspar Nürnberg: Gedenkstättenrundbrief 144, S. 22 – 31. 8 Vgl. LAB (Landesarchiv Berlin), C Rep. 100-05/856/137. 9 Vgl. LAB, C Rep. 303, Nr. 281, Bl. 001 und 025. 10 Vgl. Bath, M. (2007), S. 140 – 141. 11 Vgl. Gelieu, C. (1994), S. 224. Quellen 12 Vgl. LAB, C Rep. 303, Nr. 281, Bl. 025. 13 Vgl. LAB, C Rep. 303, Nr. 281, Bl. 086. Bauarchiv Berlin-Lichtenberg 14 Vgl. LAB, C Rep. 303, Nr. 281, Bl. 027. Lageplan der StVE I Berlin 15 Vgl. LAB, C Rep. 303, Nr. 281, Bl. 023. LAB, C Rep. 303, Nr. 275 16 Vgl. Stahf, J. (2005), S. 67. LAB, C Rep. 303, Nr. 281 17 Vgl. LAB, C Rep. 303, Nr. 281, Bl. 024. LAB, C Rep. 303-26-01, Nr. 841 18 Vgl. LAB, C Rep. 303, Nr. 281, Bl. 026. LAB, C Rep. 330 19 Vgl. LAB, C Rep. 303, Nr. 281, Bl. 094. Der Tagesspiegel vom 20.4.1962. 20 Vgl. LAB, C Rep. 303, Nr. 281, Bl. 105. Der Tagesspiegel vom 25.11.1967. 21 Vgl. LAB, C Rep. 303, Nr. 281, Bl. 081. 22 Vgl. LAB, C Rep. 303-26-01, Nr. 842. Rechtsvorschriften 23 Vgl. Bath, M. (2007), S. 123. StGB – DDR 1968: Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 24 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton* 10, Geschosspläne Haus 2, 3 und 6. StVG: Gesetz über den Vollzug der Strafen mit Freiheitsentzug (Strafvollzugsgesetz) vom 25 Als Effekten werden Zivilkleider und persönliche Gegenstände bezeichnet, die in 7. April 1977 (GBl. I Nr. 11, S. 109). einer Anstalt bei der Einlieferung in der Effektenkammer abgegeben ­werden müssen, 1. DB StVG: Erste Durchführungsbestimmung zum Strafvollzugsgesetz vom 7. April 1977 wenn Pflicht zum Tragen von Anstaltskleidung besteht. (GBl. I Nr. 11, S. 118). 26 Vgl. Dellmuth, R. (1999), S. 80 u. Bath, M. (2007), S. 114 – 116. SVZO: Ordnung Nr. 0107/77 des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei 27 Vgl. LAB, C Rep. 330, Karton 33*. über die Durchführung des Vollzuges der Strafen mit Freiheitsentzug – ­Strafvollzugsordnung 28 Vgl. Bath, M. (2007), S. 132 u. 162 – 163. – Teil A vom 7. April 1977 – in der Fassung vom 30. August 1988. 29 Vgl. z.B. Winkler, K. (1988), S. 139. 30 Vgl. Zilli, T. (1993), S. 133 – 134. 31 Vgl. Zilli, T. (1993), S. 161. * Da der Bestand C Rep. 330 zum Zeitpunkt der Recherchen im Landesarchiv Berlin noch unbearbeitet war, sind hier die Kartonnummern angegeben. 54 55 Literaturverzeichnis Impressum

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Mit großem Dank an: Dr. Matthias Bath, Jürgen Stahf, Manfred Migdal, Hartmut Richter und Mike Fröhnel, die durch ihre vielseitigen Beiträge die Broschüre bereichert haben.

Mit freundlicher Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

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