Plenarprotokoll 12/80

Deutscher

Stenographischer Bericht

80. Sitzung

Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Inhalt:

Bestimmung des Abgeordneten Dr. Bertold Tagesordnungspunkt 13: Reinartz als ordentliches Mitglied und des Abgeordneten als stell- Beratung des Antrags der Abgeordneten vertretendes Mitglied sowie Ausscheiden Doris Odendahl, Josef Vosen, Eckart der Abgeordneten aus der Kuhlwein, weiterer Abgeordneter und Gemeinsamen Verfassungskommission 6607 A der Fraktion der SPD: Stärkung der Wis- senschafts- und Forschungslandschaft in Tagesordnungspunkt 11: den neuen Ländern und im geeinten Deutschland (Drucksache 12/1983) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Theo Magin, Dr. Roswitha Wisniewski, Eckart Kuhlwein SPD 6628 B , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Maria Eichhorn CDU/CSU 6629 C Abgeordneten Dr.-Ing. Karl-Hans Laer- Dr. F.D.P 6630 D mann, Jürgen Timm, Jörg Ganschow, Dr. Karlheinz Guttmacher und der Frak- Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste 6631D tion der F.D.P.: Großforschungseinrich- Dr. Helga Otto SPD 6632 B tungen (GFE) (Drucksache 12/1724) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. -Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke) Josef Vosen, Lothar Fischer (Homburg), CDU/CSU 6633 C Holger Bartsch, weiterer Abgeordneter Evelin Fischer (Gräfenhainichen) SPD . 6634 D und der Fraktion der SPD: Zur Zu- kunft der Großforschungseinrichtungen Dr. Gerhard Päselt CDU/CSU 6636 B (Drucksache 12/2064) Dr. , Bundesminister BMBW 6637 C Erich Maaß (Wilhelmshaven) CDU/CSU 6607 C Lothar Fischer (Homburg) SPD 6609 D Tagesordnungspunkt 12: Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F.D.P. 6611 D a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Fünf- Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste 6613 D zehnten Gesetzes zur Änderung des Dr. , Bundesminister Bundesausbildungsförderungsgesetzes BMFT 666614 D, 6626 D (15. BAföGÄndG) (Drucksachen 12/2108, 12/2118) Siegmar Mosdorf SPD 6617 D CDU/CSU . . . . . 6619 D b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Neunter Bericht nach Wolf-Michael Catenhusen SPD 6621 D § 35 des Bundesausbildungsförderungs- gesetzes zur Überprüfung der Bedarfs- Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/ sätze, Freibeträge sowie Vomhundert- CSU 6623 D sätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 Josef Vosen SPD 6625 B (Drucksache 12/1920)

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c) Beratung der Unterrichtung durch die Helmut Sauer (Salzgitter) CDU/CSU 6650 D Bundesregierung: Bericht der Bundes- regierung über die Auswirkungen des Günter Verheugen SPD 6651 C Europäischen Binnenmarktes auf das Dr. F.D.P. 6652 C Bundesausbildungsförderungsgesetz (Drucksache 12/1900) Angela Stachowa PDS/Linke Liste 6653 B Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister BMBW 6639 B Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin AA 6654 A Doris Odendahl SPD 6640 C CDU/CSU 6656 A Dr. CDU/CSU 6641 D Dr. -Ing. Rainer Jork CDU/CSU 6642 B SPD 6657 B Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste 6643 C Gerhart Rudolf Baum F D P 6658 B Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. 6644 B Hartmut Koschyk CDU/CSU 6659 B Stephan Hilsberg SPD 6645 C Dr. SPD 6660 B Dirk Hansen F D P 6645 D Josef Hollerith CDU/CSU 6647 D Friedrich Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 6661 B Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 6648 C Gerd Wartenberg () SPD 6662 A Zur Geschäftsordnung Nächste Sitzung 6663 A (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 6649 D, 6650 C Gerhart Rudolf Baum F.D.P 6650 A Anlage 1 Friedrich Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 6650B Liste der entschuldigten Abgeordneten 6665* A Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde betr. Absage der 1993 in Berlin geplanten Menschenrechtskonfe- Anlage 2 renz der Vereinten Nationen durch den Bundesminister des Auswärtigen Amtliche Mitteilungen 6666* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6607

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Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abge- ren, die Sitzung ist eröffnet. ordneten Erich Maaß das Wort. Auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU soll der Kollege Dr. Bertold Reinartz ordentliches Mitglied in Erich Maaß (Wilhelmshaven)(CDU/CSU): Herr Prä- der Gemeinsamen Verfassungskommission werden. sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Erwin Marschewski, der bisher ordentli- Lassen Sie mich begründen, warum der Antrag der ches Mitglied war, soll nunmehr stellvertretendes Regierungskoalition eingebracht worden ist. Hier Mitglied werden. Das bisherige stellvertretende Mit- stellen sich drei Fragen: Erstens. Warum führen wir glied Frau Cornelia Yzer scheidet aus der Gemeinsa- diese Diskussion? Zweitens. Mit welchem Ziel — unter men Verfassungskommission aus. Sind Sie damit Haushaltsgesichtspunkten bzw. unter dem Gesichts- einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. punkt forschungspolitischer Haupt- und Neben- Damit sind die Kollegen Dr. Bertold Reinartz als ziele — wird diese Diskussion geführt? Drittens. Mit ordentliches Mitglied und Erwin Marschewski als welchen Instrumenten kann eine Effizienzerhaltung stellvertretendes Mitglied der Gemeinsamen Verfas- und -steigerung der Großforschungseinrichtungen sungskommission bestimmt. erreicht werden? Wie kann ein Höchstmaß an Flexibi- lität erreicht werden? Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zu dem ersten Komplex: Warum führen wir diese Diskussion — nicht nur im Parlament, sondern auch a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Theo außerhalb des Parlaments? Das hat drei Gründe: Magin, Dr. Roswitha Wisniewski, Eduard Os- wald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Erstens. Durch die Wiedervereinigung sind wir der CDU/CSU- sowie der Abgeordneten Dr. herausgefordert worden, eine einheitliche Großfor- Ing. Karl-Hans Laermann, Jürgen Timm, Jörg schungslandschaft in der Bundesrepublik Deutsch- Ganschow, Dr. Karlheinz Guttmacher und der land herzustellen. Fraktion der F.D.P. Das zweite: Wir haben in der alten Bundesrepublik Großforschungseinrichtungen (GFE) Großforschungseinrichtungen, die ihre Aufgabe gut, exzellent bewerkstelligt haben, die aber nun, allein — Drucksache 12/1724 — durch Zeitablauf, zu neuen Zielsetzungen kommen Überweisungsvorschlag: müssen, sich also den Herausforderungen der Ausschuß für Forschung Technologie und Technikfolgenab- Zukunft anzupassen haben. schätzung (federführend) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Der dritte Bereich — ebenfalls mit durch die Wie- Haushaltsausschuß dervereinigung bedingt — betrifft den Haushalt: Wie b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef kann sichergestellt werden, mit den vorhandenen Vosen, Lothar Fischer (Homburg), Holger Mitteln ein Höchstmaß an Leistungsfähigkeit zu Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Frak- bekommen? tion der SPD Zum ersten Themenkreis: Aufgabenstellung der Zur Zukunft der Großforschungseinrichtun- Großforschungseinrichtungen. Die Großforschungs- gen einrichtungen waren bei ihrer Gründung vielfach auf eine einzige Themenstellung ausgerichtet, beispiels- — Drucksache 12/2064 — weise auf ein Großgerät, beispielsweise auf die Frage Überweisungsvorschlag: der friedlichen Nutzung der Kernenergie, beispiels- Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- schätzung (federführend) weise auf die Hochenergiephysik. Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Diese ursprünglichen forschungspolitischen Ziel- Haushaltsausschuß setzungen haben sich im Laufe der Zeit zwangsläufig Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die geändert: Einige sind abgearbeitet worden, bei ande- Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Auch damit ren sind neue Aufgaben hinzugekommen. Deshalb besteht Einverständnis. Dann ist das so beschlossen. muß im Rahmen einer revolvierenden Planung über- 6608 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Erich Maaß (Wilhelmshaven) legt werden, wie man sich an die neuen Ziele und Leistung mit zusätzlichen Mitteln zu erbringen. Es Voraussetzungen anpassen kann. gibt andere Großforschungseinrichtungen, die in einer Phase der Umstrukturierung sind. Hier muß die Daß die Großforschungseinrichtungen dem Rech- Frage gestellt werden, ob nicht noch Mittelkürzungen nung getragen haben, zeigt uns der Umstand, daß sie vorgenommen werden können. Eine Gleichbehand- sich erfolgreich um neue Forschungsfelder bemüht lung, eine Vereinheitlichung dient weder den for- haben. Dennoch ist es Voraussetzung, daß wir diesen schungspolitischen Zielen, noch hilft sie den Großfor- Umstrukturierungsprozeß in geordneten Bahnen schungseinrichtungen selbst. weiterführen; und hier müssen wir auf das zurückgrei- fen, was vorhanden ist. Wir besitzen eine große (Josef Vosen [SPD]: Aber das macht ihr!) technische Infrastruktur, eine ausgwiesene Kompe- Sie kommt einer ständigen dirigistischen Strangulie- tenz zur fächerübergreifenden Bearbeitung komple- rung gleich, und deshalb wollen wir eine Differenzie- xer Themenstellungen und langfristig abgesicherte rung. Die lieben Kollegen von der SPD haben ja zu der Kapazitäten in Forschung und Entwicklung. Plafondierung für 1992 gesagt: Gut, wir sehen die Der nächste Bereich ist: Wie kommen wir zu einer Umstände, wir müssen ihr auch zustimmen. Vereinheitlichung der Forschungslandschaft? Hier ist (Josef Vosen [SPD]: Nein nein, so nicht!) das Problem: Wie kann man zwei ganz unterschiedli- che Systeme, wie wir sie in den neuen Bundesländern —Na ja. und in den alten Bundesländern haben, einheitlich Meine Damen und Herren, deshalb ist unsere Auf- zusammenfassen? Hier hat es in den vergangenen gabe eine differenzierte Vorgehensweise. Monaten erhebliche Anstrengungen gegeben. Dabei ist natürlich auch emotionales Konfliktpotential hoch- Der zweite Punkt: Wie kann diese einheitliche gekommen, indem gesagt worden ist: Warum wird in leistungsfähige Struktur jetzt erhalten und verbessert den neuen Bundesländern bis ins Detail evaluiert, werden? Hierbei geht es um die forschungspolitischen warum wird in den alten Bundesländern nur ansatz- Ziele. Wir sind der Auffassung, daß im Rahmen einer weise evaluiert? Wir dürfen dieses Konfliktpotential Globalsteuerung globale Ziele vorgegeben werden nicht unterschätzen und müssen auch unsere künftige müssen, so daß die Struktur aller Großforschungsein- Arbeitsweise darauf einstellen. richtungen einheitlich nach gewissen Hauptzielen geändert werden kann, damit dann in entsprechen- Der weitere Grund ist, daß diese Struktur mit den den Unterzielen, spezifisch ausgerichtet auf die ein- vorhandenen Mitteln verbessert und ausgebaut wer- zelnen Forschungseinrichtungen, eine weitere Stei- den muß. Hierzu gibt es eine ganze Menge von gerung der Leistungsfähigkeit erreicht werden Instrumentarien, von denen wir erwarten, daß sie in kann. Zusammenarbeit mit den Großforschungseinrichtun- gen und dem Bundesministerium für Forschung und In der öffentlichen Diskussion um die Großfor- Technologie erarbeitet werden, damit die Leistungs- schungseinrichtungen in den alten Bundesländern fähigkeit gesichert und weiter ausgebaut wird. höre ich von deren Vertretern dauernd: Ja, wir evalu- ieren doch ständig. Das tun Sie auch selbstverständ- Nun lassen Sie mich auf die Frage kommen, wie lich. Aber wir müssen fragen, nach welchen Zielvor- man so etwas erreichen kann. Wir haben Verständnis stellungen. Wir sollten auch dieses Schwarze-Peter- dafür, daß durch die großen Herausforderungen in Spiel, das seit einigen Monaten läuft, nicht unterschät- den letzten Monaten dieses große Ziel einer einheitli- zen. Von den Großforschungseinrichtungen kommt chen Forschungslandschaft natürlich nur etappen- die Forderung: Der Forschungsminister muß ganz weise erreicht werden kann. Das bedeutet, daß wir mit konkrete Ziele vorgeben. Wenn er sie vorgibt, heißt den vorhandenen Mitteln, die wir haben, auch nur es: Ihr begrenzt uns in unserer Effizienz. Der For- einen begrenzten Aktionsradius haben. schungsminister hingegen sagt: Ich gebe euch diese (Josef Vosen [SPD]: Das gilt für die ganze Ziele vor, damit ihr den Handlungsspielraum behaltet. Regierung!) Hier muß zwischen den Großforschungseinrichtun- gen und der Regierung ein stärkerer Konsens herge- Wir haben im Jahre 1992 einer Haushaltsplafondie- stellt werden. rung zugestimmt, d. h. einer über alle Großfor- schungseinrichtungen gehenden linearen Kürzung. (Josef Vosen [SPD]: O Gott!) Nur, diese lineare Kürzung und somit auch eine — Nicht „O Gott!", mein lieber Kollege Vosen. Schon forschungspolitische Gleichbehandlung kann auf wenn ich an Ihre Strukturkommission denke, kommt Dauer nicht unser Ziel sein. Wir müssen hier stärker mir das kalte Grausen. Ihr Konzept bedeutet: Habt ihr differenzieren, und das heißt, wir müssen ab 1993 mit keine Ideen mehr? — Dann wollen wir erst einmal eine den vorhandenen Mitteln differenzierter vorgehen. Kommission einsetzen, und dann werden wir weiter- Bürokratie, noch Was bedeutet es, eine Gleichbehandlung vorzuneh- sehen. Dabei kommt nur noch mehr men? Da gibt es bei uns in der Arbeitsgruppe und im mehr Strangulierung, noch weniger Flexibilität, noch Ausschuß so einen saloppen Spruch: Das heißt, wir weniger Leistungsfähigkeit heraus. gehen mit dem Rasenmäher darüber. (Josef Vosen [SPD]: Unsere Kommission besteht aus Wissenschaftlern!) (Josef Vosen [SPD]: Ist so etwas Gleichbe- handlung?) Darin unterscheiden wir uns halt. Wir haben Großforschungseinrichtungen, die sich Meine Damen und Herren, es gibt zwei Wege der ganz nahe an Aufgaben befinden und die auch Evaluierung. Das, was wir in den neuen Bundeslän- wirklich den Versuch unternehmen müssen, ihre dern gemacht haben, kommt für die alten Bundeslän- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6609

Erich Maaß (Wilhelmshaven) der nicht in Frage, weil wir die neuen Bundesländer Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusam- auf eine Struktur einstimmen und aufbauen wollen, menfassen: Unser Ziel, das der CDU/CSU, kann es die sich schon bewährt hat. Ich tendiere aber in die nicht sein, durch mehr Dirigismus, durch mehr Büro- Richtung, daß wir für die alten Bundesländer eine kratie die Leistungsfähigkeit einer guten Großfor- themenbezogene Bewertung, d. h. eine Evaluierung schungslandschaft zu beeinträchtigen, sondern wir nach größeren Forschungsbereichen wie beispiels- wollen mit vorgegebenen forschungspolitischen Zie- weise dem Bereich Umweltforschung durchführen. len eine einheitliche Großforschungslandschaft in der Diese Vorgehensweise böte den Vorteil, daß für die Bundesrepublik Deutschland schaffen. Wir wollen Großforschungseinrichtungen eine forschungspoliti- den Standard und die Effizienz erhalten und steigern, sche Bewertung auch bei anderen staatlich geförder- auch im internationalen Wettbewerb. Wir wollen dies ten bzw. initiierten Forschungsaktivitäten übergrei- mit vertretbaren Haushaltsmitteln erreichen. Wir wol- fend durchgeführt würde. len keine bürokratische Strangulierung, keinen staat- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diesen lichen Dirigismus. Wir wollen eine Planungssicher- Komplex zusammenfassen: Den forschungspoliti- heit für die Großforschungseinrichtungen selbst. schen Zielvorstellungen muß eine eindeutige Priorität (Josef Vosen [SPD]: Und den Bankrott der gegenüber etwaigen Einsparungszielen eingeräumt Großforschungseinrichtungen! ) werden. Die Einsparung von Mitteln stellt, für sich Wir wollen auch für das dort arbeitende Personal eine genommen, kein forschungspolitisches Ziel dar, entsprechende Sicherheit haben. Um das umzusetzen, (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Richtig!) erwarten wir vom Bundesminister für Forschung und Technologie Vorschläge bis nach der Sommerpause, wenn auch nicht verkannt werden darf, daß durch die um hier dieses Instrumenta rium zu entwickeln. deutsche Wiedervereinigung Lasten entstanden sind, Lieber Herr Kollege Vosen, Sie sprechen vom Ban- von denen die Großforschungseinrichtungen — wie krott der Großforschungseinrichtungen. Da muß ich im übrigen auch alle anderen Forschungsbereiche — natürlich sagen: Das, was Sie vorhaben, führt tatsäch- nicht ausgenommen werden können. lich zum Bankrott. Jetzt zu den Instrumenten, also zu der Frage, wie wir (Josef Vosen [SPD]: Dieser Regierung!) das erreichen wollen: Wir müssen einen Weg finden, um auf sozialverträgliche und forschungspolitisch Darin unterscheiden wir uns Gott sei Dank. vertretbare Weise zu einer Umorientierung von For- Herzlichen D ank, meine Damen und Herren. schungskapazitäten zu kommen. Bei der Mittelbe- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wirtschaftung haben wir hier erste Erfolge erzielt. Ich bin sicher, daß der Bundesminister darauf noch ein- geht. Ich denke hier auch nach Maßnahmen im Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Abgeord- neten Lothar Fischer (Homburg) das Wort. personalwirtschaftlichen Bereich. Wir müssen perso- nalwirtschaftliche Instrumentarien, d. h. Flexibilisie- rungselemente, weiterentwickeln. Ich spreche hierbei Lothar Fischer (Homburg) (SPD): Herr Präsident! Bereiche wie Abfindungszahlungen, Vorruhestands- Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden über regelungen und notfalls auch Instrumentarien für einen Forschungsbereich, in dem sich der Bundesfor- Sozialpläne an. schungsminister vielleicht als Fiskalpolitiker qualifi- ziert, als Forschungsminister aber in der Tat disquali- Zum Bereich der Zeitverträge: auch wenn die Flexibilisierungsinstrumente zur Zeit im Mittelpunkt fiziert hat. der Diskussion stehen, darf darüber nicht vergessen (Widerspruch bei der CDU/CSU) werden, wodurch die personelle Inflexibilität hervor- — Ich komme gleich darauf. Es ist forschungspolitisch gerufen worden ist. Je nach Großforschungseinrich- nicht vertretbar, wenn der Staat den meisten Großfor- tung ist der Anteil der Zeitverträge recht unterschied- schungseinrichtungen zumutet, daß sie über Jahre lich. Bei einigen beträgt er 50 %, bei anderen deutlich hinaus plafondiert werden, eine inhaltliche Vorgabe weniger. Mit einer pauschalen prozentualen Festle- seitens des Bundesforschungsministers aber erst noch gung für alle Großforschungseinrichtungen wird auf erarbeitet werden muß. Da sind wir uns, Herr Kollege Grund der spezifischen Strukturen der GFEs der Maaß, ja wohl einig. Wo bleibt da die Globalsteue- Sache nicht gedient. rung, die den Staat nicht nur berechtigt, Ziele vorzu- Wir sind der Auffassung, daß wir größere Anreize geben, sondern ihn zugleich verpflichtet? Das sind wir geben müssen. Wir dürfen die Steuerung der Großfor- alle doch dem Steuerzahler und den Zentren schul- schungseinrichtungen mittelfristig nicht mehr wie dig. bisher durch Budgetfestlegung und durch Festlegung Die Konzeptionslosigkeit des Bundesforschungs- des Stellenkegels vornehmen. Dies darf nur noch über ministers das Budget selbst geschehen. Damit geben wir auch (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das kann den Großforschungseinrichtungen mehr Handlungs- gar nicht sein!) spielraum. zieht sich wie ein roter Faden durch die Forschungs- Auch das Thema Steuern ist ein Problem. Darauf politik der Bundesregierung. Diese Politik ist nicht wird der Kollege Martin Mayer noch ausführlich mehr seriös und gegenüber den nunmehr 16 Großfor- eingehen. Wir müssen aufpassen, daß durch Steuer- schungseinrichtungen mit ihren rund 20 000 Mitar- forderungen in einer Größenordnung von mehreren beitern geradezu skandalös. Das haben wir bei den Millionen Mark für die Landschaft der Großfor- Gesprächen gemerkt, die wir mit der AGBR der schungseinrichtungen kein Schaden entsteht. Arbeitsgemeinschaft der Be triebsräte, geführt haben, 6610 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Lothar Fischer (Homburg) aber auch mit dem Sprecher der AGF, Herrn Dr. Kroll. Jahres sind in ihrer Globalität und Beliebigkeit wohl Da können Sie ja noch einmal nachhören, was die von kaum noch zu überbieten. Ihrer Politik halten. (Josef Vosen [SPD]: So ist es!) (Zuruf von der CDU/CSU: Nun kommen Sie Gleiches gilt mit gewissen Einschränkungen für den zu Ihrem ersten Argument, Herr Kollege!) Bericht „Status und Perspektiven der Großfor- Die Perspektivlosigkeit des BMFT wird selbst von schungseinrichtungen" . den Forschungspolitikern der Koalition kritisiert. (Josef Vosen [SPD]: Traurig, traurig!) (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Aber vor- Mit Recht verlangte deshalb das Direktorium der AGF sichtig!) - eine Nachbesserung, also differenzierte Kürzungen auf der Grundlage forschungspolitischer Kriterien In diesem Zusammenhang zitiere ich aus der Aus- und fundierter inhaltlicher Prioritätensetzung. schußdrucksache 12/095/3. Da steht folgendes: Wie sehen denn die Auswirkungen der von Ihnen Einsparungen müssen nach forschungspoliti- betriebenen Fiskalpolitik aus? schen Kriterien erfolgen. Prozentuale Kürzungen (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Gut! — über alle GFEs hinweg werden abgelehnt. Der Josef Vosen [SPD]: Katastrophal!) BMFT wird aufgefordert, eindeutige forschungs- politische Zielvorgaben zu formulieren. Gleichbleibende Haushalte bedeuten de facto Kür- zungen wegen der Preissteigerungsrate. Diese Kür- So der O-Ton Ihres Antrages! zungen können nur durch Personalabbau oder Inve- (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) stitionskürzungen aufgefangen werden. Ein Personalabbau ist im vorgegebenen Zeitrah- Aber in dem neuen Antrag, der hier eingebracht men nicht möglich, es sei denn, die Zentren erhielten wird, ist das alles verwässert worden. Was Sie hier von Ihnen, Herr Minister, entsprechende Instrumen- gefordert haben, bedeutet im Klartext: keine Rasen- tarien, mähermethoden bei der finanziellen Ausstattung der GFEs anwenden. Das ist doch ein Armutszeugnis (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Die sollen ersten Ranges; und das haben Sie, Herr Minister Drittmittel einwerben!) Riesenhuber, von Ihren eigenen Kolleginnen und beispielsweise die Vorruhestandsregelung. Herr Kollegen bestätigt bekommen. Maaß, Sie haben auch andere Themen angeführt. Das (Beifall bei der SPD) müssen Instrumentarien sein, die zur Schaffung einer organischen Altersstruktur hinführen. Wenig schmeichelhaft sind auch die Bemerkungen (Erich Maaß [Wilhelmshaven] [CDU/CSU]: des Wissenschaftsrates anläßlich seiner Empfehlun- Schön, daß ihr unsere Vorschläge über gen zur Zusammenarbeit von Großforschungsein- nehmt!) richtungen und Hochschulen vom Januar 1991. Beim Bereich Materialforschung wird kritisiert, daß es Einsparungen sind nach Ihrer Ansicht bei den keine umfassende Analyse des Forschungsfeldes und Investitionen am ehesten zu realisieren, weil sich die seiner künftigen Entwicklung gibt. Gleiches gilt laut Folgen für das wissenschaftliche Renommee erst spä- Empfehlung des Wissenschaftsrates für die Biotech- ter negativ bemerkbar machen werden, vielleicht zu nologie. Zusätzlich wird beklagt, daß eine zu starke einem Zeitpunkt, in dem Sie gar nicht mehr For- Anwenderorientierung wesentliche Durchbrüche in schungsminister sind. der Grundlagenforschung erschwert. Dies muß doch (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das kann für die Bundesregierung blamabel sein, Herr Mini- auch nicht sein! — Josef Vosen [SPD]: Es ist ster. überfällig! — Weiterer Zuruf von der SPD: (Josef Vosen [SPD]: Ist es auch!) Abzusehen!) Die Biotechnologie wird doch auch von Ihnen, Herr Angesichts dieser Ausgangslage ist es geradezu Riesenhuber, immer wieder als große Schlüsseltech- zynisch, wenn im Bericht der Bundesregierung als nologie bezeichnet und herausgestellt. rettender Ausweg die Einwerbung von Drittmitteln (Zurufe von der CDU/CSU: Das sehen Sie angepriesen wird. völlig falsch! — Das kann man so nicht sagen! (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das ist — Das ist ein schwaches Argument!) doch wirtschaftlich!) Was macht nun der Forschungsminister? Für die eine oder andere Großforschungseinrichtung ist dieser Weg bereits ausgereizt. (Josef Vosen [SPD]: Nichts!) (Josef Vosen [SPD]: Genau!) Statt die ihm eben attestierten Versäumnisse auszu- Nehmen wir nur einmal die DLR, deren Drittmittelan- bügeln, kreiert er eine neue Forschungssteuerung. teil am Gesamtbudget knapp 40 % beträgt. Eine Der BMFT will offensichtlich nur noch über den Etat weitere Erhöhung kann für diese Großforschungsein- steuern und die mitunter unpopulären, aber wichtigen richtung kein Ausweg sein, weil sie sonst ihr Profil Entscheidungen den Zentren allein überlassen. Will gefährdet. er sich aus seiner gesellschaftlichen Verantwortung stehlen? — Es sieht so aus: Die forschungspolitischen (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Aber für Grundsätze Ihres Hauses vom 17. Juni des letzten die anderen!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6611

Lothar Fischer (Homburg) Der Hinweis auf die Einwerbung von Drittmitteln schungseinrichtungen, auch mit externen Wissen- mag in der einen oder anderen Großforschungsein- schaftlern. richtung berechtigt sein. Eine Drittmitteleinwerbung ( [CDU/CSU]: Wir haben lohnt sich aber für die Zentren erst — hier sollte sich doch schon viel zu viele Kommissionen!) Herr Riesenhuber endlich einmal mit Herrn Waigel verständigen —, wenn es eine eindeutige steuer- rechtliche Entscheidung gibt. Die Förderung von Vizepräsident Hans Klein: Herr Abgeordneter, las- Forschungsleistungen muß gemeinnützig und steuer- sen Sie sich nicht aus dem Konzept bringen. Sie haben frei bleiben. Ich hoffe, daß wir in dieser Frage — der nur noch 30 Sekunden Redezeit. Kollege Maaß hat das vorhin schon angedeutet — (Heiterkeit) einer Meinung sind. - Die Großforschungseinrichtungen sind — das dürfte Lothar Fischer (Homburg) (SPD): Als nächsten im Hause unbestritten sein — aus der deutschen Punkt nenne ich: Soweit überhaupt erforderlich, sind Forschungslandschaft nicht mehr wegzudenken. Haushaltskürzungen im Bereich der Großforschungs- (Josef Vosen [SPD]: Richtig!) einrichtungen nur vorzunehmen, wenn ein vom Par- lament gebilligtes Strukturkonzept vorliegt. Dies beweist nicht zuletzt die Empfehlung des Wis- Letzter Satz: Unser Ziel ist es, den Großforschungs- senschaftsrats, in den neuen Bundesländern drei neue einrichtungen eine verläßliche Perspektive zu ge- Zentren aufzubauen und etliche Außenstellen von ben bestehenden Großforschungseinrichtungen einzu- (Josef Vosen [SPD]: Sehr richtig!) richten. und sie nicht zum Steinbruch für die Finanzierungs- Ich möchte angesichts dieser desolaten Lage schwierigkeiten des Forschungshaushaltes zu ma- chen. (Erich Maaß [Wilhelmshaven] [CDU/CSU]: Na, na! — Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Schönen Dank. Nicht übertreiben, Herr Fischer!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Brigitte Baumeister [CDU/ kurz die sozialdemokratische Position umreißen: CSU]: Beifall für den letzten Satz! Der war Erstens. Der Forschungsetat muß im vereinigten gut!) Deutschland wieder steigen. Ansonsten gefährdet die Bundesregierung den Wirtschaftsstandort Bundesre- publik. Für uns ist eine effiziente Forschung unerläß- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Herr lich, Abgeordnete Professor Dr. Karl-Hans Laermann. (Dr. Hans-Peter Voigt [Northeim] [CDU/ (Josef Vosen [SPD]: Herr Kollege, Sie können CSU]: Da hat er recht!) jetzt das bestätigen, was Herr Fischer gesagt hat!) um auf dem Weltmarkt konkurrieren zu können. Wir haben im letzten Jahr einen entsprechenden Antrag auf Erhöhung des Forschungsetats um eine Milliarde Dr. - Ing. Karl - Hans Laermann (F.D.P.): Herr Präsi- DM eingebracht. Die Koalition hat diesen Antrag dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich abgelehnt. möchte zunächst auf einige Äußerungen des Kollegen Lothar Fischer zur Frage der Bedeutung und der Zweitens. Großforschungseinrichtungen müssen Anerkennung von Großforschungseinrichtungen zu- angesichts des Finanzbedarfs ständig überprüft wer- rückkommen. den. Es ist die Aufgabe der Politik, inhaltliche Priori- täten festzulegen. In Sachen Kernenergie ist das viel (Zuruf von der CDU/CSU: Sie zurückwei zu spät und nicht konsequent genug geschehen; bei sen!) der Raumfahrt steht eine Entscheidung noch an. Ich bin auch der Auffassung, daß Großforschungsein- richtungen bedeutende Strukturelemente in unserer (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das ändert Wissenschafts- und Forschungslandschaft sind, sich wieder!) (Josef Vosen [SPD]: Sehr richtig!) Drittens. Die Bundesregierung hat eine Struktur- und sie haben auch ausgezeichnete Leistungen auf- kommission einzuberufen, die mit Unterstützung von zuweisen. Fachkommissionen bis Mitte oder Ende 1993 ein Strukturkonzept „Großforschung 2000" im Kontext (Josef Vosen [SPD]: Auch richtig!) des übrigen Forschungssystems erarbeitet, das, auf Vor allen Dingen ist anzuerkennen, daß sie Zentren den Zukunftskonzepten der einzelnen Großfor- der internationalen Zusammenarbeit sind. schungseinrichtungen aufbauend, eine querschnittar- (Josef Vosen [SPD]: Sehr richtig!) tige Evaluierung der bisherigen Forschungsschwer- Schließlich möchte ich ihre Leistungen für den wissen- punkte unter Einbeziehung der bisherigen Begutach- schaftlichen Nachwuchs ausdrücklich hervorheben. tungsergebnisse vornimmt; (Josef Vosen [SPD]: Absolut richtig, Herr (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das Kollege!) braucht die Regierung nicht!) Ich erkenne auch an, daß sich die Großforschungsein denn die alten Großforschungseinrichtungen sind ja richtungen in den alten Bundesländern bemühen, am evaluiert worden, aber eben nur als einzelne Großfor- Aufbau neuer Einrichtungen in den neuen Bundeslän- 6612 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Dr. -Ing. Karl-Hans Laermann dern mitzuwirken und dazu ihren solidarischen Bei- ihrem Problem der Umstrukturierung alleine gelas- trag zu leisten. Ich möchte hier ausdrücklich beto- sen. Das müssen wir uns anrechnen. nen, (Josef Vosen [SPD]: Die Regierung!) (Josef Vosen [SPD]: Volle Zustimmung, Herr Kollege!) — Nein, nein, auch das Parlament als solches. Wo waren Sie denn? Sie machen doch noch jetzt „business daß dies von diesem Hause anerkannt werden soll. as usual". Wo sind denn die neuen Ansätze? Da fällt Und ich will dazu einmal sagen: Wenn wir keine Ihnen nur eine Strukturkommission ein. Das ist genau Großforschungseinrichtungen hätten, müßten wir sie das Problem: Wenn man ein Problem hat und nicht jetzt schleunigst erfinden. weiß, wie man es lösen soll, dann schlägt man eine (Beifall bei der CDU/CSU — Zustimmung Kommission vor und läßt sie arbeiten, bis sich das des Abg. Wolf-Michael Catenhusen [SPD] — Problem von alleine gelöst hat. Josef Vosen [SPD]: Und warum streichen Sie Zweitens möchte ich dazu anmerken: Trotz dieses ihnen dann die Mittel?) politischen Versäumnisses haben die Einrichtungen Nun können wir aus rechtlichen Gründen wohl begonnen, aus ihrem Selbstverständnis heraus selbst nicht umhin, festzustellen, daß eine klare Definition wieder eine konkrete Identität zu finden. Neue für einen grundlegenden Arbeitsauftrag zur Grün- Schwerpunkte beginnen sich herauszubilden, wobei dung einer Großforschungseinrichtung notwendig ist, sich Strukturen ergeben, die wegen der Synergismen für einen Arbeitsauftrag, der dann auch nur in einer und der zunehmenden Vernetzung unterschiedlicher Großforschungseinrichtung abgearbeitet und erfüllt wissenschaftlicher Problemfelder der wachsenden werden kann. Nur unter diesem Aspekt sind verfas- Notwendigkeit zu interdisziplinärer Forschung ent- sungsgemäß Großforschungseinrichtungen zu akzep- sprechen können. Ich denke, wir sollten dies bei tieren. unseren weiteren Beratungen und weiteren Entschei- dungen in diesem Feld wirklich berücksichtigen. Zu diesem Arbeitsauftrag möchte ich ausdrücklich feststellen, daß es sich dabei nicht — dies im Gegen- Die Notwendigkeit zur internen Umstrukturierung satz zu den Vorstellungen der Kollegen von der einiger Großforschungseinrichtungen ist sicher un- SPD-Fraktion — um detaillierte inhaltliche wissen- bestritten. Ich habe hier heute morgen auch nichts schaftliche Vorgaben handeln darf, sondern daß es Gegenteiliges gehört, bis jetzt jedenfalls noch nicht. wirklich nur eine globale Zielsetzung für diese Ein- Dabei ist nach den Empfehlungen des Wissenschafts- richtungen geben muß. Da helfen uns auch keine rates auch zu überprüfen, was an Grundlagenfor- Kommissionen und keine Festschreibungen, auf wel- schung wieder in die Hochschulforschung reintegriert chem Gebiet und mit welchen Einzelthemen sich werden sollte und wie die Zusammenarbeit mit den diese Einrichtungen befassen sollen. Das möchte ich Hochschulen intensiviert und ausgebaut werden hier einmal als grundsätzliche Position festhalten. kann. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. Wenn dieser klare Auftrag an die Großforschungs- (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Richtig!) einrichtungen zu stellen ist, dann ergeben sich allein von daher schon differenzierte Aufgaben und Arbeits- In der Folge eines solchen Umstrukturierungspro- felder der einzelnen Großforschungseinrichtungen. zesses wird es auch unumgänglich sein, einzelne Ich glaube, ich brauche hier in dieser Runde nicht Arbeitsfelder aufzugeben. In diesem Zusammenhang darzustellen, daß sie in der Bundesrepublik in der Tat wäre auch zu erwägen, ob nicht einzelne Institute differenzierte Arbeitsfelder haben, die jeweils auch privatisiert bzw. in Tochtergesellschaften umgewan- nur in einer Großforschungseinrichtung behandelt delt werden könnten. Für konkrete Privatisierungs- und von einer Großforschungseinrichtung vertreten oder Teilprivatisierungsabsichten von Großfor- werden können. schungseinrichtungen müßten meines Erachtens Konstruktionen zu finden sein, die sowohl die Interes- Nun haben sich im Zeitablauf naturgemäß Verän- sen des Staates als auch die der Privatwirtschaft und derungen ergeben, und für einige Großforschungs- der betroffenen Einrichtung berücksichtigen. einrichtungen sind die ursprünglich mit dem Grün- dungsauftrag vorgegebenen Arbeitsfelder inzwi- Dabei muß es keineswegs immer so sein, daß etwa schen nicht mehr die eigentlichen Schwerpunkte der eine Teilprivatisierung nur dann in Frage kommt, Forschungsaktivitäten. Auf der Suche nach neuen wenn die jeweilige Einrichtung ihre Kosten in einem Schwerpunkten hat sich durch Hinwendung zu detail- offenen Markt erwirtschaften und somit dauerhaft lierten Themen in solchen Einrichtungen eine weitge- eigenständig bestehen kann. Es ist auch denkbar, daß hende Diversifizierung ergeben, womit zwangsläufig florierende Industriezweige für grundlegende FuE- die Frage aufkam, ob damit die Begründung für eine Arbeiten in ihrem Geschäftsbereich ganz oder teil- Großforschungseinrichtung noch gegeben ist. weise für die Finanzierung entsprechender For- schungseinrichtungen aufkommen. Diese könnten Ich möchte dazu folgendes anmerken. etwa einen ähnlichen Status in den Forschungszen- Erstens. In dieser Umorientierungsphase haben die tren einnehmen wie die „An-Institute" an den Univer- Forschungspolitik und damit auch wir hier aus dem sitäten. Ich denke, damit könnten gleichzeitig auch Parlament heraus versäumt, Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen industrieller Forschung und den Großforschungsein- (Josef Vosen [SPD]: Sehr richtig!) richtungen z. B. wegen der stringenten Auslegung des neue grundlegende Arbeitsaufträge festzulegen. Die Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ausgeräumt wer- Großforschungseinrichtungen haben wir mit diesem den. Hier gibt es eine ganze Reihe von Kinken, mit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6613

Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann I denen wir uns im Bereich der Forschungspolitik schungseinrichtungen bereits für den Haushalt 1993 wirklich einmal beschäftigen sollten und müßten. berücksichtigt werden können. Nach den generellen, aus forschungspolitischen Herr Minister, im September 1991 ist aus Ihrem Ansätzen heraus entwickelten Vorgaben — diese Hause ein Papier betreffend Status und Perspektiven müssen erfolgen — muß der Umstrukturierungspro- der Großforschungseinrichtungen herausgekommen. zeß aus den Großforschungseinrichtungen und aus In einer Anlage dazu ist der finanzielle Rahmen für die den Zentren heraus selbst geleistet werden. weitere Entwicklung abgesteckt worden. Nach Her- ausgabe dieses Papiers haben Sie mit Vertretern der (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Richtig!) Großforschungseinrichtungen Gespräche geführt. Ich Aber dazu müssen die Zentren auch hinreichende habe nun folgende Frage: Haben sich Konsequenzen Entscheidungskompetenz erhalten. Der Deutsche für den finanziellen Rahmen aus diesen Gesprächen Bundestag hat dazu in den vergangenen zwölf Jahren ergeben, wenn ja, welche? Dies zu erfahren wäre von — der eine oder andere wird sich sicherlich daran Interesse. Vielleicht können Sie darauf eingehen. erinnern — bereits dreimal entsprechende Flexibili- Meine Damen und Herren, ich möchte hier deutlich sierungsmaßnahmen gefordert. Diese haben wir hier sagen: Für die F.D.P.-Fraktion vertrete ich hier den in diesem Hause beschlossen. Wären diese konkreten Standpunkt, daß nur mit einer differenzierten Beschlüsse des Parlamentes in der Vergangenheit Betrachtung und Bewertung jeder einzelnen Groß- umgesetzt worden, wären einige der heutigen forschungseinrichtung die unterschiedlichen Cha- Schwierigkeiten — so behaupte ich — weitgehend rakteristiken und die jeweilige Rolle, die den einzel- vermieden worden. nen Großforschungseinrichtungen in den Wissen- schafts- und Forschungsstrukturen zugewiesen ist, (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Einige, berücksichtigt werden können. Wir lehnen deshalb ja!) einen weiteren undifferenzierten Überrollungshaus- Nun möchte ich ausdrücklich begrüßen, daß der halt und lineare Kürzungen für alle Großforschungs- Bundesfinanzminister Ende 1991 den Flexibilisie- einrichtungen nach dem System Rasenmäher ab. rungsmaßnahmen in der Bewirtschaftung der Groß- Lassen Sie uns gemeinsam die Aufgabe angehen, forschungseinrichtungen endlich zugestimmt hat. damit wir die Großforschungseinrichtungen in der Wir fordern aber die Aufhebung der Befristung dieser gesamten Bundesrepublik in die Lage versetzen, Maßnahme auf drei Jahre; denn bei einer solchen Wissenschaft und Forschung auch in der internationa- Befristung werden sich positive Effekte dieser Flexi- len wissenschaftlichen Zusammenarbeit effizient und bilisierung kaum entfalten können, und es wird für effektiv zu vertreten. drei Jahre kaum jemand die grundlegenden Anstren- Ich danke Ihnen. gungen unternehmen wollen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) In diesem Zusammenhang muß ich ein heikles Thema ansprechen. Nach der Auffassung einiger Finanzverwaltungen sollen Forschungsmittel einzel- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem ner Großforschungseinrichtungen in erheblichem Abgeordneten Dr. Dietmar Keller. Maße einer Besteuerung unterworfen werden. Damit droht über die aktuelle Finanzsituation hinaus eine weitere Beschneidung der Forschungsaktivitäten. Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- dent! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, die- Anträge mögen ja alle gutgemeint sein, aber sie lassen sen Absichten entgegenzuwirken und dafür zu sor- aus meiner Sicht leider ein grundsätzlicheres Nach- gen, daß die von öffentlichen Zuwendungsgebern zur und vor allem Vorausdenken in einer veränderten Verfügung gestellten Forschungsgelder wie auch son- historischen Situation vermissen. stige im Rahmen von Forschung und Entwicklung ist denn Ihr eingeworbenen Drittmittel voll der Erfüllung der sat- (Josef Vosen [SPD]: Wo zungsgemäßen Aufgaben der Forschungseinrichtun- Antrag?) gen zugute kommen. Die Forschungsförderung dieser — Lassen Sie mich erst einmal ausreden. Wir werden Art sollte steuerfrei bleiben. Es macht doch wirklich nicht glücklicher, wenn wir hier sechs Anträge vorlie- keinen Sinn, Steuergelder für die Förderung von gen haben. Vielmehr werden wir glücklicher, wenn Wissenschaft und Forschung einzusetzen und diese wir uns auf einen Antrag einigen können, der die dann über Steuern zum Teil wieder zurückzufordern. Wissenschaft und Forschung in diesem Land wirklich Ich denke, das macht wirklich keinen Sinn. entwickelt. Von entscheidender Bedeutung für eine kontinuier- Mir scheint, daß die Anträge auch darunter leiden, liche und sozial verträgliche, auch die Forschungsak- daß sie wenig Willen zur Gestaltung einer der neuen tivität und die wissenschaftliche Kreativität nicht deutschen, aber vor allem europäischen und globalen störende Umorientierung in den Forschungseinrich- Verhältniss en entsprechenden Wissenschafts- und tungen ist der Einsatz von personalwirtschaftlichen Forschungslandschaft zeigen. Flexibilisierungsinstrumenten. Auch dazu sind im Die Regierungsparteien halten das offenbar im Antrag der Koalitionfraktionen einige konkrete Vor- Augenblick oder generell nicht für nötig, da sie sich schläge aufgeführt. Wir fordern von der Bundesregie- schon in der besten aller Landschaften wähnen, und rung eindringlich ein Konzept zu deren Umsetzung, die große Oppositionspartei, so meinte jedenfalls aus damit die aus diesen Vorschlägen sich ergebenden gegebenem Anlaß kürzlich Professor Narr, leide an Konsequenzen für die Entwicklung in den Großfor- Reformasthmatik, die auf ein Verhältnis ohne Eigen- 6614 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Dr. Dietmar Keller schaften zwischen SPD und Wissenschaft zurückzu- schen Gesellschaft zuzuwenden, nicht zuletzt der führen sei. Ich gebe gerne zu, daß die PDS, insoweit sie deutschen. Das Nachdenken über gemeinnützige und am SED-Erbe trägt, ebenfalls ein gestörtes Verhältnis längerfristige Ziele verfolgende Wissenschaft und zu Wissenschaft und Forschung mit sich herum- Forschung erscheint mir nur erfolgversprechend, schleppt. wenn damit auch ein grundsätzlicheres Nachdenken So sind wir vielleicht allesamt in unterschiedlichen über Politik, Gesellschaft und Menschheit einhergeht. Variationen in einer Situation, in der wir wollen, aber Die im Einigungsprozeß unter Beweis gestellte nicht so richtig können. In solchen Situationen emp- Kurzatmigkeit und Kurzsichtigkeit können wir uns fiehlt es sich, Fachleute zu Wort und zum Zuge allesamt nicht mehr leisten. Jetzt muß nachgeholt kommen zu lassen, wie es bei aller berechtigten Kritik werden, was da an Zeit vermeintlich nicht vorhanden war. an der Übertragung westdeutscher Maßstäbe unter- grober Vernachlässigung ostdeutscher Voraussetzun- Das gleiche gilt für Europa, um so mehr, wenn es gen und Bedingungen bei der Evaluierung der ost- nicht an Oder und Neiße enden soll. Im besonderen deutschen Wissenschaft durch den Wissenschaftsrat Maße gilt das für die Gestaltung einer zukunftsfähi- der Fall war. gen Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungsland- schaft. Wenn man keine Besinnungspause einlegt und Jedenfalls bin ich davon überzeugt, daß wesentlich nicht einmal andere Linien findet, an denen entlang Schlimmeres herausgekommen wäre, wenn man die man diskutiert und entscheidet — in den letzten Bewertung Parteipolitikern überlassen hätte. In der Wochen und Monaten waren diese Linien das Geld, Annahme, daß Fachleute in die Abfassung des von der politische Altlasten, die und die deutsche Selbst- SPD in ihrem Antrag geforderten Berichts der Bundes- herrlichkeit —, kann das letztlich alle sehr viel teurer regierung angemessen einbezogen werden, unter- zu stehen kommen als diese oder jene Million oder stütze ich diese Forderung. Das gilt auch für die in dem vielleicht auch Milliarde, die die Regierung jetzt bei Antrag der SPD „Zur Zukunft der Großforschungsein- Wissenschaft und Forschung und besonders bei der richtungen" verlangte Einsetzung einer Strukturkom- etwas bedächtigeren Großforschung im Osten und im mission 2000, Westen einsparen zu müssen oder nicht zur Verfü- (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das kann gung zu haben glaubt. nicht sein, daß Sie da zustimmen!) Danke schön. — warum, ich kann es doch unterstützen; das ist ja (Beifall bei der PDS/Linke Liste) mein gutes Recht —, obwohl mir die Sicht auf das Jahr 2000 für Wissenschaft und Forschung schon wieder Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Bundes- viel zu kurz zu sein scheint und es mir sympathischer minister für Forschung und Technologie, Dr. Heinz wäre, wir würden über 2005 und 2010 nachdenken, Riesenhuber, das Wort. vorausgesetzt, es wird über einen weiten Horizont nicht nur geredet, sondern so bald wie möglich nach (Josef Vosen [SPD]: Herr Minister, ist das einem solchen auch gehandelt. nicht noch etwas früh für Sie?) Bei der Großforschung scheint es mir eine wichtige Bundesminister für For- Frage zu sein, was die Gesellschaft, also nicht die Dr. Heinz Riesenhuber, etablierte Politik, nicht die Wirtschaft und auch nicht schung und Technologie: Herr Präsident! Meine sehr die Hochschule, sondern die Allgemeinheit, von ihr verehrten Damen und Herren! Ich möchte der Oppo- erwarten kann und erwarten muß. Das muß offen- sition— besonders dem Kollegen Vosen —ja noch die sichtlich etwas sein, was die eben angesprochenen Gelegenheit geben, auf das einzugehen, was ich Sparten der Gesellschaft nicht oder nicht ausreichend sage, leisten können, wie z. B. ein friedliches Zusammenle- (Josef Vosen [SPD]: Das geschieht!) ben der Menschheit, aber auch der einzelnen Men- denn sonst hätte ich am Schluß alles abgeräumt, und schen mit der Natur, darunter mit ihrer eigenen und das wäre vielleicht nicht so beglückend. mit der Natur anderer Menschen und Menschengrup- Die Großforschungseinrichtungen — das ist hier pen. von allen Rednern betont worden — sind ein kraft- (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Es wird voller Teil unserer Forschungslandschaft. Sie haben Zeit, daß Sie das lernen!) sich in einer Vielfalt entwickelt, die nicht jedem ganz klar ist. Wenn Herr Fischer hier, wie geschehen, Über die Fehler des bei genauerem Hinsehen nur darauf hinweist, daß wir mehr Geld brauchen, dann irreal existierenden Sozialismus wird in diesem Hause bin ich dankbar für jede Unterstützung dieser Art. unter den bekannten Stichworten ja oft genug gespro- Aber, Herr Fischer, ich gebe zu, daß wir die hohen chen. Diese Art von Sozialismus bedroht niemanden Ziele der Opposition nicht immer uneingeschränkt mehr, zumindest nicht andere Gesellschaftsformen erreichen. und schon gar nicht die Menschheit als Ganzes. (Josef Vosen [SPD]: Das werden Sie nie (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Zum schaffen!) Glück!) Sie sagten, der Haushalt 1992 sollte gegenüber dem Deshalb — so meine ich, meine Damen und Her- Haushalt 1991 um 1 Milliarde DM erhöht werden. Wir ren —, ist es an der Zeit — auch da gibt es zwischen hatten immerhin einen Zuwachs in Höhe von unge- uns keine Meinungsverschiedenheiten, verehrte Kol- fähr 825 Millionen DM; das ist ein Anstieg um 9,7 %, legin —, sich allmählich den Bedrohungen durch die Herr Catenhusen. Die Differenz ist nur, daß wir auf verschiedenen Spielarten der modernen kapitalisti dem Gebiet der Weltraumforschung keinen so hohen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6615

Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber Zuwachs zu verzeichnen hatten, wie einige es vermu- der heute bis hin zur Virologie und zur Immunbiologie tet und vorgesehen hatten. reicht. Wir haben das Hahn-Meitner-Institut mit dem Reaktor BER II, der für die Wissenschaft wichtig ist. Da wir gerade vom Geld sprechen: Ich muß mich bei Ich erwähne noch das Institut für Plasmaphysik. Das Ihnen noch entschuldigen. Ich habe während Ihrer heißt: Wir betreiben in ganz unterschiedlicher Weise Rede für einen Moment mit der Frau Kollegin Baumei- langfristige und kraftvolle Forschung. Die Wissen- ster geschwätzt. schaft erfüllt Aufgaben, deren Grenzen und Inhalte (Josef Vosen [SPD]: Geschwätzt?) der Staat zu bestimmen hat. — Ja, ich habe mich ja schon entschuldigt. Ich bitte, Es gibt Bereiche, in denen neue Wissenschaften mich nicht noch anschließend zu tadeln; das würde angegangen werden, und zwar bei der Gesellschaft mich moralisch völlig zugrunde richten. — Wir haben für Mathematik und Datenverarbeitung und bei der darüber gesprochen, daß die Forschungsmittel in den Gesellschaft für Biologische Forschung. Wir haben einzelnen Bundesländern außerordentlich beachtlich aber auch multidisziplinäre Großforschungseinrich- sind. Ich freue mich sehr, daß Baden - Württemberg auf tungen, die ursprünglich Aufträge im Bereich der Grund einer prachtvollen und kräftigen Forschungs- nuklearen Forschung zu erledigen hatten, die sich landschaft Forschungsmittel erhält, jetzt jedoch neuer Bereiche angenommen haben. (Josef Vosen [SPD]: Das machen Sie doch (Josef Vosen [SPD]: Das alles haben Sie von wieder zunichte!) uns übernommen!) Nun mahnte Herr Fischer hierzu an, daß die Diffe- und zwar auch im institutionellen Bereich, die den renzierung und die Umwandlung der Themen nicht statistischen Anteil weit übersteigen. Einem Anteil hinreichend erfolgt sei. Ich möchte sagen: Die Leistun- von 15,3 % an der Bevölkerung der alten Bundeslän- gen, die hier erbracht worden sind, sind außerordent- der stehen Forschungsmittel von 22,8 % und im insti- lich eindrucksvoll. Wenn Sie sich diese Graphik tutionellen Bereich von 27 % gegenüber. Das ist anschauen, dann werden Sie feststellen, daß wir den Ausweis für eine blühende, kraftvolle und dynami- Anteil der Energieforschung bei den Großforschungs- sche Forschungslandschaft, die auch durch eine her- einrichtungen halbiert haben, und zwar ca. über 40 % vorragende Zusammenarbeit der Landesregierung auf 21 %, daß wir den Anteil der Umweltforschung fast mit der Forschung gekennzeichnet ist. verdoppelt haben und daß wir den Anteil der For- (Beifall bei der CDU/CSU — Josef Vosen schung auf dem Gebiet der Informationstechnik mehr [SPD]: Ist das Wahlkampf?) als verdoppelt haben. Wir brauchen durchaus immer mehr Geld für unsere Allein diese Beispiele zeigen: Hier ist ein Struktur- Forschungslandschaft. Ich freue mich über jede Unter- wandel in einer sehr grundsätzlichen Weise durchge- stützung. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß führt worden, leise und nicht spektakulär. So unwahr- es keine Nation auf der ganzen Welt gibt, die einen so scheinlich es klingt: Es kommt in der Forschungs- großen Teil ihres Bruttosozialprodukts für die öffent- politik nicht darauf an, die Köpfe der Menschen mit liche Förderung ziviler Forschung aufbringt. Die schmetternden Fanfarenstößen zu verwirren, sondern Bundesrepublik bringt 0,94 % auf; die vergleichenden es gilt, die Wirklichkeit leise und effizient zu verbes- Zahlen für Japan, die USA oder auch Kanada bewe- sern, damit sie wirklich erfolgreich und kraftvoll gen sich zwischen 0,45 % und 0,53 %, liegen also etwa gestaltet werden kann. bei der Hälfte. Selbst Frankreich mit seiner sehr (Lachen bei der SPD — Josef Vosen [SPD]: etatistischen zivilen Forschung hat noch einen Anteil Das sagen Sie!) am Bruttosozialprodukt, der kleiner ist als der Das ist die schlichte Wahrheit. Die natürliche Beschei- unsere. denheit, mit der wir unsere Erfolge vortragen, soll Sie Insofern verfügen wir mit einer großen Vielfalt dabei nicht irritieren. Es kommt uns nicht darauf an, von Forschungseinrichtungen wie der Max - Planck- daß uns die Menschheit zujubelt. Es kommt uns darauf Gesellschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, von Uni- an, daß es hier im Lande besser wird. Und das haben versitätsinstituten, von Bund-Länder-Instituten nach wir in der Tat erreicht. der Blauen Liste und mit den Großforschungseinrich- tungen über eine einzigartige und ungemein dynami- Vizepräsident Hans Klein: Das entspricht auch der sche Landschaft. Mentalität des Kollegen Vosen. Nun muß man bei der Diskussion über die einzelnen Einrichtungen — ich bin sehr dankbar, daß Karl-H ans Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesminister für For- Laermann das dargestellt hat — in ganz unterschied- schung und Technologie: Herr Präsident, ich bedanke lichen Bereichen ganz unterschiedlich ansetzen. Wir mich für diese objektive Kommentierung. haben Großforschungseinrichtungen, die in der Grundlagenforschung auch heute noch ausgezeich- (Josef Vosen [SPD]: Mein Herz!) nete Arbeit leisten, um ein einziges großes Gerät, wie Es ist hier dargestellt worden, daß sich die For- DESY für die Hochenergiephysik oder GSI für die schungslandschaft durchaus stärker vernetzen sollte. Schwerionenforschung. Das Alfred-Wegener-Insitut Herr Fischer, einiges von dem, was Sie gesagt haben, erfüllt eine langfristige Staatsaufgabe auf dem Gebiet ist mir nicht völlig klar. Sie sagten beispielsweise, im der Polarforschung und der Meeresforschung. Ich Bereich der Biotechnologie fordere der Wissen- nenne das Deutsche Krebsforschungszentrum, das auf schaftsrat, daß die Zusammenarbeit zwischen Univer- dem Gebiet der Gesundheitsforschung arbeitet. Es sität und Großforschungseinrichtungen enger würde. arbeitet in einem ungemein vorgeschobenen Bereich, Ich lese aber in dem Gutachten, das Sie angezogen 6616 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber haben, einem roten Buch — was Ihnen angenehm sein men. Sie brauchen die Flexibilität in der Tat für ein muß —: erfolgreiches Management. Sie brauchen sie aber auch, damit die Mitarbeiter, die in dieser schwierigen Insgesamt handelt es sich bei der Biotechnologie Phase des Umbruchs eine sehr große Last zu tragen nach Auffassung des Wissenschaftsrats um ein haben, gute und vernünftige Arbeitsbedingungen Forschungsgebiet, auf dem die Zusammenarbeit haben oder auch der Übergang in andere Aufgaben der beiden Großforschungseinrichtungen mit den bzw. das Ausscheiden möglich werden. jeweiligen Hochschulen in ihrem regionalen Umfeld als beispielhaft gelten kann. Was haben wir in den vergangenen Jahren schon erreicht? Ich nenne die begrenzte gegenseitige Dek- Wenn man also feststellt, wo etwas kritisch ist, dann bitte ich die richtigen Beispiele zu nehmen. Die kungsfähigkeit von Personalkosten und Investitions- Beispiele, wo die Zusammenarbeit erfolgreich ist und haushalten. Mit dem Finanzminister haben wir die vorzüglich läuft, überwiegen und sind gesund. Einwerbung und die Verwendung von Drittmitteln erreicht, des weiteren eine Regelung über die (Josef Vosen [SPD]: Von welchem Land spre- Behandlung von Spenden und die Behandlung der chen Sie?) Rücklagen. Dazu kommt die gegenseitige Deckungs- fähigkeit und die Zwischenfinanzierung. Alles in Sehen Sie sich einmal an, wie sich das in den einzel- allem haben wir einen Kranz von Möglichkeiten, der nen Bereichen abgespielt hat. die Gestaltungsfähigkeit der Großforschungseinrich- Hier ist angemahnt worden, daß die Zusammenar- tungen außerordentlich erweitert. beit nicht eng genug wäre. In den letzten zehn Jahren sind die gemeinsamen Berufungen von Professoren in (Lothar Fischer [Homburg] [SPD]: Und die Großforschungseinrichtungen und Universitäten zur Besteuerung?) Regel geworden. Wir haben ein Nachwuchspro- — Ich bin bei der Besteuerung entschieden Ihrer gramm für Doktoranden und Diplomanden mit Auffassung. Ich wäre sehr glücklich, wenn Sie dem 470 Stellen aufgelegt. Wir haben im Rahmen des Herrn Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, der Hochschulsonderprogramms 1992 für Großfor- sich diese Sache mit besonderer Herzlichkeit angele- schungseinrichtungen 485 Stellen für Doktoranden gen sein läßt, Ihre Meinung mit Nachdruck zur Kennt- und Postdoktoranden vorgesehen, um die Kraft der nis geben würden. Ich bin mit Ihnen und übrigens Zusammenarbeit selbstverständlicher zu machen. Wir auch mit dem Kollegen Laermann der Auffassung, daß stellen große Schiffe, große Beschleuniger und große es ein absurdes Theater ist, wenn die Länder einerseits Geräte zur Verfügung. Wir stellen Satelliten zur zu Recht sagen, daß sie eine starke Forschungsinfra- Verfügung. Hier arbeiten nicht Mitglieder von Groß- struktur haben wollen, aber andererseits darauf hin- forschungseinrichtungen, sondern von Hochschulen wirken, daß der Staat die eigenen Leistungen des und Universitäten. Der vornehmste Auftrag der Groß- Staates besteuert, die der Forschung dienen sollen. forschungseinrichtungen ist, Kristallisationspunkt für Das ist in der Tat pervers. Darin stimme ich Ihnen die besten Köpfe aus den Hochschulen in Deutsch- zu. land, aber auch in ganz Europa und weltweit zu sein, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) so daß die besten Leute beste Arbeitsbedingungen finden und in einer gemeinsamen Arbeitsstrategie Hier ist die innere Umstrukturierung der Arbeit wirkliche Sprünge in der Erkenntnis leisten, und dies eingefordert worden. Ich möchte jetzt nur einen ein- tun sie in einer vorzüglichen Weise. zigen Punkt ansprechen. Natürlich haben wir die Großforschungseinrichtungen immer wieder über- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — prüft, Herr Kollege Laermann. Ich will einige nennen. Josef Vosen [SPD]: Und warum nehmen Sie Das DKFZ war Anfang der 80er Jahre in einem ihnen das Geld weg? — Lothar Fischer [Horn- schlimmen Zustand. Wir haben hier eine Struktur burg] [SPD]: Das war eben ein Fanfaren- aufgebaut, auch der Überprüfung, die es jetzt zu stoß!) einem angesehenen und herausragenden Institut Im Zusammenhang mit der Plafondierung bis 1995 gemacht hat. Ich nenne die Beraterkommission für die ist davon gesprochen worden, Herr Fischer, daß das zu GBF in 1983, die Kommission zur Langfristplanung für Lasten der Investitionen gehen müßte. Sie haben das HMI in 1986, den externen Beraterkreis für die gefordert, daß wir Instrumente zur Verfügung stellen. GMD seit 1989, der jetzt seine Vorschläge vorgelegt Genau das ist geschehen. Sie haben den Vorruhe- hat, die Perspektivkommission der KfK von 1990, ich stand eingefordert. Genau der ist vereinbart. Wir nenne den Umweltbeirat für die gesamte Großfor- haben mit dem Finanzminister eine entsprechende schung von 1987 bis 1990, die Querschnittsarbeit über Lösung für 1 200 Stellen vereinbart. Das ist eine Großforschung zur Solarenergie von 1988 bis 1990 Flexibilisierung, die es bisher noch nie gab. Sie haben und schließlich die Aktivitäten des Wissenschaftsrates eingefordert, daß die Investitionen geschont werden. im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen Uni- Die Voraussetzungen dafür, daß die Investitionen versitäten und Großforschungseinrichtungen. geschont werden, haben wir mit den Instrumenten Jetzt komme ich zu Ihnen. Hier haben wir eine neue geschaffen, ohne daß wir durch eine zu detaillierte Aufgabe — Ecclesia semper reformanda. Die Frage ist Steuerung den Großforschungseinrichtungen bis in nur, wie man das im einzelnen anlegt. Hier kann ich jedes einzelne Institut vorschreiben, wie sie vorzuge- Ihnen nur nachdrücklich zustimmen: Eine Überkom- hen haben. mission, die die Landschaft mit Bürokratien überzieht, Sie haben die Flexibilität eingefordert. Ich kann den wird nicht die Dynamik freisetzen, die wir jetzt brau- Kommentaren von Karl-Hans Laermann nur zustim- chen, damit die neuen Ziele gesetzt werden. Wir Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6617

Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber müssen einen Rahmen setzen, der es erlaubt, daß die auf Ziele, die Verbesserung unserer Umwelt oder Großforschungseinrichtungen die Ziele finden. auch der Gesetze dafür angelegt sein. Deshalb halte ich Nun ist hier eingefordert worden, daß wir for- Querschnittsbewertungen in der gesamten deut- schungspolitische Grundsätze in einer deutlicheren schen Forschungslandschaft für sinnvoll. Weise herausbringen. Wir haben hier einen iterativen Karl-Hans Laermann sprach von Umwelt, Erich Prozeß. In der ersten Runde hatte ich aus Gesprächen Maaß sprach von Umwelt und auch von Materialwis- mit den Großforschungseinrichtungen Hoffnungen, senschaften. Wenn der Wissenschaftsrat in seinem daß sie — im Sinne der Globalsteuerung — die ent- Urteil über die Einrichtungen der neuen Länder dazu sprechende Umstrukturierung aus sich heraus schaf- kommt zu empfehlen, Materialwissenschaft nicht in fen. Es hat sich dann gezeigt, daß dies nicht gelingen die Großforschung zu legen, sondern in andere Orga- kann. nisationsformen, dann halte ich dies für ein Urteil, das wir auch für die alten Bundesländer mit erwägen In der zweiten Runde wurde hier gesagt: Wir müssen. Wir müssen den Wissenschaftsrat und seinen brauchen Grundsätze. Wir haben die forschungspoli- Rat insofern durchaus miteinbeziehen und überlegen, tischen Grundsätze in einer Weise, die nicht sehr wie wir Strategien im Querschnitt anlegen. Diese rigide und detailsteuernd angelegt ist, herausge- Beurteilungen im Querschnitt halte ich für richtig. Wir bracht. Wenn es nach diesen geht, wenn also klar ist, werden sie beispielsweise beim Bereich Umwelt mit wie gearbeitet wird, ist das p rima. Sonst bin ich bereit, dem Wissenschaftsrat durchführen. es auch noch genauer festzulegen. Aber je mehr Freiraum ich geben kann, aus dem nach definierten Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe gemeinsamen Zielen die Wissenschaft selbst gestal- Kollegen, ich halte es für die wichtigste Nachricht ten kann, desto besser ist es. — sie ist nach den Anträgen aber nicht das Zentrum der Diskussion —, daß wir seit 1. Januar dieses Jahres (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Richtig!) nicht von 13, sondern von 16 Großforschungseinrich- Wir haben hier einen iterativen Prozeß. Wir haben hier tungen sprechen. Was in den neuen Ländern nach den Ziele gesetzt. Empfehlungen des Wissenschaftsrats aufgebaut wor- den ist, liegt genau in den Bereichen, wo wir künftig Es ist so, wie der Wissenschaftsrat sagt, daß Groß- große Aufgaben sehen: in der Gesundheitsforschung, forschung großforschungsspezifisch sein muß, d. h. in der Kombination einer fortgeschrittenen Grundla- besser in großen Einheiten geschehen kann als in genforschung mit der Hilfe für den Kranken, in einer irgendwelchen Instituten und Universitäten oder der Umweltforschung, die bis zu Verbünden mit Univer- Max-Planck-Gesellschaft. Wenn dies aber so ist, dann sitäten und mittelständischen Unternehmen reicht, in heißt dies: Sie muß in der Grundlagenforschung der Frage von Erde, Klima und Lithosphäre, wo es exzellent sein, sie muß interdisziplinär sein oder um staatliche Verantwortlichkeiten gibt. Dies ist also eine ein großes Gerät angelegt sein. Sie muß so angelegt sehr umfassende und breite Strategie. Wir wollen in sein, daß sie wirklich das leistet, was wir anders nicht Deutschland eine integrierte Forschungslandschaft sinnvoll leisten können — von den Gebieten her schaffen, bei der die Großforschungseinrichtungen gesprochen. Knotenpunkte in Netzen sind. Wir brauchen eine Wenn Forschung marktorientiert ist, muß sie so Vernetzung in ganz Europa. angelegt sein, daß sie ihr Geld im Markt auch ver- Das, was wir können, sollten wir in einer guten dient. Es geht mir nicht um den fiskalischen Teil, Partnerschaft mit den anderen Ländern einbringen: sondern darum: Wenn eine marktorientierte Technik für unsere Zukunft hier in Deutschland und in Europa, entwickelt wird, aber nicht in den Markt umgesetzt aber auch im Sinne einer zukünftigen guten Zusam- wird, dann ist diese Technik nicht nützlich für unsere menarbeit mit den Staaten Osteuropas, die zu Demo- Wirtschaft und unsere Unternehmen. Wenn die Unter- kratie und Freiheit auch in der Wissenschaft aufbre- nehmen bereit sind, die Technik zu übernehmen, chen und in uns gute Partner finden sollen. dann sollen sie dafür bezahlen. Ich sehe nicht, warum Schönen Dank. der Staat hier karitative Akte setzen soll. Im übrigen ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) es so, daß die Unternehmer für etwas, was sie selbst bezahlt haben, sehr viel besser kämpfen. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- (Zuruf von der SPD: Das hat doch damit gar ordnete Siegmar Mosdorf. nichts zu tun!) — Ich habe leider den Zwischenruf nicht verstanden, Siegmar Mosdorf (SPD): Herr Präsident! Meine Frau Kollegin. Sie haben mich so böse angeschaut, Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! daß ich nur erschrocken war und akustisch nicht mehr Wir führen die Debatte über die Großforschungsein- ganz zu folgen in der Lage war. Ich bitte um Nach- richtungen in einer Zeit des dramatischen wirtschaft- sicht. lichen Strukturwandels in der Welt. Der Wettbewerb (Josef Vosen [SPD]: Sie sind etwas zu sensi- verschärft sich dramatisch. Zugleich nehmen die öko- bel!) logischen Anforderungen an unseren Wirtschaftspro- zeß und an unseren Lebensstil zu. Wir haben also hier eine Strategie entwickelt. In einer solchen Situation kommt der Forschungs- Wenn wir von Vorsorge sprechen, die durchaus eine und Technologiepolitik eine besondere Bedeutung wichtige Aufgabe sein kann, muß sie so angelegt sein, zu. Die technologische und ökologische Modernisie- daß die Umwelt hinterher besser ist. Sie darf nicht rung der Volkswirtschaft muß vorangebracht werden, irgendeine Forschung für sich sein, sondern sie muß weil wir es nur auf diese Weise schaffen, einen 6618 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Siegmar Mosdorf humanen und ökologischen Fortschritt zu erreichen. nieren, muß motivieren und in der Lage sein, die Nur so können wir unseren Wohlstand sichern. Ich Menschen zu begeistern. Auf neudeutsch heißt das glaube, darüber sind wir uns einig. Deshalb müssen Management by objectives. Bei Ihnen, Herr Riesenhu- die Weichen in diese Richtung gestellt werden. ber, stelle ich — lassen Sie es mich so salopp sagen — fest, daß Sie ein bißchen nach dem Prinzip Manage- Deutschland ist seit vielen Jahren ein guter For- ment by toreros vorgehen: Sie weichen allen Proble- schungsstandort. Dazu hat übrigens die sozialliberale men aus, stehen da, lassen es treiben, und auf einmal Koalition — ich nenne die Minister Ehmke, Matthöfer, sagen Sie „Hier stehe ich und kann nicht anders, Gott Hauff und von Bülow — einen wichtigen Beitrag helfe euch!" Das ist aber keine Politik. Wir müssen geleistet. Es gehört zur historischen Wahrheit, daß rechtzeitig den Strukturwandel auch als Vorgabe im auch Sie, Herr Riesenhuber, zu Beginn Ihrer Amtszeit Diskurs mit den Großforschungseinrichtungen be- — das war 1982/83 — diese Form der sozialdemokra-- rücksichtigen. Jedenfalls haben angesehene Forscher tischen Modernisierungspolitik zum Teil mit Erfolg dieses Treibenlassen nicht verdient. Wir können es fortgesetzt haben. uns ökonomisch auch nicht leisten. Aber leider mußte die Forschungs- und Technolo- giepolitik in den 80er Jahren einen enormen Bedeu- Deshalb haben wir Sozialdemokraten ein Konzept tungsverlust hinnehmen. „Großforschung 2000" vorgeschlagen. Dazu sind Vorschläge unterbreitet worden. Lothar Fischer hat (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist das vorhin ausgebreitet. Da gibt es wichtige Weichen- es!) stellungen, Bestandsaufnahme, neue Ziele, neue Prio- Wenn Sie heute mit dem Rasenmäher durch die ritäten. Da geht es auch um den Aufbau der Großfor- Haushalte der Großforschungseinrichtungen fahren, schungseinrichtungen in Ostdeutschland, die ganz wenn in renommierten Forschungseinrichtungen wichtig sind. Und es geht um die Verhandlungen mit wirklich Ängste und Sorgen bestehen, so ist das vor Herrn Waigel, was die Etatberatungen angeht. allem auf Ihr enormes Handlungsversagen Mitte der Herr Riesenhuber, Sie kennen ja Herrn Karl 80er Jahre zurückzuführen. Sie haben bei den Wei- W. Deutsch. Der hat definiert: Macht ist, wenn man chenstellungen für die Zukunft der Großforschungs- das Privileg hat, nicht zuhören zu müssen, weil man einrichtungen versagt. Das muß man Ihnen heute selber das Sagen hat. vorwerfen. (Beifall bei der SPD — Josef Vosen [SPD]: (Zuruf des Bundesministers Dr. Heinz Rie Sehr richtig!) senhuber) Wenn der Anteil des Forschungsetats am Gesamt- Sie wissen, daß Sie in 14 Tagen den Entwurf Ihres haushalt der Bundesrepublik Deutschland von 2,8 % Etats für 1993 dem Herrn Waigel vorlegen müssen. im Jahre 1985 auf 2,1 % im Jahre 1991 — also um Meine Bitte an Sie ist: Reden Sie mit ihm darüber, was 25 % — gesunken ist, dann liegt genau darin die es 1993 an Weichenstellungen geben muß, damit die Ursache dafür, daß sich die 20 000 Techniker, Inge- Großforschungseinrichtungen nicht weiter demon- nieure und Naturwissenschaftler in den Großfor- tiert werden! Soviel ich aus Ihrem Haus weiß, gibt es schungseinrichtungen heute weniger mit ihren For- die gleichen Vorgaben wie im letzten Jahr und im schungszielen beschäftigen können, da sie Existenz- vorletzten Jahr; es wird keine Änderung geben, also sorgen haben und Bewerbungen schreiben. Junge auch keine Verbesserung für die Großforschungsein- Forscher hören heute aus der Science community: richtungen. Das muß man heute klar und deutlich Bewerbe dich bloß nicht bei einer Großforschungsein- sagen, damit jeder weiß, woran er ist. richtung! Es muß uns doch Sorge bereiten, wenn eine Wir haben dieses Konzept vorgeschlagen. Ich will es solche Stimmung entsteht. an dem Beispiel des Kernforschungszentrums, eines (Josef Vosen [SPD]: Sehr richtig!) bedeutenden Großforschungszentrums, verdeutli- Gerade wenn es richtig ist, daß die klassische Form chen. Wir wollen ja diesen Strukturwandel. Das Kern- der Großforschungseinrichtungen, wie sie in den 50er forschungszentrum Karlsruhe ist, wie Sie wissen, mit und 60er Jahren entstanden ist, meistens im Umfeld der Kernenergie groß geworden. Als die Sicherheits- von kapitalintensivem Großgerät, nicht mehr den risiken und die Entsorgungsfrage immer deutlicher Anforderungen des Jahres 2000 entspricht, muß man und unübersehbar wurden, haben die Fundamentali- von dem politisch Verantwortlichen verlangen, daß er sten bei den GRÜNEN verlangt, das Kernforschungs- einen aktiven Strukturwandel betreibt, und zwar zentrum zu schließen. Und Sie haben gesagt: Weiter rechtzeitig. so! (Josef Vosen [SPD]: Richtig!) Wir haben uns mit den Physikern und den Natur- wissenschaftlern und dem Management des Hauses Sie, Herr Riesenhuber, haben die Entwicklung treiben zusammengesetzt und über einen Strukturwandel lassen. Sie haben sozusagen die „Titanic" auf den nachgedacht, wie man den Sachverstand, das Eisberg zutreiben lassen, und heute wundern Sie sich, Erkenntnisinteresse und die Erfahrungen der For- daß die Passagiere schimpfen. scher für neue Aufgaben nutzen kann. Karlsruhe Ich gebe zu: Eine Politik des aktiven Strukturwan- könnte mit seinem Know-how einen großen Beitrag dels ist unbequemer, das Setzen von Prioritäten ist zum Energiesparen und zur Erhöhung der Energieef- unbequemer. Aber auch gerade für die Forschung gilt: fizienz — was für die Zukunft bedeutend ist, weil wir Wer die kritische Masse in Bewegung setzen will, wer vor einer großen Energierevolution stehen — und zur besondere Leistungen erzielen will, muß Ziele defi- Stärkung der regenerativen Energien leisten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6619

Siegmar Mosdorf Das KfK will sich — es ist richtig, daß darüber Denken Sie bitte an Herrn Bushs denkwürdige diskutiert wird — im Umwelttechnikbereich engagie- Reise nach Japan! Dort hat er ein Spielwarengeschäft ren. Es geht des weiteren um einen dritten wichtigen eines amerikanischen Herstellers eröffnet. Bereich, der auch industriepolitisch bedeutsam ist: Es (Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Was geht um die Frage, ob das KfK in die Mikrosystem- hat das mit Großforschungseinrichtungen zu technik einsteigen kann und soll und gefördert wer- tun?) den soll. Gleichzeitig hat er — Herr Laermann, Sie wissen (Dr. -Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Die das — gebeten, weniger Autos in die USA zu expor- sind doch schon dabei!) tieren. Dann hat er auch noch gegen den Tenno Tennis gespielt und 3: 6, 3 : 6 verloren. Die Mikrosystemtechnik ist die konsequente Weiter- entwicklung der Mikroelektronik auf nichtelektroni- (Christian Lenzer [CDU/CSU]: Das ist aber schen Gebieten. Sie ist ein rasch wachsendes techno- schwach!) logiepolitisch orientiertes Forschungsgebiet, das für Das war ein Fiasko. Herr Lenzer hätte anders ausge- die Medizin, die Umwelttechnik und auch den sehen. Jetzt hat Herr Kohl angekündigt, daß auch er Maschinenbau — das ist für uns im Süden Deutsch- im Oktober, Herr Riesenhuber, nach Japan fahren lands sehr wichtig — eine Schlüsselbedeutung hat will. In Kenntnis unseres wirtschaftlichen und techno- und neue Perspektiven aufweist. logischen Standards und der Wettbewerbssituation Das Kernforschungszentrum könnte zu einer Dreh- auf der Welt, aber auch in Kenntnis der Talente des scheibe für ein Forschungs-, Technologie- und Ferti- Bundeskanzlers gungsdreieck im Südwesten werden. An den Univer- (Zuruf von der CDU/CSU: Der gut ist!) sitäten in Freiburg und Karlsruhe könnten die For- möchte ich schon jetzt davon abraten, daß er mit dem scher ausgebildet werden. In den Instituten der Fraun- Kaiser Tennis spielt. hofer Gesellschaft und der Max-Planck-Gesellschaft, in der Rheinschiene und im KfK könnten sie Grundla- Vielen Dank. genforschung leisten. In Kooperation mit den Maschi- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) nenbauern im Raum Stuttgart könnten sie die Umset- zung in diesem Bereich bewerkstelligen. Die mittel- ständisch geprägte Industrie, der Maschinenbau, im Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort der mittleren Neckarraum hat im Moment große Pro- Abgeordneten Brigitte Baumeister. bleme, (Zuruf von der CDU/CSU: Aber jetzt kommt (Dr. -Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Nicht bitte etwas Sachliches!) nur da!) weil sie, Herr Laermann, nicht so kapitalintensiv wie Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Herr Präsident! die großen Unternehmen in Japan ist und weil sie Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viel Lob nicht in der Lage ist, sich so große Forschungseinrich- wurde über die Großforschung ausgegossen; ich darf tungen zu leisten. mich da anschließen. Ich glaube, da haben wir über- Mit einer solchen Konzeption für das Kernfor- haupt keinen Dissens. Das gilt ganz besonders auch schungszentrum könnte sie einen Forschungsrückhalt für unsere Großforschungseinrichtungen in der Bun- erhalten. Deshalb halte ich es für wichtig, daß wir desrepublik Deutschland. diese Vision eines Zentrums für Energieeffizienz, Die Großforschungseinrichtungen stellen ein ge- Umwelt und Mikrosystemtechnik in Karlsruhe kon- waltiges wissenschaftliches Potential, aber auch einen kret weiterentwickeln und zu realisieren versuchen. enormen wirtschaftlichen Faktor dar. Ein Jahresetat von über 2,3 Milliarden DM spricht für sich. Insgesamt Dazu hat der Forschungsminister einen Beitrag zu — wir haben es gehört — beschäftigen sie 20 000 leisten. Mitarbeiter, davon 16 000 im institutionellen Bereich. (Beifall bei der SPD) Das sind Zahlen, auf die man, glaube ich, stolz sein Er kann nicht nur dasitzen und abwarten und buch- kann. halterisch sagen: Wir streichen das und dieses und Die Vereinigung Deutschlands, der Beitritt der jenes. Da ist aktiver Strukturwandel gefordert; nichts neuen Bundesländer erfordert es aber, daß wir das anderes. unter einem ganz neuen Aspekt sehen und die Groß- Klare Zielvorgaben und klare Prioritäten in der forschungseinrichtungen demzufolge — ich glaube, Forschungspolitik vermissen wir aber auch auf ande- da besteht ebenfalls kein Dissens — neu überdenken ren Gebieten in Ihrem Bereich. Wenn die Bundesre- und umstrukturieren — sprich: neu strukturieren —. gierung die Forschungs- und Technologiepolitik nicht Die westdeutschen Forschungseinrichtungen als endlich mit einem höheren Stellenwert versieht und Bestandteile eines wissenschaftlich selbstverwalteten wenn der Forschungsminister nach zehn Jahren nicht und dezentral organisierten Systems standen schon mehr die Kraft für neue Prioritäten hat, immer im wissenschaftlichen Wettbewerb, aber auch im Lichte eines internationalen Technologiever- Hat er nicht!) (Josef Vosen [SPD]: gleichs. Die GFEs leisten heute einen bedeutenden dann könnten wir in einer entscheidenden Phase der Beitrag in der Grundlagenforschung. Diese Kapazitä- weltwirtschaftlichen Entwicklung technologisch in ten — da stimme ich Ihnen zu — gilt es, Herr Kollege die Zweitklassigkeit abrutschen. Mosdorf, zu erhalten. 6620 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Brigitte Baumeister Japan — das wissen wir alle — bemüht sich derzeit sen, um die Neustrukturierung — gewiß nach Vorga- mit großem Engagement, eine Basis für Grundlagen- ben — vorzunehmen. Weiterhin möchte ich darauf forschung im eigenen Land zu errichten. hinweisen, daß meines Erachtens auch der Gesund- (Siegmar Mosdorf [SPD]: So ist es!) heitsforschungsbereich weiter ausgebaut werden muß. Aber ich glaube, in dieser Beziehung sind wir Die Japaner haben erkannt, daß es für die Wettbe- uns einig. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in werbsfähigkeit ihrer Industrie von zentraler Bedeu- Heidelberg konnte mit dem Aufbau der Tumorvirolo- tung ist, eine eigene wettbewerbsfähige Grundlagen- gie in den letzten Jahren einen für die Krebsforschung forschung zu haben. Es gilt meines Erachtens, dafür zu bedeutenden Beitrag leisten. Dort bestehen Pläne, sorgen, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren durch klinische Abteilungen die in Deutschland nach Vorsprung hier behält. Herr Kollege Mosdorf, Sie - wie vor hemmende Trennung zwischen klinischer haben auf die Wichtigkeit und Bedeutung von Grund- Praxis und Forschung abzubauen. Gerade diese lagenforschung im Bereich der Wirtschaft hingewie- erfreulichen Forschungsaktivitäten des DKFZ recht- sen; auch hier stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. fertigen es, hier mehr staatliche Forschungsgelder (Josef Vosen [SPD]: Sehr vernünftig, Frau einzubringen. Genau das haben wir ja auch getan. Kollegin!) (Josef Vosen [SPD]: Mehr Forschungsgel Im Osten sind tiefgreifende Evaluationsmaßnah- der?) men eingeleitet worden, deren Ergebnisse bereits — Das wissen Sie ganz genau. umgesetzt worden sind. Wir sind nunmehr aufgefor- dert, forschungspolitische Zielsetzungen auch im (Josef Vosen [SPD]: Ist jetzt Wahlkampf in Westen zu überprüfen und nach Konzentrationsmög- Baden-Württemberg, oder was ist los?) lichkeiten zu suchen sowie die daraus notwendigen — Ein wenig, ein wenig, Herr Vosen. Schlußfolgerungen zu ziehen. (Josef Vosen [SPD]: Dann verstehe ich es!) Es zeichnet sich bereits jetzt ab, daß sich die GFEs Vor dem Hintergrund der Haushaltslage dürfen wir — neben der bereits erwähnten Grundlagenfor- schung — schwerpunktmäßig mit Energiefragen be- aber nicht darauf verfallen, in den alten Bundeslän- schäftigen müssen. Unter dem Gesichtspunkt der dern quasi mit dem Rasenmäher — wir sprachen es vorhin an — lineare Kürzungen vorzunehmen. Viel- Schonung von Ressourcen für spätere Generationen mehr muß es zwischen den einzelnen Großfor- und im Hinblick auf die Vermeidung negativer Kli- schungseinrichtungen und innerhalb einer jeden Ein- maveränderungen muß hier mit staatlicher Unterstüt- zung massiv geforscht werden. Auf Grund der fachli- richtung zu einer Prioritätenfestsetzung kommen. chen Kompetenz der GFEs — die mir besonders aus Im übrigen, glaube ich, muß deutlich gemacht persönlichen Gesprächen mit Vertretern der GfK und werden, daß eine hochqualifizierte Forschung Vor- des DKFZ bekannt ist — werden diese auch künftig aussetzung für unseren Industriestandort Deutsch- eine wichtige Rolle spielen. land ist. Ich kann es wagen, dies hier zu wiederholen, weil ich glaube, daß dies ein ganz zentraler Punkt So zeichnet sich bereits jetzt ab, daß das Kernfor- ist. schungszentrum Karlsruhe — wie Sie erwähnten — seine Schwerpunkte im Bereich der Energietechnik, Im Vorfeld der Haushaltsberatungen 1993, die dem- einschließlich der Reaktorsicherheit, der Abfallbe- nächst stattfinden, möchte ich deshalb ankündigen, handlung, der Kernfusion, der Umweltforschung und daß es meine Fraktion nicht unterlassen wird, erneut der Mikrosystemtechnik neu überdenken muß. Anforderungen an den Forschungsetat zu stellen. Auch Umweltforschung und Vorsorgeforschung, (Siegmar Mosdorf [SPD]: Das ist ja interes die im Rahmen der bereits vollzogenen Umstrukturie- sant!) rungsmaßnahmen der GFEs als Themen prioritär Ich möchte auch noch einmal deutlich auf das aufgegriffen worden sind, müssen meines Erachtens Bundesland Baden-Württemberg hinweisen, woher stärker ausgebaut werden. Dabei muß allerdings im ich komme; denn gerade dort zeigt es sich, daß eine Rahmen einer — wie vom Kollegen Maaß gefordert — starke Forschung auch eine starke Industrie nach sich übergreifenden Bewertung dieser Forschungsberei- zieht oder umgekehrt. Beides ist wichtig, und beides che überprüft werden, welche Teilthemen von den zeigt sich am Beispiel Baden-Württembergs, weil dort jeweiligen GFEs angesprochen und umgesetzt wer- dieser Bereich ganz besonders von Erfolg gekrönt den. ist. Bei der Vorsorgeforschung, aber auch bei bestimm- Forschungsthemen und Forschungsschwerpunkte ten Systemtechniken wie Mikrosystemtechnik, Nano- müssen regelmäßig überprüft und im Dialog mit den technik sowie Materialforschung können die GFEs Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Staat und neuen den vorhandenen interdisziplinären Ansatz voll zum zukunftsorientierten Fragestellungen betrachtet wer- Tragen bringen. Diesen Vorteil gilt es im Rahmen der den. Die Forschungseinrichtungen müssen sich dem Neustrukturierung auszunutzen. Und, Herr Kollege Strukturwandel in der allgemeinen, technologischen Fischer — er ist nicht mehr da —: Auch ich wende mich und wirtschaftlichen Entwicklung stellen. Sie sind ganz vehement gegen diese Strukturkommission, verpflichtet, Veränderungen aktiv zu beeinflussen (Josef Vosen [SPD]: Das ist falsch, Frau Kol- und sie auch selbst zu gestalten. legin!) Es ist nicht damit getan, laufende und vorgesehene weil ich glaube, daß die GFEs selber Einfluß — und Aktivitäten auf Doppelarbeit oder Konzentrations- diesen müssen sie auch bekommen — nehmen müs- grad hin zu überprüfen. Thematische, organisatori- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6621

Brigitte Baumeister sche und personelle Flexibilität und Mobilität müssen interessanter, leistungsfähiger und auch unabhängi- als Prinzipien verankert und regelmäßig zur Anwen- ger von staatlicher Unterstützung werden. dung gebracht werden. Ich möchte es plakativ einmal so ausdrücken: Lassen Sie mich an dieser Stelle nicht mißverstan- Obwohl 1993 der Gemeinsame Markt Realität ist und den werden. Ich möchte nochmals deutlich machen: die Maastrichter Beschlüsse den Forschungsbereich Nach Auffassung meiner Fraktion müssen die for- noch stärker integrieren, betreibt die Bundesrepublik schungspolitischen Zielsetzungen eindeutig Priorität bei der Bewertung der GFEs Nabelschau. gegenüber etwaigen Einsparungszielen haben. (Josef Vosen [SPD]: Na ja, das ist es eben!) Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Baumei- ster, Ihr Pech ist, daß keine Parlamentarische Für uns ist es wichtig, daß die GFEs auf wirkliche - Zukunftsthemen ausgerichtet werden, soweit dies Geschäftsführerin zum Präsidium kommen kann, um nicht ohnehin schon der Fall ist. Im Mittelpunkt der eine Redezeitverlängerung zu erbitten. Diskussion sollte deshalb unserer Auffassung nach (Heiterkeit) stehen, welche Aufgaben die GFEs bei der Lösung der Zukunftsfragen haben und wie sich deren Potential im Zusammenspiel mit den übrigen Forschungseinrich- Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr tungen und Aktivitäten optimal nutzen läßt. Präsident. — Ich möchte es zum Schluß auf einen Nenner bringen: Ich glaube, wir müssen uns alle Wichtig ist, daß die Forschungszentren in allen fragen, ob wir alle Möglichkeiten der internationalen Berührungspunkten, nämlich Hochschule, staatliche Kooperation, der europäischen Kooperation ausge- Stellen, Industrie und sonstigen Forschungsinstituten schöpft haben, und möchte uns alle bitten, über diese effizient zusammenwirken, daß Kooperation als Dinge und über neue Strukturierungen gemeinsam Bestandteil aller Forschungsaktivitäten begriffen nachzudenken. wird. Vielen Dank. In unseren Forschungseinrichtungen sind nicht nur (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hervorragende Ergebnisse erzielt worden, dort arbei- ten auch — wir haben dies ja schon von Minister Riesenhuber gehört — hochqualifizierte Menschen. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Wolf Michael Catenhusen, Sie haben das Wort. (Josef Vosen [SPD]: Das ist so!) Wir haben einen international hohen Standard. Wir haben bestausgebildete Forscher, für die wir im übri- Wolf-Michael Catenhusen (SPD): Sehr geehrter gen in der ganzen Welt beneidet werden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor weni- gen Tagen hat die SPD-Fraktion mit Interesse zur (Josef Vosen [SPD]: Und zuwenig Geld!) Kenntnis genommen, daß auch unser Forschungsmi- Im Rahmen des Technologietransfers zwischen nister, der bald zehn Jahre im Amt ist, die europäische Wissenschaft und Wirtschaft ist nicht nur der effektive Forschungspolitik entdeckt hat. Er hat in einem Austausch von Informationen und Forschungsergeb- Memorandum zur europäischen Forschungspolitik nissen, sondern auch der Austausch von Personal seine Anforderungen an die künftige Entwicklung gefordert. Hier sollten in beiden Richtungen Erleich- auch der finanziellen Mittel der EG-Forschungspoli- terungen vorgegeben werden. Seitens der Industrie tik formuliert. Wir haben mit Interesse zur Kenntnis wird zu Recht beklagt, daß in den Großforschungsein- genommen, daß er eine jährliche Erhöhung der For- richtungen geltende arbeits- und sozialrechtliche schungs- und Entwicklungsausgaben der Europäi- Strukturen des öffentlichen Dienstes die Mobilität und schen Gemeinschaft in Höhe von 6 % fordert. Da hat er Flexibilität der Mitarbeiter hemmen. unsere Unterstützung. Ob wir es wollen oder nicht: Deutschland ist ein Nur, Herr Riesenhuber, ich denke, Sie könnten nun Industrieland. Unser Rohstoff ist in erster Linie der in der innenpolitischen Diskussion leicht bezichtigt Vorsprung in der Forschung und das technologische werden, nur ein Ablenkungsmanöver zu fahren. Denn Know-how. Wir sind darauf angewiesen. Voraus- wie kann ein Forschungsminister nach außen, gegen- schauende Forschungspolitik zu betreiben, bedeutet über Brüssel, eigentlich mannhaft für eine jährliche daher auch Verantwortung für den Standort Deutsch- Erhöhung der Forschungsausgaben in Höhe von 6 % land. eintreten, wenn wir seit 1982 unter Ihrer persönlichen Verantwortung, Herr Riesenhuber, eine Entwicklung Wenn ich „Forschung" sage, dann meine ich erlebt haben, in der die Bedeutung des Forschungs- eine zukunftsorientierte, ergebniszugewandte For- haushalts im Bundeshaushalt real gesunken ist schung. Die Großforschungseinrichtungen dürfen (Josef Vosen [SPD]: Das war die Spardose der sich nicht in thematischen Nischen und marktfernen Nation!) Inselidyllen verstecken, sondern müssen sich auch im Bereich der Grundlagenforschung Themen zuwen- und die Forschungsausgaben aus den Mitteln des den, die für die Industrie von Belang sind. Der Bundes pro Kopf alleine zwischen 1990 und 1992 von industrielle Bedarf an Forschungsthemen sowie die 123 DM auf 116 DM gesunken sind? Möglichkeiten industrieller Nutzung von Forschungs- Herr Riesenhuber, wir würden diese Diskussion ergebnissen müssen bei der Forschungsplanung noch ganz anders, auch viel konstruktiver führen können stärker berücksichtigt werden. Damit können die — vielleicht auch Sie —, wenn Sie es nicht zugelassen Institute auch auf dem Gebiet der Auftragsforschung hätten, daß seit 1982 im Forschungshaushalt eine 6622 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Wolf-Michael Catenhusen strategische Schieflage eingetreten ist, die heute auf 1 einer Halbierung unseres Energieverbrauches kom- bis 2 Milliarden DM pro Jahr geschätzt wird. men können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Josef (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Karl-Hans Vosen [SPD]: So ist das!) Laermann [F.D.P.]: Begründung von Groß forschung! Denken Sie an die Verfassung!) Das Problem ist: Sie haben eine neue Diskussion über die Großforschung angefangen, indem Sie Wie können wir zu einem umweltverträglichen Ver- zunächst, ehe überhaupt über Konzepte diskutiert kehrssystem kommen? Wie können wir zu einer worden ist, die Größe des Klingelbeutels bestimmt Ökologisierung der Produktion kommen? Wenn wir haben, mit dem Sie bei den Großforschungseinrich- diese Visionen entwickelt und einen gesellschaftli- tungen anschließend herumgegangen sind, um Geld- chen Konsens haben, müssen wir prüfen, welchen einzusammeln. Beitrag die Großforschung zur Verwirklichung dieser Ziele leisten kann. (Josef Vosen [SPD]: Genau!) (Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Das Dann haben Sie den Großforschungseinrichtungen sind große Forschungseinrichtungen, die Sie klarzumachen versucht, daß es für sie doch das hier darstellen!) erträglichste wäre, Umstruktierung in Form der Anpassung an weniger Geld vorzunehmen. Sie haben Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine ihnen bis heute keine Chance gegeben, in diesem Damen und Herren, wir brauchen diesen konstrukti- Prozeß der Überprüfung ihrer Aufgaben und Zielset- ven Dialog, unsere Erwartungen an diese qualifizier- zungen auch konstruktiv neue Ideen in das Konzept ten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, daß sie einzubringen. Denn die Prämisse der Forschungspoli- auch selbst motiviert sind, sich in diesen Zukunfts- tik Ihres Hauses, Herr Riesenhuber, war: Es gibt die dialog und diese Zukunftsentscheidung einzubrin- Vorgabe, daß Stellen abgebaut werden müssen. Die gen. Ziele und die Konzepte, die Sie, liebe Großforschungs- Meine Damen und Herren, wir diskutieren natürlich einrichtungen, erbringen, werden daran gemessen, nicht nur darüber, was Herr Riesenhuber heute wie- ob der Sparbeitrag erfüllt ist oder nicht. Ich meine, der gerne möchte. Sie haben heute wieder erzählt, meine Damen und Herren, so kann man mit einer was Ihnen alles so einfiele, wenn Sie ungehemmt motivierten Gruppe von hochqualifizierten Wissen- schalten und walten könnten. schaftler- und Wissenschaftlerinnenteams in Deutsch- land nicht umgehen. (Josef Vosen [SPD]: Kann er nicht!) (Beifall bei der SPD) Ich meine, es geht heute auch darum, einmal zu überprüfen, wie weit Sie denn auf dem Weg zur Ich meine, wir sind uns hier zwischen den Fraktio- Realisierung Ihrer Träume gekommen sind. nen einig, daß wir für die wissenschaftliche, technolo- gische und wirtschaftliche Zukunft unseres Landes Heute sind sich alle Fraktionen einig, wie wichtig einen qualifizierten Beitrag der Großforschungsein- auch der Beitrag der Großforschungseinrichtungen richtungen brauchen und daß wir Anstrengungen für die industrielle Entwicklung unseres Landes ist. Ja, unternehmen müssen, die Forschungseinrichtungen was ist denn eigentlich seit 1982 in den Großfor- in Deutschland fit zu machen für ihren Beitrag zu schungseinrichtungen in bezug auf Industriefor- schung oder passiert? diesen Zukunftsaufgaben. Das gilt gerade auch für die Kooperation mit der Industrie Großforschungseinrichtungen. Denn die Großfor- Da haben Sie zunächst 1983/84 der Indus trie gesagt: schungseinrichtungen sind wie kein anderer Sektor Ich biete Ihnen die Großforschungseinrichtungen an. unseres Forschungs- und Wissenschaftssystems der Gucken Sie doch einmal, was Sie davon gebrauchen Beeinflussung, der Steuerung durch die staatliche können. — Sie haben damals in Ihrem Standort- und Forschungs- und Technologiepolitik auf dem Wege Perspektivenbericht schreiben lassen, daß der Indu- strie angeboten wird, sich an Großforschungseinrich- der Globalsteuerung zugänglich. tungen insgesamt oder an einzelnen Teilen zu betei- Das heißt: Nirgendwo sonst kann eine gesellschaft- ligen. Nichts ist passiert. Fehlanzeige! liche Nachfrage nach Beiträgen von Forschung und Entwicklung so schnell und direkt aufgenommen und (Josef Vosen [SPD]: So ist es!) umgesetzt werden wie in der Großforschung. Meine Ich denke auch, das war der falsche Weg. Die Damen und Herren, dafür ist sie ja auch in den 60er Privatisierung der Großforschungseinrichtungen ist Jahren geschaffen worden, nicht als einsame Insel der doch nicht der Weg, das Problem eines sinnvollen Forschung, sondern als Einrichtung, in der interdiszi- Einbringens von Basis-Know-how, von technologi- plinär unter Nutzung großer Geräte gesellschaftliche schem Know-how aus der Vorlaufforschung in die Fragen bearbeitet werden. Industrie zu gewährleisten. Nur muß dann auch die staatliche Forschungspolitik Nun ist dieser Privatisierungswahn offensichtlich diese gestaltende Aufgabe wahrnehmen. Herr Rie- ausgeträumt. Fünf Jahre später steht im zweiten senhuber, wo sind eigentlich Ihre Visionen über die Status- und Perspektiven-Bericht, den Sie dem Aus- wirlichen zentralen Aufgaben, die die Großforschung schuß und der Öffentlichkeit vorgelegt haben, daß Sie, für den Fortschritt unserer Gesellschaft leisten muß? das Ministerium, Defizite der Arbeit der Großfor- Wir haben das früher über Großgeräte und über schungseinrichtungen im Bereich der industrienahen Kerntechnik definiert. Wir müssen doch heute andere Technikentwicklungen konstatieren. Das mag schon große Visionen entwickeln, etwa die Frage, wie wir so sein. Nur, woran liegt das denn? Was ist denn auch durch Beitrag von Wissenschaft und Technik zu eigentlich aus Ihrem Hause an konstruktiven, per- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6623

Wolf-Michael Catenhusen spektivischen Beiträgen seit 1984 passiert? Ich denke, spektive muß den längerfristigen Strukturplanungen Sie sind sich in Ihrem Hause überhaupt noch nicht klar auch für die großgerätespezifischen Großforschungs- geworden, was eigentlich Großforschungseinrichtun- einrichtungen zugrunde gelegt werden. Da gibt es gen spezifisch im Bereich wirtschaftlich interessanter bisher nur Fehlanzeige. Technologieentwicklungen leisten können. Da gibt es Zweitens. Wir brauchen — ich habe das schon doch verschiedene Phasen von Innovationsprozessen, angedeutet — eine Stärkung der Großforschungsein- verschiedene Aufgaben vor allem im Berich der wis- richtungen, die nicht nur, wie bisher, Ursachen für senschaftlich basierten Vorlaufforschung bei Techno- Umweltschäden erkennen und die Entwicklung von logieentwicklungen, wo die Frage nach einem Beitrag Reparaturstrategien betreiben, sondern wir brauchen der Großforschung konkret geklärt werden muß. auch eine Vision für eine komplexe, längerfristig Ich denke, Herr Riesenhuber, vor allem muß eines - angelegte Bearbeitung von Vorstellungen einer öko- gelten: Wenn wir einiges Interesse daran haben, daß logisch verträglichen Industriegesellschaft. auch die Großforschungseinrichtungen einen größe- (Beifall bei der SPD — Christian Lenzer ren Beitrag bei der Entwicklung von wirtschaftlich [CDU/CSU]: Das sind doch alles Leerfor wichtigen Schlüsseltechnologien leisten können, meln!) dann brauchen sie auch mehr Freiraum für eine — Das Problem ist, daß Sie sich darunter leider nichts Zusammenarbeit mit der Industrie. Sie brauchen auch Konkretes vorstellen können. einen anderen Freiraum für eine Mitfinanzierung (Christian Lenzer [CDU/CSU]: Geben Sie Die Fraunhofer-Gesellschaft durch die Industrie. doch mal zwei Beispiele!) zeigt doch, welche Strukturen dafür erforderlich sind. Warum geben Sie nicht mehr Raum für Dezentralisie- rung der Organisation in den Großforschungseinrich- Vizepräsident Hans Klein: Ich will Sie nicht stören, tungen, Herr Abgeordneter, aber Sie haben nur noch 20 Se- (Beifall bei der SPD) kunden. daß sich auch dort solche Freiräume für solche Ent- Wolf-Michael Catenhusen (SPD): Ich komme zum wicklungen bilden können. Wenn man sich das so auf Schluß. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Fahnen geschrieben hat, dann muß ich sagen, auch die Leitungen der Großforschungseinrichtungen Herr Riesenhuber: Konzeptionell, praktisch hat Ihr haben einen Anspruch darauf, daß zunächst die Haus an dieser Stelle strategisch versagt. Aufgabenbestimmung vorgenommen wird, daß dabei Meine Damen und Herren, ich möchte dann noch auch darüber diskutiert werden kann, welche neuen einen zweiten Punkt kurz behandeln. Ich meine, daß Aufgaben den Großforschungseinrichtungen zu- die Frage, wie wir jetzt mit den Großforschungsein- wachsen. richtungen umgehen, auch die Frage aufwirft, ob wir Wenn sich daraus auch das Bedürfnis ergibt, daß mit diesen kurzfristigen, mit Bordmitteln gestrickten alte bestehende Aufgaben zurückgeführt werden Umstrukturierungen, die jetzt auf Ihren Druck durch müssen, sind wir der Meinung, daß das getan werden das BMFT allein aus fiskalischen Gründen betrieben muß. Aber der erste Schritt muß das neue Konzept worden sind, auf Dauer weiterkommen. Meine sein. Der zweite Schritt muß dann die finanzielle Damen und Herren, ein Strukturkonzept „ Großfor- Umsetzung sein. Es darf nicht zugelassen werden, daß schung 2000" zu erarbeiten, das hat eigentlich eine die Politik gegenüber den Großforschungseinrichtun- ganz andere Perspektive, als das hier in der Diskus- gen nur darin besteht, daß Geld eingesammelt sion von seiten der Koalition zum Ausdruck gekom- wird. men ist. Schönen Dank. Wir müssen doch nüchtern zur Kenntnis nehmen, (Beifall bei der SPD) daß sich die Forschungslandschaft in Deutschland seit Ende der 60er Jahre grundlegend geändert hat. Sie ist Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- sehr viel gegliederter, sehr vielschichtiger geworden. ordnete Dr. Martin Mayer. Wir öffnen uns zur Zeit für die Entwicklung einer europäischen Forschungslandschaft, wo auch die Frage, wie deutsche Großforschungseinrichtungen in Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Herr der europäischen Landschaft ihren Platz finden, Präsident! Meine Damen und Herren! Auslöser für die beantwortet werden muß. laufende Debatte über Großforschungseinrichtungen sind nicht etwa Fehlentwickungen bei diesen Einrich- (Beifall bei der SPD) tungen, sondern sind die deutsche Einheit und die Leistungen, die auch die Großforschungseinrichtun- Wir stellen uns diese Aufgaben als Anforderungen an gen dafür erbringen müssen, daß wir in der ehemali- eine solche Kommission vor. Wir brauchen eine klare gen DDR die Folgen von 40 Jahren realen Sozialismus Standortbestimmung der Großforschung in der deut- schen und europäischen Forschungslandschaft. beseitigen müssen. Die Mitarbeiter der Großforschungseinrichtungen Wir möchten, daß dabei folgende Dinge — lassen haben dazu große persönliche Opfer gebracht. Da Sie mich das zum Abschluß kurz sagen — besonders könnte ich Beispiele vom Hahn-Meitner-Institut in berücksichtigt werden: Berlin und von der GSF in Oberschleißheim und Erstens. Wir wissen heute, daß neue Generationen anderen aufzählen. von Großgeräten immer stärker europäische oder Die Großforschungseinrichtungen müssen aber weltweite Gemeinschaftsprojekte werden. Diese Per- auch einen finanziellen Beitrag leisten, so schwer das 6624 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) auch fällt. Ich nenne das Stichwort Einfrieren des ohnehin zusätzliche finanzielle Mittel bereitgestellt Haushalts, was letztlich auch eine reale Absenkung werden — ich nenne beispielsweise die Sicherung der der grundfinanzierten Kapazitäten bedeutet. Kernkraftwerke in Osteuropa —, verstärkt freie Kapa- In einer solchen Situation, in der der zu verteilende zitäten aus den Großforschungseinrichtungen einset- Kuchen kleiner wird, lebt natürlich die Diskussion zen sollten, statt neue Institutionen zu schaffen. Ich über die Bedeutung der einzelnen Aktivitäten auf. Es meine, auch das ist eine Sache, über die wir nachden- muß begründet werden, warum der eine ein größeres ken sollten. Auch die Betreiber von Kernkraftwerken Stück bekommt, während beim anderen etwas mehr im Inland sollten einmal darüber nachdenken, ob sie weggeschnitten wird. freie Kapazitäten jetzt nicht nutzen könnten, um in der Frage der Entsorgung von Kernkraftwerken schneller In dieser Diskussion hat der Minister im September voranzukommen, als dies gegenwärtig der Fall ist. vergangenen Jahres vor dem Ausschuß für Forschung und Technologie Zielvorgaben gemacht, die sich mit Letztlich sollten wir über alle diese Bereiche vorur- zwei Schlagworten umschreiben lassen: Konzentra- teilsfrei nachdenken. tion auf die spezifischen Aufgaben; Rückzug aus den Insgesamt müssen wir anerkennen, daß die Groß- Bereichen, die eben nicht spezifisch sind, wozu auch forschungseinrichtungen schon bisher große Anstren- bestimmte Bereiche der Technologieentwicklung gungen unternommen und bei der Einwerbung von gehören. Drittmitteln auch Gewaltiges geleistet haben, aber Er hat damals und auch heute die Instrumente auch bei der Anpassung an veränderte Verhältnisse. genannt, die sich mit den Worten umschreiben lassen: Die GSF in Neuherberg hat beispielsweise von 1983 Erweitern des Handlungsspielraums; Erleichterung bis 1990 neun Institute oder Abteilungen mit 150 Mit- des Finanzmanagements; Verwaltung beweglicher arbeitern geschlossen und dafür wieder neue Institute machen. gegründet. Die Großforschungseinrichtungen haben sich damit den Herausforderungen gestellt. Ich meine, Es wird aber auch notwendig sein, daß die Großfor- das verdient auch einmal Anerkennung für die Wis- schungseinrichtungen verstärkt Drittmittel einwer- senschaftler, für die Verwaltung und letztlich auch für ben, insbesondere auch aus dem Bereich der EG. die Personalvertretung. Das, was sie bisher geschaffen Wenn man sich vorstellt, daß sich der EG-Forschungs- haben, gibt auch Hoffnung für die Zukunft. haushalt in den letzten vier Jahren praktisch verdop- pelt hat, daß in den nächsten Jahren eine weitere Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutsch- erhebliche Ausweitung des EG-Forschungshaushal- land nimmt in der Forschung eine Spitzenstellung ein. tes erfolgt, sind die Großforschungseinrichtungen Die Großforschungseinrichtungen haben dazu ihren durchaus gefordert. Es bietet sich auch für diese Beitrag geleistet. Es ist deshalb wichtig, daß wir die Forschungsinstitute so meine ich — eine große Umbruchsituation rasch bewältigen. Dabei ist es kein Chance zur europäischen Zusammenarbeit. Weg, neue Gremien. z. B. eine Strukturkommission, zu schaffen, wie es die SPD vorgeschlagen hat. Diese Bei der Ausweitung der Drittmittelforschung wird Strukturkommission wäre ein neuer schwerfälliger natürlich die Frage der steuerlichen Behandlung noch Apparat. Es ist halt die alte Leidenschaft der SPD, zu virulenter und noch bedeutender. Ich kann mich hier glauben, daß man mit mehr Bürokratie Probleme löst. aber auf das beziehen, was der Kollege Laermann Das Gegenteil ist der Fall. In einer Welt, die sich dazu gesagt hat. Die Drittmitteleinwerbung durch ständig verändert, kann es auch nie eine endgültige diese Großforschungseinrichtungen muß steuerfrei Organisation geben, sondern der Prozeß der Anpas- bleiben. sung wird ein ständiger Prozeß sein. Nun werden die Mittelständler sagen, das führe zu (Beifall bei der CDU/CSU) Wettbewerbsverzerrungen. Ich halte dem entgegen: Wenn sich die Großforschungseinrichtungen auf ihre Wir können jetzt die Großforschungseinrichtungen Aufgaben konzentrieren, dann können sie mit Wirt- auch nicht mit einer Technologiefolgenabschätzung schaftsbetrieben überhaupt nicht in Konkurrenz tre- neu belasten. Dabei stellt sich die SPD die Technolo- ten; im Gegenteil, die Erfahrung zeigt, daß sie sozu- giefolgenabschätzung ja immer so á la Ökoinstitut, sagen ideale Partner für Wirtschaftsunternehmen Freiburg, vor, sind, weil sie gerade die Einrichtungen haben und die (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Karlsruhe Bereiche der Forschung betreiben, die Privatbetriebe, und Jülich machen das doch schon längst!) insbesondere kleinere Privatbetriebe, nicht betreiben können. Wenn Sie nach Baden-Württemberg oder bei der die Gefahren überzeichnet und die Chancen nach Bayern — das kenne ich besser, weil es meine verschwiegen werden. Ich kann nur sagen: Das ist Heimat ist — schauen — in anderen Bereichen wird es falsch. nicht anders sein —, dann sehen Sie, daß Großfor- Die Verantwortung für die Forschung müssen die schungseinrichtungen Kristallisationspunkte für an- Politiker gemeinsam mit den betreffenden Wissen- dere Wirtschaftsbereiche sind, die sich mit der For- schaftlern tragen. Ich bin der Meinung, daß die GFE schung im besonderen beschäftigen. fähig sind, die Herausforderungen der Zeit zu bewäl- Wenn wir von der Drittmitteleinwerbung reden, tigen und daß die Politiker und die Großforschungs- müssen wir uns natürlich auch einmal überlegen, ob einrichtungen in einer schrittweisen Annäherung man nicht auch bestimmte Anreize für Mitarbeiter — wie das bereits im Gange ist — diese Probleme schaffen sollte, die Drittmittelforschung zu verstärken. lösen können. Dabei sind in den Großforschungsein- Wir müssen auch überlegen, ob wir nicht für Bereiche, richtungen auch die Verwaltungen und die Personal- die ohnehin bewältigt werden müssen und für die räte mit einzuschließen, wenn es darum geht, auf Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6625

Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) diesem Weg zu einer Lösung zu kommen und nach Sie uns hier als erfolgreiche Politik versucht haben zu den politischen Vorgaben die Möglichkeiten abzu- verkaufen. Insgesamt recht blaß! schätzen. Meine Kollegen Mosdorf und auch Catenhusen Die Großforschungseinrichtungen müssen auch in haben es gesagt: Seit 1984 sind dieser Forschungs- Zukunft die Lokomotiven des technischen Fort- minister und diese Bundesregierung in einer soge- schritts in unserer Republik bleiben. Die Koalitions- nannten Magerkur. fraktionen haben dazu den richtigen Weg aufgezeigt. (Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ Wir werden diesen Weg gemeinsam mit der Bundes- regierung gehen. CSU]: Das stimmt doch nicht!) (Josef Vosen [SPD]: Gehen müssen!) Seit 1984 speckt er kontinuierlich ab. Man kann es ja auch sehen: Viel ist nicht mehr dran. Das Problem ist Die Großforschungseinrichtungen werden ihren Bei- also: Haushaltstechnisch hat er Jahr für Jahr Finanz- trag zum Standort Deutschland leisten. Sie werden mittel verloren. So trifft ihn dann die deutsche Einheit ihren Beitrag dazu leisten, daß es uns auch in Zukunft abgemagert, ausgemergelt und unvorbereitet, gutgeht. (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sehr gut! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ CSU]: Sprechen Sie von der SPD?) Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- in einer Zeit, in der man finanztechnisch Speck auf ren, ich möchte an dieser Stelle, bevor ich dem den Rippen haben müßte, um denjenigen, die jetzt Kollegen Vosen das Wort gebe, eine Bemerkung Hilfe brauchen, nämlich unseren Freunden in den machen. Der amtierende Präsident ist oft genötigt, neuen deutschen Ländern, einmal eine anständige Unruhe zu bezwingen und dann Kollegen dafür auch Blutübertragung zukommen zu lassen. Das ist gar noch namentlich anzugehen. Eine Debatte über ein nicht mehr möglich. solches ernsthaftes Sachthema in aller Herrgottsfrühe (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Jupp, du verführt nicht gerade zu besonderer Unruhe, im hast besser vorgesorgt!) Gegenteil. Heute hat sich der Kollege Vosen — ich Wenn nämlich die Finanzen des Forschungsministers finde, so etwas sollte man auch einmal rühmen — , so abgemagert sind, wie will er denn da helfen? verdient gemacht, Ruhe zu überwinden. Das Problem ist: Es fehlt eine Milliarde. Das wissen (Heiterkeit — Brigitte Baumeister [CDU/ wir alle; das weiß auch der Forschungsminister. Er hat CSU]: Das spornt ihn jetzt aber an!) sie beantragt; aber er hat sie nicht bekommen. Das Ich weiß, daß es nicht ganz ungefährlich ist, so etwas weiß der Forschungsminister. Der Finanzminister hat vor Ihrer Rede zu sagen. sie ihm verweigert, wie viele Jahre vorher die notwen- Herr Kollege Vosen, Sie haben das Wort. digen Mittel verweigert worden sind. Nun fehlt nicht nur das Geld. Das kann man manchmal mit Kreativität und Ideen ausgleichen. Josef Vosen (SPD): Herr Präsident, vielleicht darf Nein, es fehlen auch die Ideen für die Zukunft. Das hat ich das noch ohne Zeitabzug sagen: Ich bedanke mich mein Kollege Mosdorf sehr treffend beschrieben. für dieses Lob. Ich habe Sie nämlich vor einigen Tagen im deutschen Fernsehen erleben dürfen, wo Sie sich (Beifall des Abg. Horst Kubatschka [SPD]) beklagt haben, daß keiner mehr im Parlament war. Da Auch die Zukunftsvisionen, so wie es Herr Catenhu- muß ich feststellen: Das Lob tut mir gut. Daß Sie heute sen ausgedrückt hat, sind nicht vorhanden. So ver- so etwas sagen, tut vielleicht auch dem Parlament gut. sucht man dann, ohne Konzept und ohne Geld die Herzlichen Dank! Dinge zu regeln. Was dabei herauskommen muß, ist (Zuruf von der CDU/CSU: Bisher stimmen allen klar, nämlich ein Ausschlachten, ein Abbauen wir zu!) bewährter Einrichtungen in unserem Lande, in der alten Bundesrepublik. Der Aufbau der neuen Einrich- Ich darf jetzt zu meiner Rede kommen. Ich weiß, daß tungen in den neuen deutschen Ländern kann eben- der Forschungsministerjetzt gleich noch einmal reden falls nicht in dem Maße geschehen, wie es erforderlich möchte. Als letzter möchte er das tim. Ich hatte ihm wäre; denn es gibt keine Finanzen, keine Konzepte, angeboten, das noch vor mir zu tun. Das wollte er keine Visionen. nicht, Ich muß sagen: Die Rede der Kollegin Baumeister (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Hört! hat mir gut gefallen. Hört! Das ist aber unse riös! — Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Er (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Danke!) möchte das letzte Wort haben!) Vielleicht tut sich ja etwas in der Union; vielleicht sind vielleicht weil er eine Kommentierung seines letzten die Frauen vorne. Wir werden uns überraschen lassen, Wortes fürchtet. Aber gut, lassen wir uns überra- wie es weitergeht. schen! Große Fehler hat diese Regierung, besonders der Ich möchte sagen, Herr Riesenhuber: Das, was Sie Forschungsminister, begangen. Ich erinnere mich, hier vorgetragen haben — vielleicht war es etwas wie er mit seiner Chip-Chip-Hurra-Einstellung die früh —, war doch recht blaß. Sie haben die Möglich- Weltraumfahrt vorantrieb. Er war ja eine Zeitlang keit, das gleich zu korrigieren. Aber ich denke, es ist Ratsvorsitzender in der ESA. In dieser Zeit hat er mit genauso blaß gewesen wie die Politik schlechthin, die stolz geschwellter Brust und gerader Fliege uns weis- 6626 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Josef Vosen gemacht, daß diese Weltraumfahrt Europa ist. Wenn In der Klimaforschung bemüht sich jetzt der For- wir heute sehen, daß auch er, wo er nicht mehr schungsminister. Er ist sogar selber durch das Ozon- Ratsvorsitzender ist, bei den Vorhaben abspecken loch geflogen; er hat es bewundert, er hat es gesehen. muß — wie ja alles abgespeckt wird —, dann wissen Nur, was dann in der Klimaforschung passiert, ist, muß wir, daß das Chip-Chip-Hurra nicht in die Zukunft ich sagen, recht wenig. führt. (Horst Kubatschka [SPD]: Das sei alles nicht Von daher kann ich sagen: Man hat die Ressourcen, so schlimm, hat er gesagt!) die vorhanden waren, für Vorhaben eingesetzt, die Deswegen haben wir uns bemüht, in Kürze Initiativen man nicht zu Ende bringen wird. Das ist auch schon in Sachen Ozonforschung mit auf den Weg zu brin- früher passiert, z. B. in der Energiepolitik: Man hat zu gen. - lange an der Kernenergie und der Kernforschung Auch beim GATT ist es höchste Eisenbahn, daß wir festgehalten, die, so denke ich, noch zu einem Zeit- uns melden; denn das, was jetzt vorgesehen ist, hätte punkt viele Ressourcen beansprucht hat, als wir für uns zur Folge, daß wir in der Mikroelektronik, in Sozialdemokraten schon lange gesagt haben: Kehrt der Informationstechnologie, bei einem Fördersatz um! Macht dort nicht weiter! Geht in moderne Berei- von 25 %, wie es geplant ist, die Aufholjagd zu Japan che hinein! niemals mehr gewinnen können. (Dr. -Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Euch Ich denke also, daß eine ganze Reihe von modernen ist das auch erst 1981 eingefallen!) Themen, z. B. die ökologische Wirkungsforschung, völlig brach darniederliegen. Es ist traurig, daß die So ist z. B. die Mikroelektronik, die Informations- Großforschungseinrichtungen, die erhebliche Bei- technologie träge leisten könnten, heute im Grunde genommen (Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Noch den Spartopf für diesen zu knappen Forschungshaus- nie etwas von Klimaveränderung gehört?) halt darstellen. sehr abgeschlagen. Wir haben kaum noch Chancen, Karlsruhe ist angesprochen worden. Ich will Ihnen in die großen Bereiche dieses Marktes, der Wissen- ein anderes Beispiel nennen, und zwar Jülich: Dort hat schaft und der Forschung hineinzukommen. man für ungefähr 90 Millionen DM ein Großgerät namens COSY installiert. Man hat dieses Ding dahin- (Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [F.D.P.]: Ihr gestellt, wobei jetzt die Mittel, nämlich weitere habt da doch investiert; Ihr wart das doch!) 20 Millionen DM, für die entsprechenden Geräte, die — Nein, Herr Laermann, es tut mir leid, wir haben man dort braucht, um zu messen, nicht zur Verfügung kaum noch Chancen. Die Regierungsparteien, zu stehen. Das heißt, man ist gar nicht mehr in der Lage, denen auch Sie gehören, Herr Laermann, haben diese die Investitionen in den Großforschungseinrichtun- Politik leider jahrelang, wenn man so will: in Vasal- gen überhaupt noch richtig zu nutzen. Das Gerät steht lentreue abdecken müssen. Die Kritik, die ab und zu da, und die Mittel fehlen, um es zu benutzen. So sieht der Kollege Lenzer geäußert hat, wurde niederge- die Praxis aus. Ich kann darin keinen Sinn und keine macht; auch das ist uns bekannt. Methodik erkennen außer das Plattmachen, das Zurückfahren und das Schneiden mit dem Rasenmä- (Zustimmung bei der SPD) her. Es gibt keine Konzeption im einzelnen, so wie wir es in unserem Antrag gefordert haben. Er hat sich dann anschließend nicht mehr getraut. Die Politik der Bundesregierung ist, was die For- (Christian Lenzer [CDU/CSU]: Das habe ich schung angeht, ein einziges Fiasko. Ich bedaure nicht verdient! — Heiterkeit) außerordentlich, daß dies so ist. Hätten wir nicht die Von daher haben wir eine Politik erlebt, die sich guten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in heute, wenn man so will, ohne jede Zukunftsvision den Großforschungseinrichtungen, an den Universitä- darstellt. ten und in der Industrie, bei Max-Planck- und Fraun- hofer-Instituten, Wir haben in der Mikroelektronik, international (Christian Lenzer [CDU/CSU]: Die Bürger betrachtet, einen Abfall festzustellen. In der Ver- meister nicht zu vergessen!) kehrsforschung — der Kollege Mosdorf interessiert sich dafür — sind wir förmlich festgefahren. dann wäre es um unsere Forschung böse bestellt; denn diese Regierung leistet selber keinen vernünftigen (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist Beitrag. wahr, trotz Transrapid!) Herzlichen Dank. Da stehen wir im Stau, da tut sich nichts; eine (Beifall bei der SPD) Verkehrsforschung sehen wir nicht.

Auch in der Umweltforschung sind wir nicht gut Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Bundes- vorangekommen, selbst wenn hier immer gesagt wird: minister für Forschung und Technologie, Dr. Heinz Wir haben die finanziellen Mittel verdoppelt. Wenn Riesenhuber. ich statt einer Mark zwei Mark zur Verfügung stelle, so habe ich eine Steigerung von 100 %, dann habe ich das verdoppelt; aber die Basis ist doch recht schwach. Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesminister für For- Ich denke, daß der Bundesforschungsminister auch schung und Technologie: Meine sehr verehrten hier ein wenig, wie es seine Art ist, übertreibt. Also, Damen und Herren! Es war doch sehr erfrischend, auch das alles ist sehr bescheiden. eine solche Fülle von falschen Argumenten zu hören. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6627

Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber I Ich darf einmal einige der Punkte aufgreifen, die zu überlegen haben, ob das, was er tut, an der angesprochen worden sind. Es ist hier gesagt worden, richtigen Stelle erfolgt, und ob das, was er tut, für in den letzten zehn Jahren habe es keinen Wandel in Deutschland in der internationalen Zusammenarbeit den Großforschungseinrichtungen gegeben; dies wichtig und hilfreich ist. alles stagniere. Herr Vosen hat hier darauf hingewiesen, daß der Jetzt möchte ich einmal das einzige Beispiel auf- Haushalt in einer verheerenden Weise abgespeckt greifen, das hier angesprochen worden ist. worden sei. (Zuruf von der SPD: Wer hat das gesagt?) (Josef Vosen [SPD]: So ist es!) — Herr Catenhusen. In der Zeitdauer von zehn Jahren Jetzt möchte ich Ihnen einmal sagen, was wir abge- — so haben Sie es dargestellt — habe es Versäum- speckt haben. Wir haben die Nuklearforschung abge- nisse gegeben; wir hätten keine Anstöße gegeben; es speckt, und zwar von 1,485 Milliarden DM auf weni- sei nichts Neues entstanden. ger als 300 Millionen DM, wenn man die Altlasten abzieht, die wir geerbt haben. (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: „Keine Vision" habe ich gesagt!) (Josef Vosen [SPD]: Zu spät! — Zuruf von der SPD: Jetzt wollen Sie es wieder erhöhen!) — Moment, wir sprechen gleich noch über die Vision. Was haben wir ferner abgespeckt? Wir haben die Förderung von Großunternehmen von 2,9 auf 1,1 Wenn man Anstrengungen wie in der KfK, dessen Milliarden DM gekürzt. Was haben wir dafür getan? Kernforschungsanteil von 70 auf 20 % reduziert wor- Wir haben, aufbauend auf unseren Visionen, eine den ist, und die im Bereich der Klima- und der grundsätzliche Strukturänderung des Haushalts und Umweltforschung und der verschiedenen Technikbe- der Politik vollzogen. Wir haben den Anteil der reiche Neues aufgegriffen hat, nicht einbezieht, Umweltforschung mehr als verdoppelt. kommt man zu solchen Urteilen. Wenn Sie hier, wie geschehen, sagen, auf dem Es ist hier gesagt worden, es gebe kein Konzept in Gebiet der Klimaforschung geschehe wenig, dann bezug auf die ökologische Erneuerung. Dies ist ein sage ich Ihnen: Unser Klimaforschungsprogramm ist Bereich, in dem wir grundsätzliche, neue Fragen umfassender als alle Klimaforschungsprogramme umfassend aufgegriffen haben. Das, was wir hinsicht- aller EG-Partner zusammengenommen. lich der Waldschadensforschung, die es bis 1982 nicht gab, obwohl alle Welt voll war mit der Diskussion über (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Waldschäden, begonnen haben, wurde jetzt in den Wir verflechten sie, weil wir dies für wichtig halten. Ökosystem-Forschungszentren mit wesentlicher Be- teiligung der Großforschungseinrichtungen aufge- Wir haben den Anteil der Gesundheitsforschung baut. mehr als verdoppelt. Wir haben dort Prioritäten gesetzt, wo staatliche Aufgaben zu erfüllen sind. Es Herr Kollege Mayer hat darauf hingewiesen, daß es war nie unser Ehrgeiz, die Landschaft durch zusätzli- bei der GSF einen grundsätzlichen Wandel gegeben che staatliche Mittel zu überschwemmen. Es war hat und daß sie völlig neue Themen aufgegriffen hat. vielmehr unser Ehrgeiz zu erreichen, daß sich der Wir haben einen großen Wandel in vielen Bereichen. Staat auf die Aufgaben zurückzieht, die er grundsätz- Es gibt eine neue Struktur der Gesellschaft für Biolo- lich zu erfüllen hat, und das hat der Wirtschaft und der gische Forschung und eine neue Struktur der Gesell- Wissenschaft genutzt. schaft für Mathematik und Datenverarbeitung. Hier ist eine große Vielfalt von Ansätzen neu geschaffen Sie haben gesagt, es herrsche ein verheerender worden. Das war das, was wir uns vorgenommen Zustand. Beschreiben Sie doch einmal die Landschaft, hatten. die vor uns liegt! Schauen Sie sich doch einmal an, wo wir sind! In jedem Jahr seit 1984 ist unsere Wissen- Herr Catenhusen, ich kann leider nicht alles im schaft besser geworden. Wir haben die Aufholjagd in einzelnen aufzählen. Aber nicht jede Technik, die der Biotechnologie vorangebracht. Wir hatten — mit Deutschland hilft, ist in der Großforschung optimal zu einer Ausnahme — in jedem Jahr seit 1984 einen, zwei Hause. oder drei Nobelpreisträger. Ich sage nicht, daß wir uns (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Richtig!) deswegen auf die Schulter klopfen dürften, aber das Entscheidende ist, daß die Wissenschaftler begeistert Wo Mikrosystemtechnik richtig angesiedelt wird, darüber sind, was sie hier leisten können und daß sie d. h. in welchem Zusammenspiel zwischen Einrich- sich hohe und ehrgeizige Ziele setzen. tungen und Unternehmen, das müssen wir noch herausfinden. Aber eines muß ich hier sagen: Wir Unsere Forschungspolitik hat über Jahre hinweg haben 15 Monate vor MITI die Mikrosystemtechnik nicht den Staat in den Mittelpunkt gestellt, sondern sie hier in Deutschl and mit einem Programm gestartet. hat gedient. Damit ist der Erfolg unserer mittelständi- Auch nach der zwischenzeitlichen Diskussion ist dies schen Unternehmen mit High-tech-Produkten auf den das beste Programm weltweit. Wir greifen es auf und Märkten größer geworden. Unsere Wissenschaft ist im schaffen Verbindungen zwischen Institutionen und internationalen Verbund prägend für Europa. Das ist Unternehmen. Genau dieser Verbund ist erforderlich. ein Grund für den Erfolg unserer Wirtschaft. Aber Es geht nicht darum, was wir in irgendwelche Groß- auch unsere Arbeit für eine bewahrenswerte Umwelt forschungseinrichtungen hineinstopfen; wir müssen ist von Erfolg gekrönt. vielmehr prüfen, wo Zukunft entsteht. Jeder, der an Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung. Herr einer Stelle arbeitet, an welcher auch immer, wird sich Mosdorf hat darauf hingewiesen, wir würden plafon- 6628 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber dieren, und zwar auch im nächsten Jahr. Genau das gramm und mit der Aufnahme der neuen Länder in die tun wir. Wir plafondieren, wie wir es gesagt haben, Rahmenplanung des Hochschulbauförderungsgeset- zum Teil bis 1995. Aber innerhalb dieser Plafondie- zes allein nicht getan ist. Der Bund wird den neuen rung differenzieren wir. Es wird Großforschungsein- Ländern darüber hinaus mit Rat und noch mehr Taten richtungen geben, die schon bis 1995 — trotz begrenz- zur Seite stehen müssen, wenn er die Einheitlichkeit ter Möglichkeiten der Gestaltung — einen Zuwachs in der Lebensverhältnisse herstellen will. der Größenordnung von 7, 10 oder 12 % zu verzeich- Wenn die SPD-Bundestagsfraktion heute mit einem nen haben werden, während andere Abstriche hin- Antrag zur Stärkung der Wissenschafts- und For- nehmen müssen. Hinsichtlich dieses Konzepts besteht schungslandschaft in den neuen Ländern und im grundsätzlich Konsens mit den Großforschungsein- geeinten Deutschland die Bundesregierung auffor- richtungen. dert, bis Ende Mai dieses Jahres einen Be richt vorzu- Unsere Aufgabe ist es, die Zukunft zu gestalten, legen, in dem auch die Umsetzung der Empfehlungen nicht aber den Staat in den Mittelpunkt zu stellen. So des Wissenschaftsrats und die damit verbundenen haben wir es immer gehalten. Entscheidungen von Bund und Ländern sowie die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) geplanten weiteren Maßnahmen dargelegt werden sollen, so wollen wir dazu den Anstoß geben. Wir können es uns nicht leisten, daß die Hochschulen in Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- den neuen Ländern die Chance verpassen, in For- che. schung und Lehre so schnell wie möglich einen Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorla- Standard zu erreichen, der den jungen Menschen dort gen auf den Drucksachen 12/1724 und 12/2064 an die gleichwertige Zukunftschancen bietet. in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Es erhebt sich kein Wir wollen mit unserem Antrag gleichzeitig Trans- Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so parenz im Verfahren herstellen. Im Ausschuß haben beschlossen. wir bereits einen Bericht des Bundesbildungsmini- sters erhalten. Wir möchten aber gern wissen, was die gesamte Bundesregierung will und was sie mit den Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: Ländern verabredet hat. Wir möchten auch gern den Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris gesamten Bundestag und die Öffentlichkeit an der Odendahl, Josef Vosen, Eckart Kuhlwein, wei- Entscheidungsfindung beteiligen. Das ist auch des- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD halb notwendig, weil wir rechtzeitig für die nächsten Stärkung der Wissenschafts- und Forschungs- Haushalte die Konsequenzen ziehen müssen. landschaft in den neuen Ländern und im geein- Wir glauben schließlich, daß es höchste Zeit ist, daß ten Deutschland die neuen Länder kritischer mit der Übertragung des — Drucksache 12/1983 — westdeutschen Hochschulsystems umgehen. Viel- Überweisungsvorschlag: leicht ließe sich dann noch einiges von dem retten, was Auschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) z. B. in der alten DDR im Studium effektiver gewesen Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- ist als in der alten Bundesrepublik. schätzung Es ist unbestritten, daß der Wissenschaftsrat seit Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die dem Juli 1990 mit seinen Empfehlungen zur Hoch- Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Auch dage- schulstruktur hervorragende Arbeit geleistet hat. gen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so Aber es konnte gar nicht ausbleiben, daß dieses beschlossen. Expertengremium dabei in erster Linie das bekannte Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abge- westdeutsche System auf die neuen Länder übertra- ordneten Eckart Kuhlwein das Wort. gen wollte. Dabei wurde offenbar verdrängt, daß auch die Hochschule in den alten Ländern in einer tiefen Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Krise steckt, die nicht nur mit dem Mangel an flächen- verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für bezogenen Studienplätzen und an Personal zu tun Bildung und Wissenschaft hat gestern in der Leipziger hat. Universität mit Akteuren und Be troffenen des Die einmalige Chance, mit der Wiedervereini- Umbaus der Hochschullandschaft in den neuen Län- gung Deutschlands das Hochschulwesen vor dern diskutiert. Ich weiß nicht, ob wir in der Lage sind, allem in seiner Organisationsstruktur zu refor- aus dem Gehörten ein gemeinsames Fazit zu ziehen. mieren und es für das vereinte Europa in seiner Ich jedenfalls bin erschrocken, welche gewaltigen Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, wurde ver- Aufgaben dort noch vor uns liegen. Ich ziehe daraus geben. den Schluß, daß sich auch der Deutsche Bundestag bei der Lösung dieser Aufgabe sehr viel stärker als bisher So heißt es in einem Papier der SPD-Fraktion im engagieren muß. sächsischen Landtag. Wo kreative Weiterentwicklung gefragt war, ist Anpassung verordnet worden. Der Umbau eines 40 Jahre lang ideologisch ausge- richteten und von oben ständig gegängelten Hoch- In seinem Bericht vor dem Bildungsausschuß hat schulsystems wirft offenbar sehr viel mehr Schwierig- Minister Ortleb z. B. bedauert, daß es nicht möglich keiten auf, als es sich die Bundesregierung beim gewesen sei, in den Empfehlungen des Wissen- Abschluß des Einigungsvertrages träumen ließ. Fest schaftsrats „die besonderen Stärken der ostdeutschen steht jedenfalls, daß es mit Empfehlungen des Wissen- Hochschulen in der Hochschullehre, z. B. in Gestalt schaftsrates, mit einem Hochschulerneuerungspro- der Seminargruppen, der intensiven Betreuung der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6629

Eckart Kuhlwein Studenten und der didaktischen Aufbereitung des sofort zu übernehmen und ihr heute zuzustimmen —, Stoffes, aufzuarbeiten und für eine gesamtdeutsche schon im nächsten Bundeshaushalt seinen Nieder- Hochschullandschaft fruchtbar zu machen". Das schlag finden kann. Ich hoffe, daß die Koalition nicht Ergebnis dieses Versäumnisses wird sein, daß auch in nur in der Analyse der Probleme — da waren wir uns den neuen Ländern statt früher knapp fünf künftig in , glaube ich, weitgehend einig , sondern sieben Jahre im Durchschnitt studiert wird. Nicht zu auch in den politischen Schlußfolgerungen mit uns Unrecht ist in den neuen Ländern vielfach die Frage übereinstimmt. aufgeworfen worden, ob und wann die Hochschulen Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. in den alten Ländern evaluiert werden. (Beifall bei der SPD) Über dem Umbau dürfen wir aber den Ausbau des Hochschulsystems nicht vergessen. Die Wissen- - schaftspolitik muß in der Gesellschaft und bei den Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort der Finanzpolitikern rechtzeitig ihren fundierten Bedarf Abgeordneten Maria Eichhorn. anmelden. Ein weiteres Jahrzehnt der Vertröstung auf das Licht am Ende des Tunnels können wir uns nicht Maria Eichhorn (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine mehr leisten. Die Gesellschaft der Zukunft braucht Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der SPD mehr wissenschaftlich ausgebildetes Personal. Sie fordert die Bundesregierung auf, dem Deutschen braucht es wegen der wirtschaftlichen Wettbewerbs- Bundestag einen Bericht vorzulegen. Dieser soll die fähigkeit, wegen der notwendigen ökologischen Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu Hochschu- Erneuerung. Sie braucht es für den sozialen Zusam- len, Wissenschaft und Forschung sowie den bisheri- menhalt und die kulturelle Entfaltung. gen Stand der Umsetzung dieser Empfehlungen dar- Die bisher für die alten Länder genannte Ausbau- stellen. ziele bei den Studienplätzen entsprechen in keiner Gegen einen solchen Bericht ist sicherlich nichts Weise dem Bildungsinteresse und dem dauerhaften einzuwenden, doch erhebt sich die Frage, zu welchem Bedarf. Für die neuen Länder gibt es noch nicht einmal Zeitpunkt dieser vorgelegt werden soll. In der 22. Sit- solche Zielzahlen, obwohl jeder an seinen fünf Fin- zung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft gern abzählen kann, daß dort die aufgestaute Bil- — Sie haben das bereits angesprochen, Herr Kuhl- dungsbenachteiligung in eine gewaltige Bildungsex- wein — wurde schon über die Empfehlungen des pansion umschlagen wird. Wissenschaftsrates zur Hochschulstruktur in den neuen Ländern sowie die Durchführung des Er- Strukturreform und Ausbau des Hochschulsystems neuerungsprogramms für Hochschule und Forschung im Westen und im Osten sind angesagt. Wir brauchen diskutiert. Mittlerweise liegt auch ein Bericht des in dem neue Strukturen einen Hochschulgesamtplan, Wissenschaftsrates über den bisherigen Stand der entwickelt und neue quantitative Ziele vorgegeben Umsetzung der Empfehlungen vor. werden. Die Empfehlung des Wissenschaftsrates betrifft in Die Leistungsfähigkeit des Hochschulbereichs — so erster Linie die Länder. Wie wir am Mittwoch bei der hat Minister Ortleb vor dem Bildungsausschuß festge- Anhörung in Leipzig feststellen konnten, sind die stellt — hänge davon ab, ob es gelinge, dem Wissen- neuen Länder gerade dabei, die personelle und struk- schafts- und Hochschulbereich insgesamt im Konzert turelle Erneuerung der Hochschulen durchzuführen. der Staatsaufgaben einen ausreichenden Platz zu Ich denke, es ist sinnvoll, mit dem Bericht zu warten, sichern. Ich möchte ihn korrigieren und sage lieber: bis von dort konkretere Ergebnisse vorgelegt werden einen komfortablen oder einen zukunftsweisenden können. Platz. Aber wir kennen ja die Bescheidenheit dieses Der 21. Hochschulrahmenplan erkennt klar die Bildungsministers und wollen ihm das nicht nachrech- Notwendigkeit, den qualitativen und quantitativen nen. Wir interpretieren das hoffentlich gemeinsam so, Gesamtrahmen für den Ausbau des Hochschulwe- daß es der notwendige Platz ist, der gesichert werden sens neu zu überdenken. Gründe sind die neue muß. Dann gebe ich ihm recht. Situation nach der Wiedervereinigung, aber auch die (Beifall bei der SPD) entgegen früheren Prognosen weiter steigenden Stu- dentenzahlen. Die Festsetzung eigener Ausbauziele Aber dieser Platz ist nur zu sichern, Herr Ortleb, wenn für die neuen Länder ist möglich, sobald die erf order die zuständigen Minister und Ministerinnen in Bonn lichen Datenerhebungen abgeschlossen sind. Diese und in den Ländern endlich in die Offensive gehen. Datenermittlung, die derzeit durch die Länder erfolgt, Der Bund trägt, unbeschadet der Kompetenzvertei- ist auch Voraussetzung für die Kostenprognose, wie lung, auch für die Entwicklung der Wissenschafts- sie der Ausschuß gefordert hat. landschaft gesamtstaatliche Verantwortung. Die Bun- Die Umstrukturierung der Hochschulen muß desregierung muß diese Verantwortung endlich zunächst noch weiter vorangekommen sein, bevor ernsthaft wahrnehmen, wenn die Wissenschaft und Aussagen für eine längerfristige Ausbauplanung damit die Zukunft nicht nachhaltig Schaden leiden erfolgen können. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch sollen. nicht möglich, für den qualitativen Ausbaustand und Ich hoffe, meine Damen und Herren von der Koali- die Entwicklung der Hochschulen der alten und der tion, daß wir unseren Antrag im Ausschuß zügig neuen Länder vergleichbare Daten vorzulegen. beraten können, damit das, was wir am Ende beschlie- Grundlage für die Planung der Hochschulentwick- ßen — ich habe gehört, Sie hätten gewisse Sympathie lung in den neuen Ländern sind die Empfehlungen für diese Initiative, aber seien noch nicht bereit, sie des Wissenschaftsrates zur Struktur des Hochschul- 6630 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Maria Eichhorn wesens. Eine bundesweite Gesamtbetrachtung ist erst neuen Bundesländern sind daraufhin erfolgt. Der möglich, wenn die Planungen der Länder auf der Wissenschaftsrat hat hierzu wichtige Voraussetzun- Grundlage dieser Empfehlungen vorliegen. gen geschaffen. Dafür gilt unser Dank. Eines wissen wir jedoch heute bereits: Der Bundes- Meine Damen und Herren, wir sind uns dessen ansatz von 1,6 Milliarden DM im Haushalt von 1992 bewußt, daß in den nächsten Jahren noch viele für die Gemeinschaftsaufgabe „Aus - und Neubau von Probleme zu bewältigen sein werden. Die Umstruktu- Hochschulen" wird künftigen Anforderungen nicht rierung der Hochschullandschaft in den neuen Bun- mehr gerecht werden. Der Wissenschaftsrat fordert desländern bietet aber auch die Chance, über unser deswegen für 1993 einen Bundesanteil von 2 Milliar- gesamtes Bildungssystem nachzudenken. Angesichts den DM. Diese Aufstockung ist zum einen auf Grund der Tatsache, daß die Zahl der Studenten immer der Anforderungen in den neuen Bundesländern- weiter steigt, die der Auszubildenden aber sinkt, notwendig. müssen wir nach neuen Wegen suchen, um die berufliche Ausbildung wieder attraktiver zu ma- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD — chen. Eckart Kuhlwein [SPD]: Sehr richtig! Recht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. hat der Wissenschaftsrat!) — Doris Odendahl [SPD]: Da helfen wir Ihnen! Sie ist aber auch Folge weiter steigender Studenten- — Eckart Kuhlwein [SPD]: Dazu haben wir zahlen. eine gute Novelle zum HRG vorgelegt!) Angesichts dieser Entwicklung haben sich Bund — Wir werden uns sicherlich damit beschäftigen, Herr und Länder entschlossen, den Ausbau der Fachhoch- Kuhlwein. — Diese Diskussion betrachte ich als eines schulen zu forcieren, wofür zusätzliche Mittel erfor- der wichtigsten Themen in der nächsten Zeit. derlich sind. Ich nehme als Beispiel das Land Bayern, Die Fraktion der CDU/CSU empfiehlt die Überwei- das im Herbst letzten Jahres beschlossen hat, an acht sung des Antrages an den Ausschuß für Bildung und Standorten neue Fachhochschulen zu errichten, im Wissenschaft. Hinblick auf die weitere Entwicklung eine gute Ent- Danke schön. scheidung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Sie muß jedoch auch finanziert werden. Hinzu kommt der Ausbau der Hochschulen in den Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat Herr Abge- alten Bundesländern. Er darf nicht vernachlässigt ordneter Dr. Karlheinz Guttmacher. werden. Projekte, die im Bau sind, müssen weiter (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: vorangebracht werden. Am Beispiel meiner Heimat- Nomen est omen!) stadt Regensburg will ich dies verdeutlichen. Dort steht der dritte Bauabschnitt des Universitätsklini- kums an. Erst mit der Vollendung des Klinikums erhält Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Sehr geehrter die Hochschule eine voll ausgebaute und funktionsfä- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situa- hige medizinische Fakultät mit umfassendem Lehr- tion, in der sich der Aufbau einer neuen Wissen- und Forschungsbetrieb. schafts- und Forschungslandschaft in den neuen Bun- desländern befindet, kann anderthalb Jahre nach der Ich denke, es ist unbestritten, daß wir neben den deutschen Einheit von Bund und Ländern im wesent- verstärkten Anforderungen in den neuen Bundeslän- lichen positiv bewertet werden. dern auch den Ausbau in den alten Bundesländern kontinuierlich fortführen müssen. Daher richtet sich (Zuruf von der SPD: Na! Na!) unsere Bitte an den Herrn Bundesminister der Finan- — Schauen Sie bitte im Bericht nach. zen, sich unseren berechtigten Argumenten nicht zu Die Ergebnisse, die im haushaltsmäßigen, admini- verschließen. strativen und politischen Bereich in der Startphase (Eckart Kuhlwein [SPD]: Ist das nicht Ihr erreicht wurden, waren zufriedenstellend. Die Länder Parteivorsitzender?) haben aber in der nächsten Zeit unausweichliche praktische Probleme zu lösen, die sich sowohl durch In den nächsten Wochen beginnen die Vorbereitun- den Verwaltungsvollzug als auch aus den haushalts- gen zum Haushalt 1993. Wir wissen natürlich noch mäßigen Verpflichtungen für die Neuordnung der nicht, wie die Gewichte verteilt werden; denn der Forschungslandschaft ergeben. Wissenschaftsrat fordert zusätzliche Mittel z. B. für die Durch die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten Renovierung von Gästehäusern und den Bau von des begrenzten Finanzrahmens auf Bundes - internationalen Begegnungszentren in den neuen und Landesseite und die damit notwendigen Prioritäten Bundesländern. Zur Verbesserung der Leistungsfä- entscheidungen über Landesgrenzen hinweg sind higkeit der Hochschulen beantragt er ein Sonderpro- diese Divergenzen nicht zu vermeiden. So werden gramm. Dies sind nur einige von einer Vielzahl von Bund und Länder auf der Basis der Empfehlungen des Forderungen, die auf den Bundesfinanzminister Wissenschaftsrates, auf der Grundlage von Art. 38 des zukommen werden. Einigungsvertrags, der Hochschul- und Hochschuler- Bereits im Juli 1990 hat der Wissenschaftsrat erste neuerungsgesetze der neuen Ländern und des von Empfehlungen für die Weiterentwicklung von Wis- Bund und Ländern unterzeichneten Erneuerungspro- senschaft und Forschung im Zuge der Wiedervereini- gramms für Hochschule und Forschung einschließlich gung formuliert. Die ersten Weichenstellungen in den des Wissenschaftlerintegrationsprogramms — Art. 8 I Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6631

Dr. Karlheinz Guttmacher des HEP — die bisher praktizierte Gemeinsamkeit nikfolgenabschätzung und auch das BMBW und das beim Aufbau der neuen Institute fortsetzen. BMFT unterstützten dieses Anliegen und begrüßen die Ausdehnung des Art. 8 I HEP auf fünf Jahre. Ich möchte am Beispiel der Auflösung der Akade- mie der Wissenschaften die Neustrukturierung der Wenn man sich an den Instituten oder den Univer- Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern sitäten aufhält, wird immer hörbarer vorgebracht, daß skizzieren. Zum Jahreswechsel wurde die Akademie die Universitäten zwar die Personalkosten für die aus der Wissenschaften, die eine mit eigenen Instituten der Akademie zu übernehmenden Kollegen übertra- organisierte Forschungsstruktur hatte, aufgelöst. Es gen bekommen, nicht aber die Sachkosten. Ich entwickelt sich mit dem Beginn des Jahres 1992 eine glaube, wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, neue Forschungslandschaft in den neuen Bundeslän- inwieweit hier eine Nachbesserung erfolgen soll. dern mit folgenden aus öffentlichen Mitteln geförder- Die Forschungslandschaft in Deutschland hat sich ten Forschungseinrichtungen: Drei neue Forschungs- durch die Umsetzung der Empfehlungen des Wissen- einrichtungen, die bereits bestehen, haben sich um schaftsrates und die Maßnahmen der Max-Planck- acht neue, teilweise große Institutsteile ergänzt. Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft tief- 31 neue, vom Bund und von den Ländern gemein- greifend verändert. So wurden bereits derzeitig sam finanzierte Forschungseinrichtungen wurden Ankündigungen gemacht bzw. Vereinbarungen ge- errichtet, die einschließlich einer Serviceeinrichtung troffen, die jetzt gefällten Entscheidungen nach eini- in die Blaue Liste aufgenommen worden sind. Die gen Jahren zu überprüfen. neuen Länder gründen Landesforschungseinrichtun- Die außeruniversitäre Forschungslandschaft darf gen. Der Bund gründet eine neue Bundesressort- nicht isoliert entwickelt werden. Vielmehr muß es das Forschungseinrichtung und erweitert bestehende um Ziel sein, meine Damen und Herren, ein ausgewoge- Anstaltsteile. nes Verhältnis von Universität, außeruniversitäre Forschung und Forschung in der Wirtschaft zu Zwei Institute, zwei Außenstellen von Instituten schaffen. Bei Umsetzung des Hochschulerneuerungs- sowie 29 Arbeitsgruppen an Universitäten und eine programms ist die unmittelbare Verbindung zwischen Trägereinrichtung für die sieben vorgeschlagenen außeruniversitärer und universitärer Forschung anzu- geisteswissenschaftlichen Zentren werden durch die streben. Zum anderen wird es aber auch darauf Max-Planck-Gesellschaft geschaffen. Die Fraunho- ankommen, daß bei den wissenschaftspolitischen Pla- fer-Gesellschaft hat acht eigenständige Fraunhofer- nungen in den nächsten Jahren eine integrierte For- Institute, einen neuen Institutsteil und zwölf Außen- schungslandschaft entwickelt wird. stellen errichtet. Ich danke Ihnen. Zur Erforschung des Transformationsprozesses und zum Neuaufbau der Sozialwissenschaften in den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) neuen Ländern wurde von Sozialwissenschaftlern aus den alten und den neuen Bundesländern mit Unter- Vizepräsident Hans Klein: Als nächster hat der stützung des BMFT und des BMA die Kommission für Kollege Dr. Dietmar Keller das Wort. die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Ländern gegründet und zur Hälfte aus Projektmitteln des BMFT und des BMA in Höhe von Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- 6 Millionen DM gefördert. dent! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Antrag zu und halten es für notwendig und richtig, daß Die DFG hat ihr Fördergebiet mit Erfolg auf die -sich der Deutsche Bundestag mit der Wissenschafts neuen Länder ausgedehnt. Der Förderungsumfang und Forschungslandschaft in den neuen Ländern und beträgt 124,35 Millionen DM. 44,1 Millionen DM sind im geeinten Deutschland beschäftigt. Auf Grund glei- bereits 1991 eingesetzt worden. cher Erwägungen hat die PDS/Linke Liste ja eine Als eine wesentliche Voraussetzung für die Integra- Große Anfrage zur Bildungs- und Wissenschaftspoli- tion von Akademie-Personal in die Hochschulen wur- tik der Bundesregierung eingereicht. den mit dem Wissenschaftlerintegrationsprogramm Natürlich kann man — das ist in der Politik nor- bislang über 1 700 Förderzusagen erteilt. Hierfür sind mal — als Regierung und Opposition unterschiedliche im Jahr 1992 144,8 Millionen DM erforderlich. In Auffassungen über die Bewertung von Prozessen diesem Zusammenhang erscheint der Hinweis wich- haben. Wenn man nach der wissenschaftlichen Effi- tig, daß Hochschulen und Wissenschaftler, die im zienz fragt, nach dem, was die Wissenschaft eigentlich Wissenschaftlerintegrationsprogramm gefördert wer- ausmacht, dann sind wir uns, glaube ich, alle einig, den, sehr schnell aufeinander zugehen müssen, um zu daß es dringend notwendig ist, daß sich dieses Parla- vermeiden, daß durch Aufnahme von Wissenschaft- ment mit dieser Lebensfrage für das deutsche Volk lern aus der Akademie an den Hochschulen der sehr schnell beschäftigt. Personalabbau eigener Mitarbeiter zunimmt. Das Hauptproblem, daß ich sehe, besteht darin, daß Dies kann gelingen, wenn die Förderung nach die Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den Art. 8 I HEP so lange läuft, daß die Hochschulen nicht neuen Ländern — und da unterscheidet sich die schon Ende 1993 die vollen Kosten des ehemaligen Wissenschaft nicht von der Wirtschaft und anderen Akademiepersonals zu tragen haben und die Länder Bereichen des gesellschaftlichen Lebens — nach der Anreize für die Hochschulen z. B. durch einen Stellen- Wende naturgemäß schwere Erschütterungen erlitten pool schaffen, der für im Wissenschaftlerintegrations- hat. Das hängt — auch das ist normal — mit entschei- programm gefördertes Personal zweckbestimmt ist. denden Strukturveränderungen, mit der Reduzierung Der Ausschuß für Forschung, Technologie und Tech- der Anzahl der Professoren und Dozenten, mit Eingrif- 6632 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Dr. Dietmar Keller fen in den wissenschaftlichen Mittelbau, in inhaltliche das Ziel, eine einheitliche, ausgewogene und freie und methodische Fragen, in die Ausbildungs- und Wissenschafts- und Hochschullandschaft zu schaffen, Lehrzyklen zusammen; das hängt aber auch mit der erreicht? Sind die dazu vom Einigungsvertrag vorge- Neuprofilierung und Umprofilierung von Wissen- sehenen Schritte und Empfehlungen des Wissen- schaftsgebieten, dem Zusammenbruch von Wissen- schaftsrates und die Beschlüsse der Ausschüsse in die schaftsschulen und vielem ähnlichen mehr zusam- Tat umgesetzt worden? men. Eine vielfach behinderte Wissenschaft hatte wohl Mir scheint — auch deshalb unterstütze ich diesen kaum eine Chance, nach den Maßstäben einer freien Antrag —, die Unterschiede bzw. die Rückstände in und unbehinderten Wissenschaft evaluiert zu werden. den neuen Ländern gegenüber den alten Ländern Kann man von Chancengleichheit sprechen? sind nicht geringer geworden. Das ist normal, weil- Wissenschaft keine Indus trie ist. In der Wissenschaft Das Ergebnis: Von 74 000 Beschäftigten der indu- zahlt sich normalerweise erst in fünf bis acht Jahren strienahen Forschung und Entwicklung blieben aus, was man heute investiert. Um so notwendiger ist bedeutend weniger als ein Drittel übrig. Zahlreiche — es, daß wir, wenn wir über diese Frage sprechen, nicht natürlich nicht die schlechtesten — wanderten nach denken, es gehe jetzt vorrangig um eine Stärkung der Westdeutschland ab oder folgten dem Ruf ins Aus- Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den land. Andere gingen in technische Dienstleistungen; neuen Ländern. Vielmehr geht es im Augenblick aus die nennt man jetzt „überqualifiziert" . Der Rest ist meiner Sicht vor allem um die Herstellung ihrer vollen arbeitslos. Und das bei einer Industrie, in der nur Arbeitsfähigkeit, damit langfristig wirklich eine ein- knapp ein Viertel der Industrieerzeugnisse jünger als heitliche deutsche Wissenschafts- und Forschungs- zwei Jahre sind und nur jedes achte Unternehmen landschaft mit einer vollzogenen europäischen Öff- Produkt- und Prozeßinnovation durchführt. In der nung entstehen kann. alten BRD ist es jedes zweite. Herr Kuhlwein, mich hat der Besuch in Leipzig Die Prognose für die von den Be trieben losgelösten — Sie sind Realpolitiker; als solchen kenne ich Sie — Forschungs-GmbHs ist nicht gut; denn ihre Auftrag- nicht erschüttert. Wir wissen, wie schwierig solche geber sind verschwunden. Sie haben kein Startkapi- Eingriffe in die Wissenschaft und in die Hochschulen tal, aber Probleme mit dem Eigentum und mit sind. Und ich gestehe aus konkreter Erfahrung: Ich museumswürdiger Technik und Ausstattung. Ich weiß, was mit Hochschulreformen in der DDR alles frage Sie: Wie kann sich vor diesem Hintergrund der angerichtet wurde. Es wird jetzt sehr viel über die Staat aus der Verantwortung für diese Leute und für ideologische Indoktrinierung gesprochen, es wird den Industriestandort Ostdeutschland schleichen? über die Entmündigung der Wissenschaft gespro- Appelle an die westdeutsche Indus trie, 5 % ihres chen. Aber ich möchte auch daran erinnern, daß der Forschungspotentials an die ostdeutschen Länder zu Wissenschaft und den Hochschulen mit diesen Hoch- geben, haben erwartungsgemäß nichts gebracht. Im schulreformen einheitliche Modelle aufgezwängt Gegenteil: Dumpingpreise von finanzkräftigen West- worden sind, daß es administrative Entscheidungen firmen nehmen diesen jungen Betrieben noch die über Wissenschaftszweige, daß es Anweisungen zum Aufträge aus der Hand. Gesundschrumpfen von Wissenschaftsdisziplinen ge- geben hat, daß Wissenschaftsstandorte leichtfertig Nachgezogene Projektfördermittel, Überbrük- verändert worden sind usw. kungsfinanzierungen und geplante Innovationsför- derprogramme sind gut, sie dienen aber nunmehr nur Mir scheint, wir unterliegen der Gefahr, diese noch der Schadensbegrenzung. Fehler heute zu wiederholen. Wenn wir die Fehler wiederholen, wird das langfristig katastrophale Aus- (Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cro wirkungen für die Wissenschaftsentwicklung haben. nenberg) Ich glaube, Frau Eichhorn, über Zeitpunkte kann Strukturpolitische Programme von Anfang an, man immer sprechen. Es verlohnt sich nicht, darüber gemeinsam mit der Treuhand unter der Vision des zu sprechen, wenn die Ergebnisse in den neuen Erhalts einer wertvollen Wissenschaftslandschaft in Ländern so weit sind, daß man nur die Fortschritte den Regionen, hätte jedenfalls mehr gebracht. konstatieren kann. Ich kann mir vorstellen, daß wir zu einem relativ frühen Zeitpunkt im Ausschuß und im Die Abwicklung der ADW - Institute war eher ein Bundestag gemeinsam darüber beraten, damit kein Schlachtfest. Von 24 000 F- und E-Beschäftigten sind größerer Zeitverlust eintritt, der letztendlich in der 6 500 Mitarbeiter in Institute übernommen worden. Wissenschaft katastrophalere Folgen hätte als in allen Aus 2 000 versprochenen Stellen für das Wissen- anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. schaftlerintegrationsprogramm sind gerade 1 750 übernommen worden. Ich danke Ihnen.

- wurden von 2 500 ver- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Bei den Forschungs ABM sprochenen Stellen bisher nur 789 bewilligt. Während KAI noch im Juli die löbliche Absicht bekundete, daß Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Helga Otto, — gefördert durch den BMFT — ein Verfahren der Sie haben das Wort. Projektförderung in Verbindung mit ABM den Neu- aufbau in den neuen Ländern flankieren sollte, lehnte Dr. Helga Otto (SPD): Herr Präsident! Meine Damen die Bundesanstalt für Arbeit gerade diese Projekte ab, und Herren! Ein reichliches Jahr nach der formalen da sie nicht „zusätzlich" seien. Überhaupt ist die Wiedervereinigung Deutschlands blicken wir auf die Bundesanstalt für Arbeit der Meinung, daß man Erfolge und Trümmer unserer Hoffnungen. Haben wir Wissenschaftler nicht gerade fördern muß, weil sie ja Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6633

Dr. Helga Otto — ich zitiere — „am ehesten über die notwendige Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke) (CDU/CSU): Flexibilität verfügen" . Flexibel ist man aber auch, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und wenn man das Land verläßt. Herren! Ohne Forschung und Entwicklung ist wirt- schaftlicher Aufschwung in den östlichen Ländern Große Bedenken gibt es beim HEP - Programm. Es liegt klar auf der Hand, daß ein Jahr nicht ausreicht. nicht möglich. Die Erhaltung und Konsolidierung der Bei den Problemen, die die Hochschulen haben, Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern braucht es Zeit; denn Eile ist hier kein guter Ratgeber. ist deshalb eine zentrale Aufgabe deutscher For- Selbst KAI fordert eine Verlängerung auf fünf Jahre. schungspolitik. Konsolidieren heißt in diesem Zusam- Da wäre eine angemessene Frist. Die Anlaufphase menhang, die Schwächen und Defizite, die Erblast des sollte aber in jedem Fall auf zwei Jahre verlängert alten Systems sind, abzubauen und eine zukunfts- werden. orientierte und wettbewerbsfähige Forschungsstruk- tur aufzubauen. Konkret heißt dies, neue Forschungs- Für das Wissenschaftlerintegrationsprogramm wä- einrichtungen zu gründen und lebensfähige zu erhal- ren auch Aninstitute denkbar, besonders mit Blick auf ten. die älteren Wissenschaftler. Die Forschung in der ehemaligen DDR war wie der Bei der Umstrukturierung der institutionellen För- gesamte Staat zentralistisch organisiert. Sie litt, vor derung fällt auf, daß die Lasten ganz listig den neuen allem in der angewandten Forschung, unter von Ländern aufgebürdet werden. Während in West- politischem Abgrenzungsdenken geprägten, die in- deutschland für die gesamte außeruniversitäre For- ternationale Entwicklung häufig negierenden For- schung das Verhältnis Bund/Länder 74 zu 26 beträgt, schungsschwerpunkten. Sie litt ferner unter dem Feh- ist es in den neuen Ländern 59 zu 41. Es gibt also für len eines wirkungsvollen Forschungsmanagements. die neuen Länder eine 1,6mal höhere Belastung. Und schließlich litt sie vor allem daran, daß For- schungsergebnisse meist nicht oder kaum umgesetzt (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) werden konnten. Ich weiß, wovon ich rede. Man- Die mittlere finanzielle Ausstattung pro Mitarbei- gelnde Ausrüstungen wurden durch personelle Ober- ter beträgt in den alten Ländern 100 000 bis 200 000 besetzungen kompensiert. DM, in den neuen Ländern, nach Aufbesserung, In den Forschungseinrichtungen der ehemaligen 129 000 DM — bei dem enormen investiven Nachhol- DDR arbeiteten aber Wissenschaftler und technische bedarf ein mir völlig unverständlicher Ansatz. Gerade Mitarbeiter mit hoher Motivation und sehr guter hier müßte wegen der Chancengleichheit kräftig in wissenschaftlich-fachlicher Ausbildung. An der fach- Bildung, Bausubstanz und apparative Ausstattung lichen und intellektuellen Ebenbürtigkeit gegenüber investiert werden. Das Wahlversprechen hieß 1990: westlichem Standard bestand und besteht auch heute „Gemeinsam schaffen wir's! ". kein Zweifel. Die zum Teil bemerkenswerten Ergeb- Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch noch nisse von zum Teil internationaler Bedeutung entspra- an den Beschluß des Forschungsausschusses vom chen aber in erster Linie subjektiver Tüchtigkeit und 12. Juni 1991, in dem Sozialpläne und Qualifizie- persönlichem wissenschaftlichen Format, nicht einer rungsmaßnahmen für die gefordert wurden, die ihren weitsichtigen und effizienten Forschungspolitik der Arbeitsplatz verlieren. Gerade jeder dreizehnte hat DDR. eine Übergangsfinanzierung bekommen. Stellen Sie Wenn wir uns heute mit dem Stand und der Ent- sich bitte einmal vor, einen westdeutschen Wissen- wicklung der Forschung in den neuen Bundesländern schaftler im Alter von 50 oder mehr Jahren, der beschäftigen, dann sollte die Diskussion von der 20 Jahre in einem Institut gearbeitet hat, stellte man politisch wohl unbes trittenen Tatsache ausgehen, daß vor diese Tatsache. Lautes Wehgeschrei und Proteste sich die neuen Bundesländer insgesamt in einer wären die Folge. schwierigen Übergangssituation befinden, in der sich (Beifall bei der SPD) neben dem Wirtschafts- auch das gesamte Gesell- schaftssystem von Grund auf wandelt. Es ist deshalb Ich muß das immer wieder anmahnen: Wir sind nicht nur selbstverständlich, daß auf dem Gebiet der For- nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch schung Maßnahmen ergriffen werden, die diese Über- für das, was wir nicht tun. gangssituation berücksichtigen. Es geht darum, der Am Schluß zitiere ich den Molekularbiologen Pro- Forschung in den neuen Bundesländern eine faire fessor Jens Reich: Startchance zu geben. Dies muß im Hinblick auf alle Ebenen geschehen, auf denen in der ehemaligen DDR Die deutsche Einigung ist ein Epochenwechsel; Forschung betrieben wurde und noch wird, unabhän- sie ist zu wichtig, als daß sie für eine große Zahl gig von ihren derzeitigen ministeriellen Zuordnun- Betroffener zur Erinnerung an ein gebrochenes gen. Im einzelnen betrifft dies die außeruniversitäre Versprechen, an einen Dolchstoß werden darf. Forschung, die Hochschul- und die Industrief or- Ich danke. schung. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Mit dieser komplexen Betrachungsweise wird rich- Liste) tigerweise dem historischen Umstand Rechnung getragen, daß die Zuordnung und Unterstellung der Forschungsinstitute in der ehemaligen DDR häufig eher von rein subjektiven denn von objektiven Krite- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr rien abhing. Machtstreben, Einfluß und oft auch nur erteile ich dem Abgeordneten Schmidt (Halsbrücke) persönliche Beziehungen exponierter Persönlichkei- das Wort. ten gaben den Ausschlag über die Einordnung der 6634 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke) Institute in die Forschungsstruktur der DDR. Dies Zur Situation in der Industrieforschung. Die Indu- heißt: Alle Forschungsbereiche haben im Prinzip eine strieforschung ist in den letzten beiden Jahren ver- sehr ähnliche Vergangenheit. Sie verdienen in dieser nachlässigt worden und noch vor Vollendung der Übergangsphase alle Unterstützung und Zuwen- staatlichen Einheit zum Teil auch überstürzt privati- dung. siert worden. Die Auftragssituation ist derzeit das schwierigste Problem in der Industrieforschung in den Umgestaltung der Forschungslandschaft Bei der neuen Ländern. Aus dem eigenen Umfeld können zur sind zwei Aufgaben zu lösen. Zeit aus verständlichen Gründen nicht ausreichend Erstens. Die Orientierung auf zukunftsträchtige und Aufträge gewonnen werden. Die Auftragsakquirie- wettbewerbsfähige Forschungs - und Technologiefel- rung in den alten Bundesländern hat trotz verbesser- der, für mich die Zukunftsaufgabe schlechthin, und ten Marketings wenig Erfolg gebracht. damit die Bereitschaft und der Wille zur fachlichen Ich möchte deshalb auch hier und heute die west- Flexibilität sowie zur Ausschöpfung der eigenen, wie deutsche Wirtschaft, vor allen Dingen die mittelstän- ich glaube, nicht geringen Möglichkeiten. dische auffordern, mehr Aufträge für Forschung und Zweitens. Die Behandlung der offenen sozialen Entwicklung an industrieorientierte Forschungsein- Fragen, die für die in der Forschung Tätigen einen richtungen in den neuen Bundesländern zu vergeben. Übergang in einen sozial gesicherten Lebensabschnitt Mittlerweile wurden die mit der Industrieforschung gewährleisten muß. befaßten Forschungs-GmbHs in den östlichen Bun- desländern von der Treuhand evaluiert und in ihrer Erlauben Sie mir einige kurze Bemerkungen zur übergroßen Mehrheit als überlebens- und sanierungs- Situation in den einzelnen Forschungsbereichen. Die fähig bewertet. außeruniversitäre Forschung wurde vom Wissen- schaftsrat evaluiert. Darüber ist hier von Kollegen Der Bund wird in diesem Jahr die Industriefor- vorher schon einiges gesagt worden. Ich möchte aber schung mit 180 Millionen DM fördern und damit zum hinzufügen, die Bemühungen um den Erhalt und die Ausdruck bringen, daß die Industrieforschung einen Entwicklung dieses Forschungsbereiches, die vom wichtigen und unverzichtbaren Bestandteil der For- BMFT, vom Wissenschaftsrat und anderen Institutio- schungslandschaft in den neuen Bundesländern bil- nen und nicht zuletzt von KAI-AdW unternommen det. wurden, verdienen wohl unsere anerkennende Wür- Ich hatte zu Beginn von Übergangsmaßnahmen digung. gesprochen. ABM in der Forschung hat sich als ein wirkungsvolles Ins trument bewährt, durch Auftrags- Herr Guttmacher hat die wesentlichen Tatsachen mangel zur Zeit gefährdete, für den Aufschwung aber bezüglich der Umstrukturierung der ehemaligen Aka- notwendige Arbeitsrichtungen und damit einge- demie der Wissenschaften schon erwähnt, so daß ich spielte Forscherteams zu erhalten und ihr Auseinan- mich auf wenige Ergänzungen beschränken kann. derbrechen zu verhindern. ABM hat sich auch als Vom Mitarbeiterstamm der ehemaligen Akademien besonders wertvoll erwiesen, wichtige Wissenschaft- werden ca. 7 000 Mitarbeiter in der außeruniversitä- ler und Mitarbeiter in den Institutionen zu halten und ren Forschung weiterarbeiten, ca. 2 000 werden in ihr Abwandern in die westlichen Bundesländer und in Landesforschungseinrichtungen oder in Forschungs- das Ausland zu verhindern. einrichtungen der Bundesressorts tätig sein. Erfreuli- cherweise sind 40 % davon ältere Wissenschaftler, Es ist erfreulich, festzustellen, daß dies jetzt auch für deren hohe Motivation und Erfahrung auf diese Weise die außeruniversitäre Forschung möglich ist. Der genutzt werden können. Der BMFT ist mit seinen BMFT und die Bundesanstalt für Arbeit haben dafür Umsetzungen in verschiedenen Fällen weit über das die notwendigen Voraussetzungen geschaffen. hinausgegangen, was vom Wissenschaftsrat empfoh- Ich komme zum Schluß. Ein wichtiges Vorhaben len worden ist. Es kann mit Befriedigung festgestellt bleibt zur Zeit noch offen: die Verbesserung der werden, daß die Forschungsstandorte erhalten geblie- apparativen Ausrüstung der Forschungseinrichtun- ben sind und der verschiedentlich befürchtete Kahl- gen in den östlichen Bundesländern, um ihre Wettbe- schlag nicht stattgefunden hat. werbsfähigkeit zu erhöhen. Die anstehenden Haus- haltsberatungen werden Gelegenheit geben, dieses Zur Hochschulforschung. Zuerst ist festzustellen, Problem verantwortungsbewußt zu lösen. daß an den Hochschulen der ehemaligen DDR weit mehr Forschung betrieben wurde, als landläufig Vielen Dank. bekannt ist. Das aufgelegte Hochschulerneuerungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) programm bietet gegenwärtig wertvolle Hilfe und Unterstützung, die Forschung an den Hochschulen zu Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort verstärken und neu zu organisieren. hat nunmehr die Abgeordnete Frau Fischer (Gräfen- Etwa 2 000 Wissenschaftler der ehemaligen Akade- hainichen). mie der Wissenschaften werden in die Hochschulfor- schung integriert. Es liegt auf der Hand, daß dieser Evelin Fischer (Gräfenhainichen) (SPD): Herr Präsi- Transfer nur mit einem Höchstmaß an Fingerspitzen- dent! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir gefühl und Augenmaß sinnvoll zu realisieren ist. In einige kurze Ausführungen zum Antrag der SPD. diesem Zusammenhang wiederholen wir die am Zunächst einmal, Kollegin Eichhorn, bedanke ich 4. Dezember 1991 vom Ausschuß für Forschung, mich, daß auch Sie der Meinung sind, 1,6 Milliarden Technologie und Technikfolgenabschätzung erho- DM seien für den Aus- und Neubau der Hochschulen bene Forderung nach Verlängerung des Wissen- zuwenig. Auch Sie peilen eine Summe von 2 Milliar- schaftlerintegrationsprogrammes bis 1996. den DM an. Ich hoffe, daß die 400 Millionen DM nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6635

Evelin Fischer (Gräfenhainichen) allein in den Freistaat Bayern fließen, sondern daß len motivieren. Die neuen Länder werden 1993 noch auch die neuen Länder etwas davon abbekommen. nicht in der Lage sein, dieses für ihre Wissenschafts- und Hochschullandschaft so wichtige Programm zu (Beifall bei der SPD — Eckart Kuhlwein finanzieren. [SPD]: Aber Bayern scheint es nötig zu haben!) Als Mitglied des Bundestages, das aus einem neuen — Ich habe das auch so erfahren. Bundesland kommt, erlebe ich die Umstrukturierung der ostdeutschen Wissenschafts- und Hochschulland- (Eckart Kuhlwein [SPD]: Mehr Bildung nach schaft mit einem lachenden und einem weinenden Bayern!) Auge. Gestatten Sie mir als Opposition, daß ich hier Die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Bil- etwas näher erläutere, weshalb ich die Umstrukturie- dung und Wissenschaft vorgestern in Leipzig hat wohl rung mit einem weinenden Auge sehe. Die Übertra- allen Beteiligten klargemacht, wie notwendig und gung des westdeutschen Hochschulsystems hat uns — dringend es ist, die Umstrukturierung der Wissen- möglicherweise auch die westdeutsche Hochschul- schafts- und Forschungslandschaft in den neuen Län- landschaft — um die Chance einer Weiterentwick- dern zügig und zielorientiert vorzunehmen. Vor allem lung und einer Reformierung des Systems insgesamt, muß das Ende dieser Umstrukturierung für die betei- insbesondere unter der Perspektive des vereinten ligten Studentinnen und Studenten, für die Hoch- Europas, gebracht. Auch das westdeutsche Hoch- schullehrerinnen und Hochschullehrer Zukunft eröff- schulsystem steckt ja — dies geht aus den Empfehlun- nen und gleichzeitig absehbar sein. gen des Wissenschaftsrates hervor — in einer tiefen Krise. Die Motivation bei uns, die Motivation aller Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Bundes- Mitarbeiter an den Hochschulen und im Wissen- regierung auf, bis Ende Mai 1992 einen Bericht schaftsbereich war nach der Wende sehr stark, nun vorzulegen, der uns Klarheit darüber verschafft, wie endlich nach jahrelanger Reglementierung und die Bundesregierung die Empfehlungen des Wissen- Gleichstellung neue Strukturen zu entwickeln und schaftsrates umsetzen wird, welche damit verbunde- innovativ zu wirken. Die Ernüchterung kam ziemlich nen Entscheidungen von Bund und Ländern sie tref- schnell. — Dies nicht deshalb, weil Stellen abgebaut fen und welche Maßnahmen sie angesichts der so werden müssen — das war uns allen klar —, sondern drängenden Probleme im Wissenschafts- und Hoch- deshalb, weil Chancen vertan wurden, Alternativen schulbereich ergreifen wird. zu entwickeln und somit eine Hochschulerneuerung Wir setzen in unserem Antrag ein Datum, weil zum in Ost und in West zu erreichen. einen die Haushaltsentscheidungen anstehen und (Beifall bei der SPD) zum anderen die lähmende soziale Unsicherheit an den Hochschulen aufhören muß. Es läßt doch aufhor- Ich bedauere es zutiefst, daß die Umstrukturierung chen, wenn Professor Dr. Weiß aus Leipzig darauf aus finanziellen Gründen auch dort nicht vollzogen hinweist, daß von seiner Hochschule innerhalb eines wird, wo durchaus Positives hätte entdeckt werden Jahres 20 Hochschullehrer abgewandert sind, weitere können. Ich denke da an die Studentenbetreuung, die 20 Gastprofessuren an westlichen oder ausländischen didaktische Aufbereitung der Lehrinhalte durch Hochschulen oder Universitäten angenommen haben Seminare, die strafferen Lehrpläne. und sie immer öfter um eine Verlängerung ihrer Verträge nachsuchen. Das spricht für die Trostlosig- Wir wissen, daß das Verhältnis Lehrende zu Ler- keit im Bereich von Forschung und Lehre. nenden in den DDR-Hochschulen besser war als in der Bundesrepublik. Die Gruppe der Studienabbrecher Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates sind war kleiner, die Studienzeit war kürzer: 9,1 Semestern ihrem Charakter entsprechend komplex. Entspre- im Osten stehen 14,2 Semester im Westen gegenüber; chend unsicher reagieren daher die neuen Länder bei 75 % Examinierte im Osten gegenüber 50 % Exami- deren Umsetzung im Hinblick auf den personellen nierten im Westen. Aufbau der Hochschulen, da der finanzielle Rahmen durch den Haushalt nicht klar abgesteckt ist. Eine Verschiebung der Verhältnisse, das heißt eine Anpassung an die westlichen Verhältnisse, bet rifft im Die im Einzelplan 31 vorgesehenen Mittel reichen übrigen insbesondere den Mittelbau. Dieser Gruppe ganz offensichtlich nicht aus, die qualifiziertesten müssen wir jedoch gerade unsere Aufmerksamkeit Wissenschaftler — ich betone: die qualifiziertesten — schenken; denn in diesem Bereich arbeiteten erfah- an den ostdeutschen Hochschulen zu halten. Nicht rungsgemäß viele, die sich dem SED-Regime ideolo- von ungefähr fordert Minister Enderlein eine Aufstok- gisch weniger oder gar nicht angepaßt haben, die kung der Mittel für das Wissenschaftsintegrations- dadurch nicht in höhere Positionen gelangten und die programm, das Wissenschaftler aus dem ehemaligen nun vom Personalabbau besonders hart betroffen Akademiebereich in die Hochschulen integrieren soll. sind. Die auf zwei Jahre befristeten Verträge können den Zweck des Anliegens nicht erfüllen. Ich freue mich, An meiner Kunsthochschule in Halle reduzierte sich weil ähnliche Anregungen auch von der F.D.P. und der akademische Mittelbau von 1989 bis 1991 um der CDU/CSU gekommen sind. 38 %. Weil die Personalkommission ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen hat, sind weitere Reduzierungen (Beifall bei der SPD — Eckart Kuhlwein zu erwarten. Derzeit sind an der Hochschule — inklu- [SPD]: Das freut uns immer!) sive Verwaltung — noch 235 Mitarbeiter beschäftigt. Ihre Ausweitung auf fünf Jahre würde hingegen Bis Ende des Jahres werden davon noch einmal eine klare Perspektive für die Akademiker eröffnen 59 Stellen abgebaut. Ein nicht unerheblicher Anteil und sie zum Bleiben an den ostdeutschen Hochschu- geht zu Lasten des akademischen Mittelbaus. 6636 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Evelin Fischer (Gräfenhainichen) Aus diesem Grund möchte ich die Bundesregierung zeichnete Erneuerungsprogramm für Hochschule und auffordern, bei ihren Entscheidungen genau hinzuse- Forschung in den neuen Ländern — genannt Hoch- hen. Es wäre nicht nur eine politische Geste, sondern schulerneuerungsprogramm —, das Soforthilfen für auch eine politische Notwendigkeit, insbesondere die Erneuerung bereitstellte. Gestatten Sie, daß ich zu dem Mittelbau Weiterbildungs- und Umschulungs- diesen einige Bemerkungen mache. möglichkeiten anzubieten. Der Wissenschaftsrat hat seine Empfehlungen vor- (Beifall bei der SPD) gelegt; sie sind den Abgeordneten zugegangen und An vielen Hochschulen ist die Stimmung nicht nur bekannt. Sie geben insgesamt an Hand vergleichba- lähmend wegen der unsicheren Zukunft, weit mehr rer Zahlen aus den alten Bundesländern Vorgaben für wirkt die Bitterkeit über die geringen Chancen erhoff- die Bildung der Hochschulstrukturkommission, Emp- ter Gerechtigkeit. - fehlungen zu den einzelnen Wissenschaften und „Stärkung der Wissenschafts- und Forschungsland- Empfehlungen zur Einrichtung von Fachhochschulen. schaft in den neuen Ländern und im geeinten An diese Empfehlungen ist der Fortbestand und die Deutschland" heißt unser Antrag. Auch in diesem Neueinrichtung der einzelnen Wissenschaftsdiszipli- Bereich geht es uns um einen intensiven Diskurs im nen und Hochschulen sowie die Neueinrichtung Parlament und in der Öffentlichkeit. Gelingt uns hier gebunden. Insgesamt werden zehn Universitäten, die Umstrukturierung als Chance und nicht nur als Bergakademie Freiberg, die Hochschule für Architek- Anpassung, hätten wir einen riesigen Schritt in eine tur und Bauwesen in Weimar, die Technische Hoch- gemeinsame, uns einigende Zukunft getan. schule Ilmenau, 20 Fachhochschulen und eine Reihe Kunst- und Musikhochschulen im Weiterbestand Danke. gefordert bzw. neu einzurichten sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Einen neuen Hochschultyp stellt für die ehemalige DDR die Fachhochschule dar. Dieser an den Erforder- nissen der Wirtschaft ausgerichtete Hochschultyp Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort sollte nun zügig errichtet werden. Die ersten sind hat nunmehr der Herr Abgeordnete Dr. Päselt. gegründet worden; weitere werden folgen. Da hier (Zuruf von der SPD: Nicht nur von Gotha bemängelt wurde, daß Frau Eichhorn Bayern erwähnt erzählen! Es gibt auch noch etwas ande- hat, muß ich sagen: Auch wir sind da, Frau Kollegin res!) Fischer, um unseren Anteil einzufordern. Es sollte aber vermieden werden, daß wir nur an die neuen Bundesländer denken. Es muß erkannt werden, daß es Dr. Gerhard Päselt (CDU/CSU): Herr Präsident! Probleme in dieser Hinsicht auch in den alten Bundes- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir begrü- ländern gibt. ßen den Antrag der SPD-Fraktion zum Thema Stär- kung der Wissenschafts- und Forschungslandschaft in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den neuen Ländern und im geeinten Deutschland, Der Wissenschaftsrat ließ sich bei diesen Empfeh- (Beifall bei der SPD) lungen davon leiten, daß jedes Land eine regional gibt er uns doch die Möglichkeit, uns im Bundestag ausgewogene Hochschullandschaft mit einem breiten mit dem Problem zu beschäftigen. Wie die Debatte Fächerspektrum braucht, insbesondere auch in den zeigt, liegen die Fraktionen ja gar nicht so weit Kernfächern des Neuaufbaues wie den Rechts- und auseinander. Die einen sehen es etwas mehr schwarz, Wirtschaftswissenschaften, den Sozialwissenschaf- die anderen etwas mehr weiß. Ich sage es einmal so, ten, Teilen der Geistes- und Kulturwissenschaften ohne hier auf Parteifarben zu achten. sowie in der Lehrerausbildung.

Frau Eichhorn hat schon gesagt, daß wir uns über Die Wissenschafts - und Forschungslandschaft in Termine im Bundestag und in den Ausschüssen noch der ehemaligen DDR war historisch gekennzeichnet unterhalten müssen. Der Einigungsvertrag legt in durch eine Konzentration auf regionale Bereiche, Art. 38 fest, der notwendigen „Erneuerung von Wis- wobei das Land Sachsen die höchste und das Land senschaft und Forschung unter Erhaltung leistungsfä- die geringste Dichte aufwiesen. Zum higer Einrichtungen" in dem Beitrittsgebiet dient Teil handelt es sich um Bildungseinrichtungen mit „eine Begutachtung von öffentlich ge tragenen Ein- ehrwürdiger Tradition und einmaligem Charakter. richtungen durch den Wissenschaftsrat, die bis zum Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates haben dem 31. Dezember 1991" zu erfolgen hat. Ziel dieser leider nicht immer Rechnung getragen, so daß an Begutachtung sollte die politische und fachliche einigen Stellen der Vorwurf eines nicht allzu sensiblen Erneuerung und Einpassung in eine gemeinsame Vorgehens erhoben wird. Wissenschafts- und Forschungslandschaft sein. (Beifall der Abg. Evelin Fischer [Gräfenhai Nicht ganz eineinhalb Jahre nach Wiederherstel- nichen] [SPD]) lung der deutschen Einheit kann eine Zwischenbilanz gezogen werden. Grundlage dafür sind: erstens die Fach - und Ingenieurschulen wurden in der Regel Empfehlungen des Wissenschaftsrates auf der Grund- nicht mitbewertet und sollten nur in den wenigsten lage von Art. 38 des Einigungsvertrages, die nahezu Fällen in Fachhochschulen umgewandelt werden. vollständig vorliegen, zweitens die Hochschul- und Dies bringt, sowohl was die Schulen als auch die Hochschulerneuerungsgesetze, die die rechtliche Absolventen betrifft, Probleme, über die hier bereits Grundlage bieten, und drittens das im Juli 1991 von mehrfach berichtet wurde und die heute nicht weiter den Regierungschefs von Bund und Ländern unter- erörtert werden sollen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6637

Dr. Gerhard Päselt Die rechtliche Grundlage für die Erneuerung und Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- weitere Entwicklung bilden die geschaffenen Hoch- geordneter, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, schul- und Hochschulerneuerungsgesetze. Der Stand daß seit einiger Zeit das rote Licht blinkt? der Gesetzgebung durch die Länder ist: Mecklen- (Zuruf von der F.D.P.: Rot bedeutet nichts!) burg-Vorpommern und Thüringen haben Vorschalt- gesetze, Sachsen und Sachsen-Anhalt Hochschuler- Dr. Gerhard Päselt (CDU/CSU): Danke, Herr Präsi- neuerungsgesetze und Brandenburg ein vollkommen dent. Darf ich noch ein Wort zum Schluß sagen? neues Hochschulgesetz geschaffen. Für Ost-Berlin wurden Ergänzungsteile geschaffen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte Das Hochschulerneuerungsprogramm mit einem schön. Umfang von 1,76 Milliarden DM für Hochschule und Forschung wurde am 11. Juli 1991 unterzeichnet. Dr. Gerhard Päselt (CDU/CSU): Aus den Empfeh- Dabei trägt der Bund 75 % und die neuen Bundeslän- lungen des Wissenschaftsrates erwuchsen Vorgaben der 25 %. zum Personalbestand an den Hochschulen; sie wur- den vorgetragen. Ich kann für den Mittelbau nur (Dirk Hansen [F.D.P.]: Und die alten gar unterstreichen, was Frau Fischer gesagt hat. nichts!) Zum letzten möchte ich zum Ausdruck bringen, daß 1991 wurden Bundesmittel in Höhe von 250 Millionen wir in den neuen Bundesländern das einmalige Kunst- DM zur Verfügung gestellt. Die Umsetzung des Pro- stück fertigbringen sollen, möglichst ohne Geld mit gramms wird durch eine Bund-Länder-Kommission Beratern aus den alten Bundesländern die Fehler der begleitet. Die Vereinbarung zum Hochschulerneu- alten Bundesrepublik nicht zu wiederholen. Frage: erungsprogramm enthält auch den Auftrag an die Wie sollen wir das machen? Bund-Länder-Kommission, bis September 1992 zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — prüfen, ob das Volumen ausreichend und die Maß- Frau Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink nahmen geeignet sind. Hier hätten wir schon einen [F.D.P.]: Wenn wir das wüßten, dann wären Termin, über den man sprechen müßte. Die Überprü- wir weiter!) fung durch die Bund-Länder-Kommission hat aber bereits begonnen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hat sich erteile ich dem Bundesminister für Bildung und Wis- bereits im September 1991 einstimmig an den Haus- senschaft das Wort. haltsausschuß gewandt und u. a. um Aufstockung der Mittel für den Aus- und Neubau von Hochschulen Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister für Bildung und gefordert. Auch die anderen Forderungen der Stel- Wissenschaft: Herr Präsident! Meine sehr verehrten lungnahme gelten fort. Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Frau Kollegin Fischer, die Zahl derje- Wie sieht es nun im Februar 1992 aus? In einer nigen, die im Westen abbrechen, liegt im Durchschnitt Pressemitteilung des Wissenschaftsrates über die Sit- nicht bei 50 %, sondern liegt je nach Typ der Hoch- zung vom 22. bis 24. Januar 1992 wird berichtet — ich schule zwische 22 und 28 %. zitiere —, (Eckart Kuhlwein [SPD]: Leider auch noch daß dank des engagierten Einsatzes aller Betei- zuviel! — Weiterer Zuruf von der SPD) ligten aus Bund und Ländern und Wissenschafts- — Nein, das kommt ja auf dasselbe hinaus; wer nicht organisationen die Empfehlungen des Wissen- abbricht, absolviert ja. — Ich will diese Zahl nur der schaftsrates zu einem guten Teil termingerecht Korrektheit halber nachtragen. Ansonsten kann ich umgesetzt wurden. Rahmenbedingungen für die mich mit Ihren Ausführungen zum Vergleich der neuen Forschungseinrichtungen wurden in fast ostdeutschen mit den westdeutschen Hochschulstruk- allen Fällen geschaffen. turen durchaus anfreunden; das will ich ausdrücklich Dennoch gibt es große Schwierigkeiten und Pro- sagen. Ich will nur die Zahl korrigieren, weil ich auf bleme, die in dieser Pressemitteilung so gekennzeich- Zahlen großen Wert lege. net wurden: Die Folgerung daraus ist, natürlich, daß man über- Insgesamt kommt die Erneuerung der Hoch- denken sollte — hier sind die Länder gefordert —, schullandschaft auf dem Gebiet der ehemaligen inwieweit man von den Personalaustattungen á la DDR nur schleppend voran. 70er Jahre in den deutschen Hochschulen wegkom- men muß. — Das war eine Vorbemerkung, die nicht Mich wundert dies nicht. der Linie meines weiteren Vortrages entspricht. Wir sind uns, glaube ich, hier einig, daß die Umge- Es ist keine leichte Aufgabe, die Voraussetzungen staltung der Hochschullandschaft in der ehemaligen für das Zusammenwachsen der deutschen Hoch- DDR beispiellos in der deutschen Geschichte ist. Die schullandschaft zu schaffen. Auch hier trifft mehr als Folgen der Vergangenheit werden uns noch lange 40 Jahre nicht gemeinsam gelebte Geschichte aufein- beschäftigen. Wer hier meint, er habe Patentrezepte, ander. In dieser schwierigen Situation halte ich es für der ist nicht ganz redlich — um es harmlos auszudrük- einen wissenschafts-politischen Glücksfall, daß mit ken. Der gute Wille ist in allen fünf neuen Bundeslän- der Existenz eines unabhängigen Beratungsgremi- dern und Berlin vorhanden. Beklagt werden Finanz- ums mit hohem Sachverstand eine Einrichtung zur not und Zeitnot. Ich kann dem hier nur zustimmen, daß Verfügung stand, die im Prozeß des Zusammenwach- diese Programme auch zeitlich weiter ausgelegt wer- sens erste zentrale Orientierungspunkte zu setzen den müssen. vermochte. Dieses Gremium ist der Wissenschaftsrat. 6638 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Bundesminister Dr. Rainer Ortleb Seine Aufgabe ist es, wissenschaftsinterne Aspekte Soweit ich in dem Antrag der SPD-Fraktion Kritik an für das Handeln der Politiker in Bund und Ländern zu diesem Verfahren oder an der bisherigen Unterich- formulieren. Zu Recht wurde gesagt: Wenn es den tung des Parlaments durch den Kollegen Riesenhuber Wissenschaftsrat nicht gegeben hätte, spätestens jetzt und mich herauslese, muß ich diese — lassen Sie mich hätte man ihn erfinden müssen. das deutlich sagen — zurückweisen. Der Wissenschaftsrat hat auf der Grundlage des In den Ländern wird die Rolle der Parlamente im Art. 38 des Einigungsvertrages die außeruniversitäre übrigen praktisch sehr viel deutlicher als auf Bundes- Forschung in den neuen Bundesländern evaluiert und ebene, was der föderalen Struktur entspricht. Empfehlungen zur Einpassung in die Forschungs- (Beifall der Abg. Dr. Margret Funke-Schmitt landschaft ausgesprochen. - Rink [F.D.P]) Für die Entwicklung der Hochschulen hat er fächer- Dies liegt natürlich auch an der Struktur der bezogene Strukturempfehlungen erarbeitet. Den Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau, wonach der Arbeitsauftrag dafür erhielt er bereits im Sommer Bund bei der Erfüllung von Länderaufgaben mitwirkt, 1990. insbesondere durch die gemeinsame Rahmenplanung Der Wissenschaftsrat konnte die ihm gestellte Auf- und die hälftige Mitfinanzierung der Landesaufga- gabe, die von der Sache her äußerst schwierig war und ben. Die Planungshoheit bleibt bei den Ländern. In in der deutschen Wissenschaftsgeschichte ohne Bei- den Landesparlamenten werden daher selbstver- spiel ist, mit einer einmaligen Kraftanstrengung her- ständlich auch spektakuläre Bauvorhaben kräftigst vorragend lösen. Hierfür gebührt den in den verschie- diskutiert. denen Arbeitsgruppen tätigen Wissenschaftlern des Ich interpretiere Ihren Beitrag, Herr Kollege Kuhl- Wissenschaftsrates hohe Anerkennung. Das Verfah- wein, auch so, daß Sie ungeduldig darauf drängen, die ren zur Integration von Forschung und Wissenschaft strukturellen und finanziellen Konsequenzen aus den hat dadurch einen Anfang genommen, der den Geist ersten Erfahrungen mit der Neugestaltung der Hoch- kollegialer Fairneß und innerwissenschaftlicher Ex- schullandschaft in den neuen Ländern im Zusammen- pertise in den Dialog mit den Vertretern des Bundes hang mit der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau, und der Länder einbrachte. der Weiterentwicklung der Forschungsförderung und Der Wissenschaftsrat konnte es mit seinen Empfeh- der Sonderfinanzierung im Rahmen des Hochschul- lungen gleichwohl nicht allen recht machen. Es ist erneuerungsprogramms zu diskutieren. Es versteht unvermeidlich, daß an seinen Empfehlungen aus sich von selbst, daß auf dem Wege der Umsetzung der unterschiedlichen Blickwinkeln auch Kritik ange- Empfehlungen des Wissenschaftsrates in Bund und bracht wird, die im Einzelfall aus der Sicht partikularer Ländern erst ein Teilstück zurückgelegt werden Interessen verständlich ist. Von gelegentlichen Irrtü- konnte. Auch erscheint es mir angebracht, Verständ- mern ist im übrigen niemand frei. Dafür sind gewiß nis dafür zu haben, daß die Länder im Rahmen ihrer auch hoher Zeitdruck und die von vornherein bewuß- Zuständigkeit Zeit brauchen, um ihre eigene Hoch- ten eingeschränkten Möglichkeiten für die Umset- schulpolitik zu formulieren und mit ihren Finanzie- zung der Empfehlungen mit verantwortlich. Zahlrei- rungsmöglichkeiten abzugleichen. che Kompromisse mußten gefunden werden. Darüber hinaus braucht die Entwicklung quantita- Für unangebracht halte ich allerdings Kritik am tiver Zielvorstellungen allein schon wegen der metho- grundsätzlichen Verfahren der Begutachtung. Dies disch schwierigen Bestandsaufnahme und der not- gilt insbesondere auch im Hinblick auf die internen wendigen Abstimmung mit den Ländern Zeit. Der und nichtöffentlichen Beratungen des Wissenschafts- Planungsausschuß für den Hochschulbau hat bereits rates. am 11. Juli 1991 einen Arbeitsauftrag zur Überprü- fung der bisherigen Ausbauziele und zur Entwicklung Ich erinnere daran, daß der Wissenschaftsrat ein neuer Vorschläge erteilt. Das alles können wir nicht Beratungsorgan der Regierungen des Bundes und der übers Knie brechen, obwohl mir manches in den Länder ist. Dieser Rechtsstellung, der der Bundesge- Ländern zu langsam geht. setzgeber im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau" im Hochschulbauförderungsgesetz Ich hätte mir daher gewünscht, daß die Opposition Rechnung getragen hat, entsprechen das Verfahren mit ihren Berichtsforderungen — zumal ich gerade der Beratung und die Zusammensetzung des Gremi- erst umfassend und zu ihrer Zufriedenheit, so hoffe ich ums. Folgerichtig richten sich die Ratschläge des jedenfalls, im Ausschuß berichtet habe — etwas mehr Wissenschaftsrates in erster Linie an die Regierungen Augenmaß für die Interessen und Belange der Länder von Bund und Ländern. Sie können von diesen befolgt und für die Sache aufbringt. Das gilt insbesondere werden oder auch nicht. auch für den Zeithorizont Ihrer Berichtsforderungen. Sie werden nicht im Ernst annehmen, daß ich die Selbstverständlich können die Beratungen der Konsequenzen aus dem Stand der Hochschulplanung zuständigen Minister im Wissenschaftsrat mit den vor der Abstimmung der Belange dieses Bereiches mit wissenschaftlichen Mitgliedern parlamentarische den anderen Bundesaufgaben im Zusammenhang mit Entscheidungsprozesse nicht substituieren oder auch der Einbringung des Bundeshaushaltes darlegen nur faktisch ersetzen. Sie ändern auch nichts an der kann. Gleichwohl werde ich mich Ihrem Antrag nicht Verantwortlichkeit der Minister für ihren Zuständig- widersetzen, da ich jederzeit bereit bin, den Stand keitsbereich. Eine Empfehlung des Wissenschaftsra- meiner Meinungsbildung im Bereich der Hochschul- tes ersetzt auch nicht die Entscheidung des Ministers, politik in diesem Hause und in seinen Ausschüssen zu die dem Parlament gegenüber zu vertreten ist. vertreten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6639

Bundesminister Dr. Rainer Ortleb Ich danke Ihnen. Ausbildungsförderung zu erhalten. Der Entwurf zieht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) insoweit die Schlußfolgerungen aus dem gleichzeitig vorgelegten 9. Bericht nach § 35 BAföG, in dem die Ergebnisse der turnusmäßigen Überprüfung der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der Älte- Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze stenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 BAföG zusam- Drucksache 12/1983 an die in der Tagesordnung mengefaßt sind. Bund und Länder werden 1993 für aufgeführten Ausschüsse vor. Ich nehme an, das Haus rund 600 000 Schüler und Studenten im gesamten ist damit einverstanden. — Dann kann ich diesen Bundesgebiet über 4 Milliarden DM aufwenden; das Tagesordnungspunkt abschließen. sind rund 655 Millionen DM mehr als nach geltendem Recht. Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: Der vorliegende Gesetzentwurf sieht im wesentli- a) Erste Beratung des von der Bundesregierung chen folgende Verbesserung vor: eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten In den alten Ländern werden die Bedarfssätze zum Gesetzes zur Änderung des Bundesausbil- Herbst 1992 um durchschnittlich 6 v. H. angehoben. dungsförderungsgesetzes (15. BAföGÄndG) Unter Berücksichtigung der Zuschläge für Kranken- — Drucksachen 12/2108, 12/2118 — versicherung und erhöhten Wohnbedarf steigt der Überweisungsvorschlag: Förderungshöchstsatz für nicht bei den Eltern woh- Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) nende Studentinnen und Studenten um 50 DM von Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung derzeit 890 DM auf 940 DM. Ausschuß für Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO In den neuen Ländern soll nach dem Regierungs- Ausschuß für Wirtschaft entwurf der Grundbedarf zum Herbst 1992 angeho- Ausschuß für Familie und Senioren ben und zum Herbst 1993 voll an das Westniveau b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- angeglichen werden. Für Studierende an ostdeut- regierung schen Hochschulen bedeutet dies eine Erhöhung des Neunter Bericht nach § 35 des Bundesausbil- Grundbedarfs 1992 auf 540 DM und 1993 um weitere dungsförderungsgesetzes zur Überprüfung 30 DM auf dann im Bundesgebiet einheitliche der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhun- 570 DM. Auch der Wohnbedarf soll angehoben wer- dertsätze und Höchstbeträge nach § 21 den; für nicht bei den Eltern wohnende Studenten soll Abs. 2 er im Osten von 50 DM auf 80 DM steigen. Durch eine besondere Bestimmung der Härteverordnung wird — Drucksache 12/1920 — sichergestellt, daß auch bei höheren Mieten in den Überweisungsvorschlag: neuen Ländern eine entsprechend höhere Förderung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) gezahlt werden kann. Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren In diesem Zusammenhang wenden sich die neuen Ausschuß für Frauen und Jugend Länder gegen die 25%ige Selbstbeteiligung der in Haushaltsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Wohnheimen öffentlicher Träger untergebrachten Studenten. Die Bundesregierung will mit dieser c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Selbstbeteiligung ausschließen, daß notwendige Bau- regierung und Instandsetzungsmaßnahmen im Wege von Miet- Bericht der Bundesregierung über die Aus- steigerungen mit BAföG-Mitteln finanziert werden. wirkungen des Europäischen Binnenmarktes Zu ihrem Bedauern sehen sich die neuen Länder auf das Bundesausbildungsförderungsgesetz bisher nicht in der Lage zuzusichern, daß dies ausge- (BAföG) schlossen wird. Darum muß es bei der Selbstbeteili- — Drucksache 12/1900 — gung bleiben. Überweisungsvorschlag: Im gesamten Bundesgebiet werden die Freibeträge Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) um durchschnittlich 3 v. H. jeweils zum Herbst 1992 Ausschuß für Wirtschaft und zum Herbst 1993 angehoben. Außerdem werden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren die Vomhundertsätze und die Höchstbeträge zur Ausschuß für Frauen und Jugend Abgeltung der Aufwendungen für die soziale Siche- EG-Ausschuß rung entsprechend dem Anstieg der sozialversiche- Der Ältestenrat schlägt eine Stunde Debattenzeit rungsrechtlichen Beitragsbemessungsgrenzen aktu- vor. — Das Haus ist damit einverstanden. alisiert. Nun kann ich wiederum dem Bundesminister für Neben den 1992 und 1993 vorzunehmenden Anpas- Bildung und Wissenschaft das Wort geben. Herr sungen sind vor allem zwei Neuregelungen hervorzu- Bundesminister Ortleb, Sie haben das Wort. heben: Erstens. Auszubildende, denen wegen einer Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister für Bildung und Schwangerschaft oder der Pflege und Erziehung Wissenschaft: Herr Präsident! Meine sehr verehrten eines Kindes bis zum vollendeten 5. Lebensjahr Aus- Damen und Herren! Die Bundesregierung verfolgt mit bildungsförderung über die Förderungshöchstdauer dem vorgelegten Entwurf eines 15. BAföG-Ände- hinaus geleistet wird, erhalten diese Förderungsbe- rungsgesetzes in erster Linie das Ziel, durch Anpas- träge zukünftig als Zuschuß. Damit wird verhindert, sung der Leistungsparameter den realen Wert der daß sich der zurückzuzahlende Darlehnsbetrag 6640 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Bundesminister Dr. Rainer Ortleb wegen der aus diesem Grunde verlängerten Förde- Auffassung der Bundesregierung nimmt das System rungsdauer erhöht. der Ausbildungsförderung in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu den Förderungssyste- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) men anderer europäischer Staaten eine Spitzenposi- Zweitens. Im Inland förderungsberechtige Auslän- tion ein. Auch tragen die Voraussetzungen, unter der werden in die Auslandsförderung einbezogen, denen im Rahmen einer Inlandsausbildung Ausbil- wenn sie an einem integrierten Studiengang teilneh- dungsförderung für eine Teilausbildung im Ausland men, der zwingend vorsieht, daß ein Teil des Studiums gewährt wird, den Erfordernissen der wachsenden an einer ausländischen Hochschule durchgeführt Mobilität durchaus Rechnung. Eine Ausweitung der wird. Ausbildungsförderung und des BAföG etwa auf die Durchführung ganzer Ausbildungsgänge im europäi- Lassen Sie mich noch auf zwei Punkte der Stellung- schen Ausland wird daher nach Auffassung der Bun- nahme des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf kurz desregierung erst im Rahmen einer fortschreitenden eingehen: Angleichung der Bildungsgänge und des Leistungsni- Erstens. Der Bundesrat hat die Bundesregierung veaus der nationalen Förderungssysteme vorgenom- gebeten zu prüfen, wie und in welchem Zeitrahmen men werden können. die Ausbildungsförderung für bei den Eltern woh- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. nende Schüler allgemeinbildender und berufsbilden- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) der Schulen wieder geöffnet werden kann. Die Bun- desregierung wird den hierzu erbetenen Bericht im

Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vorlegen. Schon Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Frau Kol- jetzt möchte ich aber auf folgendes hinweisen. Sicher- legin Odendahl, jetzt kann ich Ihnen wirklich das Wort lich können wir Überlegungen über die Wiederein- erteilen. Bitte schön. führung des Schüler-BAföG anstellen. Bereits durch das Zwölfte Änderungsgesetz sind bestimmte Schü- Doris Odendahl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- lergruppen wieder in die Förderung einbezogen wor- ginnen! Liebe Kollegen! In der „unendlichen den. Die Ausweitung der Förderung auf die Schüler Geschichte" der Ausbildungsförderung ist der Bun- allgemeinbildender Schulen ab der 11. Klasse würde desregierung bei der Vorbereitung dieser 15. Novelle aber zu Mehrausgaben für die Ausbildungsförderung schon wieder ein neuer Trick eingefallen. Durch ihr von weiteren 400 bis 500 Millionen DM für Bund und langwieriges und auch schädliches Theater um die Länder jährlich führen. Ich gebe das nur zu beden- Streichung des Wohnbedarfs der am Wohnort der ken. Eltern wohnenden Studierenden hat der Finanzmini- Zweitens. Der Vorschlag des Bundesrates, die ster davon abgelenkt, daß für ihn trotz des späteren Bedarfssätze West auf Pendler, die in West-Berlin Einlenkens bei dieser Frage der Griff in die BAföG- wohnen und eine Ausbildungsstätte in Ost-Berlin Kasse seit langem geübte Praxis ist. So kann denn besuchen, anzuwenden, begegnet Bedenken. Er steht auch der Bildungsminister mit der Abwehr dieser im Zusammenhang mit einer vom Land Berlin geplan- einen Untat von den übrigen Mängeln ablenken, auch ten Umstrukturierung der Hochschulen. Danach sol- davon, daß der Gesetzentwurf durch das praktizierte len bestimmte Studiengänge ausschließlich auf Hoch- Fingerhakeln fast zu spät eingebracht worden ist. schulen im Ostteil verlagert werden. Gründe der Offen bleibt: Der Finanzminister meint, der BAföG- Besitzstandswahrung mögen es rechtfertigen, solche Topf gibt gut und gern weitere 130 Millionen DM her, in West-Berlin wohnhafte und dort studierende Aus- mit denen er ihm wichtiger erscheinende Vorhaben zubildende, die durch die geplante Verlagerung ein- finanzieren könnte. zelner Studiengänge gezwungen werden. ihre Aus- Aber so einfach werden wir es der Bundesregierung bildung formal an Eirichtungen im Osten der Stadt nicht machen. Sie hat es versäumt, im Neunten Bericht fortzusetzen, weiterhin in den Genuß von Leistungen nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes in Höhe der Westsätze kommen zu lassen. Die vorge- zumindest die wesentlichen Ergebnisse der 13. Sozi- schlagene Regelung geht aber weit darüber hinaus. alerhebung in Form eines Vorberichts darzustellen. Sie begünstigt alle Auszubildenden, die im Beitritts- Man könnte fragen: Warum denn? gebiet ausgebildet werden und in den alten Bundes- Bei Anerkennung aller in den neuen Ländern noch ländern wohnen. Es ist nicht erkennbar, warum diese bestehenden Schwierigkeiten, zu repräsentativen aus freier Entscheidung im Westen wohnenden Aus- Daten über die Kosten- und Einkommensverhältnisse zubildenden von Gesetzes wegen anders behandelt zu kommen, schürt sie mit ihrer Darstellung den werden sollen als Auszubildende aus den alten Län- Verdacht, wissentlich die Tatsache verschleiern zu dern, die sich entscheiden, eine Ausbildung im Bei- wollen, daß sich die Kostenstrukturen in den neuen trittsgebiet aufzunehmen und dort zu wohnen. Ländern bereits weitgehend denen in den alten Län- Abschließend möchte ich hervorheben, daß das dern angeglichen haben. Mein Kollege Stephan Hils- BAföG in Gestalt des Fünfzehnten Änderungsgeset- berg wird darauf noch ausführlich eingehen. Bei der zes voll den Anforderungen gerecht wird, die der Sitzung des Ausschusses für Bildung und Wissen- europäische Binnenmarkt ab 1993 an die Ausbil- schaft am vergangenen Mittwoch in Leipzig haben dungsförderung stellt. In dem Bericht der Bundesre- wir uns über die soziale Situation der Studierenden gierung vom 20. Dezember 1991 über die Auswirkun- in Ostdeutschland ein einprägsames Bild machen gen des europäischen Binnenmarktes auf das BAföG, können. Diese Ungleichbehandlung muß unverzüg- über den der Deutsche Bundestag heute ebenfalls lich beendet werden, wie wir dies schon bei der berät, wird darauf im einzelnen eingegangen. Nach 14. BAföG-Novelle beantragt hatten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6641

Doris Odendahl Die vorgesehene Anpassung der Bedarfssätze und Herr Minister Ortleb — sowie die notwendige Klar- Freibeträge hat, wie es seinerzeit der BAföG-Beirat stellung bei der Förderung von Fachoberschülern. zutreffend festgestellt hatte, weiter zur Folge, daß Als Panne ist es hoffentlich anzusehen, daß sich die auch der reale Wert des BAföG weiter sinkt. Die Mehrheit des Bundesrates noch nicht auf eine Verlän- „unendliche Geschichte" der BAföG-Novellierungen gerung der Studienabschlußförderung verständigen seit der Mitte der 70er Jahre wird also fortgesetzt. Im konnte. Diese auch zur Studienzeitverkürzung wich- Ergebnis bedeutet dieser ständige Wertverlust, daß tige Maßnahme wurde 1990 auf Probe eingeführt und viele bisher Teilgeförderte aus der Förderung heraus- läuft 1993 aus, wenn nicht rechtzeitig eine Verlänge- fallen und neue Studierende in Zukunft gar nicht erst rung beschlossen wird. einen Förderungsanspruch erwerben.

- Frau Ab- Aus finanzpolitischen Gründen, die die Bundesre- Vizepräsident Dieter Julius Cronenberg: geordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des gierung durch ihre Steuer- und Haushaltspolitik her- Abgeordneten Lammert zu beantworten? beigeführt hat, sehen die Länder wie der Bund bei dieser Novelle keine Möglichkeit, höhere Anpassun- Doris Odendahl (SPD): Wenn ich diesen Satz noch gen vorzusehen, obwohl die hohe aktuelle Inflations- vollendet habe, mit Freuden. rate in besonderem Maße auch die Studierenden trifft. Damit Sie sich in der Einschätzung nicht zu weit von - Julius Cronenberg: Aber der Wirklichkeit entfernen, möchte ich dies durch ein Vizepräsident Dieter selbstverständlich. Ich nehme an, Dr. Lammert hat so paar Beispiele untermalen, die ich in Baden-Württem- viel Geduld. berg aufgesammelt habe. Aus einer Stellungnahme des Stuttgarter Wissen- Doris Odendahl (SPD): Die SPD-Fraktion wird in schaftsministeriums zu einem entsprechenden Antrag jedem Fall beantragen, daß diese Bestimmung über der SPD-Landtagsfraktion geht hervor, daß von die- 1993 hinaus verlängert wird. sem Jahr an auf breiter Front Preiserhöhungen für (Zustimmung bei der SPD) sämtliche Leistungen der Studentenwerke vorgenom- Sinn der Bestimmung kann doch nicht sein, daß men werden müssen. Danach nähert sich der Miet- nunmehr die Alleinschuld für zu lange Studienzeiten preis in Studentenwohnheimen der 300-DM-Grenze. bei den Studierenden abgeladen wird, wenn anderer- In Einzelfällen werde eine Miete von 340 DM pro seits die hochschulpolitisch Verantwortlichen die Monat erhoben. Auch die Preise für das Essen in den dafür notwendigen Maßnahmen schuldig geblieben Mensen der Studentenwerke stiegen in den vergan- sind. genen zwei Jahren um rund 16 %. Somit läßt sich leicht errechnen, daß sich die Preise für die Studieren- Dr. Norbert Lamme rt (CDU/CSU): Frau Kollegin den in den beiden letzten Jahren um etwa 20 % erhöht Odendahl, worauf gründen Sie Ihre Vermutung, daß haben. Durch die kräftigen Preissteigerungen bei den die von Ihnen ausdrücklich gelobten weiterführenden Studentenwerken sind demnach viele Studierende Empfehlungen des Bundesrates auf durchdachten gezwungen, noch mehr als bisher neben dem Studium Überlegungen beruhten, während es sich bei der Geld zu verdienen, wenn es denn möglich ist. Dies Ablehnung eines ebenfalls vorliegenden Antrages, in führt dann zwangsläufig zu längeren Studienzeiten. diese Novelle eine Verlängerung der Studienab- Eine solche unzureichende, alle BAföG-Berechtig- schlußförderung einzubeziehen, nur um eine Panne ten schlechter stellende Anpassung wäre dann ver- gehandelt haben könne? tretbar, wenn die Bundesregierung notwendige struk- (Zuruf von der F.D.P.: Sehr gut!) turelle Verbesserungen vorgesehen hätte. Dies ist bedauerlicherweise nicht der Fall. Sie hat es statt Doris Odendahl (SPD): Das kann ich Ihnen ganz dessen dem Bundesrat überlassen, heiße Eisen anzu- einfach beantworten, Herr Lammert. Wenn man die packen. Der überwiegenden Mehrheit der Länder ist Länder im Vorfeld mit zu hoch gerechneten Kosten zu dafür zu danken, daß sie trotz ihrer wesentlich von der schocken versucht, fällt ihnen angesichts des Druckes Bundesregierung verursachten Haushaltsprobleme der Finanzminister jede Entscheidung schwer. In zu einigen recht bemerkenswerten Empfehlungen diesem Falle waren sie besonders tätig. Das läßt sich gekommen ist. leicht nachprüfen, wenn man die Schätzungen sieht, welche Kosten entstünden. (Beifall des Abg. Eckart Kuhlwein [SPD]) Auch der Bundesrat bedauert, daß sich die Bundes- Hervorzuheben sind folgende Bundesratsvor- regierung wie bei jeder seit 1983 vorgelegten BAföG- schläge, von denen ich annehme, daß sie in der Novelle nicht zu der wiederholten Forderung nicht vorgesehenen öffentlichen Anhörung des Ausschus- nur des BAföG-Beirats, sondern auch der SPD auf ses für Bildung und Wissenschaft am 18. März auf allen Ebenen geäußert hat, endlich die Ausbildungs- breiten Konsens stoßen werden: die Gleichstellung förderung für Schüler allgemeiner und berufsbilden- von Studierenden in den neuen und alten Ländern der Schulen, die bei den Eltern wohnen, wiederher- hinsichtlich des Grundbedarfs und die Pendlerson- zustellen. Diesen Kahlschlag von 1983 so rasch wie derregelung für Berlin; die den steigenden Mieten irgend möglich zu beseitigen, verfolgt die SPD mit und unzureichenden Verhältnissen in Studenten- allem Nachdruck. Auch hier hat die Bundesregierung wohnheimen Rechnung tragenden Bestimmungen zu den Ländern einzureden versucht — Herr Blanke, Sie Wohnbedarf einschließlich Härteverordnung; die rechnen jedesmal ein bißchen höher —, die Reform sei strukturellen Verbesserungen bei der Auslandsförde- nicht finanzierbar. Verrechnet man allerdings die rung — da muß doch nun noch Butter an die Fische, Sozialhilfekosten und die in einer Reihe von Ländern 6642 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Doris Odendahl bestehende Förderung von begabten Schülern mit Diese Regelung war bereits ein erheblicher Fort- den Kosten einer Novelle, wie sie die SPD-Bundes- schritt im Vergleich zu meiner eigenen Stipendienbe- tagsfraktion in der unendlichen BAföG-Geschichte messung im real existierenden Sozialismus. Danach immer wieder vorgeschlagen hat, so sieht man, daß erhielt ich, obwohl ich selbst bereits Facharbeiter war, die Reform für die Länder durchaus haushaltsneutral das Mindeststipendium von 140 Mark, da mein ver- ist, ganz abgesehen davon, daß die Bundesregierung storbener Vater zu Lebenszeiten Angestellter war, damit auch ihre blamablen Fehlleistungen beim Fami- also nicht der Arbeiterklasse zugerechnet werden lienlastenausgleich korrigieren könnte. konnte. In einem weiteren Punkt hat die Bundesregierung Was ist dagegen, liebe Frau Odendahl, die regel- ihre Hausaufgaben nicht gemacht. In einer Beschluß- mäßige Novellierung des BAföG? Ich finde es eine empfehlung des Petitionsausschusses wurde sie auf- wunderbare Sache. gefordert, für die von 1983 bis 1990 auf Volldarlehen geförderten Ausgebildeten, soweit diese noch Zah- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — lungen zu leisten haben, nach einer Erleichterung zu Zurufe von der SPD: Ein Paradies!) suchen. Sie sollte sich dabei ins Gedächtnis rufen, daß Das mit dem BAföG vereinbarte Verfahren zur Studierende, die in der Zeit von 1982 bis 1990 den Bedarfsbemessung nach dem aktuellen Durchnitts- Höchstbetrag erhielten, mit durchschnittlich 40 000 einkommen halte ich für eine hervorragende, sozial DM Schulden ins Berufsleben starten mußten. Der angelegte Methode. Insofern ist es richtig, daß mein Geamtschuldenberg summierte sich auf über 15 Mil- studierender Sohn jetzt in Anbetracht meines aktuel- liarden DM. Gleichzeitig sank der Gefördertenanteil len Einkommens über das BAföG nicht gefördert dramatisch. 1972 erhielten noch 43 % aller Studieren- wird. den BAföG, 1988 dagegen lediglich 22,6 %. Die Überprüfung der Bedarfssätze im BAföG ergab Ich muß hier leider die zwölfte Sozialerhebung einen Erhöhungsbedarf entsprechend den gestiege- zitieren, weil die dreizehnte anscheinend Verschluß- nen Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten. Die sache ist. Alles, was Sie heute an Reparaturmaßnah- Steigerungssätze werden befristet noch unterschied- men vorsehen — das weiß ich durchaus zu würdigen, lich nach westlichen und östlichen Bundesländern Herr Minister Ortleb —, korrigiert diese Abwärtsent- festgelegt. Dazu gingen mir Änderungswünsche und wicklung nur bruchstückweise. Die Zahlen der zwölf- -forderungen von mehreren Verbänden zu, z. B. von ten Sozialerhebung haben es belegt: Im Jahre 1988 dem Deutschen Studentenwerk, der Kammer der besuchten von 100 Beamtenkindern 49 eine Hoch- Technik und dem RCDS, aber auch vom Freistaat schule, von 100 Arbeiterkindern dagegen nur acht. Sachsen, aus dem ich komme, und dem Land Meck- Die Sparpolitik beim BAföG hat vor allem einkom- lenburg-Vorpommern. mensschwache Familien ge troffen, und von Chancen- Welche grundsätzlichen Rahmenbedingungen sind gleichheit, die einmal das gemeinsame Anliegen bei zu sehen? der Schaffung der Ausbildungsförderung in diesem Hause war, kann keine Rede mehr sein. Wir alle wünschen uns möglichst schnell einheitli- Mein Appell an die Bundesregierung und die Regie- che Lebensbedingungen in Deutschland. Das be trifft rungskoalition kann also nur lauten — geben Sie das alle Bevölkerungsschichten, neben der Jugend, den auch Herrn Waigel weiter —: Bereiten Sie endlich Studierenden, aus meiner Sicht vor allem die Senioren dem BAföG-Poker ein Ende! und die Behinderten. Vielen Dank. Zur Herstellung der inneren Einheit Deutschlands gehört auch eine zunehmende Mobilität von Ost nach (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste West. Ich wünschte mir — im Zusammenhang mit dem sowie des Abg. Dr. Ulrich Briefs [fraktions- Studium — auch eine zunehmende Mobilität von West los]) nach Ost. Einheitliche Lebensverhältnisse be treffen aber Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun er- auch das Arbeitsplatzangebot, die Effizienz der Pro- teile ich dem Abgeordneten Dr. Jork das Wort. duktion, die Verkehrs- und die Umweltbedingungen. Die Ausgaben müssen allgemein in einer vernünfti- gen Relation zu den Einnahmen und dem sozialen Dr. -Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Herr Präsident! Umfeld stehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der heutigen Diskussion zum 15. BAföG-Änderungsge- Die Bundesregierung schlägt eine differenzierende setz möchte ich als Abgeordneter der CDU/CSU- Gestaltung der Bedarfssätze vor. Nach Art. 6 der Fraktion, aber besonders als Abgeordneter aus den BAföG-Novelle soll in zwei Stufen, nämlich in einem neuen Bundesländern auch an die Fördersysteme in ersten Schritt am 1. Juli 1992, in einem zweiten am 1. Juli 1993, die volle Anhebung des sogenannten der ehemaligen DDR erinnern. Das Grundstipendium von im Regelfall 200 DM war eitern- bzw. einkom- Grundbedarfs an Westniveau erfolgen. mensunabhängig und nicht bedarfsdeckend. Zu- Aus Erhebungen und eigenen Einschätzungen läßt nächst gab es aber das Leistungsstipendium, das sich erkennen, daß der Anstieg der Lebenshaltungs- neben guten Studienleistungen den Nachweis einer kosten in den östlichen Bundesländern rascher vorbildlichen politischen Haltung erforderte. Ferner erfolgte, als zu erwarten war. Das haben wir ja auch in wurden Zuschläge für längerdienende NVA-Solda- Leipzig gehört. Das be trifft u. a. die Preise für Eisen- ten, nach längerer Berufstätigkeit oder in sozialen bahn und Nahverkehrsmittel, Lebensmittel und Tex- Härtefällen gewährt. tilien, aber auch einen Grund- und Nachholbedarf bei Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6643

Dr.-Ing. Rainer Jork Büchern und Rechentechnik, die für Studierende betroffenen Länder für die Bundesregierung akzepta- unverzichtbar sind. bel gestaltet werden. Ich bitte in meinem eigenen Namen besonders Ich danke Ihnen. herzlich, Möglichkeiten für die Anpassung in einem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Schritt bereits für den 1. Juli dieses Jahres zu prüfen. Dabei sehe ich mich übrigens auch in Übereinstim- mung mit einem entsprechenden Beschluß des CDU- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das Wort erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Dr. Keller. Bundesparteitages Ende 1991 in Dresden. (Dr. Dietmar Keller [PDS/Linke Listel: Sehr Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- richtig!) dent! Meine Damen und Herren! Es ist nicht zu Eine persönliche Bemerkung zur Studienzeit: Ich übersehen, daß die Bundesregierung mit der in ihrem halte die weitgehende Einhaltung der Regelstudien- Gesetzentwurf versuchten Festschreibung der Un- zeit, eine Minderung der Abbruchquoten und eine gleichbehandlung ostdeutscher Studierender gegen- Senkung der Ausbildungszeiten einschließlich des über ihren westdeutschen Kommilitonen und Kommi- Studiums für unverzichtbar — auch im Blick auf die litoninnen ziemlich alleinsteht. Weder der Bundesrat Konkurrenzfähigkeit im künftigen Europa. Das noch der BAföG-Beirat noch Studentinnen- und Stu- bedeutet auch, daß für Studierende Bedarfssätze so dentenverbände und andere Verbände haben dafür festgelegt werden, daß sie nicht während der Seme- Verständnis, am wenigsten die ostdeutschen Studie- ster „jobben" müssen. Grundlagen dafür sehe ich renden und ihre Eltern. durch den Gesetzentwurf gelegt. Ich muß auch daran erinnern, daß der Gesetzent- Der Gesetzentwurf sieht für Studierende in den wurf ein Zeichen von Unglaubwürdigkeit von Ver- östlichen Bundesländern, die in Wohnheimen mit sprechungen ist. Ich darf Sie, Herr Bundesminister, öffentlich-rechtlicher Trägerschaft wohnen, bei Mie- daran erinnern, daß Sie im Oktober 1991 die Anglei- ten eine Selbstbeteiligung von 25 % vor. Minister chung des Grundbedarfssatzes für 1992 angekündigt Ortleb sagte bereits —und diesen Standpunkt teile ich haben. Dankenswerterweise hat Herr Jork ja schon

—, daß die Zusicherung der Länder gefragt ist, daß Selbstkritik betreffs des Beschlusses des CDU-Partei- entsprechende Mieterhöhungen nicht zur Ausnüt- tages von Dresden geübt. zung der BAföG-Leistungen führen dürfen. In diesem Eine stichhaltige Begründung für die Ungleichbe- Sinn wäre nach Abgabe der Zusicherung der Länder handlung der ostdeutschen Studierenden vermag die an dieser Stelle eine Korrektur durch die Bundesre- Bundesregierung auch in ihrem umfänglichen Bericht gierung — so habe ich seine Ausführungen verstan- zur Überprüfung der Bedarfssätze nicht zu geben. So den — akzeptabel. ist die im Bericht herangezogene Begründung, daß Für die nächste BAföG-Novelle habe ich den der Zentralwert der durchschnittlichen monatlichen Wunsch, eine entsprechende Förderung auch im Gesamtausgaben der ostdeutschen Studierenden Zusammenhang mit Meisterlehrgängen und -prüfun- 1991 552 DM betragen habe, außerordentlich faden- gen vorzulegen. Dazu bewegt mich auch die zuneh- scheinig, da von diesen Ausgaben keineswegs auf den mende Diskrepanz, was die Relation zwischen beruf- tatsächlichen Bedarf geschlossen werden kann. Inter- licher und akademischer Bildung angeht; wir spra- essanterweise ist im Bericht auch nur von einer chen vorhin schon darüber. Im Zusammenhang mit Ermittlung des durchschnittlichen monatlichen Be- einer Korrektur der Ein- und Aufstiegsordnung sowie darfs für einen Normalstudierenden (West) die Rede, den Studienzugangsbedingungen muß den wirt- und der betrug 1991 immerhin 1 030 DM. Die fakti- schaftlichen Erfordernissen besser entsprochen wer- sche Schlechterstellung der Oststudierenden beginnt den. also offensichtlich schon mit einer methodischen Ungleichbehandlung, also der Wahl anderer Erhe- Ich möchte kurz zusammenfassen: bungs-, Ermittlungs- und Berechnungsmethoden. Erstens. Angesichts des enormen Arbeitsaufwandes Andere Begründungen sind ebenso haltlos. So hat und Engagements bei der verwaltungstechnischen die im Bericht verwendete, vom Deutschen Institut für Vorbereitung und Durchführung der BAföG-Rege- Wirtschaft berechnete zwischen 8 und 19 % höhere lungen in den östlichen Bundesländern möchte ich Kaufkraft der D-Mark im Osten im vierten Quartal den beteiligten Mitarbeitern — auch denen aus den 1991 überhaupt nichts mehr mit dem Grundbedarf von westlichen Bundesländern — herzlich danken. Studierenden zu tun. Sie wird überdies durch den Zweitens. Die Steigerung der Bedarfssätze ist erfor- vorausgesagten Anstieg der Lebenshaltungskosten in derlich und angemessen. Für die östlichen Länder Ostdeutschland von 13 % im Jahre 1992 aufgezehrt. müssen diese Sätze in richtiger Relation zu den Alle ernstzunehmenden Fakten sprechen für eine genannten wirtschaftspolitischen Kriterien gesehen sofortige Anpassung der Grundbedarfssätze, aber werden. auch — bei entsprechendem Nachweis der Mietko- sten — für eine Angleichung der Vollförderung, die Drittens. Ich bitte darum, die Möglichkeit einer im Osten 1992 620 DM, im Westen aber 790 DM Grundbedarfsanpassung in einem Schritt zum 1. Juli betragen soll. Nach den von der Bundesregierung in 1992 nochmals zu prüfen. ihrem Bericht selbst vorgelegten Berechnungen ist für Letztlich viertens. Eine Streichung der vorgesehe- 1992 von gleichen Lebenshaltungskosten in Ost und nen 25 %igen Beteiligung von Studierenden an Spit- West auszugehen. zenanteilen für Mieten in Wohnheimen öffentlicher Darüber hinaus, meine Damen und Herren, ist Träger sollte durch Mietbegrenzungserklärungen der zumindest noch auf folgendes hinzuweisen: erstens 6644 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Dr. Dietmar Keller auf den unbestrittenen Nachholbedarf ostdeutscher Das BAföG ist nach wie vor ein Dauerreparaturgesetz. Studierender bei der Anschaffung von Lernmitteln; Es beinhaltet den Auftrag an die Bildungspolitik, die zweitens auf die in Ostdeutschland kaum — fast Entwicklung der Einkommensverhältnisse und der überhaupt nicht — gegebene Möglichkeit von Ne- Vermögensbildung, die Veränderung der Lebenshal- benerwerbstätigkeiten, denen in Westdeutschland tungskosten sowie die finanzwirtschaftliche Entwick- immerhin 50 % der Studierenden regelmäßig nachge- lung regelmäßig zu prüfen, um Bedarfssätze, Frei- und hen; drittens auf die — vielleicht nicht gewollte — Höchstbeträge neu festzusetzen. Unser Ziel bleibt es, Förderung eines Studiums im Westen durch die stu- den realen Wert der Ausbildungsförderung zu erhal- dienortgebundene Gewährung der Bedarfssätze mit ten; denn eine Begrenzung der Bildungschancen dem Effekt, daß der in Westdeutschland studierende junger Menschen durch den Geldbeutel der Eltern Ostdeutsche mehr bekommt als bei einem Studium zu muß auch in Zukunft ausgeschlossen sein. Hause und auch seine Eltern erst bei einem höheren Einkommen in die eigene Tasche greifen müssen; und In den neuen Bundesländern, in denen das BAföG zum 1. April 1991 eingeführt worden ist, wurden im viertens auf die Einkommenssituation der ostdeut- schen Familien, die gegenwärtig bei etwa 50 % des Herbst des vergangenen Jahres 180 000 Schüler und Westniveaus angekommen ist und Zuwendungen für Studenten gefördert; das sind übrigens 80 % aller das studierende Kind in der Regel sehr schwer Studierenden dort. Im Westen sind es 30 % Geför- macht. derte. Für die ostdeutschen Studierenden galten wegen der niedrigeren Lebenshaltungskosten in den Der Bericht der Bundesregierung belegt eindrucks- neuen Ländern 1991 abgesenkte Bedarfssätze. Da voll, daß für die überwiegende Mehrheit der studier- dort aber auf Grund der raschen wirtschaftlichen willigen ostdeutschen Jugendlichen im Unterschied Anpassungsprozesse schnelle Änderungen festzustel- zu den westdeutschen nur ein BAföG-finanziertes len sind, wollen wir mit diesem 15. Änderungsgesetz Studium möglich ist — oder überhaupt keines. die Bedarfssätze und Freibeträge der Einkommens- In Westdeutschland beträgt die Gefördertenquote entwicklung und den veränderten Lebenshaltungsko- weniger als 30 % der Studierenden, in Ostdeutschland sten anpassen. Der reale Lebensstandard der vom 90 %. In Ostdeutschland haben mehr als 50 % der BAföG erfaßten Studierenden darf nicht sinken. So Studierenden Anspruch auf Vollförderung; im Westen nähern sich z. B. die allgemeinen Lebenshaltungsko- sind es weniger als 10 %. Warum ignoriert da die sten und die Mieten langsam dem westlichen Bundesregierung durch die unbegründete Schlech- Niveau. terstellung der ostdeutschen Studierenden dieses hohe Maß des Angewiesenseins auf BAföG? Die stufenweise Angleichung des Grundbedarfs war in den letzten Wochen Anlaß für ungerechtfer- Übrigens belegt die Gefördertenquote von 90 % die tigte Aufgeregtheiten; denn es gibt trotz der zuneh- von mir schon früher angemerkte Unsinnigkeit der menden Angleichung der Ausbildungs- und Lebens- puren Übertragung der aufwendigen „Bafögologie" haltungskosten sehr wohl noch beträchtliche Unter- auf Ostdeutschland. Während der in Westdeutschland schiede zwischen Ost und West. Ob bei den Sozialbei- betriebene Aufwand vor allem durch die Einkom- trägen, bei den Verkehrstarifen oder bei den Preisen menssituation der Familien und der Studierenden für Mensaessen: Wir stellen immer noch durchschnitt- selbst noch eine gewisse Berechtigung haben mag, lich Unterschiedsbeträge fest. Diesen Unterschieden um die etwa 30 % Förderungsberechtigten herauszu- müssen wir auch finanzpolitisch Rechnung tragen. finden, war dieser gleiche Aufwand in Ostdeutschland Wir zementieren hiermit keine Ungerechtigkeit zwi- für einen längeren Übergangszeitraum mit Sicherheit schen Ost und West, wie uns das die Opposition nicht nötig. weismachen will. Ich glaube — an Sie, Herr Bundesminister, und an die Regierungskoalition gewandt —, Nachbesserun- Auch andere Sozialleistungsgesetze wie z. B. das gen sind im Interesse der Studenten in Ostdeutschland Bundessozialhilfegesetz differenzieren bei der Lei- dringend nötig. stungsgewährung weiterhin zwischen alten und neuen Ländern. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) (Zuruf von der SPD: Das ist ja das Falsche!) Der Vorwurf der SPD-Opposition, es handele sich hierbei um eine fortgesetzte Diskriminierung der Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Nunmehr erteile ich der Abgeordneten Frau Funke-Schmitt- Auszubildenden, liebe Frau Odendahl, entbehrt also Rink das Wort. jeder Grundlage. Im Gegenteil, das Gesetz stellt sicher, daß die Studierenden nicht von der allgemei- nen Entwicklung abgekoppelt werden.

Dr. Margret Funke - Schmitt - Rink (F.D.P.): Herr Prä- sident! Meine Herren! Meine Damen! Am 1. Oktober Natürlich haben auch wir Liberale Wünsche, die des vergangenen Jahres konnten wir das 20jährige offenbleiben müssen. Der Vorstoß des CDU-Partei- Jubiläum des Bundesausbildungsförderungsgesetzes tags vom Dezember, auf den Sie, Herr Jork, hingewie- begehen und damit auf eines unserer wichtigsten sen haben, die Angleichung des Grundbedarfssatzes Instrumente zurückblicken, Jugendlichen aus sozial in diesem Jahr in einem Zug vorzunehmen, war schwachen und bildungsfernen Familien den Weg publizistisch gelungen. Doch bisher war es leider zum Studium zu ebnen. nicht möglich, den Finanzrahmen bereitzustellen. Das Jubiläum ist allerdings auch Mahnung, uns (Eckart Kuhlwein [SPD]: Schon wieder Krach nicht auf Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen. in der Koalition, oder?) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6645

Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink Ich bedauere dies sehr. teiligen würde, werden wir Liberalen auch zukünftig an der Studienabschlußförderung festhalten. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Die Koaition ist zutiefst zerstritten!) (Beifall bei der SPD — Eckart Kuhlwein [SPD]: Das machen wir gemeinsam!) — Ich habe gesagt, ich bedauere das sehr. Da gibt es Fazit: Die 15. Novelle des BAföG schafft ohne jeden überhaupt keine Zerstrittenheit. Zweifel eine Besserstellung der Studierenden. (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Meinungs (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) freiheit!) Die Angleichung der Sätze wird in einem vertretbaren Auch der Finanzrahmen muß doch dargestellt wer- Zeitabschnitt und in sinnvollen zwei Schritten den. - erreicht. Daher sind die Versuche der Opposition, das Gesetz kaputtzureden, ohne jede Chance. Doch zurück zur 15. Novelle: Es ist eine vernünftige (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU und sachgerechte Lösung, den Wohngeldzuschlag sowie bei Abgeordneten der SPD) auch für Studierende, die zwar am Wohnort ihrer Eltern, aber nicht bei ihren Eltern wohnen, nicht zu streichen, zumal umfangreiche Umgehungsmöglich- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Nunmehr keiten einen nicht zu rechtfertigenden Überprüfungs- erteile ich dem Abgeordneten Hilsberg das Wort. aufwand erforderlich gemacht hätten. Stephan Hilsberg (SPD): Herr Präsident! Meine (Stephan Hilsberg [SPD]: So ist es! — Eckart Damen und Herren! Es ist ja immer ganz erfreulich, Kuhlwein [SPD]: Wer hat sich das überhaupt die F.D.P.-Strategie sozusagen exemplarisch hier im ausgedacht? In welchem kranken Hirn ist Bundestag vorgeführt zu bekommen: Zuerst entwik- diese Idee entstanden?) kelt jemand, gelinde gesagt, einen gewissen An dieser Stelle möchte ich auf eine wichtige Schwachsinn, und dann profiliert man sich dagegen Änderung in der BAföG-Novelle hinweisen: Der positiv. — Lassen wir doch den Schwachsinn bei- zurückzuzahlende Förderungsbetrag von Auszubil- seite! denden, denen wegen einer Schwangerschaft oder (Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink [F.D.P]: der Pflege bzw. Erziehung eines Kindes bis zum Wo ist der Schwachsinn?) vollendeten fünften Lebensjahr Ausbildungsförde- Im übrigen: Sie haben uns an dieser Stelle natürlich als rung über die Förderungshöchstdauer geleistet wird Partner. Wir begrüßen dies. Wenn wir auf diese Art — auch Herr Ortleb hat dies schon dargestellt —, wird und Weise dazu beitragen können, daß gewisse kon- sich für die Betroffenen nicht erhöhen, da diese servative Elemente beiseite gedrückt werden können, Förderungsbeiträge künftig als Zuschuß geleistet dann sind wir auf dieser Grundlage selbstverständlich werden. Ich betrachte das als ein Instrument der zu jeder konstruktiven Zusammenarbeit bereit. Frauenförderung. Erziehende werden damit für ihre zusätzliche Belastung gewürdigt und von einer finan- Die Umstellung der elternunabhängigen Förderung ziellen Benachteiligung verschont. Das haben Sie auf niedrigerem Niveau für Schülerinnen und Schü- leider zu erwähnen vergessen, Frau Odendahl. ler, Studentinnen und Studenten usw. in der ganzen DDR auf das jetzige BAföG war alles andere als Des weiteren werden im Inland förderungsberech- unproblematisch. Die schlechte Datenlage, die Tatsa- tigte Ausländer in die Auslandsförderung einbezo- che, daß man offenbar immer noch sehr wenig über gen, wenn sie an einem integrierten Studiengang die neuen Bundesländer weiß — wie sich im Bericht teilnehmen, der zwingend vorsieht, daß ein Teil des zeigt —, deutet die bestehenden Probleme immer Studiums an einer ausländischen Hochschule durch- noch an. Trotzdem und gerade deshalb möchte ich geführt wird. In diesem Punkt müssen wir, so denke mich bei Ihnen, Herr Bundesminister, und bei Ihren ich, gerade bei der Förderung des Auslandsstudiums Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür bedanken, im Hinblick auf den EG-Binnenmarkt ohnehin Per- wie schnell die Einführung des BAföG gelungen ist. spektiven für eine Erweiterung des BAföGs entwik- Das war keine einfache Aufgabe. Alles in allem stellt keln. es doch eine Besserstellung der ostdeutschen Studen- ten dar. Das muß an dieser Stelle eindeutig gesagt (Eckart Kuhlwein [SPD]: Das ist richtig!) werden. Wichtig ist für uns zum Schluß auch die Frage nach (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einer Verlängerung der Studienabschlußförderung. der F.D.P.) Wir Liberalen begrüßen, daß an der Förderung in der Examensphase bis zum Herbst 1993 nicht gerüttelt wurde. Wir sind nun aufgerufen, Erfahrungen über die Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Herr Ab- Zweckmäßigkeit der Abschlußförderung zu sammeln geordneter, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeord- und auszuwerten. neten H ansen zu beantworten?

(Eckart Kuhlwein [SPD]: Was Sie heute alles Stephan Hilsberg (SPD): Selbstverständlich. — Bitte begrüßen müssen, das ist schon toll!) schön. Sollten die Erfahrungen zeigen, daß eine Nichtfort- führung der Förderung über 1993 hinaus eine Verlän- Dirk Hansen (F.D.P.): Herr Kollege Hilsberg, sind gerung der individuellen Studienzeit bewirken und Sie nicht mit mir der Auffassung, daß das, was Sie Studenten aus sozial schwächeren Familien benach gerade zum Schluß gesagt haben, das aufhebt, was Sie 6646 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Dirk Hansen zu Anfang hinsichtlich eines bestimmten Schwach- kommen, hätte ich mir an dieser Stelle etwas mehr sinns geäußert hatten? versprochen. Ich glaube auch, daß Sie wahrscheinlich (Eckart Kuhlwein [SPD]: Das war der andere Schelte für Ihre übrigen Koalitionspartner bekommen. Punkt!) Wahrscheinlich fällt es auch Ihnen in der ersten gesamtdeutschen Regierung schwer, einen vernünfti gen Interessenausgleich durchzusetzen. Stephan Hilsberg (SPD): Ich verstehe ja, daß es für Für die Gleichstellung ist auch die Zustimmung der Sie immer wieder notwendig ist, auch mit Hilfe der ostdeutschen Länder im Bundesrat erreicht worden; Opposition wichtige Punkte, die in der Regierungs- im Gegensatz zur Situation bei der 14. BAföG- politik verändert werden müssen, durchzusetzen. Sie Novelle, wo, wie man leider anmerken muß, die werden der Opposition nicht verdenken, das, was- ostdeutschen Länder selber dazu beigetragen haben, falsch ist, auch als Schwachsinn zu benennen. Wir daß es nicht zu einer Angleichung kam. wollen uns nicht in das Geschäft einmischen, das, was schlecht ist, gut zu nennen, auch wenn Ihnen das Ende der vergangenen Woche hatte sich schon der möglicherweise besser passen würde. Bundesrat mit dem Thema BAföG auseinandergesetzt und zu einer Reihe von Einzelfragen umfangreiche (Zuruf von der CDU/CSU: Aber Schwachsinn Veränderungen und Verbesserungen vorgeschlagen ist etwas anderes! Das würde ich zurückneh- und verlangt. men!) Trotzdem muß ich einige Anmerkungen machen. Leider hat im Bundesrat die Weiterführung der Ich will versuchen, sie schnell durchzugehen: Studienabschlußförderung noch keine Mehrheit ge- funden. Mit dieser Abschlußförderung können Stu- Der wichtigste Punkt ist mir natürlich die sofortige dierende BAföG erhalten, die innerhalb der nächsten Angleichung des BAföG in der gesamten Bundesre- maximal zwölf Monate ihr Studium abschließen kön- publik: gleiches BAföG in Ost und West, und zwar nen, auch wenn die Förderungshöchstdauer erreicht nicht erst 1993, sondern schon Ende dieses Jahres. oder überschritten ist. Diese Form der Förderung ist Es gibt keine Gründe mehr dafür, eine Angleichung damit ein Notnagel für diejenigen Studenten, die ihr des Grundbedarfs abzulehnen. Die Preise in Deutsch- Studium nicht in der Zeit abschließen können, die land sind überall gleich hoch. Eher sind sie in den vorgesehen ist. Nur wenige Studierende aber können neuen Bundesländern sogar noch ein wenig höher, ihr Studium in den alten Bundesländern rechtzeitig weil wir dort noch nicht die Konkurrenz haben, die die beenden. In den neuen Bundesländern ist das Betreu- Preise woanders drückt. Eine Supermarktkette bei- ungsverhältnis von Hochschullehrern zu Studieren- spielsweise, die den örtlichen „Konsum" aufgekauft den noch gut, und das Studium kann in der Regelstu- hat, diktiert jetzt die Preise. Für einen Stadtteil mag dienzeit bewältigt werden. das entscheidend sein. In den kommenden Jahren wird die Zahl der Auch in anderen Bereichen lassen sich eher stärkere Studierenden in den neuen, jungen Bundesländern finanzielle Belastungen für Oststudenten ausmachen. jedoch steigen. Wir begrüßen es, wenn immer mehr Zum Beispiel werden Sie nicht abstreiten, daß ost- junge Menschen — ungehindert durch systembe- deutsche Eltern im Gegensatz zu westdeutschen dingte Umstände — ihren Wunsch nach Bildung Eltern über ein viel geringeres Finanzvolumen verfü- realisieren können. gen und daß sie deshalb während des Studiums ihre Kinder lange nicht so gut unterstützen können. (Beifall bei der SPD) Gründe hierfür sind die geringeren Löhne und ist die Dieser Wunsch ist in der ehemaligen DDR verständ- gestiegene Arbeitslosigkeit. Das wird ja auch noch auf licherweise ungeheuer groß. Nachholen- und Aufho- eine gewisse Zeit so bleiben. len-Wollen verbindet sich mit der Erkenntnis, daß Erklärungen wie die Gegenäußerung der Bundes- eine gute, fundierte berufliche Perspektive eine gute regierung zu den Beschlüssen des Bundesrates, der Ausbildung voraussetzt. die Ost-West-Angleichung jetzt beschlossen hat, neh- men sich da mager aus. Es mag sein, daß der Sozial- Wenn sich diese Prognosen erfüllen — und sie betrag an den ostdeutschen Hochschulen noch nied- werden sich erfüllen —, dann werden die Bedingun- riger ist. Aber der braucht ja lediglich einmal im gen für ein Studium im Osten genauso aussehen wie Semester von jedem Studenten entrichtet zu wer- hier in den alten Ländern: überfüllte Hörsäle, Warte- den. zeiten auf Plätze in Praktika und viel zu wenig persönliche Beratung und Betreuung der Studentin- Wer aber spricht von den ständigen Ausgaben der nen und Studenten. Das dumme Geschwätz, daß wir Studierenden? Ein Beispiel ist die Miete, auch die im Osten lediglich die bundesdeutschen Strukturen zu Miete in den Internaten, in denen die Studenten leben übernehmen bräuchten, um zu einer Verbesserung müssen. Die Miete muß ja geradezu heraufgesetzt der Lage zu kommen, hat dazu geführt, daß mögliche werden. Sonst haben die Internate nicht die finanziel- innovative Elemente, wie beispielsweise das Betreu- len Mittel, um kostendeckend zu arbeiten, vor allem ungsverhältnis in der gesamtdeutschen Hochschul- bei dem Ausbaubedarf, der dort zur Zeit herrscht. Das landschaft nicht zur Kenntnis genommen wurden. Wie ist der aktuelle Zustand. gesagt, in den neuen Bundesländern ist das eigentlich Notwendig wäre die Angleichung schon in der noch kein Thema, aber wenn diese Entwicklung so 14. Novelle gewesen. Aber Sie haben sie nicht einmal weitergeht, wie sie zur Zeit dort stattfindet, dann wird in der 15. Novelle vorgeschlagen. Gerade von Ihnen, es binnen kurzem, binnen weniger Jahre ein Thema Herr Minister, der Sie aus einem östlichen Bundesland sein. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6647

Stephan Hilsberg Wird die Studienabschlußförderung nicht jetzt ver- daß diejenigen, die hier studieren wollen, aus reichen längert, dann können ab Oktober dieses Jahres nur Familien kommen müssen. Das heißt: Europa nur für noch verkürzte Bescheide vergeben werden. Da nützt den reicheren Teil. Damit können wir keinesfalls auch alle Beteuerung nichts, daß man sich darüber einverstanden sein. noch einmal unterhalten will; denn wann soll das in Wenn es in den anderen europäischen Staaten kein Kraft treten? Wenn sich die Zahlen der Studierenden so gutes System der Ausbildungsförderung wie bei an den Hochschulen in den neuen Ländern vervierfa- uns geben sollte, sollte sich die Bundesregierung chen, wird es auch dort sehr viel mehr als eng dafür stark machen, daß eine solche Förderung einge- werden. richtet wird. Das wäre die Antwort darauf. Ich möchte noch ein anderes Problem ansprechen: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Die Diskussion über die politische Bildungsdiskrimi-- nierung ist von uns im vergangenen Jahr angerissen geordneter, nachdem Sie Ihre Redezeit schon deutlich worden. Das BAföG enthält — leider nur in den überschritten haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Ausführungsbestimmungen — Vorschriften, um den Sie zum Ende kämen. von der Bildungsdiskriminierung Betroffenen neue (Eckart Kuhlwein [SPD]: Aber er sagt Wich Chancen und Möglichkeiten zu geben. tiges!) Das Problem daran ist: Diese Vorschriften kennt niemand. Deshalb können sie auch nicht greifen. In Stephan Hilsberg (SPD): Sie gestatten mir noch diesem Bereich wäre ein Mehr an Öffentlichkeitsar- einen Satz? beit hilfreich. Wir haben das im Ausschuß angemahnt. Es ist bis jetzt nicht erfolgt. Diese Öffentlichkeitsarbeit Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte muß sich direkt an die Menschen wenden. sehr. Ohne das Lob am Anfang meiner Rede zurückzu- nehmen, zeigt sich, daß die überstürzte Einführung Stephan Hilsberg (SPD): BAföG ist gut und wichtig. des BAföG in den neuen Ländern doch Nachteile Wir brauchen aber nicht zu lobhudeln. BAföG hat die hatte: In den neuen Ländern wird nämlich die Höhe wichtige Funktion, daß Innovation in der Gesellschaft realisiert werden kann, Innovation, die aus allen des Anspruchs auf BAföG anders als in den alten Ländern festgestellt. Während dort die Einkommen gesellschaftlichen Schichten, auch aus den ärmeren, von vor zwei Jahren entscheidend sind, gelten in den kommt. Darüber ist zu reden. Mögen die Regierung neuen Ländern die Einkommen der letzten drei und die Regierungsfraktionen noch so lobhudeln, wir Monate des letzten Jahres. werden konstruktiv bleiben. Vielen Dank. Das Verfahren mag für 1991, in dem die Monate Oktober bis Dezember 1990 Grundlage waren, richtig (Beifall bei der SPD) gewesen sein. Wer allerdings in diesem Jahr BAföG beantragt, bei dem werden die letzten drei Monate Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr des letzten Jahres, also von 1991, zugrunde gelegt, erteile ich dem Abgeordneten Hollerith das Wort. inklusive Weihnachtsgeld, und dieser Betrag wird mit vier multipliziert. Das führt dazu, daß ein im Durch- Josef Hollerith (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine schnitt höheres Einkommen berechnet wird, als es Damen und Herren! Vor uns liegen der Entwurf des tatsächlich vorhanden ist. 15. BAföG-Änderungsgesetzes, der Bericht zur An- passung der Bedarfssätze, Frei- und Höchstbeträge (Beifall bei der SPD) nach § 35 BAföG sowie der Bericht der Bundesregie- Weitere Schwierigkeiten werden sich künftig bei rung hinsichtlich der Änderungen bei der Förderung der Höhe der Freibeträge und der Bedarfssätze erge- von Ausländern sowie zur Änderung der Förderungs- ben. Ich will dabei nur darauf verweisen, daß die art zugunsten der Studierenden mit Kindern. Bundesregierung eine höhere Steigerung der Net- Vor uns liegt aber auch die Verwirklichung des toeinkommen erwartet, als sie sie bei der Erhöhung EG-Binnenmarktes. Unsere Ausbildungsförderung der Freibeträge vorgesehen hat. Das bedeutet, daß muß daher sicherstellen, daß die deutsche Jugend wieder Familien aus der Förderung herausfallen wer- auch innerhalb der EG-Konkurrenz berufliche Zu- den, die auf diese zusätzlichen Mittel angewiesen kunftsperspektiven hat. sind. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Richtig!) Deswegen ist die vorgesehene Erhöhung der Frei- Daher begrüße ich die Änderung des Art. 1 Nr. 1 beträge in zwei Stufen um 6 % genauso wenig ausrei- (neu) und 6 BAföG, mit der eine Zusatzausbildung für chend wie die Anhebung der Bedarfssätze in dem die Verwendung im europäischen Raum, insbeson- gleichen Umfang. Im Bericht gemäß § 35 geht die dere für Absolventen von Fachhochschulen, gefördert Bundesregierung selber von einer Steigerung der werden soll. Die Kritik des Bundesrates daran, daß für Lebenshaltungskosten in den alten Bundesländern derartige Zusatzausbildungen bereits im Rahmen um allein 4 % im laufenden Jahr aus. akademischer Austauschprogramme Förderungs- Ich will einen letzten Punkt ansprechen, der mir sehr möglichkeiten bestehen, ist nicht von der Hand zu wichtig ist. Für über 21jährige Kinder von EG- weisen. Die Auswirkungen des europäischen Binnen- Ausländern gibt es derzeit kein BAföG. Nur wenn die marktes auf das BAföG weisen jedoch — wie wir dem Eltern ihnen vollen Unterhalt gewähren können, dür- Bericht der Bundesregierung vom Dezember 1991, fen sie bei uns studieren. Das ist keine aufgeschlos- Bundestagsdrucksache 12/1900, entnehmen kön- sene Politik gegenüber Europa. Es bedeutet nämlich, nen — auf die Notwendigkeit weiterer Ausbildungs- 6648 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Josef Hollerith förderung für Auslandsaufenthalte hin, um den Erf or- zugesichert haben, die in der 9. Novelle des Arbeits- dernissen der fortschreitenden Mobilität innerhalb förderungsgesetzes erfolgte Kürzung der Zuschüsse der EG Rechnung zu tragen. zu den Kosten der Meisterkurse ab 1992 rückgängig zu machen. Um sicherzustellen, daß deutsche Berufsanfänger diesem Erfordernis fortschreitender Mobilität in der Das zur Entscheidung vorliegende Fünfzehnte EG gerecht werden können, müssen wir über die Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförde- Verbesserung der Ausbildungsförderungsmittel hin- rungsgesetzes begrüße ich. Es sollte aber lediglich der aus erstens dafür sorgen, daß unsere im EG-Vergleich erste Schritt zur Verbesserung von Ausbildungs- und viel zu langen Studienzeiten kürzer werden. Es reicht Berufsförderung in dieser Legislaturperiode sein. Im nicht, daß wir die Förderungssätze an die gestiegenen nächsten notwendigen zweiten Schritt müssen wir uns Lebenshaltungskosten anpassen. Erforderlich sind - der Verbesserung der beruflichen Aus- und Weiterbil- Anreize für die Studenten, ihr Studium in kürzerer dung annehmen. Zeit erfolgreich zu absolvieren. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Nur dann haben auch deutsche Akademikerinnen und Akademiker die Chance, dem Wettbewerb mit Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr ihren zur Zeit noch weit jüngeren EG-Konkurrenten erteile ich dem Abgeordneten Graf von Waldburg standzuhalten. Zeil das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zweitens müssen wir dafür sorgen, daß die Schulab- Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Herr gänger entsprechend ihren Neigungen und Fähigkei- Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ten die Möglichkeiten beruflicher Aus- und Weiter- Solche Aussprachen haben manchmal doch etwas bildung genauso in Betracht ziehen wie ein Studium. Nützliches, wenn man etwas richtigstellen kann. Herr Das zu erreichen, meine Damen und Herren, ist nicht Kollege Hilsberg, es ist so, daß wir das, was Sie gerügt nur wünschenswert, sondern unbedingt erforderlich, haben, genau in dieser Novelle verändern. In Zukunft schon im Hinblick auf die hohen Studienabbruchquo- sind die Einkommensverhältnisse aus dem letzten ten deutscher Studenten. Kalenderjahr wieder zu bewerten. Das war der Die vorliegenden Untersuchungen weisen beim Gegenstand Ihrer Kritik. Studienabbruch an Universitäten eine deutlich Wenn ich auf den Sinn unserer Debatten zurück- zunehmende Tendenz auf. komme, dann schweifen meine Blicke ein wenig zurück auf zwölf Jahre, die ich jetzt mit dabei bin. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Und wie hoch sind die Abbruchzahlen in der Weiterbildung?) (Eckart Kuhlwein [SPD]: Sie auch schon?) So ist in der zweiten Hälfte der 80er Jahre realistisch In den ersten zwei Jahren, lieber Kollege Kuhlwein, von einer Studienabbruchquote zwischen 15 und 20 habe ich Sie genervt. Natürlich, es ist ja die Aufgabe an Universitäten auszugehen. Zu den Motiven, die der Opposition, Schwachstellen zu finden und mehr schon immer zum Studienabbruch führten, sind zwi- zu fordern. Ich erinnere mich z. B. an eine Episode, wo schen den Exmatrikulationsjahrgängen 1979 und es um die nicht buchführenden Kleinlandwirte ging, 1984 verschlechterte Berufschancen für Akadamiker von denen ich aus meinem Wahlkreis einiges wußte. und die zunehmende Bevorzugung praktischer Tätig- Sie mußten, obwohl Sie mein Anliegen eigentlich keiten oder Ausbildungen hinzugetreten. verstanden hatten, von der Regierungsseite her einen anderen Standpunkt vertreten. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß wir derzeit ein auffälliges Ungleichgewicht zwischen (Eckart Kuhlwein [SPD]: Wir haben es dann aber aufgegeben!) Akademikern und Handwerkern zu verzeichnen haben. Dem deutschen Handwerk fehlen an die Die Jahre seit 1982 haben die umgekehrte Ordnung 350 000 Facharbeiter, davon 30 000 in den neuen zutage gebracht. Ländern. Jedes Jahr gehen 33 000 Bauhandwerker in (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch gut! — Rente, und nur 11 000 Gesellen rücken nach. Insge- Eckart Kuhlwein [SPD]: Dann kam erst ein samt fehlen in der Baubranche an die 60 000 Fachar- mal der Kahlschlag!) beiter. Wenn ich mich auch an die vielen Debatten erinnere, Hält der Trend zu den Hochschulen an, so werden so möchte ich doch eines zu überlegen geben, auch im viele Studenten bald weder einen erwartungsadäqua- Hinblick auf die heutige Debatte: Es sind sehr viele ten Job noch überhaupt einen Arbeitsplatz finden. Detailthemen, über die wir uns im Ausschuß noch Unsere Wirtschaft, vor allem die mittelständische intensiv unterhalten müssen. Aber insgesamt, ver- Wirtschaft, in der die Facharbeiter unersetzbar sind, ehrte, liebe Frau Kollegin Odendahl, war mir Ihr leidet. Was bringen ihr Aufträge, wen ihr das Fach- Vortrag ein bißchen zu negativ in dem Sinne: alles ist personal zur Ausführung fehlt? ein Steinbruch gewesen, und was wir alles an dem Es reicht also nicht, die Förderung nach dem BAföG BAföG heruntergeholt haben. anzuheben. Vielmehr müssen wir auch die Förderung Wir haben heute in der Debatte drei Themen. Das der beruflichen Bildung nachhaltig verbessern. Ich eine Thema ist der Bericht, das zweite Thema ist die erinnere daran, daß wir beispielsweise in unseren BAföG-Novelle, und das dritte Thema ist der Bericht, Koalitionsvereinbarungen — Abschnitt IX Nr. 4 — der angefordert worden ist im Hinblick auf die Ände- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6649

Alois Graf von Waldburg-Zeil rungsmöglichkeiten des BAföG im Europäischen Bin- deutlich wider — im Bundesrat hat ja die SPD die nenmarkt. Mehrheit —, Der Herr Minister hat bereits darauf hingewiesen: In (Gerlinde Hämmerle [SPD]: Aber nur manch diesem Bericht steht — nicht nur, weil es die Bundes- mal!) regierung so sagt, sondern auch unter Bezugnahme daß jetzt, wo die Zeit für den Schwur reif wäre, wo der auf ein Prognos-Gutachten —, daß wir eine Spitzen- Bundesrat dies hätte vorschlagen können, das eben stellung im BAföG haben. Das möchte ich einfach nicht durchsetzbar gewesen ist. einmal sagen: Bei all den vollkommen berechtigten (Eckart Kuhlwein [SPD]: Das wurde doch Diskussionen in Einzelpunkten sollten wir nicht über- wieder „weggewaigelt"!) sehen, daß wir innerhalb Europas in der Tat eine Dies zeigt die Notwendigkeit, auch in der Bildungs- absolute Spitzenstellung haben. - politik finanzpolitisch zu handeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich danke Ihnen. Diese Spitzenstellung allerdings führt uns in eine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gewisse Problematik hinein. Diese möchte ich, nach- dem die anderen Punkte alle schon angesprochen worden sind, gerne noch etwas vertiefen. Innerhalb Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Damit Europas — so weist es auch das Prognos-Gutachten sind wir am Ende der Aussprache. aus; es ist übrigens sehr schade, daß das von der Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen Enquete-Kommission „Bildung 2000" angeforderte auf den Drucksachen 12/2108, 12/2118, 12/1920 und Gutachten zu diesem Felde noch nicht vorliegt — 12/1900 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf der (Eckart Kuhlwein [SPD]: Wir können in der Bundesregierung — dazu gehören die Drucksachen Anhörung nachfragen!) 12/2108 und 12/2118 — soll zusätzlich an den Aus- wird es ganz zweifellos ein entscheidender Vorteil für schuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Familie jemanden, der in Bildung und Ausbildung steht, sein, und Senioren, der Bericht der Bundesregierung auf wenn er nicht nur ein inländisches Studium hat, Drucksache 12/1920 zusätzlich an den Ausschuß für sondern auch ein ausländisches Studium vorweisen Wirtschaft überwiesen werden. Ist das Haus damit kann. Das wird gerade in der Konkurrenz um interna- einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann tionale Besetzungen eine entscheidende Rolle spie- ist die Überweisung so beschlossen. len. Meine Damen und Herren, bevor wir zur Aktuellen Nun hat das auch in der BAföG-Debatte heute eine Stunde kommen, hat der Abgeordnete Schulz um das Rolle gespielt, weil von seiten des Bundesrates die Wort zur Geschäftsordnung gebeten. Bitte sehr, Herr Anregung gekommen ist, auch vollständige Studien Abgeordneter, Sie haben das Wort. im Ausland zu fördern. Die Bundesregierung kommt zu dem Schluß, daß man diese Förderung deshalb Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Herr nicht vornehmen kann, weil wir eben diese Spitzen- Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gruppe stellung haben. Das Ganze würde dazu führen, daß Bündnis 90/DIE GRÜNEN zieht ihren Antrag betref- bei geringfügigen, kurzen Beschäftigungen ein fend die Aktuelle Stunde zurück. Es ist eine Zumu- Anspruch von Ausländern entsteht, in ihrem Heimat- tung, diese Problematik an den Rand der Plenarta- land zu den verbesserten Bedingungen des BAföG gung auf einen ihr wirklich nicht gebührenden Platz studieren zu können. zu drängen. Das ist durch nichts zu rechtfertigen. Aus diesen Gründen und anderen Gründen, also Das zeigt offenbar, daß die Bundesregierung — wie z. B. dem, daß die Leistungskriterien nach zwei Jah- schon bei der Entscheidung, diese UNO-Konferenz in ren nicht anfallen könnten, wird empfohlen — übri- Berlin abzusagen — der Menschenrechtsfrage einen gens: der BAföG-Beirat kommt zu demselben Ergeb- untergeordneten Stellenwert beimißt. Das ist auch nis —, daß man statt dessen das Instrumentarium von unfair gegenüber unserer Gruppe, die, wie Sie wissen, Stipendien sehr viel stärker zusammenfassen und nicht die Möglichkeit hat, den Minister herbeizurufen, nochmals überprüfen sollte. Ich würde diese Anre- was mir in diesem Falle wirklich angebracht erscheint, gung des BAföG-Beirates, Herr Minister, aufgreifen weil er vermutlich der einzige ist, der über den wahren wollen. Ich hielte das für eine sinnvolle Sache; denn Hintergrund dieses Vorganges etwas sagen kann. wir werden in Zukunft in der Europäischen Gemein- Aber es geht auch um die Frage der Zulässigkeit von schaft eine Konkurrenz der Bildungssysteme haben, Aktuellen Stunden in diesem Hause. Wir haben in an der die Bildungsnachfragenden nutzbringend teil- dieser Woche zwei erlebt; eine wurde von der CDU/ nehmen können. Insofe rn müssen wir neben dem CSU zur Nachwäsche zum Steueränderungspaket Instrumentarium BAföG im Inland auch das Instru- und eine von der SPD zur aktuellen Lage auf dem mentarium Stipendien für die vielfältigen Angebote Arbeitsmarkt beantragt. Beide Themen waren nicht im Ausland wahrnehmen können. sonderlich brandaktuell. Heute hat auch eine Rolle gespielt, daß der Bundes- Das einzige Thema, das am Ende der vergangenen rat vielfältige Vorschläge gemacht hat. Aber es ist Woche die Medien und auch die Bürger wirklich Ihnen sicher aufgefallen, daß einem Herzensanliegen interessiert hat, war die Absetzung dieser geplanten der Opposition seit vielen Jahren bei diesen Vorschlä- Konferenz. Sie soll nun als Wochenendveranstaltung gen nicht entsprochen wurde, nämlich der Wiederein- des Bundestages stattfinden. Wir sind damit nicht führung des Schüler-BAföGs. Hier spiegelt sich sehr einverstanden. Das ist kein Affront gegen Sie, die Sie 6650 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Werner Schulz (Berlin) sich darauf vorbereitet haben, sondern es ist ein — Sie sind doch da? — Dann bin ich der Auffassung, Protest betreffend den Umgang mit diesem Thema, daß wir das Thema übernehmen und die Aktuelle Herr Lummer, und den Umgang mit einem internatio- Stunde durchführen sollten. nal peinlichen Vorgang. (Beifall des Abg. Dr. Gerhard Päselt [CDU/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des CSU]) Abg. Dr. Ulrich Briefs [fraktionslos])

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Wenn das der Wunsch der Fraktionen dieses Hauses ist, dann Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Zur Ge- schäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Ger- kommen wir diesem Wunsch selbstverständlich nach. hart Baum das Wort. Das ist das gute Recht. Wir müßten uns allerdings über eine Veränderung der Rednerliste verständigen, weil natürlich nicht alle Abgeordneten, die reden wollten, Gerhart Rudolf Baum (F.D.P): Wenn wir die Sitzun- anwesend sind. Ich muß mir einmal einen Moment die gen des Bundestages, die am Freitag oder auch am Aufstellung mit den gemeldeten Rednern ansehen. — Freitag mittag stattfinden, in ihrer Bedeutung abwer- Wir könnten dann an sich mit dem Abgeordneten ten, dann dürften wir hier schon ganz andere Themen Sauer (Salzgitter) beginnen. Aber Sie wollten sich nicht behandelt haben. noch einmal zur Geschäftsordnung melden, Herr (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Schulz. sowie bei Abgeordneten der SPD) Es hat oft Situationen gegeben — übrigens auch am Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Vormittag —, wo wir in dieser Zahl hier getagt Präsident, das ist allerdings keine fristgemäße Bean- haben. tragung einer Aktuellen Stunde. Meiner Meinung nach gibt unsere Geschäftsordnung eine Beantragung (Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Auch am in dieser Weise nicht her. Donnerstag!) Es gibt ja Themen, die vollkommen aus dem Bereich Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Die Frak- des öffentlichen Interesses herausfallen. tionen sind nach unserer Auffassung durchaus in der (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P]: Auch in völli- Lage, hier gemeinsam eine Aktuelle Stunde zu bean- ger Abwesenheit der GRÜNEN haben wir tragen. Ich will mich aber vorsichtshalber noch einmal schon oft getagt!) vergewissern und bitte um eine kurze Unterbre- — Die GRÜNEN selber sind ja wirklich nicht gerade chung. — sehr stark in ihrer Argumentation, wenn Sie hier ganz Ich glaube, die Geschäftsordnungsinterpretation ist alleine sitzen. Das ist meine erste Bemerkung. diese: Eine Aktuelle Stunde kann im Ältestenrat Zweitens. Sie nehmen dem Parlament jetzt die vereinbart werden. Dem Plenum steht es jedoch frei, Möglichkeit, auf dieses Thema einzugehen. Es geht ja Beschlüsse des Ältestenrates zu korrigieren oder zu nicht darum, daß wir diese Debatte scheuen. Im verändern. Somit können auch die drei Fraktionen des Gegenteil, wir hätten Ihnen in dieser Debatte eine Hauses eine Aktuelle Stunde jetzt beantragen. Das ist Menge zu den Gründen der Absage und zur Men- einer der Wege, die möglich sind. Trotz des Stirnrun- schenrechtspolitik überhaupt sagen können. Es ist zelns des Abgeordneten Dr. Hirsch erkläre ich diese schon etwas merkwürdig, daß wir nur über eine Interpretation für die gültige und rufe die nunmehr Absage, die begründet ist, diskutieren. Wir sollten von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der eigentlich die Chance ergreifen, über unsere Men- F.D.P. gewünschte Aktuelle Stunde auf: schenrechtspolitik zu reden. Ich bin der Leiter der Aktuelle Stunde deutschen Delegation bei der 48. Sitzung der Men- Absage der 1993 in Berlin geplanten Men- schenrechtskommission in Genf, die bis zum 6. März schenrechtskonferenz der Vereinten Nationen stattfindet. durch den Bundesminister des Auswärtigen Ich bedauere die Entscheidung, die Sie getroffen Ich erteile zunächst dem Abgeordneten Sauer (Salz- haben; Sie müssen sie verantworten. gitter) das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) (Werner Schulz [Bündnis 90/GRÜNE] meldet sich zu Wort)

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Danke — Wir sind jetzt in der Aktuellen Stunde. schön. Zur Geschäftsordnung hat sich nun der Abgeord- Helmut Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU): Herr Präsi- nete Vogel (Ennepetal) gemeldet. dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat die Einladung des Bundesau- ßenministers vom 10. Mai 1991, die 2. Menschen- Friedrich Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Herr Prä- rechtskonferenz in Berlin durchzuführen, ausdrück- sident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir haben lich begrüßt, auch wenn diese mit dem Parlament und, überlegt, ob wir diese Aktuelle Stunde nicht unserer- wie ich glaube, auch mit dem Bundesfinanzminister seits übernehmen sollten. Aber offenbar gibt es Zeit- nicht abgestimmt war. Wir haben ebenfalls seine pläne, die vorher verteilt worden sind. Wir müssen Ausführungen zur Begründung vor den Vereinten feststellen, daß die vorgesehenen Redner der SPD- Nationen am 25. September 1991 begrüßt. Auch die Fraktion nicht da sind. entsprechenden Ausführungen seines Staatsministers (Zurufe von der SPD: Doch!) Schäfer in der Menschenrechtsdebatte am 6. Dezem- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6651

Helmut Sauer (Salzgitter) ber 1991 haben wir CDU/CSU-Abgeordneten mit Zur Organisationsfähigkeit: Der Außenminister hat Beifall bedacht. uns einen Bärendienst erwiesen, denn das Bemühen Die CDU/CSU stimmte ferner während der UNO- unseres Kanzlers und vieler anderer Politiker, UNO- Reformdebatte am 23. Januar 1992 mit der Stellung- Einrichtungen nach Bonn zu holen, und die Durchfüh- rung der Olympischen Spiele und auch der Expo 2 000 nahme von Staatsminister Schäfer überein, als dieser ausführte — ich zitiere —: könnten, so fürchte ich, leiden. Unser weltweiter Ruf, wir Deutschen seien Organisationsgenies, hat sicher- Die Arbeit der Vereinten Nationen kann nur dann lich auch ein wenig Schaden genommen. erfolgreich sein, wenn die Bereitschaft der Mit- Noch eine Schlußfrage: Ich habe den UNO- gliedstaaten, hierzu finanziell, durch die Bereit- Botschafter am 27. Januar hier in Bonn empfangen. Er stellung von qualifiziertem Personal und durch - hat uns nicht über die Absage-Überlegungen unter- konstruktive politische Impulse beizutragen, richtet. Die Frage ist: Ist selbst unser UNO-Botschafter nicht nur nicht nachläßt, sondern mit gestiegenen nicht umfassend und rechtzeitig informiert worden? Erwartungen wächst. Ich bitte herzlich, noch einmal zu überprüfen und neu Wörtlich versprach Herr Schäfer: darüber zu verhandeln, ob es nicht möglich ist, die Konferenz mit 4 000 Teilnehmern — 1 000 Delegierte Die Bundesregierung wird ihren Beitrag dazu plus Troß und Presse — zu finanzieren. Ich meine, der leisten, die UNO stärker und wirksamer zu Bundesaußenminister wäre gut beraten, wenn er mit machen. den Kolleginnen und Kollegen im Parlament und in Aber ich muß sagen, daß wir die Absage dieser den Ausschüssen einen besseren Kontakt pflegen Konferenz aus der Zeitung erfahren müssen, ist nun würde. wirklich ein mieser Stil gegenüber dem Parlament (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und seinen Auschüssen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das Wort der SPD sowie des Abg. Dr. Ulrich Briefs hat der Herr Abgeordnete Günter Verheugen. [fraktionslos]) Ich sage auch deutlich: Diese dem Parlament (SPD): Herr Präsident! Meine gegenüber von Herrn Genscher praktizierte Politik Günter Verheugen sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nach dem Motto „Vogel friß oder stirb" — damit die Absage der UNO-Menschenrechtskonferenz meine ich nicht Dich, lieber Friedrich — ist ebenfalls durch die Bundesregierung tief bedauert. Wir hätten unannehmbar. diese Konferenz gerade in Berlin, gerade in Deutsch- Nun zu den Absagegründen, zunächst zur Kosten- land und gerade zu diesem Zeitpunkt für wichtig und frage. Es gilt generell der Grundsatz: Wer die Musik bedeutsam gehalten. Es ist die übereinstimmende bestellt, der muß auch zahlen. — Ich meine, jeder von Politik aller Fraktionen dieses Hauses, die Durchset- uns weiß, wenn UNO-Tagungen außerhalb von New zung und Beachtung der Menschenrechte zu einem York, Wien, Nairobi oder Genf stattfinden, müssen die zentralen Thema der internationalen Politik der näch- Gastgeberländer die Kosten in voller Höhe überneh- sten Jahre zu machen. men. Warum hat man dann nicht rechtzeitig und Wir haben hier gestern eine leidenschaftliche sorgfältig vor der Einladung geprüft, welche UNO- Debatte über die Asylproblematik geführt. Auch bei Anforderungen in bezug auf den Teilnehmerkreis und dieser Gelegenheit ist deutlich geworden, daß die die benötigten Einrichtungen gestellt werden? Schwierigkeiten, die wir in der Innenpolitik wegen Warum verbreitet der Sprecher des Ministeriums, das der großen Zuwanderung von Füchtlingen haben, Auswärtige Amt habe im Mai 1991 von Kosten in Höhe auch etwas damit zu tun haben, daß in vielen Teilen von 40 Millionen DM ausgehen müssen, wenn der Welt Menschenrechte verletzt, nicht beachtet, mit — nachlesbar in UNO-Dokumenten vom 1. und Füßen getreten werden, und wie wichtig es auch in 26. März 1990 — ein Jahr vorher von höchstens unserem eigenen Interesse ist, dafür zu sorgen, daß 25 Millionen DM an Kosten und einer Teilnehmerzahl die Menschenrechtspolitik weitere Fortschritte von 3 000 bis 4 500 Personen und keinesfalls von macht. 20 000 Personen die Rede ist. (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Die Konfe Eigentlich hätte dem Herrn Bundesaußenminister renz findet ja statt!) schon bei 40 Millionen DM die Kostenbrisanz auffal- len müssen, und zwar angesichts der Tatsache, daß — Es wäre wichtig gewesen, Herr Kollege Baum, daß sein eigenes Haus für die sogenannte humanitäre sie in Berlin stattgefunden hätte. Hilfe weltweit nur 70 Millionen DM jährlich aus- (Beifall bei der SPD — Gerhart Rudolf Baum gibt. [F.D.P.]: Sie tun jetzt so, als ob sie nicht stattfände!) Dennoch erhebe ich nicht den Vorwurf der Fahrläs- sigkeit, denn ich bin mir schon bewußt, wie schwer es Die symbolische Bedeutung des Ortes Berlin für die für die Mitarbeiter und die Beamten des Auswärtigen Abhaltung dieser Konferenz haben wir alle ja gesehen Amtes ist, von der UNO-Bürokratie befriedigende und begrüßt. Deshalb ist der Zuschlag ja auch erteilt Auskünfte zu erhalten. Aber ich möchte schon feststel- worden. Wenn ich es richtig sehe, hat nicht Deutsch- len, daß die mir vorliegende Stellungnahme des land, sondern Berlin den Zuschlag bekommen. UN-Menschenrechtszentrums in Genf von vorge- Mir scheint aber, daß bei der Vorbereitung dieser stern, die Rechtfertigungen enthält, doch eine schal- Konferenz nicht nur organisatorische Mängel aufge- lende Ohrfeige für das Auswärtige Amt ist. treten sind. Könnte es vielleicht sein, daß man etwas 6652 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Günter Verheugen spät gemerkt hat, daß man gar nicht so richtig weiß, wirklich ein so gravierender Fehler unterlaufen ist. Ich worauf man eigentlich hinaus will, welches Ergebnis glaube vielmehr, daß in einer bestimmten Phase der diese Konferenz eigentlich haben soll? Vorbereitung an einer ganz anderen Stelle der (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Es Gedanke entstanden ist, daß es vielleicht unpopulär ist ein Nachteil, wenn man im Unterausschuß sein könnte, soviel Geld für eine Menschenrechtskon- nicht dabei war!) ferenz auszugeben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten — Herr Kollege, ich kann nicht an der Sitzung eines der PDS/Linke Liste) Unterausschusses teilnehmen, dem ich nicht ange- höre. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: - Dann darf man auch nicht so reden!) hat der Abgeordnete Burkhard Hirsch.

Aber ich habe mir erlaubt — das ist ja möglich — , Protokolle nachzulesen. Aus diesen Protokollen geht Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Präsident! Meine nicht hervor, daß eine klare Zielsetzung dieser Kon- Damen und Herren! Was ich bisher gehört habe, ferenz Bestandteil der Konzeption der Bundesregie- waren in meinen Augen etwas gequälte Versuche, aus rung gewesen wäre. Zum Beispiel konnte ich nicht der Absage des Tagungsorts Berlin für die Menschen- finden, daß das Konferenzergebnis die Schaffung rechtskonferenz eine politische Aktion zu machen. eines wirklich durchsetzungsfähigen Menschen- Lieber Kollege Sauer, wenn Sie das dem Außenmini- rechtsregimes im Rahmen der Vereinten Nationen ster ankleben wollen, dann muß man Ihnen sagen, gewesen wäre. (Gerd Wartenberg [Berlin] [SPD]: Wem denn (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: sonst?) Herr Verheugen, das liegt daran, daß das daß die Entscheidung in Abstimmung mit dem Bun- Protokoll der letzten Sitzung noch nicht vor- deskanzler ge troffen worden ist. Sicher wird der liegt!) Bundeskanzler die Rede mit großem Vergnügen lesen, die Sie gehalten haben, Der Punkt ist der, daß die Bewerbung, die die Bundesregierung ausgesprochen hat — um das min- (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Wenn er sie deste zu sagen —, nicht gründlich vorbereitet war. überhaupt liest!) Denn wie große Konferenzen dieser Art ablaufen, ist — wenn er sie überhaupt liest. wirklich bekannt. Wir diskutieren lange genug z. B. (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Wir dür über die Konferenz über Umwelt und Entwicklung in fen dazu etwas sagen! Sie dürfen gegen Rio und wissen, daß das keine kleinen Unternehmen Genscher nichts sagen!) sind. Nun zur Sache. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich kriti- siere hier nicht die Tatsache, daß sich die Bundesre- (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Die gierung zu einem Zeitpunkt, wo sie offenbar gesehen Einladung vom Außenminister und die hat, diese Sache ist finanziell nicht leistbar, zu einer Absage vom Kanzler?) Absage entschließen mußte. Ich kritisiere vielmehr, Die Absage wäre nur dann ein wirkliches politisches daß sie, ohne die Folgen zu bedenken, ohne es Faktum, wenn sie eine Änderung der Menschen- wirklich durchzurechnen, ohne sich genau zu infor- rechtspolitik der Bundesregierung signalisieren oder mieren, diese Bewerbung ausgesprochen und unter bedeuten würde. Das wird bisher nur von der Oppo- Einsatz großer diplomatischer Mühen — nicht nur sition dieses Hauses angedeutet bzw. sie versucht, es Diplomaten sind eingesetzt worden, sondern auch so darzustellen, und sonst von keinem international Mitglieder dieses Hauses sind gebeten worden, sich ernstzunehmenden Partner. Ich habe das von keinem dafür einzusetzen, daß die Konferenz nach Berlin ernstzunehmenden Politiker im Ausland bisher gele- kommt, sen, außer von denen, die sich an diesem Feuer die Hände wärmen wollen. Dann sollte die Opposition (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Donnerwetter! dieses Hauses nicht versuchen, ihrerseits dadurch, Hier liegt natürlich der Hauptschlag!) daß sie Zweifel an der Menschenrechtspolitik aus was wir gern gemacht haben, Herr Hirsch — und unter ganz internen Gründen schürt, erst wirklich einen Wegdrängen anderer Bewerber diese Konferenz Schaden herbeizuführen. Ich halte das nicht für in geholt hat und sich offenbar nicht klar darüber ist, was Ordnung. Es ist über alle Zweifel erhaben, daß wir das wirklich bedeutet. Das Faktum, daß man zuerst diese Menschenrechtskonferenz wollen und daß sie sagt: Wir machen es, und dann kleinlaut zugeben ihre Aufgabe erfüllen soll, zu einer Überprüfung der muß: Wir können es nicht, verursacht den außenpoli- Instrumentarien zu kommen, sie zu institutionalisie- tischen Schaden, der gar nicht wegzudiskutieren ist. ren, wenn irgend möglich. Mein Kollege Baum wird Auch Kollege Sauer hat gar nicht versucht, ihn weg- das nachher im einzelnen noch darstellen. zudiskutieren. Wir sollten einen anderen Gesichtspunkt nicht ganz Hier ist ein schwerer Vorwurf zu erheben. Ich muß außer acht lassen. Wir beklagen uns normalerweise wirklich darum bitten, daß in dieser Debatte klarge- darüber, daß Vorgänge, wenn sie ein bestimmtes stellt wird, wie so etwas möglich war. Das Bild, das sich Stadium erreicht haben, von Menschenhand nicht jedenfalls mir darstellt, ist ein etwas anderes. Ich mehr zu steuern sind, daß ein politischer Apparat nicht glaube nicht, daß dem Auswärtigen Amt, dessen die Kraft hat, eine Entscheidung zu revidieren, wenn Leistungsfähigkeit ich gut kenne und beurteilen kann, man sieht, daß sie falsch war. Nun frage ich mich seit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6653

Dr. Burkhard Hirsch langem, was internationale Konferenzen bewirken Eine Konferenz dieser politischen Dimension und sollen, an denen Tausende von Menschen vierzehn Bedeutung kann nicht einfach abgesagt werden wie Tage lang teilnehmen. Wenn der Deutsche Bundestag ein bilaterales Treffen, das auch noch einige Tage mit ca. 600 Mitgliedern voll präsent ist, sind wir später durchzuführen ist. Die Weltöffentlichkeit hat gerade noch in der Lage, einigermaßen vernünftige diese Entscheidung der Bundesregierung zur Kennt- Entscheidungen zu treffen. Aber wenn ich sehe, wie nis genommen. Die Bundesregierung muß sich nach z. B. die Weltwirtschaftsgipfel zu einem Schausteller- den tatsächlichen Gründen fragen lassen. kongreß entartet sind, oder wenn ich sehe, wie die Sie liegen wohl kaum in den Kosten, über die noch Olympischen Spiele eine erreicht haben, Dimension zu reden sein wird. Egal, welche Worte heute hier im die man ehrlicherweise kaum noch vertreten kann, Bundestag dazu gefunden werden, es bleibt eine und dann höre, daß hier die Forderung gestellt wird, - Fehlleistung deutscher Außenpolitik. daß für 13 000 Teilnehmer innerhalb von 14 Tagen ein Aufwand von 100 Millionen DM notwendig ist, muß (Beifall bei der SPD — Dr. Walter Hitschler ich fragen, was eigentlich bei einer solchen Konferenz [F.D.P.): Beifall für die SED!) wirklich herauskommen soll. Sollte sich die Befürchtung bestätigen, daß damit (Gerd Wartenberg [Berlin] [SPD]: Die Zahlen die Durchführung dieser Konferenz 1993 gescheitert stimmen doch gar nicht! Popanzzahlen!) ist, dann muß sich die deutsche Außenpolitik auch die Mich interessiert gar nicht im einzelnen, wie das in Frage gefallen lassen, wie glaubwürdig und verläßlich sie eigentlich ist. der Bürokratie des Auswärtigen Amtes gelaufen ist — das werden wir gleich noch hören —, aber ich halte Zusätzlich erhebt sich die Frage: Hat die Bundesre- es für nicht vertretbar, wenn sich eine Mammutkon- gierung vielleicht etwas zu verbergen? Wird die ferenz plötzlich entwickelt und 100 Millionen DM Absage etwa von der Befürchtung diktiert, die Vertre- ausgegeben werden sollen, ohne daß irgend etwas in ter der ca. 170 teilnehmenden Staaten oder die anrei- dieser Stadt zurückbleibt; das halte ich für weit senden Journalisten könnten bemerken, daß es auch überzogen. Ich glaube, daß man den eigentlichen im geeinten Deutschland Probleme mit der umfassen- politischen Zweck auch in anderer, vernünftiger den Verwirklichung der Menschenrechte gibt? Weise erreichen kann und erreichen sollte. (Dr. Walter Hitschler [F.D.P.]): Jetzt machen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Sie sich aber lächerlich! — Gerhard Redde Wenn einer hergeht und sagt: Nun hören wir auf mit mann [CDU/CSU]: Ausgerechnet die PDS dieser Art des Wachstums, dann würde ich ihn dafür erzählt so etwas, die Menschenrechte über nicht schelten, sondern loben. haupt nie akzeptiert hat! Setzen Sie sich! Das ist unverschämt!) (Beifall bei der F.D.P. — Helmut Sauer [Salz gitter] [CDU/CSU]: Das wiederum nicht!) Daß die großen Worte nach außen nicht immer mit der Realität im Innern übereinstimmen! Niemand wird doch wohl negieren wollen, daß Abwicklung und Berufsverbote, daß Arbeitslosigkeit, Ausländerfeind- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat die Frau Abgeordnete Stachowa. lichkeit und Sturm auf Asylantenheime, Stasi-Hyste- rie inzwischen leider schon alltägliche Vorgänge sind, die grundlegende Menschenrechte tangieren. Angela Stachowa (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- (Zuruf von der SPD: Sie haben irgendwie die dent! Meine Damen und Herren! Der Anlaß, der zu falsche Kurve gekriegt! — Gerlinde Häm dieser heutigen Aktuellen Stunde geführt hat, ist für merle [SPD]: Falsches Thema drauf!) mich schlicht und einfach beschämend. Da hat die Gestatten Sie ein Wort zu den in den Medien Bundesregierung noch vor wenigen Monaten mit genannten Konferenzkosten von 100 Millionen DM: Vehemenz gekämpft, um die Durchführung der größ- Daß eine Konferenz dieser Größe Geld kostet, haben ten Menschenrechtskonferenz der UNO seit 1976 das Auswärtige Amt und die Bundesregierung auch überhaupt übertragen zu bekommen. Sie hat, so vor einem Jahr gewußt. Schwer verständlich ist des- nehme ich an, in diesem Bemühen schlagkräftige, halb, daß ein im Organisieren von Konferenzen nicht überzeugende Argumente ins Feld geführt und gänzlich unerfahrener Stab im Auswärtigen Amt nicht andere Bewerber übertroffen. Sie hat den Eindruck zu rechtzeitig eine ordentliche Kostenrechnung vorge- erwecken versucht, immer und überall auf der Welt nommen haben soll. Vor einem halben Jahr hätten konsequenter Verfechter der Menschenrechte zu längst Überlegungen gemeinsam mit dem Senat von sein, diese zu verteidigen und einzuklagen. Sie hat mit Berlin darüber fällig sein müssen, wie sich die Durch- Wort und Tat den Anschein erweckt, ein würdiger führung dieser Konferenz in die städtebauliche Pla- Gastgeber dieser Konferenz sein zu wollen. nung, überhaupt in die Entwicklungspläne der neuen Ich zitiere Außenminister Genscher aus seiner Rede alten Hauptstadt einbringen läßt. im September 1991 vor der UNO-Vollversammlung: Im übrigen kann ich mir durchaus vorstellen, daß Wir freuen uns darauf, diese Konferenz in Berlin diese Summe gerade in Anbetracht der wirtschaftli- durchzuführen, diesem Symbol für eine neue Ära chen wie sozialen Schwierigkeiten in den neuen der Menschlichkeit und der Zusammengehörig- Bundesländern willkommen, ja bitter nötig wäre, z. B. keit in Europa. um Kleininvestoren zu helfen. Meine Damen und Herren, das war vor knapp einem (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Die in halben Jahr. Und nun diese Absage! Thüringen hätten davon nichts gespürt!) 6654 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Angela Stachowa Nehmen Sie diese Summe doch aus dem Verteidi- ment, einem sogenannten Host Country Agreement, gungshaushalt 1992! Nur 1 % Einsparung bei den festgeschrieben werden. über 10 Milliarden DM für Forschung und Entwick- Anfang Dezember 1991 wurde uns als Referenzma- lung und militärische Beschaffung würde ausreichen, terial das Host Country Agreement, das die Vereinten um die Konferenz zu finanzieren. Zugleich würde Nationen mit Brasilien zur Ausrichtung der Konferenz etwas für die Abrüstung getan. über Umwelt und Entwicklung abgeschlossen haben, Eine letzte Bemerkung: Ohne sich der Lächerlich- übergeben. Die darin enthaltenen Parameter wurden keit preiszugeben kann die Bundesregierung ihre uns von den Vereinten Nationen als verbindliche und Absage nicht zurücknehmen. Deshalb betrachte ich nicht verhandelbare Vorgabe genannt. die vielleicht wohlgemeinten Diskussionen über die Ich möchte Ihnen daraus einige Zahlen über die von Durchführung der Konferenz in Bonn, was ich mir den Vereinten Nationen persönlich bei der Größe dieser Konferenz auch kaum erwarteten Teilnehmer nen- vorstellen kann, als überflüssig. nen. Erwartet wurden Delegationen aus etwa 170 Ländern mit insgesamt 5 000 Mitgliedern, 1 000 Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Bedienstete der Vereinten Nationen, 4 000 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr International, Inte rnational Council of Women, Inter- erteile ich der Staatsministerin Frau Seiler-Albring parliamentary Union, Weltgewerkschaftsbund, Hel- das Wort. sinki-Gruppen aus aller Welt. Der Dialog mit diesen wichtigen, für die weltweite Durchsetzung der Men- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin im Auswärti- schenrechte unerläßlichen Organisationen ist ein gen Amt: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ganz wesentlicher Aspekt der Menschenrechtswelt- Ich bin sehr froh über die Gelegenheit, hier darstel- konferenz. lung zu können, welche Daten und Fakten dazu (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Es waren also geführt haben, daß das Mandat zur Ausrichtung der insgesamt 10 000!) Menschenrechtsweltkonferenz seitens der Regierung — Das kommt noch, Herr Kollege Hirsch. der Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben werden mußte. Die Bundesregierung hat sich die Hinzu kämen 5 000 Vertreter der internationalen Entscheidung, das Mandat zur Ausrichtung der Men- Medien aus Deutschland und dem Ausland. schenrechtsweltkonferenz 1993 in Berlin an die Ver- (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Also 15 000 einten Nationen zurückzugeben, nicht leicht ge- Personen!) macht. Auch ich bedaure, daß diese Entscheidung notwendig wurde. — Ganz richtig. Wir haben das Für und Wider sorgfältig erworgen Dies ergibt eine Gesamtzahl von 15 000 Personen. und sind zu dem Ergebnis gekommen: Unsere Verant- Diese Gesamtzahl führt zu der verbindlichen Vor- wortung für den Aufbau in den neuen Bundesländern, gabe, Arbeitsmöglichkeiten, Kommunikationsmittel, für die Planung und Gestaltung der deutschen Haupt- Unterbringung und Transport für diese Personenzahl stadt rechtfertigt keine andere Entscheidung. zur Verfügung zu stellen. (Rudolf Bindig [SPD]: Ein Phantom oder ein Ich glaube, soeben einen Zwischenruf gehört zu Jäger 90 kostet mehr!) haben. Ich sage noch einmal: Diese Daten, Fakten und Lassen Sie mich kurz auf die Vorgeschichte einge- Zahlen sind uns seitens der Vereinten Nationen als hen. Der Beschluß, eine Weltkonferenz über Men- nicht verhandelbar, Herr Kollege Sauer, mehrmals schenrechte im Jahre 1993 abzuhalten, wurde im mitgeteilt worden. Dezember 1990 von der 45. Generalversammlung der (Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Können wir Vereinten Nationen gefaßt. Im Mai 1991 hatte die das schriftlich haben?) Bundesregierung gegenüber dem Generalsekretär — Das brauchen Sie nicht schriftlich zu haben. Sie der Vereinten Nationen die Einladung ausgespro- können es hier von mir als gegeben annehmen, Herr chen, diese Konferenz in Berlin auszurichten. Im Kollege Lummer. September 1991 gab dann das Vorbereitungskomitee der Konferenz auf seiner ersten Sitzung eine entspre- (Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Nein! Das chende Empfehlung an die Generalversammlung ab. tue ich nicht! Die Zeit ist vorbei! Ich will das Dem Vorbereitungsausschuß lag zu diesem Zeitpunkt schwarz auf weiß sehen!) lediglich die deutsche Einladung vor. Die Entschei- — Lieber Herr Kollege Lummer, lassen Sie mich doch dung der Generalversammlung für den Konferenzort bitte ausreden! Sie wissen ganz genau — wir beide Berlin fiel am 17. Dezember 1991. waren in der Sitzung —, daß die Bundesregierung Grundsätzlich gilt nach einer allgemeinen Rege- Ihnen selbstverständlich zugesagt hat, den Ablauf lung der Generalversammlung, daß Konferenzen der und die Daten und Fakten dem Ausschuß zur Verfü- Vereinten Nationen an deren Sitz stattfinden sollen. gung zu stellen. Wir haben doch überhaupt keinen Übernimmt ein Staat die Gastgeberrolle, hat der die Grund, dies nicht zu tun. gleichen Arbeitsbedingungen wie am Sitz der Verein- ten Nationen zu schaffen und alle zusätzlichen direk- (Beifall bei der F.D.P. — Rudolf Bindig [SPD]: ten und indirekten Kosten zu übernehmen. Die Ver- Dann machen wir eine neue Aktuelle einten Nationen übermitteln dem Gastland die tech- Stunde!) nischen Vorgaben, die zusammen mit anderen Ver- — Herr Kollege, das steht im Belieben des Parla- pflichtungen in einem rechtsverbindlichen Doku- ments. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6655

Staatsministerin Ursula Seiler-Albring Ms Raumbedarf für eine solche Konferenz wurde und deren konkrete Höhe, wie häufig in solchen angegeben: drei Plenarsäle mit jeweils 1 000 Plätzen Fällen, noch über den vorläufigen Ansätzen liegen und zusätzlich weitere Konferenzräume, 400 Delega- könnte. tionsbüros, 200 Büros für den Stab der Vereinten (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Warum Nationen und 200 Büros für den Organisationsstab haben Sie das nicht früher gewußt?) sowie ein Pressezentrum. — Wenn Sie sich erinnern, Herr Kollege Lummer: (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Wahnsinn!) (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P]: Das war der Diese Arbeitsplätze und Räume müssen natürlich in Reddemann!) einem sinnvollen räumlichen Zusammenhang stehen, Ich sagte, daß das Host Country Agreement Anfang dürfen also nicht über den Gesamtraum einer Groß- Dezember 1991 übergeben worden ist. stadt verteilt werden. (Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Das war (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P]: Wahnsinn! doch nicht die erste Konferenz dieser Art in Und das für nur 14 Tage!) der Weltgeschichte!) Mit Schreiben vom 12. Februar 1992 hat der Bun- — 17 Tage. Aber das macht es nicht besser. Die desminister des Auswärtigen dem Generalsekretär Anforderungen der Vereinten Nationen hätten nur der Vereinten Nationen das Ergebnis unserer Unter- durch Einsatz umfangreicher mobiler Bauten ohne suchungen mitgeteilt. Es liegt jetzt an der Generalver- bleibenden Infrastrukturnutzen erfüllt werden kön- sammlung, erneut über den Konferenzort zu beschlie- nen. ßen. Italien hat seine Bereitschaft erklärt, die Ausrich- Wir haben aus diesen Vorgaben zügig konkrete tung zu übernehmen. Pläne entwickelt und die Kosten geschätzt. Ich möchte Lassen Sie mich hier mit aller Deutlichkeit feststel- auch hierzu einige Zahlen nennen: len: Die Konferenz wird stattfinden. Die Bundesrepu- blik Deutschland wird sich auch weiterhin aktiv an der Allein für die Kosten für mobile Baumaßnahmen Vorbereitung der Weltkonferenz beteiligen. Wir und Mieten ergab sich ein Voranschlag von 40 Millio- sehen in dieser Konferenz einen bedeutsamen Beitrag nen DM. Hinzu wären u. a. folgende Positionen zur Stärkung der Menschenrechte überall in der Welt gekommen: Konferenztechnik 12 Millionen DM, In- und fühlen uns deshalb ihren Zielen in besonderer nenausbau 4 Millionen DM, Telekommunikation Weise verbunden. 1 Million DM, Honorar für 300 Dolmetscher, Überset- zer und Schreibkräfte 3,5 Millionen DM, Betreuung Die Verteidigung und der weitere Ausbau der der NGOs 2 Millionen DM. Menschenrechte sind zentrales Anliegen deutscher Außenpolitik. Unsere Partner und Freunde und die (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Das ist Gigan- übrigen Mitgliedstaaten im Weltparlament der Ver- tomanie!) einten Nationen wissen dies. Die Mutmaßungen und Unterstellungen, daß die Ziele der Konferenz nicht Das sind zusammen mehr als 90 Millionen DM. nachdrücklich und ausdrücklich die Zustimmung der Bundesrepublik finden, weise ich zurück. (Rudolf Bindig [SPD]: Diese geleierte Vor- tragsweise ist eine Zumutung!) (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P]: Sehr gut!) Die Initiative zur Abschaffung der Todesstrafe, der Auf Grund dieser Vorgaben lagen die Elemente für Vorschlag zur Vermeidung von Flüchtlingsströmen eine abschließende Bewertung vor. Es ging nicht und viele andere Schritte zur weltweiten Durchset- darum, ob Berlin in der Lage ist, eine solche Konferenz zung der Menschenrechte sind mit unserem Namen auszurichten. verbunden. (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P]: Bonn!) (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P]: Sehr gut!) Keine andere Stadt in Deutschland wäre besser geeig- Unsere langjährige, aktive Mitarbeit in der Men- net gewesen als Berlin, dieses weltweite Symbol für schenrechtskommission und in den zahlreichen Men- die Sehnsucht der Menschen nach Demokratie und schenrechtsausschüssen der Vereinten Nationen ist Menschenrechten. Bei der Entscheidung der Bundes- bekannt; ebenso bekannt sind unsere häufigen regierung ging es allein darum, ob die begrenzten Demarchen zur Verteidigung der Menschenrechte im Haushaltsmittel nach der Vereinigung und angesichts deutschen oder europäischen Namen. der Probleme, die sich in Berlin durch das Zusammen- wachsen der Stadt und ihre Vorbereitung auf die Hauptstadtfunktion ergeben, eine solche Ausgabe Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau zulassen. Es fiel ferner ins Gewicht, daß es besser ist, Staatsministerin — — unmittelbar nach dem Zuschlag der Generalver- sammlung und vor Abschluß eines Host Country Staatsministerin im Auswärti- Agreements klare Verhältnisse zu schaffen, Ursula Seiler-Albring, gen Amt: Dieses Engagement, meine Damen und (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P]: Sehr wahr!) Herren, trägt dazu bei, daß wir für unsere verantwor- tungsvolle Entscheidung weltweit Verständnis fin- als Verpflichtungen zu übernehmen, die unvertretbar den. hoch erscheinen Ich danke Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P.) 6656 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich wollte find ick det nich jut, zumal dann nicht, wenn man in Sie darauf aufmerksam gemacht haben, daß Sie zu Genf auf den Gängen in schöner Eindeutigkeit sagen Ende kommen müssen, anderenfalls die Debatte wie- hört: Berlin kann die Voraussetzungen für eine solche der eröffnet würde. Und das wollte ich denn doch Konferenz allemal erfüllen. tunlichst vermeiden. (Zuruf von der SPD: Genauso ist es!) Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Heinrich Lummer das Wort. Und in Bescheidenheit, die man den Berlinern ja (Rudolf Bindig [SPD]: Hauen Sie drauf, Herr nachsagt, darf ich fragen: Wo in der Welt wollen Sie Lummer! — Heiterkeit) denn sonst solche Voraussetzungen finden? Es blei- ben doch verdammt wenig Orte übrig, obwohl die - Vereinten Nationen sehr genau darauf achten, daß Heinrich Lummer (CDU/CSU): Herr Präsident! solche Konferenzen sogar in Entwicklungsländern Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt wegen durchgeführt werden. — Also, mit der Berlin-spezifi- eines Zeitabschnitts, in dem man nicht alles so ernst schen Begründung, det war nischt. Ich ernenne mich nehmen soll, 14 Tage Sitzungspause. Menschen sind jetzt einfach einmal zum Vertreter und sage: wir allzumal, und wir machen auch Fehler. Aber wer Das, was an Begründung geliefert wurde, weise ich wirklich Größe hat, gibt dann auch zu, daß er einen mit Entschiedenheit zurück, weil das so gar nicht gemacht hat. zutreffend ist. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) PDS/Linke Liste) Meine Damen und Herren, in der schon erwähnten Ich meine, wer den Schaden hat, braucht für den Spott Stellungnahme des Menschenrechtszentrums der nicht zu sorgen. Jetzt bewirbt sich Bonn, und damit Vereinten Nationen heißt es, daß die Erklärungen zur wird noch deutlicher, was das Ganze eigentlich Absage seitens der Bundesregierung beides seien: bedeutet. verworren und unrichtig, also: disturbing and inaccu- (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Wird es rate. Very indeed! Wenn man sich den Vorgang richtig dann billiger?) vornimmt und ihn richtig studiert, kommt man zu dem nämlichen Ergebnis: Wir wissen nicht alles. Meine Damen und Herren, offenbar sind die Gründe, die zur Absage geführt haben, ganz anderer (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P]: Gott sei Natur. Bei Goethe heißt es ja: Dank!) Aber alles, was wir wissen, führt uns zu der Bewer- Nach Golde drängt tung: Es fällt verdammt schwer, keine Satire zu Am Golde hängt schreiben, und das tut einem natürlich leid. Doch alles! Also, da geht man los, um in der internationalen Das, meine Damen und Herren, kann ich sogar Politik eine bestimmte Gunst gewährt zu bekommen, verstehen. die Werbetrommel wird kräftig gerührt, man nimmt den Mund ziemlich voll man ist ja schließlich (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P]: Das geht aber wer —, und dann bekommt man auch den Zuschlag. weiter: „Ach wir Armen! " !) Dann hat man ihn, denkt ein bißchen darüber nach —„Ach wir Armen", da haben Sie sich doch nicht und gibt ihn zurück. — Meine Damen und Herren, da angesprochen gefühlt, Herr Kollege, vermute ich lachen wirklich nicht nur die Hühner — tut mir leid , mal. sondern das ist schon eine Sache, die ein bißchen wehtut, wenn man so den Mund gespitzt hat und (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Der nacher nicht pfeifen kann. Es ist, wie schon gesagt, fährt nach Rio! — Zuruf des Abg. Dr. Burk kein Ruhmesblatt. Auch ohne Zwiebeln könnten hard Hirsch [F.D.P]) einem glatt die Tränen kommen. Meine Damen und — Aber ich bitte Sie! Herren, man muß an die Adresse dieses bedeutenden Amtes leider sagen: Nimm den Mund nicht so voll, Ich will sagen: Wenn man als Begründung anführt, wenn du hinterher den Schwanz einziehen mußt! Det die Sache ist zu teuer, das geht vielleicht zu Lasten bringt nischt. humanitärer Hilfe — ja, wer sähe das denn nicht ein? So, es wurde also abgesagt. Dafür, meine Damen Das wäre eine wirklich triftige Begründung. Wenn das und Herren, muß man natürlich ein paar Gründe aber die Begründung ist, warum nennt man sie denn finden, und das ist der Punkt, der mich interessiert, nicht? Hat man Angst, daß die einen einen für geizig, weil ich Berliner bin. Da wird gesagt, die Verlegung die anderen einen für arm halten? Ich weiß es nicht. des Sitzes der Bundesorgane von Bonn nach Berlin sei Aber bei der Wahrheit sollte man doch tunlichst beschlossen worden. Wenn das ein Grund sein soll, bleiben. Jedenfalls möchte ich nicht, daß man die kann ich nur sagen: Das wußte man auch vorher. Das Wahrheit auf Kosten Berlins vernachlässigt; das habe kann also im nachhinein nicht als Entschuldigung ich nun wirklich überhaupt nicht gern. dienen, steht aber in dem Brief, den Herr Genscher Nun kommt noch etwas Weiteres hinzu, Frau Staats- geschrieben hat. ministerin; da bin ich wirklich ein bißchen ärgerlich, Weiter wird gesagt, daß die Anforderungen der weil ich die Wahrheit bis zu diesem Zeitpunkt nicht Vereinten Nationen so seien, daß das in Berlin nicht weiß. Wir haben immerhin zwei Tage gehabt, wäh- geleistet werden könne. Wenn man sich als Berliner rend deren Sie uns hätten aufklären können. Denn die hier so als wohlfeiler Blitzableiter fühlen muß, denn Vereinten Nationen haben ja in der erwähnten Stel- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6657

Heinrich Lummer lungnahme gesagt, sie seien durchaus verhandlungs- Angelegenheit der Staaten mehr darstellen darf, son- bereit gewesen. dern eine innere Angelegenheit der Staatengemein- (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Vielleicht schaft als Ganzes sein solle, daß die Souveränität stimmt die Stellungnahme nicht!) heute ihre Schranken finden müsse in der Verantwor- tung der Staaten für die Einhaltung der Menschen- — Das müßte man auch prüfen, das wäre ja alles zu rechte und daß dann, wenn die Menschenrechte mit prüfen. Sie seien verhandlungsfähig gewesen, es Füßen getreten werden, die Völkergemeinschaft nicht gebe keine unabdingbaren preconditions. Man sagt: nur zuschauen könne, sondern einschreiten müsse. Wie kommt man auf 15 000 Personen? Vielleicht wären es 5 000 oder 6 000, vielleicht auch nur 4 000 (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Ist ja gut!) gewesen, die hätten's auch getan. Wenn das aber so Die allmähliche Ausweitung, Verfestigung und - ist, dann kommt man unter Umständen an den Punkt, Durchsetzung dieses Gedankengutes in der UN ist wo man sagt: Vielleicht haben wir sogar voreilig auch eine diplomatisch äußerst schwierige und sen- abgesagt, weil die 100 Millionen DM gar nicht stim- sible Aufgabe. men. Das wäre dann wirklich bitter, wenn man sich vorher so für Berlin einsetzt, hinterher aber möglicher- (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Die Konfe weise aus unzutreffenden Gründen absagt. renz findet doch statt!) Alle sagen doch mit Recht, unser Außenminister ist Die Regierungen etlicher Länder, welche die Rechte nicht nur am längsten im Dienst, ein alter Hase, ein ihrer Bürger unterdrücken oder die Menschenrechte gewiefter Fuchs. ständig mißachten, haben ein Interesse daran, die (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Mit gro Ausweitung des Menschenrechtsgedankens in der ßen Ohren! — Heiterkeit) UN zu behindern und zu stören. Mit der seit 1948 zweiten UN-Weltkonferenz zu diesem Thema verbin- Aber das Bild stimmt jetzt nicht mehr, denn es ist ein det sich die Hoffnung, das Ansehen und die Bedeu- anderes, und darüber bitte ich doch einmal nachzu- tung der Menschenrechte im UN-System zu stärken. denken. Jedenfalls ist das Bild dieser letzten Monate: Allen Gegnern dieser Entwicklung muß es äußerst Der reist da mit Schecks durch die Welt und gibt sie gelegen kommen, daß es jetzt zu diesem Absagespek- überall ab, stimmt nicht überein mit dem sparsamen takel um die Konferenz gekommen ist. Außenminister in dieser Sache. Ich bitte also darum, uns doch wissen zu lassen, was wirklich Sache ist, (Zuruf von der F.D.P.: Das Spektakel machen damit wir uns ein eigenes und vollständiges Urteil Sie!) bilden können. Es werden sicher einige kommen und Statt den Menschenrechtsgedanken im UN-System zu bei dem Punkt sagen: Früher war er doch ungewöhn- stärken, hat die Bundesregierung nolens volens den lich großzügig. Verächtern und Unterdrückern der Menschenrechte (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) indirekt Auftrieb gegeben. (Widerspruch bei der CDU/CSU — Friedrich

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das Wort Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Da müssen hat der Herr Abgeordnete Bindig. selbst wir Ihnen widersprechen!) Mit der geplanten UN-Menschenrechtskonferenz Rudolf Bindig (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte verbinden sich große Hoffnungen zur Weiterentwick- Damen und Herren! Wenn man den Vortrag aus dem lung und Stärkung des internationalen menschen- Außenministerium hier anhört, dann hat man den rechtlichen Instrumentariums. Der durch die Verein- Eindruck, „der mit den Ohren" will sich ein neues ten Nationen garantierte völkerrechtliche Schutz der Image als „der mit dem Taschenrechner" erwerben. Menschenrechte kennt ein differenziertes, unüber- sichtliches und teilweise wenig wirkungsvolles (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Das ist aber witzig! — Dr. Burkhard Hirsch System von Gremien und Verfahren. Dieses System braucht dringend eine Neuordnung und Festigung, [F.D.P.]: Diese Bemerkung paßt zur Fast nacht!) vor allem aber eine Stärkung im Bereich der Tatsa- chenermittlung und der Verbindlichkeit der Be- Die Ausladung der Vereinten Nationen für die in schlüsse. Es geht um die Schaffung eines UN-Hoch- Berlin geplante UN-Menschenrechtskonferenz dürfte kommissariats für Menschenrechte, ein in der Geschichte der Vereinten Nationen wohl einmaliger Vorgang sein. Neben dem politischen (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Nun mal Scherbenhaufen, der damit für das Ansehen der ran!) Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Natio- um die Schaffung eines UN-Menschenrechtsgerichts- nen angerichtet worden ist, hat auch die inhaltliche holes und die Arbeiten an einem internationalen Zielsetzung, der Einhaltung und dem Schutz der Verbrechenskodex für Straftaten gegen die Mensch- Menschenrechte nach der Überwindung des Ost heit und einen internationalen Strafgerichtshof. West-Gegensatzes in der Beziehung zwischen den Staaten und in den Staaten mehr Bedeutung beizu- Nun wissen wir, daß ein gastgebendes Land auf messen, einen schweren Rückschlag erlitten. einer solchen Konferenz keine Sonderrolle hat, daß es aber die Möglichkeit besitzt, bei der Präsentation (Widerspruch bei der F.D.P.) eines konkreten Vorschlages für diese Menschen- In den internationalen Beziehungen hat sich immer rechtsinstitutionen größere Wirkungsmöglichkeiten deutlicher der Grundsatz durchzusetzen begonnen, zu entfalten, als wenn diese Vorschläge in einem daß die Verletzung der Menschenrechte keine innere anderen Land vorgebracht würden. 6658 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Rudolf Bindig Natürlich bedeutet die Absage der Konferenz in Selbstverständlich wird die Konferenz stattfinden. Deutschland nicht, daß die Bundesregierung nicht (Zuruf von der SPD: Sie regieren wohl jetzt aufgefordert bleibt, einen operativen Vorschlag für allein?) die Errichtung eines UN-Hochkommissariats für Men- schenrechte und einen UN-Menschenrechtsgerichts- Und selbstverständlich bezweifelt niemand unser hof vorzulegen. Engagement in Menschenrechtsfragen wegen dieser Absage. Was Sie hier sagen, ist doch absurd. (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Habe ich vorige Woche gemacht!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Wie aber will sie nach dem Absagedebakel mit dem Rudolf Bindig [SPD]: Die Glaubwürdigkeit ist geschwächten Ansehen diese äußerst schwierige geschwächt!) - diplomatische Mission noch mit der nötigen Glaub- Ich habe auch keine derartige Stellungnahme des würdigkeit wahrnehmen können? Wir erwarten hier Menschenrechtszentrums gehört. Ich habe mit dem und heute eigentlich eine deutliche Aussage der Leiter geredet. Er hat mir das gleiche Verständnis Bundesregierung, ob sie denn wenigstens die inhalt- entgegengebracht wie die Delegationsleiter der ande- lichen Arbeiten an den genannten Projekten fortset- ren Länder. Ich habe bekräftigt, daß wir uns bei der zen will Vorbereitung in der Sache genauso beteiligen wie (Dr. Burkard Hirsch [F.D.P.]: Das ist doch bisher. Herr Verheugen, die Tagesordnung steht ja wohl ganz außer Zweifel!) fest. Da liegt doch nichts im Dunkeln. Die Ziele sind aufgestellt. und ob sie konkrete Vorschläge in das UN-System noch einbringen will. (Rudolf Bindig [SPD]: Aber der Tagungsprä (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Das ist wirklich sident hätte etwas machen können!) außer Zweifel! Das ist auch gesagt wor- Wir werden eine Bestandsaufnahme „25 Jahre nach den!) Teheran" machen müssen. Wir werden in einer ver- Es stelllt sich übrigens die Frage, ob es hinter den änderten Welt Orientierungspunkte setzen müssen. genannten Gründen nicht Gründe hinter den Grün- Wir haben gestern eine Bestandsaufnahme der Zwölf den gegeben hat. in bezug auf die einzelnen Länder vorgelegt. Wir haben 34 Länder genannt, in denen Menschenrechts- Ich gehöre dem Deutschen Bundestag jetzt in der verletzungen stattfinden. Der portugiesische Vertre- fünften Legislaturperiode an. Ich habe als Abgeordne- ter hat dies unter maßgeblicher Beteiligung der Bun- ter einer Regierungsfraktion und als Oppositionspoli- desregierung vorgetragen. Wir werden uns über die tiker viele weise und weniger weise Regierungsent- Verbesserung des Instrumentariums unterhalten. Es scheidungen erlebt und auch ertragen müssen. Das gibt interessante Vorschläge, die in die Richtung des Ausmaß der politischen Torheit dieser Entscheidung Hochkommissars weisen, dessen Einrichtung übri- der Bundesregierung zur Absage der UN-Menschen- gens noch nicht Allgemeingut der Überzeugung ist, rechtskonferenz in Berlin wird es schwer haben, auch nicht in der Europäischen Gemeinschaft. Das ist überboten zu werden. unser Vorschlag. Wir unterstützen jetzt einen Vor- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste schlag der Österreicher, die die Handlungsfähigkeit —Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Das der Konferenz auch zwischen den Sitzungsperioden habt ihr doch schon längst gemacht!) herstellen wollen. Dies ist also ein Schritt hin zum Hochkommissar. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, daß hat der Abgeordnete . wir unsere Aktivitäten vermindert hätten. Wir haben uns intensiv überlegt, wie wir die beratende Funktion der UN ausbauen. Die UN hat gegenüber jungen und Gerhart Rudolf Baum (F.D.P.): Herr Präsident! neuen Demokratien eine sehr wichtige beratende Meine Damen und Herren! Ich habe in der vergange- Funktion. Auch das wird auf der Konferenz ein Tages- nen Woche als Leiter der Delegation bei der diesjäh- ordnungspunkt sein. Wir werden auch unseren Etat- rigen Menschenrechtskonvention in Genf dargelegt, beitrag erhöhen. welche Bedeutung die Bundesregierung den Men- schenrechten und der Konferenz beimißt. Alles, was Es ist nicht so, daß die Absage etwa aus anderen Sie gesagt haben, ist hier unzweifelhaft ausgeführt. Gründen erfolgt wäre. Es finden ständig Vorberei- An unserer Politik lassen wir nicht zweifeln. Sie wird tungssitzungen statt. Die Bundesrepublik nimmt fortgesetzt, und sie ist nicht mit der Absage der daran teil. Konferenz in Berlin verbunden. Natürlich habe ich in diesem Statement dort unsere Ich habe diese Absage in der letzten Woche in der Forderung nach einem Internationalen Gerichtshof Vollversammlung vertreten. Ich habe natürlich eine für Menschenrechte vertreten, die von Herrn Gen- Reaktion des Bedauerns vernommen. Ich verschweige scher und von Herrn Kohl in der letzten Zeit auch nicht: Natürlich hätten wir und hätte auch ich die öffentlich erhoben worden ist. Wir werden also einen Konferenz gerne in Berlin gesehen. Aber die Gründe aktiven Beitrag zur Vorbereitung der Konferenz haben Verständnis gefunden. Es hat in dem zuständi- leisten. Sie wird stattfinden, an einem anderen Ort. gen Gremium überhaupt keine Debatte gegeben, die Ich habe sogar Stimmen gehört, daß man gesagt hat: mit dem vergleichbar wäre, was die Opposition hier Im Grunde bewundern wir euch Deutsche, was eure veranstaltet. Organisationskraft angeht. Auch wir hätten gerne (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gesehen, daß das Symbol Berlin zum Ausruck kommt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6659

Gerhart Rudolf Baum Aber wir sehen auch ein, daß dies in dieser Situation, Kosten anbelangt, wie jetzt bei der Weltklimakonfe- wo die Deutschen nun weiß Gott eine Menge tragen, renz in Brasilien. nicht zu machen ist. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) (Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Das wußten wir doch alles vorher! — Friedrich Vogel Da richten sich nämlich die sogenannten local costs in [Ennepetal] [CDU/CSU]: Das steht in dem der Tat nach der Infrastruktur des Gastgeberlandes. Brief drin!) Herr Lummer hat völlig recht: Man braucht in Berlin nicht erst ein neues Konferenzzentrum zu bauen. Es ist nicht nur eine Finanzfrage, so habe ich gelernt, sondern, wie Herr Genscher Herrn Butros Ghali (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Wo wollen Sie schriftlich mitgeteilt hat, auch eine Organisations- die denn unterbringen? Zeltstadt? — Hein frage. Es erfordert eine ungeheure organisatorische- rich Lummer [CDU/CSU]: Der Senat hatte Anstrengung, diese Konferenz durchzuführen. schon alle Hotels blockiert!) Wir werden also auf all den Feldern, die da anste- Ich möchte eines auch sehr deutlich hier sagen, hen, weiter arbeiten. Ich wi ll sie Ihnen noch einmal meine Damen und Herren, weil ich bei diesem ganzen nennen. Wir machen jetzt beispielsweise eine Resolu- Vorgang auch spüre, daß es jetzt das Bemühen gibt, tion zu den Themen Aids und Menschenrechte, ver- die Entscheidungsfindung hin zur Absage von einem schwundene Personen, Wanderarbeitnehmer, Söld- Haus in ein anderes Haus zu verlagern. Das finde ich ner, Folter, religiöse Intoleranz, Rechte des Kindes. auch nicht ganz in Ordnung, so zu tun, als wäre Wir werden unseren Beitrag weiter dazu leisten. Wir letztendlich ein Haus für die Absage verantwortlich. sind eine der Nationen, die aktiv bei der Erarbeitung der Menschenrechtspositionen teilnimmt, übrigens (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Der auch mit einer gewissen Selbstkritik, was die Frem- Außenminister lädt ein, und der Kanzler lädt denfeindlichkeit hier in Europa und auch in Deutsch- aus!) land angeht. Das habe ich in meiner Rede am Anfang Als Mitglied der CSU-Landesgruppe im Deutschen gesagt. Wir können uns hier ja nicht freisprechen. Bundestag möchte ich auch hier ganz deutlich erklä- Aber wir tun etwas dagegen im Gegensatz zu anderen ren — ich habe mich da noch einmal vergewissert —: Ländern, die Menschenrechtsverletzungen fördern, Der Bundesfinanzminister war in keiner Phase mit betreiben und hinnehmen. einer Entscheidungsfindung diesbezüglich befaßt; Die Konferenz wird also stattfinden. An der Position nicht daß hier noch jemand das Gerücht ausstreut, der der Bundesregierung und der Koalition in Sachen sparsame Waigel stecke dahinter. Er war zu keinem Menschenrechte kann aus der Tatsache der Absage Zeitpunkt mit der Entscheidungsfindung befaßt. kein Zweifel hergeleitet werden. Meine Damen und Herren, in der Tat sollten wir uns (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) darauf konzentrieren, was getan werden kann, damit nicht der Eindruck entsteht, den ich auch nicht haben möchte — Herr Bindig, ich bin der Meinung, daß Sie Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort etwas überziehen —, daß es eine Änderung in der hat der Abgeordnete Koschyk. Menschenrechtspolitik der Bundesregierung gibt. Da können wir in der Tat etwas tun. Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Herr Präsident! Ich habe mich zum Beispiel erkundigt, ob wir von Werte Kolleginnen und Kollegen! Man hat im Verlauf seiten der Bundesrepublik Deutschland auch soge- dieser Debatte wieder einmal gemerkt, daß wir von nannte Junior Professional Officers für das Men- der CDU/CSU-Fraktion nicht nur räumlich, sondern schenrechtszentrum der Vereinten Nationen stellen, auch politisch die Mitte in diesem Haus bedeuten. wie das die Niederlande, Schweden, Großbritannien Herr Bindig, man soll das Kind nicht mit dem Bade und andere tun. Wir tun das leider nicht. Wir delegie- ausschütten. Ich würde mir das, was Sie an Vorwürfen ren keine Beamten aus Deutschland, die sich zeit- geäußert haben, nicht zu eigen machen. weise dem Menschenrechtszentrum der Vereinten (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Sehr rich- Nationen zur Verfügung stellen, wie dies andere tig!) Staaten tun. Im ganz en UN-Menschenrechtszentrum Herr Hirsch, ich würde es aber auch nicht so niedrig in Genf gibt es nur einen deutschen Mitarbeiter. Er hängen. Denn damit macht man es sich auch zu wurde aber nicht als Mitarbeiter entliehen. Er hat sich einfach. an einer Ausschreibung der Vereinten Nationen beteiligt und ist sozusagen originärer UN-Beamter. Da (Zurufe von der CDU/CSU: Das weiß er ja sollten wir in der Tat etwas tun und auch von seiten der auch! — Jeder hat seine Rolle!) Bundesrepublik Deutschland solche Junior Professio- Wie dem auch sei, meine Damen und Herren, es nal Officers wie andere Länder auch dem Menschen- bleibt ein peinlicher Beigeschmack bei dieser Absage. rechtszentrum zur Verfügung stellen. Es bleiben Fragen, auch die Frage des Kollegen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Lummer, die ich mir zu eigen mache. Es wäre in der Tat schlimm, wenn sich jetzt herausstellen sollte, daß Wir sollten uns auch überlegen, meine Damen und man für einen Konferenzort in Italien dann auf einmal Herren, ob wir etwas für die von den Vereinten ganz andere Bedingungen bekäme, etwa eine Teil- Nationen in Genf geschaffenen Fonds tun, in die auch nehmerzahl, wie ich aus Genf gehört habe, von 4 000 andere Länder freiwillige Leistungen geben, wir noch bis 5 000. Das gilt auch für den Kostenrahmen, den ich nicht. Es geht um die Voluntary Funds für Folteropfer, aus Genf gehört habe, auch was die Dreiteilung der für Öffentlichkeitsarbeit, für die Erziehung zur Men- 6660 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Hartmut Koschyk schenrechtsarbeit, gegen Kinderarbeit, gegen For- Es ist auch kaum vorstellbar, daß das Auswärtige men der Sklaverei. Amt von den im Dezember 1991 bekanntgewordenen Wir sollten vielleicht auch einen Beitrag dazu lei- Konditionen des „host-country-agreement" über- sten — das ist etwas, was einem, wenn man sich für rascht wurde. Es war doch völlig klar, welche Kosten das Menschenrechtszentrum in Genf interessiert, auf uns zukommen würden. gesagt wird —, daß dieses Menschenrechtszentrum Es ist auch kaum vorstellbar, daß die jetzige Absage wegen der vielen Konventionen, die es zu betreuen der Bundesregierung durch den am 20. Juni beschlos- hat, zu einer besseren EDV-Ausstattung kommt. senen Umzug von Parlament und Regierung nach Ich möchte noch ein letztes sagen: Es wäre auch Berlin zustande kam, da Berlin den Zuschlag für die nicht gut, wenn ähnliche Managementfehler bei dem Ausrichtung der Menschenrechtskonferenz erst Ende Bemühen passierten, beispielsweise UN-Einrichtun-- 1991 erhielt. Das ergibt also keine Logik. gen jetzt nach Bonn zu holen. Ich habe hier eine Es ist auch kaum vorstellbar, daß bei der geplanten Presseerklärung des FDP-Fraktionsvorsitzenden ge- Menschenrechtskonferenz 15- bis 20 000 Gäste anrei- lesen, in der es um die Einrichtungen UNDPT, UNFPA sen werden, wie es die Bundesregierung behauptet und UNIFEM geht. Am Schluß lese ich: hat. Davon abweichend, geht man im Genfer UN- Es liegt jetzt am Verhandlungsgeschick der Bun- Sekretariat nach wie vor von maximal 5 000 Teilneh- desregierung, insbesondere des Bundesentwick- mern insgesamt aus. lungshilfeministers. Es ist auch kaum vorstellbar, daß für den sogenann- Es ist nicht Aufgabe von Herrn Spranger allein, also ten Local-costs-Anteil von 100 Millionen DM wirklich des Bundesentwicklungshilfeministers, dafür zu sor- alles zu zahlen wäre. Diese Zahl steht im Gegensatz zu gen, daß UN-Einrichtungen nach Bonn kommen, Schätzungen in Genf. So entsteht der Eindruck, als wollte die Bundesregierung ihre Konferenzabsage in (Günter Verheugen [SPD]: Die kommen der zu Recht auf Sparsamkeit bedachten Öffentlich- sowieso nicht!) keit durch die Nennung weit überhöhter Kosten sondern das ist in erster Linie Aufgabe des Hauses, das populär machen. die auswärtige Politik vertritt. Es ist kaum vorstellbar, daß die Bundesregierung (Beifall bei der CDU/CSU) nach den Ausschreitungen am Rande der Weltbank IMF-Tagung in Berlin von nun an von Sicherheitsbe- fürchtungen geplagt wird. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun er- Es fällt einem wirklich schwer, an eine solch teile ich dem Abgeordneten Dr. Brecht das Wort. geballte Ladung an Dilettantismus der Bundesregie- rung zu glauben. Zumindest die Medien tun recht daran, über die eingehandelte Blamage zu spotten. Dr. Eberhard Brecht (SPD): Herr Präsident! Meine Herr Abgeordneter Lummer hat vorhin von dem sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Hinter- „spitzen Mund" gesprochen. Noch besser beschreibt grund eines in der Welt aufgewerteten Deutschland das der Humorist Eugen Roth, der in seinem Gedicht empfing der Generalsekretär der Vereinten Nationen, „Das Sprungbrett" folgendes schreibt: Herr Butros Ghali, vor kurzem einige Damen und Herren dieses Hauses als erste Parlamentarierabord- Ein Mensch, den es nach oben gelüstet, nung der Welt überhaupt in New York. besteigt, mit großem Mut gerüstet, ein Sprungbrett, und man denkt, er liefe Exakt eine Woche später bescherte uns der Bundes- nun vor und spränge in die Tiefe außenminister mit seiner Absage der UN - Menschen- mit Doppelsalto und dergleichen, rechtskonferenz in Berlin eine Blamage, die im UNO- der Menge Beifall zu erreichen. Hauptquartier am East River mit Schadenfreude quit- tiert wurde. Ich muß da dem Kollegen Hirsch wider- Doch läßt er — angestaunt von vielen — sprechen. Lesen Sie die amerikanischen Zeitschriften, zuerst einmal die Muskeln spielen, und Sie werden die Resonanz sehen. um dann erhaben vorzutreten, als gält's die Sonne anzubeten. (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Aber nicht mit der Behauptung, daß wir unsere Menschen- Ergriffen schweigt das Publikum, rechtspolitik änderten! Das wurde gesagt! — doch er dreht sich gelassen um, Rudolf Bindig [SPD]: Schwächen!) und steigt — fast möcht' man sagen: heiter — vollbefriedigt von der Leiter. — Das nicht. Aber es geht hier um den diplomatischen Schaden und um die Schwächung der Glaubwürdig- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der keit. CDU/CSU und der PDS/Linke Liste) Bislang ist uns die Bundesregierung eine glaubhafte Anders, als es hier bei Eugen Roth heißt, hat die Erklärung schuldig geblieben. Auch die Ausführun- Bundesregierung keinen Anlaß, vollbefriedigt von der gen von Frau Seiler-Albring haben daran nichts Leiter zu steigen. Vielmehr hat sie in mehrfacher geändert. Es ist kaum vorstellbar, daß sich ein Land Hinsicht die Glaubwürdigkeit deutscher Politik mit einem so potenten Auswärtigen Amt, wie wir es beschädigt. Sie hat die Glaubwürdigkeit der Bonner gerade gehört haben, um die Ausrichtung einer sol- Menschenrechtspolitik beschädigt, nachdem Herr chen Mammutkonferenz bewirbt, ohne vorher Erkun- Genscher in seiner Rede vor der 46. UN-Generalver- digungen über die technischen Anforderungen und sammlung vehement weitreichende Forderungen zur die damit verbundenen Kosten einzuholen. Durchsetzung der Menschenrechte erhoben hat. Sie Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6661

Dr. Eberhard Brecht hat die Glaubwürdigkeit der deutschen VN-Politik Das geht auch nicht. Und zu sagen, die Konferenz durch eine Reihe von Pannen in Frage gestellt, wobei finde ja statt — — sie andererseits ein größeres Gewicht Deutschlands in (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Sie haben den Vereinten Nationen einklagt. doch gesagt, es würde nichts mehr passie Sie hat auch der Glaubwürdigkeit der Stadt Berlin ren!) als internationalem Tagungszentrum geschadet. Man — Natürlich findet sie statt. Natürlich, Herr Baum! Mit kann nicht einerseits wie unser Außenminister vor den der Opposition bin ich doch schon fertig, und ich VN die Symbolträchtigkeit der Stadt für Menschlich- glaube, daß ich angemessen auf die Opposition rea- keit und Zusammengehörigkeit herausstreichen und giert habe. Damit reicht es auch. Ich wiederhole: sie andererseits desavouieren. Natürlich findet sie statt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) - Für mich ist allerdings ein Vorgang doch ärgerlich. Schließlich ist durch die fiskalische Argumentation Seit Monaten haben wir diesen Punkt der Menschen- der Bundesregierung bei vielen Bürgerinnen und rechtskonferenz im Unterausschuß für Menschen- Bürgern aus den neuen Bundesländern der Eindruck rechte und humanitäre Hilfe auf der Tagesordnung. entstanden, daß die Bundesregierung erst jetzt begrif- fen hat, daß eine drastische Sprachpolitik zugunsten (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: des Fonds „Deutsche Einheit" vonnöten ist, um ein Mehrfach!) Mezzogiorno-Szenarium für den Osten Deutschlands Wir haben uns unterrichten lassen, wir haben unsere doch noch abzuwenden. Vorstellungen eingebracht. Am Donnerstag der vori- Meine Damen und Herren, Robert Jungk sagte gen Woche rief mich Herr Staatssekretär Kastrup an einmal: „Regieren heißt voraussehen". Mit ihrer Kurz- und teilte mir mit, daß entschieden worden sei, daß die sichtigkeit wird die Bundesregierung das Nachsehen Konferenz nicht stattfindet. Ich habe ihn dann gefragt: haben. Ist das schon entschieden? — Ja — so sagte er —, es ist schon entschieden. Ich danke Ihnen. Diesen Vorgang im Verhältnis zwischen Regierung (Beifall bei der SPD — Helmut Sauer [Salz- und Parlament halte auch ich allerdings für nicht in gitter] [CDU/CSU]: Bei der Mehrwertsteuer Ordnung. ihr auch!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der PDS/Linke Liste) Nun möchte ich allerdings noch etwas sagen. Ich Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr gehe einmal davon aus, daß es stimmt: 15 000 Perso- hat der Herr Abgeordnete Vogel (Ennepetal) das nen; 100 Millionen DM Kosten. Wort. (Rudolf Bindig [SPD]: Falsche Annahmen!) — Sie wissen das nicht, Herr Bindig. Sie behaupten Friedrich Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Herr Prä- das, und Sie haben sich ja dazu entschieden, in dieser sident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Debatte mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung selbst (Rudolf Bindig [SPD]: Der Außenminister ist nicht erwartet hat — vor allen Dingen das Auswärtige ein Spatz? Eine Meise ist das! — Heiter Amt nicht — , daß diese Aktuelle Stunde eine ver- keit) gnügliche Stunde sein würde. Trotzdem — dieser Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Ich würde mich Auffassung bin ich — sollten wir den Vorgang so nicht einen Augenblick für die Durchführung dieser aufhängen, wie es ihm gebührt. Sie, Herr Verheugen, Konferenz in Berlin eingesetzt haben, wenn ich Herr Bindig, Herr Brecht, haben doch — so möchte ich gewußt hätte, daß 100 Millionen DM an Kosten für sagen — maßlos überzogen. diese Konferenz auf uns zukommen. (Rudolf Bindig [SPD]: Nun machen Sie doch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) keine Pflichtübung!) Diese 100 Millionen DM sind für humanitäre Hilfe Zweifel am Engagement der Bundesregierung, an der besser angelegt als für eine solche Mammutkonfe- Bundesrepublik Deutschland in Fragen der Men- renz. schenrechtspolitik sind nun weiß Gott nicht ange- bracht. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD und der PDS/Linke Liste) SPD) Mindestens dies möchte ich festgehalten haben. Das wissen Sie. Sie wissen das auch besser, als Sie hier (Günter Verheugen [SPD]: Das sehen wir geredet haben. doch alle so!) Ich muß allerdings auch sagen, Herr Kollege Hirsch: Aber, lieber Herr Bindig, einen schweren Rück- Bloß eine Änderung des Tagungsortes — das hängt schlag in ihrer Menschenrechtspolitik und in ihrem mir ein bißchen zu niedrig. Engagement bei den Vereinten Nationen in Sachen (Beifall bei der SPD — Dr. Burkhard Hirsch Menschenrechte hat die Bundesregierung, hat die [F.D.P.]: Das habe ich auch nicht allein Bundesrepublik Deutschland damit nicht erlitten. gesagt!) (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: So ist es!) 6662 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Friedrich Vogel (Ennepetal) Sie sollten also versuchen, das richtige Maß in die Das wäre wahrscheinlich möglich gewesen; denn die Auseinandersetzung dieser Debatte hineinzubrin- Bundesrepublik Deutschland hat gerade auf Grund gen. ihrer ökonomischen und politischen Einflußnahme bei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den internationalen Organisationen durchaus die Kraft, manches durchzusetzen, wenn sie will, gerade in einer solchen Frage, weil sie einer der Finanziers dieser Dinge ist. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun spricht der Abgeordnete Wartenberg. (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Noch einmal verhandeln!)

- Einfach nur eine Horrorzahl hier hinzustellen und zu Gerd Wartenberg (Berlin) (SPD): Meine Damen und sagen: „Damit konnten wir leider nicht umgehen", Herren! Unabhängig davon, wie man die Schwere das geht meines Erachtens nicht. dieses Falls beachtet oder betrachtet, eines kann man sagen: Der Vorgang ist peinlich, und er ist Ausdruck Dann noch ein Wort zu Berlin. Auch für Berlin ist die von Mißmanagement. Aber was einen in so einer Begründung, die vom Außenministerium gegeben Debatte ärgert, ist der Klappmechanismus. Da der wurde, einfach peinlich. Es wird plötzlich gesagt, Vorsteher dieser Behörde ein F.D.P.-Mann ist, kann Berlin sei wegen der Hauptstadtentscheidung und die F.D.P. nur gegenhalten und nicht einmal ein wegen der deutschen Einheit nicht in der Lage, eine selbstkritisches oder nachdenkliches Wort dazu solche Großkonferenz durchzuführen. Ich glaube, das sagen. ist eine Fortsetzung der etwas kleinlichen Hauptstadt- debatte, die wir ein Jahr lang hier ertragen mußten. (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der Was soll das eigentlich? Die Situation war damals F.D.P. — Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/ nicht anders, als sie jetzt ist. Wir haben in der CSU]: Wir sind hier doch nicht beim Finanz- Zwischenzeit große Konferenzen in Berlin gehabt, Wir amt, wo es einen Vorsteher gibt! — Heribert haben die KSZE-Konferenz dort gehabt. Scharrenbroich [CDU/CSU]: In der F.D.P. klappt die Solidarität halt noch!) (Gerhart Rudolf Raum [F.D.P.]: Nicht ver Das ist kein Ausdruck von Souveränität; Sie wissen gleichbar!) das. Es ist ein peinlicher Vorgang. Man muß nun nicht, Wenn es überhaupt einen Standort in Deutschland weil es der Herr Genscher ist, meinen, man dürfe dazu gibt, wo so etwas durchführbar ist und man nichts nichts sagen. Diese Form von peinlichem Gruppen- Neues bauen muß, weil die Infrastruktur da ist und denken sollte gerade bei solch einer Thematik nicht man es somit kostengünstig organisieren kann, dann gespielt werden. ist es natürlich Berlin. Wir sagen nicht — das ist hier in der Argumentation falsch gesagt worden —, daß wir die Größenordnung (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Das ist nicht nicht für problematisch halten. so! Die Räume reichen nicht!)

(Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Aha! Aha!) Es ist peinlich, daß diese Argumentation nun noch Nur, die Frage ist: Was herrschte denn im Mai 1991 für zum Schaden der Stadt geführt worden ist. Das halte eine Voraussetzung? Das ist noch nicht einmal ein ich nicht einfach nur für peinlich, sondern für unse- Jahr her. Da war die deutsche Problematik dieselbe, riös. d. h., in Berlin waren dieselben Probleme wie heute. (Beifall bei der SPD) Auch die Größenordnungen waren wohl bekannt; denn der Mensch, der das Außenministerium leitet, ist So geht man nicht mit einem deutschen Bundesland, ja nicht erst seit vorgestern Außenminister. Seine schon gar nicht mit der Hauptstadt, um. Auch die Leute und er sollten ja wohl Erfahrungen mit interna- Verantwortlichen im Senat wurden erst hinterher tionalen Konferenzen dieser Art haben. Also bleibt informiert. Man informiert die Leute rechtzeitig. Dann doch gar nichts Nacht in der Begründung. kann man sich zusammensetzen und eine vernünftige Konditionierung finden. Das heißt, es ist dieselbe Situation wie im Mai 1991. Alle Begründungen, die jetzt kommen, um die Konfe- Im großen und ganzen hat sich die Bundesregie- renz abzusagen, sind nachgeschoben und wirken rung, insbesondere der Außenminister, bei dieser auch in der internationalen Öffentlichkeit peinlich. wichtigen Frage nicht mit Ruhm bekleckert. Hier geht Das ist der eigentliche Grund für unsere Haltung. es nicht um die Absage irgendeiner Konferenz. Das ist Hätte es jetzt einen wirklich überzeugenden neuen nicht die Konferenz des Großhandels für Sanitärbe- Grund gegeben, wäre jeder bereit gewesen, offen darf, sondern das ist eine internationale Menschen- darüber zu diskutieren. rechtskonferenz, die für die Bundesrepublik Deutsch- Ich glaube, der Außenminister wird falsch einge- land auch außenpolitisch einen hohen Stellenwert hat. schätzt, daß er es mit seinem Ministerium nicht Da muß man sagen, daß das Außenministerium und geschafft hätte, diese Konferenz in Berlin zu vernünf- insbesondere der Außenminister dilettantisch gehan- tigen Konditionen, d. h. kleiner und kostengünstiger, delt haben. auszurichten. Vielen Dank. (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6663

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine Ich wünsche Ihnen allen ein erholsames Wochen- Damen und Herren, damit sind wir am Ende der ende. Aktuellen Stunde und am Ende der Tagesordnung. Die Sitzung ist geschlossen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Mittwoch, 11. März 1992, 13.00 Uhr ein. (Schluß der Sitzung: 14.16 Uhr)

Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6665*

Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Neumann (Bramsche), SPD 21. 02. 92 Volker Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Niggemeier, Horst SPD 21. 02. 92 Austermann, Dietrich CDU/CSU 21. 02. 92 Otto (Frankfurt), F.D.P. 21. 02. 92 Hans-Joachim Beckmann, Klaus F.D.P. 21. 02. 92 Dr. Böhme (Unna), Ulrich SPD 21. 02. 92 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 21. 02. 92 Brähmig, Klaus CDU/CSU 21. 02. 92 Rappe (Hildesheim), SPD 21. 02. 92 Hermann Clemens, Joachim CDU/CSU 21. 02. 92 Rempe, Walter SPD 21. 02. 92 Doppmeier, Hubert CDU/CSU 21. 02. 92 Reuschenbach, Peter W. SPD 21. 02. 92 Dr. Dregger, Alfred CDU/CSU 21. 02. 92 Roitzsch (Quickborn), Ehrbar, Udo CDU/CSU 21. 02. 92 CDU/CSU 21. 02. 92 Ingrid Engelmann, Wolfgang CDU/CSU 21. 02. 92 Rother, Heinz CDU/CSU 21. 02. 92 Dr. Feige, Klaus-Dieter BÜNDNIS 21. 02. 92 90/GRÜNE Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 21. 02. 92 Francke (Hamburg), CDU/CSU 21. 02. 92 Schartz (Trier), Günther CDU/CSU 21. 02. 92 Klaus Schmalz, Ulrich CDU/CSU 21. 02. 92 Fuchs (Köln), Anke SPD 21. 02. 92 Schmidbauer (Nürnberg), SPD 21. 02. 92 Gattermann, Hans H. F.D.P. 21. 02. 92 Horst Dr. Gautier, Fritz SPD 21. 02. 92 Schmidt (Dresden), Arno F.D.P. 21. 02. 92 Dr. von Geldern, CDU/CSU 21. 02. 92 Dr. Schmude, Jürgen SPD 21. 02. 92 Wolfgang von Schmude, Michael CDU/CSU 21. 02. 92 Genscher, Hans-Dietrich F.D.P. 21. 02. 92 Graf von CDU/CSU 21. 02. 92 Gleicke, Iris SPD 21. 02. 92 Schönburg-Glauchau, Joachim Dr. Gysi, Gregor PDS/LL 21. 02. 92 Haack (Extertal), SPD 21. 02. 92 Dr. Schulte (Schwäbisch CDU/CSU 21. 02. 92 Karl-Hermann Gmünd), Dieter Hackel, Heinz-Dieter F.D.P. 21. 02. 92 Dr. Schuster, Werner SPD 21. 02. 92 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 21. 02. 92 Seibel, Wilfried CDU/CSU 21. 02. 92 Helmrich, Herbert CDU/CSU 21. 02. 92 Sielaff, Horst SPD 21. 02. 92 Dr. Hoth, Sigrid F.D.P. 21. 02. 92 Skowron, Werner H. CDU/CSU 21. 02. 92 Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 21. 02. 92 Sothmann, Bärbel CDU/CSU 21. 02. 92 Karwatzki, Irmgard CDU/CSU 21. 02. 92 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 21. 02. 92 Kohn, Roland F.D.P. 21. 02. 92 Dr. Stavenhagen, Lutz G. CDU/CSU 21. 02. 92 Kolbe, Regina SPD 21. 02. 92 Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 21. 02. 92 Koschnick, Hans SPD 21. 02. 92 Terborg, Margitta SPD 21. 02. 92 * Kretkowski, Volkmar SPD 21. 02. 92 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 21. 02. 92 Dr.-Ing. Krüger, Paul CDU/CSU 21. 02. 92 Uldall, Gunnar CDU/CSU 21. 02. 92 Kubicki, Wolfgang F.D.P. 21. 02. 92 Dr. Waigel, Theo CDU/CSU 21. 02. 92 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 21. 02. 92 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 21. 02. 92 Leidinger, Robert SPD 21. 02. 92 Welt, Jochen SPD 21. 02. 92 Louven, Julius CDU/CSU 21. 02. 92 Wetzel, Kersten CDU/CSU 21. 02. 92 Marten, Günter CDU/CSU 21. 02. 92 Wieczorek (Duisburg), SPD 21. 02. 92 Meckel, Markus SPD 21. 02. 92 Helmut Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 21. 02. 92 Wimmer (Neuötting), SPD 21. 02. 92 Dorothea Hermann Michalk, Maria CDU/CSU 21. 02. 92 Wittich, Berthold SPD 21. 02. 92 Dr. Mildner, Klaus CDU/CSU 21. 02. 92 Wollenberger, Vera BÜNDNIS 21. 02. 92 Gerhard 90/GRÜNE Mischnick, Wolfgang F.D.P. 21. 02. 92 Zierer, Benno CDU/CSU 21. 02. 92 Müller (Schweinfurt), SPD 21. 02. 92 Rudolf * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 21. 02. 92 lung des Europarates 6666* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992

Anlage 2 schläge unterbreitet. Sie zielten auf Änderungen des Außenwirt- schaftsgesetzes, die eine bessere Information der Strafverfol- gungsbehörden und deren frühzeitigeres Tätigwerden — u. a. Amtliche Mitteilungen auch bei der Telefonkontrolle gem. § 100a StPO — ermöglicht hätten. Diese Vorschläge besaßen nicht nur den Vorzug rechts- staatlicher Unbedenklichkeit. Auch in der kriminalistischen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 14. Februar 1992 beschlos- Praxis versprachen sie mehr Erfolg, weil sie die in dem Konzept sen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag der Bundesregierung vorgesehenen Kompetenzzersplitterung gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen oder einen Einspruch gem. zwischen Bundesfinanzministerium und Zollkriminalinstitut Art. 77 Abs. 3 GG nicht einzulegen. einerseits sowie den Strafverfolgungsbehörden andererseits vermieden. Die Problematik, die sich bei solchen Kompetenz- Erstes Gesetz zur Änderung des Sortenschutzgesetzes überschneidungen ergeben kann, ist gerade in jüngster Zeit an Gesetz zur Änderung der Bundesärzteordnung und weiterer anderer Stelle augenfällig geworden. Bundesgesetze für Heilberufe - Der Bundesrat ist mit seiner Kritik nicht allein geblieben. Sie ist bei Anhörungen während des Gesetzgebungsverfahrens auch Gesetz über Fachanwaltsbezeichnungen nach der Bundes- von sachverständiger Seite geteilt worden. Um so bedauerlicher rechtsanwaltsordnung und zur Änderung der Bundesrechts- ist es, daß die Bundesregierung sowie die Koalitionsfraktionen anwaltsordnung dieser Kritik keinerlei Beachtung schenkten und das Vermitt- Drittes Gesetz zur Änderung des Eichgesetzes lungsverfahren scheitern ließen. Stattdessen hat die Bundesre- gierung den neuerlich vorgelegten und von den Koalitionsfrak- Gesetz zu dem Abkommen vom 25. April 1989 zwischen der tionen im Bundestag durchgesetzten Gesetzentwurf textlich Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung lediglich insoweit retuschiert, als damit die Zustimmungsbedürf- der Vereinigten Staaten von Amerika zur Ergänzung des tigkeit durch den Bundesrat entfallen ist. Nicht entfallen sind Abkommens vom 7. Juli 1955 über den Luftverkehr dadurch seine inhaltlichen Mängel. Gesetz zu dem Abkommen vom 18. September 1985 zwischen Von einer Anrufung des Vermittlungsausschusses sieht der der Bundesrepublik Deutschland und der Argentinischen Bundesrat ab, weil eine weitere argumentative Auseinanderset- Republik über den Luftverkehr zung offenbar keinen Sinn hätte und lediglich das dringend gebotene Inkrafttreten der übrigen — inhaltlich vom Bundesrat Gesetz zu dem Abkommen vom 2. November 1987 zwischen der durchaus begrüßten Regelungen — verzögert würde. Bundesrepublik Deutschland und Neuseeland über den Luft- verkehr Entschließung zum Gesetz über die Errichtung eines Bundes- ausfuhramtes Gesetz zu dem Abkommen vom 8. April 1987 zwischen der Die vorgesehene Regelung über die Gewährung einer (nach Bundesrepublik Deutschland und der Republik Venezuela über Laufbahngruppen gestaffelten) Stellenzulage für alle Beamten den Luftverkehr des Bundesausfuhramtes begegnet erheblichen Bedenken. Die Gesetz zu dem Abkommen vom 28. Januar 1986 zwischen der hierfür geltend gemachten Gründe lassen sich in entsprechen- Bundesrepublik Deutschland und der Gabunischen Republik der Weise auch für eine herausgehobene Besoldung hochquali- über den Luftverkehr fizierter Mitarbeiter in anderen Verwaltungen anführen. Die Zulagenregelung führt daher zu Verzerrungen der Besoldungs- Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der struktur und muß Anschlußforderungen aus anderen Bereichen Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze hervorrufen, für deren Erfüllung bei der äußerst angespannten (Steueränderungsgesetz 1992 — StÄndG 1992) Haushaltslage der Länder kein Spielraum besteht. Die nach dem geltenden Recht auch für die Beamten der neuen Behörde Gesetz zur Aufhebung des Strukturhilfegesetzes und zur Auf- gegebenen Möglichkeiten einer Überschreitung der allgemei- stockung des Fonds „Deutsche Einheft" nen Stellenobergrenzen (§ 26 Abs. 3 BBesG) und einer Vorweg- Gesetz zur Änderung des Bundesarchivgesetzes gewährung von bis zu vier Dienstalters-Steigerungsstufenbeträ- gen nach der Verordnung zu § 72 BBesG stellen ein ausreichen- Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Straf- des Instrumentarium für die Gewinnung des benötigten Perso- gesetzbuches und anderer Gesetze nals dar. Gesetz über die Errichtung eines Bundesausfuhramtes Entschließung zum Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1991 (Bun- Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezü- desbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1991 gen in Bund und Ländern 1991 (Bundesbesoldungs - und - ver- — BBVAnpG 91) sorgungsanpassungsgesetz 1991 — BBVAnpG 91) 1. Der Bundesrat fordert Bundesregierung und Bundestag auf, künftig Gesetze über die lineare Anpassung der Dienst- und Zu den vier letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat folgende Versorgungsbezüge von strukturellen besoldungsrechtli- Entschließungen gefaßt: chen Änderungen freizuhalten. Derartige Änderungen soll- ten nach sorgfältiger Vorbereitung und Abstimmung zwi- Entschließung zum Gesetz zur Änderung des Bundesarchiv- schen Bund und Ländern besonderen Besoldungsstrukturen gesetzes vorbehalten bleiben. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei der Errichtung Begründung der Stiftung verfahrensmäßig sicherzustellen, daß die auf der Das BBVAnpG 91 enthält neben der linearen Anpassung der Bezirks- und Kreisebene entstandenen Unterlagen der in § 2 Dienst- und Versorgungsbezüge eine Reihe struktureller Abs. 9 des Bundesarchivgesetzes genannten Parteien, Organi- besoldungsrechtlicher Änderungen, die ohne vorherige sationen und juristischen Personen in den zuständigen Archiven Abstimmung mit den Ländern z. T. schon in der Regierungs- der neuen Länder archiviert werden. vorlage enthalten waren, z. T. aber auch erst durch den Entschließung zum Gesetz zur Änderung des Außenwirtschafts- Bundestag nach dem 1. Durchgang im Bundesrat eingefügt gesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze worden sind. Insbesondere bei Ergänzungen nach dem 1. Durchgang im Bundesrat werden beim Zustandekommen Der Bundesrat bedauert, daß die dringend gebotene Verschär- kostenwirksamer Besoldungsregelungen die Länder nicht in fung der Kontrolle des Rüstungsexportes und der Strafbestim- dem Maße beteiligt, wie es das föderalistische Prinzip für die mungen des Außenwirtschaftsgesetzes nicht schon Mitte 1991 in Zusammenarbeit von Bund und Ländern gebietet, zumal die Kraft treten konnte. Seine Ursache hat dies darin, daß in dem Regelungen meistens weitgehend den Länderbereich betref- Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 8. Februar 1991 eine fen. Die Länder können ihre Interessen dann nur noch durch rechtsstaatlich überaus bedenkliche Ermächtigung für das Zoll- Anrufung des Vermittlungsausschusses verfolgen. kriminalinstitut zum Eingriff in das Post- und Fernmeldegeheim- nis enthalten war. Es ist dringend geboten, daß strukturelle besoldungsrechtli- che Änderungen künftig grundsätzlich von Bund und Län- Der Bundesrat hat in dem von ihm seinerzeit gegen die Vorlage dern sorgfältig vorbereitet und in besonderen Besoldungs- angestrengten Vermittlungsverfahren konkrete Alternativvor strukturgesetzen umgesetzt werden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1992 6667*

2. Die Bundesregierung wird aufgefordert, umgehend die rah- Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der menrechtlichen Voraussetzungen für die Berufung von Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen, Angehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Gemeinschaften in das Beamtenverhältnis zu schaffen und die damit untrennbar verbundene Anerkennung von in Ausschuß für Wirtschaft Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften erworbe- Drucksache 12/269 Nr. 2.18 nen Berufsbefähigungen als Zugangsvoraussetzung für ent- Drucksache 12/1767 Nr. 2.2 sprechende Beamtenlaufbahnen zu regeln. Drucksache 12/1838 Nrn. 3.2, 3.3

Finanzausschuß Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mitgeteilt, daß der Drucksache 12/1518 Nr. 2 Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/8540 Drucksache 12/1220 Nr. 3.12 Drucksache 12/943 Drucksache 12/1612 Nr. 2.9