Heimatkrieg 1939 Bis 1945
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Wolfgang Paul Der Heimatkrieg 1939 bis 1945 Bechtermünz Verlag Die Karten der Abbildungen 1, 2, 4, 5 werden hier mit freundlicher Genehmigung des Bundesarchivs – Militärarchiv – Freiburg/ Br. ver- öffentlicht, die Karte auf Vor- und Nachsatz nach einer von dort freundlichst zur Verfügung gestellten Kartenvorlage. Abb. 3 ist der Wochenzeitung «Das Reich» vom 17.12.1943 entnommen. Genehmigte Lizenzausgabe für Weltbild Verlag GmbH, Augsburg 1999 Copyright © by Bechtle Verlag, Esslingen – München Umschlaggestaltung: Ka*Ba factory, Augsburg Umschlagmotiv: Hilmar Pabel, Volkssturmangehörige bei einer Übung in der Nähe von Potsdam / bildarchiv preussischer kulturbesitz, Berlin Gesamtherstellung: Bercker Graphischer Betrieb GmbH, Kevelaer Printed in Germany ISBN 3-8289-0326-6 Eingescannt mit ABBYY Fine Reader Inhalt 1. Stalingrad im Café Kranzler ............................................... 11 2. Der Blick nach innen .............................................................. 16 3. Dieses frühe Frühjahr .............................................................. 23 4. Eine Weisse Rose................................................................... 29 5. Der kürzeste Krieg ................................................................. 36 6. Der brennende Dornbusch ..................................................... 46 7. Verwöhnt durch Eroberungen und Siege ................................ 52 8. Nicht Krieg der Soldaten, sondern der Völker ................... 61 9. Das Innere Reich .................................................................... 78 10. Der Staat als Zahlmeister ........................................................ 84 11. Rückkehr an die Elbe ............................................................. 94 12. Mit tausend Bombenflugzeugen ............................................ 105 13. Ein rätselhaftes Volk ............................................................. 118 14. Panzer sollen entscheiden ..................................................... 129 15. Auswirkungen der Todesnähe ............................................... 139 16. Auf dem Wege nach Gomorrha ............................................ 148 17. Heisser Sommer 1943 161 18. Verbunkerung ................ ....................................................... 174 19. Nachts an der Pommerschen Bucht ...................................... 184 20. Schüler für die Heimatflak .................................................... 202 21. Nichts mehr zu verlieren ....................................................... 215 22. Für Berlin wird es ernst ........................................................ 223 23. Dezembertage in Mitteldeutschland ...................................... 235 24. Sexus und Thanatos ............................................................. 245 25. Vorstellungen von der Zukunft ............................................ 252 26. Abwehr einer Luftarmada ..................................................... 258 27. Antworten auf Fragen ........................................................... 273 28. Vorbereitungen auf den Gaskrieg ........................................ 286 29. Reifeprüfungen .................................................................... 296 30. Auf der Spitze des Schwertes ................................................ 302 31. Die Not wenden .................................................................... 311 32. Gottes und des Führers Wille ............................................... 321 33. Städte brennen Tage .............................................................. 332 34. Vergeltung ............................................................................. 347 35. Der 20. Juli 1944 wirdbesichtigt ........................................... 353 36. Krieg im Land ....................................................................... 361 37. Beschäftigung mit Unbegreiflichem .................................... 382 38. Die Kriegsgefangenen ........................................................... 392 39. Gräber ................................................................................... 397 40. Das Labyrinth ....................................................................... 405 41. Letzte Leiden ....................................................................... 413 Nachwort ....................................................................................... 419 Literatur- und Quellenverzeichnis ................................................. 423 Abbildungsverzeichnis .................................................................. 427 Dem Gedächtnis von Frauen und Kindern Ich darf sagen, dass mit dem Fortschreiten des Jahres die deutschen Städte, Häfen und Zentren der Kriegsindustrie einer Prüfung unterliegen werden, wie sie kein Land jemals erfahren hat. Winston Churchill, Britisches Unterhaus, 2. Juni 1942 Ich glaube, ich gehe hier in den Keller. Vielleicht ist es sicherer im U- Bahnhof. Aber da habe ich mehr Angst vor der Masse als vor den Bom- ben. Wenn es da unten eine Panik gibt, wird man zu Tode getrampelt. Dann lieber mit seinen Bekannten im Keller sterben. Möchte wissen, was die Nachwelt über uns sagt. Ich glaube, alle, die in diesen Jahren, in denen ganz Europa ein Tollhaus ist, nicht gelebt haben, können sich glücklich preisen. Sekretärin im Ausland-Presseclub, Berlin 1944 1. KAPITEL Stalingrad im Café Kranzler An diesem Mittwoch, dem 3. Februar 1943, im kalten östlichen Step- penwind, der die Strassen Berlins fegte, schmutzige Schneehaufen an- griff, ohne ihre eisige Härte bewegen zu können, schien in der Strasse Unter den Linden, nahe dem in Beton eingepackten Reiterdenkmal Friedrichs des Grossen, das Café Kranzler eine Zuflucht vor der drohen- den Götterdämmerung des Reiches zu sein, dessen Ehrenmal für seine gefallenen Soldaten, die Schinkel- sche Wache, ein erfrorenes Blumen- meer unzähliger Kränze aufnahm, während gegenüber die Masken ster- bender Krieger am Zeughaus hinter Sandsäcken versteckt wurden. In jener Zeit, den Nachgeborenen entrückt in das graue Dämmerlicht einer unerhörten Vergangenheit, wurde gegen Abend die Verlesung des Wehrmachtberichtes im Rundfunk erwartet, der im Führerhauptquartier herausgegeben wurde, dessen Ort der Bevölkerung unbekannt war. Noch niemals in diesem Zweiten Weltkrieg waren so ernste Worte ge- wählt worden wie seit dem 22. Januar. Die Kriegslage hatte sich für die Deutschen radikal verändert. Die Nachrichten schonten sie nicht mehr. Die tiefe Trauer, die grosse Unruhe, von denen die Menschen bewegt wurden, das Gefühl, ohnmächtig dem Verhängnis preisgegeben zu sein, das seit Ende November 1942 über die in Stalingrad eingeschlossene Armee hereinbrach, all das liess die Sprache der Propaganda verstum- men. Die deutsche Wehrmacht war nicht mehr unbesiegbar. Die Kriegsentscheidung schloss auch die Niederlage ein. Von jetzt an würde es noch zwei Jahre Blut und Tränen kosten, bis die sowjetische 62. Armee des Generals Tschuikow, von der, mit anderen Armeen, die deutsche 6. Armee in Stalingrad niedergerungen würde, 11 vor der Reichshauptstadt, an der Oder bei Küstrin, erschien, um endlich Berlin zu nehmen. Jetzt, unter den Biedermeierstichen des Café Kranz- ler, bei der Sandtorte, die Serviererinnen in weisser Schürze und weis- sen Häubchen gegen Abgabe von Brot- und Fettmarken brachten, vor den seidenbespannten Wänden, beim leisen Klimpern der Kaffeelöffel, den Miniaturen städtischen Lebens, auch dem Aufblitzen von Orden und Medaillen, wenn sich ein verwundeter oder auf der Durchreise be- findlicher Soldat über den Tisch beugte, jetzt fiel dem Oberleutnant Koch der Gleichmut auf, mit dem sich hier in der Heimat, in der Zentrale des Reiches, puppenhaftes Leben zeigte. Da sie doch alle Puppen in den Händen eines Mannes waren, der gerade eine Armee und den Krieg verlor, konnte auch er, der Oberleutnant, sich nicht dem Puppenhaften entziehen, obwohl er sich seit seiner schweren Verwundung vor Moskau, als der Sieg erfror, bemüht hatte, alles aus der Distanz des Beobachters zu betrachten, der selbst in den Untergang hineingezogen wurde. Die Einsicht in das Notwendige, von dem – un- hörbar für ihn und die anderen – wenige Tage zuvor, am 26. Januar 1943, Graf Stauffenberg bei einem Besuch in Feldmarschall von Man- steins Hauptquartier Nowotscherkask gesprochen hatte, war ihm nicht gegeben: «Dass es gar nicht mehr um die Wiederherstellung geordneter Führerverhältnisse gehe, sondern darum, Hitler überhaupt auszuschal- ten.» Stauffenberg kam aus dem Führerhauptquartier mit Hitlers Adjutanten Schmundt; er wusste, wo der Führer zu finden war; der Oberleutnant im Café Kranzler jedoch hatte davon keine Ahnung. Und wenn er sie auch seltsamerweise für seinen Zustand, in dem er sich jetzt befand – Stu- dienurlaub nach einjährigem Lazarettaufenthalt –, gehabt hätte, er hätte sich dennoch nicht von denen unterschieden, mit denen er an diesem Abend im Café Kranzler sass. Die Heimat, in die er von der Ostfront zurückgebracht worden war, hatte längst ihre Front, die Heimatfront, die bei Abwehr und Hinnahme feind- licher Luftangriffe entstanden war, an der keine Eisernen Kreuze verlie- hen wurden, die aber Verwundung und Tod ebenso austeilte wie die Front der Soldaten. 12 Dass diese Heimatfront einmal mit der Front der Soldaten zusammen- fallen würde, erschien noch undenkbar. Anfang November des vergangenen Jahres hatte er mit einem Freund aus Dresden im Café Kranzler gesessen, der auf der Durchreise nach Stalingrad war. Der junge Leutnant, der inzwischen zu den Eingeschlos- senen an der