Bernd Rill (Hrsg.): Italien Im Aufbruch – Eine Zwischenbilanz
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Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen 37 Bernd Rill (Hrsg.) Italien im Aufbruch – eine Zwischenbilanz Hanns Seidel Stiftung Akademie für Politik und Zeitgeschehen Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen 37 Bernd Rill (Hrsg.) Italien im Aufbruch – eine Zwischenbilanz ISBN 3 - 88795 - 252 - 9 © 2003 Hanns-Seidel-Stiftung e.V., München Akademie für Politik und Zeitgeschehen Verantwortlich: Dr. Reinhard C. Meier-Walser (Chefredakteur) Redaktion: Wolfgang D. Eltrich M.A. (Redaktionsleiter) Barbara Fürbeth M.A. (stv. Redaktionsleiterin) Claudia Magg-Frank (Redakteurin) Christa Frankenhauser (Redaktionsassistentin) Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Redaktion reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. 3 Inhaltsverzeichnis Bernd Rill Einführung..............................................................................................................................5 Carlo Masala Der Untergang der Democrazia Cristiana ..............................................................................7 Gian Enrico Rusconi Italien und Europa von 1945 bis heute.................................................................................19 Günther Pallaver Eine "Zweite Republik"? – Verfassungsdiskussionen seit 1992..........................................27 Paolo Gianfelici "Forza Italia" oder "Forza Berlusconi"? – Bemerkungen zu einem neuen Partei-Modell.......................................................................41 Paolo Possenti del Possente Der Mittelstand an der Macht...............................................................................................55 Mauro Grassi Bipolarismus des Parteiensystems?......................................................................................65 Roland Höhne Regieren in Italien – Wie durchsetzungsfähig ist die Regierung Berlusconi? .....................75 Francesco Iori Die "Lega Nord" – Vertretung regionaler Interessen im Nationalstaat................................89 Roland Höhne Alleanza Nazionale – Zwischen Neofaschismus und nationalem Konservativismus..........99 Jens Petersen Der Zustand der Oppositionen............................................................................................113 Birgid Rauen Medien und Politik.............................................................................................................123 Alberto Febbrajo Die Reform des italienischen Bildungswesens...................................................................135 4 Carlo Guarnieri Die Politisierung der Gerichtsbarkeit in Italien..................................................................145 Letizia Paoli Das "pacchetto giudiziario" – Reformbedarf für die italienische Justiz.............................155 Rudolf Lill Italien auf dem Weg zur Föderalisierung...........................................................................169 Autorenverzeichnis.............................................................................................................179 Die Beiträge Gian Enrico Rusconi, Paolo Possenti del Possente, Francesco Iori, Alberto Febbrajo, Carlo Guarnieri und Letizia Paoli wurden von Silvia Heller, Sprachendienst, München, und der Beitrag Paolo Gianfelici von Dr. Richard Brütting, Herborn, ins Deutsche übersetzt. 5 Einführung Bernd Rill Diese Publikation, die auf zwei einschlägigen Expertentagungen der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung beruht, setzt sich zum Ziel, das politische und staat- liche Leben des heutigen Italien etwas genauer zu betrachten, als es üblicherweise in den deutschen Medien geschieht. Die dort gepflegte Klischee-Haftigkeit (etwa mangels präziserer Sichtweise die Abqualifizierung mancher Sachverhalte als eben "all'italiana", was alles und nichts bedeuten kann) resultiert weniger in leichterer Verständlichkeit für den Leser als in der Zementierung eben des Klischees. Dazu passt es, wenn häufig Anekdotisches an die Stelle von sachlicher Information tritt. Umgekehrt ist es in Artikeln und Abhandlungen auch wenig hilfreich, den Mangel an konkreten Einzelheiten kompensieren zu wollen durch respektvolles Einflechten von Hinweisen auf die unvergleichlichen Schätze von Kunst und Kultur, die Ita- lien zu bieten hat. Das bewirkt nur die Pflege von Stereotypen, wenn auch von der wohl wol- lenden Seite her. Italien ist seit 1860 (Schaffung des einigen, nationalen Königreiches) bzw. 1870 (Gewinnung Roms als der endgültigen Hauptstadt) ein moderner Nationalstaat mit seinen spezifischen Problemen, die vielfach immer noch aus den jahrhundertelangen Traditionen resultieren, als deren Überwindung der Nationalstaat eigentlich angetreten war. Dies zeigt sich exemplarisch an den Projekten zur "Föderalisierung" des seit 1860 (1870) überkommenen Einheits- und Zentralstaates, die bereits die Regierung der Linken (1996-2001), weitaus mehr aber die am- tierende Regierung Berlusconi auf den Weg gebracht hat. Die Diskussion hierüber wühlt ge- radezu die Geister auf, da ihre beiden, logisch gegeneinander stehenden Pole bis zu den tiefen Wurzeln der italienischen Geschichte hinabreichen. Im Zeichen des (von den Piemontesen der revolutionären französischen Republik nachemp- fundenen) Zentralstaates hat das "Risorgimento", jener Versuch eines Teiles der italienischen Oberschichten im 19. Jahrhundert, eine einheitliche Nation zu schaffen, die Partikulargewal- ten auf der Halbinsel, allen voran den päpstlichen Kirchenstaat und das Königreich beider Sizilien, siegreich aufgelöst und damit eine Tradition von mittlerweile ca. fünf Generationen Länge begründet. Doch diese überwölbte ihrerseits eine Tradition der erwähnten Partikular- gewalten, die weitaus älter war, sogar bis ins frühe Mittelalter zurückdatiert werden kann. Nicht anders als im deutschen Bereich hat sich in Italien Staatlichkeit zuerst auf der lokalen und regionalen Ebene konstituiert. Da dies nach dem Zusammenbruch der alt-römischen Ord- nung einen Prozess erster, ursprünglich politischer Bewusstwerdung darstellte, war dessen prägende Kraft nicht mehr zu eliminieren. Sie spielt denn auch in den heutigen Bemühungen um die Dezentralisierung des italienischen Staates eine erhebliche Rolle. Die Versuche der Zentralisten aus dem Königreich Piemont-Sardinien mögen im Wege der staatlichen Einigung ein unbestreitbares historisches Verdienst gehabt haben; aber die Diskussion um ihre Berech- tigung begann schon, sobald der Zentralstaat der Nation auferlegt worden war. Und heute deuten die Zeichen der Zeit wieder klar auf eine wie auch immer modifizierte Rückbesinnung auf regionale Traditionen, da und sofern der Nationalstaat dadurch nicht zerfällt, sondern nur differenziert und bereichert wird. Im Übrigen hat das aktuelle Italien einen innenpolitischen Reformbedarf zu verarbeiten, der (dies sei den Ironikern, denen die Abqualifizierung "all'italiana" leicht zur Hand ist, ins Stammbuch geschrieben) mit den stagnierenden Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland durchaus verglichen werden kann. 6 Der erste Schub an Neuerungen, der von einer ungeahnten inneren Dynamik eindrucksvolles Zeugnis ablegte, betraf die weit gehende Auswechselung des führenden politischen Personals ("tangentopoli", "mani pulite") – ein Vorgang, für den es in den freiheitlichen Demokratien der westlichen Welt nach 1945 keine Parallele gibt. Der zweite Schub, der nunmehr ansteht, sollte das Ergebnis haben, die öffentliche Ordnung des Landes von den seit 1945 selbsterrichteten Blockaden zu befreien, die im Zeitalter der Globalisierung dessen internationale Stellung beeinträchtigen könnten, und das nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Hierbei geht es u.a. um die überfällige Reform des Renten- und Gesundheitssystems, des Arbeitsmarktes, der fast handlungsunfähigen Justiz, des Erziehungs- systems, der Regierungsprozeduren ("Presidenzialismo"!), der Bekämpfung der landesinter- nen organisierten Kriminalität. Die Frage stellt sich, ob die Regierung im Stande ist, Reformen, die in einer pluralistischen Gesellschaft ohne die Pflege eines gewissen Konsenses kaum Aussicht auf Durchsetzung ha- ben, nicht nur zu verkünden, sondern den interessierten Bürgern und Interessengruppen auch überzeugend zu vermitteln. Konservative Staatsdenker hatten schon immer das Bedenken, dass der moderne Staat als Hüter des allgemeinen Besten, das, ähnlich der fabelhaften "vo- lonté générale" Rousseaus, die Summe aller Einzelinteressen ausmacht, dieses gegen die – legitimerweise organisierten – Interessen von einzelnen Teilen der Gesellschaft nicht unbe- dingt mehr durchsetzen könne. Die Reform-Anstrengungen der zweiten Regierung Berlusconi bieten aktuelles Anschauungsmaterial über diese Art von Schwierigkeiten. Solche Gesichtspunkte machen die Analyse der italienischen Gegenwart überaus lohnend, denn mit vergleichbaren Problemen kämpfen westlich orientierte Staaten auch anderswo, auch, wie schon angedeutet, in Deutschland. Daneben werden die viel behandelten Probleme des amtierenden Regierungschefs mit der Justiz zu Marginalien, noch dazu "durch der Partei- en Gunst und Hass verwirrt". Italien, wie es in den Beiträgen dieser Publikation aufscheinen soll, wird so wieder einmal zu einer Art "Laboratorium der Moderne" – wie schon einst in der Renaissance, nicht als Machtzentrum, sondern als Experimentierplatz des staatenstrukturie- renden europäischen Geistes, damals in beginnender Hinwendung zur Neuzeit, heute bei de- ren Verlassen und mit