„Die Machtfrage Stellen“ Der PDS-Reformer Dietmar Keller Über Den Verlorenen Kampf Von Gregor Gysi Und Lothar Bisky Gegen Alte SED-Kader Und Dogmatische West-Linke
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Deutschland „Die Machtfrage stellen“ Der PDS-Reformer Dietmar Keller über den verlorenen Kampf von Gregor Gysi und Lothar Bisky gegen alte SED-Kader und dogmatische West-Linke Keller, 58, zählte zu den wenigen Er- neuerern in der SED. Unter Hans Modrow wurde der Gesellschafts- wissenschaftler 1989 DDR-Kulturmi- nister. Für die PDS saß er bis 1994 im Deutschen Bundestag und bedauerte als Mitglied der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts öffentlich die Verbrechen des SED- Regimes. Heute arbeitet Keller als Berater des PDS-Fraktionsvorstands im Bundestag. SPIEGEL: Herr Keller, Sie sind 1990 mit Gregor Gysi, Lothar Bisky und ande- ren angetreten, um aus der SED eine moderne, reformsozialistische Partei zu machen. Hat auf dem Parteitag in Münster die alte SED die neue PDS be- siegt? ARIS FOTOS: Keller: Auf dem Parteitag wurde nun end- PDS-Modernisierer Keller: „Die Reformer sind in die Falle getappt“ gültig der Gründungskonsens der Partei aus dem Jahr 1990 aufgekündigt. hakt. Das hat die Partei stabil gemacht. tik, ihrer Ideologie nutzt. Deshalb hat es SPIEGEL: Worin bestand der? Das ist nun nicht mehr nötig. in der PDS eben keine radikale Abrech- Keller: Wir, die Reformer, wollten eine SPIEGEL: Gysi hat also seine Schuldigkeit nung mit dem Stalinismus gegeben. sozialistische, demokratische Partei ge- getan? SPIEGEL: Offiziell stellt die Partei das im- stalten. Wir wollten eine radikale Ab- Keller: Zumindest aus der Sicht eines Tei- mer anders dar. kehr vom Wahrheitsmonopol einer les der alten Kader. Er hat die PDS in der Keller: Es hat auch Menschen gegeben, Gruppe, wollten weg vom so genannten Bundesrepublik etabliert. Mit der ge- die sich dem Thema ernsthaft gestellt ha- demokratischen Zentralismus. Und wir wonnenen Souveränität der PDS, mit ben. Es gibt auch vorzügliche Texte zum haben der alten Funktionärselite der der Regierungsbeteiligung in Mecklen- Stalinismus. Aber die Schuld an den Ver- DDR ein Friedensangebot gemacht. Wir burg-Vorpommern, mit dem Einzug in brechen wurde immer auf eine kleine haben gesagt: Wir nehmen euch mit, wir den Bundestag, mit dem Aufbrechen der Gruppe reduziert – auf das Politbüro. So stoßen euch nicht aus, wir verteidigen Feindbilder auch in der CDU ist die Wa- ist die gesamte alte Funktionärsschicht, auch eure Rechte. Aber nur unter einer genburgmentalität in der Partei zusam- auch die Mitgliedschaft, ziemlich trocken Bedingung … mengebrochen. unter dem Regen weggekommen. Die SPIEGEL: … dass ihr die Klappe haltet? SPIEGEL: Hätten die Reformer das nicht Masse der Mitglieder hat nicht darüber Keller: Das war doch ein faires Angebot. kommen sehen müssen? nachgedacht, was ihre persönliche Ver- Wir haben gesagt: Ihr könnt den Kom- Keller: Natürlich wussten wir, dass dieses antwortung war. Wer hat denn darüber munismus ausleben, ihr bekommt eure Modell ein Experiment war. Schon aus nachgedacht, ob der Sozialismus über- Wärmestube – aber nur in der Partei. Ihr einem einfachen Grund: Weil sich die haupt lebensfähig war? Wer solche Fra- habt kein Recht, die Partei nach außen SED in Jahrzehnten ihrer inneren Op- gen so brutal diskutiert hat, bekam die zu vertreten und die Reformentwicklung positionseliten immer wieder entledigte Rechnung dafür in der Partei. in Frage zu stellen. – von Walter Janka bis Rudolf Bahro –, SPIEGEL: So wie Sie, als Sie das DDR-Un- SPIEGEL: Und nun hat der alte Apparat stand 1989 keine geschlossene Reform- recht bedauerten. keine Lust mehr, dieses etwas verlogene gruppe zur Übernahme der Partei be- Keller: Dafür bekam ich sogar Hass zu Tauschgeschäft mitzumachen? reit. Das macht die Schwäche der Refor- spüren. Es gibt viele, die glauben bis heu- Keller: Die alte SED braucht nun die Re- mer in der PDS bis heute aus. te, dass die DDR sehr simpel gescheitert former nicht mehr. SPIEGEL: Die Reformer mussten bei der ist – weil Michail Gorbatschow sie verra- SPIEGEL: Warum? Umgründung der SED zur PDS tatsäch- ten hat und Helmut Kohl sie über Nacht Keller: Weil die PDS nicht mehr mit allen lich auf die alte Garde bauen? übernahm. So einfach ist das für die. Des- Kräften nach außen verteidigt werden Keller: Die Partei war beim Überlebens- halb ist heute auch nicht der Rücktritt muss. Wenn Gysi oder Hans Modrow kampf darauf angewiesen, die Alten mit von Gysi und Bisky das Problem. Auch angegriffen wurden, wurde das immer einzubeziehen. Aber wir hatten auch die andere Parteien mussten mit Rücktritten als Angriff auf die gesamte Partei ver- Hoffnung, dass die Funktionärsschicht ihrer Vorsitzenden leben. Bei uns geht standen. Dann haben sich alle unterge- die Chance zum Überdenken ihrer Poli- es jetzt um die Substanz der Partei. 24 der spiegel 16/2000 Kleinkrieg gescheiterte Vormann Gysi stellt inzwischen selbst die Existenz des „Projekts SPIEGEL: Es tobt ein Machtkampf? PDS“ in Frage, sein Mitstreiter Dietmar Kel- Keller: Ja. Wir müssen noch einmal die ler fordert die Reformer in der Partei zum Frage von 1990 stellen: Wer hat in der „Machtkampf“ auf und regt die Gründung Partei das Sagen? Die Reformer – oder einer „sozialdemokratischen Plattform“ an diese unselige Allianz aus konservativem (siehe Interview). Gysi verlangt zudem Apparat, „Kommunistischer Plattform“ „symbolische Handlungen“ und meint da- und dogmatischer West-Linken. Und ich mit Parteiausschlüsse. Intern wird sogar die sage ganz deutlich: Die andere Seite ist in komplette Auflösung des renitenten PDS- konspirativen Techniken geübter als die Landesverbands Hamburg diskutiert, ein eher lebensfrohen liberalen Reformer. Sammelbecken für Dogmatiker aus dem Vor dem Parteitag sind Erstere wie die Westen. Wanderprediger durchs Land gezogen Die PDS-Punkerin und Bundestagsab- und haben vor den Verrätern gewarnt. geordnete Angela Marquardt möchte der- SPIEGEL: Hat die Spitze das unterschätzt? weil am liebsten den West-Fundis einen Keller: Die Reformer in Parteivorstand „echten linken Flügel“ entgegenstellen. Im und Fraktion haben sich zu sicher ge- Osten rüstet man mal wieder zum Klas- fühlt und sind in die Falle getappt. senkampf – diesmal unter Genossen. SPIEGEL: „Was tun?“, würde Lenin fragen. Ob die ordnungsliebenden Ostdeutschen Keller: Wir brauchen als Gegengewicht dieser Chaostruppe die Treue halten, ist zur Kommunistischen Plattform eine so- mehr als fraglich. Vorbei die glänzenden zialdemokratische Plattform. Kommunistin Wagenknecht Zeiten, die gerade erst ein halbes Jahr SPIEGEL: Die Partei hat ein gespaltenes Die Spaltung riskieren zurückliegen? Da holte die PDS im Ostteil Verhältnis zur Sozialdemokratie. Berlins knapp 40 Prozent der Wählerstim- Keller: Es ist seltsam, dass diejenigen, die bekämen bei Landtagswahlen ja nicht men, verwies im sozialdemokratischen Tra- einst für eine Vereinigung zwischen KPD einmal ein Prozent. Gysi ist mit seiner ditionsland Sachsen die SPD bei den Land- und SPD waren, jetzt jede Zusammen- Politik von Millionen Ostdeutschen ge- tagswahlen auf Platz drei. arbeit mit der SPD denunzieren. Und es wählt worden, nicht Sahra Wagenknecht. Noch sei nicht absehbar, sagt Parteien- ist bis heute ein Leichtes, jemanden in SPIEGEL: War Gysi seiner Partei gegen- forscher Richard Stöss, ob die neue Gene- der Partei als Sozialdemokraten zu über zu geduldig? ration der ehemaligen Pionierleiter, die sich brandmarken. In dieser Frage brauchen Keller: Das ist die Tragik von Übergangs- nun um Biskys und Gysis Erbe balgen, für wir eine radikale Kursumkehr, oder wir figuren. die Ost-Wähler so attraktiv seien wie die al- landen im politischen Aus – so wie die SPIEGEL: Wer wird den Machtkampf ge- ten Vorkämpfer, die das Lebensgefühl ihrer kommunistischen Parteien früher in winnen? Landsleute so brillant artikulierten. Gysi, Westdeutschland. Keller: Das ist offen. Vielleicht wird in meint der Göttinger Parteienexperte Franz SPIEGEL: Was könnte eine sozialdemo- den Geschichtsbüchern nur eines über Walter, sei „die neue Stimme der DDR“ ge- kratische Plattform leisten? die Reformer der PDS stehen: dass wir wesen. Diese Rolle, glaubt Kollege Stöss, Keller: Sie soll die inhaltliche Debatte in dazu beigetragen haben, weite Teile der könnte Merkel übernehmen, „ihre Be- der Partei vorantreiben. Denn die PDS alten Funktionselite gewaltfrei in die De- scheidenheit, der Verzicht auf Polarisierung hat keinen Kern. Sie ruht nicht in sich. mokratie der Bundesrepublik geführt zu kommt ungeheuer gut an in den neuen Län- Die Identität der Partei macht sich bis haben. Das war zwar nicht unser wich- dern“. Und wenn die CDU-Vorsitzende das heute an Begriffen wie DDR oder Klas- tigstes Ziel. Aber schon dafür hätte sich Thema soziale Gerechtigkeit aufgreife, müs- senkampf fest. Da schlagen die Herzen das Experiment PDS gelohnt. se auch „die SPD ungeheuer aufpassen“. höher. Und das kann nicht so bleiben, Interview: Stefan Berg, Doch schon jetzt steht fest, dass diese wenn die Partei eine Überlebens- Andreas Wassermann „bunte Truppe“ (PDS-Wahlslogan) für nie- chance in dieser Gesellschaft haben soll. PDS-Politiker Bartsch, Claus: „Sie können den Integrationskurs nicht fortsetzen“ SPIEGEL: Was würden Sie den Nachwuchsreformern raten, die auf Gysis und Biskys Plät- ze wollen? Keller: Sie müssen die Macht- frage stellen. Sie können nicht den Integrationskurs fortsetzen, den Bisky und Gysi anfangs fahren mussten – und dann zu lange beibe- halten haben. SPIEGEL: Riskiert man damit nicht die Spaltung der PDS? Keller: Na und? Soll doch die Kommunistische Plattform eine KP gründen. Glauben die denn, die ostdeutsche Be- völkerung will den Kommu- nismus zurückhaben? Die der spiegel 16/2000 25.