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Niedersächsische Ornithologische Vereinigung e. V.

Die Niedersächsische Ornithologische Vereinigung wurde 1972 unter dem Namen „Vereinigung Avifauna Nieder- sachsen“ gegründet, mit dem speziellen Ziel, eine Vogelfauna für das Land Niedersachsen zu erarbeiten. Der heutige Namen „Niedersächsische Ornithologische Vereinigung“ dokumentiert das seit 1987 wesentlich breitere Tätig keits- spektrum. Ziele der Vereinigung sind insbesondere: • die faunistische Arbeit im Land Niedersachsen für Zwecke des Natur- und Artenschutzes durch die Sammlung wis- senschaftlicher Daten zu fördern, • die faunistische Arbeit in der Bundesrepublik Deutsch land zu fördern durch Zusammenarbeit mit den anderen Landesver bänden und dem Dachverband Deutscher Avifaunisten, • die wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Vogel kunde durch Veröffentlichungen, Heraus gabe der Fachzeit schrift „Vogelkundliche Berichte aus Niedersachsen“ und Fachveran staltungen zu fördern.

Aktivitäten Zu den Aktivitäten - u. a. in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Vogelschutzwarte Niedersachsen in Hannover - zäh- len die kontinuierliche Mitwirkung am niedersächsischen Arten-Erfassungsprogramm (Vögel), am langjährigen Brutvogelmonitoring (z. B. bei Weißstorch, Birkhuhn, Saatkrähe) und an der Wasser- und Watvogel zählung. Außerdem werden in einzelnen Jahren aus aktuellen Anlässen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, so unter anderem: • Goldregenpfeifer-Rastplatzzählungen, • Kormoran-Schlafplatzerfassung, • landesweite Brutbestandserfassungen u. a. von Kranich, Rotmilan, Seeadler, Bekassine, Sperlingskauz, Grauspecht, Raubwürger, Saatkrähe, • Probeflächen-basiertes Monitoring mittelhäufiger Brutvogelarten, u. a. von Kranich und Rotmilan, • Monitoring häufiger Brutvögel auf repräsentativen Probeflächen in der „Normallandschaft“, • Sammlung, Auswertung und Dokumentation von Beobachtungsdaten seltener Vogelarten durch die Avifaunistische Kommission Niedersachsen und Bremen.

Ergebnisse gemeinsamer Arbeit Die Mitglieder der Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung ermöglichten durch ihre Mitarbeit die Erar beitung von zahlreichen Veröffentlichungen, u. a.:

• Atlas der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen 2005-2008, • Übersicht der Brutbestandsentwicklung ausgewählter Vogelarten 1900-1990 an der niedersächsischen Nordseeküste, • Beiträge zur Geschichte der Ornithologie in Niedersachsen und Bremen, • Wichtige Brut- und Rastvogelgebiete in Niedersachsen - Eine kommentierte Gebiets- und Artenliste als Grundlage für die Umsetzung der Europäischen Vogelschutzrichtlinie, • Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen: - Bd. 1: Seetaucher - Flamingos (1978), - Bd. 2: Entenvögel (1985), - Bd. 3: Greifvögel (1989), - Bd. 4: Hühner- und Kranichvögel (1985), - Bd. 5: Austernfischer bis Schnepfen (1995), - Bd. 6: Raubmöwen bis Alken (1991), - Bd. 7: Tauben- bis Spechtvögel (1986), - Bd. 8: Lerchen bis Braunellen (2001), - Bd. 9: Drosseln, Grasmücken, Fliegenschnäpper (2005), - Bd. 10: Bartmeisen bis Würger (1998), - Bd. 11: Rabenvögel bis Ammern (2009), • die Zeitschrift Vogelkund liche Berichte aus Niedersachsen (VBN) mit vielfältigen Beiträgen aus allen Bereichen der Vogelkunde, insbesondere zu Biologie, Ökologie, Verbreitung, Popula tionsbiologie, Wanderun gen und Schutz der Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen.

www.ornithologie-niedersachsen.de Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 121

Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher Podiceps crista- tus, Rothalstaucher Podiceps grisegena und Schwarzhalstaucher Podiceps nigricollis in Niedersachsen Ergebnisse der landesweiten Brutbestandserfassung 2014

Jann Wübbenhorst

WÜBBENHORST, J. (2017): Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher Podiceps cristatus, Rothalstaucher Podiceps grisegena und Schwarzhalstaucher Podiceps nigricollis in Nieder- sachsen. Ergebnisse der landesweiten Brutbestandserfassung 2014. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45: 121-159.

2014 wurde in Niedersachsen und Bremen im Auftrag der Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung (NOV) und der Staatlichen Vogelschutzwarte eine systematische Erfassung der drei Lappentaucherarten Haubentaucher Podiceps cristatus, Rothalstaucher Podiceps grisegena und Schwarzhalstaucher Podiceps nigricollis durchgeführt. Ziel war es, Größe, Verteilung und Dynamik des Brutbestandes auf aktueller Datengrundlage zu bewerten, den Erhaltungs- zustand in Niedersachsen einzuschätzen und Vorschläge für mögliche Hilfsmaßnahmen zu erarbeiten.

Die Erfassung ergab für 2014 1.312 Brutpaare des Haubentauchers, 25 Brutpaare des Rot- halstauchers und 106 Brutpaare des Schwarzhalstauchers. Die Verbreitungsschwerpunkte des Haubentauchers liegen in den Flusstälern vor allem von Ems, Weser, Aller und Leine. Hier werden ganz überwiegend künstliche Abbaugewässer besiedelt. Die größten Konzentrationen von Brutpaaren wurden dagegen auf den Flachwasserseen Dümmer und Steinhuder Meer ermittelt.

Der Rothalstaucher brütet aktuell in Niedersachsen vor allem im Einzugsgebiet der Aller und ihrer Nebenflüsse Örtze, Lachte, Innerste, Fuhse und Oker. Außerhalb dieses Gebietes waren 2014 nur ein Vorkommen bei Uelzen sowie zwei sehr isolierte küstennahe Vorkommen in den Landkreisen Cuxhaven und Friesland vorhanden. Auch der Schwarzhalstaucher ist in Niedersachsen nach wie vor nur spärlich verbreiteter Brutvogel. Der Siedlungsschwerpunkt lag 2014 in den wiedervernässten Hochmooren der Ostfriesisch-Oldenburgischen Geest und der Ems-Hunte-Geest mit der Dümmer Geestniederung.

Etwas mehr als die Hälfte der Haubentaucher brüteten innerhalb von Schutzgebieten, knapp 36 % davon entfallen auf Natura-2000-Gebiete und Naturschutzgebiete. Etwa 47 % der Vorkommen liegen in Gebieten ohne Schutzstatus. Die aktuellen Brutplätze des Rothalstau- chers liegen dagegen zu fast 70 % außerhalb von Schutzgebieten, nur 28% befinden sich in Natura 2000-Gebieten und/oder Naturschutzgebieten. Der Schwarzhalstaucher schließlich brütet aktuell in Niedersachsen zu über zwei Dritteln in Schutzgebieten, ganz überwiegend in Natura 2000-Gebieten und/oder Naturschutzgebieten.

Die Mehrzahl der Haubentaucherbruten (55 %) fand auf Abbaugewässern statt, meist han- delte es sich dabei um Kiesabbauflächen in Flusstälern. Den zweitgrößten Anteil machen die Bruten auf natürlichen Seen und Weihern aus, wobei fast drei Viertel dieser Bruten auf die großen Flachseen Steinhuder Meer und Dümmer entfallen. Für den Rothalstaucher stellen aktuell Klärteiche und Rieselfelder den wichtigsten Brutlebensraum dar, daneben werden vor allem Fischteiche sowie Abbaugewässer besiedelt. Wichtigstes Bruthabitat des Schwarz- halstauchers sind die Wiedervernässungsflächen in abgetorften Hochmooren, hier wurde 2014 die Hälfte der erfassten Brutpaare angetroffen. Klärteiche und Rieselfelder treten dem- 122 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

gegenüber deutlich zurück und folgen in der Bedeutung aktuell erst an dritter Stelle hinter den natürlichen Seen.

Die Bestandsentwicklung ist in Niedersachsen für alle drei Arten langfristig deutlich positiv. In jüngster Zeit ist aber eine Stagnation der Bestände erkennbar, beim Haubentaucher und Rothalstaucher etwa seit Mitte der 1990er Jahre, beim Schwarzhalstaucher etwa seit Mitte der 2000er Jahre. Lokal wurden dabei sowohl deutliche Zunahmen als auch Abnahmen sowie starke Schwankungen registriert.

Der niedersächsische Bestand des Rothalstauchers ist nach wie vor sehr klein, wobei die Lage Niedersachsens am Rand des geschlossenen Verbreitungsgebietes zu berücksichtigen ist. Die Bruterfolge waren 2014 offenbar gering, und mehr als zwei Drittel der Paare brüten aktuell auf Gewässern ohne jeglichen Gebietsschutz, weswegen der Erhaltungszustand des Rot- halstauchers weiterhin als ungünstig bewertet werden muss. Besser ist die Situation des Schwarzhalstauchers, der vielerorts neu entstandene Brutplätze in wiedervernässten Hoch- mooren besiedeln konnte und heute überwiegend innerhalb von Natura 2000-Gebieten vor- kommt. Allerdings bleibt die Stabilität dieser Vorkommen fraglich, da starke Bestandsschwan- kungen, Brutplatzaufgaben sowie auch spontane Neubesiedlungen für diese Art typisch sind.

Vieles deutet darauf hin, dass bei allen drei Arten, vor allem aber beim Rothalstaucher und beim Haubentaucher, der Bruterfolg durch hohe Prädationsverluste (vor allem der Gelege) verringert wird. Weitere Beeinträchtigungen gehen in vielen Brutgebieten vom Rückgang der Schilfröhrichte und weiteren Folgen der Hypertrophierung aus, hinzu kommt vermutlich beim Haubentaucher zumindest gebietsweise auch eine zunehmende Konkurrenz (und Ha- bitatbeeinträchtigung) durch steigende Graugans- und Nutriabestände. Da erfolgverspre- chende Strategien zur Rückdrängung nichtheimischer Prädatoren und anderer Neozoen bisher fehlen, kommt Maßnahmen gegen den übermäßigen Nährstoffeintrag in die Gewässer und zur Wiederherstellung möglichst natürlicher Gewässermorphologien und hydrologischer Verhältnisse die größte Bedeutung für die Erhaltung der Taucherbestände zu.

J. W., Sandfeld 3a, D-21354 Bleckede, [email protected].

1 Einleitung Ziel der aktuellen landesweiten Erfassung war es, ein möglichst umfassendes und aktuelles Bild über 2014 wurde in Niedersachsen und Bremen im Auf- Bestand, Verteilung und Habitatnutzung der drei trag der Niedersächsischen Ornithologischen Ver- Taucherarten zu erhalten. Da die drei Arten ein einigung (NOV) und der Staatlichen Vogelschutz- weites Spektrum unterschiedlicher Gewässer be- warte Niedersachsen im NLWKN eine systematische siedeln, können die Ergebnisse helfen, die aktuelle Erfassung der drei Lappentaucherarten Hauben- Gefährdungssituation und die wirksamen Einfluss- taucher Podiceps cristatus, Rothalstaucher Podiceps faktoren auch für andere Wasservogelarten mit grisegena und Schwarzhalstaucher Podiceps nigri- ähnlicher Ökologie genauer einzuschätzen. collis durchgeführt. Alle drei Taucherarten waren bereits Zielarten der landesweiten Brutvogelerfas- Europaweit werden alle drei Arten derzeit als un- sungen in Niedersachsen und Bremen. Der Hau- gefährdet eingestuft (LC „Least Concern“; BIRDLIFE bentaucher wurde als damaliger „Vogel des Jahres“ INTERNATIONAL 2015). Der Brutbestand des Hauben- zuletzt im Jahr 2001 erfasst (MARXMEIER 2001), für tauchers in Deutschland liegt bei etwa 21.000 bis Rothals- und Schwarzhalstaucher wurden 2005 31.000 Brutpaaren, nimmt langfristig zu und ent- landesweite Daten gesammelt und zusammen mit wickelt sich kurzfristig (1985 bis 2009) stabil älteren Daten zurückgehend bis 1995 publiziert (GEDEON et al. 2014). Eine bundesweite Bestands- (DEGEN 2006). gefährdung ist aktuell nicht zu erkennen (GRÜNEBERG Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 123

Tab. 1: Bestand und Gefährdung des Haubentauchers (Anzahl Reviere bzw. Brutpaare) in Niedersachsen und angren- zenden Bundesländern gemäß aktuellen Veröffentlichungen. – Population and Red List Status of Great Crested Grebe in and adjacent Federal States in .

Land Bestand Erfassungsjahr(e)/ Rote-Liste- Quelle State/Country Population Size Bezugszeitraum Kategorie Source Year(s) of Inventory/ Red List Estimate Category

Niedersachsen 1.500 2014 * KRÜGER & NIPKOW (2015)

Schleswig-Holstein 3.500 2005 bis 2009 * KNIEF et al. (2010)

Hamburg 180 2011 * MITSCHKE (2012)

Mecklenburg-Vorpommern 3.500 - 4.000 2009 V VÖKLER et al. (2014)

RYSLAVY & MÄDLOW (2008), Brandenburg/Berlin 3.800 - 4.700 2005/2006 V GEDEON et al. (2014)

DORNBUSCH et al. (2004), Sachsen-Anhalt 800 - 1.600 2005 bis 2009 * GEDEON et al. (2014)

FRICK et al. (2011), Thüringen 400 - 500 2005 bis 2009 * GEDEON et al. (2014)

WERNER et al. (2014), Hessen 400 - 600 2005 bis 2009 * GEDEON et al. (2014)

SUDMANN et al. (2009), Nordrhein-Westfalen 2.000 - 3.000 2005 bis 2009 * GEDEON et al. (2014)

Tab. 2: Bestand und Gefährdung des Rothalstauchers (Anzahl Reviere bzw. Brutpaare) in Niedersachsen und angren- zenden Bundesländern gemäß aktuellen Veröffentlichungen. – Population and Red List Status of Red-Necked Grebe in Lower Saxony and adjacent Federal States in Germany.

Land Bestand Erfassungsjahr(e)/ Rote-Liste- Quelle State/Country Population Size Bezugszeitraum Kategorie Source Year(s) of Inventory/ Red List Estimate Category

Niedersachsen 25 2014 3 KRÜGER & NIPKOW (2015)

Schleswig-Holstein 700 2005 bis 2009 * KNIEF et al. (2010)

Hamburg 2 2011 3 MITSCHKE (2012)

Mecklenburg-Vorpommern 700 - 1.400 2009 V VÖKLER et al. (2014)

Brandenburg 180 - 250 2005/2006 1 RYSLAVY & MÄDLOW (2008)

FISCHER & DORNBUSCH (2014), Sachsen-Anhalt 70 - 75 2013 2 DORNBUSCH et al. (2004)

FRICK et al. (2011), Thüringen 0 - 2 2005 bis 2009 R GEDEON et al. (2014)

WERNER et al. (2014), Hessen 1 - 5 2005 bis 2009 R GEDEON et al. (2014)

SUDMANN et al. (2009), Nordrhein-Westfalen 2 2005 bis 2009 R GEDEON et al. (2014)

et al. 2015), in Brandenburg und in Mecklenburg- Beim Rothalstaucher ergaben die Erfassungen für Vorpommern wird der Haubentaucher aber aktuell den Atlas Deutscher Brutvogelarten für den Zeitraum auf der Vorwarnliste geführt (Tab. 1). von 2005 bis 2009 einen geschätzten Bestand von 124 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

Tab. 3: Bestand und Gefährdung des Schwarzhalstauchers (Anzahl Reviere bzw. Brutpaare) in Niedersachsen und an- grenzenden Bundesländern gemäß aktuellen Veröffentlichungen (Rote Liste Hamburg: VG = Vermehrungsgast). – Po- pulation and Red List Status of Black-Necked Grebe in Lower Saxony and adjacent Federal States in Germany.

Land Bestand Erfassungsjahr(e)/ Rote-Liste- Quelle State/Country Population Size Bezugszeitraum Kategorie Source Year(s) of Inventory/ Red List Estimate Category

Niedersachsen 101 2014 * KRÜGER & NIPKOW (2015)

Schleswig-Holstein 175 2005 bis 2009 V KNIEF et al. (2010)

Hamburg 0 2011 VG MITSCHKE (2012)

Mecklenburg-Vorpommern 700 - 900 2009 * VÖKLER et al. (2014)

Brandenburg 135 - 155 2005/2006 1 RYSLAVY & MÄDLOW (2008)

FISCHER & DORNBUSCH (2014), Sachsen-Anhalt 65 - 75 2013 2 DORNBUSCH et al. (2004)

FRICK et al. (2011), GEDEON et Thüringen 60 - 75 2005 bis 2009 * al. (2014)

WERNER et al. (2014), Hessen 3 - 16 2005 bis 2009 1 GEDEON et al. (2014)

SUDMANN et al. (2009), Nordrhein-Westfalen 5 - 8 2005 bis 2009 R GEDEON et al. (2014)

1.800 bis 2.600 Paaren (GEDEON et al. 2014), die 2.2 Aufruf zur Mitarbeit Bestandsentwicklung ist bundesweit sowohl lang- fristig als auch kurzfristig (1985 bis 2009) positiv, Ein erster Aufruf zur landesweiten Erfassung der seit dem Ende der 1990er Jahre stabil. Die Art ist drei Lappentaucherarten erfolgte über das Mittei- in Deutschland aktuell nicht gefährdet (GRÜNEBERG lungsblatt Nr. 31 der NOV im März 2014. Darin et al. 2015), für mehrere Bundesländer ist jedoch wurden die Hintergründe der Erfassung erläutert eine regionale Gefährdung erkennbar (Tab. 2). sowie Artsteckbriefe (mit Hinweisen zu Lebensraum, Brutbiologie, Phänologie, Erfassungs- und Aus- Auch der Schwarzhalstaucher ist in Deutschland wertungsmethoden, weiterführender Literatur) und nicht gefährdet (GRÜNEBERG et al. 2015). Der Bestand Meldebögen für die Mitarbeit zur Verfügung nimmt bundesweit langfristig zu und hat sich kurz- gestellt. Diese Informationen wurden auch auf der fristig (1985 bis 2009) unter lokal erheblichen Internetseite der NOV bekannt gemacht. Die ADE- Schwankungen stabilisiert (GEDEON et al. 2004). BAR-Koordinatoren und -Bearbeiter sowie weitere Regional ist dennoch auch für diese Art von einer regional oder lokal arbeitende vogelkundliche Ar- Bestandsgefährdung auszugehen (Tab. 3). beitsgruppen und Einzelpersonen wurden per Rund- mail informiert und um Mitarbeit gebeten.

2 Untersuchungsgebiet, Datenmaterial und Über das im Herbst 2011 gestartete Internetportal Methode ornitho.de des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten 2.1 Untersuchungsgebiet e.V. (DDA) bestand die Möglichkeit, Erfassungser- gebnisse ergänzend oder alternativ zu den Meldebögen Das Untersuchungsgebiet umfasst die Landfläche online einzugeben. Auf diese Möglichkeit wurde Niedersachsens und Bremens (ca. 48.100 km²). auch in den genannten Ankündigungen explizit hin- Auf eine Kurzcharakterisierung der beiden Bun- gewiesen, um eine möglichst große Datenbasis zu desländer wird an dieser Stelle verzichtet. Verwiesen erhalten. Die Rundmail mit dem Aufruf zur Erfassung sei auf die Ausführungen bei HECKENROTH (1985) der Taucher wurde daher auch allen Regionalkoordi- sowie KRÜGER et al. (2014). natoren des ornitho-Portals zugesandt. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 125

Während der Jahrestagung der NOV am 26. Sep- ein sehr hoher Erfassungsaufwand mit zahlreichen tember 2015 in Bad Bentheim wurden erste Er- über die gesamte Brutzeit bis in den September gebnisse vorgestellt, verbunden mit der Bitte um hinein verteilten Kontrollen notwendig. weitere Nachmeldungen. 2.4 Datenmaterial 2.3 Bestandserfassung 2014 Die eingegangenen Meldungen betrafen überwie- Grundlage für die Vorgehensweise bei Erfassung gend das Jahr 2014 (ca. 95 % der ausgewerteten und Auswertung der Daten waren die Methoden- Daten), nur in wenigen Fällen wurden auch Daten standards nach SÜDBECK et al. (2005). Die Erfassung aus den Vorjahren 2010 bis 2013 gemeldet. erfolgte vorwiegend durch Zählung territorialer, balzender, Nest bauender, brütender und führender Für einige Regionen (Emsland und Osnabrück, Altvögel bzw. ortstreuer Paare/Individuen sowie Diepholzer Moorniederung, Dümmer, Bremen) wur- Zählung von Familienverbänden mit nicht flüggen den von Regionalkoordinatoren zusammengestellte Jungvögeln, im Zeitraum von Anfang April bis Geodaten abgegeben, die direkt oder nach Ergän- Ende Juli. Im Falle des Rothalstauchers wurde emp- zung einzelner Zusatzangaben in die Auswertung fohlen, ggf. eine ergänzende akustische Erfassung einbezogen werden konnten. Für zahlreiche weitere durchzuführen, insbesondere an vegetationsreichen Regionen wurden von vogelkundlichen Vereini- und unzugänglichen Gewässern. gungen, Artbearbeiter-Teams oder als Landkreis- Koordinator tätigen Einzelpersonen zusammenfas- Haubentaucher und Rothalstaucher konnten in sende Auswertungen erstellt und als ausführliche vielen Fällen gemeinsam erfasst werden, für den Berichte, umfangreiche Datentabellen oder kom- Rothalstaucher war dabei die Zeit ab Anfang Mai mentierte Meldebogen-Sammlungen übergeben, relevant. Der Schwarzhalstaucher besiedelt hingegen so z. B. für die Region Hannover, die Region Braun- häufig Gewässer, die von den anderen beiden Arten schweig, das Steinhuder Meer, die Landkreise Göt- gemieden werden (vor allem wiedervernässte Hoch- tingen und Northeim, den Landkreis Holzminden moore). In solchen Gebieten war ein Erfassungsbeginn mit dem südlichen Wesertal, die Landkreise Peine, ab Ende April/Anfang Mai ausreichend. Die günstigste Osterholz, Rotenburg/Wümme, Verden, Cuxhaven, Erfassungszeit liegt für alle drei Arten in den frühen Lüchow-Dannenberg, Uelzen und Lüneburg. Hinzu Morgenstunden bis in den Vormittag, für den Rot- kommen etwa 170 einzelne Meldebögen als Pa- halstaucher auch in der Abenddämmerung und pierausdruck oder digital. Schließlich wurden 9.320 Anfang Mai ggf. auch nachts. Familienverbände Einzelmeldungen (Haubentaucher 8.042, Rothals- können ganztags erfasst werden. taucher 449, Schwarzhalstaucher 829) aus dem Ornitho-Portal ergänzend ausgewertet. Für den Rothalstaucher wurden als günstige Erfas- sungstermine 1. Anfang Mai (Balz, Nestbau), 2. Auf den für jede der drei Arten spezifischen Mel- Mitte Mai (Nestbau, Kopulation, brütende Individuen), debögen wurden neben dem Beobachtungsort, und 3. Ende Juni bis Anfang Juli (Zählung Junge der Anzahl und dem Brutstatus (Brutzeitfeststellung, führender Paare, brütende Individuen) empfohlen, Brutverdacht, Brutnachweis) ergänzende weitere für den Schwarzhalstaucher 1. Ende April bis Anfang Daten zum Lebensraumtyp, zur Gewässergröße Mai (Balz, Nestbau), 2. Mitte Mai (Balz, ggf. Nestbau, und -tiefe, zur Vergesellschaftung sowie ggf. zum brütende Vögel) und 3. Mitte Juni bis Anfang Juli Neststandort, zum Bruterfolg, zur Ursache von (brütende Vögel, Familienverbände). Für den Hau- Brutverlusten, zu Störungen und zu Zweitbruten bentaucher wurden 4 Erfassungstermine zwischen abgefragt (Tab. 4). In vielen Fällen wurden diese Anfang April und Mitte Juli empfohlen. In vielen Daten auch bereitgestellt, wobei die letztgenannten Fällen brüten Haubentaucher jedoch sehr spät (z. T. Angaben häufig in ausführlichen Begleitdokumen- Zweitbruten, meist aber wohl Ersatzbruten), oftmals tationen zusammengefasst wurden. werden Nestbauaktivitäten noch im Juni und Juli festgestellt, Jungvögel können von Ende April bis Die meisten Daten lagen bis zum Jahresende 2014 weit in den Herbst hinein beobachtet werden. Zur vor, jedoch erfolgten bis September 2015 zahlreiche Ermittlung der erfolgreichen Bruten war daher häufig Nachmeldungen. Letzte Meldebögen zum Brutjahr 126 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

Tab. 4: Einteilung der in den Meldebögen abgefragten Angaben zum Lebensraumtyp, zur Gewässergröße und -tiefe sowie zur Vergesellschaftung. – Specifications for habitat types, association, size and depth of water bodies as used in the 2014 census of grebe species. Lebensraumtyp habitat type A natürliche Seen und Weiher natural lakes and ponds B Fischteiche artificial fish-ponds C Klärteiche und Rieselfelder sewage farms D Flussauen und Altarme flood plains E Niedermoore fens F Bodenabbau von Sand, Kies u. Ton sand-, gravel- and claypits G Wiedervernässungen in Hochmooren pools created after peat digging H überstautes Grünland flooded grasslands I Stausee, Talsperre water reservoirs, barrier lakes K sonstiges künstliches Gewässer other artificial water bodies Gewässergröße size of water body 1 <1 ha <1 ha 2 bis 5 ha up to 5 ha 3 bis 10 ha up to 10 ha 4 bis 50 ha up to 50 ha 5 bis 100 ha up to 100 ha 6 >100 ha >100 ha Gewässertiefe depth of water body 1 bis 2 m up to 2 m 2 bis 10 m up to 10 m 3 >10 m >10 m Vergesellschaftung association a in/bei Lachmöwenkolonie in colonies of Black-headed Gull b in/bei Trauerseeschwalbenkolonie in colonies of Black Tern

Tab. 5: Datenmenge und Atlascodes der ausgewerteten ornitho.de-Meldungen für 2014. – Number of records and Atlas-Codes in data from ornitho.de (DDA-website for bird records). Art Haubentaucher Rothalstaucher Schwarzhalstaucher Gesamt Species Podiceps cristatus Podiceps grisegena Podiceps nigricollis All Brutnachweis/sicheres Brüten 1.043 59 56 1.158 (C-Codes) Brutverdacht/wahrscheinliches Brüten 1.358 53 109 1.520 (B-Codes) Brutzeitfeststellung/mögliches Brüten 951 48 98 1.097 (A-Codes) Art nicht (mehr) festgestellt (E99) 64 3 4 71 Ohne Brutzeitcode 4.626 286 562 5.474 Gesamt 8.042 449 829 9.320 Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 127

Tab. 6: Brutbestand von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen und Bremen 2014 im Vergleich zu vorherigen Erfassungen seit 2001. – Population numbers of Crested, Red-necked and Black-necked Grebe in Lower Saxony and Bremen in 2014 in comparison to former censuses since 2001.

Art 2014 ADEBAR (2005-2009) 2005 2001 Species KRÜGER et al. (2014) DEGEN 2006 MARXMEIER unveröff. Haubentaucher 1.312 1.600 - 2.600 – 1.308 Podiceps cristatus (838 BN, 474 BV) (Mittel 2.000) Rothalstaucher 25 23 20 - 25 – Podiceps grisegena (22 BN, 3 BV) (19 BN, 4 BV) Schwarzhalstaucher 106 120 - 150 117 – Podiceps nigricollis (86 BN, 20 BV) (Mittel 130) (57 BN, 60 BV)

2014 gingen noch im Februar 2016 beim Verfasser Die zusätzlichen Angaben zum Lebensraum-Typ, ein. zur Gewässergröße und Gewässertiefe waren nicht für alle Brutvorkommen gemeldet worden. Der 2.5 Hinweise zur Auswertung Lebensraumtyp konnte in allen zunächst unklaren Fällen nachträglich ergänzt werden (meist durch Für die Ermittlung des niedersächsischen Bestandes eine Internetrecherche), bezüglich der Gewässertiefe wurden wie üblich nur Brutnachweise (BN) und und -größe gelang dies nur teilweise. Brutverdachtsmeldungen (BV) berücksichtigt. Brut- zeitfeststellungen wurden über die Meldebögen 3 Ergebnisse nur selten mitgeteilt, da alle drei Arten vor allem während des Durchzugs im Frühjahr, aber auch 3.1 Verteilung und Anzahl der Reviere in der Brut- später nach der Abwanderung aus den Brutgebieten periode 2014 regelmäßig abseits ihrer Brutgewässer beobachtet werden können und reine Brutzeitfeststellungen Die landesweite Erfassung 2014 ergab 1.312 Brut- daher für die Bestandserfassung kaum von Bedeu- paare des Haubentauchers und damit fast exakt tung sind. Bei den ornitho-Daten handelt es sich die gleiche Anzahl wie die Erfassung aus dem Jahr überwiegend um Zufallsbeobachtungen, es ist 2001 (1.308 Brutpaare, MARXMEIER unveröff.). Die daher nicht verwunderlich, dass im Vergleich zu Verteilung ähnelt erwartungsgemäß sehr den Er- den Meldebögen hier der Anteil von Brutnach- gebnissen der ADEBAR-Erfassung 2005 bis 2008 weis- und Brutverdachtsmeldungen wesentlich ge- (KRÜGER et al. 2014), allerdings ergeben sich im ringer ist und Meldungen ohne Angabe zum Brut- Detail auch deutliche Abweichungen (s. Kap. 4.1). status überwiegen (Tab. 5). Für den Schwarzhalstaucher fällt das Ergebnis mit Allein auf Basis der über ornitho.de gemeldeten 106 Brutpaaren etwas geringer aus als im Ver- Datensätze, die für viele Gebiete sehr zahlreiche gleichsjahr 2005, für den Rothalstaucher (25 Brut- und stark divergierende Angaben enthalten, wäre paare) dagegen geringfügig höher (Tab. 6). eine zuverlässige Ermittlung des Gesamtbestandes v. a. beim Haubentaucher kaum möglich gewesen. 3.2 Verteilung nach Naturräumlichen Regionen Unverzichtbar war daher die von den regionalen Koordinatoren geleistete Arbeit, mithilfe eigener Der Haubentaucher besiedelt in Niedersachsen alle Gebietskenntnisse die eingegangenen Einzelmel- Naturräumlichen Regionen. Die Verbreitungsschwer- dungen zu sortieren und für zahlreiche Gewässer punkte liegen in den Flusstälern vor allem von Ems, den resultierenden Brutbestand zu ermitteln. Für Weser, Aller und Leine, teilweise auch der Hase die landesweite Auswertung wurden dann zunächst und der Hunte. Das Elbtal ist aktuell vergleichsweise die regionalen Sammelberichte und die eingegan- gering und unregelmäßig besiedelt. Die größten genen Meldebögen ausgewertet und digitalisiert, Bestände brüten auf den Flachwasserseen Dümmer um anschließend mit Hilfe der ornitho.de-Daten und Steinhuder Meer. Entsprechend konzentriert vorhandene Datenlücken aufzufüllen. sich der Bestand in den Naturräumlichen Regionen 128 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

Tab. 7: Bestand von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen 2014, gegliedert nach Naturräumlichen Regionen. – Distribution and habitat use of Great Crested, Red-necked and Black-necked Grebe in different natural regions in Lower Saxony and Bremen. Haubentaucher Rothalstaucher Schwarzhalstaucher Great Crested Grebe Red-necked Grebe Black-necked Grebe Anzahl Anteil (%) Anzahl Anteil (%) Anzahl Anteil (%) 1. Watten und Marschen 196 14,9 6 24,0 13 12,3 2. Ostfriesisch-Oldenburgische Geest 50 3,8 - - 41 38,7 3. Stader Geest 60 4,6 - - 3 2,8 4. Ems-Hunte-Geest u. 221 16,8 - - 32 30,2 Dümmer-Geestniederung 5. Lüneburger Heide und Wendland 37 2,8 5 20,0 - - 6. Weser-Aller-Flachland 387 29,5 7 28,0 2 1,9 7. Börden 180 13,7 6 24,0 14 13,2 8.1 Osnabrücker Hügelland, 176 13,4 1 4,0 1 0,9 8.2 Weser-und Leinebergland 9. Harz 5 0,4 - - - - Summe 1.312 100 25 100 106 100

Weser-Aller-Flachland und Börden sowie in Teilen Der Rothalstaucher brütet aktuell in Niedersachsen der Ems-Hunte-Geest mit Dümmer-Geestniederung, vor allem im Einzugsgebiet der Aller und ihrer Ne- des Weser-Leine-Berglandes (mit dem Osnabrücker benflüsse Örtze, Lachte, Innerste, Fuhse und Oker Hügelland) sowie der Watten und Marschen. Die (18 Brutpaare in den Regionen Weser-Aller-Flachland, Ostfriesisch-Oldenburgische Geest, die Stader Geest, Börden, Weser- und Leine-Bergland und Lüneburger die Lüneburger Heide und das Wendland sowie Heide; Abb. 2). Auch die zusätzlichen Brutzeitfest- der Harz sind nur relativ dünn besiedelt (Abb. 1). stellungen stammen überwiegend aus diesem

Tab. 8: Anteile der Vorkommen (%) von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Schutzgebieten 2014. Die Anteile summieren sich auf über 100 %, da viele Gebiete unter verschiedene Schutzkategorien fallen. – Percentage of Great Crested, Red-necked and Black-necked Grebe populations in different protection regimes.

Haubentaucher Rothalstaucher Schwarzhalstaucher Great Crested Grebe Red-necked Grebe Black-necked Grebe Raumeinheit/Schutzstatus n=1.312 n=25 n=106 EU-Vogelschutzgebiete (BSG) 30,3 20,0 53,8 BSG, wertbestimmende Art 18,4 16,0 – 1) FFH-Gebiete 27,4 12,0 22,6 Natura 2000-Gebiete gesamt 33,5 24,0 59,4 Naturschutzgebiete (NSG) 22,5 20,0 52,8 Natura 2000 und NSG gesamt 35,7 28,0 67,9 Landschaftsschutzgebiete (LSG) 21,5 12,0 2,8 ohne Gebietsschutz 47,0 68,0 31,1 Niedersachsen/Bremen gesamt 100,0 100,0 100,0

1) Der Schwarzhalstaucher wird in keinem der niedersächsischen EU-Vogelschutzgebiete als wertbestimmende Art geführt. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 129

09080706 10 343332313029282726252423222120191817161514131211 35 zu 7° 8° 9° 10° 11° 21 Hamburg Mecklenburg- 21 Watten und Marschen Schleswig-Holstein Vorpommern 22 22 1 23 1 23

Hamburg 24 24

25 1 25

26 26 1 1 27 2 3 27 Branden- burg 28 28

29 5 29 53° 53° 30 30

31 Niederlande Tiefland-Ost 31

32 32 Tiefland-West 33 33

34 34 4 6 Sachsen-Anhalt 35 35

36 36

37 37 8.1 7 38 38 Nordrhein-Westfalen 39 4 39 52° 52° 40 Bergland mit 40 Börden 41 Haubentaucher 41 42 42 Anzahl Brutpaare (BN/BV) 8.2 9 43 43

1 0 0 44 44 3 7 50 2 - 4 - - 2 - 15 8 21 45 51 - 45 0 10 20 30 40 50 km 46 46 Hessen Thüringen 7° 8° 9° 10° 11° 807 333231302928272625242322212019181716151413121110090 34 Kartengrundlage: NLWKN/Naturschutz

Abb. 1: Verbreitung des Haubentauchers in Niedersachsen und Bremen 2014 nach TK-Quadranten. Bezeichnung und Nummerierung der Naturräumlichen Regionen s. Tab. 5. – Breeding distribution of Great Crested Grebe in Lower Saxony and Bremen 2014.

Raum. Außerhalb dieses Gebietes waren 2014 nur Stader Geest, dem Weser-Aller-Flachland und dem ein Vorkommen bei Uelzen sowie zwei sehr isolierte Weser-Leine-Bergland festgestellt. Die Lüneburger küstennahe Vorkommen in den Landkreisen Cux- Heide mit dem Wendland war als einzige Natur- haven (hier aber immerhin 5 Brutpaare) und räumliche Region neben dem Harz unbesiedelt. Friesland vorhanden. 3.3 Verteilung nach Schutzgebieten Auch der Schwarzhalstaucher ist in Niedersachsen nach wie vor nur spärlich verbreiteter Brutvogel. Etwas mehr als die Hälfte der Haubentaucher brü- Der Siedlungsschwerpunkt lag 2014 in den wie- teten 2014 innerhalb von Schutzgebieten (Tab. 8). dervernässten Hochmooren der Ostfriesisch-Olden- Knapp 36 % davon entfallen auf Gebiete mit all- burgischen Geest und der Ems-Hunte-Geest mit gemein strengerem Schutzregime (Natura2000- der Dümmer Geestniederung (Abb. 3). Weitere Gebiete und Naturschutzgebiete), der Rest auf Vorkommen wurden in den Börden und der Region Landschaftsschutzgebiete. Etwa 47 % der Vor- Watten und Marschen sowie vereinzelt in der kommen liegen in Gebieten ohne Schutzstatus. 130 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

09080706 10 343332313029282726252423222120191817161514131211 35 zu 7° 8° 9° 10° 11° 21 Hamburg Mecklenburg- 21 Watten und Marschen Schleswig-Holstein Vorpommern 22 22 1 23 1 23

Hamburg 24 24

25 1 25

26 26 1 1 27 2 3 27 Branden- burg 28 28

29 5 29 53° 53° 30 30

31 Niederlande Tiefland-Ost 31

32 32 Tiefland-West 33 33

34 34 4 6 Sachsen-Anhalt 35 35

36 36

37 37 8.1 7 38 38 Nordrhein-Westfalen 39 4 39 52° 52° 40 Bergland mit 40 Börden 41 41

42 Rothalstaucher 8.2 9 42

43 Anzahl Brutpaare (BN/BV) 43

44 44 1 2 5 - 45 3 45 0 10 20 30 40 50 km 46 Brutzeitfeststellung 46 Hessen Thüringen 7° 8° 9° 10° 11° 807 333231302928272625242322212019181716151413121110090 34 Kartengrundlage: NLWKN/Naturschutz

Abb. 2: Verbreitung des Rothalstauchers in Niedersachsen und Bremen 2014 nach TK-Quadranten. Bezeichnung und Nummerierung der Naturräumlichen Regionen s. Tab. 5. – Breeding distribution of Red-necked Grebe in Lower Saxony and Bremen 2014 ( confirmed breeding or probable breeding,  possible breeding).

Die aktuellen Brutplätze des Rothalstauchers liegen 3.4 Situation der drei Taucherarten in EU-Vogel- dagegen zu fast 70 % außerhalb von Schutzge- schutzgebieten bieten, nur 28 % befinden sich in Natura2000- Gebieten und/oder Naturschutzgebieten. Innerhalb der EU-Vogelschutzgebiete (BSG) wurden 2014 beim Haubentaucher etwa 30 %, beim Rot- Der Schwarzhalstaucher schließlich brütet aktuell halstaucher etwa 20 % und beim Schwarzhalstaucher in Niedersachsen zu über zwei Dritteln in Schutz- knapp 54 % des jeweiligen Landesbestandes nach- gebieten, ganz überwiegend in Natura 2000-Ge- gewiesen (Tab. 8). Tab. 9 listet diejenigen BSG auf, bieten und/oder Naturschutzgebieten. Als einzige in denen mindestens eine der drei Taucherarten der drei Lappentaucherarten gehört er in keinem 2014 gebrütet hat. Für vier Gebiete wurde der Hau- der niedersächsischen EU-Vogelschutzgebiete zu bentaucher als wertbestimmende Art definiert (NLWKN den wertbestimmenden Arten. 2011c), darunter mit dem Dümmer und dem Stein- huder Meer die beiden wichtigsten Brutgewässer Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 131

09080706 10 343332313029282726252423222120191817161514131211 35 zu 7° 8° 9° 10° 11° 21 Hamburg Mecklenburg- 21 Watten und Marschen Schleswig-Holstein Vorpommern 22 22 1 23 1 23

Hamburg 24 24

25 1 25

26 26 1 1 27 2 3 27 Branden- burg 28 28

29 5 29 53° 53° 30 30

31 Niederlande Tiefland-Ost 31

32 32 Tiefland-West 33 33

34 34 4 6 Sachsen-Anhalt 35 35

36 36

37 37 8.1 7 38 38 Nordrhein-Westfalen 39 4 39 52° 52° 40 Bergland mit 40 Börden 41 41 Schwarzhalstaucher 42 8.2 9 42

43 Anzahl Brutpaare (BN/BV) 43

44 44 1 0 0 - 5 1 1 2 - > 45 6 45 0 10 20 30 40 50 km 46 Brutzeitfeststellung 46 Hessen Thüringen 7° 8° 9° 10° 11° 807 333231302928272625242322212019181716151413121110090 34 Kartengrundlage: NLWKN/Naturschutz

Abb. 3: Verbreitung des Schwarzhalstauchers in Niedersachsen und Bremen 2014 nach TK-Quadranten. Bezeichnung und Nummerierung der Naturräumlichen Regionen s. Tab. 5. – Breeding distribution of Black-necked Grebe in Lower Saxony and Bremen 2014 ( confirmed breeding or probable breeding,  possible breeding). dieser Art in Niedersachsen. Mit dem Seeburger See Die größte Teilpopulation des Schwarzhalstauchers (im BSG „Unteres Eichsfeld“) und dem BSG „Okertal wurde 2014 im BSG „Dümmer“ festgestellt. Größere bei Vienenburg“ sind auch die beiden nächstgrößten Bestände fanden sich außerdem im Dalum-Wiet- Konzentrationen von Haubentaucher-Brutpaaren in marscher Moor und in der Esterweger Dose, vier der Vogelschutzgebietskulisse enthalten. Paare und damit deutlich weniger als 2013 siedelten im BSG „Diepholzer Moorniederung“. Der Rothalstaucher brütete auch 2014 in den tra- ditionellen Brutgebieten BSG „Südheide und Aschau- 3.5 Wichtige Vorkommen außerhalb von Schutz- teiche bei Eschede“ und BSG „Wendesser Moor“. gebieten In zwei weiteren Gebieten, in denen der Rothals- taucher wertbestimmend ist, gab es 2014 keine Zahlreiche weitere Einzelgewässer oder Gewässer- Brutvorkommen (BSG „Heerter See“ und BSG komplexe, die nicht Teil von EU-Vogelschutzgebieten „Niedersächsische Mittelelbe“). sind, weisen bedeutende Bestände des Hauben- 132 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

Tab. 9: Bestandssituation von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in niedersächsischen EU-Vo- gelschutzgebieten (BSG) 2014. Fett = Bestand in BSG, in denen die jeweilige Art wertbestimmend ist. – Great Crested, Red-necked and Black-necked Grebe populations in Special Protection Areas of the EU Birds Directive.

Haubentaucher Rothalstaucher Schwarzhalstaucher Nr. EU-Vogelschutzgebiet Great Crested Grebe Red-necked Grebe Black-necked Grebe V01 Niedersächsisches Wattenmeer und angren- 12 - - zendes Küstenmeer V03 Westermarsch 2 - - V04 Krummhörn 1 - - V06 Rheiderland 7 - - V08 Leinetal bei Salzderhelden (mit Northeimer 9 - - Kiesteichen) V09 Ostfriesische Meere 1 - - V11 Hunteniederung 2 - - V13 Dalum-Wietmarscher Moor und Georgsdorfer - - 13 Moor V14 Esterweger Dose - - 16 V16 Emstal von Lathen bis Papenburg 6 - - V17 Alfsee 8 - 1 V19 Unteres Eichsfeld (mit Seeburger See) 25 - - V20 Untere Seeve- und Untere Luhe-Ilmenau-Nie- 11 - - derung (mit Steller See und Junkernfeldsee) V23 Untere Allerniederung 4 - - V27 Unterweser 8 - - V31 Ostenholzer Moor und Meißendorfer Teiche 8 - - V34 Südheide und Aschauteiche bei Eschede 2 2 - V35 Hammeniederung 1 - - V37 Niedersächsische Mittelelbe 4 - - V39 Dümmer 105 - 21 V40 Diepholzer Moorniederung - - 4 V42 Steinhuder Meer 125 - 1 V43 Wesertalaue bei Landesbergen 3 - - V47 Barnbruch 6 - - V49 Riddagshäuser Teiche 8 - - V50 Lengeder Teiche 1 - - V52 Innerstetal von Langelsheim bis Groß Düngen 6 1 - V56 Wendesser Moor - 2 - V58 Okertal bei Vienenburg 25 - 1 V63 Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und 1 - - Esens V64 Marschen am Jadebusen 2 - - V68 Sollingvorland (mit Kiesabgrabung Heinsen) 4 - - Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 133

Tab. 10: Wichtige Haubentaucher-Brutgebiete 2014 in Niedersachsen außerhalb der BSG-Gebietskulisse. – Important breeding sites 2014 for Great Crested Grebe outside Special Protection Areas of the EU Birds Directive in Lower Saxony and Bremen. Brutgebiete BP Schutzstatus Landkreis Quelle Breeding site Breeding pairs Protection status County Source Thülsfelder Talsperre 22 FFH, NSG CLP J. Schnötke Abbaugewässer Hastenbeck/Tündern 19 LSG (tlw.) HM D. Meier, A. Rinne Abbaugewässer Giften 14 HI M. Risch, F. Hessing Sandgrube Negenborn 14 H F. Hessing, C. Stolz Leinetal, Kiesteiche Ricklingen/Döhren 13 LSG H F. Hessing, P. Steffen Großer Koldinger See und 13 NSG (tlw.), LSG H F. Hessing, I. Scherber umliegende Teiche Abbaugewässer Nordstemmen 10 HI A. Hill, A. Sührig, F. Hessing Abbaugewässer Wipshausen 10 LSG (tlw.) PE H.-W. Kuklik, K. Matthias Zwischenahner Meer 9 NSG (tlw.), LSG WST R. Strewe, F. Harms Kleientnahmestelle Krümse 8 WL V. Dierschke Süpplingenburger Klärteiche 7 HE K.-H. Dorge Kiessee Isingerode 7 WF J. Heuer Wangermeer 7 FRI V. K. Prueter Göttinger Kiessee 7 LSG GÖ H.-H. Dörrie Kiesteiche Großenwieden 7 LSG (tlw.) HM D. Meier, A. Rinne Bederkesaer See 7 CUX J. Wildberger Weserberglandsee u. Seen bei 7 HOL V. Konrad, U. Jürgens Lauenförde

tauchers auf (Tab. 10). Bemerkenswert ist die Thüls- HILL), den Klärteichen Üfingen (Landkreis Peine; U. felder Talsperre im Landkreis Cloppenburg mit 22 RINAS), den Habighorster Teichen (Landkreis Celle; Brutpaaren, die zum FFH-Gebiet erklärt wurde und OAG Südheide), den Polderteichen Wietzendorf als NSG ausgewiesen ist. Bei den meisten weiteren (Landkreis ; N. MOLZAHN), den Pieperhöfener wichtigen Haubentaucher-Brutgebieten (Tab. 10) Teichen (Landkreis Uelzen; L. WELLMANN, T. BARDUHN, handelt es sich um Komplexe von (Kies-)Abbauge- M. KANDOLF) sowie den Spülteichen Neustadtgödens wässern in den Flusstälern, die überwiegend ent- (Landkreis Friesland; V. K. PRUETER). weder keinem Gebietsschutz unterliegen oder (oft nur teilweise) als LSG geschützt sind. Mit dem Dümmer, der Esterweger Dose und dem Dalum-Wietmarscher Moor lagen drei der wich- Wichtigste Brutgebiete des Rothalstauchers waren tigsten Schwarzhalstaucher-Brutgebiete innerhalb 2014 die ehemaligen Zuckerfabrikteiche Lehrte (Re- der Vogelschutzgebietskulisse (Tab. 9). Weitere be- gion Hannover; F.-D. BUSCH), die Süpplingenburger deutende Vorkommen wurden im Bereich der Wie- Klärteiche (Landkreis Helmstedt; K.-H. DORGE) und dervernässungsflächen Bathorn (Landkreis Emsland/ eine Kleipütte bei Cappeler Altendeich (Cappel- Grafschaft Bentheim; mind. 13 Brutpaare; J. MELTER), Neufeld; Landkreis Cuxhaven; J. WILDBERGER) mit im Polder Holter Hammrich (Landkreis Leer, neun jeweils fünf Brutpaaren. Jeweils zwei Brutpaare wur- Brutpaare; M. M. MEYER, K. GERDES u. a.), im Schwa- den im NSG Wendesser Moor (Landkreis Peine; H.- neburger Moor (Landkreis Cloppenburg; sieben W. KUKLIK) und im Gebiet der Aschauteiche (Landkreis Brutpaare; H. NIESKE, J. SCHNÖTKE), an den Klärteichen Celle, OAG Südheide) gefunden (Tab. 9), jeweils ein Üfingen (sechs Brutpaare; U. RINAS, R. MAYEN, H. Brutpaar an den ehemaligen Klärteichen Badde- SCHMIDT), im NSG Neudorfer Moor (Landkreis Leer, ckenstedt (Landkreis Wolfenbüttel; H. WINKLER, A. vier Brutpaare; T. PENKERT) sowie im Goldenstedter/ 134 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

09080706 10 343332313029282726252423222120191817161514131211 35 zu 7° 8° 9° 10° 11° 21 Hamburg Mecklenburg- 21 Schleswig-Holstein Vorpommern 22 22

23 23

Hamburg 24 24

25 25

26 26

27 27 Branden- burg 28 28

29 29 53° 53° 30 30

31 Niederlande 31

32 32

33 33

34 34 Sachsen-Anhalt

35 35

36 36

37 37

38 38 Nordrhein-Westfalen 39 39 52° 52° 40 40

41 41 Haubentaucher Bruthabitate 2014 42 42 Bodenabbau (Kies, Sand & Ton) Fischteiche 43 natürliche Seen & Weiher überstautes Grünland 43 Flussauen & Altarme Wiedervern. in Hochmooren 44 44 Stausee sonst. künstliche Gewässer 45 Klärteiche & Rieselfelder 45 0 10 20 30 40 50 km 46 46 Hessen Thüringen 7° 8° 9° 10° 11° 807 333231302928272625242322212019181716151413121110090 34 Kartengrundlage: NLWKN/Naturschutz

Abb. 4: Verbreitung des Haubentauchers in Niedersachsen und Bremen 2014 nach besiedelten Habitattypen (s. Tab. 4). – Breeding distribution and habitat types of Crested Grebe in Lower Saxony and Bremen 2014 (see Tab. 4 for ex- planations).

Barnstorfer Moor (Landkreise Vechta und Diepholz, machen die Bruten auf natürlichen Seen und Wei- vier Brutpaare; H. SCHÜRSTEDT, J. LINHOFF, L. FRYE u. hern aus, wobei fast drei Viertel dieser Bruten auf a.) festgestellt. An den Süpplingenburger Klärteichen, die großen Flachseen Steinhuder Meer und Dümmer die jahrelang der bedeutendste Brutplatz dieser entfallen – andere natürliche Gewässer spielen Art in Niedersachsen waren (DEGEN 2006), waren entsprechend nur eine relativ geringe Rolle. Die 2014 fünf bis sieben Paare zur Brutzeit anwesend, restlichen Brutpaare verteilen sich auf Flussauen es kam jedoch zu keiner Brut (K.-H. DORGE). und Altarme, Fischteiche, Klärteiche und Rieselfelder, Stauseen und sonstige künstliche Gewässer. Ins- 3.6 Habitatwahl gesamt wurden 71 % der Haubentaucherbruten auf künstlichen Gewässern erfasst. Die Mehrzahl der Haubentaucherbruten (55 %) fand auf Abbaugewässern statt (Tab. 11), meist Die vom Haubentaucher besiedelten Gewässer waren handelte es sich dabei um Kiesabbauflächen in in etwa 95 % der Fälle mehr als 1 ha groß (Tab. 12). Flusstälern (Abb. 4). Den zweitgrößten Anteil Etwa 45 % siedelten auf Flachgewässern bis etwa 2 Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 135

Tab. 11: Habitatwahl von Haubentaucher-, Rothalstaucher- und Schwarzhalstaucher-Brutpaaren in Niedersachsen und Bremen 2014. – Breeding habitat (see Tab. 4) of Great Crested, Red-necked and Black-necked Grebe in Lower Saxony and Bremen in 2014.

Lebensraumtyp Haubentaucher Rothalstaucher Schwarzhalstaucher habitat type Great Crested Grebe Red-necked Grebe Black-necked Grebe n=1.312 n=25 n=106 A Natürliche Seen und Weiher 23 % - 16 % B Fischteiche 3% 16 % 1% C Klärteiche und Rieselfelder 3% 52 % 11 % D Flussauen und Altarme 6% - E Niedermoor - 8% F Bodenabbau von Sand, Kies und Ton 55 % 24 % 7% G Wiedervernässungen in Hochmooren <1% - 50 % H Überstautes Grünland <1% - 6% I Stausee, Talsperre 3% - 1% K Sonstiges künstliches Gewässer 7% - 8%

Tab. 12: Habitatwahl von Haubentaucher-, Rothalstaucher- und Schwarzhalstaucher-Brutpaaren in Niedersachsen und Bremen 2014: Gewässergröße und -tiefe. – Breeding habitat (size and depth of water bodies) of Great Crested, Red- necked and Black-necked Grebe in Lower Saxony and Bremen in 2014.

Haubentaucher Rothalstaucher Schwarzhalstaucher Lebensraumtyp Great Crested Grebe Red-necked Grebe Black-necked Grebe Gewässergröße size of water body n=1.005 n=20 n=37 < 1 ha 4,8 % - 8,1 % bis 5 ha 19,8 % 60,0 % 16,2 % bis 10 ha 18,4 % - 2,7 % bis 50 ha 25,2 % 40,0 % 29,7 % bis 100 ha 6,5 % - > 100 ha 25,4 % - 43,2 % Gewässertiefe depth of water body n=630 n=17 n=42 bis 2 m 45,2 % 100,0 % 95,2 % bis 10 m 41,3 % - 4,8 % > 10 m 13,5 % - - m Tiefe, die Mehrheit wurde auf tieferen Gewässern gekräftig. Die Rothalstaucher besiedelten kleine bis 10 m Tiefe oder darüber angetroffen. bis mittelgroße Gewässer, die (soweit Angaben vorliegen) bis maximal 2 m tief sind (Tab. 12). Für den Rothalstaucher stellen aktuell Klärteiche und Rieselfelder den wichtigsten Brutlebensraum Wichtigstes Bruthabitat des Schwarzhalstauchers dar (52 % der Bruten; Tab. 11). Die beiden Bruten sind die Wiedervernässungsflächen in abgetorften im NSG Wendesser Moor sind die einzigen Funde Hochmooren, hier wurde 2014 die Hälfte der er- auf Niedermoorflächen, daneben wurden Fischteiche fassten Brutpaare angetroffen. Klärteiche und Rie- sowie Abbaugewässer besiedelt. Bezüglich der selfelder treten demgegenüber deutlich zurück Größe und Tiefe der besiedelten Gewässer ist die und folgen in der Bedeutung aktuell erst an dritter Datenbasis relativ schmal und daher wenig aussa- Stelle hinter den natürlichen Seen, vor allem dem 136 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

Dümmer. Von vielen Brutgewässern liegen keine Am Seeburger See (Landkreis Göttingen) gelangten Angaben zur Größe und Tiefe vor, was vermutlich die meisten der späten Bruten (ab Juni) zum Schlupf, u. a. darauf zurückzuführen ist, dass die komplexen allerdings wurden meist nur ein oder zwei Jungvögel Gewässerstrukturen in Wiedervernässungsflächen beobachtet (einmal drei Pulli; H. DÖRRIE, pers. Mitt.). sich diesbezüglich oft schwer einschätzen lassen. Während der Jungenaufzucht kam es zu weiteren Ähnlich wie der Rothalstaucher wurde auch der Verlusten, so dass (bezogen auf 25 Brutpaare) von Schwarzhalstaucher weit überwiegend auf Flach- höchstens 0,4 bis 0,6 flügge gewordenen (!) Jungen gewässern bis maximal 2 m Tiefe angetroffen. pro Paar auszugehen ist (T. MEINEKE, pers. Mitt.).

3.7 Bruterfolg Auf dem Göttinger Kiessee wurde ein Rekordbestand von sieben Brutpaaren festgestellt, die insgesamt Haubentaucher 15 Bruten unternahmen (darunter mindestens drei Zweitbruten), von denen sechs bis zum Schlupf Eine landesweite Auswertung der Angaben zum gelangten. Das Ergebnis von acht Jungen entspricht Bruterfolg ist nicht möglich, da bei einem Großteil 1,14 Juv./Bp. (H. DÖRRIE, pers. Mitt.). der Meldungen entsprechende Angaben fehlen. Sie war aber auch nicht Ziel der landesweiten Er- Im Raum Hessisch Oldendorf (Landkreis Hameln- fassung, die auf die Ermittlung der aktuellen Brut- Pyrmont) wurde auf 15 von insgesamt 29 Kiesteichen bestände ausgerichtet war. Gleichwohl wurden je ein Haubentaucherpaar erfasst. Lediglich eines aus zahlreichen intensiv untersuchten Gebieten re- dieser Paare zog 2014 Jungvögel auf (D. MEIER, gionale Daten zum Erfolg der Bruten gemeldet. pers. Mitt.). Da die Jungvögel über 10 bis 11 Wochen von den Altvögeln betreut werden, war es nur relativ selten Im Wesertal im Landkreis Holzminden wurden ins- möglich, das Schicksal der Bruten bis zur Familien- gesamt 30 bis 31 erfolgreiche Bruten mit zusammen auflösung und dem Flüggewerden der Jungen zu 52 (vermutlich flügge gewordenen) Jungvögeln verfolgen. Daher sind die mitgeteilten Angaben gezählt, entsprechend 1,68 bis 1,73 Juv. pro er- als Schlupferfolg (hier: Anteil Bruten mit erfolgreich folgreicher Brut und 1,21 bis 1,27 Juv./Bp. (JÜRGENS geschlüpften Juv.) bzw. als geschlüpfte Juv. pro & KONRAD 2016). Brutpaar zu interpretieren. Der eigentliche Bruterfolg (also die pro Brutpaar flügge gewordenen Jungvögel) Im Raum Wolfsburg war der Schlupferfolg der dürfte jeweils deutlich geringer sein, da die Jungvögel Haubentaucher im Barnbruch westlich der Stadt vor allem in den ersten Wochen einem starken (mit Tankumsee, Kranichmoorsee, Ilkerbruchsee u. Prädationsdruck unterliegen. a.) mit 0,89 Juv./Bp. deutlich geringer als auf den innerstädtischen Gewässern (Allersee, Neuer Teich, In der Region Hannover (ohne das Steinhuder Großer Schillerteich u. a.) mit 1,73 Juv./Bp. (H.-J. Meer) konnten mindestens 153 Bp. nachgewiesen KALISCH, pers. Mitt.). Der Unterschied beruhte auf werden (F. HESSING, pers. Mitt.). Es wurden 119 dem Anteil der erfolglosen Brutpaare, die Jungenzahl Brutnachweise (einschließlich Zweitbruten) von 108 pro Paar mit Schlupferfolg war mit 2,0 bzw. 1,9 in Paaren erbracht, bei 93 erfolgreichen Bruten (einschl. beiden Gebieten etwa gleich. fünf Zweitbruten) wurden max. 188 Jungvögel gezählt. Dabei wurde jeweils die zuletzt festgestellte Auch die Teiche im Stadtgebiet -Eversten Anzahl Jungvögel pro erfolgreicher Brut ausgewertet. (Tonkuhle, Schwanenteich, Dobbenteich) verzeich- Es ergeben sich 2,02 Juv. pro erfolgreich brütendem neten einen guten Bruterfolg (G. WALTER, N. GRABOW, Paar und 1,58 Juv./Bp. Im Landkreis Hildesheim T. CHROST), während die Zahl der beobachteten lagen die ermittelten Werte (2,5 Juv. pro erfolgreich Jungvögel im Umland tendenziell geringer war (K. brütendem Paar und 1,7 Juv. /Bp.) etwas höher. FUHRMANN, G. REICHERT u. a.).

Am Steinhuder Meer konnte vom Westturm aus Rothalstaucher eine durchschnittliche Familiengröße von 2,17 Juv. pro erfolgreichem Paar ermittelt werden (K.-H. Für 19 der 25 festgestellten Rothalstaucherbrutpaare NAGEL, pers. Mitt.). liegen Angaben zum Bruterfolg vor. Von diesen Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 137

brüteten 14 zunächst erfolgreich (es kam also zum 3.8 Brutkolonien und Vergesellschaftung Schlupf von Jungvögeln), jedoch gelangte ein Groß- teil der Jungvögel nicht bis zum Flüggewerden. Bei immerhin knapp 14 % der Haubentaucherpaare Auf den Süpplingenburger Klärteichen wurden bei wurde kolonieartiges Brüten festgestellt (Tab. 13). insgesamt fünf Brutpaaren zunächst drei Pulli und Oft handelt es sich dabei jedoch nicht um eine ei- ein älterer Jungvogel gezählt, ab dem 15. Juni war gentliche Kolonie mit geringen Nestabständen, nur noch ein Jungvogel zu sehen (K.-H. DORGE, sondern um ein gehäuftes Vorkommen in besonders pers. Mitt.). Auf den ehemaligen Zuckerfabrikstei- gut geeigneten Bruthabitaten oder Kleinkolonien chen bei Lehrte wurden ebenfalls fünf Brutpaare innerhalb flächig verteilter Vorkommen. Dies gilt erfasst, von denen eines alle Jungvögel kurz nach z. B. für insgesamt 81 Brutpaare, die ihre Nester in dem Schlupf verlor und ein weiteres ebenfalls den geschützteren Teilen der Schwimmblattzone ohne Bruterfolg blieb. Aus den übrigen drei Bruten des Dümmers angelegt haben. Auf dem Seeburger gingen zunächst sieben Pulli hervor, von denen See brüteten die Haubentaucher sowohl flächig drei bis vier flügge wurden (F.-D. BUSCH, F. HESSING). verteilt als auch in kleinen Kolonien von bis zu vier Von den fünf Brutpaaren bei Cappeler Altendeich Paaren (H. DÖRRIE, pers. Mitt.), ähnlich im Bereich drei Schlupferfolg (J. WILDBERGER). der „Moorhütte“ am Steinhuder Meer (K.-H. NAGEL, pers. Mitt.). Einen Sonderfall bildet offenbar eine Auf den Klärteichen Baddeckenstedt (Landkreis Freibrüterkolonie mit 17 Paaren im NSG "Okertal Wolfenbüttel) und der Sandentnahmestelle Neu- bei Vienenburg" mit Schwimmnestern auf einem stadtgödens konnte je ein Brutpaar je zwei Jungvögel Wasserpflanzenteppich (H. ZANG, pers. Mitt.; s. a. erfolgreich aufziehen (H. WINKLER, A. HILL, V. K. ZANG 2014). PRUETER). Das Paar auf den Polderteichen Wietzendorf erbrütete zwei oder drei Pulli, von denen bald nur In den wichtigsten Rothalstaucher-Brutgebieten noch eines übrig war. Auch dieser Jungvogel wurde (Süpplingenburger Klärteiche, Klärteiche Lehrte, jedoch schließlich nicht flügge, vermutlich aufgrund Pütte Cappeler Altendeich, s. 3.5) etablierten sich von Prädation (N. MOLZAHN, T. HELLBERG). kleine Konzentrationen von jeweils fünf Paaren.

Schwarzhalstaucher Schwarzhalstaucher brüteten zu 61,5 % in Kolonien und dann i. d. R. auch in Gesellschaft von Lach- Angaben zum Schlupferfolg liegen nur aus einem möwen. In der Dümmerbucht Wackersort brüteten Teil der besiedelten Gebiete vor. Am Westrand der 13 Schwarzhalstaucher innerhalb einer großen Esterweger Dose bei Bockhorst (Landkreis Emsland) Trauerseeschwalbenkolonie (2014 97 Brutpaare; wurden z. B. elf Paare mit zehnmal einem und U. MARXMEIER, pers. Mitt.). einmal zwei Pulli beobachtet (A. DEGEN). Für das Schwaneburger Moor, das Goldenstedter Moor Immerhin ein Fünftel der Schwarzhalstaucher-Brut- und das Guderhandviertel (Landkreis Stade) deuten paare siedelte jedoch in Gebieten ohne Brutvor- die Beobachtungen auf ein bis zwei geschlüpfte kommen von Lachmöwen und/oder Trauersee- Juv./Bp. hin (H. NIESKE, J. SCHNÖTKE, H. SCHÜRSTEDT, J. schwalben. In den meisten Fällen waren dies Ein- LINHOFF, G. SEEMANN). Geringer war offenbar der zelpaare oder wenige verteilt brütende Paare. Eine Erfolg der neun Paare im Polder Holter Hammrich Ausnahme bilden die Klärteiche Üfingen: Hier wur- (M. M. MEYER, K. GERDES u. a.). den sechs Brutpaare sowie zahlreiche weitere Ein- zelvögel oder Nichtbrüterpaare festgestellt, obwohl Auf den Wiedervernässungsflächen bei Bathorn es keine Lachmöwenbruten in dem Gebiet gab (U. waren von den mindestens 13 Brutpaaren zumindest RINAS, pers. Mitt.). Die durchschnittliche Koloniegröße einige bis zum Schlupf erfolgreich, der Bruterfolg bzw. Brutpaarzahl der Schwarzhalstaucher betrug konnte jedoch nicht quantifiziert werden (J. MEL- in Gebieten mit Lachmöwenvorkommen 3,88 Paare, TER). in Gebieten ohne Lachmöwen 1,57 Paare.

Auf den Üfinger Klärteiche kam es zum Totalverlust von sechs Bruten durch hohen Wasserstand nach Starkregen (H. SCHMIDT, U. RINAS). 138 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

Tab. 13: Koloniebruten und Vergesellschaftung mit Lariden bei Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen und Bremen 2014. – Breeding in colonies and association with Gulls and Terns of Great Crested, Red-necked and Black-necked Grebe in Lower Saxony and Bremen in 2014.

Haubentaucher Rothalstaucher Schwarzhalstaucher Great Crested Grebe Red-necked Grebe Black-necked Grebe Kolonien Colonies n=1.262 n=25 n=106 Anteil Koloniebrüter 17 % 0 % 61,5 % Vergesellschaftung (Anteil BP) mit n=106 percentage of breeding pairs in association with Lachmöwe Larus ridibundus k. A. k. A. 59,6 % Trauerseeschwalbe Chlidonias niger k. A. k. A. 12,5 % nicht in Laridenkolonie 21,2 % keine Angabe 6,7 %

4 Diskussion Standorten sowohl zahlreiche Brutpaare als auch Nichtbrüter versammeln, ist eine Unterscheidung 4.1 Vollständigkeit der Erfassung zwischen Brutpaaren (Brutverdacht) einerseits und Nichtbrütern bzw. Brutzeitfeststellungen andererseits Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhals- kaum möglich (K.-H. NAGEL, pers. Mitt., H.-J. KALISCH, taucher sind relativ auffällige und zumindest als pers. Mitt.). Auch sind einzelne Reviervögel, deren Altvögel im Prachtkleid leicht bestimmbare Arten. Partner versteckt brüten, auf größeren Gewässern Ihr Vorkommen ist an deutlich begrenzte Habitate mit zahlreichen Brutpaaren kaum zu identifizieren. (im Wesentlichen verschiedene Stillgewässertypen) Nest- und Jungenverluste können schnell eintreten gebunden, die von Vogelbeobachtern gerne und und dann unbemerkt bleiben, andererseits können häufig aufgesucht werden. Die Grundvorausset- z. B. beim Haubentaucher Jungvögel bis zum 20. zungen für eine landesweite Erfassung dieser Arten Tag im Rückengefieder der Altvögel versteckt sein sind daher vergleichsweise gut. (ANDRETZKE et al. 2005).

Gleichwohl ist eine vollständige Erfassung für eine Rothalstaucher sind während der Bebrütung des weit verbreitete und gebietsweise häufige Art wie Geleges sowie während der Führung von wenige den Haubentaucher trotz großer Beteiligung zahl- Tage alten Küken sehr heimlich, die Nester befinden reicher professioneller und vor allem ehrenamtlicher sich oft gut versteckt in der Vegetation (ebd.). Kartierer schon aufgrund der Größe des Untersu- chungsgebietes kaum möglich, Erfassungslücken Hinzu kommt, dass große Gewässer häufig nicht sind daher unvermeidlich. Die Brutgebiete v. a. des vollständig an einem Tag kontrolliert werden können Schwarzhalstauchers sind zudem oft schwer zu- und Verlagerungen von Revieren zwischen ver- gänglich. Zahlreiche Faktoren wie die Unübersicht- schiedenen Terminen zu Doppel- oder Fehlzählungen lichkeit vieler Gewässer (v. a. der Uferbereiche) er- führen können. Lokale Umsiedlungen während schweren die Bestandserfassung. Haubentaucher der Brutzeit sind möglich, Familien können größere wurden auf besiedelten Fließgewässern vermutlich Strecken über die offene Wasserfläche zurücklegen. häufiger übersehen (V. BLÜML, pers. Mitt.). Die Zunahme des Wassersportbetriebes während der Sommermonate v. a. in der Osthälfte des Stein- Ein wesentliches Problem besteht bei den Taucher- huder Meeres führt z. B. zum Ausweichen der arten in der Ermittlung des Brutbestandes aus der Haubentaucher-Familien an das ruhigere Westufer, Zahl der beobachteten Vögel. Auf großen Gewässern wo dann die Gefahr der Doppelwertung besteht wie dem Steinhuder Meer, oft aber auch auf klei- (K.-H. NAGEL, pers. Mitt.). neren wie dem Ilkerbruchsee (Wolfsburg) sind während der Brutzeit Trupps nichtbrütender Hau- Bei Haubentauchern kommt es mitunter auch zur bentaucher anzutreffen. Wo sich an geeigneten Aufteilung der Familien, weshalb zwei räumlich Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 139

getrennt führende Altvögel nicht immer zwei Brut- Während die ersten Haubentaucher allgemein paaren gleichgesetzt werden können (ANDRETZKE et schon ab Mitte März brüten können (BAUER et al. al. 2005). Darüber hinaus wandern offenbar auch 2005; KOOIKER unveröff.), kann sich die Jungenauf- erfolgreiche Brutvögel mitunter frühzeitig ab und zucht bei Spätbruten bis in den Spätherbst hinein bilden abseits der Brutgewässer Sommergesell- verlagern. schaften, während ein Partner die Jungenaufzucht allein fortführt (V. KONRAD, pers. Mitt.). In vielen Gebieten wurden 2014 noch Ende Juni oder sogar Mitte Juli neue Bruten begonnen (s. Auch Nahrungsflüge von (ggf. weniger fischreichen) Kap. 4.6), während es gleichzeitig im Juli vielerorts Brutgewässern zu Küstengewässern kommen bei schon zum Zuzug diesjähriger Vögel auf den Brut- Haubentauchern vor. So berichtet M. TEMME (pers. gewässern kommt (z. B. am Seeburger See; T. MEI- Mitt.) von Brutvögeln eines Teiches auf der Insel NEKE, pers. Mitt.). Spätestens ab Anfang August ist Norderney, die offenbar aus Nahrungsmangel re- aufgrund des beginnenden Durchzugs häufig keine gelmäßig über den nahen Deich in die großen Trennung mehr nach einheimischen und fremden Priele des Wattenmeeres fliegen. Vögeln möglich (K.-H. NAGEL, pers. Mitt.). Auf den Meinbrexer Kiesseen (Landkreis Holzminden) wurden In Gebieten mit größeren Ansammlungen von schon vor Beginn des Zuges größere Ansammlungen Schwarzhalstauchern ist ebenfalls häufig nur ein von Altvögeln beobachtet, vermutlich aufgrund Teil der Individuen als Brutvögel zu werten. In den des Abwanderns erfolgloser Paare (und wohl auch meisten Kolonien wurden neben den Brutpaaren einzelner Partner erfolgreicher Paare) von den Brut- zusätzlich Nichtbrüterpaare und Einzelvögel fest- gewässern (V. KONRAD). gestellt, so z. B. im Schwaneburger Moor (Landkreis Cloppenburg; H. NIESKE, pers. Mitt.). Auf den Süpp- In die Auswertung einbezogen wurden nur mit lingenburger Klärteichen waren 2014 fünf bis Lokalisierung gemeldete Brutpaare (Brutnachweis/ sieben Paare anwesend, die aber nicht zur Brut Brutverdacht). Eine Ausnahme bildet das Steinhuder schritten (K.-H. DORGE, pers. Mitt.). Sehr große An- Meer, das aus den genannten Gründen nicht voll- sammlungen wurden noch während der Brutzeit ständig erfasst werden konnte. Aufgrund umfang- auf den Üfinger Klärteichen festgestellt, wo sechs reicher Beobachtungsdaten wurde der Brutbestand Brutpaare erfasst wurden. Zwischen Mitte Juni des Haubentauchers 2014 hier auf 125 Paare ge- und Mitte August konnten hier regelmäßig 50 bis schätzt, 74 davon wurden standardisiert erfasst max. 97 Individuen beobachtet werden (G. BUSCHE, (K.-H. NAGEL, pers. Mitt.). In diesem Fall wurde die H. SCHMIDT, U. RINAS, R. MAYEN). Ähnlich hohe Rast- Schätzung in die Gesamtauswertung übernom- bestände wurden 2014 nur vom Speicherbecken men. bei Geeste (Landkreis Emsland) gemeldet, sowohl vor der Brutzeit (Ende März bis Ende April) regel- Die Ergebnisse für den Rothalstaucher und den mäßig 20 bis max. 101 Ind., kulminierend in der Schwarzhalstaucher liegen im Bereich der bei frü- ersten Aprilhälfte (60 bis 101), als auch nach der heren Erfassungen ermittelten landesweiten Be- Brutzeit im Juli/August. Schon am 29. Juni waren stände (s. Tab. 6, Kap. 3.1). Beim Haubentaucher hier wieder 30 Schwarzhalstaucher anwesend, den hingegen liegt der für 2014 ermittelte Bestand Juli über etwa 20 bis 30, im August noch 10 bis zwar auf dem gleichen Niveau wie 2011 (MARXMEIER 15. Mitte Juli bis Mitte August wurden auch bis zu unveröff.), jedoch weit unterhalb der aus den Ade- sechs flügge diesjährige beobachtet (H.-M. TRAUTNITZ, bar-Kartierungen hervorgegangenen Schätzung J. WERMES, J. THIEMANN u. a.), dennoch kam es auf (KRÜGER et al. 2014; s. Kap. 3.1). dem Speicherbecken offenbar zu keiner Brut. Betrachtet man die räumliche Verteilung der Hau- Viele Spätbruten und ein verlängerter Heimzug bentaucher-Nachweise in Niedersachsen 2014, so führten auch beim Haubentaucher dazu, dass sich ergibt sich im Vergleich zur Adebar-Kartierung Brut- und Zugzeit bzw. Dispersion weit überlagerten. zwar erwartungsgemäß ein sehr ähnliches Ver- Am Steinhuder Meer hat sich aufgrund des späten breitungsbild, doch sind andererseits auch zahlreiche Wintereinbruchs im März 2014 der Heim- bzw. Gebiete erkennbar, aus denen aktuell gegenüber Durchzug bis weit in den April hinein verschoben. dem Adebar-Kartierzeitraum 2005 bis 2009 deutlich 140 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

weniger Vorkommen gemeldet wurden: die Nutzung zahlreicher künstlich geschaffener Ha- bitate wie Stauseen und Abbaugewässer (DEL HOYO • Unterelbe zwischen Buxtehude und Otterndorf et al. 1992). (Landkreise Stade, Cuxhaven) • Mittelelbe und Untere Luhe (Landkreis Harburg) In Niedersachsen hat der Bestand seit den 1950er • Mittelelbe in den Landkreisen Lüneburg und Jahren und verstärkt seit den 1960er Jahren deutlich Lüchow-Dannenberg zugenommen (LUDWIG et al. 1990, HECKENROTH & • Ostfriesisches Binnenland (Landkreise Aurich, LASKE 1997). Auf dem Dümmer wurde der Höhe- Wittmund, Friesland) punkt der Bestandsentwicklung Mitte der 1980er • Ems- und Hasetal im Bereich Meppen/Haselünne Jahre erreicht (MARXMEIER & KÖRNER 2009). Landesweit • Teile des Landkreises Oldenburg nahm der Haubentaucher nach einer Stagnations- • Weser zwischen Minden und Rinteln (Landkreis phase bis Mitte der 1990er Jahre (mit etwa 1.200 Schaumburg) Paaren) offenbar noch einmal zu, allerdings weniger • weite Teile des Landkreises Gifhorn stark als zuvor (KRÜGER et al. 2014). Für 2005 wurde ein Bestand von etwa 1.500 Paaren geschätzt In vielen Fällen ist davon auszugehen, dass es sich (KRÜGER & OLTMANNS 2007). Lokal wurden dabei so- nicht vorrangig um „Meldelücken“, sondern um wohl deutliche Zunahmen als auch Abnahmen tatsächliche Änderungen in der Brutpaarverteilung sowie starke Schwankungen registriert. handelt. In Nordostniedersachsen ist es in den letzten Jahren zu einem deutlichen Bestandsrück- In Schleswig-Holstein verlief die Entwicklung ähnlich gang gekommen (s. Kap. 4.6.3). (deutliche Zunahme vom Beginn der 1970er bis 1995, seitdem etwa stabil; KOOP & BERNDT 2014). Aus vielen Gebieten ist bekannt, dass die Zahl der Im Gegensatz dazu wurde im benachbarten Meck- Haubentaucher Brutpaare von Jahr zu Jahr stark lenburg-Vorpommern seit Ende der 1970er Jahre schwanken kann (s. Kap. 4.2.1). Möglicherweise ein drastischer Rückgang bis Mitte der 1990er erklärt sich ein Großteil der aktuellen „Verbrei- Jahre und anschließend ein stabiler bis leicht rück- tungslücken“ daraus, dass in der über vier bis fünf gängiger Trend festgestellt (VÖKLER 2014). Jahre zusammengefassten Darstellung der Ade- bar-Ergebnisse auch nur unregelmäßig besetzte Für die wichtigsten Brutgebiete des Haubentauchers Rasterfelder in die Gesamtverbreitung eingingen. in Niedersachsen, den Dümmer und das Steinhuder Meer, ist die Bestandsentwicklung relativ gut do- Insgesamt lässt sich vor diesem Hintergrund ein kumentiert. Sehr starke Bestandsschwankungen aktueller Gesamtbestand des Haubentauchers in beinahe bis hin zum kurzzeitigen Verschwinden Niedersachsen und Bremen von etwa 1.400 bis der Art als Brutvogel waren am Dümmer in den 1.500 Paaren schätzen. letzten Jahrzehnten die Regel (Abb. 5). 1984 wurde mit 371 Brutpaaren das bisherige Bestandsmaximum 4.2 Bestandsentwicklung von Haubentaucher, Rot- erreicht. Seit der Jahrtausendwende bewegt sich halstaucher und Schwarzhalstaucher in Nie- der Bestand zwischen (häufig) unter 50 und (selten) dersachsen über 100 Brutpaaren. 2015 und 2016 wurden erstmals keine Haubentaucherbruten auf dem See 4.2.1 Haubentaucher festgestellt (U. MARXMEIER, pers. Mitt.), vereinzelt gab es Bruten in der näheren Umgebung. In Europa kam es während des 19. Jahrhunderts allgemein zu einem deutlichen Rückgang des Hau- Am Steinhuder Meer brüteten zu Beginn der bentaucherbestandes v.a. aufgrund intensiver Be- 1970er Jahre 200 bis 300 Paare (WEISSKÖPPEL 1975), jagung (für den Handel mit Federn). Danach setzte 1982 wurden nur noch 145 Paare geschätzt (GAR- eine Erholung und Arealerweiterung ein, letztere BERDING & NAGEL 1984). Anschließend blieb der Be- u. a. bedingt durch ein milderes Klima. Als Haupt- stand insgesamt etwa stabil (K.-H. NAGEL, pers. faktoren für den Bestandsanstieg gelten die Eutro- Mitt.), wie im Falle des Dümmer jedoch mit sehr phierung der Stillgewässer und der damit verbun- starken Schwankungen: 2001 wurden 80 Brutpaare dene Anstieg der Cyprinidenpopulationen sowie erfasst (MARXMEIER unveröff.), 2002 rund 250, 2005 Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 141

jedoch weniger als 20 400 (ÖSSM unveröff., zitiert nach 350 KRÜGER et al. 2014). 300

Eine andere Entwicklung 250 beschreibt T. MEINEKE (pers. Mitt.) für den Seeburger 200 See (Landkreis Göttingen), 150 die größte natürliche Was- serfläche in Südniedersach- 100 Anzahl Brutpaare Anzahl sen: Bis Ende der 1960er 50 und Anfang der 1970er Jah- ? ? re gab es hier aufgrund von 0 Verfolgung (Abschuss we- 1965 1967 1969 1971 1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 gen Fischbewirtschaftung) nur wenige Haubentaucher- Abb. 5: Bestandsentwicklung des Haubentauchers am Dümmer von 1965 bis 2015. Brutpaare. Während der Ungefüllte Säulen geben interpolierte Werte wieder. Für 2012 und 2013 liegen noch 1980er Jahre wuchs der keine ausgewerteten Ergebnisse vor. (Daten: LUDWIG et al. (1990), MARXMEIER et al. Brutbestand auf 30 Paare (2001), MARXMEIER & KÖRNER (2009), BLÜML et al. (2012), NATURSCHUTZRING DÜMMER e.V. und kulminierte in der ersten unveröff.). – Population dynamics of the Great Crested Grebe at Lake Dümmer since Hälfte der 1990er Jahre bei 1965. Framed columns represent interpolated data; numbers for 2012 and 2013 maximal 65 Paaren mit min- not available. destens 90 flugfähigen Jungvögeln. Anschließend sank die Anzahl erfolg- Die Besiedlung durch den Haubentaucher begann reicher Brutpaare bis zur Jahrtausendwende stetig spätestens 1984 mit zwei Brutpaaren, zwischen ab und stabilisierte sich seither auf deutlich niedri- 1993 und 2003 wurden in guten Jahren sieben bis gerem Niveau bei meist 10 bis 15 (erfolgreichen) neun Paare registriert, seitdem schwankt der Paaren. Bestand zwischen zwei und fünf Paaren (KOOIKER unveröff.). Demgegenüber stehen andere Regionen, in denen die Haubentaucherbestände in den letzten Jahr- Die Besiedlung der Kiesseen an der Weser im zehnten mehr oder weniger kontinuierlich ange- Landkreis Holzminden erfolgte ebenfalls erst in stiegen sind, v. a. aufgrund der Besiedlung neu jüngerer Zeit (JÜRGENS & KONRAD 2016), noch in entstandener Gewässer. Für den ehemaligen Re- den 1960er und 1970er Jahren traten Haubentau- gierungsbezirk Osnabrück (Landkreise Emsland, cher hier lediglich als Durchzügler und/oder Win- Grafschaft Bentheim, Osnabrück und Stadt Osna- tergäste auf (PREYWISCH 1962, PEITZMEIER 1979). brück) wird ein deutlicher Bestandsanstieg von 1977 wurde der erste Brutnachweis erbracht (PREY- drei bis vier Paaren 1974 auf 67 Paare 1988 be- WISCH 1983), seitdem stieg der Bestand im Wesertal schrieben (BRINKSCHRÖDER 1986, BRINKSCHRÖDER et zwischen Beverungen/Würgassen und Höxter über al. 1990). In dieser Zeit wurden zahlreiche neu 10 Brutpaare 1997 (MÜLLER 1997) auf aktuell 22 entstandene Gewässer erstmals besiedelt. Die ak- Brutpaare (JÜRGENS & KONRAD 2016). tuelle Erfassung ergibt für dieses Gebiet 114 Paare und damit abermals einen deutlichen Anstieg. Auf Die zahlreichen in den letzten Jahrzehnten ent- dem 1982 gefluteten Alfsee-Hauptbecken (Landkreis standenen Abbaugewässer im Weser-Aller-Flachland Osnabrück) gab es zunächst (1984 bis 1988) noch und den Börden, u. a. entlang der Leine, Innerste, keine Brutvorkommen (BRINKSCHRÖDER et al. 1990), Fuhse und Oker, bilden aktuell den Verbreitungs- aktuell wurden10 Brutpaare erfasst (J. CHRISTIANSEN). schwerpunkt des Haubentauchers in Niedersachsen Das aktuell nach dem Alfsee bedeutendste Hau- (s. Tab. 7 u. 9). bentauchergewässer in diesem Raum ist der Rub- benbruchsee in Osnabrück, der durch Sandabgra- Ein deutlicher und trotz starker Schwankungen bung zwischen 1968 und 1991 entstanden ist. insgesamt kontinuierlicher Bestandsanstieg von 142 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

Abb. 6: Schwimmnest des Haubentauchers in der Abb. 7: Aufschwimmende Rhizome von Teich- und See- Schwimm blattzone, Dümmer. 02. Juli 2008. Foto: F. Kör- rose (Nuphar lutea, Nymphaea alba), Dümmer, 11. Juni ner. – Swimming nest of the Great Crested Grebe in the 2015. Foto: F. Körner. – Rhizomes of yellow pond lily and zone of floating-leaf plants, Dümmer, 02 July 2008. water lily floating on the surface.

Abb. 8: Uferbereiche des Dümmers mit vorgelagerter Abb. 9: Schwimmblattzone Wackersort, Dümmer. 07. Schwimmblattzone weisen in manchen Jahren kolonie- Juni 2008. Foto: F. Körner. – Zone of floating-leaf plants artige Brutvorkommen des Haubentauchers auf. 16. Mai at Wackersort, Dümmer, 07 June 2008. 2004. Foto: D. Tornow. – In some years, colony-like bree- ding of the Great Crested Grebe occurs in the offshore von SÜDBECK & OLDEKOP (1999) sowie DEGEN (2006) zone of floating-leaf plants of Lake Dümmer. ausführlich dargestellt und diskutiert. Demnach hielt der Bestandsanstieg bis 1997 an, seitdem be- 1967 bis heute wurde auch im Steinfeld nordöstlich wegt sich die Zahl erfasster Brutpaare relativ stabil von Goslar registriert (ZANG 2014). zwischen 20 und 27.

4.2.2 Rothalstaucher Von 1990 bis 1998 waren die Leiferder Teiche (Landkreis Gifhorn) und der Heerter See (Stadt Der Bestand des Rothalstauchers in Niedersachsen Salzgitter) die beiden wichtigsten Brutgebiete des hat seit Beginn der 1980er Jahre deutlich zuge- Rothalstauchers in Niedersachsen. Auf dem Heerter nommen, die Vorkommen sind aber weiterhin See brüteten bis 2002 durchgehend 2 bis 4 Paare, klein, relativ stark isoliert und unterliegen einer auf den Leiferder Teichen bis 2000 4 bis 6 Paare, starken Fluktuation (KRÜGER et al. 2014). Die Be- danach bis 2005 noch 1 bis 4 Paare. 2014 waren standsentwicklung zwischen 1990 und 2005 wurde beide Gebiete nicht vom Rothalstaucher besiedelt. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 143

Auf den Süpplingenburger Klärteichen tauchten Das Steinhuder Meer ist nur unregelmäßig besiedelt. Rothalstaucher als Brutvögel erst auf, nachdem 2002 kam es zur Ansiedlung von 16 Paaren, die sich 2010/2011 die Wasserverhältnisse geändert auf dichten Wasserpflanzenteppichen brüteten, hatten (s. 4.3.2). Von 2011 bis 2014 schritten hier welche sich nach dem Aufklaren des Sees 1999 ab 5 bis 7 Paare zur Brut, der Bruterfolg war zunächst 2001 entwickelt hatten (BRANDT 2004). 2003 wurden gut, nahm dann aber ab und war 2014 gering (am noch 10 (allerdings erfolglose) Brutpaare festgestellt, 15. Juni nur noch 1 Juv. aus 5 Brutpaaren; K.-H. seitdem brütet die Art hier wie vorher nur sporadisch. DORGE, pers. Mitt.) Das 2014 im Gebiet festgestellte Paar brütete nicht auf dem See selbst, sondern auf einem benachbarten Trotz zwischenzeitlich recht stabiler Bestandssituation Moorgewässer. über 10 Jahre und mehr (sowohl in einzelnen Ge- bieten als auch landesweit) kommt es also weiterhin In den Süpplingenburger Klärteichen (Landkreis regelmäßig zur Aufgabe etablierter Brutgebiete Helmstedt) werden die Bestände der Taucher und und zur Neubesiedlung an anderen, oft weit ent- anderer Brutvogelarten seit mehr als 30 Jahren er- fernten Stellen. fasst. Die Teiche waren viele Jahre lang das bedeu- tendste Brutgebiet für Schwarzhalstaucher in Nie- 4.2.3 Schwarzhalstaucher dersachsen (1995: 12 Brutpaare und damit mehr als ein Drittel des Landesbestandes; 2005 22 Brut- Der niedersächsische Bestand des Schwarzhalstau- paare entsprechend 19 % des Landesbestandes; chers stieg nach ersten Ansiedlungen zu Beginn DEGEN 2006). Nach der Umstellung der Produktion der 1970er Jahre im östlichen Teil der Börde stetig beim Hauptwassereinleiter änderte sich die Zu- auf über 30 Paare in der ersten Hälfte der 1990er sammensetzung des zugeführten Brauchwassers, Jahre und weiter auf über 100 Paare im Jahr 2003 und die eingeleitete Wassermenge nahm ab. In (HECKENROTH & LASKE 1997, KRÜGER et al. 2014). der Folge kam es ab 2010/2011 auch zu starken Dabei kam es zu einer Ausbreitung nach Westen Verschiebungen bei den Lappentaucherbeständen und einer zunehmenden Besiedlung von Wieder- (K.-H. DORGE, pers. Mitt.). Schwarzhalstaucher wur- vernässungsflächen abgetorfter Hochmoore in den seltener und brüten in den letzten Jahren nur Westniedersachsen, wo sich die Bestände zwischen noch unregelmäßig in geringer Zahl (K.-H. DORGE, 1995 und 2005 mehr als versiebenfachten (DEGEN pers. Mitt.). 2006). Seitdem hat sich der Bestand in einem Bereich von 100 bis 150 Paaren stabilisiert, wobei 4.3 Habitatwahl es in vielen Gebieten zu starken Bestandsschwan- kungen kommt. Der Schwerpunkt der Verbreitung Haubentaucher hat sich seit 1995 weiter nach Westen verlagert, 2014 wurden 77 % der Brutpaare westlich der Haubentaucher besiedeln Stillgewässer ab etwa 1 Weser erfasst (1995: 51 %, 2005: 69 %; Daten ha Größe sowie langsam fließende Gewässer mit aus DEGEN 2006). gutem Kleinfischbestand (BAUER & BERTHOLD 1996). Im Vergleich zu Rothalstaucher und Schwarzhals- Mit 106 Brutpaaren lag der Bestand 2014 am un- taucher bevorzugt der Haubentaucher größere teren Ende der genannten Schwankungsbreite. und tiefere Gewässer (VLUG 1993, KOOP 1998), die Während der Bestand am Dümmer mit 21 Paaren möglichst reich an (kleinen) Fischen sein sollten im langjährigen Vergleich hoch war (vgl. KÖRNER & (BAUER et al. 2005). Auffallend ist eine große An- MARXMEIER 2000, DEGEN 2006), fiel er z.B. in der passungsfähigkeit an verschiedene künstlich ge- Diepholzer Moorniederung (4 Brutpaare) relativ schaffene Gewässertypen (DEL HOYO et al. 1992). gering aus. Im Neustädter Moor brüteten im Jahr 2013 zehn Brutpaare, 2014 nur eines; das Rehdener 2001 brütete bereits fast die Hälfte aller nieder- Geestmoor war in den Vorjahren besiedelt, 2014 sächsischen Paare an Abbaugewässern (landesweite jedoch nicht (K. OBRACAY, pers. Mitt.). Eine hohe Erfassung 2001, U. MARXMEIER, pers. Mitt.), in der Bestandsdynamik mit spontanen, oft sehr kurzfris- aktuellen Erfassung waren es 55 %. Kiesseen waren tigen Neubesiedlungen ist für den Schwarzhals- mit einer hohen Stetigkeit besiedelt (F. HESSING, taucher vielerorts typisch (KOOP 1998, FJELDSÅ 2004). pers. Mitt.), lediglich kleine Gewässer ohne ausrei- 144 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

chenden Uferbewuchs (Schilfgürtel) wurden ge- auch die Fläche der Binsen- und Kalmusinseln stark mieden (D. MEIER, pers. Mitt., V. KONRAD & U. ab, so dass 2001 etwa 80 % der Haubentaucher JÜRGENS, pers. Mitt.). in der Schwimmblattzone brüteten. Für 2014 ergab die Erfassung folgende Verteilung: Schwimmblatt- Seit etwa Mitte der 1970er Jahre besiedelt der zone 84,7 %, Schilfsaum mit Weidengebüsch Haubentaucher auch ursprünglich oligotrophe 10,2 %, Weidengebüsch 5,1 % (U. MARXMEIER, Teiche ohne Großröhrichte im Oberharz (NOTHDURFT pers. Mitt.). Auch von zahlreichen anderen Ge- & NOTHDURFT 2002). Auch 2014 waren die von wässern (u. a. Steinhuder Meer, Seeburger See, hohen Fichtenbeständen gesäumten Oberharzer Göttinger Kiessee) wurden Schwimmnester auf Teiche bei Buntenbock besiedelt (J. NOTHDURFT, der offenen Wasserfläche gemeldet. pers. Mitt., H. ZANG, pers. Mitt.). Die Freibrüterkolonie auf den Vienenburger Oker- Relativ selten brüten Haubentaucher auch an Fließ- teichen nutzte Pflanzenteppiche des Ähren-Tau- gewässern mit geringen Fließgeschwindigkeiten sendblatts Myriophyllum spicatum mit Algenüber- wie Vechte und Dinkel in der Grafschaft Bentheim wuchs (ZANG 2014). Am Alfsee (Landkreis Osnabrück) (MÜLSTEGEN 1995). Auch 2014 wurden Bruten auf wurden 2013 mehrere Schwimmnester in Verkrau- der Vechte (J.-H. MÜLSTEGEN, pers. Mitt.) und der tung gefunden, 2014 dagegen nur Ufernester (J. Dinkel (L. HESSELINK, pers. Mitt.) gemeldet, außerdem CHRISTIANSEN, pers. Mitt.). auf der Leine an der Wasserkunst im hannoverschen Stadtteil Limmer (F. HESSING, pers. Mitt.). Rothalstaucher

Haubentaucher verankern ihre Schwimmnester Die Habitatwahl des Rothalstauchers wurde von meist im Uferbereich im Röhricht (Schilf, Binsen, VLUG (1993, 2000) sowie für Niedersachsen von Kalmus, Rohrkolben, Seggen etc.) oder an ins SÜDBECK & OLDEKOP (1999) und zuletzt DEGEN (2006) Wasser ragenden Bäumen und Büschen (ANDRETZKE ausführlich diskutiert. Die dort konstatierte Bevor- et al. 2005). Zunehmend werden See- und Teich- zugung kleiner Gewässer wird aus den hier (Kap. rosenbestände sowie andere Schwimmpflanzen- 3.6, Tab. 12) vorgestellten Daten nicht deutlich, teppiche auf dem offenen Wasser besiedelt. Auch allerdings liegen auch nicht zu allen 2014 erfassten Schlammbänke, kleine Inseln (V. DIERSCHKE, pers. Bruten Daten zur Gewässergröße vor. Außerdem Mitt.) oder Holzstücke im Wasser (K.-H. DORGE, sind möglicherweise z. T. mehrere kleinere Gewässer pers. Mitt.) können zur Nestanlage genutzt wer- in einem Komplex bei der Flächenangabe zusam- den. mengefasst worden. Entsprechend den bekannten Präferenzen (VLUG 1993, DEGEN 2006) wurden Rot- Am Dümmer hat sich die Nistplatzwahl des Hau- halstaucher ausschließlich auf Flachgewässern bis bentauchers seit den 1980er Jahren auffallend ver- max. 2 m Tiefe angetroffen. ändert (MARXMEIER & DÜTTMANN 2002, MARXMEIER et al. 2001). Wie in vielen anderen größeren Flachge- Bezüglich der besiedelten Gewässertypen hat sich wässern wurden früher bevorzugt durchflutete gegenüber den Auswertungen für 1990 bis 1998 Schilfröhrichte für die Nestanlage genutzt. Parallel (SÜDBECK & OLDEKOP 1999) bzw. 1995 bis 2005 zur Bestandsabnahme des Haubentauchers am (DEGEN 2006) eine Veränderung ergeben, die jedoch Dümmer (s. Kap. 4.2.1) vollzog sich ein Wechsel aufgrund der geringen Gesamtzahl an Bruten der Niststandorte. Hohe Nährstoffeinträge führten (n=25) vorsichtig zu bewerten ist. Waren in den zu einem großflächigen Absterben durchfluteter früheren Untersuchungen noch 57 % (1990 bis Schilfröhrichte, die in der Folge immer weniger für 1998) bzw. 50 % (1995 bis 2005) der vom Rot- die Nestanlage zur Verfügung standen (MARXMEIER halstaucher zur Brut genutzten Gewässer Fischteiche, et al. 2001). Die Haubentaucher reagierten mit so machen diese aktuell nur noch 16 % aus. einem Wechsel auf die Schwimmblattzone (v. a. Deutlich höher ist dagegen aktuell der Anteil der Teich- und Seerosen, Nuphar lutea, Nymphaea Klärteiche und Rieselfelder mit 52 % (1990 bis alba) sowie kleine, durchflutete Inseln aus Kalmus 1998 23 %, 1995 bis 2005 22 %) sowie der als Acorus calamus und Teichbinsen Schoenoplectus Bruthabitat genutzten Bodenabbaugewässer mit lacustris. Seit dem Ende der 1990er Jahre nahm 24 % (1990 bis 1998 14 %, 1995 bis 2005 10 %). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 145

Der Anteil der Abbaugewässer wird dabei stark Im Vergleich zur Auswertung 2000 bis 2005 beeinflusst durch die erwähnte Kleipütte bei Cap- brüteten Schwarzhalstaucher 2014 häufiger auf peler Altendeich (Landkreis Cuxhaven), die vermutlich natürlichen Gewässern und seltener auf Klärteichen bzgl. Tiefe und Vegetation eine deutlich andere und Rieselfeldern. Dies dürfte v. a. auf den 2014 Struktur aufweist als typische Kiesabbaugewässer. relativ hohen Bestand auf dem Dümmer einerseits und dem starkem Rückgang auf den Süpplingen- Als Nestunterlagen des Rothalstauchers wurden in burger Klärteichen andererseits (s. Kap. 4.2.3) be- der aktuellen Untersuchung genannt: schwimmende ruhen. Holzstücke, Schilf, Schwimmkampen (künstliche Vegetationsinseln; Süpplingenburger Klärteiche Fischteiche, die der Rothalstaucher gerne besiedelt, 2011 bis 2014; K.-H. DORGE, pers. Mitt.) sowie sind für den Schwarzhalstaucher oft nicht nutzbar. Schilfrand (Kiesabbau Velpker Schweiz; ebd.). Letzterem fehlen hier meist die an Seen oft mas- senhaft auftretenden Zuckmückenlarven (Chiro- Schwarzhalstaucher nomidae) als bevorzugte Nahrung, weil diese das alljährliche Ablassen bewirtschafteter Fischteiche Schwarzhalstaucher besiedeln bevorzugt flache nicht überleben (KOOP 1998). und stark verlandende Gewässer mit einer reichen submersen Vegetation, die in der Regel zugleich Als Brutplätze wurden in der aktuellen Untersuchung Brutvorkommen von Lachmöwen, Sturmmöwen genannt: Binsenbulten (Schwaneburger Moor, H. oder Seeschwalben aufweisen (DEGEN 2006). Die NIESKE; Georgsdorfer Moor, Wiedervernässung Bat- Abhängigkeit vom kolonieartigen Vorkommen der horn, J. MELTER), Holzstücke, Schilf, Schwimmkampen genannten Arten verschließt dem Schwarzhalstau- (Süpplingenburger Klärteiche 2011 bis 2014; K.- cher viele kleinere Gewässer als Brutplatz (ebd.). H. DORGE), eine flache Insel im eingepolderten Grünland (Polder Borringhauser Wiesen, U. MARXMEI- Da sich der Schwarzhalstaucher zu einem Großteil ER) sowie vor allem schwimmendeWasserpflanzen von Wasserinsekten und deren Larven sowie Mol- (See- und Teichrosen, Wasserpest, Fadenalgenmatten lusken und kleinen Crustaceen ernährt, ist er nicht etc., H. SCHMIDT, U. RINAS, U. MARXMEIER u. a.). auf Fischvorkommen angewiesen und kann daher sowohl hypertrophe, zeitweise anaerobe Klärteiche Aus der Vergangenheit wurden spontane Ansied- als auch neu entstandene Gewässer besiedeln, lungen großer Brutkolonien auf Pflanzenteppichen auch saure und relativ nährstoffarme Hochmoor- der Schmalblättrigen Wasserpest Elodea nuttallii gewässer (BAUER & GLUTZ V. BLOTZHEIM 1966, FLADE auch aus Niedersachsen bekannt. Nach dem Auf- & JEBRAM 1995, KOOP1998, BLÜML & SANDKÜHLER klaren des Steinhuder Meers 1999 kam es ab 2015). Brutgewässer des Schwarzhalstauchers sind August 2001 zu einem vermehrten Wachstum häufig ökologisch instabil, zeigen große Wasser- submerser Vegetation aus höheren Wasserpflanzen, standsschwankungen und können in trockenen unter denen Elodea nuttallii dominierte. Auf den Perioden ganz verschwinden (KOOP 1998, VLUG Pflanzen lagen stellenweise Teppiche aus fädigen 2005). Die Brutortstreue ist daher bei Schwarz- Grünalgen der Gattung Spirogyra (BRANDT 2004). halstauchern gering, sie können ungeeignete Ge- Im Sommer 2002 war dieser Pflanzenteppich so wässer schnell verlassen und ausgedehnte neue ausgedehnt, dass der See kaum noch mit Wasser- Feuchtgebiete kurz nach ihrer Entstehung bereits fahrzeugen befahrbar war. Schwarzhalstaucher sie- in großen Kolonien besiedeln (VLUG 2012). delten sich in einer Kolonie von 16 Brutpaaren an, zudem waren zahlreiche Nichtbrüter anwesend Wie bereits von DEGEN (2006) dargestellt, sind Wie- (ebd.). Ab dem Frühjahr 2003 löste sich der Pflan- dervernässungen in Hochmooren aktuell die wich- zenteppich auf. Zwar versuchten noch einmal 10 tigsten Lebensräume des Schwarzhalstauchers in Paare, auf den Wasserpest-Beständen zu brüten, Niedersachsen. Der Anteil auf solchen Flächen brü- die Brutversuche blieben jedoch erfolglos. Nach tender Paare lag 2014 bei 50 % und damit in der dem anschließenden Rückfall des Sees in ein Trüb- gleichen Größenordnung wie bereits 2000 bis wasserstadium traten Schwarzhalstaucher-Bruten 2005 (53 %, ebd.). nur mehr vereinzelt auf. 146 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

Eine ganz ähnliche Entwicklung konnte 2011 auf In der Region Hannover wurden 2014 bezüglich dem Hochwasser-Rückhaltebecken „Alfsee“ (Land- des Brutbeginns deutliche Unterschiede festgestellt. kreis Osnabrück) beobachtet werden. Nachdem Im Bereich der Stadt Hannover wurden die Bruten sich ein nahezu flächendeckender Teppich von überwiegend im April bis Mitte Mai begonnen. Wasserpflanzen, dominiert von Elodea nuttallii, Beim ersten Kontrolldurchgang bis zum 13. April gebildet hatte, etablierte sich die mit mindestens wurden z. B. im Bereich Ricklingen/Döhren bereits 52 Paaren bisher wohl größte Kolonie in Nieder- 10 von 13 Paaren brütend angetroffen, bis sachsen (FLORE 2011). Insgesamt wurden 91 Brut- Mitte/Ende August war die Jungenaufzucht dort versuche registriert. In den Folgejahren verschwand weitestgehend abgeschlossen (F. HESSING, pers. der Pflanzenteppich. Seitdem wurden deutlich ge- Mitt.). Die Haubentaucher an den Teichen im ringere Rastbestände und nur noch vereinzelt Umland dagegen begannen (ebenso wie am Stein- Bruten festgestellt (2014 1 Brutpaar, J. CHRISTIAN- huder Meer) in vielen Fällen erst Ende Juni/Anfang SEN). Juli mit der Brut.

4.4 Spätbruten, Zweitbruten, Nachgelege Auf dem Seeburger See beginnen die Haubentau- cher mit dem Nestbau und Eiablage wie früher Aus verschiedenen Gründen verliefen viele frühe meist schon im April oder ab Anfang Mai. Die Haubentaucherbruten erfolglos. Jungvögel wurden Nester der Erstbruten werden im Schilfgürtel an- häufig erst im Sommer und dann bis in den Herbst gelegt, sie bleiben jedoch in aller Regel (trotz z. T. hinein beobachtet. mehrfacher Nachgelege) erfolglos (T. MEINEKE, pers. Mitt.). Ab Juni kommt es dann zu (Ersatz-)Bruten Beim Haubentaucher ist vom Dümmer etwa seit in der Schwimmblattzone auf See- und Teichro- Beginn der 1990er Jahre eine deutliche Verzögerung senblättern, von denen 2014 die meisten erfolgreich des Brutbeginns nachgewiesen (MARXMEIER et al. verliefen (H. DÖRRIE, pers. Mitt.). Altvögel mit Jungen 2001). Wurden in den 1960er, 1970er und 1980er werden auf dem Seeburger See daher regelmäßig Jahren die meisten Gelege noch zwischen der 13. frühestens ab Ende Juni beobachtet, meist erst ab und 15. Dekade gefunden (Mai), so lagen die Ge- Mitte Juli (T. MEINEKE, pers. Mitt.). legefunde ab Mitte der 1990er Jahre überwiegend zwischen der 17. und 20. Dekade (Mitte Juni bis Auch auf dem Göttinger Kiessee nutzen Hauben- Mitte Juli). Diese Entwicklung stand im Zusam- taucher den Pflanzenteppich auf dem offenen menhang mit dem Wechsel der Nisthabitate (s. Wasser zur Nestanlage. 2013 schlüpften aus einem Kap. 4.3): Die zunehmende Nutzung der Schwimm- Dreiergelege noch am 19. September zwei Junge. blattzone anstelle der immer weniger verfügbaren Noch am 01. Dezember wurden die beiden Jung- durchfluteten Schilfröhrichte erzwang einen späteren vögel auf dem See beobachtet, nachdem die Alt- Brutbeginn, da See- und Teichrosenbestände im vögel infolge einer kurzzeitigen Vereisung den See Laufe der Vegetationsperiode erst heranwachsen bereits Ende November verlassen hatten (H. DÖRRIE, müssen (ebd.). Möglicherweise kommt hinzu, dass pers. Mitt.). im Frühsommer noch keine ausreichende Nah- rungsbasis besteht (U. MARXMEIER, pers. Mitt.). Auf der Bodenentnahme südlich Gummern (Land- kreis Lüchow-Dannenberg) begann ein Paar im Auch die Haubentaucherpopulation am Steinhuder Juni mit dem Nestbau in flutenden Wasserpflanzen, Meer ist seit Jahren gekennzeichnet durch späten am 14. August wurden zwei Jungvögel beobachtet, Brutbeginn, nur in wenigen Fällen werden Nestbau die beide Ende September flügge wurden (H.-J. oder brütende Vögel schon im April festgestellt (K.- KELM, pers. Mitt.). Auf dem Baggersee Ahausen H. NAGEL, pers. Mitt.). Erst Ende Mai bzw. Anfang (Landkreis Verden) wurden 3 Juv. noch im Oktober Juni beginnt die Mehrzahl der Paare mit dem Nestbau, festgestellt (T. KUPPEL, pers. Mitt.). Auf Teichen führende Familien werden ab Ende Juni, verstärkt nördlich Tündern (Landkreis Hameln-Pyrmont) ab Mitte Juli beobachtet. Nicht wenige Jungvögel wurde Ende Juli eine Spätbrut mit Schwimmnest schlüpfen erst Mitte/Ende August. In diesen Fällen beobachtet, ein nichtflügger Pullus war noch am handelt es sich vermutlich entweder um Ersatzbruten 19. September 2014 anwesend (A. KREUSEL, pers. oder Spätbruten, eher nicht um Zweitbruten (ebd.) Mitt.). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 147

An der Weser wurden durch zwei Hochwasser im bezüglich ihres Sozialverhaltens zur Fortpflanzungs- Mai und Juni 2014 viele frühe Bruten zerstört (z.B. zeit. Während der Schwarzhalstaucher ein typischer Landkreis Nienburg, D. WESSEL, pers. Mitt.; Landkreis Koloniebrüter ist, verhalten sich Zwergtaucher zur Holzminden, V. KONRAD, S. BEYER, H. NIEHAUS, pers. Brutzeit ausgesprochen territorial. Haubentaucher Mitt.; Landkreis Verden, H.-J. WINTER, pers. Mitt.). und Rothalstaucher nehmen eine Mittelstellung ein: Sie verteidigen in der Regel über den unmit- Auf der Thülsfelder Talsperre (Landkreis Cloppenburg) telbaren Nestbereich deutlich hinausgehende Ter- wurden am 13. Juli. sieben Brutpaare mit 17 Juv. ritorien, können aber unter entsprechenden Um- beobachtet; am 07. September waren es 22 Brut- ständen auch in kleinen oder größeren Verbänden paare mit 32 Juv. (J. SCHNÖTKE). nisten (VLUG 2012). Koloniebruten im eigentlichen Sinne (BEZZEL & PRINZINGER 1990) sind beim Rothals- Hinweise auf Zweitbruten: Während Zweitbruten taucher selten, obwohl die Art nicht selten in grö- beim Haubentaucher in Großbritannien recht häufig ßeren Konzentrationen nistet (VLUG 2012). auftreten, gelten sie in Mitteleuropa als selten (BAUER & GLUTZ V. BLOTZHEIM 1966). Am Steinhuder Meer In Schleswig-Holstein brüteten in der zweiten Hälfte wurden Zweitbruten in den 1970er und 1980er des 20. Jahrhunderts etwa 10 bis 20 % des Hau- Jahren häufiger als heute beobachtet (K.-H. NAGEL, bentaucher-Landesbestandes kolonieartig (BERNDT pers. Mitt.). Infolge des in den letzten Jahren verzö- 1974, BERNDT et al. 2003). Mitunter werden sogar gerten Brutbeginns werden Zweitbruten insgesamt sehr große Kolonien nachgewiesen. Für Schles- unwahrscheinlicher (MARXMEIER et al. 2001). wig-Holstein sind bis zu 160 Paare in einer Kolonie bekannt, für die Niederlande und die Schweiz In der Region Hannover wurden 2014 zehn Zweit- sogar 300 bis 500 Paare (VLUG 2012). bruten nachgewiesen (F. HESSING, pers. Mitt.). Mit einer Ausnahme fanden alle Zweitbruten im Bereich In den 1980er Jahren und zu Beginn der 1990er der Stadt Hannover, der Stadt Langenhagen bzw. Jahre, als die Brutbestände des Haubentauchers Gemeinde Isernhagen statt, wo die Haubentaucher im Vergleich zur heutigen Situation sehr hoch deutlich früher mit der Brut begannen als im waren, brüteten auf dem Dümmer etwa 80 bis Umland. 90 % der Paare in Kolonien (LUDWIG et al. 1990). Heute hat sich die Situation bezüglich der Anzahl Weitere Nachweise von Zweitbruten gab es an der der Brutpaare und der besiedelten Nisthabitate Tonkuhle Eversten (Stadt Oldenburg; N. GRABOW), stark verändert, dennoch brüteten auch 2014 ca. an den Teichen im Westpark Braunschweig (U. 80 % der Paare zumindest „kolonieartig“ in be- RINAS), an den Kiesgruben im Landkreis Holzminden vorzugten Bereichen der Schwimmblattzone (U. (V. KONRAD, U. JÜRGENS), an der Alten Aller bei MARXMEIER, pers. Mitt.). Auch auf dem Seeburger Verden (R. MAARES) sowie am Blender See im Land- See und dem Steinhuder Meer wurden kleine Ko- kreis Rotenburg/W. (zwei Brutpaare mit zwei Zweit- lonien von wenigen Paaren beobachtet, in den bruten; R. MAARES). Hinweise auf Zweitbruten gab meisten anderen Gebieten war 2014 koloniales es auch auf den Teichen Anna Süd und Anna Nord Brüten eher die Ausnahme. bei Schöningen (Landkreis Helmstedt; K.-H. DORGE) sowie an einer Bodenentnahme nordöstlich Bütlingen Insgesamt liegt der Anteil der Koloniebrüter im (Landkreis Harburg; D. FRANKE, J. WÜBBENHORST). weiteren Sinne für den Haubentaucher mit 14 % in der für Schleswig-Holstein beschriebenen Grö- Bei einem der drei Schwarzhalstaucher-Brutpaare ßenordnung. im Guderhandviertel (Landkreis Stade) kam es mög- licherweise zu einer Schachtelbrut (G. SEEMANN). Größere Brutpaarzahlen des Schwarzhalstauchers stehen auch in der aktuellen Untersuchung immer 4.5 Vergesellschaftung, Kolonialität und Konkur- im Zusammenhang mit Brutkolonien, jedoch wurden renz auch zahlreiche einzeln brütende Paare festgestellt. Der Koloniebrüteranteil am Landesbestand 2014 Die vier in Niedersachsen und Bremen heimischen war mit 61,5 % für diese Art relativ gering. Lappentaucherarten unterscheiden sich deutlich 148 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

Schwarzhalstaucher brüten bevorzugt innerhalb Fall ist, kann der größere Rothalstaucher den Brut- oder in direkter Nachbarschaft von Laridenkolonien erfolg der kleineren Art deutlich mindern, wie dies (Lachmöwe, Sturmmöwe, Trauerseeschwalbe u. KOOP (1998) z.B. für die Lebrader Teiche in Schles- a.), wo sie vom Warnverhalten und der Verteidi- wig-Holstein beschrieb. gungsbereitschaft der Möwen und Seeschwalben gegen Prädatoren profitieren (VLUG 2012). Ein in Niedersachsen wohl einmaliges Beispiel für die Konkurrenz der drei Arten untereinander liefern Bei der Erschließung neuer Brutplätze in den Wie- die Süpplingenburger Teiche (Landkreis Helmstedt). dervernässungen der Hochmoore scheinen Lach- Wie oben beschrieben (s. Kap. 4.2.3), hat sich hier möwenkolonien eine besondere Rolle zu spielen. seit 2011 eine deutliche Verschiebung bei Lappen- In der Untersuchung der Jahre 1995 bis 2005 wur- taucherbeständen ergeben. Die neu eingewanderten den ausschließlich Bruten in Wiedervernässungs- Rothalstaucher bedrängten und attackierten die flächen gefunden, die auch von Lachmöwen be- Schwarzhalstaucher. In einem Fall konnte sogar siedelt waren (DEGEN 2006). Auch 2014 war dieser beobachtet werden, wie ein Rothalstaucher einen Zusammenhang sehr deutlich, allerdings gab es in Schwarzhalstaucher ertränkte (K.-H. DORGE, pers. Einzelfällen auch Schwarzhalstaucher-Bruten in Mitt.). Als sich die Rothalstaucher etabliert hatten, Hochmooren ohne Lachmöwenvorkommen (z. B. traten die ersten Haubentaucher auf, die mit zu- Goldenstedter/Barnstorfer Moor, Rühler Moor, nehmender Brutpaarzahl in immer stärkeren Konflikt Bülter See, Neustädter Moor). Mitunter brüten mit den Rothalstauchern gerieten. 2014 wurden auch mehrere Paare erfolgreich in Gebieten ohne fünf bis sechs Nistplattformen der Rothalstaucher, Lachmöwen. Die größte Ansammlung von Brut- die z. T. schon fest brüteten, so lange von Hau- paaren ohne Lachmöwen-Nachbarschaft gab es bentauchern attackiert, bis diese Nistplätze von an den Üfinger Klärteichen. Die sechs Brutpaare den Rothalstauchern aufgegeben und schließlich blieben erfolglos, allerdings war hier nicht Prädation von den Haubentauchern besetzt wurden. Die die Ursache, sondern ein Wasserstandsanstieg nach zuletzt deutlich geringere Reproduktionsrate der Starkregen (U. RINAS, H. SCHMIDT). Rothalstaucher ist vermutlich auf diese Auseinan- dersetzungen zurückzuführen (ebd.). Die interspezifische Konkurrenz zwischen den Lap- pentaucherarten ist mehrfach beschrieben worden Vereinzelt wurde auch von Nistplatzkonkurrenz (VLUG 1993, KOOP 1998, VLUG 2005). Der Hauben- zwischen Lappentauchern und anderen Wasservo- taucher besiedelt vorzugsweise größere und tiefere gelarten berichtet. Ein Schwarzhalstaucher-Nest auf Gewässer als der Rothalstaucher und fehlt daher den Klärteichen Lehrte wurde anschließend von ei- meist an typischen Rothalstaucher-Gewässern (VLUG nem Blässhuhn überbaut (F.-D. BUSCH). Ein Rothals- 1993). Auch auf vielen Brutgewässern des Schwarz- taucherpaar auf den Polderteichen Wietzendorf halstauchers, v. a. in den Hochmoor-Wiedervernäs- brütete dagegen erfolgreich in nur etwa 10 Metern sungen, fehlt der Haubentaucher als Brutvogel. Wo Entfernung von einem Blässhuhnnest (N. MOLZAHN). beide Arten gemeinsam vorkommen, sind sie durch unterschiedliche Nahrung und ggf. auch durch un- Am Ilkerbruchsee und am Neuen Teich (Wolfsburg) terschiedliche Nistplatzwahl ökologisch deutlich ge- wurde Nistplatzkonkurrenz zwischen Haubentau- trennt (KOOP 1998). Wo allerdings Haubentaucher chern und individuenstarken Grauganspopulationen zunehmend in der Schwimmblattzone bzw. auf festgestellt (H.-J. KALISCH). An den Schöppenstedter Wasserpflanzenteppichen oder auf anderen schwim- Teichen wurden drei besetzte Nester des Hauben- menden Inseln, z. B. Nistflößen, brüten, kann sich tauchers am Schilfrand und auf einem Floß von eine stärkere Nistplatzkonkurrenz entwickeln. Höckerschwänen zerstört (R. JÜRGENS).

Die stärkste Konkurrenzsituation besteht aufgrund Auch die aus Nordamerika stammende, durch Aus- einer sich prinzipiell überlappenden Nahrungs- und setzung von Haltungstieren inzwischen in Deutsch- Habitatwahl vermutlich zwischen Rothals- und land vielerorts wild vorkommende Rotwangen- Schwarzhalstaucher (KOOP 1998). Zwar kommen Schmuckschildkröte Trachemys scripta elegans in Niedersachsen nur auf wenigen Gewässern kann Haubentaucher von ihren Nistplätzen vertreiben beide Arten gemeinsam vor, wo dies jedoch der (P. BECKER, pers. Mitt.). Die Rolle der in Ostnieder- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 149

sachsen inzwischen sehr häufigen Nutria Myocastor Beseitigung, Wellenschlag und Hypertrophierung. coypus ist noch ungeklärt. Eine Verdrängung brü- Darüber hinaus wurden lokale Rückgänge ehemals tender Wasservögel aus den Uferbereichen durch bedeutender Populationen wie z.B. am Zwischen- hohe Nutria-Bestände ist anzunehmen. ahner Meer oft durch eine Zunahme des Publi- kums- und Bootsverkehrs und damit verbundene 4.6 Faktoren der Bestandsentwicklung, Beeinträch- Störungen sowie eine überstarke Befischung der tigungen und Gefährdungsursachen Gewässer verursacht (MORITZ & KRÜGER 2011; zit. nach KRÜGER et al. 2014). In Schleswig-Holstein Wesentlicher Faktor für den Haubentaucherbestand lassen unerklärliche Bestandsrückgänge und fehlende ist die Verfügbarkeit kleiner bis mittelgroßer Fische Bruterfolge an einer Reihe von Brutplätzen eine (10 bis 15 cm, max. bis ca. 25 cm Länge). Be- gezielte Verfolgung durch Angler und Fischer ver- standszunahmen an lange bestehenden Gewässern muten (KOOP & BERNDT 2014). waren fast immer durch Erhöhung des Nährstoff - eintrages und dadurch zumindest anfänglich besseres Die Ursachen für den deutlichen Bestandsrückgang Nahrungsangebot bedingt (BAUER et al. 2005). in Mecklenburg-Vorpommern seit Beginn der 1980er Jahre sind nicht geklärt. Allgemein werden aber Als klassisches Beispiel für die Auswirkungen der der starke Rückgang von Schilfröhrichten und der Eutrophierung kann in Niedersachsen der Dümmer gewachsene Freizeitdruck auf die Gewässer als dienen. Eine starke Eutrophierung des ursprünglich Rückgangsursachen angesehen (VÖKLER 2014). Da- eher mesotrophen Gewässers (Vorkommen von rüber hinaus kommen u. a. die zunehmende Prä- Armleuchteralgen Characeen) und entgegen dem dation (v. a. durch Neozoen wie Mink Neovison natürlichen Jahresgang regulierte Wasserstände ab vison und Waschbär Procyon lotor) und die einge- den 1950er Jahren bewirkten zunächst eine deutliche schränkte Nahrungsverfügbarkeit (Gewässertrübung Zunahme der piscivoren Arten (LUDWIG et al. 1990). durch starkes Algenwachstum) als Rückgangsgründe Große Bestände kleinwüchsiger Weißfische boten in Frage. Ende der 1980er Jahre Haubentauchern und anderen Fischfressern ein hervorragendes Nah- In Brandenburg gelten Schwarzhals- und Rothals- rungsangebot, eingeschränkt wohl nur durch die taucher als vom Aussterben bedroht, der Hauben- starke Trübung des Wassers (MARXMEIER & KÖRNER taucher wird auf der Vorwarnliste geführt (Tab. 1- 2009). Diese Situation blieb im Wesentlichen bis in 3). Für alle drei Arten wird im durch relativ konti- die 1990er Jahre erhalten, allerdings kam es nun nentales Klima geprägten Brandenburg die be- jahrweise zu starken Schwankungen der Nah- schleunigte Austrocknung und Verlandung von rungsverfügbarkeit, möglicherweise verursacht Brutgewässern durch Grundwasserabsenkung, Ent- durch erhöhte Fischsterblichkeit in kalten Wintern wässerung und überdurchschnittliche Temperaturen oder fehlende Ablaichmöglichkeiten im Frühjahr. als wesentlicher Gefährdungsfaktor genannt. Au- Die Klarwasserphase im Jahr 2000 markierte einen ßerdem führt das Abpumpen von Vernässungsflächen Wendepunkt, der wohl in erster Linie mit der dras- zu erheblichen Brutverlusten (RYSLAVY et al. 2011). tischen Abnahme des Weißfischbestandes zusam- menhing (ebd.). Seitdem schwankt der Dümmer Die Gefährdungsursachen für Rothals- und Schwarz- zwischen Klarwasserphasen mit Wachstum der halstaucher in Niedersachsen hat DEGEN (2006) Unterwasserpflanzen und der Benthosfauna und ausführlich dargestellt. Aufgrund ihrer relativ kleinen Trübwasserphasen mit Massenentwicklung des Bestände können für diese Arten Veränderungen Phytoplanktons und offenbar geringem Jungfisch- oder Störungen in einzelnen Gebieten erhebliche anteil (MARXMEIER, pers. Mitt.). In letzteren kam es und nachhaltige Wirkungen auf den Gesamtbestand wiederholt (zuletzt 2016) zum völligen Verschwinden haben. Dies gilt aktuell besonders für den Rothals- des Haubentauchers als Brutvogel. taucher, dessen Landesbestand nach wie vor sehr klein ist und der zudem überwiegend außerhalb BAUER et al. (2005) nennen einen Mangel an ge- von Schutzgebieten brütet (s. Kap. 3.3, Tab. 8). eigneten ungestörten Nistplätzen als Grund für hohe Nichtbrüteranteile, außerdem den Verlust Der Verlust der Ufer- und Unterwasservegetation von Ufervegetation (v. a. der Schilfbestände) durch stellt für beide Arten eine große Gefährdung dar. 150 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

Die Entschlammung von Fischteichen zur Brutzeit Schilfrohrs (KLÖTZLI 1982). Stark erhöhter Nährstof- kann zu Brutverlusten führen, eine zu starke Ufer- feintrag kann schließlich auch zum Verschwinden unterhaltung mit weitgehender Entfernung der des Wasserschwadens führen (MEIER-PEITHMANN Vegetation führt zum Verschwinden von Nistgele- 2008, 2009, 2011). genheiten. Zudem kann eine intensive Fischwirtschaft mit hoher Besatzdichte von Karpfen und anderen Im Zuge der landesweiten Tauchererfassung 2014 Cypriniden die Bestandsdichte und den Bruterfolg wurde Verbiss durch Wasservögel (v. a. Graugans) von Rothalstauchern beeinträchtigen (VLUG 2000). als limitierender Faktor des Brutplatzangebots für den Haubentaucher vor allem aus dem Raum 4.6.1 Habitatveränderungen Wolfsburg berichtet (Ilkerbruchsee, Alter Teich Wolfsburg; H.-J. KALISCH). Im Wendesser Moor Der drastische Rückgang der Schilfgürtel ist seit führt die Schädigung der Schwimmpflanzenvege- Jahrzehnten an vielen mitteleuropäischen Seen ein tation durch die Graugänse inzwischen auch dazu, bekanntes Phänomen (OSTENDORP 1989, LUDWIG et dass die Rothalstaucher kaum noch Möglichkeiten al. 1990, VAN DER PUTTEN 1997, BRIX 1999). Die finden, ihre Schwimmnester zu verankern. Die wichtigsten Faktoren, die zum „Schilfsterben“ füh- Nester werden daher z. T. in überhängenden Wei- ren, sind offenbar neben der direkten Zerstörung denzweigen am Ufer befestigt, wo sie aber bei durch menschliche Ufernutzung sedimentchemische Unwettern (Sturm) stark gefährdet sind (P. BECKER, Änderungen im Zusammenhang mit der Eutro- pers. Mitt., LAMPRECHT 2005). phierung, mechanische Belastungen durch Wel- lengang und Treibgut, Fraßdruck von Wasservögeln, Die Graugans hat in Niedersachsen seit den 1980er Bisamratte und Nutria, und schließlich auch Ver- Jahren und noch einmal verstärkt seit der Jahrtau- änderungen im hydrologischen Regime, beispiels- sendwende sowohl als Brut- als auch als Gastvogel weise künstliche Seespiegelmanipulationen oder ihren Bestand vervielfacht. Der Schwerpunkt der natürliche Hochwasserereignisse (SCHMIEDER et al. Brutverbreitung liegt in den naturräumlichen Re- 2002). Vor allem der fehlenden oder zu geringen gionen Watten und Marschen (v. a. Untere Ems, Wasserstandsdynamik kommt nach neueren Un- Unterweser und Hunte), Lüneburger Heide und tersuchungen offenbar vielerorts eine Schlüsselrolle Wendland (v. a. Mittelelbe) sowie im Weser-Aller- zu. Ein konstant hoch eingestellter Wasserstand Flachland und den Börden, außerdem am Dümmer verhindert das Trockenfallen von Uferbereichen im und in der Diepholzer Moorniederung (KRÜGER et Sommer, eine Rückeroberung von Seeboden über al. 2014). Der Bestand wurde für 2005 bis 2008 Leghalme entfällt, auch eine Neuansiedlung auf auf etwa 4.500 Paare geschätzt, hat sich seitdem trockenfallendem Rohboden ist so nicht mehr mög- aber erneut deutlich erhöht (KRUCKENBERG in Vorb.). lich. Gleichzeitig bleiben jedoch erosive Kräfte be- stehen und tragen nach und nach Uferbereiche Auch die Nutria hat sich zumindest im östlichen mit Schilfrhizomen ab (JENSEN et al. 2010). Der Niedersachsen vermutlich aufgrund zuletzt milder Dümmer beispielsweise wird im Sommer für den Winter stark vermehrt. Im Jagdjahr 2014 wurden Segelbetrieb angestaut, seit 2009 noch einmal um in Niedersachsen etwa 7.500 Nutrias erlegt (GRÄBER 10 cm höher als in früheren Jahren (U. MARXMEIER, et al. 2015), deutlich mehr als 2013 (etwa 4.500) pers. Mitt.). Dies verhindert nicht nur die Etablierung und mehr als 8-mal so viele wie 2002. Im Osten neuer Schilfflächen, sondern führt auch immer Niedersachsens wird der Bisam Ondatra zibethicus wieder zu Flächenverlusten in Verlandungszonen zunehmend von der Nutria verdrängt (ebd.). Auch im Süden des Sees (Abreißen von aufschwimmenden am Dümmer und in den umliegenden Wiesenge- Röhrichtinseln im Niedermoorbereich). bieten ist die Nutria inzwischen regelmäßig anzu- treffen (U. MARXMEIER pers. Mitt.). Die Eutrophierung fördert nährstoffliebende Arten wie Rohrkolben Typha latifolia, stellenweise T. an- SÜDBECK & OLDEKOP (1999) diskutieren die Rolle der gustifolia und Wasserschwaden Glyceria maxima, Hypertrophierung von Gewässern für den Rothals- die in die Schilfbestände einwandern und diese taucher. Solche Gewässer weisen meist eine starke stellenweise ersetzen (LUDWIG et al. 1990). Gleich- Schwimmblattvegetation und/oder intensives Al- zeitig schwächt die Eutrophierung die Vitalität des genwachstum auf, wodurch die Unterwasserflora, Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 151

die als Lebensraum für die wirbellosen Nahrungstiere veranstaltungen im Uferbereich etc.. Besonders be- der Art von Bedeutung ist, stark zurückgeht. Gleich- troffen sind meist siedlungsnahe Abbaugewässer. zeitig bildet sich am Gewässerboden häufig eine mächtige Faulschlammschicht. In natürlichen Ge- In vielen Fällen waren Brutverluste oder fehlende wässern mit stark schwankenden Wasserständen Besiedlung wahrscheinlich auf derartige Störungen (natürlichen Flachseen, Überflutungsrinnen, kleinen zurückzuführen (V. KoNRAD, J. WESTING, H. SCHMEDES, Tümpeln etc.) sowie in Fischteichen kommt es P. KUNZE, J. NOTHDURFT, K. HELLMANN, F. BACHMANN, B. nicht zur Faulschlammbildung, da der Schlamm HERMENAU, K.-M. ARNOLD u. a.). durch das Austrocknen (bei Niedrigwasser bzw. beim Ablassen der Teiche) regelmäßig oxidiert und 4.6.3 Prädation organisch umgesetzt wird. Dies könnte der Grund für die Bevorzugung von Fischteichen durch den Zahlreiche Prädatoren kommen für Verluste von Rothalstaucher sein. Eiern und Jungvögeln bei Tauchern in Frage, auch die Altvögel können gelegentlich Opfer größerer 4.6.2 Störungen Prädatoren werden.

Haubentaucher können durch Störungen zur Brut- Am Seeburger See werden seit Jahren hohe Ver- platzaufgabe bewegt werden, aber unter bestimm- lustraten bei den frühen Bruten der Haubentaucher ten Umständen auch sehr vertraut werden und an im Schilfgürtel festgestellt. Hauptverursacher sind viel besuchten Gewässerufern brüten. Für den See- hier vermutlich Rabenkrähe Corvus corone und burger See beschreibt T. MEINEKE (pers. Mitt.), dass Waschbär Procyon lotor, daneben auch Marderhund es hier Anfang der 1970er Jahre aufgrund von Nyctereutes procyonoides und Fuchs Vulpes vulpes Verfolgung (Abschuss wegen Fischbewirtschaftung) (T. MEINEKE, pers. Mitt.). Der Waschbär erreicht nur wenige Haubentaucher-Brutpaare gab, die schwimmend mindestens 10 Meter vom Ufer ent- eine hohe Fluchtdistanz (mindestens 200 m) ein- fernte Nester (ebd.). Das in den letzten Jahren ver- hielten und nur in unzugänglichen Uferbereichen stärkt beobachtete späte (und überwiegend er- brüteten. Nach dem Ende der Bejagung entwickelte folgreiche) Brüten in der Schwimmblattzone kann sich eine zunehmende Vertrautheit und damit ver- als Strategie zur Prädationsvermeidung gedeutet bunden auch eine Nutzung der von Ausflüglern werden, da solche Nester von Prädatoren wie und Badegästen viel besuchten (und anfangs von Waschbär und Marderhund kaum erreicht werden Prädatoren gemiedenen) Gewässerabschnitte. Heute können (H. DÖRRIE, pers. Mitt.). sind die Haubentaucher am Seeburger See „eine Institution für alle Besucher und entsprechend zu- Gelegeverluste von Haubentauchern aufgrund traulich“ (F.-J. LANGE, pers. Mitt.). hoher Waschbär-Populationen wurden u. a. auch von den Schöppenstedter Teichen (R. JÜRGENS), vom Einige Bereiche des Steinhuder Meeres sind extrem Ilkerbruchsee (H.-J. KALISCH) und von den Kiesteichen stark von Tourismus, Badebetrieb und Wassersport Isingerode (J. HEUER) gemeldet. frequentiert, z. B. Teile des Nordufers und die Ba- deinsel in Steinhude. Aufgrund der Zunahme der Der ursprünglich aus Pelztierfarmen entwichene Wassersportaktivitäten in den Sommermonaten Mink Neovison vison f. domestica kommt inzwischen besonders in der Osthälfte des Sees ziehen sich in fast allen Bundesländern vor, das Hauptverbrei- die Haubentaucher an das Westufer zurück. An- tungsgebiet liegt derzeit in Sachsen-Anhalt, Bran- dererseits wurden 2014 wie auch schon in früheren denburg und Mecklenburg-Vorpommern (GRÄBER Jahren brütende Haubentaucher gelegentlich direkt et al. 2015). Die Ausbreitung bekam 2007 nochmals an der Promenade oder zwischen Bootsstegen re- einen deutlichen Schub, als im Landkreis Jerichower gistriert (K.-H. NAGEL, pers. Mitt.). Land (Sachsen-Anhalt) ca. 15.000 Minke einer Pelztierfarm von Unbekannten freigelassen wurden. An zahlreichen Haubentaucher-Brutgewässern wur- Einige tausend Tiere konnten in den darauffolgenden den 2014 vielfältige Störungen notiert: Angelnutzung, Tagen wieder eingefangen werden, die übrigen Naherholung (Baden, Hunde, Modellbootfahren, verteilten sich in der Landschaft (ebd.). Über die Grillparties, …), Bootsverkehr, Quadfahrer, Sport- aktuelle Verbreitung in Niedersachsen ist wenig 152 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

bekannt, besonders häufig dürfte der Mink in den Die aktuelle Verbreitung des Haubentauchers in östlichen, an Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Niedersachsen (Abb. 1) zeigt, dass die mittlere Elb- Mecklenburg-Vorpommern angrenzenden Land- talaue im Vergleich zu anderen Flusstälern aktuell kreisen (besonders in Lüchow-Dannenberg und nur sehr dünn besiedelt ist. Im Vergleich zur Ade- Lüneburg, aber auch in Uelzen, Gifhorn, Wolfsburg bar-Kartierung (KRÜGER et al. 2014) hat sich die und Helmstedt) sein. Die Jagdstrecke in Nieder- Rasterfrequenz erheblich verringert. Zwischen 2001 sachsen ist bisher gering (2014 20 Tiere) und (MARXMEIER unveröff.) und 2014 hat die Zahl der bietet kein repräsentatives Bild. Haubentaucher-Brutpaare in den ostniedersächsi- schen Kreisen Lüneburg, Uelzen und Lüchow-Dan- Der Mink ist ein Nahrungsopportunist, der neben nenberg um 72 % abgenommen. 2016 wurden Fischen auch zahlreiche Säuger, Vögel, Amphibien im Kreis Lüchow-Dannenberg nur noch zwei er- und Insekten verzehrt (BORKENHAGEN 2011). Da er folgreiche Bruten bekannt (H.-J. KELM, pers. Mitt.). ebenso wie der Haubentaucher Fische bis zu 15 Auch bei anderen Wasservogelarten (Enten, Höck- cm Länge bevorzugt (ebd.), ist eine Nahrungskon- erschwan, Graugans) wurden in den letzten Jahren kurrenz möglich. Vom Plöner Stadtsee (Schleswig- an der Mittelelbe auffallend geringe Bruterfolge Holstein) sind adulte Haubentaucher als Beute des beobachtet. Minks mehrfach belegt (ebd.). Möglicherweise ist diese Entwicklung auf einen Vielerorts dürfte sich außerdem ein hoher Schwarz- Prädationsdruck durch die Neozoen unter den Prä- wildbestand negativ auswirken, da das Schwarzwild datoren zurückzuführen. Sowohl Waschbär und sich gerne im Schilf aufhält (z. B. Barnbruch bei Marderhund als auch (vermutlich) Mink haben Wolfsburg, H.-J. KALISCH). ihren niedersächsischen Verbreitungsschwerpunkt in Lüchow-Dannenberg, der Marderhund zusätzlich An den Leiferder Teichen, bis vor etwa 10 Jahren in Lüneburg, Uelzen, Gifhorn und Wolfsburg, der noch eines der wichtigsten Brutgebiete für den Rot- Waschbär zusätzlich in Südniedersachsen (Göttingen, halstaucher in Niedersachsen, wurden 2014 im ge- Northeim, Helmstedt; GRÄBER et al. 2015). Auch samten Untersuchungszeitraum keine Taucher be- die möglicherweise (durch Schilfverbiss und Störung) obachtet, auch andere Wasservögel sind hier selten den Haubentaucher aus dem Schilfröhricht als geworden. Als Ursache wird die ständige Anwesenheit Nisthabitat verdrängende Nutria kommt vor allem eines Seeadlerpaares Haliaeetus albicilla vermutet im Osten Niedersachsen vor und hat zuletzt deutlich (W. OLDEKOP). Auf die dauerhafte Jagdaktivität eines zugenommen. lokalen Seeadlerpaares weist H.-J. KALISCH auch für den Ilkerbruchsee und den Düpenteich (Barnbruch, Darüber hinaus hat auch der Seeadler einen Ver- Wolfsburg) hin, auf beiden Gewässern blieb der breitungsschwerpunkt an der Mittelelbe. Haubentaucher 2014 ohne Bruterfolg. 4.6.4 Weitere Ursachen Während der Ansiedlung einer großen Schwarz- halstaucher-Kolonie auf dem Alfsee 2011 führte Häufige Ursache für Gelegeverluste sind Hochwasser eine Rohrweihe Circus aeruginosus hohe Verluste nach Starkregenereignissen. Sechs Nester des (an Gelegen und Jungvögeln) herbei (FLORE 2011). Schwarzhalstauchers wurden an den Klärteichen Auf den Ostfriesischen Inseln werden Haubentau- Üfingen 2014 durch Starkregen und nachfolgenden cherküken regelmäßig von Silbermöwen Larus ar- Wasseranstieg zerstört (U. RINAS, R. MAYEN, H. gentatus erbeutet (M. TEMME, pers. Mitt.). An den SCHMIDT). Polderteichen Wietzendorf wurden 2014 alle drei Jungvögel des dortigen Rothalstaucher-Brutpaares An der Weser kam es im Mai und Juni 2014 prädiert, möglicherweise durch eine Schleiereule zweimal zu Hochwassern, durch die viele frühe (N. MOLZAHN, T. HELLBERG). Haubentaucherbruten zerstört wurden (Kap. 4.4). Andererseits kann auch das Trockenfallen von Nes- Schwer zu bewerten, da vermutlich fast immer tern bei sehr niedrigen Wasserständen die Bruten unbemerkt, ist das Ausmaß von Jungvogelverlusten gefährden. durch Hechte Esox lucius und Welse Silurus glanis. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 153

Auch am Gartower See (Lüchow-Dannenberg) kam in wiedervernässten Hochmooren erreicht wurde. es 2014 zu einer späten Brut am 12. Juni nach Die meisten dieser (Moorgewässer-)Vorkommen vorherigem Brutverlust durch Wasseranstieg (H.-J. liegen innerhalb von Natura 2000-Gebieten, insge- KELM, pers. Mitt.). samt trifft das für immerhin zwei Drittel der Schwarz- halstaucher-Vorkommen in Niedersachsen zu. Wie Schwimmnester, aber auch in Weidenzweigen am dauerhaft diese Vorkommen sein werden, ist fraglich, Ufer befestigte Nester können leicht durch Stürme da es auch in den Wiedervernässungsflächen wie zerstört werden (z. B. Schwimmnest des Schwarz- auf den meisten anderen besiedelten Gewässern halstauchers auf dem Alfsee, J. CHRISTIANSEN). zu starken Bestandsschwankungen, Brutplatzauf- gaben und spontanen Neubesiedlungen kommt, 4.7 Erhaltungszustand, Schutz- und Entwicklungs- wie es für diese Art typisch ist. Die anthropogenen maßnahmen Beeinträchtigungen sind (abgesehen von den Nähr- stoffeinträgen, die aktuell z.B. den Dümmer und Der Rothalstaucher gilt aktuell in Niedersachsen das Steinhuder Meer sehr stark zwischen verschie- (aufgrund des nach wie vor sehr geringen Bestandes) denen ökologischen Zuständen schwanken lassen) als gefährdet, Hauben- und Schwarzhalstaucher aufgrund der Konzentration in Schutzgebieten eher sind aktuell nicht gefährdet (KRÜGER & NIPKOW gering. Der Erhaltungszustand kann insgesamt wei- 2015). Alle drei Arten weisen über die letzten terhin als gut gelten. Verschiedene, auch mögliche Jahrzehnte eine positive, in jüngster Zeit aber lan- Zielkonflikte berücksichtigende Schutz-, Pflege- und desweit stagnierende Bestandsentwicklung auf. Entwicklungsmaßnahmen für Hochmoore haben BLÜML & SANDKÜHLER (2015) beschrieben. Die von DEGEN (2006) vorgenommene Einschätzung der Gefährdungsfaktoren und des Erhaltungszu- Der Haubentaucher ist in Niedersachsen mit etwa standes für Rothals- und Schwarzhalstaucher kann 1.400 bis 1.500 Brutpaaren und Vorkommen in als weiterhin gültig angesehen werden. allen Naturräumlichen Regionen eine weit verbreitete und relativ häufige Art mit langfristig positiver Be- Der Bestand des Rothalstauchers ist mit 25 Paaren standsentwicklung. Seit der Jahrtausendwende ist nach wie vor sehr klein, wobei die Lage Nieder- der Bestand vermutlich insgesamt stabil, wobei re- sachsens am Rand des geschlossenen Verbreitungs- gional sowohl zunehmende als auch abnehmende, gebietes zu berücksichtigen ist. Die aktuellen Be- stark schwankende oder etwa gleichbleibende Po- einträchtigungen an den Brutplätzen sind schwierig pulationen registriert werden. Zunahmen gab es zu bewerten, jedoch sind in den vergangenen 15 in den letzten Jahren vor allen in Gebieten mit bis 20 Jahren mehrere zuvor wichtige und langjährige vielen neu entstandenen Abbaugewässern und Vorkommen der Art aufgegeben worden (Leiferder Wasserrückhaltebecken, deutliche Abnahmen u. Teiche, Heerter See, Süpplingenburger Klärteiche, a. an den großen niedersächsischen Seen und im Mittelelbeniederung). Die Bruterfolge in den drei Nordosten. aktuell wichtigsten Vorkommensgebieten waren 2014 relativ niedrig, und mehr als zwei Drittel der Beeinträchtigungen gehen in vielen Brutgebieten Paare brüten aktuell auf Gewässern ohne jeglichen vom Rückgang der Schilfröhrichte und weiteren Gebietsschutz. Aus diesen Gründen muss der Er- Folgen der Hypertrophierung aus. Auf das Schilf- haltungszustand des Rothalstauchers weiterhin als sterben und wohl auch auf die erhöhte Prädation ungünstig bewertet werden. Für alle Rothalstau- in Uferbereichen hat der Haubentaucher vielerorts chervorkommen müssen, soweit noch nicht ge- mit einer zeitlichen und räumlichen Verlagerung schehen, Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaß- des Brutgeschehens (in den Sommer und auf nahmen durchgeführt werden. Schwimmpflanzen/Pflanzenteppiche auf dem of- fenen Wasser) reagiert. Dies zieht allerdings mög- Für den Schwarzhalstaucher gilt, dass das von licherweise eine stärkere Gefährdung der Nester BOHLEN & BURDORF (2005) formulierte Erhaltungsziel, durch die im Zuge des Klimawandels zunehmenden regelmäßig besetzte Brutkolonien und landesweit Sommer-Unwetter nach sich und ist außerdem insgesamt mindestens 100 Brutpaare zu etablieren, auch nicht auf allen Gewässern möglich. vor allem durch die neu entstandenen Brutplätze 154 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

Inwieweit zukünftig auch in Niedersachsen Grund- noldt, F. Bachmann, T. Barduhn, K. Beelte, D. Beh- wasserabsenkung und Wassermangel die Brutha- rendt, S. Beuger, S. Beyer, E. Blümel, V. Blüml, C. bitate der Taucherarten zumindest regional beein- Bobzin, M. Boekhoff, M. Bögershausen, L. Boldt, trächtigen werden, wie dies in Brandenburg bereits H. Bollmann, L. Bosman, T. Brandt, C. Bräuning, der Fall ist, bleibt abzuwarten. W. Brinkschröder, W. Bruns, F. Busch, F.-D. Busch, G. Busche, A. Büter, J. Christiansen, T. Chrost, G. Neben einer offenbar zunehmenden Prädation vor Dahms, A. Degen, J. Deichmann, E. Dense, C. Dib- allem durch Raubsäuger wirkt sich wahrscheinlich bern, V. Dierschke, K.-H. Dorge, H.-H. Dörrie, H. zumindest gebietsweise auch eine zunehmende Drebing, F. Dreyer, H. Düllberg, W. Eikhorst, J. Konkurrenz (und Habitatbeeinträchtigung) vor Eitner, M. Elscher, E. Ern, H. Feder, W. Fiebig, M. allem durch steigende Graugans- und Nutriabe- Fischer, J. Folger , K. Franz, W. Franz, L. Frye, C. stände negativ aus. Fuchs, K. Fuhrmann, E. Garve, K. Gerdes, A. Gie- senberg, N. Grabow, R. Gritzka, D. Gruber, T. Da ein Großteil der Haubentaucher auf Gewässern Hammer, U. Handke, F. Harms, J. Hartmann, S. ohne Gebietsschutz brütet, sind auch Störungen Hein, A. Heitmann, K. Hellmund, B. Hermenau, L. durch die allgemein zunehmende Freizeit- und Er- Hesselink, F. Hessing, J. Heuer, A. Hill, K. Hinsch, holungsnutzung der Gewässer und ihrer Ufer in M. Hintze, O. Hüppop, R. Jackmann, E. Jähme, A. Betracht zu ziehen. Jalass, C. Jansen, K. Jünemann, R. Jürgens, U. Jür- gens, H.-J. Kalisch, M. Kandolf, B. Kaune, W. Insgesamt ist der Erhaltungszustand des Hauben- Kellert, H.-J. Kelm, D. Kleinschmidt, H.-G. Klinger, tauchers in Niedersachsen und Bremen weiterhin F. Kloas, R. Knab, W. Könecke, V. Konrad, G. als gut zu bewerten, es sind jedoch Schutz-, Pfle- Kooiker, R. Köther, A. Kramer, A. Kreusel, H. Kru- ge- und Entwicklungsmaßnahmen auch außerhalb ckenberg, S. Krüger, J. Kühl, H.-W. Kuklik, P. Kunze, der Natura-2000-Gebiete notwendig. Da erfolg- T. Kuppel, K. Lampe-Dreyer, J. Lanfermann, F.-J. versprechende Strategien zur Rückdrängung nicht- Lange, H.-D. Lichtner, M. Lieber, J. Linhoff, K. heimischer Prädatoren bisher fehlen, kommt Maß- Löhmer, M. M. Meyer, R. Maares, U. Marxmeier, nahmen gegen den übermäßigen Nährstoffeintrag K. Matthias, H. Mätze, R. Mayen, D. Meier, W. in die Gewässer und zur Wiederherstellung möglichst Meier-Peithmann, H. Meinecke, T. Meineke, J. natürlicher Gewässermorphologien und hydrolo- Melter, W. Menke, U. Meyer, H. Möllmann, N. gischer Verhältnisse die größte Bedeutung zu. Molzahn, J.-H. Mülstegen, T. Münchenberg, T. Munk, K.-H. Nagel, K. Nährmann, F. Neumann, G. Niehaus, H. Niehaus, S. Nielsen, H. Nieske, J. Noth- 5 Danksagung durft, K. Obracay, T. Obracay, W. Oldekop, W. Ich danke der Staatlichen Vogelschutzwarte im Oppel, M. Otten, W. Paszkowski, B. Patrovski, S. NLWKN und der NOV für die Bereitstellung von Paul, K.-H. Penkert, T. Penkert, H. Petersen, C. Daten und die gute Zusammenarbeit. Ulrike Pielsticker, A. Pille, U. Pittius, V. K. Prueter, H. Marxmeier und Frank Körner überließen mir bisher Rahlfs, H. Rauls, H. Rebling, G. Reichert, U. Reimers, unveröffentlichte Daten zur Bestandsentwicklung I. Reincke, H. Reiner, J. Reißmann, M. Richter, U. des Haubentauchers auf dem Dümmer, wofür ich Rinas, A. Rinne, M. Risch , U. Ristig, J. Rösler, G. ihnen ganz besonders danke. T. Krüger, V. Blüml, Rotzoll, K.-H. Schepka, I. Scherber, A. Schiewe, B. U. Marxmeier und J.-J. Vlug danke ich für die kriti- Schiewe, J. Schlicht, H.-J. Schlosser, H. Schmedes, sche Durchsicht des Manuskriptes. F.-U. Schmidt, H. Schmidt, J. Schnötke, W. Schoenke, W. Schott, J. Schumann, R. Schumann, H. Schürstedt, Ohne die mitunter sehr zeitraubende Erfassungs- H. Schuster, G. Seemann, C. Siebner, C. Siems- und Auswertungsarbeit der nachfolgend genannten Wedhorn, E. Staffhorst, U. Stefener, P. Steffen, M. Avifaunisten und Beobachter wäre die Auswertung Steven, C. Stolz, R. Strewe, J.-H. Stuke, P. Südbeck, der landesweiten Erfassung nicht möglich gewesen. A. Sührig, H. Thiemann, J. Thiemann, K. Thye, H. Ihnen allen möchte ich für ihre Unterstützung Tiedemann, V. Tiemeyer, H.-M. Trautnitz, M. Trzoska, ganz herzlich danken: P. Velten, M. Viol, O. Vogel, H. Vollstaedt, U. Voß, S. Walke, H. Walkling, C. Walter, G. Walter, B. M. Akkermann, F. Allmer, H. Andretzke, H.-M. Ar- Waschkowski, M. Weinhold, B. Weißenborn, L. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 155

Wellmann, G. Wende, D. Wendt, J. Wermes, D. were detected outside protected areas and only Wessel, J. Westing, G. Weyer, J. Wildberger, T. 28 % within the Natura 2000 network and nature Willer, H.-J. Winter, R. Wynand, E. Zander, H. Zang. reserves, respectively.

6 Summary – Occurrence and distribution of Over two thirds of the current Black-necked Grebe Great Crested Grebe Podiceps cristatus, Red- population breeds inside conservation areas, mostly necked Grebe Podiceps grisegena and Black- the Natura 2000 network and nature reserves. necked Grebe Podiceps nigricollis in Lower Saxony in 2014 55 % of the Great Crested Grebes nested on artificial water bodies, which mainly were results In 2014, a statewide census on three species of of gravel mining in river valleys. The second largest grebe, Great Crested Grebe Podiceps cristatus, portion of breeding sites were those at natural Red-necked Grebe Podiceps grisegena and Black- lakes or ponds, and three fourths of those were necked Grebe Podiceps nigricollis was comissioned found at the shallow lakes Steinhuder Meer and by the Niedersächsische Ornithologische Vereinigung Dümmer. (NOV) and the Staatliche Vogelschutzwarte in the NLWKN in Lower Saxony and Bremen. The objectives Red-necked Grebes preferred settling ponds and were to evaluate breeding population size, distri- sewage farms, followed by fish ponds and excavation bution and dynamics based on recent data, to lakes. gauge conservation status and develope suggestions for possible supporting measures. The most important Black-necked Grebes' breeding sites were flooded areas in raised bogs formerly 1.312 breeding pairs of Great-crested Grebe, 25 used for peat extraction; in 2014, over half of all of Red-necked Grebe and 106 of Black-necked recorded breeding pairs were found in those. Grebe were recorded in 2014, with concentrations Sewage plants and settling ponds were markedly of distribution in the valleys of the rivers Ems, less significant and came third after natural lakes. Weser, Aller and Leine. In these regions, most nesting sites are located at artificial water bodies. Long-term population development for all three The largest concentrations of breeding pairs, ho- species in Lower Saxony is definitely positive. Ho- wever, were found in shallow lakes like Dümmer wever, recently numbers have stagnated. Those of and Steinhuder Meer, respectively. Great Crested Grebe and Red-necked Grebe since the 1990ies, and Black-necked Grebe population Red-necked Grebes mostly breed along the drainage since the mid-noughties. Locally, strong fluctuations area of the river Aller and its tributaries Örtze, of increases and declines were observed. Lachte, Innerste, Fuhse and Oker. Outside that area, in 2014 additional pairs could only be found The Lower Saxony population of the Red-necked close to Uelzen as well as in the coastal administrative Grebe is still small, however it has to be considered districts of Cuxhaven and Friesland. that Lower Saxony is at the brink of the species' range. Breeding success in 2014 was obviously Black-necked Grebes are still rare in Lower Saxony, low, and more than a third of the population is as well. Their distribution was concentrated in the nesting on unprotected sites, which is why the restored peat bogs of the Ostfriesisch-Oldenbur - species' conservation status must still be considered gische Geest and Ems-Hunte-Geest including the unfavourable. Dümmer Geestniederung. Black-necked Grebes are faring better, as they are Little more than half of the Great Crested Grebes able to claim new breeding habitat in re-flooded, bred in conservation areas, about 36 % of which drained raised bogs and occur mostly within the are Natura 2000 sites and nature reserves. Roughly Natura 2000 network. Population stability is ques- 47 % were located in unprotected regions. tionable however, as large fluctuation, nest predation and spontaneous resettlement are typical aspects 70 % of recent nesting sites of Red-necked Grebes, of their reproductive process. 156 WÜBBENHORST: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher, Rothalstaucher und Schwarzhalstaucher in Niedersachsen

There are many indications for high rates of lost BLÜML, V., A. DEGEN, C. KÖNIG, F. KÖRNER, U. MARXMEIER, H. clutches due to nest predation in all three species, REBLING, W. SCHOTT & B. THIEN (2012): Ornithologischer but especially in Red-necked and Great Crested Sammelbericht für das Emsland, Stadt und Landkreis Grebe. Additional impairments in many habitats Osnabrück sowie das Dümmer-Gebiet für die Jahre are dwindling reed beds and other effects of hy- 2008-2010. Osnabr. Nat.wiss. Mitt. 38: 9-110. pertrophy, furthermore, Great crested Grebes in at BOHLEN, M., & K. BURDORF (2005): Artspezifische Erhal- least some of their habitats suffer from ecological tungsziele und Kriterien zur Bewertung des Erhal- impacts and competition brought on by growing tungszustandes in EU-Vogelschutzgebieten. Manu- populations of greylag goose and nutria. skript. BORKENHAGEN, P. (2011): Die Säugetiere Schleswig-Hol- As promising strategies for reduction of invasive steins. Herausgegeben von der Faunistisch-Ökologi- predators and other neozoa are missing, measures schen Arbeitsgemeinschaft Schleswig-Holstein. Hu- such as counteracting hypertrophy and renaturation sum. of water body morphology and hydrology to a BRANDT, T. (2004): Im Spiegel ökologischer Veränderungen: more natural state are of the highest priority re- Spontanes Brüten des Schwarzhalstauchers (Podiceps garding the conservation of grebe populations. n. nigricollis) am Steinhuder Meer. Vogelkdl. Ber. Nie- dersachs. 36: 93-100. BRINKSCHRÖDER, W. (1986): Zum Vorkommen des Hauben- 7 Literatur tauchers (Podiceps cristatus) im westlichen Nieder- ANDRETZKE, H., T. SCHIKORE & K. SCHRÖDER (2005): Artsteck- sachsen. Osnabr. nat.wiss. Mitt. 12: 87-118. briefe. In: SÜDBECK, P. et al. (Hrsg., 2005): Methoden- BRINKSCHRÖDER, W., B. HÜLSMANN & W. SCHOTT (1990): Er- standards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands, gebnisse der Haubentaucher-Brutbestandserfassungen Radolfzell. 1984-1988 im westlichen Niedersachsen. Beitr. Nat.kd. BAUER, H.-G., & P. BERTHOLD (1996): Die Brutvögel Mittel- Niedersachs. 43: 23-27. europas. Bestand und Gefährdung. Wiesbaden. BRIX, H. (1999): The European Research Project on Reed BAUER, H.-G., BEZZEL, E., FIEDLER, W. (Hrsg.) (2005): Das Dieback and Progression (EUREED). Limnologica 29: Kompendium der Vögel Mitteleuropas – Alles über 5-10. Biologie, Gefährdung und Schutz, 2. Auflage. – Bd. 1 DEGEN, A. (2006): Rothals- (Podiceps grisegena) und (Nonpasseriformes - Nichtsperlingsvögel). Wiebels- Schwarzhalstaucher (P. nigricollis) in Niedersachsen: heim. Verbreitung, Brutbestand und Habitatwahl 1995-2005 BAUER, K. M., & U. N. GLUTZ VON BLOTZHEIM (1966): Hand- sowie Gefährdungsursachen, Schutz und Erhaltungs- buch der Vögel Mitteleuropas. Bd. 1, Gaviiformes- zustand. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 38: 1-24. Phoenicopteriformes. Frankfurt a.M. DEL HOYO, J., A. ELLIOTTT & J. SARGATAL (Hrsg., 1992): Hand- BERNDT, R. K. (1974): Haubentaucher Podiceps cristatus. book of the Birds of the World. Vol. 1. Lynx Edicions, In: R. K. BERNDT & D. DRENCKHAHN: Vogelwelt Schles- Barcelona. wig-Holsteins, Bd. 1: 68-88. Ornithologische Arbeits- DORNBUSCH, G., K. GEDEON, K. GEORGE, R. GNIELKA & B. NI- gemeinschaft für Schleswig-Holstein und Hamburg, COLAI (2004): Rote Liste der Vögel (Aves) des Landes Kiel. Sachsen-Anhalt. 2. Fassung, Stand Februar 2004. Ber. BERNDT, R. K., B. KOOP & B. STRUWE-JUHL (2003): Vogelwelt Landesamt. Umweltschutz Sachs.-Anhalt 39: 138-143. Schleswig-Holsteins, Bd. 5, Brutvogelatlas. Neumünster. FISCHER, S., & G. DORNBUSCH (2014): Bestandssituation aus- BEZZEL, E., & R. PRINZINGER (1990): Ornithologie. Stuttgart. gewählter Brutvogelarten in Sachsen-Anhalt – Jahres- BIRDLIFE INTERNATIONAL (2004): Birds in Europe: population bericht 2013. Ber. Landesamt. Umweltschutz Sachs.- estimates, trends and conservation status. Cambridge, Anhalt 6: 5-40. UK: BirdLife International. (BirdLife Conservation Series FJELDSÅ, J. (2004): The Grebes. Oxford University Press, No. 12). Oxford. BIRDLIFE INTERNATIONAL (2015): European red List of Birds. FLADE, M., & J. JEBRAM (1995): Die Vögel des Wolfsburger Luxembourg: Office for Official Publications of the Raumes im Spannungsfeld zwischen Industriestadt European Communities. und Natur. Wolfsburg. BLÜML. V., & K. SANDKÜHLER (2015): Bedeutung niedersäch- FLORE, B.-O. (2011): Schwarzhalstaucher Podiceps nigri- sischer Hochmoore für Brutvögel. Inf.dienst Nat.schutz collis am Alfsee: Brut- und Gastvögel an einem nord- Niedersachs. 35/3: 119-177. westdeutschen Flachsee mit Massenvorkommen von Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 157

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Verbreitung und Brutbestand der Uferschwalbe Riparia riparia in Niedersachsen und Bremen: Ergebnisse einer landesweiten Erfassung im Jahr 2015

Volker Dierschke

DIERSCHKE, V. (2017): Verbreitung und Brutbestand der Uferschwalbe Riparia riparia in Nieder- sachsen und Bremen: Ergebnisse einer landesweiten Erfassung im Jahr 2015. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45: 161-177.

Zur Brutzeit 2015 fand in ganz Niedersachsen und Bremen eine Brutbestandserfassung der Uferschwalbe statt. Von etwa 150 Vogelbeobachtern gingen Meldungen zu 300 besetzten Brutkolonien mit insgesamt 13.396 Brutpaaren ein. Da mindestens zwei Kolonien nicht ein- sehbar waren und vermutlich nicht alle als Brutplatz in Frage kommenden Gebiete kontrolliert wurden, sind diese Werte als Mindestbestand zu betrachten. DasVorkommen konzentrierte sich in der Ems-Hunte-Geest mit Dümmer-Geestniederung (35,4 % der Brutpaare) und in der Stader Geest (25,9 %), doch waren auch fast alle anderen Teile Niedersachsens besiedelt. Die Art fehlte dagegen im Harz und im Land Bremen.

Fast der gesamte Bestand war in Sand- und Kiesgruben oder anderen Bodenabbaugebieten zu finden, nur elf Kolonien (sieben an Flüssen, zwei an Prielen, zwei in Dünen, zusammen 3,7 % aller Kolonien) mit 112 Brutpaaren (0,8 % des Landesbestandes) entfielen auf natürliche Abbruchkanten. In neun EU-Vogelschutzgebieten befanden sich insgesamt 240 Brutpaare, und insgesamt brüteten nur 2,8 % des Landesbestandes in Schutzgebieten nach deutschem und/oder europäischem Recht. Die Anzahl durch Abbauarbeiten und Freizeitnutzung gestörter oder zerstörter Brutkolonien hielt sich den nur elf entsprechenden Meldungen zufolge in Grenzen, doch ist diesbezüglich mit einer höheren Dunkelziffer zu rechnen.

Seit der ersten niedersächsischen Uferschwalben-Erfassung im Jahr 1964 (14.400 Brutpaare) blieben die Ergebnisse vergleichbarer, in jeweils einem Jahr durchgeführter Zählungen leicht unter diesem Ausgangswert (1983: 12.574, 1992: 11.807, 2015: 13.396 Brutpaare), während eine aus mehreren Jahren aggregierte Bestandsangabe (ca. 2000: 15.800 Brutpaare) sowie aus Gitterfeldkartierungen hervorgegangene Werte (um 1985: 12.500, 2005-2008: 15.500 Brutpaare) teilweise höher lagen. In einem Zeitraum von über 50 Jahren hat es demzufolge keine dramatischen Bestandsveränderungen gegeben. Geringer geworden ist jedoch die An- zahl der Kolonien (1964: 450, 2015: 300) bei gleichzeitig steigendem Anteil großer Kolonien von mehr als 100 Paaren. Dies unterstreicht die Schutzbedürftigkeit der Art in den besiedelten Bodenabbaugebieten, auf deren rücksichtsvolle Bewirtschaftung und Nachnutzung Ufer- schwalben in Niedersachsen zwingend angewiesen sind.

V. D., Tönnhäuser Dorfstr. 20, D-21423 Winsen (Luhe), [email protected]

1 Einleitung seeküste, wo verschiedentlich geeignete Steilufer zur Anlage von Brutröhren zur Verfügung stehen Ebenso wie ihre nahen Verwandten Rauchschwalbe (KOOP & BERNDT 2014, VÖKLER 2014). In Niedersachsen Hirundo rustica und Mehlschwalbe Delichon urbicum fehlen solche Steilufer an den Küsten, so dass von ist die Uferschwalbe Riparia riparia heute hinsichtlich Natur aus nur Abbruchkanten an den Prallhängen ihrer Brutplätze in weiten Teilen Europas als Kul- von Fließgewässern als Brutplätze geeignet sind. turfolger anzusehen. Natürliche Brutvorkommen Im Zuge der Begradigung und Befestigung fast gibt es in Deutschland fast nur noch an der Ost- aller Flüsse sind solche Brutmöglichkeiten schon 162 DIERSCHKE: Verbreitung und Bestand der Uferschwalbe in Niedersachsen und Bremen

seit Jahrzehnten rar, doch fanden die Vögel in den Bestandsangaben lieferten (HECKENROTH & LASKE verschiedenen Bodenentnahmegebieten im Land 1997, KRÜGER et al. 2014), lässt sich die Entwicklung Ersatz. Häufigkeit und Verteilung von Uferschwal- des Brutbestandes gut verfolgen. Die Erfassung im benbruten spiegeln daher schon seit Ende des 19. Jahr 2015 diente daher auch dem Zweck, die Jahrhunderts zunehmend die Lage und Intensität aktuelle Verbreitung und Habitatwahl im Hinblick von Sand-, Kies-, Ton- und Kleiabbau wider (vgl. auf eine mögliche Gefährdung zu betrachten und Übersicht bei HECKENROTH & ZANG 2001). ggf. als Grundlage für Schutzmaßnahmen zu nut- zen. Die Nutzung von Bodenabbaugebieten als Brutplätze bietet der Uferschwalbe aber nicht nur Chancen, 2 Untersuchungsgebiet, Datenmaterial und sondern bringt mitunter auch Probleme mit sich. Methode In der Vergangenheit wurde wiederholt über Be- einträchtigungen durch Störungen oder sogar die In einem im März 2015 per E-Mail und Post an alle physische Schädigung von Brutkolonien in Abbau- Mitglieder der NOV verschickten Rundschreiben gebieten berichtet, sei es durch Aktivitäten im wurde zu einer Mitarbeit an der landesweiten Rahmen der Abbauprozesse selbst oder durch zu- Brutbestandserfassung aufgerufen. Sofern nicht sätzliche Nutzungen als Erholungsgebiet, z. B. ohnehin schon eine Beteiligung an der Erfassung durch Motorradfahrer, Badebetrieb und Spazier- bekannt gegeben worden war, wurden für jeden gänger mit Hunden (z. B. HECKENROTH 1983, HE- Landkreis in Niedersachsen sowie für Bremen lokale CKENROTH & WENDT 1994). Aufgrund solch „direkter, Koordinatoren gesucht, die vor Ort die Erfassung absehbarer menschlicher Einwirkungen“ stand die steuern oder zumindest für eine Mitarbeit unter Uferschwalbe in Niedersachsen und Bremen auf den Mitgliedern von ornithologischen Arbeitsgrup- der Vorwarnliste (KRÜGER & OLTMANNS 2007). Obwohl pen oder Naturschutzgruppen werben sollten. sie inzwischen als ungefährdet gilt (KRÜGER & NIPKOW Diesen Aufrufen wurde eine Kartieranleitung und 2015) ist sie hinsichtlich bestandsreduzierender ein Meldebogen beigefügt. Von vornherein wurde Faktoren im Auge zu behalten. allerdings darum gebeten, die erfassten Uferschwal- bendaten über das vom Dachverband Deutscher Zusammen mit der Konzentration auf Bodenab- Avifaunisten betriebene Internetportal ornitho.de baugebiete ermöglicht das Brüten in Kolonien eine zu melden. Tatsächlich gelangte ein Großteil der vergleichsweise einfache Erfassung des Gesamt- Informationen zu brütenden Uferschwalben über bestandes, wie es bei anderen Singvogelarten ornitho.de an den Verfasser, nur ein kleiner Teil kaum möglich ist. Bereits 1964 fand eine erste wurde ausschließlich auf Meldebögen oder formlos niedersachsenweite Brutbestandserfassung der gemeldet (Tab. 1), und nur sieben Sendungen Uferschwalbe statt (OELKE 1968), und nach 1983 wurden auf dem Postweg übermittelt. Insgesamt und 1992 (HECKENROTH & WENDT 1994) war im Jahr gingen von etwa 150 Personen Meldungen ein. 2015 unter Beteiligung zahlreicher Vogelbeobachter eine synchrone Erhebung in Niedersachsen und Der Aufruf zur Mitarbeit sah vor, aus Vorjahren Bremen möglich. Da zudem zwei Atlaskartierungen bekannte Brutplätze sowie in Frage kommende und eine Zusammenstellung von Einzelnachweisen Gebiete (vor allem Bodenentnahmestellen verschie-

Tab. 1: Meldewege für Uferschwalben-Vorkommen in 466 Gebieten (inklusive Negativmeldungen). – Methods used for supplying 2015 survey results of Sand Martins from 466 sites in Lower Saxony (including absence).

Meldeweg nur ornitho.de ornitho.de und ornitho.de und nur Meldebogen nur formlos Transfer of data only ornitho.de Meldebogen formlos only monitoring only informal ornitho.de and ornitho.de and form monitoring form informal Anzahl Gebietsmeldungen 373 31 4 35 24 Number of reported sites Anteil Gebietsmeldungen 80,2 % 6,7 % 0,9 % 7,5 % 5,2 % Percentage of reported sites Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 163

denster Art) zur Brutzeit, 100 vor allem aber im Zeitraum 90 20. Juni bis 10. Juli, zu kon- 80 trollieren. Bei Anwesenheit 70 von Uferschwalben sollten Steilwände als potenzielle 60 Neststandorte nach vorhan- 50 denen Brutröhren abgesucht 40 werden. Bei positiven Kon- 30 trollen wurde dann um eine 20 Zählung vorhandener Brut- röhren gebeten, die wie- Anteil besetzter Brutröhren (%) 10 derum auf den Grad der 0 Besetzung zu untersuchen 050100150200250300350400450500550600650 waren. Als besetzt hatten Anza hl Brutröhren angeflogene Röhren bzw. Abb. 1: Auftragung des Besetzungsgrades gegen die Anzahl von Brutröhren für solche mit sichtbaren Jung- Uferschwalben-Kolonien im Jahr 2015 in Niedersachsen (n = 191 Kolonien). – Rate vögeln zu gelten. Auf diese of occupancy plotted against the number of breeding holes in Lower Saxony in Weise sollte für jede aufge- 2015 (n = 191 colonies). fundene Brutkolonie die An- zahl besetzter Brutröhren ermittelt werden, die daraufhin mit der Anzahl der eine sehr gute Übereinstimmung der empfohlenen Brutpaare gleichgesetzt wurde. Korrekturfaktoren mit den tatsächlichen Beset- zungsgraden an, bei großen Kolonien könnte der Alternativ konnte auch nur die Anzahl vorhandener Korrekturfaktor dagegen etwas zu niedrig sein. Es Brutröhren gezählt werden, ohne auf deren Beset- sei aber darauf hingewiesen, dass speziellere Un- zungsgrad zu achten (was stellenweise aufgrund tersuchungen auch deutlich höhere Belegungsanteile der Beobachtungsbedingungen oder aus Zeitmangel gefunden haben (bei elf Kolonien im Landkreis nicht möglich war). Um nicht aus Vorjahren vor- Vechta 69,4 bis 88,2 %, insgesamt bei 1.641 handene Brutröhren fälschlicherweise als Brutpaare Röhren 78,9 %; LAUMANN 2013). zu werten, wurden Korrekturfaktoren nach SÜDBECK et al. (2005) angewandt, d. h. die Anzahl der Brut- röhren wurde bei 1 bis 50 Röhren mit 0,50, bei 51 3 Ergebnisse bis 120 Röhren mit 0,42 und bei >120 Röhren mit 3.1 Brutbestand 0,36 multipliziert. Bei der Angabe „überwiegender Teil der Röhren besetzt“ wurde ein Korrekturfaktor Im Rahmen der landesweiten Erfassung im Jahr von 0,60 benutzt. Auch wenn es hinsichtlich des 2015 wurden insgesamt 13.396 Bruten gemeldet. Besetzungsgrades starke Schwankungen unter den Das entspricht einer Siedlungsdichte von 0,28 Paa- Kolonien gibt (Abb. 1) und durch die Anwendung ren/km². Bei 11,4 % dieser Bruten wurde die der Korrekturfaktoren für einzelne Kolonien mög- Anzahl der Brutpaare aus der angegebenen Anzahl licherweise zu hohe oder zu niedrige Werte ange- von Brutröhren mit Korrekturfaktoren errechnet nommen werden, so erscheint das Vorgehen be- (s. Abschn. 2), bei allen anderen handelt es sich zogen auf den Gesamtbestand angemessen zu um Angaben zu besetzten Brutröhren von den sein. Im Jahr 2015 in Niedersachsen untersuchte Meldern selbst. Die Brutpaare verteilen sich auf Kolonien, für die sowohl die Anzahl der Röhren 300 Kolonien. Als je eine „Kolonie“ wurden dabei als auch die Anzahl der besetzten Röhren gemeldet auch 17 Einzelbruten gewertet. wurde, ergaben durchschnittliche Besetzungsgrade von 48,4 % (1 bis 50 Röhren, n = 95 Kolonien), Alle Brutkolonien wurden auf niedersächsischem 42,7 % (51 bis 120 Röhren, n = 54 Kolonien) und Gebiet gefunden, während aus dem Land Bremen 44,5 % (>120 Röhren, n = 42 Kolonien). Damit keine einzige Meldung auf eine Brut hinwies. Im deutet sich für kleine und mittelgroße Kolonien Folgenden ist daher zwar stets nur von Nieder- 164 DIERSCHKE: Verbreitung und Bestand der Uferschwalbe in Niedersachsen und Bremen

09080706 10 343332313029282726252423222120191817161514131211 35 zu 7° 8° 9° 10° 11° 21 Hamburg Mecklenburg- 21 Watten und Marschen Schleswig-Holstein Vorpommern 22 22 1 23 1 23

Hamburg 24 24

25 1 25

26 26 1 1 27 2 3 27 Branden- burg 28 28

29 5 29 53° 53° 30 30

31 Niederlande Tiefland-Ost 31

32 32 Tiefland-West 33 33

34 34 4 6 Sachsen-Anhalt 35 35

36 36

37 37 8.1 7 38 38 Nordrhein-Westfalen 39 4 39 52° 52° 40 Bergland mit 40 Börden 41 41

42 Anzahl Brutpaare 8.2 9 42 43 43

44 0 5 0 44 -2 00 1-1 -200 2 11 26-5 1-100 1 > 5 45 10 45 0 10 20 30 40 50 km 46 46

Hessen Thüringen Kartengrundlage:NLWKN/Peter Schader G. 7° 8° 9° 10° 11° 807 333231302928272625242322212019181716151413121110090 34

Abb. 2: Verbreitung der Uferschwalbe in Niedersachsen und Bremen 2015 nach Messtischblatt-Quadranten. – Breeding distribution of Sand Martin in Lower Saxony 2015.

sachsen die Rede, doch schließen die Aussagen schwalben brüteten in der Stader Geest sowie in auch das von Uferschwalben unbesiedelte Gebiet der Ems-Hunte-Geest mit Dümmer-Geestniederung, Bremens ein. Nach Landkreisen wurden die meisten wo zusammen fast zwei Drittel der Brutpaare ge- Brutpaare in Cuxhaven (1.183), Diepholz (1.157), funden wurden. Auch Teile der Ostfriesisch-Ol- Vechta (1.114) und Peine (1.052) gefunden. denburgischen Geest, der Lüneburger Heide und des Wendlandes sowie des Weser-Aller-Flachlandes 3.2 Verteilung nach naturräumlichen Regionen wiesen nennenswerte Vorkommen auf. In scharfem Kontrast zur Geest waren die Marschen entlang Mit Ausnahme des Harzes kamen Uferschwalben der Nordseeküste sowie der Unterläufe von Ems, im Jahr 2015 in allen naturräumlichen Regionen Weser und Elbe nahezu unbesiedelt. In Südnieder- Niedersachsens als Brutvogel vor (Abb. 2), wobei sachsen konzentrierten sich die vergleichsweise 228 von 1.678 Messtischblattvierteln (13,6 %) be- wenigen Vorkommen entlang der größeren Flüsse setzt waren. Zwischen diesen Regionen gab es je- mit Sand- und Kiesabbaugebieten. doch deutliche Unterschiede. Besonders viele Ufer- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 165

Watten und Marschen wurden nordöstlich von Kirchseelte (Lkr. Diepholz) gezählt, doch waren dort nur 203 Röhren besetzt. Dieser Naturraum stellte 2015 den kleinsten Anteil am niedersächsischen Brutvorkommen und wies Lüneburger Heide und Wendland mit 0,07 Paaren/km² eine geringe Siedlungsdichte auf. Neben einigen Bodenabbaustellen besonders Uferschwalben-Vorkommen existierten 2015 vor in Ostfriesland wurden mit je zwei Brutplätzen in allem im Norden und Westen der Lüneburger den Dünen von Norderney und an Prielen an der Heide, während insbesondere deren Südostteil nur Unterelbe gleich vier natürliche Abbruchkanten vereinzelte Brutplätze aufwies. Im Wendland be- von Uferschwalben besiedelt. fanden sich die Brutkolonien vor allem im zentralen Bereich. Aufgrund größerer Verbreitungslücken in Ostfriesisch-Oldenburgische Geest stark bewaldeten Bereichen lag die Siedlungsdichte mit 0,14 Paaren/km² im unteren Bereich. Innerhalb dieses Naturraums war die Verteilung recht ungleichmäßig. Die Brutkolonien waren vor Weser-Aller-Flachland allem in den etwas höher gelegenen Bereichen der Geest zwischen Oldenburg und Aurich sowie In weiten Teilen des Weser-Aller-Flachlandes fehlte im Raum Cloppenburg zufinden. Im Jahr 2015 be- die Uferschwalbe als Brutvogel, doch gab es eine trug die Siedlungsdichte 0,17 Paare/km². starke Konzentration von Brutkolonien zwischen Braunschweig und Peine. Zu nennen ist hier be- Stader Geest sonders eine große Kolonie bei Meine, in der 580 Röhren gezählt wurden, von denen jedoch nur Bezogen auf ihren Flächenanteil am Land Nieder- 110 besetzt waren. Mit sieben Brutplätzen an Aller sachsen war die Stader Geest 2015 der mit Abstand und Leine im Heidekreis beherbergt dieser Naturraum am dichtesten besiedelte Landesteil (0,64 Paare/km²). zudem das größte niedersächsische Vorkommen Besonders viele der insgesamt 78 Kolonien befanden an natürlichen Abbruchkanten. Die größte Kolonie sich entlang der Grenzen zu den Marschen entlang an der Aller bei Essel setzte sich aus 55 Brutpaaren von Unterweser bzw. Unterelbe, d. h. in den Geest- zusammen (Abb. 3). Trotz größerer Verbreitungs- randstreifen von Cuxhaven bis Osterholz-Scharmbeck und von Wingst bis Buxte- hude. Nach Südosten hin lockerte das Vorkommen deutlich auf.

Ems-Hunte-Geest und Dümmer-Geestniederung

Mit 0,55 Brutpaaren/km² war dieser Naturraum eben- falls relativ dicht besiedelt. Mit über 4.700 Brutpaaren wurde hier der größte Anteil am Gesamtbestand festge- stellt (Tab. 2). Nordwestlich von Visbek (Lkr. Vechta) be- fand sich zudem die größte Kolonie, in der 482 Brut- Abb. 3: Abbruchufer der Aller bei Essel (Heidekreis), mit 55 Brutpaaren im Jahr 2015 röhren gezählt wurden und der größte natürliche Brutplatz der Uferschwalbe in Niedersachsen. Foto: Frank- von denen etwa 400 besetzt Ulrich Schmidt. – Steep bank of the River Aller near Essel (Heidekreis), with 55 bree- waren. Noch mehr Röhren ding pairs the by far largest natural breeding site in Lower Saxony in 2015. 166 DIERSCHKE: Verbreitung und Bestand der Uferschwalbe in Niedersachsen und Bremen

lücken betrug die Siedlungs-

e dichte 0,31 Paare/km². r a a p t

u Börden r B

l 2,5 % 5,9 % 8,8 % 6,7 % 3,3 % 0,0 % i 25,9 % 35,4 % 11,5 % e t Percentage Percentage

n Obwohl weite Teile der Börden A of pairs breeding keine Uferschwalben-Bruten aufwiesen, lag die Siedlungs- dichte mit 0,26 Paaren/km² im e r

a mittleren Bereich. Dies ist in a p

t erster Linie einer Reihe von u r 0 B

– Breeding occurrence of Sand Martins Sand of occurrence Breeding – Brutkolonien im Leinetal zwi-

333 790 897 436 l 3.470 4.748 1.184 1.538 h Number Number

a schen Hannover und Gronau z

n im Landkreis Hildesheim zu ver- of breeding pairs of breeding A danken.

n Weser- und Leinebergland, e i

n Osnabrücker Hügelland o l o K

l i 5,3 % 7,3 % 6,3 % 5,7 % 0,0 %

26,0 % 24,7 % 14,7 % 10,0 % Im südniedersächsischen Berg- e t of colonies of Percentage Percentage n land wurden 2015 nur 17 Brut- A kolonien gefunden, in denen lediglich 3,3 % des Landesbe- n e i standes brüteten. Vier dieser n o l Kolonien entfielen auf das Os- o K 0

16 22 78 74 44 30 19 17

l nabrücker Hügelland, fast alle h -Vorkommen nach naturräumlichen Regionen. naturräumlichen nach -Vorkommen Number Number a anderen reihten sich entlang z of of colonies n

A der Flussläufe von Weser, Leine und Oker auf. Mit 0,06

e Paaren/km² war die Siedlungs- h c

ä dichte in diesem Naturraum l F

l

i noch niedriger als in den Mar- e 9,6 % 7,2 % 1,8 % t of of area 10,2 % 11,4 % 18,0 % 17,1 % 10,3 % 14,4 %

n schen. Percentage Percentage A Harz

] ² m k [

Im Harz kommt die Uferschwal- e 845 h Area 4.899 4.622 5.456 8.663 8.239 4.963 3.475 6.905

c be nicht als Brutvogel vor. In ä l

F Ermangelung potenzieller Brut- plätze sind nicht einmal Nega- tivmeldungen übermittelt wor- den.

3.3 Verteilung nach Schutzge- n o

i bieten g e R

e

h Die Uferschwalbe wurde 2015 c i l nur in neun EU-Vogelschutz- m u

ä gebieten als Brutvogel festge- r r u

t stellt (Tab. 3). Sowohl die Anzahl a Dümmer-Geestniederung Hügelland (8.2) Osnabrücker N 1. und Marschen Watten 2. Geest Ostfriesisch-Oldenburgische 3. Geest Stader 4. und Ems-Hunte-Geest 5. Wendland Heide und Lüneburger 6. Weser-Aller-Flachland 7. Börden 8. (8.1), u. Leinebergland Weser- 9. Harz Natural region Natural der Kolonien (14) als auch die- Tab. 2: Verteilung der im Jahr 2015 in Niedersachsen registrierten Uferschwalben registrierten Niedersachsen in 2015 Jahr im der Verteilung 2: Tab. in the natural regions of Lower BremenregionsSaxony 2015. in and Lower in of natural the Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 167

Tab. 3: Bestandssituation der Uferschwalbe in niedersächsischen EU-Vogelschutzgebieten im Jahr 2015. – Breeding stocks of Sand Martins in Lower Saxon SPAs in 2015.

Nr. EU-Vogelschutzgebiet Fläche [ha] Anzahl Kolonien Anzahl Brutpaare Special Protected Areas Area Number of colonies Number of breeding pairs V01 Niedersächs. Wattenmeer u. 354.881 1 2 angrenzendes Küstenmeer V03 Westermarsch 2.538 1 25 V09 Osfriesische Meere 5.922 1 5 V18 Unterelbe 16.715 2 14 V23 Untere Allerniederung 5.387 5 65 V37 Niedersächsische Mittelelbe 34.028 1 8 V41 Kuppendorfer Böhrde 687 1 47 V47 Barnbruch 2.112 1 50 V58 Okertal bei Vienenburg 470 1 24 Summe 14 240

Tab. 4: Verteilung der im Jahr 2015 in Niedersachsen registrierten Uferschwalben-Vorkommen nach Schutzgebietska- tegorien. – Breeding occurrence of Sand Martins inside and outside protected areas in Lower Saxony in 2015.

Raumeinheit/Schutzstatus Anzahl Kolonien Anteil Kolonien Anzahl Brutpaare Anteil Brutpaare Aria/Status of protection Number Percentage Number of Percentage of of colonies of colonies breeding pairs breeding pairs EU-Vogelschutzgebiete 14 4,7 % 240 1,8 % FFH-Gebiete 13 4,3 % 188 1,4 % Natura 2000-Gebiete gesamt 19 6,3 % 306 2,3 % Naturschutzgebiete (NSG) 6 2,0 % 156 1,2 % Natura 2000 und NSG gesamt 21 7,0 % 369 2,8 % außerhalb Schutzgebietskulisse 279 93,0 % 13027 97,2 % Niedersachsen/Bremen gesamt 300 100 % 13396 100 % jenige der Brutpaare (240) war dabei im Vergleich paaren) lagen gleichzeitig in EU-Vogelschutzgebieten, zum Landesbestand unbedeutend (4,7 % der Ko- zwei weitere (mit zusammen 54 Brutpaaren) in lonien bzw. 1,8 % der Brutpaare, Tab. 4). In keinem FFH-Gebieten. Die Schutzgebietskulisse nach eu- der Schutzgebiete wird die Uferschwalbe als wert- ropäischem und nationalem Recht beherbergte bestimmende Vogelart geführt (NLWKN 2014). In damit gerade einmal 7,0 % der Brutkolonien, in FFH-Gebieten, in Bezug auf die Uferschwalben- denen sich nur 2,8 % des Gesamtbestandes fort- Vorkommen größtenteils deckungsgleich mit EU- pflanzten. 93 % der Kolonien und 97 % der Brut- Vogelschutzgebieten, waren Anzahlen und Anteile paare befanden sich außerhalb der Schutzgebiets- ähnlich (Tab. 4). Insgesamt brüteten damit nur 306 kulisse (Tab. 4). Paare (2,3 %) in Natura 2000-Gebieten (Tab. 4). 3.4 Bruthabitat Innerhalb von Naturschutzgebieten befanden sich 2015 nur sechs Kolonien mit zusammen 156 Brut- Mit 0,8 % der Brutpaare bewohnte im Jahr 2015 paaren, was Anteilen von 2,0 % bzw. 1,2 % ent- nur ein sehr kleiner Teil der niedersächsischen Ufer- spricht (Tab. 4). Zwei dieser Kolonien (mit 29 Brut- schwalben natürliche Abbruchkanten (Tab. 5). Elf 168 DIERSCHKE: Verbreitung und Bestand der Uferschwalbe in Niedersachsen und Bremen

Brutplätze mit zusammen 112 Brutpaaren konnten 68 Sand- und Kiesgruben lagen diesbezüglich entsprechenden Lebensräumen zugeordnet werden, keine Angaben vor. wobei zwei Standorte mit zwei bzw. vier Paaren in den Dünen von Norderney und zwei Kolonien mit Andere künstliche Abbruchkanten spielten quantitativ neun bzw. 24 Paaren an Prielen im Deichvorland kaum eine Rolle. So wurden nur drei kleinere Kolo- der Elbe im Landkreis Stade gefunden wurden. nien in Kleientnahmestellen festgestellt, eine Brut Während Bruten an natürlichen Stillgewässern voll- gab es in einem Kalksteinbruch im Landkreis Nort- ständig fehlten, brüteten im Bereich der Südheide heim. Mehrfach wurden Erd- und Sandhaufen be- an Aller und Leine an sieben Stellen 73 Paare, siedelt, z. B. in Mutterbodendeponien oder anderen davon 55 Paare in einer einzigen Kolonie und Gewerbebereichen, aber auch Ufer künstlicher Ge- viermal Einzelpaare. Entlang eines 32 km langen wässer, die nicht dem Bodenabbau dienten (Rück- Abschnitts der Hunte wurden bei einer Kontrolle haltebecken, Spülfelder, Kanalufer). Zu erwähnen vom Kanu aus keine Vorkommen festgestellt (G. sind schließlich zwei Betonwände mit Löchern, die REICHERT pers. Mitt.). Inwieweit andere naturnahe in Westniedersachsen als Nisthilfen aufgestellt und Flussläufe kontrolliert wurden ist nicht bekannt. von 25 bzw. 26 Paaren genutzt wurden. Zumindest liegen zu den noch 1992 als besiedelt genannten Flussabschnitten von Ems, Leine und 3.5 Koloniegröße Innerste für 2015 keine positiven Meldungen vor. Bei den meisten der im Jahr 2015 erfassten Brutplätze Der größte Teil der Brutkolonien (89,7 %) und fast handelte es sich um relativ kleine Kolonien mit bis alle Brutpaare (96,1 %) wurden in Sand- und Kies- zu 50 Paaren, die Hälfte der Kolonien bestand sogar gruben gefunden (Tab. 5). Sofern Angaben zum nur aus maximal 25 Paaren (Tab. 6). Nur wenige Status dieser Gebiete vorlagen, befanden sich Kolonien beherbergten über 100 Paare, zehnmal 87 % der Kolonien in aktiven und 13 % in ehe- wurde ein Brutbestand von mehr als 200 Paaren maligen Abbaugebieten (n = 101 Kolonien), wäh- angegeben. Die drei größten Kolonien bestanden rend im Hinblick auf die Brutpaarzahl sogar 90,7 % aus 400, 363 und 301 Paaren in den Landkreisen aktive Abbaugebiete besiedelten (n = 4.335 Brut- Vechta, Peine und Diepholz. In 17 Fällen schritten paare). Die Negativkontrollen verteilten sich dagegen dagegen Einzelpaare zur Brut. Im Durchschnitt um- auf 25 aktive und 45 ehemalige Abbaugebiete, zu fasste eine Kolonie 44,6 Paare (Median: 25 Paare).

Tab. 5: Verteilung der im Jahr 2015 in Niedersachsen registrierten Uferschwalben-Vorkommen nach Lebensräumen. – Breeding habitats of Sand Martins in Lower Saxony in 2015.

Habitat Anzahl Kolonien Anteil Kolonien Anzahl Brutpaare Anteil Brutpaare Number of Percentage of Number of Percentage of colonies colonies breeding pairs breeding pairs See, Weiher, Altarm 0 0,0 % 0 0,0 % Fluss 7 2,3 % 73 0,5 % Priel 2 0,7 % 33 0,2 % Düne 2 0,7 % 6 0,0 % Natürliche Abbruchkanten gesamt 11 3,7 % 112 0,8 % Sand-/Kiesabbau 269 89,7% 12.873 96,1 % Kleiabbau 3 1,0 % 48 0,4 % Steinbruch 1 0,3 % 5 0,0 % Erd-/Sandhaufen 8 2,7 % 79 0,6 % Betonwand 2 0,7 % 51 0,4 % Rückhaltebecken, Spülfeld, Kanal 6 2,0 % 228 1,7 % Künstliche Abbruchkanten gesamt 289 96,3 % 13.284 99,2 % Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 169

In den großen Kolonien (>100 Paare) brütete da- eine Steilwand mit Brutröhren verschwand. gegen fast die Hälfte des niedersächsischen Be- standes, während drei Viertel der Kolonien (bis 50 Häufig werden die Gewässer in Abbaugebieten Paare) nur ein Drittel des Brutbestandes beher- von Menschen in ihrer Freizeit genutzt. Dennoch bergten. In den vielen kleinen Kolonien (bis 25 wurden Badebetrieb, Spaziergänger und allgemeine Paare) waren sogar nur 12 % der Brutpaare zu fin- Freizeitnutzung nur je einmal als Problem genannt. den (Tab. 6). Eine durchschnittliche niedersächsische Je einmal wurden zudem Quad- bzw. Motocross- Uferschwalbe brütete 2015 in einer Kolonie mit fahrer in einer Sandgrube angetroffen, wobei 121 Paaren (Σx²/Σx mit x als Koloniegröße, nach letztere unmittelbar neben der Brutwand an Hängen PIERSMA et al. 1990). hinabfuhren.

Angaben zur Koloniegröße sind auch von den vo- Prädation in Brutkolonien wurde von den Mitar- rangegangenen landesweiten Erfassungen vorhan- beitern viermal erwähnt, davon einmal ohne Nen- den. Die durchschnittliche Koloniegröße stieg von nung des Prädators. Angriffe eines Turmfalken 32,0 Paaren (1964, OELKE 1968) über 34,4 Paare (1983) und 38,3 50 % Paare (1992, HECKENROTH & WENDT 1964 1983 1992 2015 1994) auf nun 44,6 Paare. Zugleich 40 % ist aus Abb. 4 ersichtlich, dass der

Anteil großer Kolonien (>100 Paa- 30 % re) noch nie so hoch war wie 2015 und sich zuvor deutlich ge- ringere Teile des Bestandes in die- 20 % sen Großkolonien konzentrierten. Anteil Kolonien 10 % 3.6 Gefährdung der Brutplätze 0 % Wie aus Abschnitt 3.4 und Tab. 5 1-10 11-25 26-50 51-100 101-200 >200 ersichtlich, brüteten 2015 fast alle Größe der Kolonie (Brutpaare) niedersächsischen Uferschwalben in Bodenabbaugebieten, besonders 50 % in noch aktiven Abbaustätten. In 1964 1983 1992 2015 der Vergangenheit wurden gra- 40 % vierende Probleme beschrieben, wenn in unmittelbarer Nähe zu 30 % den Kolonien gearbeitet wurde oder die Bereiche mit Brutröhren sogar weggebaggert wurden (HE- 20 %

CKENROTH 1969, HECKENROTH & Anteil Brupaare WENDT 1994). Die Mitarbeiter der 10 % Erfassung 2015 haben dagegen nur neun Fälle gemeldet, in denen 0 % Steilwände mit Brutwänden in Ab- 1-10 11-25 26-50 51-100 101-200 >200 baugebieten verloren gingen oder Größe der Kolonie (Brutpaare) stark beschädigt wurden. Viermal geschah dies direkt durch den Ab- Abb. 4: Koloniegröße (oben) und Verteilung der Brutpaare (unten) von Ufer- baubetrieb, zweimal gab es Ab- schwalben auf unterschiedlich große Kolonien bei den landesweiten Erfas- rutschungen durch Starkregen, sungen in Niedersachsen 1964 (OELKE 1968), 1983, 1992 (HECKENROTH & einmal durch Wind und einmal WENDT 1994) und 2015. – Proportions of colony sizes and breeding pairs per durch natürliches Abrutschen. In colony size in Sand Martins according to state-wide surveys in Lower Saxony einem Fall blieb unklar, warum in 1964 (OELKE 1968), 1983, 1992 (HECKENROTH & WENDT 1994) and 2015. 170 DIERSCHKE: Verbreitung und Bestand der Uferschwalbe in Niedersachsen und Bremen

zweimal von Mitarbeitern aufgesucht wurden und Störungen bzw. deren Folgen zwangsläufig nur zufällig zu entdecken waren.

4 Diskussion 4.1 Vollständigkeit der Erfassung 2015

Das Prinzip dieser Erfassung beruhte auf der Mel- dung zur Brutzeit 2015 entdeckter bzw. bestätigter Brutvorkommen durch ehrenamliche Mitarbeiter. Zwar wurden insgesamt auch 164 nicht von Ufer- schwalben besetzte Gebiete gemeldet, doch geht daraus nicht hervor, wie vollständig die Erfassung tatsächlich war. Angesichts der eher spontanen Brutplatzwahl der Uferschwalbe, die mehr auf der Nutzbarkeit vorhandener Steilwände als auf Ort- streue beruht, ist für die Frage der Vollständigkeit ein Vergleich mit den in früheren Jahren besetzten Lokalitäten wenig hilfreich. Eine gewisse Unvoll- ständigkeit deutet sich aufgrund der Zahl von nur 228 besetzten TK25-Quadranten an, da dieser Wert im Rahmen der 2005 bis 2009 in ganz Nie- dersachsen und Bremen durchgeführten Gitter- feldkartierung bei 311 und damit um 36 % höher lag (KRÜGER et al. 2014). Allerdings ist auch bei die- sem Vergleich zu bedenken, dass bei einer mehr- jährigen Erfassung Ortswechsel der Brutvögel zu Abb. 5: Ausgeraubte Uferschwalbenkolonie im Landkreis einer Überschätzung des Besetzungsgrades führen Lüneburg, 31.08.2017. Anhand der Kratzspuren ist zu können. Zudem ist für einen längeren Zeitraum erkennen, dass ein Waschbär Urheber dieses Brutverlustes deutlich geworden, dass es bei der Uferschwalbe war. An der Steilwand waren auch abgebissene Flügel- in Niedersachsen einen Trend zu weniger, im Durch- spitzen zu finden. Foto: Mathias Holsten. – Depredated schnitt aber größeren Kolonien gibt (s. Abschnitt Sand Martin colony near Lüneburg, 31st August 2017. 4.2 und Abb. 4), was sich auch auf den Beset- Claw marks indicate Racoon as the predator causing zungsgrad auswirken dürfte. So hat sich der Be- breeding failure. In addition, bitten wing tips were found setzungsgrad bei Atlaskartierungen von 22,8 % at the slope. im Zeitraum 1981 bis 1985 (HECKENROTH & LASKE 1997) auf 18,5 % in den Jahren 2005 bis 2009 (Krüger et al. 2014) verringert, in den Einzeljahren Falco tinnunculus auf eine große Kolonie wurden 1992 (13,8 %, HECKENROTH & WENDT 1994) und im Landkreis Diepholz beobachtet. Im Landkreis 2015 (13,6 %) lag er deutlich niedriger. Hildesheim waren in zwei Kolonien Grabspuren an den Röhren zu sehen, als deren Urheber Fuchs Aufgrund der Auffälligkeit von Brutvorkommen, Vulpes vulpes bzw. Waschbär Procyon lotor im die zudem größtenteils auf einen bestimmten Le- Verdacht standen. Ein Beispiel für eine von einem bensraumtyp (Bereiche mit Bodenabbau) beschränkt Waschbär ausgeraubte Kolonie aus dem Jahr 2017 sind, wäre eine Vollständigkeit der Erfassung im zeigt Abb. 5. Vergeich z. B. zu Wälder bewohnenden Arten theoretisch leicht zu erzielen. Allerdings haben die Bei allen vorgenannten Kategorien von Störungen ehrenamtlichen Mitarbeiter vermutlich nicht in des Brutgeschäfts ist von einer hohen Dunkelziffer allen Teilen Niedersachsens sämtliche Bodenab- auszugehen, weil fast alle Kolonien nur ein- bis baubereiche kontrolliert, zumal es in mindestens Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 171

zwei (gemeldeten) Fällen nicht möglich war, einen Den vorliegenden Zahlen zufolge war der Bestand offenbar von Uferschwalben besiedelten Bereich in den 1980er Jahren und Anfang der 1990er Jahre einzusehen. Auch wenn sich die Betreiber von knapp 15 % niedriger als bei der ersten Erfassung Sand- und Kiesgruben in der Regel kooperativ 1964. Wann jedoch ein Rückgang auf Landesebene zeigten, so gab es auch Fälle, in denen das Betreten stattgefunden hat ist schwer nachprüfbar, zumal nicht gestattet wurde. bei den überlieferten lokalen Zeitreihen eher Zu- nahmen beobachtet wurden (HECKENROTH & ZANG Grundsätzlich schwieriger ist die Erfassung von 2001). Über einen Zusammenhang mit der 1967 brütenden Uferschwalben an Fließgewässern, da einsetzenden Dürre in der Sahelzone (BAUER et al. meist nicht alle Abschnitte eines Flusslaufs begangen 2005), dem Winterquartier deutscher Uferschwalben werden können. Die Alternative, von einem Kanu (BAIRLEIN et al. 2014), kann daher nur spekuliert aus nach Uferschwalben-Bruten Ausschau zu halten, werden, auch wenn für die Jahre 1992 bis 2005 wurde nur entlang eines Abschnitts der Hunte ge- für die Größe des tschechischen Brutbestandes ein wählt. Auch wenn nicht alle noch in den letzten Zusammenhang mit der Niederschlagsmenge in Jahrzehnten zeitweise besiedelten Flussabschnitte der Sahelzone gefunden wurde (HENEBERG 2007) kontrolliert wurden, so ist der Fehler bezüglich und auch Bestandsschwankungen in den Nieder- übersehener Bruten angesichts des ingesamt sehr landen und in England mit den Bedingungen im geringen Anteils solcher Vorkommen, aber auch Winterquartier erklärbar waren (BIJLSMA et al. 2001, im Hinblick auf die Regulierung der meisten Was- NORMAN & PEACH 2013). Ebenso ist unklar, inwiefern serläufe, mit wenig verbliebenen natürlichen Ab- ein für ganz Deutschland angenommener Bestands- bruchkanten, als gering einzuschätzen. Dennoch rückgang ab den 1950er Jahren (BAUER et al. 2005) ist der hier als Brutbestand für 2015 angegebene auch für Niedersachsen gilt. Wert von 13.396 Paaren als Mindestbestand an- zusehen. Zwei auf unterschiedliche Weise ermittelte Werte deuten an, dass der niedersächsische Bestand zu 4.2 Bestandsentwicklung in Niedersachsen und Bre- Beginn des 21. Jahrhunderts bei über 15.000 Brut- men paaren gelegen haben könnte. Wie schon in Ab- schnitt 4.1 erläutert mag es aber auch hier eine Nachdem zuvor entweder nur allgemeine oder Überschätzung gegeben haben, weil es sich nicht lokale Angaben zum Brutbestand der Uferschwalbe um synchrone, sondern über mehrere Jahre verteilte in Niedersachsen und Bremen vorlagen, fand 1964 Erfassungen gehandelt hat. Der Mindestbestand erstmals eine landesweite Erhebung statt (OELKE aus dem Jahr 2015 liegt mit 13.396 Paaren zwar 1968). Seitdem erfolgten in unregelmäßigen Ab- etwas niedriger als die vorgenannten Werte, doch ständen weitere Angaben zur Bestandsgröße in ist angesichts der zuvor diskutierten Überschätzung Niedersachsen (Tab. 6; in Bremen hat die Art zwi- und der 2015 sicherlich nicht ganz erreichten Voll- schen 1980 und 2001 in drei Jahren mit bis zu 80 ständigkeit davon auszugehen, dass sich der Bestand Paaren gebrütet: 1981, 1983 und 1998; SEITZ & bei landesweiter Betrachtung nicht wesentlich ver- DALLMANN 1992, SEITZ et al. 2004). Aufgrund un- ändert hat. Aus oben genannten Gründen mag terschiedlicher Erfassungs- und Berechnungsme- dies auch für die gesamte Zeit seit 1964 gelten, thoden ist die Vergleichbarkeit jedoch eingeschränkt. aber auch ein Bestandstief vor etwa 25 Jahren ist Hinzu kommt die Verwendung von Korrekturfak- nicht auszuschließen. Datenreihen auf Landkreis- toren für den Besetzungsgrad der in den Kolonien ebene zeigen beträchtliche Schwankungen z. B. gezählten Brutröhren. Zum einen sind nicht immer zwischen 846 und 1.783 Paaren im Großraum die gleichen Faktoren verwendet worden (z. B. Hannover innerhalb der 1980er/1990er Jahre (HE- 0,65 bei OELKE 1968, niedrigere und nach Kolonie- CKENROTH & ZANG 2001) oder zwischen 414 und größe abgestufte Werte bei späteren Arbeiten), 781 Paaren im Landkreis Stade in den Jahren 2000 zum anderen können bei großen Kolonien von bis 2015 (G. SEEMANN, pers. Mitt.). mehreren hundert Röhren allein schon durch die unbekannte Treffsicherheit des Korrekturfaktors Die Lage in Niedersachsen entspricht in etwa der- recht große Abweichungen von der tatsächlichen jenigen in Deutschland insgesamt. Über einen Zeit- Brutpaarzahl auftreten. raum von 25 Jahren (1985 bis 2009) gilt der 172 DIERSCHKE: Verbreitung und Bestand der Uferschwalbe in Niedersachsen und Bremen

Tab. 6: Anzahl Kolonien und Anzahl Brutpaare der Uferschwalbe in Niedersachsen und Bremen 1964-2015. – Data on the numbers of colonies and breeding pairs of Sand Martin in Lower Saxony and Bremen 1964-2015.

Jahr(e) Methode Quelle Year(s) Method Source

1964 Brutpaarzählung mit Hochrechnung 450 14.400 OELKE 1968

1983 Brutpaarzählung 365 12.574 HECKENROTH & WENDT 1994

1985 Berechnung aus halbquantitativer Gitterfeldkartierung 12.500 HECKENROTH & LASKE 1997

1992 Brutpaarzählung 308 11.807 HECKENROTH & WENDT 1994

ca. 2000 Hochrechnung aus Einzelquellen 15.800 KRÜGER et al. 2014

2005-2008 Mittel aus halbquantitativer Gitterfeldkartierung 15.500 KRÜGER et al. 2014 2015 Brutpaarzählung 300 13.396 diese Arbeit

Tab. 7: Häufigkeit und Anteil von Bruten an Flussufern bei Uferschwalben in Niedersachsen. – Abundance and proportion of breeding at river banks of Sand Martins in Lower Saxony.

Jahr Anzahl Kolonien Anteil Kolonien Anzahl Brutpaare Anteil Brutpaare Quelle Year Number of colonies Percentage of Number of Percentage of Source colonies breeding pairs breeding pairs 1964 19 6,5% 300 3,1% OELKE 1968

1983 20 5,5% 350 2,8% HECKENROTH & WENDT 1994

1992 3 1,0% 90 0,8% HECKENROTH & WENDT 1994 2015 7 2,3% 73 0,5% diese Arbeit

deutsche Brutbestand der Uferschwalbe als stabil, sind lokale Bestandsrückgänge mit nachlassendem doch wird für die Jahre 1998 bis 2009 eine Bodenabbau verknüpft (z. B. FLADE & JEBRAM 1995). Abnahme konstatiert – jeweils beruhend auf ag- Große Bauprojekte wie Autobahnen können infolge gregierten Expertenmeinungen (SUDFELDT et al. ihres Bedarfs an Sand und Kies großräumig, aber 2013). Regional sind in gleichen Zeitfenstern sowohl mitunter auch nur vorübergehend, zu hohen lokalen gleichbleibende Bestände als auch Abnahmen zu Brutbeständen führen (HECKENROTH & WENDT 1994). verzeichnen (GEDEON et al. 2014), letztere insbe- Bei bereits starker Besiedlung können vorhandene sondere im östlich an Niedersachsen angrenzenden Kolonien wegen des Wettbewerbs um Brutplätze Binnenland (RYSLAVY & MÄDLOW 2008, VÖKLER 2014). mitunter nicht noch weiter wachsen. Dies wurde Letztlich müsste mit einer Metaanalyse geklärt bei Untersuchungen an einem englischen Brutbe- werden, inwiefern variierende lokale oder regionale stand deutlich, wobei Schwankungen in der Brut- Angebote an geeigneten Brutplätzen für entspre- paarzahl auch von der Überlebensrate der Altvögel chende Bestandsschwankungen verantwortlich sind bestimmt werden, die wiederum mit den Bedin- oder ob übergeordnete Faktoren in Brut-, Durch- gungen im Winterquartier (Niederschlagsmenge, zugs- und/oder Überwinterungsgebieten das Bild Individuendichte) zusammenhängt (NORMAN & PEACH bestimmen. So lässt sich im niedersächsischen 2013). Landkreis Grafschaft Bentheim die Zunahme des Uferschwalben-Bestandes von 107 bis 125 Paaren Voneinander abweichende Trends sind auch in ver- (1992) auf 680 bis 880 Paare (2001) auf eine schiedenen Teilen Europas zu beobachten. Neben wachsende Zahl von Sandabgrabungen zurück- langfristigen Abnahmen (z. B. Fennoskandien, Bal- führen (J.-H. MÜLSTEGEN, pers. Mitt.), andererseits tikum, Südost-Europa) und stabilen Beständen Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 173

(z. B. Deutschland, Weißrussland, Ukraine) gibt es genommen, in einigen Fällen wird die Art sicherlich auch Zunahmen, beispielsweise in Großbritannien, sogar absichtlich gefördert. Im Vergleich zur Situation in den Niederlanden und in der Türkei (BIRDLIFE IN- zu Beginn der 1990er Jahre (und sicherlich auch TERNATIONAL 2015). davor) ist damit offenbar eine Verbesserung ein- getreten, denn Schilderungen über abbaubedingte 4.3 Habitatwahl oder gar vorsätzliche Zerstörung von Brutkolonien gab es 2015 nur vereinzelt. Obwohl sich solche Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts brüten Ufer- Fälle durchaus auf lokale Brutbestände auswirken schwalben in Niedersachsen mehrheitlich in Bo- können, erscheint der Einfluss auf die Gesamtgröße denabbaugebieten, während Bruten an natürlichen des niedersächsischen Bestandes gering. Somit ist Abbruchkanten entlang von Flussufern immer sel- gegenüber der letzten entsprechenden Erfassung tener auftraten. Diesbezüglich sei auf die ausführ- im Jahr 1992, als durch den laufenden Betrieb 24 lichen Schilderungen von HECKENROTH & ZANG (2001) Kolonien (7,8 %) gestört wurden und elf Kolonien verwiesen. Aktuell ist dazu festzustellen, dass sich (3,6 %) Zerstörung von Brutröhren und Brutverluste die Rolle der Uferschwalbe als Kulturfolger in Nie- hinnehmen mussten (HECKENROTH & WENDT 1994), dersachsen nicht verändert hat, während sie an offenbar eine Verbesserung eingetreten. der Ostseeküste weiterhin in großer Zahl in sandigen Steilküsten brütet und dort sogar ihren Verbrei- Auch auf natürliche, wetterbedingte Abbrüche tungsschwerpunkt innerhalb von Deutschland hat und Abrutschungen von Steilufern gab es 2015 (GEDEON et al. 2014). wenig Hinweise. Ob dies in anderen Jahren un- günstiger war, ist nicht bekannt, wenngleich in Nicht unerwähnt soll der fortschreitende Rückgang Jahren mit starkem Regen mit hohen Brutverlusten von Bruten an niedersächsischen Flussufern bleiben, zu rechnen ist (vgl. HENEBERG 2007). Der normaler- die damit einen immer kleineren Bruchteil des Ge- weise räumlich fortschreitende Bodenabbau sorgt samtbestandes ausmachen (Tab. 7). Gab es 1964 ansonsten ebenso wie erodierende Flussufer für noch 19 Kolonien mit 300 Brutpaaren (3,1 % des immer wieder neu entstehende Steilwände, die Bestandes, OELKE 1968) und 1982 20 Kolonien mit den Bedürfnissen der Uferschwalbe sehr entgegen 350 Paaren (2,8 %, HECKENROTH & WENDT 1994), so kommen. wurden 1992 nur noch 90 Paare (0,8 %, HECKENROTH & WENDT 1994) und 2015 73 Paare (0,5 %) an Häufige Begleiterscheinungen des Bodenabbaus Flussufern gefunden. Die wenigen Paare an Prielen sind verschiedene Freizeitnutzungen, die auch vor und Dünen erhöhten den Anteil von Bruten an na- aktiven und selbst umzäunten Abbaugebieten nicht türlichen Abbruchkanten nur unwesentlich (Tab. 5). Halt machen. Je nach räumlicher Konstellation kann es dadurch zu Unruhe im Koloniebereich Im europäischen Binnenland ist das Vorherrschen kommen, die mechanische Zerstörung von Brut- von Abbaugebieten als Brutplatz und die geringe plätzen dürfte dagegen eher selten sein. Gebiets- Bedeutung von Fließgewässern typisch. So befanden weise können aber Verluste von bis zu 80 % der sich auch in der Tschechischen Republik nur 3 % Bruten auftreten (BRÄUNING 1981). Für 2015 wurden der Kolonien an Flussufern (HENEBERG 2007). Aller- nur wenige Fälle berichtet, doch stellen diese sicher dings gibt es in Europa gebietsweise auch noch nur die Spitze eines Eisbergs dar. Möglicherweise sehr hohe Anteile von Kolonien und Bruten an wurde z. B. der Badebetrieb von Mitarbeitern der Flussufern, z. B. in Nord-England (STOTT et al. 2002). Erfassung als „obligatorisch“ angesehen und daher gar nicht erst gemeldet. Andererseits fanden 4.4 Beeinträchtigungen und Gefährdungsursachen Besuche der Abbaubereiche wahrscheinlich vor- zugsweise zu Tageszeiten statt, zu denen nicht mit Als hinsichtlich der Brutplatzwahl recht speziell ausgiebiger Freizeitnutzung zu rechnen war. An- ausgerichtetem Kulturfolger hängt das Schicksal gesichts der für 1992 angegebenen Störungsrate der Uferschwalbe in Niedersachsen stark von Aus- von 30,2 % der Kolonien (HECKENROTH & WENDT maß und Methoden des Bodenabbaus ab. In vielen, 1994) ist schwer vorstellbar, dass dieses Problem vielleicht sogar den meisten aktiven Abbaugebieten heute nicht mehr besteht. Bislang fehlen allerdings wird auf Brutplätze der Uferschwalbe Rücksicht auch Untersuchungen, die derartige Störungen 174 DIERSCHKE: Verbreitung und Bestand der Uferschwalbe in Niedersachsen und Bremen

gewiesen sind, sind Schutz- maßnahmen so zu gestalten, dass der Abbau in möglichst wenig störender Form erfolgt. Diese Grundvoraussetzung sowie nachfolgend aufge- führte Maßnahmen wurden u. a. von HÖLZINGER (1987) und HECKENROTH & ZANG (2001) zusammengefasst.

Eine wichtige Voraussetzung für einen effektiven Schutz ist die Kooperation zwischen Abbaubetrieben und Natur- schutzbehörden, Naturschutz- verbänden und/oder dort tä- tigen Ornithologen (vgl. Abb. 6: Betonwand als Nisthilfe für Uferschwalben an einem kleinen Gewässer bei BERNDT et al. 1994). Bereits Schüttorf (Grafschaft Bentheim). In zwölf Winkelstützen sind jeweils acht Löcher bestehende Brutwände sollten eingelassen. Von diesen 96 Brutmöglichkeiten wurden 2015 26 von Uferschwalben geschont werden, und wenn genutzt. Foto: Günter Niehaus. – Concrete wall as nesting facility for Sand Martins deren Beanspruchung aus be- at a small pond near Schüttorf (W Lower Saxony). Eight holes each are drilled into trieblichen Gründen notwen- twelve angle brackets. In 2015, 26 out of the total of 96 holes were used for bree- dig erscheint, so müssen ent- ding by Sand Martins. sprechende Arbeiten außer- halb der Brutzeit (01. Mai bis mit der Besetzung von und dem Bruterfolg in 31. August) stattfinden, da nach § 44 BNatSchG solchen Kolonien in Verbindungung bringen. ein Tötungsverbot (betrifft Individuen in den Brut- röhren) und ein Verbot der Beschädigung oder Es sieht also so aus, als hätte sich die Situation der Zerstörung von Fortpflanzungsstätten besteht. Zu- Uferschwalbe im Hinblick auf Beeinträchtigungen mindest in großen Abbaugebieten kann es sinnvoll und Gefährdungen verbessert, sodass in der nie- sein, Ersatzwände abseits des aktiven Abbaus zu dersächsischen Roten Liste die Streichung von der schaffen, um die Vögel von den eher konflikt- Vorwarnliste mit dem derzeitigen Status „unge- trächtigen Bereichen abzulenken. Mitunter reichen fährdet“ (KRÜGER & OLTMANNS 2007, KRÜGER & dafür an einer Seite steil angeschnittene Sand- NIPKOW 2015) nachvollziehbar ist. Dennoch ist die oder Erdhaufen (KUHNEN 1983). Der in der Tsche- Situation im Auge zu behalten, Schutzmaßnahmen chischen Republik festgestellte Trend zu sinkender sind wünschenswert. Anzahl von Kolonien bei gleichzeitig wachsender Koloniegröße wird auf ein geringer werdendes 4.5 Erforderliche Schutzmaßnahmen Angebot an Steilwänden zurückgeführt (HENEBERG 2007). Sollte dieser Kausalzusammenhang auch Da angesichts der in den letzten Jahrzehnten er- für den ebenfalls in Niedersachsen beobachteten folgten Regulierungen von Flussläufen in Nieder- Trend gelten, so kommt der Erhaltung der einzelnen sachsen kaum noch natürliche Brutplätze zur Ver- großen Kolonien besondere Bedeutung zu. Neben fügung stehen, sollten sich Schutzmaßnahmen auf einem umsichtigen Abbau ist vor allem dafür Sorge die anthropogenen Brutgebiete, d. h. vor allem zu tragen, dass legale oder illegale Freizeitnutzung Sand- und Kiesabbaugebiete fokussieren – auch keine Schäden verursachen kann, z. B. durch Ab- wenn eine Renaturierung von Fließgewässern mit zäunung von Koloniebereichen. nachfolgenden Möglichkeiten zur Besiedlung durch Uferschwalben ebenfalls wünschenswert ist. Da Dies gilt um so mehr, als es in der Regel schwierig Uferschwalben letztlich auf den Bodenabbau an- ist, selbst langjährig besetzte Brutplätze nach Ein- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 175

stellung des Abbaus als Brutplatz für Uferschwalben G. Gülker, A. Guth, E. Harms, A. Heitmann, T. zu erhalten. Es ist gängige Praxis und meist auch Hellberg, L. Hesselink, M. Heydemann, A. Hill, K. aus Sicherheitsgründen vorgeschrieben, die noch Hinsch, M. Hintze, H.-H. Holsten, M. Hommes, H. vorhandenen Steilwände abzuflachen oder anzu- Ihnen, C. Janku, S. Jeske, U. Jürgens, H.-J. Kalisch, schütten, wodurch sie für Uferschwalben unbrauch- M. Kandolf, H.-J. Kelm, R. Kempe, H.-G. Klinger, bar werden. Gleichzeitig beginnt oft eine Nach- A. Knipping, K. Knofflock, C. König, V. Konrad, G. nutzung, doch selbst wenn diese dem Naturschutz Kooiker, S. Kransel, A. Kreusel, S. Krüger, J. Kühl, gewidmet ist, sind die Ansprüche für Uferschwalben H.-W. Kuklik, T. Kuppel, L. Landwehr, E. Liebl, J. zwar zu erfüllen (z. B. durch o. g. Sand- oder Erd- Linnhoff, K. Löhmer, H. C. Löwe, J. Ludwig, R. haufen), aber nur aufwändig dauerhaft aufrecht- Maares, R. Mayen, J. Melter, W. Menke, N. Menze, zuerhalten. Ein Ansatz dafür könnte zwar die Er- H. Meyer, M. M. Meyer, A. Michalik, N. Molzahn, richtung von Betonwänden mit Löchern als Aus- J.-H. Mülstegen, F. Närmann, G. Niehaus, H. gangspunkte für Uferschwalben-Röhren sein Niehaus, H. Nieske, T. Obracay, W. Oppel, M. (s. Abb. 6), doch sind solche Nisthilfen höchstens Otten, W. Paszkowski, B. Patrowski, A. Paul, S. als Notlösung, nicht aber als allgemeines Ziel des Paul, G. Penkert, K.-H. Penkert, T. Penkert, V. K. Artenschutzes anzusehen. Prüter, U. Quante, H. Rahlfs, B. Rathjen, H. Rauls, H. Rebling, G. Reichert, J. Richert, U. Rinas, M. Während das Nahrungsangebot im Winterquartier Risch, R. Rochau, H.-J. Ropers, M. Schaaf, K.-H. längst als wichtiger Einflussfaktor für die Bestands- Schepka, A. Schiewe, F.-U. Schmidt, W. Schott, M. größe europäischer Uferschwalben identifiziert Schulz, E. Schulze, J. Schumann, C. Schwegmann, wurde (NORMAN & PEACH 2013), blieb dieser Aspekt G. Seemann, C. Siems-Wedhorn, D. Singer, J. Strei- im europäischen Brutgebiet weitgehend unbeachtet. chert, R. Strewe, M. Stuckenberg, W. Stühring, J. Wie für andere Insekten fressende Vögel gilt auch Taphorn, B. Ten Thoren, J. Thiemann, K. Thye, V. für die Uferschwalbe, dass ein ausreichendes Nah- Tiemeyer, H.-M. Trautnitz, M. Trzoska, W. Vogeley, rungsangebot für erfolgreiches Brüten unabdingbar U. Voß, B. Waschkowski, J. Weber, M. Weinhold, ist. Außer geeigneten Brutplätzen ist demnach L. Wellmann, J. Westing, I. Wichelmann, J. Wild- dafür zu sorgen, dass im Umfeld geeignete Ernäh- berger, H.-J. Winter, H. Witte, H. Zang, A. Zinke. rungsbedingungen herrschen. Andernfalls könnte Einige dieser Personen, aber auch V. Bohnet, J. der Aufwand, die für die Versorgung der Jungen Grützmann, K. Herrmann, K. Obracay, U. Reimers, benötigte Nahrung zu fangen, zu groß werden, J. Rösler, A. Torkler und W. Wimmer agierten um den Nachwuchs erfolgreich aufzuziehen. darüber hinaus als Koordinatoren auf Landkreisebene und/oder trugen auf andere Weise erheblich zur Mobilisierung so vieler Beobachterinnen und Be- 5 Danksagung obachter bei. Gedankt sei auch zahlreichen Mitar- Diese Arbeit basiert als Gemeinschaftsprojekt der beitern von Bodenabbaubetrieben, die den Zugang Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung zu potenziellen Brutplätzen gestatteten und oft e. V. vor allem auf dem Einsatz zahlreicher ehren- zusätzliche Informationen gaben. Für logistische amtlicher Mitarbeiter, die im Sommer 2015 bekannte Unterstützung danke ich W. Kaufmann, K. Obracay, oder potenzielle Brutgebiete der Uferschwalbe C. Peerenboom und J. Wübbenhorst. kontrolliert und ihre Beobachtungen per Melde- bogen, über ornitho.de oder formlos mitgeteilt haben. Großer Dank gebührt dafür H. Ackermann, 6 Summary – Numbers and distribution of F. Allmer, R. Alpers, F. Bachmann, B. Bartsch, F. Be- Sand Martins Riparia riparia breeding in Lo- chinger, S. Beuger, S. Beyer, S. Bischoff, V. Blüml, wer Saxony and Bremen (NW Germany): re- T. Brandt, V. Brock, G. Brombach, J. Bryant, W. sults of a survey in 2015 Burkart, G. Busche, G. Busmann, R. Carstens, M. During the breeding season 2015, a survey of Dankelmann, P. Derpmann-Hagenström, H. Dex- breeding Sand Martins covered the entire area of heimer, W. Dierk, K.-H. Dorge, H. H. Dörrie, H. the German federal states of Lower Saxony and Drebing, H. Düllberg, T. Eichler, D. Ertel, H. Evers, Bremen in NW Germany. About 150 bird observers H. Feuchter, W. Fiebig, L. Frye, K. Fuhrmann, K. reported a total of 300 breeding colonies inhabited Gerdes, R. Gerken, D. Goy, R. Gritzka, K. Großberger, by 13,396 pairs. As at least two colonies were not 176 DIERSCHKE: Verbreitung und Bestand der Uferschwalbe in Niedersachsen und Bremen

visible and probably not all potential breeding sites gelzugs. Ringfunde deutscher Brut- und Gastvögel. were actually visited, these numbers have to be Wiebelsheim. treated as minimum values. Breeding Sand Martins BAUER, H.-G., E. BEZZEL & W. FIEDLER (2005): Das Kompen- were concentrated in moraine landscapes in the dium der Vögel Mitteleuropas. 2. Aufl. Wiebelsheim. northern and western part of the study area, but BERNDT, R. K., K. HEIN & T. GALL (1994): Stabile Brutbestände occurred in nearly all parts of Lower Saxony and der Uferschwalbe Riparia riparia in Schleswig-Holstein were missing only in the Harz Mountains and in zwischen 1979 und 1991. Vogelwelt 115: 29-37. Bremen. BIJLSMA, R. G., F. HUSTINGS & C. J. CAMPHUYSEN (2001): Al- gemene en schaarse vogels van Nederland (Avifauna Nearly all breeders were found on aggregate ex- van Nederland 2). GMB Uitgeverij/KNNV Uitgeverij, traction sites, mostly in sand and gravel pits. Only Haarlem/Utrecht. eleven colonies were located at natural steep walls BIRDLIFE INTERNATIONAL (2015): European Red List of Birds. such as river banks (seven sites), tidal creeks (two Office for Official Publications of the European Com- sites) and dunes (two sites), making up only 3.7% munities, Luxembourg. of all colonies found and holding only 112 breeding BRÄUNING, C. (1981): Die Vogelwelt der Leineaue südlich pairs (0.8% of the total stock). Nine SPAs hosted a von Hannover. Hannover. total of 240 breeding pairs, and only 2.8% of all FLADE, M. & J. JEBRAM (1995): Die Vögel des Wolfsburger Sand Martin pairs were present at sites protected Raumes im Spannungsfeld zwischen Industriestadt by German and/or European law. The number of und Natur. Naturschutzbund Deutschland, Wolfsburg. colonies disturbed or destroyed by the operation GEDEON, K., C. GRÜNEBERG, A. MITSCHKE, C. SUDFELDT, W. of aggregate extraction or by recreational activities EIKHORST, S. FISCHER, M. FLADE, S. FRICK, I. GEIERSBERGER, was lower than during earlier surveys, as only B. KOOP, M. KRAMER, T. KRÜGER, N. ROTH, T. RYSLAVY, S. eleven cases were reported. However, there may STÜBING, S.R. SUDMANN, R. STEFFENS, F. VÖKLER & K. WITT be a number of unreported cases and observers (2014): Atlas Deutscher Brutvogelarten. Stiftung Vo- may have visited the colonies not often enough to gelmonitoring Deutschland und Dachverband Deut- recognize disturbance. scher Avifaunisten, Münster. HECKENROTH, H. (1969): Die Uferschwalbe (Riparia riparia) Since the first state-wide survey in Lower Saxony im Großraum Hannover. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. in 1964 (14,400 breeding pairs), the results of 1: 83-85. comparable counts, each conducted within one HECKENROTH, H. (1983): Zur Situation der Uferschwalbe year only, remained below that value (1983: 12,574, (Riparia riparia) in Niedersachsen am Beispiel Groß- 1992: 11,807, 2015: 13,396 breeding pairs). Part raum Hannover. Beih. Veröff. Naturschutz Land- of the estimates based on the aggregation of re- schaftspfl. Bad.-Württ. 37: 61-68. ported numbers from several years (c. 2000: 15,800 HECKENROTH, H. & V. LASKE (1997): Atlas der Brutvögel Nie- breeding pairs) or obtained from atlas mapping (c. dersachsens 1981-1995 und des Landes Bremen. Na- 1985: 12,500, 2005-2008: 15,500 breeding pairs) turschutz Landschaftspfl. Niedersachs. 37: 1-329. referred to higher numbers. However, it appears HECKENROTH, H. & D. WENDT (1994): Zum Brutbestand der that there were not any dramatic changes of bree- Uferschwalbe (Riparia riparia) in Niedersachsen. Vo- ding numbers over a period of more than 50 gelkdl. Ber. Niedersachs. 26: 1-6. years. In contrast, the number of colonies declined HECKENROTH, H. & H. ZANG (2001): Uferschwalbe Riparia strongly in the same period (1964: 450, 2015: riparia (L., 1758). In: ZANG, H. & H. HECKENROTH (Hrsg.): 300), underlining the need for protection in occupied Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen – extraction sites. The fate of the Lower Saxony Lerchen bis Braunellen –. Naturschutz Landschaftspfl. Sand Martin population relies on a respectful ma- Niedersachs. Sonderr. B 2.8: 65-79. nagement during the periods of extraction works HENEBERG, P. (2007): Sand Martin (Riparia riparia) in the and any follow-up usage. Czech Republic at the turn of the millenium. Linzer biol. Beitr. 39: 293-312. HÖLZINGER, J. (1987): Die Vögel Baden-Württembergs. Bd. 7 Literatur 1 Gefährdung und Schutz, Teil 2 Artenschutzpro- BAIRLEIN, F., J. DIERSCHKE, V. DIERSCHKE, V. SALEWSKI, O. GEITER, gramm Baden-Württemberg: Artenhilfsprogramme. K. HÜPPOP, U. KÖPPEN & W. FIEDLER (2014): Atlas des Vo- Stuttgart. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 177

KOOP, B., & R. K. BERNDT (2014): Vogelwelt Schleswig-Hol- SÜDBECK, P., H. ANDRETZKE, S. FISCHER, K. GEDEON, T. SCHIKORE, steins. Bd. 7: Zweiter Brutvogelatlas. Neumünster. K. SCHRÖDER & C. SUDFELDT (2005): Methodenstandards KRÜGER, T., J. LUDWIG, S. PFÜTZKE & H. ZANG (2014): Atlas zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands, Radolfzell. der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen 2005- SUDFELDT, C., R. DRÖSCHMEISTER, W. FREDERKING, K. GEDEON, 2008. Naturschutz Landschaftspfl. Niedersachsen 48: B. GERLACH, C. GRÜNEBERG, J. KARTHÄUSER, T. LANGGEMACH, 1-552. B. SCHUSTER, S. TRAUTMANN & J. WAHL (2013): Vögel in KRÜGER, T., & M. NIPKOW (2015): Rote Liste der in Nieder- Deutschland 2013. DDA, BfN, LAG VSW, Münster. sachsen und Bremen gefährdeten Brutvögel. 8. Fas- VÖKLER, F. (2014): Zweiter Brutvogelatlas des Landes Meck- sung, Stand 2015. Informationsdienst Natursch. Nie- lenburg-Vorpommern. Ornithologische Arbeitsge- dersachs. 35: 181-260. meinschaft Mecklenburg-Vorpommern, Greifswald. KRÜGER, T., & B. OLTMANNS (2007): Rote Liste der in Nie- dersachsen und Bremen gefährdeten Brutvögel. 7. Fassung, Stand 2007. Informationsdienst Natursch. Niedersachs. 27: 131-175. KUHNEN, K. (1983): Welche etho-ökologischen Aspekte sind bei der Uferschwalbe (Riparia riparia) im Rahmen von Schutzmaßnahmen zu beachten? Beih. Veröff. Naturschutz Landschaftspfl. Bad.-Württ. 37: 89-103. LAUMANN, T. (2013): Ökologische Bedeutung und Schutz- würdigkeit der Sand-, Ton- und Kiesabbaustellen im Oldenburger Land am Beispiel des Landkreises Vechta. Jahresber. Ornithol. Arb.gem. Oldenbg. 21: 35-68. NLWKN (2014): Wertbestimmende Vogelarten der EU- Vogelschutzgebiete in Niedersachsen. NLWKN, Han- nover. http://www.nlwkn.niedersachsen.de/natur- schutz/natura_2000/downloads_zu_natura_2000/dow nloads-zu-natura-2000-46104.html#wertArtVS (9.12.2015) NORMAN, D., & W. J. PEACH (2013): Density-dependent survival and recruitment in a long-distance Palearctic migrant, the Sand Martin Riparia riparia. Ibis 155: 284-296. OELKE, H. (1968): Die Uferschwalbe (Riparia riparia) in den Bundesländern Niedersachsen und Bremen. Vogelwelt, Beih. 2: 39-46. PIERSMA, T., L. ZWARTS & J. H. BRUGGEMANN (1990): Beha- vioural aspects of the departure of waders before long-distance flights: flocking, vocalizations, flight paths and diurnal timing. Ardea 78: 157-184. RYSLAVY, T., & W. MÄDLOW (2008): Rote Liste und Liste der Brutvögel des Landes Brandenburg 2008. Naturschutz Landschaftspfl. Brandenburg 17 (4), Beilage: 1-104. SEITZ, J., & K. DALLMANN (1992): Die Vögel Bremens und der angrenzenden Flußniederungen. BUND Bremen, Bremen. SEITZ, J., K. DALLMANN & T. KUPPEL (2004): Die Vögel Bre- mens und der angrenzenden Flußniederungen – Fort- setzungsband 1992-2001, Bremen. STOTT, M., J. CALLION, I. KINLEY, C. RAVEN & J. ROBERTS (2002): The breeding birds of Cumbria. A tetrad atlas 1997- 2001. Cumbria Bird Club, London. 178

Uferschwalbe Riparia riparia. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Sand Martin. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 179

Zum Niedergang des Kiebitzes Vanellus vanellus in und um Osnabrück: Bestand, Entwicklung und Phänologie zwischen 1976 und 2016

Gerhard Kooiker

KOOIKER, G. (2017): Zum Niedergang des Kiebitzes Vanellus vanellus in und um Osnabrück: Bestand, Entwicklung und Phänologie zwischen 1976 und 2016. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45: 179-192.

Kiebitze sind im Osnabrücker Raum nahezu ausschließlich Ackerbrüter. Zwischen 1976 und 2016 gab es im Untersuchungsgebiet insgesamt 30 Kiebitzkolonien in unterschiedlichen Zeiträumen. Im Jahre 1983 waren es z. B. 13 Kolonien, 2007 dann 14 und 2016 nur noch fünf Kolonien mit 20 Paaren. Die Bestandsentwicklung der Kiebitze ist stark negativ. Die Ab- nahme betrug zwischen 1992 (95 Paare) und 2016 (20 Paare) rund 79 %. Betrachtet man die gravierenden Bestandsverluste der letzten zehn Jahre seit 2006 mit 81 % (Gebiet Ost) bzw. 71 % (Gebiete Ost und Südwest zusammen), so dürfte das Erlöschen des Osnabrücker Kiebitzbestandes unmittelbar bevorstehen. Die Kiebitzkolonien waren relativ klein und be- standen zu rund 60 % aus zwei bis sechs Paaren. Die maximale Koloniegröße betrug einmal 25 Paare. Insgesamt wurden über diesen Zeitraum 32 Einzelbrüter festgestellt, das sind 10,8 % der Kolonien bzw. 2,0 % der Paare.

Mittlerer Erstbeobachtungstermin der Kiebitze im Osnabrücker Hügelland war seit 1976 der 20. Februar, die Ankunft der Brutvögel erfolgte im Mittel am 1. März, der Legebeginn war am 23. März und der Schlupfbeginn am 23. April. In dem 40-jährigen Untersuchungszeitraum verfrühte sich der Erstbeobachtungstermin der Kiebitze signifikant um 14 Tage, die Ankunft der Brutvögel (Revierbesetzung) um 4 Tage (nicht signifikant), die Eiablage um 11 Tage und der Schlupfbeginn um 10 Tage (jeweils signifikant). Die Kiebitze überwinterten nicht im Os- nabrücker Hügelland.

Dr. G. K., Alfred-Delp-Str 107, D-49080 Osnabrück, [email protected]

Einleitung in den meisten Gebieten nicht ausreichend ist. Die Gründe hierfür sind hohe Gelege- und Kükenverluste Niedersachsen beherbergte 2005 bis 2008 mit ca. durch landwirtschaftliche Maschinen und Weidevieh 32.000 Paaren etwa 41 % des mit 63.000 bis sowie Prädation von Gelegen und Küken. 100.000 Paaren registrierten nationalen Bestandes (GEDEON et al. 2014, KRÜGER et al. 2014). Die Kie- In Deutschland erfolgte ein Anstieg der Mitteltem- bitzbestände sind nicht nur in Niedersachsen, son- peratur seit 1881 bis 2015 um etwa 1,4 °C (glei- dern in ganz Deutschland seit mehreren Jahrzehnten tendes Mittel 1881: 7,7 °C, 2015: 9,1 °C). Der von erheblichen Bestandsrückgängen betroffen Mittelwert 1961 bis 1990 betrug 8,2 °C und der (Übersichten bei GRÜNBERG & SUDMANN 2013, GEDEON aktuelle Wert 2015 lag bei 9,9 °C. Für 2050 wird et al. 2014, KRÜGER et al. 2014). So nahm der Kie- nach den Klimamodellen eine weitere starke Tem- bitzbestand in Niedersachsen für den Zeitraum peraturzunahme zwischen einem und zwei Grad 1961 bis 1993 um 70 % ab (ONNEN & ZANG 1995). Celsius prognostiziert (DBU 2016). In vielen Studien In den letzten Jahren hat sich, landesweit gesehen, ist inzwischen belegt worden, dass die anthropogen der negative Trend weiter fortgesetzt. Sehr viele verursachte Klimaerwärmung weitreichende Aus- Studien berichten, dass der Reproduktionserfolg wirkungen auf das Verhalten und die Ökologie 180 KOOIKER: Niedergang des Kiebitzes in Osnabrück

von Vögeln haben kann (Zusammenfassung bei bearbeitet. Ab 1992 wurden die Untersuchungen BERTHOLD 1998, MÖLLER et al. 2010). So fangen auf den westlichen (Atter) und südwestlichen Standvögel früher an zu singen und Zugvögel Bereich (Hellern, Sutthausen) der Stadt ausgedehnt. kehren früher aus ihren Winterquartieren zurück Drei weitere kontrollierte Kiebitzbrutplätze liegen (KOOIKER 2005, SCHMIDT & HÜPPOP 2007, HÜPPOP et isoliert außerhalb dieser Kerngebiete im Nordwesten al. 2008, HÜPPOP & HÜPPOP 2011). Auch Wat- und (Eversburg), Norden (Hafen) und Nordosten (Do- Wasservögel reagieren auf milde Winter und ver- desheide) Osnabrücks. lagern ihre Zugwege oder ihre Winterquartiere nordostwärts (MACLEAN et al. 2008, SUDFELDT et al. Die Untersuchungsgebiete enthalten städtische 2013). Siedlungen, Wälder, Verkehrswege und Landwirt- schaftsflächen. Die offene Landschaft besteht aus Seit 1976 führt der Verfasser im Osnabrücker Raum einer abwechslungsreich gegliederten Feldflur mit Studien über Kiebitze durch (u. a. KOOIKER & BUCKOW Feldgehölzen und Hecken. Bei der landwirtschaft- 1997, KOOIKER 2008). Die Vögel brüten hier in lichen Nutzung überwiegt Ackerland mit den do- kleinen bis mittelgroßen, locker zusammenhän- minierenden Feldfrüchten Mais und Wintergetreide. genden Kolonien (meist 3 bis 7 Paare), gelegentlich Die Grünlandflächen werden fast ausschließlich auch einzeln, mit wenigen Ausnahmen auf Acker- als Mähwiesen genutzt und liegen überwiegend flächen. Die Kiebitze siedelten zwischen 1990 und in den Flussniederungen von Hase und Düte (aus- 2005 in einer geringen Dichte (bereinigte Abundanz) führlich KOOIKER & BUCKOW 1997, KOOIKER 2005a, zwischen 1,4 und 3,5 Paaren/km². In dieser Arbeit 2008). werden die bereits bei KOOIKER (1990, 1993, 2008, 2009) getroffenen Aussagen über Bestandsent- wicklung und Phänologie beim Kiebitz durch Material & Methode aktuelle Befunde erweitert und ergänzt. a) Bestandserfassung

Der Kiebitzbestand in und um Osnabrück wurde Untersuchungsgebiet schwerpunktmäßig in zwei städtischen Räumen Das Untersuchungsgebiet stellt einen Ausschnitt untersucht (Gebiet Ost seit 1983, Gebiet Südwest aus dem reich strukturierten Naturraum "Osna- seit 1992). Beide Gebiete wurden ab 1992 in einer brücker Hügelland" dar. Es erstreckt sich fast rund Grafik (Ost / Südwest) zusammengefasst (Abb. 1), um die Großstadt Osnabrück (52° 16' N / 08° 03' E) weil davon ausgegangen wird, dass zwischen mit Schwerpunkten in den östlichen und südwest- beiden Gebieten ein Austausch der Vögel erfolgte. lichen Randbereichen. Die Höhe liegt zwischen 70 Die Brutkolonien wurden in der Regel von Ende und 100 m ü. NHN. Das Klima ist atlantisch beein- Februar bis Ende Juni (Mitte Juli) in unregelmäßigen flusst und zeichnet sich durch relativ geringe Tem- Zeitabständen aufgesucht und anwesende Kiebitze peraturschwankungen und häufige Niederschläge mit Fernglas und Spektiv ausgezählt. Je nach Fra- aus (mittlerer Jahresniederschlag 830 mm, Jahres- gestellung wurden auch brütende, warnende und mitteltemperatur 9,0 °C). Im Fortpflanzungszeitraum Junge führende Altvögel sowie Küken erfasst. Die der Kiebitze betragen die langjährigen Monatsmittel Kontrollgänge erstreckten sich zwischen einer für März 4,6 °C, April 7,9 °C, Mai 12,5 °C und für Stunde bis hin zu vier Stunden (vgl. auch KOOIKER Juni 15,8 °C. Mehrtägige Schlechtwetterperioden 2000, ANDRETZKE et al. 2005). verbunden mit Schneefall und Temperaturen um den Gefrierpunkt können in der Brutzeit der Vögel Für die Bestandserfassungen haben sich zwei wich- bis Ende April auftreten. tige Zeiträume herauskristallisiert. Zum einen der Zeitraum von Anfang bis Mitte April (Revierbesetzung Das Untersuchungsgebiet (55 km²) setzt sich im und Brutbeginn) und zum anderen der um Mitte Wesentlichen aus zwei Kerngebieten (Ost = 28 Mai, da viele Gelege von Ende April bis Anfang km², Südwest = 27 km²) zusammen (vgl. KOOIKER Mai durch Feldarbeiten zerstört werden. Durch 2008). Der östliche Teil (Lüstringen: Stadt Osnabrück; diese gravierende Störung entsteht eine große Un- Bissendorf, Natbergen, Wissingen, Linne: jeweils ruhe und Mobilität unter den Kiebitzen und es Landkreis Osnabrück) wird unverändert seit 1976 kommt zu Umsiedlungen. Einige verlassen ihre Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 181

Kolonien und produzieren an anderen Stellen Nach- Da Kiebitze auch während des Heimzuges gele- gelege (KOOIKER 2000). Erschwerend kommt im gentlich kurze Singflüge ausführen, konnte nicht Laufe des Jahres die aufwachsende Feldfrucht immer zweifelsfrei zwischen den phänologischen hinzu, die häufig die Sicht stark beeinträchtigt. Merkmalen „Erstbeobachtung“ und „Ankunft Brut- vögel“ unterschieden werden. Das quantitative Ausmaß dieser Dynamik soll hier im Methodenteil niedergelegt werden, um den Legebeginn (Beginn der Eiablage): Die jährliche Ei- Zählfehler bei den Bestandserfassungen abschätzen ablage des am frühesten legenden Weibchens zu können. Hierbei wird auf eine bisher nicht aus- konnte nur ausnahmsweise direkt festgestellt wer- gewertete frühere Studie zurückgegriffen (Tab. 1). den. Diese Daten wurden daher überwiegend mit Im Untersuchungsgebiet wurden im Laufe der Hilfe des Erstgelegefundes oder der ersten ge- Brutsaison 1993 insgesamt fünf Mal alle 19 Kolonien schlüpften Küken errechnet. Dabei wurden für die an jeweils einem Tag kontrolliert. Eine Tageserfassung Dauer der Eiablage vier Tage und für die Bebrü- sämtlicher Kolonien dauerte sechs bis acht Stunden tungsdauer 26 Tage (mit Brutbeginn nach der bei rund 150 km Fahrstrecke. Es wurden alle Ablage des 4. Eies) zugrunde gelegt (KOOIKER 1993). Altvögel ausgezählt und nicht nach Geschlechtern differenziert. Die registrierten Individuen wurden Schlupfbeginn: Beobachtung der ersten geschlüpften durch zwei geteilt und als „Paar(e)“ gewertet. Bei Küken. Der Schlupfbeginn wurde in der Regel fünf Altvögeln z. B. lautete zu einem Erfassungs- durch die Beobachtung von auf den Feldern lau- zeitpunkt das Zählergebnis 2 bis 3 Paare, bei ein- fenden Küken, von hudernden Weibchen oder zelnen Männchen, die gelegentlich und zeitweise warnenden Eltern ermittelt. in einer Kolonie vorhanden sind, 0 bis 1 Paar (als rechnerische Größe). Die Temperaturdaten stammen von der Hochschule Osnabrück (Wetterstation Haste, 68 m ü. NHN). Die Auswertung der fünf Tageskontrollen ergab Diese Daten wurden mit Hilfe der linearen Regres- eine Schwankungsbreite der Bestandsgrößen von sionsanalyse (y = ax + b) ausgewertet. Alle Berech- 60 bis 71 (15. April) und 74 bis 84 Paaren (15. nungen basieren auf dem entsprechenden juliani- Mai, 15. Juni). Die Mittelwerte dieser Summen be- schen Tag (Tag des Jahres, 1. Januar = 1). Der Kor- wegten sich zwischen 66 (15. April) und 79 Paaren relationskoeffizient r wurde auf Signifikanz gegen (15. Mai, 15. Juni). Werden diese Summen addiert Null zweiseitig auf dem 5 %-Niveau (p < 0,05) ge- und durch fünf dividiert resultiert daraus der end- prüft (Freiheitsgrade = n-2). gültig errechnete Mittelwert von 74 Paaren für das Jahr 1993. Die Fehlerquote aller fünf Kontroll- gänge war letztlich relativ klein und lag maximal Ergebnis bei 16 % (Tab. 1). Im Untersuchungsgebiet gab es zwischen 1976 und 2016 insgesamt 30 Kiebitzkolonien. Sie exis- b) Phänologie tierten zu unterschiedlichen Zeiten in und um Os- nabrück und zum kleinen Teil sogar im bebauten Das Datenmaterial zur Phänologie wurde im Zeit- Stadtgebiet. Im Jahre 1983 waren es z. B. 13 Ko- raum 1976 bis 2008 gewonnen (KOOIKER 2009). lonien mit 60 Paaren, 2007 dann 14 Kolonien mit Im Verlauf eines Jahres wurde stets das erstmalige 69 Paaren und 2016 nur noch fünf Kolonien mit Auftreten bzw. die Erstbeobachtung bestimmter 20 Paaren (Tab. 3). phänologischer Merkmale beim ersten Individuum gewertet (Tab. 4). Es bedeutet: a) Bestandsentwicklung

Erstbeobachtung: Feststellung der ersten Kiebitze Die Bestandsentwicklung der Kiebitze im Untersu- auf dem Heimzug im Untersuchungsgebiet. Hierbei chungsgebiet zeigt Abb. 1. Für das „Gebiet Ost“ handelte es sich meist um rastende Durchzügler. ergaben die Bestandskontrollen zu Beginn der Un- tersuchung 60 Paare (1983) und 33 Jahre später 9 Ankunft Brutvögel: Erste beobachtete Singflüge Paare (2016), Abnahme um 85 %. Für „Südwest“ (Schauflug mit Gesang) im Untersuchungsgebiet. waren es 20 Paare (1992) und 11 Paare (2016), 182 KOOIKER: Niedergang des Kiebitzes in Osnabrück

150 schließend stagnierte der Bestand bis Ost 1999/2000 mit leichten Schwankungen zwischen 75 und 92 Paaren (max. 114 100 Paare im Jahr 1991 und 122 Paare im Jahr 1999) und nahm dann kontinuierlich bis auf neun Paare (2016) ab. Im Gebiet „Südwest“ betrug die maximale Bestands- 50

Anzahl Anzahl Paare größe 23 Paare (1994). Betrachtet man die gravierenden Bestandsverluste nur für die letzten zehn Jahre seit 2006 mit 81 % 0 (Ost) bzw. 71 % (Ost und Südwest ge-

1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 meinsam), so dürfte das Erlöschen des Osnabrücker Kiebitzbestandes unmittelbar 25 bevorstehen. Südwest 20 b) Koloniegröße

15 Im Zeitraum 1990 bis 2016 wurden all-

10 jährlich die Brutkolonien nach ihrer Größe ausgewertet. Die Brutkolonien summierten Anzahl Anzahl Paare 5 sich über diesen Zeitraum auf insgesamt 297 Kolonien mit 1.568 Kiebitzpaaren 0 (Tab. 2). Die Kiebitzkolonien waren relativ klein und bestanden zu rund 60 % aus 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 zwei bis sechs Paaren bzw. zu 80 % aus 150 zwei bis zehn Paaren (bezogen auf „Anzahl Ost und Südwest der Kolonien“). Die maximale Koloniegröße betrug einmal 25 Paare. Bezieht man sich

100 auf „Anzahl der Paare“, dann brüteten von den 1.568 Paaren rund 43 % der Kiebitze in Kolonien in einer Größe zwi- schen zwei und sechs Paaren und rund 50 71 % in Kolonien zwischen zwei und Anzahl Anzahl Paare zehn Paaren. Insgesamt wurden über die- sen Zeitraum 32 Einzelbrüter festgestellt, 0 dass sind 10,8 % der Kolonien bzw. 2 %

1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 der Paare.

Abb. 1: Bestandsentwicklung von Kiebitzen im Osnabrücker Raum: Nach Auswertung der Kolonien in drei a) Gebiet Ost seit 1983, b) Gebiet Südwest seit 1992, c) beide Zeitperioden (1990 bis 1995, 2000 bis Gebiete zusammen. – Population dynamics of the Northern Lapwing 2007, 2008 bis 2016) zeigte sich, dass in the region of Osnabrück: a) area East since 1983, b) area South- die Brutkolonien in der letzten Periode west since 1992, c) both areas together. kleiner geworden sind (Abb. 2). Dieses ging mit einem deutlichen Rückgang des Abnahme um 45 %. Zusammenfassend für beide Kiebitzbestandes einher. Betrachtet man die Kolonien „Gebiete Ost/Südwest“ waren es somit 95 (1992) bis zu sechs Paaren, so waren davon im Zeitraum und 20 Paare (2016) und damit eine Abnahme um 1990 bis 1995 73 % vorhanden, 2000 bis 2007 79 %. waren es 67 % und 2008 bis 2016 sogar 82 %. Dagegen verringerten sich die großen Kiebitzkolo- Im „Gebiet Ost“ konnte von 1983 bis 1988 sogar nien über zehn Paare deutlich: 1990 bis 1995 gab eine leichte Zunahme verzeichnet werden. An- es noch 11,5 % der Kolonien über zehn Paare, Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 183

ähnlich 2000 bis 2007 mit 13,5 % und im Zeitraum 50 % 2008 bis 2016 betrug dieser Anteil dann nur noch 1990 bis 1995 40 % 2,4 %. Seit 2008 hat es im Untersuchungsgebiet keine Kolonie mehr über 15 Paare gegeben. In 30 % den letzten Jahren nahmen Einzelbrüter deutlich 20 % zu, bevor es wenige Jahre später zu einer endgül- tigen Aufgabe dieser Kolonien kam. 10 %

0 % c) Entwicklung, Beschreibung und Schicksal von 1 2-3 4-6 7-10 11-15 16-20 > 20 30 Kolonien Koloniegröße [Anzahl Paare] 50 % 2000 bis 2007 Die meisten der bearbeiteten Kolonien bestanden 40 % bereits vor dem Beginn der Bearbeitungstätigkeit. Von den 30 untersuchten Kolonien wurden allein 30 % 20 ohne ersichtlichen Grund verlassen. Potentielle 20 % Brutstandorte waren in all diesen Fällen vorhanden oder die Kiebitze hatten die Möglichkeit gehabt, 10 % auf benachbarte Felder auszuweichen. Vier Kolonien 0 % wurden durch Überbauung zerstört und in einem 1 2-3 4-6 7-10 11-15 16-20 > 20 Koloniegröße [Anzahl Paare] Fall wurde im Zentralbereich einer Kolonie eine 50 % umfangreiche Weihnachtsbaumkultur angelegt. Im 2008 bis 2016 Jahre 2016 existierten nur noch fünf Kolonien 40 % bzw. Brutstandorte, von denen auf zweien nur 30 % noch Einzelbrüter vorhanden waren. 20 %

Es kam immer wieder vor, dass einzelne Kolonien 10 % zwischenzeitlich für ein oder mehrere Jahre ver- waisten und dann wieder besiedelt wurden, z. T. 0 % nur für wenige Jahre (Tab. 3). Selbst nach dem Er- 1 2-3 4-6 7-10 11-15 16-20 > 20 Koloniegröße [Anzahl Paare] löschen einer Kolonie stellten sich hin und wieder einzelne Männchen für mehrere Wochen auf dem letztjährigen Brutstandort ein, zeigten ihre Singflüge Abb. 2: Größe der Kiebitzkolonien im Osnabrücker Raum: (Schauflug mit Gesang) und warteten auf ein 1990 bis 1995 (104 Kolonien), 2000 bis 2007 (111 Kolo- Weibchen, um mit dem Brutgeschäft zu beginnen. nien), 2008 bis 2016 (82 Kolonien). – Size of the Nort- Die Singflüge trugen sie insbesondere dann vor, hern-Lapwing colonies in the region of Osnabrück: 1990 wenn Kiebitze über das Feld flogen. Später im to 1995 (104 colonies), 2000 to 2007 (111 colonies), Verlaufe der Brutsaison verschwanden sie und sie- 2008 to 2016 (82 colonies). delten sich in benachbarten Kolonien an. d) Phänologie Erstbeobachtungstermin signifikant (r = -0,380, p<0,05) um rund 14 Tage (Abb. 3). Erstbeobachtung: Die ersten heimkehrenden Kiebitze wurden in der Regel von Mitte Februar bis Anfang Ankunft Brutvögel: Die zeitlich später folgende März in und um Osnabrück beobachtet. Strenge Revierbesetzung der Brutvögel begann je nach ak- Winter mit Frost und/oder Schneelagen verzögerten tueller Wetterlage in den letzten Februar- oder die Ankunft. Als mittlerer Erstbeobachtungstermin ersten Märztagen (Mittelwert: 1. März ± 5,8 Tage, im Osnabrücker Hügelland wurde seit 1976 der n = 28 Jahre) und dauerte bis Anfang April. Im 20. Februar (± 11,0 Tage, n = 41 Jahre) festgestellt. Jahre 1976 besetzten die Vögel ihre Reviere durch- Als Extremdaten konnten der 16. Januar (2008) schnittlich am 4. März und im Jahre 2016 am 28. und der 7. März (1986) notiert werden (Tab. 4). In Februar, mithin also 4 Tage früher (nicht signifi- dem Untersuchungszeitraum verfrühte sich der kant). 184 KOOIKER: Niedergang des Kiebitzes in Osnabrück

Tab. 1: Dynamik von 19 Kiebitzkolonien des Jahres 1993 – Dynamics of 19 Northern-Lapwing colonies. Name 01. April 15. April 01. Mai 15. Mai 01. Juni Lüstringen-Ost 3 7-8 5-6 4-5 5 Natbergen (7) 8 7 (>6) 8-9 Bissendorfer Wiese 11 3-4 2-3 5-7 (5-7) Wissinger Wiese 9 5-6 2 7 (7) Linne/Flöthegraben (>4) 9 11 11 (11) Schinkel-Ost 1 3 3-5 3-4 3-4 Burg Gretesch 10 3-4 4-5 3 3 Gretesch/Bornheide 0 0 0 0 0 Dodesheide 0 0 0 0 0 Rubbenbruch 0 0 0 1-2 0 Flugplatz 8 10 8-10 8-10 8-10 Wulfter Turm 0 (0-1) 0-1 3 3 Eselspatt 3-5 3-5 2-3 0 0 Fürstenauer Weg 2 1-2 2 3-4 2-3 Düstrup 1 0 3-4 3-4 2-3 BAB Abfahrt Hellern 1 1 3 4 4-5 Hellern-Nord 9-10 8-10 9-10 9 8-10 Hellern Düte 1-2 0-1 2-3 2 1 Hörne 0 0 2-3 2-3 3 Summe 70-74 60-71 65-78 74-84 73-84 Summe (mittel) 72 66 72 79 79

Legebeginn: Der durchschnittliche Legebeginn der die Eiablage 11 Tage signifikant (r = -0,433, p < Kiebitzweibchen wurde mit dem 23. März (± 7,1 0,05) früher begann als vor 40 Jahren. Tage, n = 39 Jahre) ermittelt (Spanne: 11. März 1990, 9. April 2013). Seit 1976 begann die Eiablage Schlupfbeginn: Die ersten Küken schlüpften in dem jedes Jahr im Mittel etwa um 0,26 Tage früher, so 41-jährigen Zeitraum im Mittel am 23. April (± 7,3 dass zum Ende des Untersuchungszeitraumes 2016 Tage, n = 37 Jahre). Die Spanne lag zwischen dem 10. April (1990) und dem 9. Mai Tab. 2: Größe von 297 Brutkolonien beim Kiebitz (1.568 Paare) der Jahre (2013). Im Verlaufe des Untersu- 1990 bis 2016. – Size of 297 breeding colonies of the Northern Lapwing chungszeitraumes schlüpften die (1,568 pairs) between 1990 and 2016. Küken signifikant (r = -0,399, p < Koloniegröße [Paare] Anzahl der Kolonien Anzahl der Paare 0,05) um 10 Tage früher (Tab. 4). Size of colony [pairs] Number of colonies Number of pairs Winterbeobachtungen: Kiebitze [n] [%] [n] [%] überwinterten nicht im Osnabrü- 1 32 10,8 32 2,0 cker Hügelland. Seit 1976 konnten 2-3 99 33,3 248 15,8 nur wenige Winterbeobachtungen 4-6 86 28,9 430 27,5 einzelner Individuen (31. Dezem- 7-10 51 17,2 434 27,7 ber 1979, 6. Dezember 1992) so- 11-15 21 7,1 273 17,4 wie späte Durchzugsdaten von kleinen Kiebitztrupps (5. Dezember 16-20 7 2,4 126 8,0 1985, 23. Dezember 2000, 25. > 20 1 0,3 25 1,6 Dezember 2001) notiert werden. Summe 297 100,0 1.568 100,0 In den letzten Jahren mehren sich Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 185

allerdings Winterbeobachtungen. So wurden Erstbeobachtung in den beiden sehr milden Winter 2005/06 60 und 2007/08 jeweils ein Trupp von 30 (24. 50 Dezember 2005) und 14 Kiebitzen (16. Dezember 2007) beobachtet. Weiter rastete 40

ein Trupp von 75 (13. bis 16. Januar 2008) (17.01.1) = 30 und einer von 15 Kiebitzen (27. Dezember Tage Tage 2011) kurzzeitig im Gebiet, die nach einem 20 Kälteeinbruch jedoch wieder verschwanden. 10 Bei diesen Kiebitzen könnte es sich um y =y=-0,35x -0,3488x + + 42,57 731,41 sehr frühe Rückkehrer gehandelt haben. 0 1970 1980 1990 2000 2010 2020 Der in Tab. 5 niedergelegte phänologische Legebeginn Vergleich der Zeiträume 1976 bis 2008 50 und 1976 bis 2016 zeigt zweierlei. Erstens: Die Mittelwerte der betrachteten phänolo- 40 gischen Merkmale haben sich in beiden Zeiträumen nicht verändert. Zweitens: Die 30

Erstbeobachtungstermine („Tage der Ver- (01.03.1) = frühung“) haben sich jedoch verschoben. 20 Tage Beispielsweise beträgt die Verfrühung bei 10 der Erstbeobachtung der Vögel in dem län- y =y=-0,26x -0,2614x + +28,99 545,3 geren Zeitraum (1976 bis 2016) jetzt nur 0 noch 14 Tage, gegenüber 24 Tagen des 1970 1980 1990 2000 2010 2020 kürzeren Zeitraumes (1976 bis 2008). Ähn- liches gilt für die Ankunft der Brutvögel Schlupĩeginn sowie für den Lege- und Schlupfbeginn 50 (Tab. 5). Dies wird ursächlich darauf zu- 40 rückgeführt, dass der Bestand der Kiebitze in den letzten zehn Jahren deutlich abge- 30 nommen hat. Insbesondere werden dadurch (01.04.1) = frühe Ausreißer immer weniger notiert. Die 20 Tage Entdeckungswahrscheinlichkeit hängt be- kanntlich stark von der Anzahl der durch- 10 ziehenden bzw. brütenden Vögel ab und y = y=-0,25x-0,2503x + + 28,81523,16 beeinflusst somit die Erstbeobachtungster- 0 1970 1980 1990 2000 2010 2020 mine. Abb. 3: Erstbeobachtung, Lege- und Schlupfbeginn beim Kiebitz (1976 bis 2016). – First observation, beginning of egg-laying and Diskussion hatching of the Northern Lapwing. a) Bestandsentwicklung

Der Niedergang vieler Vogelarten hält stetig an hinzugenommen, sind es sogar 87 % (KRUMENACKER und eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. In der 2016). In der Roten Liste für Niedersachsen und neuen Roten Liste der Brutvögel Deutschlands Bremen (KRÜGER & NIPKOW 2015) wird der Kiebitz (GRÜNEBERG et al. 2015) sind insbesondere die Vo- landesweit als gefährdet und für die naturräumliche gelarten betroffen, die im landwirtschaftlich intensiv Region Bergland mit Börden, wozu auch das Os- genutzten Offenland leben, wie der Kiebitz. Fast nabrücker Hügelland zählt, bereits als stark gefährdet drei Viertel (74 %) dieser Vogelarten sind in einer eingestuft. der Kategorien von „ausgestorben“ bis „gefährdet“ eingestuft. Werden die Arten auf der Vorwarnliste In Niedersachsen ist der Kiebitz noch vergleichsweise 186 KOOIKER: Niedergang des Kiebitzes in Osnabrück n e g n u k r e m e B comment 0 (1982-85) BP 0 (1992-95) BP 97-98) 92-94, (1985-87, BP 0 0 (1989-90) BP Weihnachtsbaumkultur ab Brückenstr. 1994/95 an 0 (1994-97) BP Gartencenter 0 (1999-00; BP 2003-09) Großkaufmarkt ) * (

l a s V V V V V V V V V V V V V V V V V V V k ZÜ ZÜ ZÜ ZÜ fate c V/ZA V/ZÜ i h c S t u r B

e t pflanzung 2005 1999 2008 2009 1987 2005 1987 1993 2014 2000 2011 2005 1998 2005 1998 2014 2011 2009 1999 2010 2011 2014 2013 2006 2009 z t e l last breedinglast 6 1 0 2

e r 0 1 3 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 a 11 `2-3 a p t u r B breeding pairsbreeding 2016 l a m i x a m

6 5 9 5 5 3 4 8 5 4 8 4 9 7 2 4 e 11 r 6-7 2-3 7-8 3-4 9 -10 a 18-20 20-22 24-26 14-17 15-18 11-15 12-14 13-14 a p t u r B max. breeding pairs max. breeding t i e s

t – Fate of 30 Northern-Lapwing colonies in and inOsnabrück.Northern-Lapwing around colonies30of – and Fate r e i l l o 1976 1976 1976 1980 1980 1982 1983 1983 1986 1990 1990 1992 1994 1992 1992 1995 2002 2002 2005 1980 1980 1984 1985 1988 1990 1990 1994 1992 1992 2002 r stört durchAnZA =(Gewerbegebiet);durch Zerstört stört Überbauung t n o checked since k t i e k h c i l t r Ö / e ß a r t S Auf der Heide/Hase der Auf Sundermann Knollstraße Flugplatz Düstrup Hellern Auffahrt BAB Fußweg Tecklenb. Hörne/Hörner Weg Lobbertkamp Parkhotel street/locality Str. Mindener WieseBissendorfer Wissinger Wiese Flöthegraben Südstraße Bornheide/Daum.-weg Wellmannsbrücke Benzstraße Rubbenbruch Turm Wulfter Eselspatt Klärwerk/Brückenstr. Fürste. Weg/Hydepark Sutth. Str./Padeffke Burenkamp/Feldstr. Rheiner Landstr./Ikea In Strothe der Hasb. Weg/Petersheide Lindlager Berg Mühlenkamp

l i e t t d a t S district Lüstringen Eistrup Natbergen Wissingen Linne Schinkel-Ost Gretesch Gretesch Fledder Dodesheide Atter Westerberg Atter Sutthausen Hellern Hafen Hafen Voxtrup Weststadt Nahne Kalkhügel Hellern Hellern Hellern Atter Hellern Hellern Hellern Voxtrup Westerberg e d n i e m e G municipality Osnabrück Bissendorf Bissendorf Bissendorf Bissendorf Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück Osnabrück =vorhanden); Zer Brutstandort (potentieller ZÜ =Verlassen V (*) Tab. 3: Schicksal von3:und Osnabrück. umSchicksalinKiebitzkolonien 30 Tab. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 187

Tab. 4: Phänologische Daten beim Kiebitz im Osnabrücker Raum (1976 bis 2016). – Pheno- logical data of the Northern Lapwing in the region of Osnabrück (1976 to 2016).

Jahr Erstbeobachtung Ankunft Brutvögel Legebeginn Schlupfbeginn first observation arrival of breeding pairs egg-laying hatching 1976 29.2. 4.4. 4.5. 1977 22.2. 2.4. 8.5. 1978 25.2. 4.3. 5.4. 1979 28.2. 9.3. 3.4. 8.5. 1980 9.2. 8.3. 3.4. 6.5. 1981 1.3. 7.3. 25.3. 26.4. 1982 6.3. 6.3. 24.3. 24.4. 1983 5.3. 5.3. 24.3. 25.4. 1984 4.3. 27.3. 29.4. 1985 2.3. 3.3. 31.3. 1.5. 1986 7.3. 1.4. 1987 28.2. 1988 2.3. 27.3. 27.4. 1989 19.2. 23.3. 21.4. 1990 7.2. 11.3. 10.4. 1991 24.2. 24.2. 18.3. 21.4. 1992 23.2. 28.2. 26.3. 20.4. 1993 27.2. 7.3. 18.3. 20.4. 1994 26.2. 27.2. 17.3. 19.4. 1995 5.2. 26.2. 23.3. 21.4. 1996 28.2. 28.2. 27.3. 29.4. 1997 16.2. 18.3. 20.4. 1998 14.2. 14.2. 17.3. 16.4. 1999 24.2. 24.2. 15.3. 16.4. 2000 16.2. 18.3. 16.4. 2001 14.2. 22.3. 23.4. 2002 12.2. 21.2. 15.3. 15.4. 2003 22.2. 2.3. 18.3. 17.4. 2004 6.2. 20.2. 18.3. 18.4. 2005 13.2. 9.3. 25.3. 20.4. 2006 19.2. 10.3. 30.3. 27.4. 2007 28.1. 13.3. 12.4. 2008 16.1. 25.2. 20.3. 20.4. 2009 4.2. 4.3. 14.3. 14.4. 2010 24.2. 27.2. 24.3. 26.4. 2011 8.2. 1.3. 20.3. 28.4. 2012 4.3. 4.3. 27.3. 27.4. 2013 5.3. 5.3. 9.4. 9.5. 2014 20.2. 7.3. 22.3. 22.4. 2015 24.2. 1.3. 2016 23.2. 18.3. 18.4. Mittel 20.2. 1.3. 23.3. 23.4. s +- [Tage] 11 5,8 7,1 7,3 n [Jahre] 41 28 39 37 188 KOOIKER: Niedergang des Kiebitzes in Osnabrück

Tab. 5: Vergleich der phänologischen Daten der Zeiträume 1976 bis 2008 und 1976 bis 2016 – Comparison of the phenological data of the periods 1976 to 2008 and 1976 to 2016. 1976-2008 1976-2016 Mittel Tage früher r Mittel Tage früher r mean days earlier mean days earlier Erstbeobachtung 19.2. 24 -0,631 20.2. 14 -0,380 first observation Ankunft Brutvögel 1.3. 9 n.s. 1.3. 4 n.s. arrival of breeding pairs Legebeginn 23.3. 17 -0,667 23.3. 11 -0,433 egg-laying Schlupfbeginn 23.4. 18 -0,708 23.4. 10 -0,399 hatching n. s. = nicht signifikant

weit verbreitet. Schwerpunkte liegen in der küs- gelland werden durch Untersuchungen aus be- tennahen Region sowie im mittleren Landesteil nachbarten, zum Teil angrenzenden Kreisen und westlich der Weser in offenen Landschaften mit Städten belegt: grundwassernahen Böden. Besiedelt werden in Niedersachsen in erster Linie immer noch Grünländer • Stadt Melle (317 km²): 1992 bis 2014 Rückgang (KRÜGER et al. 2014). Für Niedersachsen belegen um 42 % (TIEMEYER et al. 2014), ONNEN & ZANG (1995) für den Zeitraum 1961 bis • Stadt Bielefeld und Kreis Gütersloh: 2007 bis 1993 einen Rückgang um 70 %, von 91.000 auf 2013 Rückgang um 39 %, 2010 bis 2013 Rück- 27.000 Paare. Zuletzt wurde der niedersächsische gang um 31 % (PÜCHEL-WIELING & WALTER 2014) Bestand im Jahre 2005 auf etwa 25.000 Paare • Kreis Soest: 2003 bis 2012 Rückgang um 48 %, (KRÜGER & OLTMANNS 2007) und für 2014 auf 22.000 2005 bis 2012 Rückgang um 38 % (JOEST et al. Paare (KRÜGER & NIPKOW 2015) taxiert. 2014) • Kreis Warendorf: 2003/04 bis 2012 Rückgang Naturräumlich vergleichbar mit dem Osnabrücker um 62 % (PELSTER & MANTEL 2014) Hügelland sind die östlichen und südlichen Landesteile • Westliches Ruhrgebiet: 2005/09 bis 2014 Rück- von Niedersachsen (Börden, Weser- und Leineberg- gang um 67 % (KOWALLIK & RAUTENBERG 2014). land, Weser-Aller-Flachland) sowie das angrenzende Westfalen, wo es in den letzten Jahrzehnten zu Die Ursachen für den negativen Bestandstrend dramatischen Arealverlusten kam (GRÜNEBERG & SUD- (Umweltzerstörung, Lebensraumverlust, Pestizide) MANN 2013, KRÜGER et al. 2014, SUDMANN et al. sowie die erforderlichen Schutzmaßnahmen beim 2014). Der Kiebitz zählt hier schon längst nicht Kiebitz sind bekannt und sollen hier nicht noch mehr zu den sogenannten Wiesenlimikolen. So einmal dargelegt werden. brütet er in Nordrhein-Westfalen fast zu 90 % auf Ackerflächen (GRÜNEBERG & SCHIELZETH 2005). Dadurch b) Phänologie ist er von der intensiven Landwirtschaft besonders stark betroffen. In Nordrhein-Westfalen ist der Lan- Erstbeobachtungsdaten sind Extremwerte, die den desbestand daher auch stärker eingebrochen als in Zeitpunkt signalisieren, an dem bestimmte biologische Niedersachsen und zwar um 80 % von 60.000 Zyklen beginnen. Sie sind daher als Richtwerte im (1960) auf 12.000 Paare (2014) (SUDMANN et al. Jahresrhythmus der Kiebitze zu verstehen (vgl. KOOIKER 2014, KÖNIG et al. 2014). Im Jahre 2009 lag er 1993, 2005, 2009). Im Laufe eines Jahres wurde noch bei 20.000 Paaren. Dies entspricht einem immer nur das erstmalige Auftreten bzw. die Erstbe- Rückgang von 40 % innerhalb von nur fünf Jahren. obachtung eines phänologischen Merkmals beim ersten Individuum der Kiebitzpopulation berücksichtigt. Ähnliche negative Trends wie im Osnabrücker Hü- Dies bedingt insbesondere bei den Ankunftsdaten Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 189

eine hohe zeitliche Streuung, die von der aktuellen und wird hier erneut statistisch belegt. In dieser Witterung abhängig ist (vgl. auch Abb. 3). Studie waren es 10 bis 11 Tage und zwischen 1976 und 2008 sogar 15 bis 18 Tage (Kooiker Bei der Auswertung von Frühjahrsankünften gibt 2009). Dies wurde bereits bei anderen Vogelarten es unterschiedliche methodische Ansätze, um ins- beschrieben (u. a. WINKEL & HUDDE 1996, KOOIKER besondere die frühen Ausreißer zu eliminieren. In 2007, BOTH 2008). Die Begründung liefert u. a. einigen Studien wird die Zweitbeobachtung oder GALBRAITH (1989), der darauf hinweist, dass neben die Beobachtung des 20. Individuums verwendet der Photoperiode besonders die Temperatur und (z. B. A. MITSCHKE, pers. Mitt., SUDFELDT et al. 2012). die daraus resultierende Vegetationsentwicklung Dies ist besonders bei Arbeitsgemeinschaften in mit dem vorhandenen Nahrungsangebot einen einer Region notwendig, da Erstbeobachtungen Einfluss auf die Brutbereitschaft der Kiebitze haben. besonders stark von der Beobachterdichte und -aktivität abhängen. Besonders gut geeignet sind Überwiegend sind es Standvögel, Teil- und Kurz- Fangdaten, hier kann man für jedes Jahr einen streckenzieher, die auf den „Treibhauseffekt“ rea- statistisch viel robusteren Mittelwert über alle wäh- gieren. Diese Vögel sind abhängig vom nordatlan- rend einer Zugzeit gefangenen Individuen einer tischen Klima (NAO = Nordatlantische Oszillation), Art berechnen (HÜPPOP & HÜPPOP 2005, 2011). das ihre in Europa liegenden Brut-, Rast- und Win- terquartiere gleichermaßen beeinflusst (ANTHES Trotz der Unwägbarkeiten bei der Verwendung 2005, HÜPPOP & HÜPPOP 2011). Möglicherweise pro- von Erstbeobachtungen können mit diesen Daten fitieren sie davon, weil sie sich theoretisch stärker wertvolle Ergebnisse erzielt werden, wie die oben vermehren können – insbesondere durch milde durchgeführte Analyse zeigt, da die Freilanddaten Winter, zeitigere Frühjahre und eine Steigerung immer nur von einer einzigen Person (dem Autor) der Primärproduktion (BERTHOLD 1998). Damit könnte bei nahezu gleichbleibender Beobachtungsaktivität die Jahresproduktion an Jungvögeln steigen. So erhoben wurden. Auch der lange Zeitraum von wurde auf Helgoland bei etlichen Arten ein Anstieg über 40 Jahren ist in der Trendanalyse recht robust des Jungvogelanteils auf dem Herbstzug beobachtet gegen frühe und späte Ausreißer. Je länger die Be- (HÜPPOP & HÜPPOP 2012). Andererseits kommen obachtungsreihen, desto aussagekräftiger sind die meist Langstreckenzieher zu spät und verpassen Ergebnisse. das beste Beuteangebot für die Aufzucht ihrer Jungen. Dies kann zu Bestandsrückgängen führen. Die beim Kiebitz gemachte Feststellung einer sig- Die Ursachen für eine zeitliche Entkoppelung nifikanten Verfrühung der Ankunftszeiten von 24 werden allerdings noch kontrovers diskutiert. Auch Tagen (1976 bis 2008) bzw. 14 Tagen (1976 bis wird für das 21. Jahrhundert ein weltweiter Meeres - 2016) wurde auch bei weiteren Zugvogelarten im spiegelanstieg von 10 bis 60 cm vorhergesagt, Großraum Osnabrück zwischen 1976 und 2004 was zu fundamentalen Habitatverlusten (Salzwiesen, belegt (KOOIKER 2005): Von 30 Zugvogelarten Wattenmeerflächen) führen wird (THYEN et al. 2010). erfolgte hier die Erstbeobachtung bei 20 Arten 3 bis 23 Tage früher und bei vier Arten 4 bis 19 Tage Auch Kiebitze könnten von der Klimaerwärmung später. Bei sechs Arten war kein Trend erkennbar. profitieren. Denkbar wäre, dass die beim Kiebitz Die Verfrühung auf dem Heimzug deckt sich mit seit 1976 festgestellte Verfrühung der Brutperiode den Beobachtungen vieler Studien u. a. auf Hel- um 10 bis 18 Tage zu einer Steigerung der Repro- goland. Hier hat sich bei 20 von 23 gefangenen duktionsrate führen könnte, da nach Gelegeverlusten Kleinvogelarten in den letzten 50 Jahren der Früh- mehr Zeit zur Verfügung steht, um Ersatzgelege jahrsdurchzug im Mittel um 10 Tage vorverlegt zu produzieren. Vorstellbar wäre auch eine Verla- (HÜPPOP & HÜPPOP 2011), ferner im Hamburger und gerung im Zugverhalten der Kiebitze hin zu we- Berliner Raum (SUDFELDT et al. 2012) sowie im nig- oder nichtziehenden Vögeln, wie dies bei Mecklenburgischen Landkreis Parchim (SCHMIDT & einigen Wat- und Wasservogelarten nachgewiesen HÜPPOP 2007). wurde (vgl. MACLEAN et al. 2008, WAHL et al. 2011, SUDFELDT et al. 2013). Dass sich mit einer früheren Ankunft der Kiebitze sich auch das Brutgeschäft verfrüht, wurde vermutet 190 KOOIKER: Niedergang des Kiebitzes in Osnabrück

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Aus der Arbeitsgemeinschaft Adlerschutz in Niedersachsen (AAN)

Dokumentation der Brut 2016 am Horst eines niedersächsischen Paares des Seeadlers Haliaeetus albicilla unter besonderer Berück- sichtigung des Beuteeintrags lebender junger Greifvögel

Dietrich Hummel

HUMMEL, D. (2017): Dokumentation der Brut 2016 am Horst eines niedersächsischen Paares des Seeadlers Haliaeetus albicilla unter besonderer Berücksichtigung des Beuteeintrags le- bender junger Greifvögel. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45: 193-212.

Zur Überwachung des Brutverlaufs wurde an einem niedersächsischen Seeadlerhorst im Horstbaum eine automatisch arbeitende Kamera angebracht. Sie lieferte aus der Zeit vom 26.11.2015 bis 21.09.2016 in stündlichem Abstand über 5.500 Fotos vom Horst. In der vor- liegenden Arbeit wird über die Ergebnisse dieser Freilanduntersuchung berichtet.

Im brutbiologischen Teil wird der Brutverlauf mit Eiablage, Brutdauer und Schlupf der beiden Jungvögel beschrieben und bildlich dokumentiert. Die Brutanteile betrugen für das Männchen 20,1 % und das Weibchen 79,9 %. Die Dunenkleider und die Gefiederentwicklung der Jungadler werden in Abhängigkeit vom Lebensalter gezeigt. Von den am Horst ablaufenden Instinkthandlungen werden die ersten Fütterungen der Jungadler dokumentiert.

Im ernährungsbiologischen Teil werden Beutelisten für Fische, Säugetiere und Vögel präsen- tiert. Der Eintrag von lebenden nestjungen Greifvögeln wird in Einzelheiten dargestellt. Aus- gehend von einer Literaturübersicht zu diesem Thema werden die eigenen Beobachtungen von mindestens 17 derartigen Vögeln mitgeteilt und ausführlich diskutiert. Die Ergebnisse sind: Zunächst als Beute eingetragene junge Greifvögel, die gesund sind und sich aktiv ver- halten, werden im Seeadlerhorst wie Nestlinge behandelt und mit den Jungadlern gefüttert. Nimmt jedoch ihre Aktivität aus verschiedenen Gründen ab, so werden sie in den eigentlichen Beutestatus herabgestuft und schließlich verfüttert. Wenn gegen Ende der Nestlingszeit die Verteilung der Beute im Horst den Jungadlern selbst überlassen wird, können sich die kör- perlich unterlegenen eingetragenen jungen Greifvögel nicht mehr durchsetzen. Infolge ihrer Schwächung enden sie fast immer als Beute und werden von den Jungadlern getötet.

D. H., Trinchenberg 4, D-38162 Cremlingen, [email protected]

Einleitung im Horst wurde dabei vom Beringer (Joachim Neu- mann) fotografisch dokumentiert. In dem Seeadlerhorst im NSG „Viehmoor“ bei Lei- ferde im Landkreis Gifhorn wurden bei der Beringung Um das ungewöhnliche Verhalten des Seeadler- der beiden Jungadler am 28.05.2015 drei lebende paares in der Zukunft näher zu untersuchen und nestjunge Mäusebussarde Buteo buteo sowie die um die damit zusammenhängenden Vorgänge bes- Reste eines weiteren Jungbussards vorgefunden. ser zu verstehen, wurde in dem Horstbaum eine GÖRKE et al. (2015) haben diese überraschende automatische Kamera angebracht, die im Verlauf Entdeckung ausführlich beschrieben. Die Situation des Jahres 2016 über 5.500 Fotos vom Geschehen 194 HUMMEL: Dokumentation einer Seeadlerbrut

Die Kamera wurde so programmiert, dass von 4.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr abends in stündlichem Abstand 19 Fotos pro Tag aufgenommen wurden. Die erste Anwendungsperiode erstreckte sich vom 26.11.2015 bis zum Tag der Beringung der Jungvögel am 01.06.2016. Bei der Besteigung des Horstbaumes wurden die Batterien und die Speicherkarte erneuert. Die zweite Anwendungsperiode dauerte dann vom 01.06.2016 bis zum 21.09.2016. Zusammenge- nommen entstanden so 5.697 Fotos vom Seead- lerhorst. Für jedes aufgenommene Bild werden Da- tum, Uhrzeit, Mondphase, Lufttemperatur – ge- messen am Ort der Kamera – sowie der Aufnah- memodus – Automatik oder Infrarot-Blitz – angezeigt.

Mit der Position der Kamera am Horstbaum (Abb. 2) und bei gegebener fester Brennweite des Objektivs wurde im Bild hauptsächlich das Innere des Horstes erfasst. Der Horstrand wurde nur etwa zur Hälfte abgebildet. Dies stellte sich bei der Auswertung als Nachteil heraus, denn eingetragene junge Greifvögel können sich zeitweise dort aufgehalten haben, um Abb. 1: Der Seeadlerhorst im NSG „Viehmoor“ 2016. dann später wieder im Horstinneren zu erscheinen. Foto: Dietrich Hummel. – The nest of the White-tailed Darauf war bei der Auswertung besonders zu ach- Eagles at NSG "Viehmoor" 2016. ten. im Horst geliefert hat. Im Folgenden wird über Ein weiterer Nachteil der benutzten Kameraanord- diese Freilanduntersuchung berichtet. nung bestand darin, dass die starken Äste des Baumes in Horstnähe im Bild fehlen. Beim Ausfliegen der Jungadler verschwinden diese aus dem Blickfeld Methode der Kamera. Es bleibt unklar wie lange sie sich als Der Seeadlerhorst (Abb. 1) befindet sich in einer Ästlinge noch im Brutbaum aufhielten. Kiefer Pinus sylvestris, die ringsum von Laubgehölzen, vorwiegend Moor-Birken Betula pubescens, um- Abhilfe für die genannten Nachteile ist eine neue geben ist. Oberhalb des Horstes (Abb. 2) wurde Kameraposition im Horstbaum, die inzwischen ein- die Kamera an einem starken Astbefestigt und auf gerichtet wurde. den Horst ausgerichtet.

Für die Dokumentation wurde eine Fotokamera vom Typ RECONYX HC 600 verwendet. Die Brenn- weite des Objektivs betrug f = 35 mm. Die Film- empfindlichkeit und die Verschlusszeiten wurden in der Kamera tagsüber je nach der Beleuchtung durch eine Automatik optimal eingestellt. In den Nachtstunden arbeitete die Kamera mit einem In- frarot-Blitz, der jedoch für einen menschlichen Be- obachter und auch für die Vögel nicht wahrnehmbar ist. Zur Energieversorgung wurden 12 handelsübliche Lithium-Batterien 1,5 V AA eingesetzt. Die Bild- speicherung erfolgte mit Hilfe einer normalen Spei- Abb. 2: Position der Kamera oberhalb des Horstes. Foto: cherkarte mit einer Kapazität von 2 GB. JOACHIM NEUMANN. – Position of the camera above the nest. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 195

Die Dokumentation der Vorgänge am Seeadlerhorst mit Hilfe einer Kamera erfolgte im Einvernehmen und mit Genehmigung der Unteren Naturschutz- behörde des Landkreises Gifhorn. Dies gilt auch für die künftigen Untersuchungen.

Brutverlauf Die Brutbiologie des Seeadlers ist sehr gut BEKANNT, man vgl. GLUTZ V. BLOTZHEIM et al. (1989) und FISCHER (1984). Das Ziel der hier folgenden Darstellung der Ergebnisse der Kameraüberwachung ist zunächst der Vergleich mit bekannten Daten. Außerdem sollen die Vorgänge im Horst an Hand einiger Fotos von einem niedersächsischen Seeadlerhorst gezeigt werden. Abb. 3: Erstes Ei: 19.03.2016, 10:00 Uhr. Foto: JOACHIM NEUMANN. – First egg: 19.03.2016, 10:00 a.m. Nach der Installation der Horstkamera am 26.11.2015 um 14:00 Uhr zeigten die Kameradaten erstmals zwei Stunden später den Besuch eines Einzelvogels an. Im Dezember 2015 folgten dann weitere 13 Horstbesuche, davon in vier Fällen durch beide Vögel gleichzeitig. Am Morgen des 14.12.2015 schliefen beide Seeadler noch um 08:00 Uhr auf dem Horst. Anhand der Körpergröße ließen sich die Geschlechter sehr gut unterscheiden, aber verlässliche Gefiedermerkmale für die Unter- scheidung bei Tageslicht konnten dabei leider nicht identifiziert werden. Im Januar und Februar 2016 fanden weitere 9 bzw. 12 Horstbesuche statt. In dieser Zeit war die Horstmulde stets gefüllt mit einer weichen Graspolsterung, auf die bei den Be- suchen mehrfach kleine grüne Kiefernzweige auf- gelegt wurden. Abb. 4: Zweites Ei: 23.03.2016, 10:00 Uhr. Foto: JOACHIM NEUMANN. – Second egg: 23.03.2016, 10:00 a. m. Als sich der Zeitpunkt der Eiablage näherte, nahmen die Horstbesuche stark zu. In dem durch die Kamera vorgegebenen Stundenrhythmus wurde der Horst In den folgenden Tagen war der Seeadlerhorst in der ersten Märzhälfte aber nur dreißig Mal auf- ständig besetzt. Anhand der Unterscheidungs- gesucht, meist von einem Einzelvogel. Dabei han- merkmale der Geschlechter, die später beim Studium delte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um des Brütens gewonnen wurden, lässt sich mit Si- das Weibchen, dessen Legebereitschaft zunahm. cherheit auch die Betreuung der Brut durch das Ab dem 16.03.2016 stieg die Anwesenheit der Männchen schon zu diesem frühen Zeitpunkt nach- Seeadler am Horst sprunghaft an. Von den 19 Ta- weisen. Am 23.03.2016 wurde das zweite Ei gesaufnahmen des 18.03.2016 zeigten 14 einen sichtbar (Abb. 4). Seeadler auf dem Horst und nur bei fünf Fotos war der Horst leer. Die Nacht 18./19.03.2016 ver- Während der gesamten Brutzeit war ständig ein brachte ein Einzelvogel – wohl das Weibchen – brütender Altvogel auf dem Gelege. Er machte es erstmalig auf dem Horst. Am 19.03.2016 war der sich meist bequem und spreizte beide Flügel etwas Horst dann stündlich besetzt, und an diesem Tag ab. Dadurch wurde für die Horstkamera der weiße wurde das erste Ei sichtbar (Abb. 3). Schwanz sichtbar. Alle adulten Seeadler besitzen 196 HUMMEL: Dokumentation einer Seeadlerbrut

brütung existieren 741 Fotos, von denen aber nur 423 (= 100 %) bezüglich des Geschlechts aus- wertbar sind. Dabei entfielen als Anteil an der Be- brütung des Geleges auf das

Männchen 85 (20,1 %) Weibchen 338 (79,9 %).

Nach Angaben von FISCHER (1984) ist der Brutanteil des Weibchens wesentlich größer als der des Männ- chens. Nach Sichtbeobachtungen an vier Horsten wird er dort mit 73,5 % angegeben. Die Befunde an unserem niedersächsischen Seeadlerhorst stim- men damit gut überein.

Abb. 5: Bürzelzeichnung des brütenden Männchens, Die Brut hatte am 19.03.2016 mit dem Erscheinen 11.04.2016, 12:00 Uhr. Foto: JOACHIM NEUMANN. – Upper des ersten Eies begonnen. Der Schlupf der Jungvögel tail feathers of breeding male, 11.04.2016, 12:00 a.m. begann am 23.04.2016, als sich Deformationen bei einem Ei bemerkbar machten. Der erste Jung- vogel brauchte dann aber noch bis zum 38. Bruttag, dem 25.04.2016, bis er sich aus der Eiumhüllung befreit hatte. Der zweite Jungvogel schlüpfte am 39. Bruttag, dem 26.04.2016 (Abb. 7).

Vergleicht man die Daten der vorliegenden Brut mit den Angaben in der Literatur, so zeigt sich, dass die Brut, wie auch 2015, spät begonnen wurde, aber die Dauer mit 39 Tagen dem normalen Verlauf entsprach.

Abb. 6: Bürzelzeichnung des brütenden Weibchens, 13.04.2016, 14:00 Uhr. Foto: JOACHIM NEUMANN. – Upper tail feathers of breeding female, 11.04.2016, 02:00 p. m. auf dem Bürzel vier vergrößerte weiße Deckfedern, die meist schwarze Abzeichen tragen (O. KRONE, pers. Mitt.). Diese sind bei den einzelnen Individuen verschieden ausgebildet. Dies half im Folgenden bei der Bestimmung der Geschlechter des beob- achteten Paares (Abb. 5 und Abb. 6).

Beim Männchen waren die vier schwarzen Punkte verwaschen, während sie beim Weibchen klar und scharf abgegrenzt ausgebildet waren. Abb. 7: Schlupf des zweiten Jungvogels am 26.04.2016, 19:00 Uhr (Eischale rechts). Foto: JOACHIM NEUMANN. – Hat- Nicht immer saßen die brütenden Vögel in dieser ching of the second eaglet on 26.04.2016, 07:00 p. m. bequemen Haltung auf dem Gelege. Von der Be- (egg shell on the right). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 197

zur Thermoregulation noch nicht entwickelt. Bei dem fast weißen ersten Dunenkleid der Jungen sind die Augen und die Zügelregion sehr dunkel. Zusammen mit dem schwarzen Schnabel ergibt sich so eine markante Kopfzeichnung. Diese stellt für die Altvögel, verstärkt durch die Bewegungen der Jungen und unterstützt durch deren Bettellaute, den Schlüsselreiz für die Auslösung des Fütte- rungstriebes dar. Die Altvögel benutzten dabei einen im Horst verfügbaren Vorrat an frischem Fleisch, das in kleinen Stücken vorgehalten wurde. Dabei spielt nach BRÜLL (1977) die Blutfarbe Rot eine wichtige Rolle, denn sie stellt für die Jungvögel den Schlüsselreiz für Beute dar. Nahrungsaufnahme wird mit dem gelben Schnabel der Altvögel in Ver- Abb. 8: Fütterung am 28.04.2016, 09:00 Uhr, Alter der bindung gebracht (Abb. 9). Jungvögel zwei Tage. Foto: JOACHIM NEUMANN. – Feeding on 28.04.2016, 09:00 a. m., age of the eaglets 2 days. Bereits nach zwei Wochen begann die Mauser in das zweite, graubraune Dunenkleid. Die neuen Entwicklung der Jungvögel grauen Pelzdunen wuchsen hauptsächlich am Das Standardwerk von HEINROTH & HEINROTH (1924- Körper und auf den Flügeln, während der Kopf 1928) über die Jugendentwicklung der Vögel noch deutlich abgesetzt die ersten hellen Dunen enthält im Band II (1927) umfangreiche Angaben trug. Diese Zweiteilung des Dunengefieders hielt über die Entwicklung junger Seeadler in Gefan- noch sehr lange an (Abb. 10). genschaft. Dagegen wurde durch unsere Horstka- mera die Jugendentwicklung im Freiland beobachtet. Im zweiten Dunenkleid ist die Thermoregulation Da eine solche Dokumentation bisher nicht existiert, schon weit fortgeschritten. Die Jungvögel sind auf seien hier einige Stadien wiedergegeben (Abb. 8). dem Horst optisch bereits recht gut getarnt, so dass sie von den Altvögeln schon über längere Nach dem Schlupf der Jungvögel werden diese Zeitabschnitte allein gelassen werden. In diesem sofort gehudert, denn bei ihnen ist die Fähigkeit Stadium wurde der sehr deutliche Unterschied in

Abb. 9: Fütterung am 30.04.2016, Alter der Jungvögel Abb. 10: Mauser in das zweite graubraune Dunenkleid, vier Tage. Erstes hellbraunes Dunenkleid. Foto: JOACHIM 11.05.2016, Alter der Jungen 15 Tage. Foto: JOACHIM NEU- NEUMANN. – Feeding on 30.04.2016, age of the eaglets 4 MANN. – Moult into the second grey-brown outfit with days, first light-brown outfit with downes. downes, 11.05.2015, age of the eaglets 15 days. 198 HUMMEL: Dokumentation einer Seeadlerbrut

Das Erscheinungsbild war immer noch geprägt vom zweiten Dunenkleid, aber die Federn am Schwanz und den Flügeln begannen zu wachsen. Bei den Jungvögeln entwickelte sich das Jugendgefieder dann sehr rasch. Schon kurz nach der Beringung am 01.06.2016 waren zwar die Flügel- und Schwanz- federn noch nicht zur vollen Größe gewachsen, aber die Rückenzeichnung mit der regelmäßigen Tropfenfleckung der großen und kleinen Decken auf den Flügeln trat schon hervor (Abb. 13).

Ende Juni war das Jugendgefieder der Jungen voll ausgebildet. Allerdings konnte das Ausfliegen von der Horstkamera nicht dokumentiert werden. Am 08.07.2016 verschwand ein Jungvogel im Alter Abb. 11: Zweites graubraunes Dunenkleid, 18.05.2016, von 73 Tagen aus dem Blick der Horstkamera. Er Alter der Jungen 22 Tage. Foto: Joachim Neumann. – Se- war zu diesem Zeitpunkt sicherlich Ästling. Ob er cond grey-brown outfit with downes, 18.05.2016, age sich noch im Horstbaum aufhielt oder ob er schon of the eaglets 22 days. flog ist nicht dokumentiert (Abb. 14).

Beuteeintrag Bei der Auswertung der von der Horstkamera auf- genommenen Fotos konnten viele der eingetragenen Beutetiere bestimmt werden. Aus dem sehr um- fangreichen Material werden im Folgenden zunächst die Beutelisten für Fische, Säugetiere und Vögel (ohne Greifvögel) dargestellt und mit Befunden aus der Literatur verglichen.

Abb. 12: Beginn der Entwicklung des Großgefieders, 27.05.2016, Alter der Jungen 31 Tage, Status kurz vor der Beringung. Foto: JOACHIM NEUMANN. – Beginning of the growth of the flight feathers, 27.05.2016, age of the eaglets 31 days, status close to banding. der Körpergröße der beiden Jungvögel bemerkbar. Wahrscheinlich ist er nicht auf die geringfügig ver- schiedenen Schlupftermine der beiden Vögel zu- rückzuführen, sondern es handelte sich bei den Jungen um ein Weibchen und ein Männchen (Abb. 11 und Abb. 12). Abb. 13:Gefiederzustand kurz nach der Beringung, 10.06.2016, Alter der Jungen 45 Tage. Foto: JOACHIM NEU- Im Alter von etwa einem Monat wurde bei den MANN. – Status o f th e feathers short a fter b anding, Jungen die Entwicklung des Großgefieders sichtbar. 10.06.2016, age of the eaglets 45 days. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 199

Spiegelkarpfen Cyprinus carpio und Hecht Esox lucius waren leicht zu identifizieren. Die weitere Artbestimmung der Beutefische war sehr schwierig, weil in fast allen Fällen der vordere Teil des Fisch- körpers fehlte und weil infolge der Bearbeitung durch die Seeadler der Flossenbesatz im hinteren Teil oft nicht mehr erkennbar war. In diesen Fällen wurde die auch in Fischereikreisen übliche Kenn- zeichnung als „Weißfisch“ verwendet. Der Haupt- nutzfisch in den Teichwirtschaften ist der Karpfen, die erbeuteten Weißfische sind somit als Beifang der Karpfenzucht anzusehen. Dafür kommen die Fischarten Döbel Leuciscus cephalus, Giebel Carassius gibelio, Karausche Carrassius carrassius und Plötze

Abb. 14: Gefiederzustand beim Ausfliegen, 29.06.2016, Alter der Jungen 64 Tage. Foto: JOACHIM NEUMANN. – Status of the feathers at fledging, 29.06.2016, age of the eaglets 64 days.

Erbeutete Fische Vom Seeadlerpaar wurden über die gesamte Füt- terungsperiode verteilt Fische als Beute in den Horst eingetragen. Diese stammten wahrscheinlich aus den Teichwirtschaften der Region und aus der sogenannten Viehtränke, einem sehr flachen Ge- wässer der Weidewirtschaft in dem großen Wie- sengelände des NSG „Viehmoor“, sowie aus den langsam fließenden Flüssen Oker und Aller (Abb. 15 und Abb. 16). Abb. 16: Hecht als Seeadlerbeute, 17.05.2016 (Kopf links, Schwanzende rechts). Foto: J OACHIM NEUMANN. – Pike as prey of the eagles, 17.05.2016 (head on the left, tail on the right)

Rutilus rutilus in Frage. Die genaue Artbestimmung muss offenbleiben (Abb. 17).

Die Beuteliste für Fische umfasst somit:

Karpfen 9 Hecht 2 Weißfische 11

Alle bisher in der Literatur veröffentlichten Beutelisten des Seeadlers gehen auf Funde von Beuteresten im Horst, unter dem Horstbaum und unter den Sitzwarten der Vögel zurück, wobei Gewölle und Abb. 15: Karpfen als Seeadlerbeute, 09.07.2016. Foto: Rupfungen eine große Bedeutung hatten. Für die Joachim Neumann. – Carp as prey of the eagles, Listen wurde umfangreiches Material aus allen 09.05.2016. Teilen der Welt zusammengetragen, um ein mög- 200 HUMMEL: Dokumentation einer Seeadlerbrut

Ab b . 17 : Weiß fisc h als Seead lerbeu te, 1 0.05 .2 01 6 . Fo to: Abb . 1 9: Fel dh as e al s B eut e d es Seeadl erp aares, Bear - JOACHIM NEUMANN. – U n id entified w hiting ( „ Weißfisch “) b eitun g d urc h die Jung vö g el am 03 .0 7.20 16 . Fo to : JOA- as p rey o f th e eagles, 10 .0 5 .2 01 6. CHIM NEUMANN. – Hare as p rey o f th e eag les , han dled b y th e eag lets o n 03.07.2 016 . lichst großes und allgemeines Bild von der Ernährung des Seeadlers zu erhalten. Dabei wurde nicht zwi- liegen von Resten mit damaligen Methoden eine schen Brutvorkommen an der Küste und im Bin- Artbestimmung nicht möglich war. Von MÄRZ (1954) nenland unterschieden, und so ging der Bezug wurden zwar unterschiedliche Seeadlerpaare in des Beutespektrums zum Jagdrevier des jeweiligen ihren jeweiligen Regionen betrachtet, aber die Seeadlerpaares verloren. Beuteliste für Fische kennt nur methodenbedingt Hechte und unbestimmbare Fische. Die berühmte Beuteliste von UTTENDÖRFER (1939) weist bei den Fischen eine große Zahl erbeuteter Angesichts dieses Sachverhaltes scheint die hier be- Hechte aus, weil die Kieferknochen der Hechte in schriebene Horstüberwachung mit einer Kamera zu Gewöllen und an Aufenthaltsplätzen leicht zu einem ganz neuen Ergebnis geführt zuhaben: Die finden waren. Alle übrigen Fische werden als un- Beuteliste der Fische wurde erheblich erweitert, und bestimmbar gekennzeichnet, weil selbst beim Vor- weitere Erfolge sind bei einer Verbesserung der Art- bestimmung der Fische durch Fachleute zu erwarten.

Erbeutete Säugetiere Mit Hilfe der Horstkamera wurde dokumentiert, dass das Seeadlerpaar in der Fütterungsperiode insgesamt drei Rehkitze Capreolus capreolus eintrug. Dabei erhebt sich natürlich die Frage, ob diese selbst erbeutet wurden. Das am 06.05.2016 ein- getragene Rehkitz war noch sehr klein und es fehlte der Kopf. Wahrscheinlich wurde es bei Mäh- arbeiten getötet und die Reste in den Seeadlerhorst getragen. Am 08.05.2016 tauchte im Horst ein weiteres, größeres Rehkitz auf, das keine Fremd- verletzungen aufwies. Es könnte ein Verkehrsopfer gewesen oder von den Seeadlern geschlagen wor- Abb . 1 8: R ehki tz al s B eut e d es Seead l erp aares , 08 . 0 5. den sein. Interessant ist aber, dass ein so großes 20 1 6. Fo to: Jo ach im Neuman n. – Youn g Euro p ean roe und schweres Beutetier von den Seeadlern zum deer as prey o f th e eag les , 08.0 5.20 1 6. Horst getragen werden konnte (Abb. 18). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 201

Als weitere Säugetiere wurden im Seeadlerhorst und MÄRZ (1954) schreibt, das Weibchen sorge Feldhasen Lepus europaeus oder Wildkaninchen dafür, dass der Horst rein bleibt. Das Ergebnis Oryctolagus cuniculus gefunden. Darüber hinaus dieser Horstreinigung würde dann unter dem Horst- konnte ein Hermelin Mustela erminea bestimmt baum von Füchsen und Wildschweinen rasch be- werden. Das Seeadlerpaar muss in seinem Revier seitigt. Ein solches Verhalten der adulten Seeadler auch Zugang zu Jagdabfällen gehabt haben. Wäh- auf dem Horst wird von den vorliegenden Beob- rend der Jungenaufzucht wurden im Horst viele achtungen mit der Horstkamera nicht bestätigt. Beine von erwachsenen Rehen und Wildschweinen Die eingetragenen Rehkitze wurden im Horst an- Sus scrofa gefunden, dazu auch Aufbruch von gefressen, in der Horstmulde hin und her verschoben Großsäugern. und die nicht mehr benötigten Reste schließlich mit Gras und Kiefernzweigen zugedeckt. Der Horst- Die Beuteliste für Säugetiere umfasst: boden war nun optisch wieder rein, aber nach einiger Zeit kamen Rehkitzbeine mit Fell und Klauen Hasen/Kaninchen 3 wieder zum Vorschein. So gesehen ist das Höhen- Rehkitze 3 wachstum von Seeadlerhorsten zu einem gewissen Hermelin 1 Teil wohl auch auf Reste alter Beute zurückzuführen. Rehteile 7 Wildschweinteile 1 Aufbruch 2 Erbeutete Vögel (ohne Greifvögel) Bei der Auswertung der Fotos vom Seeadlerhorst Der Vergleich der hier ermittelten Beuteliste für wurden viele erbeutete Vögel gefunden. Einen Säugetiere stimmt sehr gut mit den Angaben bei großen Anteil daran hatten Graugänse Anser anser. UTTENDÖRFER (1939) und MÄRZ (1954) überein. Beu- Meist wurden Küken im Dunenkleid eingetragen, tereste von Hasen und Rehen ließen sich auch es konnten aber auch Reste von adulten Vögeln nach der alten Methode gut nachweisen (Abb. nachgewiesen werden. Als weitere Wasservögel 19). wurden lediglich zwei Schwimmenten Anas spec.– wohl Stockenten – identifiziert. Auch zwei Bläss- Bei den alten Untersuchungen zur Ernährung des hühner Fulica atra wurden im Horst gefunden Seeadlers wird übereinstimmend davon berichtet, (Abb. 20 und 21). dass das Aufsammeln von Beuteresten unter dem Horstbaum sehr unergiebig sei. UTTENDÖRFER (1939) Interessant ist, dass auch Großvögel zur Seeadler- führt dabei den Reinigungstrieb des Weibchens an beute gehörten, denn zweimal war ein Graureiher

Ab b. 20 : Grau gan skü ken als B eute d es Seeadlerpaares, Abb. 21: Blessralle als Beute des Seeadlerpaares, 08.05.2016. Fot o: J OACHIM NEUMANN. – G reylag G oose 05 .0 6.20 1 6. F oto : Jo ach im Neuman n. – Eu ropean Co ot ch ick as p rey of the eagles , 0 8.05 .2 0 16 . as p rey of the eagles , 0 5.06 .2 0 16 . 202 HUMMEL: Dokumentation einer Seeadlerbrut

Ardea cinerea die wahrscheinliche Beute. Außerdem wurden auf dem Horst eine Rabenkrähe Corvus corone und eine Ringeltaube Columba palumbus zerlegt und verfüttert (Abb. 22).

Die bisher beschriebene Beuteliste (ohne Greifvögel) entspricht sehr gut den Verhältnissen im NSG „Vieh- moor“. Dies gilt auch für den Graureiher. Durch die Ansiedlung der Seeadler ging zwar die Graurei- herkolonie am Südrand der Teichwirtschaft verloren, da die Seeadler anfänglich versuchten sich dort an- zusiedeln. Inzwischen hat sich der Brutplatz der Graureiher etwas nach Westen verlagert, befindet sich aber immer noch nahe am NSG.

Der Vergleich der hier als erbeutet mitgeteilten Abb. 22: G raureiher al s Be ute des Seeadl erpaares, Vogelarten mit den Angaben in der Literatur ist 07.06.2016. Fot o: J OACHIM NEUMANN. – G rey H eron as sehr aufschlussreich. Bei UTTENDÖRFER (1939) und prey o f th e eagles , 0 7 .0 6.20 16 . bei MÄRZ (1954) überwiegen in der Beuteliste des Seeadlers Blässhühner sehr stark, gefolgt von Enten war wohl ein Altvogel, der vom Seeadler Darß- und Lappentauchern Podiceps spec. Die Leiferder Süd 1950 erbeutet wurde, der aber vermutlich ge- Seeadler haben zusammen mit den Gänsen auch schwächt oder angeschossen war. Das andere viele Entenvögel erbeutet, es wurden aber nur Exemplar war ein junger Mäusebussard, der aus sehr wenige Blässhühner und gar keine Lappen- einer Nestplünderei durch den Seeadler stammte. taucher gefunden. Diese Erkenntnis nährt die Ver- mutung, dass der Rückgang dieser Vogelarten im BRÜLL (1977) diskutiert die landschaftsbiologische NSG „Viehmoor“ vielleicht auch auf die Seeadler Bedeutung der Greifvögel und weist auf den selbst zurückgeht. Eingriff des Seeadlers in Beutegreiferpopulationen hin. Er berichtet von seinen eigenen Untersuchungen 1939 auf dem Darß, wo die Seeadler die gesamte Greifvögel als Beute von Seeadlern - Litera- Nachkommenschaft des einzigen Habichtpaares turübersicht ausschalteten, das in ihrem Lebensraum horstete. Die Beuteliste des Seeadlers bei UTTENDÖRFER (1939) Die Seeadler schlugen die drei Junghabichte mit enthält zwei Fischadler Pandion haliaetus und einen einem Alter von 30 – 32 Tagen auf dem Horst und Habicht Accipiter gentilis. Im Text wird dazu aus- rupften sie dort. geführt, dass unter einem Seeadlerhorst die Schwin- gen eines fast flüggen Fischadlers und ein andermal In neuerer Zeit wurden bei Beringungen von Seeadlern eine Schwanzfeder eines noch nicht flüggen lebende junge Mäusebussarde in Seeadlerhorsten Habichts gefunden wurden. Weiter heißt es, dass gefunden. Die darüber in der Literatur vorliegenden nicht weit von einem Horstbaum des Seeadlers die Berichte werden im Folgenden dargestellt. Rupfung eines alten Fischadlers lag. Daraus wird die Schlussfolgerung gezogen, dass sich der Seeadler Die erste Nachricht über Nestlinge des Mäusebussards als Plünderer von „Raubvogelhorsten“ betätigt. in einem Seeadlerhorst stammt von HUSSONG & SAAR Einschränkend wird aber betont, dass Nester zur (1990). Dort wird von einem Seeadlerhorst bei Plünderung nur in der Brutzeit zur Verfügung Stettin berichtet, in dem von 1984 bis 1989 bei der stehen In diesem Zusammenhang wird mitgeteilt, Beringung der jungen Seeadler auch junge Bussarde dass ein Seeadler zwei Horste des „Braunen Milans“ vorgefunden wurden. Ein Foto zeigt zwei Jungadler Milvus migrans ausgeraubt hat. gemeinsam mit drei älteren Jungbussarden.

In der Beuteliste von MÄRZ (1954) sind zwei Mäu- Von FREUND (2002) wird von einem Seeadlerhorst sebussarde Buteo buteo aufgeführt. Ein Exemplar in der Oberlausitz berichtet, dass im Mai 1996 bei Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 203

den beiden Jungadlern auch zwei Jungbussarde & LAUTH (2006) über die gescheiterte Aufzucht beobachtet wurden. Von diesen wurde einer ver- eines jungen Mäusebussards in einem Seeadlerhorst füttert, während der andere bei guter Gesundheit im Jahre 2005 berichtet. Der Jungbussard wurde fünf Tage überlebte. Sein Verschwinden wird mit nach dem unverletzten Eintragen ca. vier Wochen Erkältung und Nachlassen der Bettelrufe in Verbin- lang von dem Seeadlerpaar gemeinsam mit den dung gebracht. beiden eigenen Jungen auf Grund seines Bettel- verhaltens wie ein eigenes Junges behandelt und In derselben Publikation wird für Mai 1999 von aufgezogen. Kurz vor dem Ausfliegen wurde er je- diesem Seeadlerhorst beschrieben, dass sich bei doch von den körperlich weit überlegenen Seead- den beiden Jungadlern zwei junge Greifvögel un- lerjungen getötet, gerupft und gefressen. In der terschiedlichen Alters befanden. Der ältere Greifvogel Arbeit werden Fotos von drei Horstbesteigungen war wohl ein Bussard, bei dem die Flügel an den gezeigt. Schultergelenken schon etwas schwärzlich gefärbt waren. Der jüngere wurde wohl sehr viel später Die Arbeit von MÜLLER & LAUTH (2006) enthält auch eingetragen. Er war etwa eine Woche alt, aber die Mitteilung, dass bereits 2001 in Mecklenburg- nicht auf Artniveau bestimmbar. Die Beschreibung Vorpommern bei der Seeadlerberingung ein wenige zeigt, dass der jüngere Greifvogel von den Seeadlern Tage alter, frisch toter junger Greifvogel ohne Kopf als Beute auf dem Horst getötet wurde. Der größere in einem Seeadlerhorst gefunden wurde, der als Jungbussard aber war in dem Seeadlerhorst zehn Mäusebussard bestimmt wurde. Es wird die Ver- Tage lang wie ein eigener Nestling gehudert und mutung geäußert, dass alle Mäusebussarde nach ernährt worden. Die Seeadler haben nicht zwischen Nesträuberei in die Seeadlerhorste verschleppt wor- ihren 22 und 24 Tage alten Jungen und dem drei den sind. Wochen alten Fremdling unterschieden. Er wurde nicht mehr als Beute betrachtet und Instinkthand- Über einen weiteren Eintrag von jungen Mäuse- lungen steuerten diese Vorgänge. Fazit von FREUND bussarden in einen Seeadlerhorst wurde von NACH- (2002): Eine andere Erklärung gibt es dafür nicht. TIGALL et al. (2015) berichtet. Bei der Beringung junger Seeadler in der Oberlausitz wurden 2015 Das erfolgreiche Ausfliegen eines Mäusebussards fünf lebende Mäusebussarde im Nest und Reste aus einem Seeadlerhorst 2002 wurde von KASPER eines weiteren unter dem Horstbaum gefunden. (2003) beschrieben. Im niederschlesischen Ober- Bei den Jungbussarden konnten zwei Altersstadien lausitzkreis wurde bei einem 12 Wochen alten mit 14 und 21 Tagen unterschieden werden, so jungen Seeadler ein sieben bis acht Wochen alter dass sie wohl aus zwei verschiedenen Bruten Mäusebussard gefunden, der als lebende Beute in stammten. Zwei der Jungbussarde waren verletzt. den Horst eingetragen worden war. Beide Jungvögel Sie wurden wahrscheinlich zuerst verfüttert. Die wurden von den Seeadlern gemeinsam mit Nahrung Art des Beuteeintrags wird diskutiert. Im Titel der versorgt. Ende Juni war der Jungbussard Ästling Arbeit wird in menschlicher Betrachtungsweise der und Anfang Juli flog der Jungadler aus. Das Ende Ausdruck „Depotbeute“ verwendet, aber der der Nestlingszeit war bei beiden Vögeln etwa syn- Eintrag als Beute und der anschließende Verzehr chron. Dies ist der einzige in der Literatur be- werden als grundsätzlich normal bezeichnet. schriebene Fall, in dem ein Bussard aus einem See- adlerhorst ausgeflogen ist. Bei der Beringung der Jungadler 2016 in einem Seeadlerhorst in Brandenburg wurden von KUTH & In derselben Arbeit wird ein Seeadlerhorst in der SÖMMER (2016) zusammen mit den beiden etwa Oberlausitz erwähnt, in den über mehrere Jahre acht Wochen alten Adlerjungen auch zwei knapp hinweg junge Mäusebussarde ins Nest eingetragen zweieinhalb Wochen alte Jungbussarde im Nest wurden und zwar in den Jahren 1996, 2000, 2001 gefunden. Da sie keine Überlebenschancen hatten, und 2002. Daraus wird die Schlussfolgerung ge- wurden sie dem Horst entnommen. Beide Jung- zogen, das Seeadlerpaar habe sich auf Nesträuberei bussarde warfen dann in menschlicher Obhut je spezialisiert. ein Gewölle, das reichlich Mäusehaare enthielt. Sie mussten also noch am Vortag von ihren Bus- Aus Mecklenburg-Vorpommern wird von MÜLLER sardeltern gefüttert worden sein. Der Eintrag in 204 HUMMEL: Dokumentation einer Seeadlerbrut

den Seeadlerhorst erfolgte also zeitnah in dem die Adler sind. Sie wurden durch Horstraub am durch die Horstfotos dokumentierten Lebensalter Bussardhorst von den Adlereltern als Beute in den der beiden Beutevögel. Ein Jungbussard war an eigenen Horst eingetragen und konnten aufgrund Bauch und Oberschenkel verletzt. Er starb am einer bei den Altadlern vermuteten Aggressions- nächsten Tag. hemmung dort mehrere Tage überleben.

Von KUTH & SÖMMER (2016) wird der Beuteeintrag diskutiert, wobei das Ausbrüten von Bussardeiern Lebend eingetragene junge Greifvögel in durch die Seeadler von vornherein ausgeschlossen niedersächsischen Seeadlerhorsten wurde. Die These der Arbeit ist, dass der Seeadler Auch aus Niedersachsen gibt es Berichte über le- einen Bussardhorst ausgenommen hat und die bende junge Greifvögel in Seeadlerhorsten. Bei Jungen „hohlgegriffen“ als Beute für seinen Nach- einer Horstkontrolle in der Nähe von Munster- wuchs in den Horst getragen hat. Im Hinblick auf Oerrel, Landkreis Heidekreis, wurde am 15.05.2010 den verletzten Jungbussard wird auch davon ge- ein sehr vitales kleines weißes Bussardküken zu- sprochen, dass dieser „weitgehend hohlgegriffen“ sammen mit einem etwa fünf Wochen alten Jung- in den Klauen des Seeadlers zum Horst gelangte. adler beobachtet. Bei der nachfolgenden Beringung Der Ausdruck „Hohlgriff“ entstammt dem Vokabular des Jungadlers am 22.05.2015 wurden die Fänge der Falknerei. Unklar ist dabei, ob die Anwendung und Flügelreste eines Jungbussards gefunden (P. des Hohlgriffs auf eine einsichtige Handlung des GÖRKE, pers. Mitt.). Seeadlers zurückgeht oder ob sie im Rahmen einer Instinkthandlung automatisch erfolgte. Ergiebige Von einem Seeadlerhorst bei Knesebeck, Landkreis Nahrungsquellen werden vom Seeadler wiederholt Gifhorn, wurde am 05.06.2015 über ein weißes aufgesucht, im vorliegenden Fall wird der Adler Adlerküken berichtet. Die Horstkontrolle am mindestens zweimal zum Bussardhorst geflogen 11.06.2015 ergab zwei 65 Tage alte Jungadler sein und hat zwei Jungbussarde lebend zum Horst und einen sehr kleinen Greifvogel, bei dem die gebracht. Zum Zeitpunkt des Eintrags dieser Mäu- Artbestimmung unklar blieb. Am 20.06.2015 be- sebussarde war die Ernährungslage im Seeadlerhorst richtete der zuständige Revierförster, dass am Hor- sehr gut. Er enthielt mehrere Rehkitzläufe, einen strand zwei Jungadler stehen und daneben ein Rehkopf, Reste von zwei Kranichen sowie Hühner- deutlich kleinerer Bussard, der jetzt wie die jungen und Putenfüße. Adler braun befiedert war. Ob er flügge wurde ist unbekannt (P. GÖRKE, pers. Mitt.). In der Publikation von KUTH & SÖMMER (2016) sind auch einige Daten früherer Seeadlerberingungen Über den Seeadlerhorst im NSG „Viehmoor“ bei enthalten, bei denen eingetragene Bussarde ge- Leiferde im Kreis Gifhorn wurde von GÖRKE et al. funden worden waren. In der Uckermark befanden (2015) bereits berichtet. Als die zur Beringung vor- sich im Jahr 2000 in einem Seeadlerhorst drei Jung- gesehenen Jungadler am 16.05.2015 noch zu klein adler und ein Mäusebussard. Dieser bettelte die waren, wurde im Seeadlerhorst bereits ein etwa Jungadler heftig an, was bei diesen keinen Fütte- einwöchiges Bussardküken gefunden. Bei der auf rungstrieb auslöste. Bei der nachfolgenden Beringung den 28.05.2015 verschobenen Beringung wurde war der Bussard schon getötet worden. Im Jahr erneut ein junger Bussard gefunden, der auf den 2001 enthielt ein Seeadlerhorst in Brandenburg Flügeln bereits ein braunes Gefieder trug. Darüber einen Jungadler und einen wohl verletzten Mäuse- hinaus wurden im Horst zwei jüngere und später bussard. Letzterer wurde entnommen und später eingetragene Jungbussarde im weißen Dunenkleid in einem Bussardhorst erfolgreich ausgewildert. Bei sowie Reste eines weiteren Jungbussards festgestellt. einer Beringung von zwei 35 Tage alten Jungadlern Das Foto vom Horst zeigt, dass sich die im Seead- 2002 in der Uckermark wurde ein zwölf Tage alter lerhorst lebenden Mäusebussarde in einem sehr Jungbussard dem Seeadlerhorst entnommen und guten Ernährungszustand befanden. Auf weitere nach Pflege einem Bussardpaar anvertraut. Horstbesteigungen wurde 2015 im Hinblick auf den Schutz des Brutvorkommens verzichtet, so Insgesamt kommen KUTH & SÖMMER (2016) zu dem dass über das weitere Schicksal der eingetragenen Schluss, dass die Jungbussarde Lebendproviant für Jungbussarde nichts bekannt ist. Die in der Arbeit Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 205

Der Vergleich der beiden gezeigten Aufnahmen lässt nun die Schwierigkeiten bei der Auswertung des gesamten Bildmaterials erkennen. Hinzu kommt, dass von dem Bildausschnitt der Kamera nicht der gesamte Seeadlerhorst erfasst wurde. So ist es möglich, dass sich Jungvögel zeitweilig außerhalb des Bildausschnitts aufhielten und später wieder sichtbar wurden. Es ist dann zu entscheiden, ob der betreffende junge Greifvogel auf dem Horst schon bekannt ist oder ob es sich um einen neuen Eintrag handelt. Bei der Auswertung wurde so lange wie möglich der Status „bereits bekannt“ genutzt und nur in klar erkennbaren Fällen der Status „Neueintrag“ vergeben. Auf diese Weise ergab sich eine Mindestanzahl der eingetragenen Ab b. 23 : Vier leben d eingetrag ene ju n ge Greifv ög el im jungen Greifvögel. Seead lerh o rst am 2 2.05 .2 01 6, 05 :0 0 Uhr. Alter d er Ju n g- adler 26 Tage. Foto: JOACHIM NEUMANN. – Four young birds Die Zahl der in den Seeadlerhorst eingetragenen of prey carried alive to the nes t of th e eag les, s ituation Greifvogelküken war unerwartet groß. Mindestens on 2 2/05 /2 01 6 , 0 5:00 a. m., age of th e eag lets 26 d ays . 17 junge Greifvögel wurden in den Horst einge- tragen. Entsprechend der angewandten Unter- scheidung der Arten wurden folgende Jungvögel versuchte Erklärung des Verhaltens der Altadler im Dunenkleid ermittelt (Abb. 25): wird im Folgenden revidiert. weiß: wohl Mäusebussard 13 gelblich: vielleicht Rohrweihe 2 Ergebnisse der Horstüberwachung 2016 grau: meist klein, unbekannt: 2 Das Seeadlerpaar hat auch 2016 junge Greifvögel in seinen Horst eingetragen. Einen ersten Eindruck Zum Verhalten der lebend eingetragenen jungen von der Situation im Horst zeigt Abb. 23, aufge- Greifvögel auf dem Seeadlerhorst hat die Kamera nommen am 22.05.2016. Verglichen mit den jungen Seeadlern sind die eingetragenen Greifvögel sehr klein. Wahrscheinlich sind sie wenige Tage alt, aber es sind zwischen ihnen Unterschiede in der Größe und damit beim Lebensalter unverkennbar. Die Art- bestimmung ist nur schwer möglich. Einen gewissen Hinweis könnte die Färbung ergeben. Die jungen Greifvögel im weißen Dunenkleid wurden als Mäu- sebussarde angesprochen, während es sich bei Jungvögeln mit einem gelblichen Dunenkleid vielleicht um Nestlinge der Rohrweihe Circus aeruginosus gehandelt haben könnte (Abb. 24).

Schon einen Tag später war die Situation im Horst verändert. Am 23.05.2016 zeigten sich der Kamera erneut drei junge Mäusebussarde im weißen Du- nenkleid, die wohl auch schon am Vortag zu sehen Abb . 24 : Vier leben d ein getrag ene ju ng e Greifvö g el im waren, aber der Vogel im gelblichen Dunenkleid Seeadlerhorst am 23.05.2016, 09:00 Uhr. Alter der Jung- fehlt und ein neuer kleiner Greifvogel in einem adler 27 Tage. Foto: JOACHIM NEUMANN. – Four young birds grauen Dunenkleid ist nun zu sehen. Solche Vögel o f prey carried alive to the nest of th e eag les, situatio n wurden als unbestimmt behandelt. on 23 /0 5 /20 1 6, 09 :0 0 a. m., age of the eag lets 2 7 d ays . 206 HUMMEL: Dokumentation einer Seeadlerbrut

Ab b. 2 5 : Fü tterun g v on zwei Ju ng ad lern un d d rei leb end Abb. 26: Ende der Fütterung der Jungadler durch Abwen- eingetragenen jungen Greifvögeln am 21.05.2016. Foto: den der Köpfe. Fortsetzung der Fütterung für den aktivsten JOACHIM NEUMANN. – Feed ing of two eag lets and th ree li- bettelnden jungen Greifvogel am 22.05.2016. Foto: JOA- v in g you ng b ird s o f p rey o n 2 1/05 /2 01 6 . CHIM NEUMANN. – The eaglets refuse further feeding by tur- ning away their heads. Continuation of the feeding for einige wichtige Episoden festgehalten. Dabei ist the most active young bird of prey on 22/05/2016. zu berücksichtigen, dass die Greifvogelküken kleiner und schwächer als die beiden Jungadler und damit Anfänglich wurden nur bereits tote junge Greifvögel von vorn herein benachteiligt waren. Das Betteln eingetragen. Sie waren verletzt, hatten auf dem der jungen Seeadler führte zu den Fütterungen, Horst sogleich Beutestatus und wurden verfüttert. die durch Vorhalten von Nahrungsbrocken erfolgten. Am 20.05.2016 begann der Eintrag lebender Beute. Die Greifvogelküken bewegten sich aktiv auf dem Diese Greifvogelküken waren wohl nicht oder nur Horst, sie bettelten ihrerseits wohl auch gegenüber wenig verletzt. Sie wurden nun zu neuen Mitgliedern den Altadlern und versuchten, an den Fütterungen der Horstgemeinschaft und beteiligten sich an den teilzunehmen. Sie hatten auf dem Horst zunächst Vorgängen auf dem Horst. Am 22.05.2016 waren den Status von Nestlingen, waren aber beim Er- vier junge Greifvögel im Horst, die in Abb. 23 greifen von Nahrungsbrocken bei der Fütterung wohl nicht sehr erfolgreich (Abb. 26).

Die Fütterung der Jungadler endete mit dem Ab- wenden der Köpfe durch die Jungen. Sie waren satt. Der Altadler setzte daraufhin die Fütterung für den aktivsten der immer noch bettelnden jungen Greifvögel fort. Man sieht, dass diese im Horst als vollwertige Nestlinge angesehen wurden (Abb. 27).

In der Nacht wurden die Jungadler von den Altvögeln nicht mehr gehudert. Die Wärmequelle waren in dieser Zeit die jungen Adler selbst. Ihre Nähe wurde von den jungen Greifvögeln gesucht.

Der zeitliche Verlauf des Aufenthalts aller 17 jungen Ab b. 2 7: Aufsu ch e n de r Ne stwä rme wä h re nd de r k ü hle n Greifvögel im Seeadlerhorst ist in Abb. 28 dargestellt. Nachtstunden, 23.05.2016, 05:00 Uhr. Foto: JOACHIM NEU- In dem Diagramm wird zwischen lebenden und MANN. – Eagles or eaglets provide warmth during the cool toten Greifvogelküken unterschieden. n ig h ts, 2 3/0 5 /2 01 6 , 0 5:00 a. m. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 207

Nr. 17 භ 16 ӑӑӑӑӑභ 15 භ 14 භභ 13 භ 12 ӑ භ 11 ӑӑӑӑභ 10 ӑӑӑӑ 09 ӑӑӑභ 08 ӑӑභ 07 ӑӑӑ භ 06 ӑӑӑӑӑӑӑ 05 භ 04 භ 03 භ 02 භ 01 භ 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 Mai 16 Juni 2016

Abb. 28: Aufenthalt der eingetragenen jungen Greifvögel im Seeadlerhorst, ○ lebend ● tot. – Presence of young birds of prey in the eagle’s nest , ○ alive ● dead. auch zu sehen sind. Am 23.05.2016 waren nach dem Horst und gab den beiden Jungadlern einen Abb. 24 anfänglich auch vier lebende Greifvogel- gewissen Regenschutz. Trotzdem waren diese am küken im Horst, aber im Laufe des Tages stellte Morgen ziemlich nass. Für einige lebend eingetra- sich heraus, dass bei zwei von ihnen doch wohl gene junge Greifvögel war dieser Schutz nicht Verletzungen vorlagen, die ihre Aktivität so stark ausreichend. Ihr Dunenkleid wurde völlig durchnässt, einschränkten, dass sie ganz schnell als Beute an- und am Morgen des 24.05.2016 lag ein Greifvo- gesehen und von einem Altadler verfüttert wurden. gelküken tot im Horst. Es zeigte die rote Beutefarbe Die aus Abb. 28 ersichtlichen Eintragungen in der nicht und wurde deshalb über viele Stunden gar Tagesspalte stellen daher den Status am Ende des nicht mehr beachtet (Abb. 30). Tages dar. Die Horstkamera zeigte auch das Verfüttern eines Die erste Phase des Aufenthalts von Greifvogelküken bisher vier Tage im Horst lebenden Greifvogelkükens im Seeadlerhorst endete am 28.05.2016. Die Horst- durch einen der adulten Seeadler, wobei die He- kamera zeigte für einige von ihnen die Todesursache. rabstufung in den Beutestatus wohl eine Folge Einige waren ja schon mit blutenden Verletzungen von Verletzungen durch die Jungadler war. tot als Beute eingetragen und verfüttert worden. Bei mehreren lebend eingetragenen jungen Greif- Bei der Beringung der beiden Jungadler am vögeln machten sich nach einiger Zeit Verletzungen 01.06.2016 war kein lebend eingetragener junger bemerkbar, die auf Auseinandersetzungen mit den Greifvogel mehr im Horst (Abb. 31). Jungadlern bei den Fütterungen zurückzuführen sein könnten und die ihre Aktivität stark herab- Kurz danach begann eine zweite Phase der Erbeu- setzten. Es wurden auch blutende Wunden sichtbar, tung junger Greifvögel. Zunächst wurden am die sehr schnell zur Herabstufung in den Beutestatus 03.06.2016 wieder tote Greifvogelküken einge- und zur Verfütterung führten (Abb. 29). tragen. Am 10.06.2016 gelangte dann aber ein bereits älterer junger Greifvogel lebend in den Die Horstkamera zeigte auch eine andere Todesur- Horst. Die Horstgemeinschaft bestand nun aus sache: In der Nacht 23./24.05.2016 regnete es den beiden 45 Tage alten Jungadlern und dem stark. Ein alter Seeadler verbrachte die Nacht auf Jungbussard, der sicherlich auch schon 15 Tage alt 208 HUMMEL: Dokumentation einer Seeadlerbrut

Abb . 29: To d ein es lebend ein getrag en en Greifv og elkü- Ab b . 31: Ern euter Eintrag n es tju n ger Greifv ög el als to te kens n ach R eg en am 2 4 . 05 .2 016 al s F ol ge von N äs se B eute am 0 3.06 .2 01 6 . Fo to : JOACHIM NEUMANN. – You n g un d U nterkü h lun g ( lin ks ). Fo t o : J OACHIM NEUMANN. – A birds of pr ey car ried dead t o the eagle’s nest on y ou ng b ird of p rey (left), wh ich had been carried alive to 03 /06 /2 01 6. th e eag le’s nes t, d ied on 2 4/0 5 /2 01 6 , du e to wetnes s af- ter s tron g rainfall in co o l weather.

Ab b. 30 : Verfütteru ng ei n es bi sher i m H orst l eb en den Abb. 32: Eintrag eines toten nestjungen Greifvogels sowie Greifvogelkükens du rch ei nen der al ten Se eadler am d an eben d er zwei Tage zu vo r leben d eing etrag ene jun ge 2 8.05 .201 6 . Fo to: J OACHIM NEUMANN. – Th e s t atu s o f a Greifvo gel am 12 .0 6.20 1 6. F oto : JOACHIM NEUMANN. – A young bird of prey, which had been carried to the eagle’s dead yo u ng b ird o f p rey is treated b y the two eaglets in n est alive, w as r ed uc ed f rom n est ling t o i n active p r ey p resenc e o f a living yo un g b ird of p rey wh ic h wan ts to an d fin ally killed by an ad u lt eagle. b e fed is in teres ted to be fed. war. Die beiden Jungadler wurden von ihren Eltern Greifvogelküken eingetragen wurde, bearbeiteten nun aber nicht mehr durch Vorhalten von Beute- die beiden Jungadler diese neue Beute. Der zwei stückchen gefüttert. Vielmehr brachten die alten Tage zuvor lebend in den Horst gelangte Greifvogel Seeadler Beute zum Horst und überließen deren war an einer Fütterung interessiert und wandte Verteilung den Jungen (Abb. 32). sich dem Geschehen zu. Sein Betteln erreichte die alten Seeadler nicht mehr und die Jungadler rea- Als am 12.06.2016 ein bereits totes nestjunges gierten mit Aggression. Der Jungbussard konnte Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 209

Ab b. 3 3: Der eing etragen e ju ng e Greifvogel wird in d en Ab b. 34 : Als B eute v on den Ju ng ad lern getö teter Ju ng - Beutestatus zurückversetzt, 14.06.2016. Foto: JOACHIM bussard am 15.06.2016. Foto: JOACHIM NEUMANN. – Young NEUMANN. – The you n g b ird o f prey, wh ich was carried bird o f p rey killed by the eaglets o n 1 5 /0 6/20 16 . alive to th e eag le’s n est, is set b ack to the statu s o f p rey, 1 4/06 /2 01 6 . nicht mehr an Nahrung gelangen, da er gegenüber wurden sie in einem Greifvogelhorst erbeutet und den Jungadlern körperlich im Nachteil war. Wahr- in den Seeadlerhorst eingetragen. Alle diese jungen scheinlich hat der Jungbussard in den folgenden Greifvögel gehen daher auf die Plünderung einer Tagen noch Reste der Mahlzeiten der Jungadler Greifvogelbrut durch die Seeadler zurück. Für aufnehmen können, diese waren für seine weitere diesen Beuteerwerb besteht der Ausdruck Nestraub Entwicklung allerdings nicht mehr ausreichend. In- sicher zurecht. Diese Art des Nahrungserwerbs ist folge der Entkräftung ging seine Aktivität sehr jedoch nur in der Brutzeit möglich. Ein Greifvogel- stark zurück (Abb. 33 und Abb. 34). horst, in dem leicht Beute gemacht werden konnte, wurde von den Seeadlern mehrfach angeflogen. Bei den Fotos der Horstkamera lag der Jungbussard Nach BERNDT & MEISE (1959) handelt es sich dabei schließlich stets an derselben Stelle im Horst und um Lernen im eigentlichen Sinne. In der Literatur wurde nun wieder als Beute angesehen. Am wird mehrfach erwähnt, einzelne Seeadlerpaare Morgen des 15.06.2016 war er von den Jungadlern hätten sich über mehrere Jahre hindurch auf Nest- getötet worden und befand sich bei den anderen räuberei spezialisiert. Das im NSG „Viehmoor“ Beuteresten auf dem Horst. überwachte Seeadlerpaar gehört offensichtlich dazu.

Diskussion Die Fänge des Seeadlers Aus den hier gefundenen Ergebnissen der Horst- Der Seeadler gehört zu den Grifftötern. Der tödliche überwachung durch die Fotokamera und deren Griff kommt durch die Hinterzehe und die vordere Vergleich mit den Befunden aus der Literatur Innenzehe zusammen mit den beiden zugehörigen ergeben sich einige Erkenntnisse über den Le- Krallen zustande (BRÜLL 1977). Die Größe der Fänge bendeintrag von jungen Greifvögeln in einen See- ist so eingerichtet, dass die wichtigsten Beutetiere adlerhorst. Die damit zusammenhängenden Ge- beim Ergreifen durch die in ihren Körper eindrin- sichtspunkte werden im Folgenden diskutiert. genden Krallen getötet werden.

Herkunft der eingetragenen Greifvögel Hohlgriff Die im Seeadlerhorst gefundenen jungen Greifvögel Beim Transport von dünnen Gegenständen, z. B. sind nicht als Ei dorthin gekommen. Sie wurden von Nistmaterial, durch einen Seeadler werden nicht im Seeadlerhorst ausgebrütet. Vielmehr diese von den Zehen und Krallen des Fangs um- 210 HUMMEL: Dokumentation einer Seeadlerbrut

schlossen, ohne dass diese in das Objekt eindringen. nicht die Absicht, beim Schlagen der Beute ein Der Griff geht hohl, er wird in der Falknerei „Hohl- Depot für schlechte Zeiten anzulegen. Die Ausdrücke griff“ genannt. Diese Art des Griffs tritt auch beim Depotbeute und Lebendproviant entspringen einer Ergreifen sehr kleiner tierischer Beute auf. Auf menschlichen Anschauung, die durch die biologi- diese Weise werden kleine Greifvögel ohne getötet schen Abläufe auf dem Horst nicht bestätigt wird. zu werden vom Seeadlerfang umschlossen und im Hohlgriff transportiert. Die Anwendung des Hohl- Überlebensdauer auf dem Horst griffs ist jedoch keine bewusst gesteuerte Aktion, Die eingetragenen jungen Greifvögel überleben sondern ein zufälliges Ergebnis bei der angeborenen im Horst so lange, wie ihr Verhaltensmuster dem Instinkthandlung des Beuteschlagens. der Jungadler entspricht. Falls jedoch ihre Aktivität infolge von Verletzungen, Nässe, Unterkühlung Lebendeintrag und Ernährungsmangel nachlässt, werden sie im Je kleiner erbeutete junge Greifvögel sind, desto Horst wieder als Beute angesehen und verfüttert. größer ist die Chance, dass sie lebend im Seeadlerhorst ankommen. Dies passiert aber nicht immer. Beim Er- Ausfliegen von Bussarden aus dem Seeadlerhorst greifen können Verletzungen entstanden sein, die Die Nestlingszeit kann für die Jungadler und für im Seeadlerhorst sofort oder auch erst nach und einen eingetragenen Jungbussard durchaus zu nach zutage treten. Solche Jungvögel sind „weitge- einem gemeinsamen Zeitpunkt enden. Ein großes hend hohlgegriffen“ (KUTH & SÖMMER 2016) in den Problem entsteht jedoch für die eingetragenen Horst gelangt. In der Literatur werden Fotos von Greifvogelküken in der Endphase, wenn die Seeadler sehr großen eingetragenen Mäusebussarden gezeigt. die Fütterung ihrer Jungen vom Vorhalten der Diese können in diesem Lebensalter nicht eingetragen Nahrung auf das bloße Einbringen von Beute in worden sein, weil bei ihrer Körpergröße der Hohlgriff den Horst reduzieren, und die Bearbeitung und nicht mehr funktioniert. Sie müssen daher in einem Verteilung den Jungadlern selbst überlassen. Das viel früheren Stadium in den Seeadlerhorst transportiert Betteln eines Jungbussards erreicht dann die alten worden sein. Seeadler nicht mehr. Es löst bei den Jungadlern keinen Fütterungstrieb, sondern nur Aggression Verhalten der jungen Greifvögel im Horst aus, und beim Verteilen der Beute kann sich der Junge Greifvögel mit Verletzungen, insbesondere junge Greifvogel körperlich nicht durchsetzen. Er blutenden Wunden, werden als Beute behandelt lebt dann von den Resten der Mahlzeiten der und sofort verfüttert. Gesunde Greifvogelküken, Jungadler. Am Ende der Jungenaufzucht geht meist die aktiv sind, die sich bewegen und die wie die auch der Beuteeintrag durch die alten Seeadler Jungadler betteln, werden als vollwertige Mitglieder zurück, um die Jungadler zum Ausfliegen zu ani- der Horstgemeinschaft behandelt. Die alten Seeadler mieren. In dieser Situation bleibt für einen einge- unterscheiden nicht zwischen ihren eigenen Jungen tragenen Jungbussard zu wenig Restnahrung übrig, und den fremden Gästen. Die eingetragenen jungen und er wird dann selbst zur Beute der beiden Greifvögel nehmen an allen Fütterungen teil. Wahr- Jungadler (MÜLLER & LAUTH 2006). Nur in einem Fall scheinlich kommen sie jedoch erst zum Zuge, flog ein Jungbussard erfolgreich aus einem Seead- wenn die Jungadler gesättigt sind. In der Nacht lerhorst aus (KASPER 2003). In diesem Fall war nur suchen sie die Wärme bei den hudernden Altadlern ein Jungadler im Horst vorhanden und bei guter und später bei den Jungadlern auf. Das Überleben Ernährungslage reichte die Restbeute für das Über- der jungen Greifvögel kommt nicht durch eine leben des Mäusebussards aus. Aggressionshemmung der alten Seeadler auf dem Horst zustande, sondern durch deren angeborene Auswirkungen der Nestplünderungen durch die See- Verhaltensmuster, die denen des Seeadlers weit- adler auf die Greifvogelpopulation der Umgebung gehend entsprechen. Angesichts der großen Anzahl eingetragener junger Greifvögel hat das Seeadlerpaar im NSG „Viehmoor“ Depotbeute sicherlich einen großen Einfluss auf die Greifvogel- Die jungen Greifvögel sind von den Seeadlern er- population seiner Umgebung ausgeübt. Dies gilt griffen und als Beute eher zufällig lebend in den ganz besonders für den Mäusebussard – aber auch Horst eingetragen worden. Die Seeadler hatten für die Rohrweihe. Wahrscheinlich sind hauptsächlich Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 211

solche Bussardhorste geplündert worden, die sich the losers. Due to shortage of food they weaken in den oberen Regionen der reichlich vorhandenen more and more and are finally killed by the eaglets. Gehölzstreifen befanden und die für Seeadler leicht anfliegbar waren. Nester der Rohrweihe sind für die Literatur Seeadler leicht zu finden und anzufliegen. Im NSG „Viehmoor“ gibt es ein Brutpaar der Rohrweihe, BERNDT, R.,& W. MEISE (1959): Naturgeschichte der Vögel. das aber in den letzten Jahren keinen Bruterfolg Bd. I – III, Stuttgart. hatte. BRÜLL, H. (1977): Das Leben europäischer Greifvögel. 3. Aufl., Stuttgart. Summary – Documentation of the raising of FISCHER, W. (1984) Die Seeadler. 4. Aufl., Wittenberg. a White-tailed Eagle Haliaeetus albicilla brood FREUND, W. (2002): Seeadler Haliaeetus albicilla trägt nest- in Lower Saxony in 2016 focussing on captu- junge Greifvögel lebend als Beute in den Horst ein. red young birds of prey carried to the nest Veröff. Mus. Westlausitz Kamenz 24: 91–94. alive. GÖRKE, P., J. NEUMANN & J. SCHWARZ (2015): Seeadlerpaar mit besonderer Vorliebe für junge Mäusebussarde. From November 26th 2015 to September 21st 2016, PROJEKTGRUPPE SEEADLERSCHUTZ SCHLESWIG-HOLSTEIN e. V. the eyrie of a pair of White-tailed Eagles in Lower (Hrsg.): Großvogelschutz im Wald, Jahresbericht 2015: Saxony (Germany) was monitored by means of an 30–32. automatic photo camera, which at hourly intervals HEINROTH, O., & M. HEINROTH (1924-1931): Die Vögel Mit- produced more than 5,500 photographs. This teleuropas, 3 Bd., Berlin-Lichterfelde. paper presents and discusses the results of this HUSSONG, H. K., & C. SAAR (1990): Gemeinsame Brut von field study under natural conditions. Seeadler und Mäusebussard im Adlerhorst. Greifvögel und Falknerei 1990: 126. Concerning the breeding biology of the eagles, KASPER, J. (2003) Gemeinsame Aufzucht eines Mäusebus- the periods of egg-laying, incubation and hatching sards (Buteo buteo) und eines Seeadlers (Haliaeetus of the two eaglets are described and documented. albicilla) in einem Seeadlernest. Mitt. Ver. Sächs. Or- Both adults took part in the breeding process, the nithol. 9: 244–246. female with 79.9 % and the male with 20.1 % of KUTH, J., & P. SÖMMER (2016): Seeadler- und Mäusebus- the incubation time. The two down plumages of sardjungvögel in einem Seeadlerhorst. Greifvögel und the eaglets as well as the growth of their contour Falknerei 2016: 21–26. feathers are shown in relation to their age. One of MÄRZ, R. (1954): Jagdweise und Ernährung des Seeadlers. the very first feedings of the eaglets is documented Falke 1: 168–170. as an initial instinctive action . MÜLLER, M., & T. LAUTH (2006): Aufzucht eines jungen Mäusebussards Buteo buteo in einer Brut des Seead- The feeding of the eagles is documented by lists lers Haliaeetus albicilla endet nicht erfolgreich. Orn. of prey comprising fish, mammals and birds. Special Rundbrief Meckl.-Vorp. Bd. 45, H. 4: 399–401. emphasis is placed on captured young birds of NACHTIGALL, W., W. GLEICHNER & R. KOSCHKAR (2015): Mäu- prey that were carried to the nest of the eagles sebussard Buteo buteo als Depotbeute des Seeadlers alive. A survey of literature treating this phenomenon Haliaeetus albicilla. Mitt. Ver. Sächs. Ornithol. 11: 353– is followed by a detailed description and discussion 354. of our own records of at least 17 living young UTTENDÖRFER, O. (1939): Die Ernährung der deutschen birds of prey carried to the eyrie. The results are as Raubvögel und Eulen. Neudamm. follows: young birds of prey carried alive to the eagle’s nest, are treated in the eyrie as nestlings and are fed together with the eaglets, when they are active and in good health. When, however, their activity is reduced for various reasons, they are reverted to the status of prey and finally killed. When at the end of their time as nestlings, the food distribution in the eyrie is managed by the eaglets themselves, the young birds of prey are 212

Seeadler Haliaeetus albicilla. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – White-tailed Eagle. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 213

Beobachtungen zur Brutbiologie an einer niedersächsischen Lokalpopulation des Fischadlers (Pandion haliaetus) und Hinweise zum Artenschutz

Thomas Brandt, Thomas Beuster & Eva Lüers

BRANDT, T., T. BEUSTER & E. LÜERS (2017): Beobachtungen zur Brutbiologie an einer niedersäch- sischen Lokalpopulation des Fischadlers (Pandion haliaetus) und Hinweise zum Artenschutz. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45: 213-219.

Bei insgesamt 29 Fischadlerbruten am niedersächsischen Steinhuder Meer konnte der Lege- beginn so festgestellt werden, dass eine Zuordnung zu Pentaden möglich war. Bei 38 % der Bruten begannen die Vögel in der dritten Aprilpentade. Bis Ende April hatten 86 % der Weibchen das erste Ei gelegt. Von vier im Mai begonnenen Bruten waren zwei sicher Erst- brütern zuzuordnen und verliefen erfolglos. Der Ankunftstermin am Brutplatz sowie Lege- beginn, Schlupf und Ausfliegen der Jungvögel konnten für ein Fischadlerpaar darüber hinaus an einem kameraüberwachten Brutplatz über vier Jahre tagesgenau festgestellt werden. In diesem Zeitraum trafen die Vögel zwischen dem 27.03. und dem 07.04. am Brutplatz ein, in drei von vier Jahren das Weibchen vor dem Männchen. Zwischen Ankunft des Weibchens am Brutplatz und Legebeginn vergingen 15 bis 18 Tage, die Brutzeit betrug im Mittel 38 Tage, die Jungvögel flogen nach 49 bis 53 Tagen aus.

Bis zur Auflösung der zu Ende der Brutperiode nur noch vom Männchen geführten Familie Mitte bis Ende September sind Fischadler etwa ein halbes Jahr an den Brutstandort gebunden. In dieser Zeit sind Eingriffe und Störungen in einem Radius von 500 m um den Nestbereich der streng geschützten und in Niedersachsen stark gefährdeten Fischadler gesetzlich verbo- ten.

T. Bra., T. Beu., E. L., Ökologische Schutzstation Steinhuder Meer (ÖSSM e.V.), Hagenburger Str. 16, 31547 Rehburg-Loccum, [email protected]

Einleitung wiesen“ installierte Kamera konnten von einem Brutplatz über mehrere Jahre u. a. exakte Daten Nach der ersten Brut von Fischadlern am Steinhuder zur Ankunft der Brutvögel am Nest, zum Legebeginn, Meer im Jahr 2006 entwickelte sich im Raum Mit- zum Schlupf der Jungvögel und zu deren Alter telweser - Steinhuder Meer - Leine bis 2017 eine beim Verlassen des Nestes gewonnen werden. niedersächsische Lokalpopulation mit sechs Brut- Exakte Daten zur Ankunftszeit am Nest und zur paaren (BP) im Jahr 2017 (BRANDT 2006, BRANDT Brutbiologie sind selten dokumentiert worden (z. B. 2016, eig. Daten). Insgesamt konnten in diesem EVANS 2014), aus Niedersachsen liegen bislang Zeitraum 35 Bruten dokumentiert werden. In allen keine Ergebnisse vor. Deswegen schien es sinnvoll, Fällen brüteten die Fischadler auf Nisthilfen. Von die vorhandenen Daten aus den ersten 12 Jahren den insgesamt acht benutzten Nisthilfen können seit Erstbesiedlung des Untersuchungsgebietes aus- sechs aus großer Entfernung – zumindest zeitweise – zuwerten und mit anderen Gebieten zu verglei- so eingesehen werden, dass Beobachtungen zur chen. Brutzeit ohne Störungen möglich sind. Auf diese Weise konnten 29 Bruten Erkenntnisse zur Brut- In Hinblick auf den Schutz der in Niedersachsen biologie der Vögel, vor allem zum Legebeginn, ge- mit 16 BP (AAN & NLWKN 2017) immer noch sel- wonnen werden. Über eine an einer genutzten tenen und stark gefährdeten Art (KRÜGER & NIPKOW Nisthilfe im Naturschutzgebiet (NSG) „Meerbruchs- 2015) sind Hinweise zur Biologie und Ökologie 214 BRANDT et al.: Beobachtungen zur Brutbiologie des Fischadlers

a) b)

c) d)

Abb. 1 (a): Dokumentierte Ankunft des Weibchens an einem kameraüberwachten Brutplatz auf einer Nisthilfe am Stein- huder Meer am 27. März 2017; (b) Weibchen mit Vollgelege am 30. April 2017, (c) zwei sechs bzw. vier Tage alte Jungvögel am 25. Mai 2017 und d) die selben Jungvögel am 04. Juli 2017, eine Woche vor dem erstmaligen Verlassen des Nestes. Fotos: Webcam ÖSSM. – a) Documented arrival of the female Osprey at an artificial nesting site at Lake Steinhuder Meer, 27 March 2017; b) full-sized clutch, 30 April 2017, c) two chicks, six respectively four days old, 25 Mai 2017 and d) the same juveniles,4 July 2017, one week before leaving the nest. Photos taken by an automatic camera. bedeutend, z. B. für einen effektiven Schutz von mit dem in BRANDT (2016) bearbeiteten Gebiet. Brutplätzen. Gute Kenntnisse zur Biologie der streng geschützten Fischadler ermöglichen zielge- Methode naue Schutzmaßnahmen, die Reglementierungen, z. B. bei der Waldbewirtschaftung, für die Nutzer Beobachtung an einem kameraüberwachten Nest in einem vertretbaren Rahmen halten. Aus diesem Grund werden hier die im Betrachtungsraum er- Die Fischadler werden seit der ersten Ansiedlung hobenen Daten zum Legebeginn ausgewertet und im Jahr 2006 regelmäßig beobachtet. Seit 2012 die daraus abzuleitenden erforderlichen Schutzzeiten wurde an einer Nisthilfe, die 2011, 2012 sowie im Nestbereich vorgestellt. 2014 bis 2017 von demselben individuell erkenn- baren Weibchen für eine Brut genutzt wurde, au- ßerdem eine Kamera installiert, die eine sporadische Untersuchungsgebiet (2012) und fast lückenlose (2014 bis 2017) Beob- Das Untersuchungsgebiet liegt vollständig im Na- achtung aus etwa 1,5 m Entfernung ermöglichte turraum „Weser-Aller-Flachland“ und schließt Teile und somit für die Gewinnung präziser Daten des Landkreises Nienburg sowie der Region Hannover nützlich ist (für jedermann zeitweise einsehbar ein. Es umfasst somit die gewässerreiche Mittelwe- unter www.natur-steinhuder-meer.de, weiter über serstrecke zwischen der Landesgrenze zu Nord- „Webcams“). Die Kamera zeichnet das Brutge- rhein-Westfalen im Süden und der Stadt Nienburg schehen täglich von 1 h vor Sonnenaufgang bis im Norden sowie das gesamte fast 30 km² große 1 h nach Sonnenuntergang (mit kürzeren in dieser Steinhuder Meer mit seinen Nebengewässern. Die Auswertung nicht relevanten Ausfällen) auf. Gesamtfläche beträgt ca. 550 km² und ist identisch Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 215

Individuelle Gefiedermerkmale des Männchens eine Pentade (11.-15. April, 16.-20.April, 21.-25. lassen den Schluss zu, dass das Weibchen seit min- April usw.) möglich war. Die Auswertung erfolgt destens 2014 mit demselben Partner brütet. In deswegen in Pentaden. In sieben Fällen wurde 2011 war es noch mit einem anderen, beringten vom Schlupfdatum auf den Brutbeginn zurückge- Männchen (schwarz FD3) verpaart, welches 2012 rechnet , um eine Pentadenzuordnung des Lege- und später nicht wieder beobachtet wurde und beginns zu erreichen. Hierbei wurde immer eine zog erfolgreich drei Jungvögel auf. 2012 verlor das Brutzeit von 38 Tagen angenommen. Die Brutdauer Weibchen das Gelege und 2013 an einem anderen wurde aus den Beobachtungen an dem Brutpaar Brutplatz seine Jungvögel. Von 2014 bis 2016 zog vor der Kamera ermittelt (Tab. 1) und entspricht in das Paar jeweils drei, 2017 zwei Jungvögel auf. etwa den Angaben von EVANS (2014) von zwei ebenfalls kameraüberwachten Fischadlerhorsten in Als Ankunftsdatum wurde der erste Kontakt mit Wales. Wir gehen davon aus, dass der Brutbeginn dem Nest angenommen, wobei jeweils unbekannt mit Ablage des ersten Eies identisch ist (Abwei- ist, ob sich der Vogel zuvor bereits im Gebiet chungen sind möglich, EVANS 2014). aufhielt. Der Tag mit der Sichtung eines ersten Eies bzw. das ausdauernde Liegen tief im Nest (auch Die Daten stammen von sechs verschiedenen Brut- nach Sonnenuntergang) galt als Eiablagedatum. plätzen und von einer unbekannten Zahl Weibchen Als Schlupfdatum wurde der Tag der ersten Beob- (mindestens fünf). Die Anzahl der an den Bruten achtung des Jungvogels (oft eine Fütterung) über beteiligten Männchen ist nicht bekannt. die Kamera gewertet. Als Datum des Ausfliegens zählt der Tag mit der ersten Abwesenheit des ersten ausfliegenden Jungvogels vom Nest. Dieser Ergebnisse muss nicht mit dem zuerst geschlüpften Jungvogel Ankunft der Brutvögel und Brutbeginn an einem identisch gewesen sein, da diese nicht individuell kameraüberwachten Nest unterschieden werden konnten. Die Kameraauf- zeichnungen ermöglichten die nachträgliche Sich- Von 2014 bis 2017 traf das Weibchen drei Mal, tung des Materials im Schnelldurchlauf. das Männchen ein Mal als erstes am Brutplatz ein (Tab. 1). Als frühestes Ankunftsdatum für das Datenerfassung Weibchen konnte der 27. März festgestellt werden, das Männchen wurde am 28. März erstmals am Fünf weitere Fischadlerbrutplätze im Untersu- Brutplatz gesehen. Der Unterschied zwischen der chungsgebiet sind außerdem aus großer Entfernung Ankunft der beiden Brutvögel betrug jeweils drei (>300 m) einsehbar und wurden mit einem Spektiv oder vier Tage. Die Eiablage erfolgte zwischen 15 regelmäßig kontrolliert. Bei 29 Bruten (darunter und 18 Tagen nach Ankunft des Weibchens, zwi- die vier über eine Kamera dokumentierten) konnte schen 12 und 18 Tage nach Ankunft des Männchens der Brutbeginn tagesgenau oder zumindest so sowie zwei Mal 12 und zwei Mal 16 Tage nach genau ermittelt werden, dass eine Zuordnung in Erstbeobachtung beider Partner am Nest. Von

Tab. 1: Beobachtungsdaten von einem kameraüberwachten Fischadlerbrutpaar am Steinhuder Meer von 2014 bis 2017. Juv. = Jungvögel. – Observation data basing on a pair of breeding ospreys from 2014 to 2017.

Schlupf 1. Juv, Ausfliegedatum Ankunft Ankunft (Brutzeit in Tagen) / (Nestlingszeit bis zum Legebeginn / Jahr / year n Juv. Männchen / Weibchen / hatching date of Ausfliegen in Tagen) / first egg laid arrival of male arrival of female first juv. (incubation fledgingdate of first juv. period in days) (age in days on fledging) 2014 3 05.04. 03.04. 21.04. 30.05. (39) 22.07. (53 Tage) 2015 3 07.04. 03.04. 19.04. 26.05. (37) 14.07. (49 Tage) 2016 3 28.03. 31.03. 15.04. 23.05. (38) 12.07. (50 Tage) 2017 2 30.03. 27.03. 11.04. 19.05. (38) 11.07. (53 Tage) 216 BRANDT et al.: Beobachtungen zur Brutbiologie des Fischadlers

2014 bis 2017 erfolgten die Ankunft des Weibchens Schlupf und Flüggewerden an dem kameraüber- und die Eiablage jährlich früher. wachten Nest

Brutbeginn in der Lokalpopulation In den vier dokumentierten Jahren schlüpfte der erste Jungvogel zwischen 37 und 39 Tagen nach Der früheste Brutbeginn wurde am 11. April 2017 Ablage des ersten Eies. Bis zum Verlassen des Nestes (Kameranest) festgestellt, der späteste zwischen des ersten Jungvogels, der nicht mit dem zuerst ge- dem 13. und 15. Mai 2014. Meist legten die Fisch- schlüpften Jungvogel identisch sein muss, vergingen adlerweibchen das erste Ei in der dritten Aprilpen- bei diesem Paar zwischen 49 und 53 Tage (Tab. 1). tade, also zwischen dem 11. und 15. April (n = 11; 38 %), gefolgt von der vierten Aprilpentade (n = 8; Diskussion 28 %). Bis Ende April wurden 25 Bruten (86 %) begonnen. Ein Brutbeginn im Mai wurde nur vier Zu berücksichtigen ist, dass die Beobachtungen Mal beobachtet (Abb. 2). zur Ankunft am Nest, zur genauen Eiablage, Be- brütungsdauer und Verlassen des Nestes durch Von den 29 den Pentaden zuzuordnenden Bruten den ersten Jungvogel von nur einem Paar und von verliefen 25 erfolgreich. Die beiden am spätesten einem Brutplatz stammen. Wir gehen auch davon begonnen Bruten (jeweils von Erstbrütern) mit Le- aus, dass dieses Paar von 2014 bis 2017 aus den- gebeginn in der zweiten und dritten Maipentade selben Vögeln bestand, vielleicht auch in den verliefen erfolglos. In einem Fall wurde die Brut beiden Vorjahren. Insofern handelt es sich um vor Schlupf der Jungvögel abgebrochen, in dem zwei miteinander vertraute Partner. anderen kurz vor oder nach dem Schlupf. Erstbrüter erreichen die Brutgebiete in der Regel Der Legebeginn erfolgte bei der Erstbesetzung später als erfahrene Paare und beginnen dement- eines Brutplatzes in der vierten Aprilpentade (am sprechend später mit der Brut (DENNIS 2008). In 19. oder 20. April), in der fünften Aprilpentade England beträgt die Zeit zwischen Ankunft am (am 22. und 23. April +/- einen Tag) sowie der Nest und Legebeginn meist 10 bis 20 Tage (DENNIS zweiten und dritten Maipentade. Bei den beiden 2008), was auch am Steinhuder Meer zutrifft. letzteren handelte es sich um zwei abgebrochene Bruten (s. o.). Paare können jeweils unterschiedliche Brutzeiten haben (EVANS 2014) und vermutlich variiert auch die Nestlingszeit vom Schlupf bis zum Flüggewerden in Abhängigkeit von der Nahrungsversorgung, wel- che wiederum von dem 12 Nahrungsangebot und der Witterung, aber auch Er- 10 fahrung des allein versor- 8 genden Männchens abhän- gig sein dürfte. Die hier vor- 6 gestellten Ergebnisse aus den Beobachtungen des 4 Paares werden von uns als Anzahl Bruten Anzahl 2 repräsentativ angenommen, da sie sich mit den An- 0 kunftsterminen und dem 21 22 23 24 25 26 27 Brutverlauf der anderen be- April Mai Pentade obachteten Paare in der Lo- Pentade kalpopulation, von denen Abb. 2: Anzahl Bruten mit dem jeweiligen Brutbeginn pro Pentade (2006 bis 2017; sporadische Daten vorliegen, nges = 29). – Number of breeding places with first egg-laying date within pentad in etwa decken. Sie ent- between 2006 and 2017. sprechen zudem den Zeiten, Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 217

die von DENNIS (2008), MEBS & SCHMIDT (2014) rücksichtigen, dass ein Partnerwechsel, ein Brut- sowie EVANS (2014) angegeben werden. platzwechsel oder eine Kombination aus beiden unter Umständen nicht erkannt wurde, denn nur Legebeginn in der Lokalpopulation wenige der beobachteten Brutvögel waren beringt. Nur ein Weibchen konnte durchgängig von 2006 In allen sieben Fällen, in denen die Zuordnung des bis 2016 sicher identifiziert werden. Dieses wechselte Legebeginns zu einer Pentade aus dem Schlupftermin ein Mal den Brutplatz und begann daraufhin mit errechnet wurde, besteht die Möglichkeit, dass die der Brut bereits am 12. April. angenommene Brutzeit von 38 Tagen nicht korrekt ist. In allen sieben Fällen war die Zuordnung jedoch Verlassen des Nestes mehr als einen Tag von der nächsten Pentade ent- fernt, so dass selbst bei einer Brutzeit von 37 oder In den vier mit Hilfe einer Kamera dokumentierten 39 Tagen die Zuordnung stimmt. Bei den vier do- Bruten flog der erste Jungvogel frühestens 49 Tage kumentierten Bruten vor der Kamera am Steinhuder und spätestens 53 Tage nach dem Schlupf des Meer konnte von Eiablage des ersten Eies bis zum ersten Jungvogels aus. Sollte nicht der zuerst ge- Schlupf des ersten Jungvogels keine Brutzeit ermittelt schlüpfte Jungvogel als erster das Nest verlassen werden, die von der Zeitspanne 37 bis 39 Tage ab- haben, verkürzt sich die Zeit bis zum Flüggewerden wich. Auch bei den beiden von EVANS (2014) doku- um ein bis wenige Tage (entsprechend um den Al- mentierten Fischadlerpaaren in Wales betrug die tersunterschied zwischen den Jungvögeln). In Wales Brutzeit für das erste Ei in 12 von 14 Fällen 37 oder stellte EVANS (2014) bei 34 beringten und somit in- 38 Tage. Je ein Mal wurde dort bei einem der dividuell unterscheidbaren Jungvögeln von zwei beiden Paare eine Brutzeit von 40 und 42 Tagen ebenfalls kameraüberwachten Brutplätzen das Ver- festgestellt. Der Autor führt das darauf zurück, lassen des Nestes 49 bis 56 Tage (Mittel 52,7 Tage) dass das Weibchen, anders als üblich, erst nach nach dem Schlupf fest. Junge Männchen flogen Ablage des dritten Eies brütete. Zweite und dritte durchschnittlich 1,4 Tage früher als die weiblichen Eier eines Geleges wurden nur 35 oder 36 Tage be- Jungvögel aus. Auch im Untersuchungsgebiet mag brütet. MEBS & SCHMIDT (2014) geben eine Bebrü- die Nestlingszeit aufgrund von Geschlechtsunter- tungszeit von 38 bis 41 Tagen an, MOLL (1962) schieden variieren, die Geschlechter der Jungvögel ebenfalls 38 Tage. Insgesamt dürfte somit die vor- sind jedoch nicht bekannt. liegende, pentadenbezogene Auswertung den Le- gebeginn korrekt widerspiegeln. Acht Jungvögel von einem der Waliser Brutplätze verließen das Brutgebiet im Alter von 82 bis 98 Genaue Angaben zum Legebeginn sind erstaunlich Tagen (EVANS 2014), also etwa 30 bis 45 Tage nach selten. GLUTZ VON BLOTZHEIM (1971) determiniert Verlassen des Nestes. Entsprechend exakte Beob- den Legebeginn in Mitteleuropa auf „frühestens achtungen liegen aus dem Untersuchungsgebiet um den 6. April, hin und wieder vor, aber meist nicht vor. In Wales, wie auch im Untersuchungsge- nach Mitte April und im Mai“. Nach MEBS & SCHMIDT biet, hatten die Nester nach Flüggewerden noch (2014) „zeitigen Fischadler ihre Gelege meist eine Funktion als Übernachtungsplatz und - nach Anfang bis Mitte April, Nachzügler aber auch noch Abwanderung des Weibchens und somit während bis in den Mai hinein“. der ausschließlichen Versorgung der Jungvögel durch das Männchen - noch eine wichtige Funktion Der Brutbeginn am Steinhuder Meer entspricht als Treffpunkt für die Futterübergabe. Letzte Be- den nicht genauer differenzierten Angaben von obachtungen fütternder Männchen am Nest ge- DENNIS (2008), der in Schottland die früheste langen im Untersuchungsgebiet Mitte September. Eiablage am 10. April nachwies und die meisten Bei späten Bruten ab der ersten Maipentade dürfte Eiablagen zwischen Mitte April und den „ersten die Fütterungsphase auch darüber hinausgehen. Maitagen“ beobachtete. Der späteste Brutbeginn wurde dort am 23. Mai festgestellt. Folgerungen für den Fischadlerschutz

Bekannte Erstbrüter brüteten im Untersuchungs- Die Brutzeit der nach KRÜGER & NIPKOW (2015) gebiet durchschnittlich später. Es ist jedoch zu be- streng geschützten und in Niedersachsen stark ge- 218 BRANDT et al.: Beobachtungen zur Brutbiologie des Fischadlers

fährdeten Fischadler erstreckt sich im Untersu- of breeding could be dated in 29 cases and could chungsgebiet von der letzten Märzdekade bis Mitte be assigned to pentads. Breeding started mostly September und somit etwa über ein halbes Jahr. In within the third pentad of April (38 %). By the end dieser Zeit können Störungen durch Eingriffe, z. B. of April 86 % of the females had laid the first egg. durch Forstwirtschaft, Wegebaumaßnahmen oder Two out of four breeding attempts in May begun Freizeitnutzung, in einem 500 m-Radius um den by first breeders failed. At one nest site, the date Brutplatz zur Brutaufgabe führen (NLWKN 2011). of arrival at the nest site, the laying of the first egg and the hatching and fledging of the young were Derzeit kommen Fischadler in Niedersachsen nur almost continuously controlled and recorded by a in kleinen, verstreut im Bundesland liegenden Lo- camera over four years. Within this period the two kalpopulationen vor. Somit ist derzeit bei störungs- (presumably identical) Ospreys arrived at the nest bedingten Verlusten - auch einzelner Bruten - mit between 27 March and 7 April, the female arriving einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes before the male in three out of four years. Between der betroffenen Lokalpopulation im Sinne des the arrival of the female and the laying of the first § 44 (1), Absatz 2, auszugehen. Damit sind Stö- egg 15 to 18 days passed. The average breeding rungen der streng geschützten Fischadler gesetzlich time took 38 days and the young fledged after 49 verboten. to 53 days.

Eine landwirtschaftliche Nutzung in Nestnähe, bei- Between the arrival of the adults and the departure spielsweise Wiesenmahd oder Getreideernte mit of the offspring mostly in mid-September Ospreys Maschinen, wurde von zwei Fischadlerpaaren im are tied to the nest site over six months. Within Untersuchungsgebiet nicht oder selten als Störreiz this period disturbances of the strictly protected wahrgenommen, solange keine Menschen die Ma- Ospreys are prohibited by law and have to be schinen verließen (BRANDT 2006). Diese Beobach- avoided within a radius of at least 500 m around tungen lassen sich nicht verallgemeinern, die indi- the nest site. viduellen Unterschiede bzgl. der Reaktion auf Stör- reize sind mitunter groß. Im Wald brütende Paare scheinen gegenüber Störreizen generell empfindli- 8 Literatur cher zu reagieren (A. TORKLER, mdl. Mitt., eig. Be- AAN & NLWKN (2017): Bericht der Arbeitsgemeinschaft obachtungen). Adlerschutz in Niedersachsen über den Brutverlauf bei See- und Fischadler im Jahr 2017. Hannover. BRANDT, T. (2006): Erste Brut von Fischadlern (Pandion ha- Danksagung liaetus) am Steinhuder Meer und Beobachtungen zu Wir bedanken uns beim NABU Nienburg, v. a. bei deren Reaktionen auf Störreize. Vogelkdl. Ber. Nie- J. Rösler und C. Bosse, und den Mitarbeitern der dersachs. 38: 123-125. Ökologischen Schutzstation Steinhuder Meer (ÖSSM BRANDT, T. (2016): Brutbestandsentwicklung, Nistplatzwahl e. V.) für die zahlreichen Mitteilungen ihrer Beob- und Bruterfolg von Fischadlern (Pandion haliaetus) im achtungen und für ihr Engagement im Fischadler- Raum Mittelweser - Steinhuder Meer - Untere Leine, schutz. Niedersachsen. Vogelkundliche Berichte aus Nieder- sachsen 45 (1): 87-96. Das Manuskript prüften und korrigierten dankens- DENNIS, R. (2008): A Life of Ospreys. Caithness. werter Weise E. Bühring, D. Schmidt-Rothmund, EVANS, E. (2014): Ospreys in Wales – the first ten years. A. Torkler und L. Wellmann. Aberystwyth. GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N., HRSG. (1971): Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Band 4 – Falconiformes. Frank- Summary – Notes on the breeding biology furt/Main. of a local population of Ospreys (Pandion KRÜGER, T., & M. NIPKOW (2015): Rote Liste der in Nieder- haliaetus) in Lower Saxony and on protecti- sachsen und Bremen gefährdeten Brutvögel. 8. Fas- on measures for the species sung, Stand 2015. Inform.d. Naturschutz Niedersachs. Since Ospreys started to breed within the survey 35: 181-260. area at Lake Steinhuder Meer in 2006, the beginning MEBS, T., & D. SCHMIDT (2014): Die Greifvögel Europas, Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 219

Nordafrikas und Vorderasiens. 2. Auflage, Stuttgart. MOLL, K.-H. (1962): Der Fischadler. Neue Brehm Bücherei 308. Wittenberg Lutherstadt. NLWKN (Hrsg.) (2011): Vollzugshinweise zum Schutz von Brutvogelarten in Niedersachsen. – Wertbestimmende Brutvogelarten der EU-Vogelschutzgebiete mit Priorität für Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen – Fisch- adler (Pandion haliaetus). – Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz. Hannover. 220

Fischadler Pandion haliaetus. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Osprey. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 221

Die Brutvögel des Lichtenmoores im Landkreis Nienburg, Niedersachsen, und dessen Bedeutung als Brutvogellebensraum

Moritz Wartlick, Eva Lüers & Thomas Brandt

WARTLICK, M., E. LÜERS & T. BRANDT (2017): Die Brutvögel des Lichtenmoores im Landkreis Nienburg, Niedersachsen, und dessen Bedeutung als Brutvogellebensraum. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45: 221-235.

Um die Avifauna des Lichtenmoores im Landkreis Nienburg und dessen Bedeutung für den Vogelschutz evaluieren zu können, wurden 2016 und 2017 auf einer 1.160 ha großen Hoch- moorfläche 45 ausgewählte Brutvogelarten, darunter alle vorkommenden Arten der Roten Listen sowie der Vorwarnlisten Niedersachsens und der Bundesrepublik, quantitativ erfasst. Darüber hinaus wurden 49 weitere Arten qualitativ kartiert, indem deren Vorkommen bzw. Fehlen in sieben gut abgrenzbaren und sehr unterschiedlich ausgeprägten Teilgebieten un- tersucht wurde. Das bearbeitete Gebiet stellt sich derzeit sehr divers dar und besteht aus ak- tuellen Torfabbauflächen, mehr oder weniger degenerierten Hochmoorflächen und renatu- rierten Bereichen. Herausragend sind die Vorkommen von Bekassine, Steinschmätzer (beide Rote Liste Deutschland und Niedersachsen: Kategorie 1) und Wiesenpieper (RL Deutschland: 2). Als weitere bestandsgefährdete Brutvogelarten wurden u. a. Knäkente, Löffelente, Großer Brachvogel und Rotschenkel (alle RL regional: 1) sowie Rotmilan, Wachtelkönig, Turteltaube und Braunkehlchen (alle RL regional: 2) nachgewiesen.

Für sechs der sieben Teilgebiete des Lichtenmoores konnte eine nationale Bedeutung als Brutvogellebensraum belegt werden, für ein weiteres eine landesweite Bedeutung. Aufgrund des Vorkommens von Steinschmätzern ist auch eine nationale Bedeutung der Abtorfungs- flächen belegt. Die Art bedarf nach Beendigung des Abbaus weiterer Hilfsmaßnahmen.

M. W., E. L., T. B., Ökologische Schutzstation Steinhuder Meer (ÖSSM e.V.), Hagenburger Str. 16, 31547 Rehburg-Loccum, [email protected]

Einleitung Andererseits sind Hochmoore Lebensraum für eine Vielzahl selten gewordener Vogelarten, darunter Die einstmals im moorreichen Niedersachsen/Bremen zahlreiche Spezialisten vor allem aus der Gruppe mit einem Flächenanteil von 5,3 %(= 2.494 km²) der Watvögel (BLÜML & SANDKÜHLER 2015). Ein par- nach EIGNER & SCHMATZLER (1991) weit verbreiteten tielles Umdenken in der Gesellschaft seit den Hochmoore gehören in Deutschland heute zu den 1970er Jahren, das 1981 zunächst in ein Nieder- am stärksten beeinträchtigten Lebensräumen. Torf- sächsisches Moorschutzprogramm mündete (NLWKN gewinnung und landwirtschaftliche Kultivierung 2006) und zuletzt durch den Klimaschutzgedanken waren und sind heute noch die wichtigsten Zerstö- − Hochmoore sind wichtige Kohlenstoffspeicher − rungsfaktoren. In Niedersachsen verblieb bis Ende verstärkt wurde, führte zur Unterschutzstellung der 1980er Jahre etwa 28 % der ursprünglichen einiger Moore und lokal zu Renaturierungs- bzw. Hochmoorfläche landwirtschaftlich ungenutzt bzw. Revitalisierungsmaßnahmen. In diesen ist das Wie- befand sich nicht im Abbau für die Torfgewinnung. derbeleben des Torfmooswachstums und damit Sie wurde aber weitgehend durch Entwässerungs- die Bildung von Torfkörpern das vorrangige Ziel. maßnahmen geschädigt und ihre Vegetation stark Die Bedeutung von Hochmoorfolgelandschaften verändert. Als natürlich und naturnah galten nach für Vögel kann trotz der für die Hochmoorrenatu- EIGNER & SCHMATZLER (1991) vor etwa 30 Jahren nur rierung anzunehmenden Erschwernisse, wie Nähr- noch etwa 5 % der ursprünglichen Moorfläche. stoffeintrag, Gehölzwachstum, nachhaltige Verän- 222 WARTLICK et al.: Brutvögel des Lichtenmoores

sachsen (Abb. 1). Im Südwesten grenzt die kleine enburg Ortschaft Sonnenborstel direkt an das Lichtenmoor Bremen an. Weitere Ortschaften liegen 800 m (Steimbke) sowie ca. 2 km entfernt (Heemsen). In etwa 5,5

Soltau km Entfernung befindet sich im Westen die Weser. Der Großteil des Lichtenmoores liegt innerhalb der g Verwaltungsgrenze des Landkreises Nienburg (We- ser), nur einTeilkomplex im Norden, der im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht kartiert wurde, gehört zum Landkreis Heidekreis. Celle Nienburg Diepholz Das kartierte und bewertete Gebiet umfasst den

Hannover etwa 1.160 ha großen Kernbereich des Hochmoores (Abb. 2). Bedingt durch die unterschiedlichen Nut-

Pe zungen und Sukzessionsstadien finden sich viele verschiedene Lebensraumtypen im Lichtenmoor (Abb. 3a-f). Die zentralen Flächen des Untersu- Abb. 1: Lage des Lichtenmoores (roter Kreis) im Landkreis chungsgebietes sind stark vom Torfabbau geprägt Nienburg (Weser) zwischen Bremen und Hannover. – Lo- und weisen einen offenen Charakter auf. Während cation of the Lichtenmoor (red circle) in the district of sich die südlichen und östlichen zentralen Flächen Nienburg (Weser) between Bremen and Hanover. noch im aktiven Abbau befinden, sind die nördlichen und westlichen bereits aus dem Abbau zurückge- führt und teilweise renaturiert. Hier finden sich derungen im Wasserhaushalt und die damit ein- große und kleinere Wiedervernässungsflächen, auf hergehenden Lebensraumveränderungen, sehr denen sich größtenteils wieder eine typische Hoch- hoch sein. Geschädigte Moore können sogar ar- moorvegetation eingestellt hat. Die renaturierten tenreicher sein als die von Natur aus arten- und in- Flächen werden von trockenen, meist mit Pfeifengras dividuenarmen natürlichen Hochmoore, was aller- Molinia caerulea bewachsenen Dämmen durchzo- dings zu Lasten der heute im Bestand gefährdeten gen. Weiterhin bestehen im Untersuchungsgebiet stenöken Arten geht (BLÜML & SANDKÜHLER 2015). mehrere größere, mehr oder weniger dauerhaft überstaute Stillgewässer. Das im Landkreis Nienburg liegende Lichtenmoor stellt sich heute als ein stark geschädigtes, in Die zuletzt abgetorften und die sich derzeit in Ab- großen Teilen abgebautes bzw. sich in Abbau be- torfung befindlichen Flächen (ca. ein Viertel des findliches Hochmoor dar, von dem ein Teil ehemaliger Untersuchungsgebietes) stellen sich entweder als Abbauflächen durch Schließen der Entwässerungs- völlig offene und relieflose Flächen dar (Abbau im gräben wieder vernässt wurde. Vor allem randseitig Frästorfverfahren) oder weisen Torfstiche mit da- liegende Flurstücke werden heute, meist als Grün- neben aufgeschichteten Torfsoden auf (Abbau im land, intensiv landwirtschaftlich genutzt. Da aus Torfstichverfahren). Vegetation ist auf diesen Flächen dem Gebiet nur wenige aktuelle Ergebnisse zur in der Regel nicht oder nur sehr spärlich vorhanden. Brutvogelfauna vorliegen, sollte durch eine umfas- Zwischen den einzelnen Torfgewinnungsflächen sende Kartierung der Brutvogelbestand erfasst und liegen häufig Entwässerungsgräben. die avifaunistische Bedeutung festgestellt werden, auch um Prioritäten in der erforderlichen Schutz- Im Westen, Osten und Südosten schließen sich an gebietskonzeption und -zonierung finden zu können. den zentralen Moorbereich Grünlandflächen an, die besonders im Westen von Gehölzreihen parzelliert werden, im Osten aber auch recht offen sind. Sie Untersuchungsgebiet werden teilweise mit Rindern beweidet. Im Süden Das Lichtenmoor liegt in der naturräumlichen und Westen des Untersuchungsgebietes sind randlich Region des Weser-Aller-Flachlandes etwa 5 km außerdem Kiefernforste und Birken-Kiefern-Moor- nordöstlich der Stadt Nienburg (Weser) in Nieder- waldbereiche von mehreren Hektar Größe vertreten. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 223

Das untersuchte Gebiet lässt sich in sieben Teilgebiete (TG) unterteilen, die sich im Gelände voneinander ab- grenzen lassen (Tab. 1).

Eine Schutzgebietsauswei- sung steht für einen Großteil des Lichtenmoores aktuell noch aus. Im Südwesten zählt ein ca. 25 ha großer Teil des NSG „Holtorfer Moor“ (HA 084) zum Un- tersuchungsgebiet, im Nor- den ca. 211 ha des NSG „Weißer Graben“ (HA 174) (Abb. 2). Östlich trennt die Lichtenhorster Straße das Untersuchungsgebiet von einem weiteren Schutzge- biet, dem NSG „Steimbker Abb. 2: Satellitenbild des Untersuchungsgebietes (grün umrandet) im Lichtenmoor. Kuhlen“ (HA 073). Das NSG Die mit Stand vom 01.07.2017 als Naturschutzgebiet ausgewiesenen Bereiche sind „Lichtenmoor“ (LÜ 017) in der Abbildung schraffiert dargestellt. (Quelle des Luftbilds: Google; Aufnahmeda- umfasst nur den nördlichen tum: 07.05.2016). – Satellite image of the investigation area (framed green) in the Komplex des Lichtenmoores, bog “Lichtenmoor”. The hatched areas in the figure are nature reserves. der nicht Bestandteil der vorliegenden Untersuchung war und in mehr als einem Kilometer Entfernung zu den tagsüber durchgeführten Begehungen nördlich der hier berücksichtigten Flächen liegt. nachts aufgesucht, um Ziegenmelker und Eulen zu kartieren. Im Frühjahr 2017 erfolgte in den be- Aufgrund der Abgeschiedenheit, der geringen Er- waldeten Bereichen zusätzlich eine gesonderte, schließung und der noch andauernden Nutzung ergänzende Kartierung der Eulen und Spechte, bei (Betriebsgelände!) des Hochmoores treten im Gebiet der auch − mit behördlicher Genehmigung − Klan- kaum Störungen durch Freizeitnutzung auf. Beun- gattrappen eingesetzt wurden. ruhigungen sind jedoch in den zentralen Bereichen durch den Torfabbau sowie in den randlichen Be- Die von den Verfassern durchgeführten Kartierungen reichen durch landwirtschaftliche Nutzung und erfolgten vornehmlich entlang der Wege und Däm- Jagd möglich und zum Teil belegt. me durch Verhören und Beobachtungen mit Fern- gläsern und Spektiven.

Material und Methode Die Bewertung als Brutvogelgebiet wurde auf Basis Eine Auswahl an Vogelarten, die sämtliche Brutvo- der für den Beobachtungszeitraum gültigen 8. gelarten der niedersächsischen und bundesweit Fassung der Roten Liste (KRÜGER & NIPKOW 2015) gültigen Roten Liste einschließlich der Vorwarnliste nach dem in Niedersachsen gängigen Verfahren (KRÜGER & NIPKOW 2015, GRÜNEBERG et al. 2015) vorgenommen (BEHM & KRÜGER 2013). Nach diesem sowie des Anhangs I der Vogelschutz-Richtlinie Verfahren wird die Anzahl der im Gebiet brütenden (VSchRL) beinhaltet, wurde von Anfang April bis Arten je nach Gefährdungskategorie differenziert Juli 2016 als Revierkartierung in Anlehnung an und in Größenklassen eingeteilt nach einem Punk- SÜDBECK et al. (2005) kartiert. Alle anderen beob- tesystem bewertet. Grundlage ist die höchste Brut- achteten und verhörten Arten wurden nur qualitativ paarzahl innerhalb eines möglichst fünfjährigen, erfasst. Anfang Juni wurde das Gebiet in Ergänzung hier allerdings nur einjährigen Beobachtungszeit- 224 WARTLICK et al.: Brutvögel des Lichtenmoores

a) d)

b) e)

c) f)

Abb. 3 (a): Renaturierte, wiedervernässte Fläche im Lichtenmoor; (b): Größeres, dauerhaft überstautes Stillgewässer; (c): Grünlandflächen im Osten des Lichtenmoores; (d): Abtorfungsfläche im Stichverfahren im zentralen Bereich des Moores; (e): Trockene, degenerierte Hochmoorfläche nach wenigen Jahren Sukzession im Anschluss an die Abtorfung; (f): Graben am Rand eines Birken-Kiefern-Moorwaldes. Fotos: T. Brandt. – (a): Renaturated, rewetted area in the Lich- tenmoor; (b): Larger, permanently flooded water body; (c): Grassland in the eastern part of the Lichtenmoor; (d): Peat- mining stretch in the central part of the bog; (e): Dry, degenerated area after some years of succession following peat mining; (f): Ditch on the borders of a forest dominated by birch and pine. Photos: T. Brandt Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 225

Tab. 1: Kurzbeschreibung der sieben Teilgebiete des Untersuchungsgebietes. – Short description of the seven parts of the investigation area.

Nr. Bezeichnung Größe Kurzbeschreibung no. name size [km²] short description 1 Grünland und Waldparzellen 1,7 • ca. zur Hälfte bewaldet (Kiefernforst, Birken-Kiefern-Moorwald) im Westen und Grünland, das überwiegend extensiv genutzt und von Ge- hölzreihen parzelliert wird • Grünlandbereich im Nordosten ist Bestandteil des NSG Weißer Graben (HA 174) • kleiner Abtorfungsbereich im Nordosten • vernässter Birken-Kiefern-Moorwald im Südosten (Bestandteil NSG Holtorfer Moor, HA 084) 2 Zentrale renaturierte Flächen 2,0 • wiedervernässte Flächen mit einigen größeren, meist dauerhaft wasserführenden Stillgewässern • kleinere Gehölze in den nördlichen und südlichen Randbereichen • im Nordosten einige Sukzessionsflächen, die nach zurückliegen- dem Abbau bisher nicht renaturiert wurden 3 Renaturierte Flächen im 2,0 • offene, wiedervernässte Flächen in den südlichen zwei Dritteln NSG Weißer Graben des TG • im nördlichen Drittel etwas trockenere, verbuschte Bereiche • mehrere Feuchtgrünlandflächen und Gehölzreihen im Norden • gesamtes TG ist Bestandteil des NSG Weißer Graben (HA 174) 4 Grünland im Osten 1,1 • überwiegend offene Grünlandflächen mit einigen Gehölzreihen, insbesondere im Osten • intensive Nutzung im Nordosten • feuchtes Hochmoorgrünland auf einigen Flächen im Süden 5 Abtorfungsflächen Nord 1,4 • abgetorfte Flächen, teilweise mit spärlicher Vegetation auf Hoch- moortorf 6 Abtorfungsflächen Süd 1,7 • frisch abgetorfte und sich in Abtorfung befindliche, nahezu ve- getationslose Flächen (Hochmoortorf) 7 Grünland und Waldparzellen 1,7 • ca. zur Hälfte bewaldet (überwiegend Birken-Kiefern-Moorwald) im Süden und feuchtes Hochmoorgrünland mit vielen Hecken • Abtorfungsflächen im Osten raumes mit einem Flächenbezug auf 100 ha. rechnerisch aus den Vorkommen der Brutvogelarten Gebiete bis 200 ha Größe werden nach diesem und deren landesweiter Einstufung in die Rote Bewertungsverfahren rechnerisch auf eine Größe Liste sowie ggf. zusätzlich aus der Funktion als von 100 ha normiert. Bedingt durch die Größe des Nahrungsgebiet für bestimmte, regelmäßig beob- Untersuchungsgebietes und die unterschiedlichen, achtete (Groß-)Vogelarten während der Brutzeit. untereinander deutlich abgrenzbaren Lebensraum- typen, wurde das Gebiet für die Bewertung in sieben landschaftlich weitgehend einheitliche Teil- Ergebnisse gebiete (TG) unterteilt (s. o.), deren Flächenaus- Insgesamt konnten 94 Brutvogelarten im Untersu- dehnung den Vorgaben von BEHM & KRÜGER (2013) chungsgebiet festgestellt werden (Tab. 2 & 4), da- entsprechen (Vorgabe = 80-200 ha). runter sechs Arten, die im östlichen niedersächsi- schen Tiefland als „vom Aussterben bedroht“ (Ka- Darüber hinaus führt die Nutzung von Lebensräumen tegorie 1) gelten (Knäkente Anas querquedula, als Nahrungshabitat für einige bei BEHM & KRÜGER Löffelente Anas clypeata, Bekassine Gallinago gal- (2013) speziell aufgeführte Arten zu einer eigen- linago, Großer Brachvogel Numenius arquata, Rot- ständigen Bewertung. Die Bedeutung des Beob- schenkel Tringa totanus, Steinschmätzer Oenanthe achtungsgebietes aus Landessicht ergibt sich somit oenanthe), fünf „stark gefährdete“ Arten (Kategorie 226 WARTLICK et al.: Brutvögel des Lichtenmoores

Tab. 2: Brutpaarzahl (BP) und Gefährdungskategorie von 45 im Jahr 2016 quantitativ erfassten Brutvogelarten. – Numbers of breeding pairs and Red List categories of 45 quantitatively recorded species in 2016.

VSchRL Gefährdung (Rote Liste)/redlist BP/Rev. Art species D NI Tiefland Ost bp/territories Zwergtaucher Tachybaptus ruficollis – * V V 3 Krickente Anas crecca – 3 3 3 13 Knäkente Anas querquedula – 2 1 1 1 Löffelente Anas clypeata – 3 2 1 1 Rotmilan Milvus milvus x V 2 2 1 Rohrweihe Circus aeruginosus x * V V 1 Baumfalke Falco subbuteo – 3 3 3 2 Wachtelkönig Crex crex x 2 2 2 1 Kranich Grus grus x * * * 8 Flussregenpfeifer Charadrius dubius – * 3 3 6 Kiebitz Vanellus vanellus – 2 3 3 15 Bekassine Gallinago gallinago – 1 1 1 17 Waldschnepfe Scolopax rusticola – V V V 3 Großer Brachvogel Numenius arquata – 1 2 1 3 Rotschenkel Tringa totanus – 3 2 1 2 Waldwasserläufer Tringa ochropus – * * * 1 Turteltaube Streptopelia turtur – 2 2 2 7 Kuckuck Cuculus canorus – V 3 3 13 Ziegenmelker Caprimulgus europaeus x 3 3 3 8 Grünspecht Picus viridis – * * * 1 Schwarzspecht Dryocopus martius x * * * 5 Kleinspecht Dryobates minor – V V V 3 Heidelerche Lullula arborea x V V * 2 Feldlerche Alauda arvensis – 3 3 3 94 Baumpieper Anthus trivialis – 3 V V 146

2) (Rotmilan Milvus milvus, Wachtelkönig Crex spötter Hippolais icterina, Gartengrasmücke Sylvia crex, Turteltaube Streptopelia turtur, Wiesenpieper borin, Stieglitz Carduelis cannabina, Kernbeißer Anthus pratensis, Braunkehlchen Saxicola rubetra), Coccothraustes coccothraustes, Goldammer Em- 16 „gefährdete“ Arten (Kategorie 3) (Krickente beriza citrinella). Bemerkenswert sind die Vorkom- Anas crecca, Baumfalke Falco subbuteo, Flussre- men der bundes- und landesweit vom Aussterben genpfeifer Charadrius dubius, Kiebitz Vanellus va- bedrohten Bekassine mit 17 Brutpaaren in den re- nellus, Kuckuck Cuculus canorus, Ziegenmelker naturierten Moorflächen (TG 2 und 3) sowie des Caprimulgus europaeus, Feldlerche Alauda arvensis, ebenfalls in der Kategorie 1 gelisteten Steinschmät- Gartenrotschwanz Phoenicurus phoenicurus, Feld- zers mit neun Brutpaaren in den Abtorfungsflächen schwirl Locustella naevia, Waldlaubsänger Phyllos- der Teilgebiete 6 und 7. copus sibilatrix, Grauschnäpper Muscicapa striata, Trauerschnäpper Ficedula hypoleuca, Pirol Oriolus Neben den 94 Brutvogelarten wurden weitere 12 oriolus, Neuntöter Lanius collurio, Star Sturnus Arten festgestellt, für die keine Brutvorkommen vulgaris, Bluthänfling Carduelis cannabina) sowie im Untersuchungsgebiet ermittelt werden konnten 11 Arten der regionalen Vorwarnliste (Kategorie (Tab. 3). Bei diesen handelte es sich größtenteils V) (Zwergtaucher Tachybaptus ruficollis, Rohrweihe um Nahrungsgäste, die außerhalb des betrachteten Circus aeruginosus, Waldschnepfe Scolopax rusticola, Gebietes brüten, sowie je um eine durchziehende Kleinspecht Dryobates minor, Baumpieper Anthus und eine einmalig während der Brutzeit beobachtete trivialis, Nachtigall Luscinia megarhynchos, Gelb- Art. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 227

Tab.2: Fortsetzung.

VSchRL Gefährdung (Rote Liste)/redlist BP/Rev. Art species D NI Tiefland Ost bp/territories Wiesenpieper Anthus pratensis – 2 3 2 129 Nachtigall Luscinia megarhynchos – * V V 1 Blaukehlchen Luscinia svecica x * * * 4 Gartenrotschwanz Phoenicurus phoenicurus – V V 3 15 Braunkehlchen Saxicola rubetra – 2 2 2 5 Schwarzkehlchen Saxicola rubicola – * * * 33 Steinschmätzer Oenanthe oenanthe – 1 1 1 9 Feldschwirl Locustella naevia – 3 3 3 5 Gelbspötter Hippolais icterina – * V V 13 Gartengrasmücke Sylvia borin – * V V 5 Waldlaubsänger Phylloscopus sibilatrix – * 3 3 14 Grauschnäpper Muscicapa striata – V 3 3 8 Trauerschnäpper Ficedula hypoleuca – 3 3 3 3 Pirol Oriolus oriolus – V 3 3 10 Neuntöter Lanius collurio x * 3 3 17 Star Sturnus vulgaris – 3 3 3 3 Stieglitz Carduelis carduelis – * V V 1 Bluthänfling Carduelis cannabina – 3 3 3 21 Kernbeißer Coccothraustes coccothraustes – * V V 2 Goldammer Emberiza citrinella – V V V 40 VSchRL: (x) Arten, die im Anhang I der Vogelschutz-Richtlinie gelistet sind – species listed in annex I of the European Birds Directive; Gefährdung: Rote Liste D/Red list Germany: GRÜNEBERG et al. (2015); Rote Liste NI/Red list Lower Saxony: KRÜGER & NIPKOW (2015); Rote Liste-Kategorien: *: ungefährdet; V: Vorwarnliste; 3: gefährdet; 2: stark gefährdet; 1: vom Aussterben bedroht – Red List categories: *: least concern; V: near threatened; 3: vulnerable; 2: endangered; 1: critically endangered.

Ausgewählte wichtige Brutvogelarten (quantitative Nest wurde auf einem Bult aus Scheidigem Wollgras Erfassung) Eriophorum vaginatum angelegt, frei liegend auf einer flach überstauten Fläche ohne Gehölze in Insgesamt 45 ausgewählte Brutvogelarten, von der Nähe. Mindestens drei Paare führten Jungvögel. denen die meisten entweder im Anhang I der Vo- BLÜML & SANDKÜHLER (2015) geben für 15 nieder- gelschutzrichtlinie (VSchRL) gelistet werden oder sächsische Hochmoore Siedlungsdichten zwischen einen Gefährdungsstatus in den Roten Listen Nie- 0,05 und 1,76 Rev./100 ha an. Die im gesamten dersachsens oder Deutschlands aufweisen, wurden Lichtenmoor erreichte Dichte von 0,7 Rev./100 ha im Untersuchungsjahr quantitativ erfasst (Tab. 2). wird in der vorgenannten Publikation nur von drei Unter diesen befinden sich v. a. typische Arten der Gebieten (V22 Moore bei Sittensen, V33 Schweimker Hochmoore wie Krickente, Kranich, Bekassine und Moor und Lüderbruch, V35 Günnemoor) über- Großer Brachvogel, Arten der Heiden wie Ziegen- troffen. Durch die Wiedervernässung weiterer Flä- melker, Heidelerche und Schwarzkehlchen sowie chen dürfte sich die Brutpaardichte im Lichtenmoor Arten des Grünlandes wie Wachtelkönig, Kiebitz weiter erhöhen. und Braunkehlchen. Im Folgenden wird auf einige ausgewählte Brutvogelarten näher eingegangen. Kiebitze nutzten ebenfalls die Wiedervernässungs- flächen, aber auch das randlich im Gebiet liegende Insgesamt acht Kranichpaare brüteten im Unter- Grünland als Brutplatz. Es wurden 15 Brutpaare suchungsjahr in den zentralen Wiedervernässungs- (BP) kartiert, was einer Siedlungsdichte von 1,3 flächen des Lichtenmoores und in den renaturierten Rev./100 ha entspricht. Die größten Kiebitz-Brut- Bereichen im NSG „Weißer Graben“. Ein gefundenes paardichten werden in Niedersachsen wegen des 228 WARTLICK et al.: Brutvögel des Lichtenmoores

hohen Feuchtgrünlandanteils in den Watten und ist, ist von einer zukünftigen Bestandszunahme Marschen erreicht (ZANG et al. 1995). In den Hoch- nach Renaturierung weiterer Flächen auszugehen. mooren Niedersachsens sind die Dichten sehr un- terschiedlich und reichen von 0,23 (V05 Ewiges Die Feldlerche ist im Lichtenmoor auf den Grün- Meer) bis 7,75 Rev./100 ha (Barnstorfer MOOR)(BLÜML landflächen und den Abtorfungsflächen ein häufiger & SANDKÜHLER 2015). Die im Lichtenmoor erreichte Brutvogel. In den Wiedervernässungsflächen sie- Siedlungsdichte entspricht etwa der im Nördlichen delten dagegen erwartungsgemäß nur wenige Wietingsmoor (V40; 1,31 Rev./100 ha) und im Op- Paare. Es wurde ein Gesamtbestand von 94 BP (= penweher Moor (V74; 1,27 Rev./100 ha). 8,1 Rev./100 ha) ermittelt. Im Vergleich zu anderen niedersächsischen Hochmooren ist der Wert als Insgesamt 17 Reviere der in Niedersachsen und überdurchschnittlich anzusehen, wobei die Sied- bundesweit vom Aussterben bedrohten Bekassine lungsdichten in den von BLÜML & SANDKÜHLER (2015) konnten im Untersuchungsgebiet nachgewiesen berücksichtigten Hochmoorgebieten stark variieren. werden. Auch diese Art zeigt eine starke Bindung Sie reichen von 0,41 Rev./100 ha im Venner Moor an die wieder vernässten Hochmoorflächen im bis zu 20,38 Rev./100 ha in der Tinner Dose (V15). zentralen Bereich und im NSG „Weißer Graben“. Eine höhere Siedlungsdichte als im Lichtenmoor Die Siedlungsdichte beträgt auf das gesamte Un- wird in Niedersachsen nur in 4 von 21 untersuchten tersuchungsgebiet bezogen 1,47 Rev./100 ha, ähn- Hochmooren erreicht (BLÜML & SANDKÜHLER 2015). lich wie im Diepholzer Moor (1,31 Rev./100 ha) und im Rehdener Geestmoor (V40; 1,68 Rev./100 Die Anzahl der Wiesenpieperreviere ist im Lichten- ha) (BLÜML & SANDKÜHLER 2015). moor im Bereich der Renaturierungsflächen am höchsten, aber auch die offenen Grünland- und Zwei BP des Großen Brachvogels wurden auf den Abtorfungsflächen sind fast flächendeckend be- Grünlandflächen im Osten und Südosten des Un- siedelt. Bezogen auf das gesamte Untersuchungs- tersuchungsgebietes kartiert. Für ein weiteres Paar gebiet wird eine Siedlungsdichte von 11,1 Rev./100 bestand Brutverdacht auf einer ehemaligen Abtor- ha erreicht. Damit ist der Wiesenpieper − nach fungsfläche. Da der Große Brachvogel im östlichen dem Baumpieper − die zweithäufigste Rote Liste- Tiefland Niedersachsens wie die Bekassine vom Art im Lichtenmoor. Im Vergleich zu anderen un- Aussterben bedroht ist, ist das Brutvorkommen im tersuchten Hochmoorgebieten in Niedersachsen Lichtenmoor von großer Bedeutung für den Erhalt ist die Siedlungsdichte als hoch anzusehen: Nur in der Art in dieser naturräumlichen Region. der Tinner Dose (V15), im Neustädter Moor (V40) und im Barnstorfer Moor wurden höhere Werte Ein weiterer vorkommender Brutvogel, dessen Be- ermittelt (BLÜML & SANDKÜHLER 2015). stand im östlichen Tiefland Niedersachsens zu er- löschen droht (Rote Liste-Kategorie 1 im östlichen Blaukehlchen wurden in den zentralen renaturierten Tiefland), ist der Rotschenkel, der mit 2 BP in den Moorflächen (2 BP), auf einer ehemaligen Abtor- zentralen Vernässungsflächen brütete. fungsfläche (1 BP) und im Bereich der Grünland- flächen im Osten des Lichtenmoores (1 BP) als Während der Nachtkartierungen konnten acht Zie- Brutvögel festgestellt. genmelkerreviere nachgewiesen werden. Die Art ist im Lichtenmoor in den ehemaligen Abtorfungs- In den innerhalb des Untersuchungsgebietes randlich flächen (2 Reviere) und in den wiedervernässten liegenden Gehölzbeständen mit einem hohen Anteil Flächen (6 Rev.) zu finden. Die Dichte ist mit 0,7 an Waldkiefer Pinus sylvestris und Moorbirke Betula Rev./100 ha im Vergleich zum östlich an das Stein- pubescens brüteten 15 BP des im östlichen Tiefland huder Meer grenzenden Toten Moor (Region Han- Niedersachsens gefährdeten Gartenrotschwanzes. nover) mit ca. 2,7 Rev./100 ha vergleichsweise Die Revierdichte beträgt großflächig (auf das gering. Für 27 Hochmoorflächen ab einer Größe gesamte Lichtenmoor bezogen) 1,3 Rev./100 ha. von 500 ha dokumentierte BLÜML (2004) Sied- Betrachtet man ausschließlich die für diese Art be- lungsdichten zwischen 0,9 und 2,3 Rev./100 ha. siedelbaren Lebensräume, ergibt sich dagegen eine Da das Lichtenmoor aufgrund des Torfabbaus für höhere Dichte von etwa 4 Rev./100 ha. diese Art in weiten Teilen (derzeit) nicht besiedelbar Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 229

Die Bestände des Braunkehlchens weisen sowohl werden von der Art ausschließlich Sekundärle- auf Landes- als auch auf Bundesebene einen starken bensräume besiedelt: Insgesamt neun BP wurden Rückgang auf, es wird daher in beiden Roten Listen in den frischen Abtorfungsflächen (maschineller als stark gefährdet aufgeführt. Im Rahmen der Kar- Torfstich!) kartiert. Als Brutplätze dienen den Stein- tierung konnten fünf Reviere ermittelt werden, die schmätzern die zum Trocknen aufgestapelten Torf- an den Rändern der wiedervernässten Bereiche (4 soden. Abgesehen von den Brutvorkommen auf BP) und im östlichen Grünland (1 BP) lagen. den Ostfriesischen Inseln, befinden sich die mit Abstand individuenstärksten Vorkommen Nieder- Schwarzkehlchen waren im Lichtenmoor deutlich sachsens in Hochmooren, in denen noch Torfabbau häufiger als Braunkehlchen anzutreffen − es wurden im Stichverfahren betrieben wird (BLÜML & SCHÖNHEIM 23 Reviere festgestellt. Die Art fehlt im Lichtenmoor 2006). Der niedersächsische Festlandsbestand wurde nur in den völlig vegetationslosen, frischen Abtor- für den Zeitraum 2000 bis 2005 auf 250 bis 400 fungsflächen und den stark bewaldeten Bereichen. Reviere geschätzt. Eine Herausforderung für den Die ermittelte Siedlungsdichte von etwa 2 Rev./100 Naturschutz stellt es dar, diese Art auch nach Be- ha ist für niedersächsische Hochmoorlebensräume endigung des Torfabbaus weiter in den Hochmooren als durchschnittlich zu bewerten, auch wenn in ei- wie dem hier betrachteten Lichtenmoor zu halten. nigen Gebieten, z. B. im Toten Moor (V42), die Dafür ist es unabdinglich, auf den Abbauflächen Dichten deutlich geringer sind (0,19 Rev./100 ha) oder in der Nähe, z. B. in den Moorrandbereichen, (BLÜML & SANDKÜHLER 2015). Eine erheblich höhere spezielle auf den Erhalt dieser Art ausgerichtete Siedlungsdichte wird dagegen etwa im Bissendorfer Maßnahmen umzusetzen. Moor erreicht (4,98 Rev./100 ha). Pirole brüteten in den Waldkieferbeständen. In Steinschmätzer gelten in Niedersachsen und im diesen konnten zehn Reviere gefunden werden. gesamten Deutschland gleichermaßen als „vom Außerdem bestand Brutverdacht in einer Gehölzreihe Aussterben bedroht“, da die von ihnen benötigten im Grünland. vegetationsarmen Lebensräume in der Kulturland- schaft selten geworden sind. Im Lichtenmoor Insgesamt 17 Neuntöterpaare brüteten 2016 im

Tab. 3: Nahrungsgäste, Durchzügler und Brutzeitfeststellungen. – Non-breeding birds (foraging visitors, passage migrants and single observations of potential breeding birds)

VSchRL Gefährdung (Rote Liste)/redlist Status Art species D NI Tiefland Ost status Schwarzstorch Ciconia nigra x * 2 2 NG Moorente Aythya nyroca – 1 0 0 BZ Wespenbussard Pernis apivorus x 3 3 3 NG Schwarzmilan Milvus migrans x * * * NG Seeadler Haliaeetus albicilla x * 2 2 NG Wiesenweihe Circus pygargus x 2 2 2 DZ Habicht Accipiter gentilis – * V V NG Turmfalke Falco tinnunculus – * V V NG Mauersegler Apus apus – * * * NG Rauchschwalbe Hirundo rustica – 3 3 3 NG Mehlschwalbe Delichon urbicum – 3 V V NG Feldsperling Passer montanus – V V V NG VSchRL: (x) Arten, die im Anhang I der Vogelschutz-Richtlinie gelistet sind – species listed in annex I of the European Birds Directive; Gefährdung: Rote Liste D/Red list Germany: GRÜNEBERG et al. (2015); Rote Liste NI/Red list Lower Saxony: KRÜGER & NIPKOW (2015); Rote Liste-Kategorien: *: ungefährdet; V: Vorwarnliste; 3: gefährdet; 2: stark gefährdet; 1: vom Aussterben bedroht – Red List categories: *: least concern; V: near threatened; 3: vulnerable; 2: endangered; 1: critically endangered. Status: BZ: Brutzeitfeststellung; NG: Nahrungsgast; DZ: Durchzieher – BZ: single observation of a potential breeding bird during breeding season; NG: foraging visitor; DZ: passage migrant. 230 WARTLICK et al.: Brutvögel des Lichtenmoores

Untersuchungsgebiet. Die Art kam dort vor, wo Bewertung als Brutvogellebensraum als Brutplatz geeignete Gehölzbestände an Nah- rungsflächen mit niedriger Vegetationshöhe an- Sechs der sieben untersuchten Teilgebiete des Lich- grenzten, also sowohl in den wiedervernässten tenmoores weisen bei Anwendung des niedersäch- Teilgebieten als auch im strukturreichen Grünland, sischen Bewertungsverfahrens nach BEHM & KRÜGER insbesondere im Südosten des Untersuchungsge- (2013) eine nationale, eines (TG 1) eine landesweite bietes. Die Siedlungsdichten liegen in vergleichbaren Bedeutung als Vogelbrutgebiet auf (Abb. 4, Tab. Hochmoorgebieten meist etwas unter der für das 5). Der hohe avifaunistische Wert des Untersu- Lichtenmoor ermittelten Siedlungsdichte von 1,47 chungsgebietes resultiert vor allem aus den Brut- Rev./100 ha, in einigen jedoch auch deutlich höher, vorkommen stark gefährdeter und vom Aussterben wie z. B. im 582 ha großen Bissendorfer Moor bedrohter Vogelarten wie Bekassine, Großer Brach- (3,26 Rev./100 ha; BLÜML & SANDKÜHLER 2015). vogel, Steinschmätzer und Wiesenpieper.

Neben den insgesamt 94 Brutvogelarten wurden Von den ausgewählten Arten, deren Brut- und weitere 11 Arten als Nahrungsgäste bzw. Durch- Nahrungshabitate nach BEHM & KRÜGER (2013) eine zügler im Gebiet festgestellt (Tab.3), darunter u. a. eigenständige Bewertung erhalten, wurden Seeadler die stark gefährdeten Arten Schwarzstorch Ciconia und Rotmilan zur Brutzeit regelmäßig im Gebiet nigra, Seeadler Haliaeetus albicilla und Wiesenweihe beobachtet. Es ist daher davon auszugehen, dass Circus pygargus. das Untersuchungsgebiet für diese beiden Arten

Von derin Niedersachsen Tab. 4: Vorkommen weiterer, qualitativ erfasster Brutvogelarten in den sieben Teil- ausgestorbenen und in ei- gebieten. – Further species found (qualitative records) in the seven parts of the in- nem aktuellen NABU-Projekt vestigation area. am ca. 19 km entfernten Teilgebiet part of the investigation area Steinhuder Meer im Rahmen Art species 1 2 3 4 5 6 7 eines Wiederansiedlungsver- Höckerschwan Cygnus olor x suchs freigelassenen Moor - Graugans Anser anser x x ente Aythya nyroca (MELLES Kanadagans Branta canadensis x x & BRANDT 2016) liegt eine Brandgans Tadorna tadorna x Brutzeitfeststellung vor. Schnatterente Anas strepera x x Stockente Anas platyrhynchos x x x Weitere Brutvogelarten Reiherente Aythya fuligula x x (qualitative Erfassung) Mäusebussard Buteo buteo x x x x Jagdfasan Phasianus colchicus x x x 49 häufige, ungefährdete Lachmöwe Larus ridibundus x x und überwiegend ubiquitäre Sturmmöwe Larus canus x x Brutvogelarten wurden im Rahmen dieser Untersu- Ringeltaube Columba palumbus x x x x x chung nur qualitativ erfasst. Grünspecht Picus viridis x Unter diesen befinden sich Buntspecht Dendrocopos major x x x x v. a. Arten der Gewässer wie Wiesenschafstelze Motacilla flava x x x x x x x Graugans Anser anser und Bachstelze Motacilla alba x x x x x x Brandgans Tadorna tadorna, Zaunkönig Troglodytes troglodytes x x x x Gebüschbrüter wie Fitis Phyl- Heckenbraunelle Prunella modularis x loscopus trochilus und Dorn- Rotkehlchen Erithacus rubecula x x x x grasmücke Sylvia communis Hausrotschwanz Phoenicurus ochruros x x sowie Gehölzbrüter wie Amsel Turdus merula x x x x x Mäusebussard Buteo buteo Wacholderdrossel Turdus pilaris x und Grünspecht Picus viridis Singdrossel Turdus philomelos x x x x x (Tab. 4). Misteldrossel Turdus viscivorus x x x Sumpfrohrsänger Acrocephalus palustris x x Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 231

Tab. 4: Fortsetzung. wichtigen Baustein im nie- Teilgebiet part of the investigation area dersächsischen Vogelarten- Art species 1 2 3 4 5 6 7 schutz dar (BLÜML & SAND- KÜHLER 2015). Auch im Lich- Klappergrasmücke Sylvia curruca x x tenmoor zeigt sich, dass die Dorngrasmücke Sylvia communis x x x x x x x vorhandenen Hochmoorfol- Mönchsgrasmücke Sylvia atricapilla x x x x x gelandschaften zahlreichen Zilpzalp Phylloscopus collybita x x x x x bestandsgefährdeten Vogel- Fitis Phylloscopus trochilus x x x x x arten − darunter allein sechs Wintergoldhähnchen Regulus regulus x x in der betrachteten Region Sommergoldhähnchen Regulus ignicapilla x x vom Aussterben bedrohten Schwanzmeise Aegithalos caudatus x Arten − einen Lebensraum Sumpfmeise Parus palustris x x bieten. Da sich ein Großteil Weidenmeise Parus montanus x x der festgestellten avifaunis- Haubenmeise Parus cristatus x x x tisch wertvollen Bereiche im Tannenmeise Parus ater x x Lichtenmoor außerhalb der Blaumeise Parus caeruleus x x x x bestehenden Naturschutz- Kohlmeise Parus major x x x x x gebiete befindet, ist eine Kleiber Sitta europaea x x komplette Unterschutzstel- Gartenbaumläufer Certhia brachydactyla x x lung des Lichtenmoores sinn- Eichelhäher Garrulus glandarius x x voll, da beispielsweise bei Elster Pica pica x einer landwirtschaftlichen Rabenkrähe Corvus corone x x x x x Folgenutzung auf Abtor- Kolkrabe Corvus corax x x x x fungsflächen ein Verlust ge- Buchfink Fringilla coelebs x x x x x fährdeter Brutvogelarten Grünfink Carduelis chloris x x x bzw. eines Teils der Brutpaare Gimpel Pyrrhula pyrrhula x x zu erwarten ist.Außerdem Rohrammer Emberiza schoeniclus x x x x x bergen die noch in Nutzung befindlichen Flächen im Falle einer „Renaturierung“ ein großes Entwicklungspoten- eine hohe Funktion als Nahrungshabitat hat. Bereits zial. Insbesondere die Vergrößerung der Populationen aus dieser Feststellung ergibt sich allein eine lan- stenöker Arten, wie z. B. der Bekassine, ist anzu- desweite Bedeutung für Teile des Lichtenmoores. streben, um die Gefahr des Aussterbens aufgrund zufälliger Ereignisse zu verringern (vgl. BEGON et al. 2017). Diskussion Weil die großen Renaturierungsflächen nur von Fast alle Teilflächen und damit unterschiedlichen außen kartiert werden konnten und kleinere Bereiche Lebensraumtypen im Untersuchungsgebiet weisen trotz Einsatz eines Spektives nicht einsehbar waren, eine nationale Bedeutung für die Brutvogelfauna ist von Erfassungslücken auszugehen. Dies betrifft auf. Die höchste Punktzahl im Bewertungssystem vor allem solche Arten, die Moorgewässer (über- nach BEHM & KRÜGER (2013) wird von den zentralen staute Abbauflächen) besiedeln und nur selten renaturierten Flächen (TG 2; Abb. 5) erreicht, in oder leise Laute von sich geben (z. B. Krick- und welchen alleine 12 Reviere der vom Aussterben Knäkente). Insofern liefert die vorliegende Erfassung bedrohten Bekassine festgestellt wurden. Dies zeigt einen Mindestbestand der vorkommenden Vogel- einmal mehr, wie groß das Entwicklungspotenzial arten. abgetorfter Hochmoorflächen im Hinblick auf be- drohte Vogelarten sein kann, wenn anstatt einer Die Unterschutzstellung von Hochmooren stellt land- oder forstwirtschaftlichen Folgenutzung eine aufgrund des Vorkommens zahlreicher stenöker Wiedervernässung erfolgt. Eine „nur“ landesweite und oftmals hochgradig gefährdeter Arten einen Bedeutung weisen derzeit die Grünlandflächen 232 WARTLICK et al.: Brutvögel des Lichtenmoores

schutz konnten fünf nicht als Brutvögel im Lichten- moor nachgewiesen wer- den, nämlich Schwarzhals- taucher Podiceps nigricollis, Kornweihe Circus cyaneus, Goldregenpfeifer Pluvialis apricaria, Bruchwasserläufer Tringa glareola und Trauer- seeschwalbe Chlidonias ni- ger. Dies begründetsich aber z. T. aus dem generellen Fehlen in dem hier betrach- teten Naturraum und der allgemeinen Seltenheit in ganz Deutschland (Korn- weihe, Goldregenpfeifer, Bruchwasserläufer). Im Falle der Trauerseeschwalbe ist zudem fraglich, ob diese tatsächlich als typische Hochmoorart gelten kann oder eher als Art der Fluss- Abb. 4: Lage der sieben untersuchten Teilgebiete und deren Bedeutung für die Brut- landschaften, Niedermoore vogelfauna (rot schraffiert: nationale Bedeutung; gelb schraffiert: landesweite Be- und Marschen anzusehen deutung) (Quelle des Luftbilds: Google; Aufnahmedatum: 07.05.2016). – The seven ist (KRÜGER et al. 2015), da different parts of the investigation area and their importance for breeding birds (red es Hinweise gibt, dass ihr hatching: national importance i. e. Germany; yellow hatching: statewide importance, Nahrungsbedarf bei der Jun- i. e. Lower Saxony) genaufzucht nicht allein und Waldparzellen im Wes- ten des Untersuchungsge- bietes auf (TG 1). Insbeson- dere die Parzellierung der Flächen durch die (ange- pflanzten) schmalen Schwar- zerlenreihen verhindert in diesem Teilgebiet eine Be- siedlung durch Wiesenlimi- kolen. Zusätzlich sind die Flächen relativ trocken, was in einigen Bereichen auf noch vorhandene Draina- gen, generell aber eher auf die stark degenerierten Bö- den in diesem Bereich zu- rückzuführen ist. Abb. 5: Wiedervernässte Hochmoorfläche im Lichtenmoor mit Vorkommen zahlreicher stenöker Vogelarten wie Bekassine, Kranich, Rotschenkel und Krickente. Foto: T. Von den 17 in BLÜML & SAND- Brandt. – Rewetted area in the Lichtenmoor inhabited by a variety of stenoecious KÜHLER (2015) angegebenen bird species like Common Snipe, Common Crane, Common Redshank and Eurasian Zielarten für den Hochmoor- Teal. Photo: T. Brandt. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 233

Tab. 5: Bedeutung der einzelnen Teilgebiete als Brutvogellebensraum und vorkommende Rote Liste-Arten. – Importance of each part of the investigation area for breeding birds and occurring species of the Red Lists (landesweit = statewide, i. e. Lower Saxony; national = nationwide, i. e. Germany) Teilgebiet Bedeutung Arten der Roten Liste* part of the investigation area importance red list species Nr. – no.Bezeichnung name 1 Grünland und Waldparzellen im Westen landesweit Knäkente, Baumpieper, Turteltaube, Wiesenpie- per, Feldlerche, Waldlaubsänger, Gartenrot- schwanz, Grauschnäpper, Pirol, Neuntöter, Ku- ckuck, Star, Baumfalke, Flussregenpfeifer 2 Zentrale renaturierte Flächen national Bekassine, Wiesenpieper, Rotschenkel, Kiebitz, Baumpieper, Krickente, Bluthänfling, Ziegenmel- ker, Braunkehlchen, Feldschwirl, Feldlerche, Neuntöter, Flussregenpfeifer, Baumfalke, Ku- ckuck 3 Renaturierte Flächen im NSG Weißer Graben national Wiesenpieper, Bekassine, Löffelente, Kiebitz, Baumpieper, Krickente, Braunkehlchen, Feldler- che, Kuckuck, Bluthänfling, Turteltaube, Garten- rotschwanz, Neuntöter, Feldschwirl, Pirol, Zie- genmelker 4 Grünland im Osten national Großer Brachvogel, Wiesenpieper, Feldlerche, Baumpieper, Kiebitz, Braunkehlchen, Kuckuck, Pirol 5 Abtorfungsflächen Nord national Wiesenpieper, Großer Brachvogel, Feldlerche, Kiebitz, Bluthänfling, Flussregenpfeifer, Baum- pieper, Kuckuck, Ziegenmelker 6 Abtorfungsflächen Süd national Steinschmätzer, Wiesenpieper, Feldlerche, Blut- hänfling, Gartenrotschwanz, Kuckuck, Neuntöter 7 Grünland und Waldparzellen im Süden national Steinschmätzer, Großer Brachvogel, Baumpieper, Feldlerche, Wiesenpieper, Neuntöter, Waldlaub- sänger, Gartenrotschwanz, Turteltaube, Pirol, Grauschnäpper, Trauerschnäpper, Rotmilan, Wachtelkönig, Bluthänfling, Kuckuck, Star

*geordnet nach der Anzahl der erreichten Punkte im Bewertungsverfahren nach BEHM & KRÜGER (2013) durch Insekten aus den i. d. R. fischfreien Moor- nach der für den Vogelschutz durchaus sinnvollen gewässern zu decken ist (VAN DER WINDEN 2005). Wiedervernässung als Brutvogel zu halten, z. B. am Rand des Lichtenmoores. Dafür ist der Erhalt Das im Lichtenmoor ermittelte Artenspektrum ent- bzw. die regelmäßige Wiederherstellung offener, spricht weitgehend dem vergleichbarer, ebenfalls vegetationsarmer Flächen (z. B. durch Förderung avifaunistisch wertvoller Hochmoore, die bereits von offenen Sandmagerrasen und Heiden in den als EU-Vogelschutzgebiet ausgewiesen sind (BLÜML Randbereichen) und der Erhalt bzw. die Anlage & SANDKÜHLER 2015), wie z. B. Teile des Toten geeigneter Brutmöglichkeiten, etwa in Form von Moores östlich des Steinhuder Meeres, das Op- Torfstapeln oder auch Steinhaufen, erforderlich. penweher Moor in der Diepholzer Moorniederung oder das Ostenholzer Moor in der Südheide. Das Fortbestehen des Brutbestands des Großen Brachvogels ist eng an das Vorhandensein von ex- Wie bereits oben erwähnt, wird es − neben der tensiv genutztem Feuchtgrünland gebunden. Sollten Unterschutzstellung des Gebietes − ein wichtiges die verbliebenen Hochmoorgrünlandflächen in den Ziel der Naturschutzbemühungen sein, den Stein- Teilgebieten 4 und 7 vollständig in den Torfabbau schmätzer nach Beendigung des Torfabbaus und einbezogen werden, ohne dass an anderer Stelle 234 WARTLICK et al.: Brutvögel des Lichtenmoores

offenes Feuchtgrünland entwickelt wird, ist ein as breeding birds, if no suitable measures are Verschwinden dieser Art wahrscheinlich. taken.

Danksagung Literatur

Wir bedanken uns bei T. Beuster, S. Fröhlich und F. BEGON, M., R. W. HOWARTH, & C. R. TOWNSEND (2017):Öko- Vornkahl für Hinweise zum Untersuchungsgebiet. logie. 3. Auflage. − Springer-Verlag, Berlin, Heidel- Für Vorschläge zum Manuskript bedanken wir uns berg. bei F. Vornkahl und L. Wellmann. Die Kartierungen BEHM, K., & T. KRÜGER (2013): Verfahren zur Bewertung wurden dankenswerter Weise vom Land Nieder- von Vogelbrutgebieten in Niedersachsen, 3. Fassung, sachsen finanziell unterstützt. Stand 2013. − Inform.d. Naturschutz Niedersachs. 33: 55-69. BLÜML, V. (2004): Verbreitung, Bestand und Habitatwahl Summary – The breeding birds of the Lich- des Ziegenmelkers (Caprimulgus europaeus) in Nie- tenmoor, district of Nienburg, and its impor- dersachsen: Ergebnisse einer landesweiten Erfassung tance as breeding site for birds 2003 – Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 36 (2): 131-162. The sphagnum bog Lichtenmoor is situated in the BLÜML, V. (2011): Die Brutvögel des Venner Moores (Land- northern part of the district of Nienburg (Weser). kreise Osnabrück und Vechta): Zur avifaunistischen Its importance as breeding site for birds was inves- Bedeutung verschiedener De- und Regenerationssta- tigated by territory mapping in 2016 and 2017. dien von Hochmooren. − Vogelkdl. Ber. Niedersachs. The 1,160 ha large investigation area provides a 42: 111-132. man-used landscape with drained sphagnum bogs, BLÜML, V., & A. SCHÖNHEIM (2006): Der Steinschmätzer secondary forest dominated by Pine Pinus sylvestris (Oenanthe oenanthe) in Niedersachsen und Bremen: and Downy birch Betula pubescens, peat mining Verbreitung, Bestand und Habitatwahl 1994-2005 so- stretches as well as renaturated areas. wie Gefährdungsursachen, Schutz und Erhaltungszu- stand. − Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 38: 59-77. The species of great importance included the BLÜML, V., & K. SANDKÜHLER (2015): Bedeutung niedersäch- critically endangered Common Snipe Gallinago sischer Hochmoore für Brutvögel. − Inform.d. Natur- gallinago and Northern Wheatear Oenanthe oen- schutz Niedersachs. 35: 119-177. anthe as well as the endangered Meadow Pipit EIGNER, J., & E. SCHMATZLER (1991): Handbuch des Hoch- Anthus pratensis. Further threatened species found moorschutzes – Bedeutung, Pflege, Entwicklung, 2. were Garganey Anas querquedula, Northern Sho- Auflage. – Naturschutz aktuell Nr. 4., Kilda-Verlag, veler Anas clypeata, Eurasian Curlew Numenius Greven. arquata, Common Redshank Tringa totanus, Red GRÜNEBERG, C., H.-G. BAUER, H. HAUPT, O. HÜPPOP, T. RYS- Kite Milvus milvus, Corn Crake Crex crex, European LAVY& P. SÜDBECK (2015): Rote Liste der Brutvögel Turtle Dove Streptopelia turtur and Whinchat Deutschlands. 5. Fassung, 30. November 2015. − Ber. Saxicola rubetra. Vogelschutz 52: 19-67. KOOIKER, G. (2013): Vogelmonitoring im Venner Moor The found species listed in the Red Data Books of (Landkreis Osnabrück): 32-jährige Untersuchungen Lower Saxony and Germany were of national im- (1980-2011). – Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43: 193- portance for breeding birds in six out of seven 208. parts of the investigation area, differing in both KRÜGER, T., J. LUDWIG, S. PFÜTZKE & H. ZANG (2015): Atlas size and available habitats. Even the peat-mining der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen 2005- areas reached the level of national importance 2008. − Naturschutz Landschaftspfl. Niedersachsen due to the high abundance of Northern Wheatears, 48, Hannover. a species facing extinction in Germany. A main KRÜGER, T., & M. NIPKOW (2015): Rote Liste der in Nieder- concern of nature conservation at the investigated sachsen und Bremen gefährdeten Brutvögel. 8. Fas- site will be keeping the Northern Wheatear as a sung, Stand 2015. − Inform.d. Naturschutz Nieder- breeding bird after abandoning peat mining. Fur- sachs. 35: 181-260. thermore, the expansion of peat mining to the NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirt- grassland areas might lead to the loss of Curlews schaft, Küsten- und Naturschutz) (Hrsg.) (2006): 25 Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 235

Jahre Niedersächsisches Moorschutzprogramm − eine Bilanz. − Inform.d. Naturschutz Niedersachs. 26 (3) (3/06): 154-180. SÜDBECK, P., H. ANDRETZKE, S. FISCHER, K. GEDEON, T. SCHIKORE, K. SCHRÖDER & SUDFELDT, C. (2005): Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands. − Radolf- zell, 792 S. VAN DER WINDEN, J. (2005): Fish and amphibians as calcium source for Black Terns (Chlidonias niger) feeding in acid bogs. − Vogelwelt 126: 235-241. ZANG, H., G. GROSSKOPF & H. HECKENROTH (1995): Die Vögel Niedersachsens, Austernfischer bis Schnepfen. – Na- turschutz Landschaftspfl. Niedersachs. B, H. 2.5 236

Kiebitz Vanellus vanellus. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Northern Lapwing. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 237

Aus der Staatlichen Vogelschutzwarte

70 Jahre Staatliche Vogelschutzwarte Niedersachsen

Mit einem Festakt und einer sich anschließenden Fachta- gung beging der NLWKN am 1. September 2017 in Han- nover das 70jährige Jubiläum der Staatliche Vogelschutz- warte Niedersachsens. Im Beisein von Umweltminister Stefan Wenzel eröffnete Direktorin Anne Rickmeyer die Festveranstaltung vor 200 geladenen Gästen. Ornitholo- ginnen und Ornithologen aus Niedersachsen und darüber hinaus, darunter viele Ehrenamtliche, machten ebenso wie Fachkollegen aus den Naturschutzbehörden und wissenschaftlichen Instituten deutlich, wie vielfältig und verflochten die Beziehungen der Vogelschutzwarte heute sind. Vogelschutzwarte. Deren Initiator und erster Leiter war Am 1. September 1947 nahm die Einrichtung unter der Prof. Dr. Arnold Freiherr v. Vietinghoff-Riesch, zuvor Bezeichnung „Staatlich anerkannte Vogelschutzwarte Leiter der Vogelschutzwarte in Sachsen. Nach dem Krieg Niedersachsen – Forschungsstelle für Natur- und Vogel- kam er nach Niedersachsen und plante sogleich den schutz“ ihren Betrieb auf, unterstützt durch das Nieder- Aufbau einer solchen Einrichtung in seiner neuen Heimat sächsische Kultusministerium, die Landwirtschaftskammer – zu einer Zeit, als es buchstäblich noch an allem fehlte. Hannover und die Waldgutstiftung Bredenbeck. Heute Auch der Naturschutz erlebte in diesen Nachkriegstagen ist sie ein Teil des Niedersächsischen Landesbetriebes für seine „Stunde Null“. Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Die Geschäftsstelle der anfangs als Stiftung ins Leben Umweltminister Stefan Wenzel würdigte in seiner An- gerufenen Vogelschutzwarte befand sich zunächst in sprache die Bedeutung der Vogelschutzwarte als ein un- Hannover. 1954 stellte die Knigge‘sche Waldgutstiftung abhängiges Kompetenzzentrum und als unverzichtbaren der Vogelschutzwarte dann das ehemalige Direktorenhaus Bestandteil der Fachbehörde für Naturschutz. In seinem der Glashütte in Steinkrug am Deister zur Verfügung. geschichtlichen Rückblick führte Wenzel vor Augen, wie Steinkrug war für die damaligen Verhältnisse und Zwecke sich die Aufgaben des Vogelschutzes im Laufe von sieben ein geradezu idealer Ort, an dem in den Folgejahren u.a. Jahrzehnten gewandelt hätten: Während der Vogelschutz zahlreiche Lehrerfortbildungslehrgänge stattfanden. Seit in den Anfangsjahren hauptsächlich auf wirtschaftlich Mitte der 1950er Jahre wurde über eine Eingliederung interessante Arten ausgerichtet war und z. B. die Rolle der Vogelschutzwarte an eine staatliche Stelle nachgedacht, von Singvögeln als natürliche Schädlingsbekämpfer in was jedoch erst mit Wirkung vom 1. Juli 1970 erfolgte. den Mittelpunkt rückte, seien heute landesweite Programm Eine große Zäsur: Die Vogelschutzwarte wurde nun ein zu entwickeln, wie etwa zum Schutz von Wiesenvögeln, eigenes Sachgebiet im Dezernat „Naturschutz, Land- für die das Land Niedersachsen eine besondere Verant- schaftspflege, Vogelschutz“ des damaligen Landesver- wortung trage. Die biologische Vielfalt zu erhalten, waltungsamtes. Die Verankerung in der Fachbehörde für gehöre ohne Zweifel zu den zentralen Herausforderungen Naturschutz war vollzogen, festgehalten auch im Nie- unserer Gesellschaft, hob Wenzel hervor. Die Staatliche dersächsischen Naturschutzgesetz (§ 33). In einer kurzen Vogelschutzwarte sei daher auch in Zukunft als fachliche Zeit der Umgliederung von 1972-73 war zunächst Dr. Instanz und Ratgeber unersetzlich. Klaus Winter ihr Leiter und schon 1974 übernahm Hartmut Heckenroth diese Funktion, die er bis 1997 inne Die Räumlichkeiten der im Süden Hannovers gelegenen behalten sollte. Sportakademie boten der Festveranstaltung einen pas- senden Rahmen, den musikalisch ein Flötenquartett der Auf die Rede des Ministers folgten Grußworte von Ver- Musikhochschule eröffnete. Eine Posterausstellung im tretern der Institutionen, mit denen die Staatliche Vogel- Foyer veranschaulichte die Entstehungsgeschichte der schutzwarte seit langem engen Kontakt pflegt. Für die 238 Aus der staatlichen Vogelschutzwarte

die Kolleginnen und Kollegen der Staatlichen Vogel- schutzwarte wichtige Ratgeber, ihr landesweiter Blickwinkel immer wieder von großer Hilfe.

Mit Spannung erwartete das Publikum die sich anschlie- ßende Gesprächsrunde mit dem Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte, Dr. Markus Nipkow, und seinen drei Amtsvorgängern Hartmut Heckenroth, Peter Südbeck und Bernd Oltmanns. An jeden hatte Anne Rickmeyer Fragen im Gepäck, die gemeinsam zurückblicken ließen, aber auch in die Gegenwart und Zukunft gerichtet waren. Der Chronologie folgend schilderten Hartmut Heckenroth und dessen Nachfolger wie es „damals“ gewesen sei, vor vielen ehrenamtlich engagierten Vogelkundler, die sich welchen Aufgaben sie standen und vor welchen Heraus- insbesondere am Niedersächsischen Vogelartenerfas- forderungen die Arbeit in der Vogelschutzwarte zu ihrer sungsprogramm beteiligen, sprach der amtierende Vor- Zeit stand. Die Ereignisse noch lebhaft vor Augen, beschrieb sitzende der Niedersächsischen Ornithologischen Verei- Hartmut Heckenroth die Aufbaujahre der Vogelschutzwarte nigung (NOV), Frank-Ulrich Schmidt, seine Verbundenheit in Hannover, die in behördliche Strukturen hineinwuchs, mit den „Hauptamtlichen“ in der Vogelschutzwarte aus. nachdem der alte Standort in Steinkrug am Deister auf- Von Beginn an arbeiteten beide „Hand in Hand“ und gegeben worden war. Er musste buchstäblich bei Null an- schafften damit die Grundlagen für ein solides Wissen fangen, was mit zeitraubenden Schwierigkeiten, aber über die landesweiten Vorkommen der Brut- und Gast- zweifellos auch mit einer Reihe von Vorteilen verbunden vogelarten. Dieses wiederum sei Voraussetzung für ziel- war. Überhaupt habe man viel direkter das in die Tat um- gerichtete und erfolgreiche Schutzbemühungen auf Lan- gesetzt, was notwendig erschien. Kurze Wege und weniger desebene. Bürokratie – das wurde deutlich – waren Merkmale, die zu seiner Zeit noch gelebt und nicht nur im Munde Auch Dr. Holger Buschmann, Landesvorsitzender des geführt wurden. So war es ihm möglich, binnen kurzer NABU, lobte die Zusammenarbeit zwischen der Fachbe- Zeit ein auch bundesweit gesehen beispielhaftes Vogelar- hörde und dem niedersächsischen Landesverband. In tenerfassungsprogramm für Niedersachsen zu entwickeln. ähnliche Ziele bringe jeder sein eigenes Knowhow ein und erreiche gemeinsam mehr. In die Zeit Peter Südbecks fiel der Aufbau eines eigenen Vogelmonitorings für die Europäischen Vogelschutzgebiete, Dr. Jan Kieckbusch überbrachte als Vertreter der Länder- wofür auch das sogenannte „Methodenhandbuch“ ent- arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) stand. Zur Identifizierung weiterer Vogelschutzgebiete die Glückwünsche der Partner aus den Bundesländern. erarbeitete die Vogelschutzwarte ebenfalls eine eigene Bereits 1936 gründete sich die LAG VSW als Dachorga- Methodik, auf deren Grundlage schließlich weitere Gebiete nisation des staatlichen Vogelschutzes. In ihr findet ein nach Brüssel gemeldet wurden. Auch in den Folgejahren, regelmäßiger Erfahrungsaustausch statt, hier entwickeln als Peter Südbeck die Leitung des Nationalparks Nieder- die Mitglieder gemeinsame Fachpositionen wie das viel- sächsisches Wattenmeer übernahm und Bernd Oltmanns beachtete „Helgoländer Papier“, das Abstandsempfeh- die Nachfolge in Hannover antrat, bestimmte die EU-Vo- lungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogel- gelschutzrichtlinie die Arbeit der Staatlichen Vogelschutz- lebensräumen und Brutplätzen windkraftsensibler Vo- warte in hohem Maße: Die EU-Kommission hatte im gelarten enthält. April 2006 erklärt, dass sie die bis dahin erfolgten Ge- bietsmeldungen weiterhin als unvollständig ansehe und Die facettenreiche Zusammenarbeit zwischen der Fach- forderte Deutschland auf, die von der Kommission be- behörde und den Unteren Naturschutzbehörden stand nannten Mängel zu beheben, andernfalls werde beim im Mittelpunkt der Worte, die Dr. Joachim Schwind vom Europäischen Gerichtshof Klage gegen Deutschland er- Niedersächsischen Landkreistag an die versammelten hoben. Diesem Druck konnte sich auch Niedersachsen Gäste richtete. Einen Schwerpunkt bilde zweifellos die nicht entziehen, so dass auch seitens der Vogelschutzwarte Sicherung des Schutzgebietsnetzes Natura2000, die Nie- in einer „dritten Tranche“ weitere relevante Gebiete er- dersachsen in den letzten Jahren forciert habe. Hier seien mittelt und gemeldet wurden. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 239

Bezeichnend für die Gegenwart sei, dass die Bandbreite erst zusammen betrachtet erarbeiten und umsetzen. Be- der an die Vogelschutzwarte herangetragenen Aufgaben trachte man die (mutmaßlich) bis heute größten Gefähr- enorm anwachse, beschrieb Dr. Markus Nipkow die Si- dungsursachen, so stellte Bairlein fest, habe sich in den tuation heute. Angefangen beim umfangreichen Brut- vergangenen 40 Jahren in deren „Ranking“ kaum etwas und Gastvogelmonitoring in den EU-Vogelschutzgebieten geändert. Das müsse nachdenklich machen und zeige, und regelmäßigen Berichtspflichten entstehe ein zuneh- dass der Dialog zwischen Vogelschutz und Wissenschaft mender Beratungsbedarf, wie etwa bei der hoheitlichen mehr denn je gebraucht werde. Sicherung von Natura2000-Gebieten oder im Zusam- menhang mit der Planung von Windenergieanlagen. Der Gastvortrag aus England, zu dem Fiona Sanderson Auch die Mitwirkung in Arbeitskreisen wie zum Gänse- von der Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) monitoring und zum Kormoran oder auch die landesweite eingeladen war, entfiel leider kurzfristig. Dr. Markus Begleitung von Agrarumweltmaßnahmen beanspruche Nipkow fasste daraufhin die Quintessenz der Studie, die einen erheblichen Teil der zur Verfügung stehenden Ka- an dieser Stelle vorgestellt werden sollte, zusammen. Bri- pazitäten. Freiräume für notwendige konzeptionelle Über- tische Ornithologen hatten die Bestandsentwicklung der legungen und die Steuerung der Ressourcen nach den sog. Anhang I-Arten in den Mitgliedstaaten der EU einer fachlichen Erfordernissen dürfe nicht zu kurz kommen, umfangreichen, multivariaten Analyse unterzogen. Zum merkte Nipkow kritisch an. Mit Blick in die Zukunft Schutz dieser Arten waren länderübergreifend Besondere gerichtet mache ihm allerdings die größte Sorge, dass Schutzgebiete (EU-Vogelschutzgebiete) ausgewiesen wor- die von der Vogelschutzwarte angestoßenen Schutzbe- den. Im Ergebnis zeigte sich, dass diese Vogelarten signi- mühungen – wie etwa im LIFE-Projekt Wiesenvögel – fikant häufiger positive Trends entwickelt hatten als die letztlich durch gegenläufige Effekte der europäischen übrigen Arten und dies sowohl innerhalb eines Zeitraumes Agrarpolitik zunichtegemacht werden könnten. Daten von 2001-2012 als auch zwischen 1980 und 2012. Ge- aus der Staatlichen Vogelschutzwarte gäben klare Hinweise messen an einer Vielzahl von Einflussfaktoren, die be- darauf, dass die gegenwärtige Agrarpolitik eine Trend- trachtet wurden, interpretierten die Autoren dies als wende bei Arten wie dem Kiebitz, der Uferschnepfe einen deutlichen Hinweis darauf, dass die EU-Vogel- oder auch dem Rebhuhn verhindere. schutzrichtlinie positiven Einfluss auf die Bestände ihrer Zielarten ausübe. Nipkow verwies auf die Bedeutung der Die anschließende Fachtagung setzte sich zum einen mit Studie im Zusammenhang mit dem von der EU-Kommission der Bedeutung der Wissenschaft für den Vogelschutz, 2013 angeordneten „Fitness-Check“ der Richtlinie. Ihre zum anderen mit der EU-Vogelschutzrichtlinie auseinander. Ergebnisse hätten maßgeblich zur Bewahrung der Richtlinie Professor Dr. Franz Bairlein, Direktor des Instituts für Vo- beigetragen, zu der es 2016 mit dem Abschluss der gelforschung in Wilhelmshaven und langjähriger Präsident Überprüfung gekommen sei. der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft, stellte den Er- öffnungsvortrag unter die Frage „Braucht der Vogelschutz Die sich anschließenden Vorträge bewerteten die Bedeu- die Wissenschaft?“ und machte schon zu Beginn deutlich, tung der EU-Vogelschutzrichtlinie aus nationaler und aus dass der Praxis ohne Beteiligung der Wissenschaft die Entschei- dungsgrundlagen fehlten. Erst mit einer soliden Ursachenfor- schung, für die Monitoringda- ten die Voraussetzungen schaff- ten, könne auch die notwen- dige Prioritätensetzung erfol- gen. Dazu seien Kausalanalysen unerlässlich, von denen er un- terschiedliche Ansätze vorstellte: Faktorenanalysen, vergleichende Untersuchungen, populations- biologische und experimentelle Ansätze. Erfolgversprechende Lösungen ließen sich oftmals 240 Aus der staatlichen Vogelschutzwarte

landesweiter Perspektive. Rainer Dröschmeister, im Bun- Moore. Solche Arten kämen heute in der sogenannten desamt für Naturschutz für Fragen des Vogelmonitorings „Normallandschaft“, außerhalb von Schutzgebieten, nicht zuständig, analysierte anhand bundesweiter Daten, in mehr vor. Hier könne nur gegengesteuert werden, wenn welcher Hinsicht die Ziele der Richtlinie erreicht werden auch „am großen Rad“ gedreht würde, was bezüglich konnten und wo dies bisher nicht gelungen sei. Er ging der Agrarlandschaft ein Umsteuern in der europäischen dabei auch auf die Resultate des sog. „Fitness-Checks“ Agrarpolitik erfordere. Erst dann könnten aus Restpopu- ein, der Ende 2016 abgeschlossen wurde und der Richtlinie lationen in Schutzgebieten wieder Quell-Populationen Wirksamkeit, Relevanz, Effizienz und klaren Mehrwert für die weitere Umgebung entstehen. attestiert hatte. Nötig sei jedoch eine verbesserte Umset- zung, um das Potenzial und bestehende Chancen tat- In seinen Schlussworten unterstrich Markus Nipkow, dass sächlich auszuschöpfen. Die bestehende Gebietskulisse neben der längst fälligen Trendwende bei der europäischen der EU-Vogelschutzgebiete schätzten hingegen auch die Agrarpolitik aus landesweiter Sicht auch innerhalb von Anwesenden bei einer spontanen Umfrage als weitgehend Schutzgebieten noch viel zu tun bliebe. Oftmals seien ausreichend ein, und stimmten in dieser Frage mit der Verbesserungen der Lebensräume erforderlich, die in Beurteilung durch die Kommission überein. Bundesweit den nächsten Jahren deutlichen Handlungsbedarf erfor- fehle aber noch bei rund 60 Prozent der Vogelschutzgebiete derten. Vieles werde davon abhängen geeignete Ma- ein umfassendes Management, wie es fachlich erforderlich nagementmaßnahmen in den Vogelschutzgebieten ge- wäre, machte Dröschmeister deutlich. Nach einer Dar- meinsam umzusetzen. Er dankte zum Abschluss allen stellung bundesweiter Bestandstrends verschiedener Ar- Beteiligten, die in ganz unterschiedlicher Art und Weise tengruppen (z. B. Insektenfresser), skizzierte er den im an der Gestaltung des 70-jährigen Jubiläums mitgewirkt April von der EU-Kommission veröffentlichten „Aktionsplan hätten, nicht zuletzt dem Team der Staatlichen Vogel- für Menschen, Natur und Wirtschaft“, der einer verbes- schutzwarte und den ehemaligen Kollegen. serten Umsetzung der Richtlinie dienen soll. Hinsichtlich des Vogelmonitorings sei das Engagement der bundesweit mehr als 5.000 ehrenamtlichen Ornithologinnen und Or- nithologen weiterhin unverzichtbar.

Thorsten Krüger, Mitarbeiter der Staatlichen Vogelschutz- warte, zog eine Bilanz der EU-Vogelschutzrichtlinie für das Land Niedersachsen. Er beschrieb eingangs den langen Weg zur hoheitlichen Sicherung. So seien – trotz verstärkter Bemühungen unter der jetzigen Landesregie- rung – auch heute erst 29 der 71 niedersächsischen Vo- gelschutzgebiete zu mindestens 90 Prozent ihrer Fläche hoheitlich gesichert. Mögliche Erklärungen und Hinter- gründe zeigte er auf, wie etwa ungleich verteilte Kapazi- täten auch auf Seiten der zuständigen Landkreise. Was die Treffsicherheit der niedersächsischen Schutzgebiets- kulisse und den damit möglichen Erfolg für die Bestands- entwicklung der betrachteten Zielarten beträfe, konnte Krüger eine überwiegend positive Bilanz ziehen. Sein an- hand vorliegender Monitoringdaten durchgeführter „Fit- ness-Check“ ergab, dass die Vorkommen der meisten landesweiten „Top-Arten“ durch Vogelschutzgebiete hin- reichend abgedeckt seien, die Kulisse damit die notwendige Kohärenz des Schutzgebietsnetzes gewährleiste. Auch in der Summe hielten sich Zu- und Abnahmen der be- troffenen Arten in etwa die Waage. Sorgen bereite jedoch, dass nicht wenige dieser Arten stark rückläufige Bestandstrends aufwiesen, wie etwa die Bekassine, ein ehemals weit verbreiteter Vogel der Feuchtwiesen und Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 241

Schriftenschau

AVES BRAUNSCHWEIG (2016): Mitteilungen der Avifau- kurze Artikel über die Entwicklung der Brutvögel in einer nistischen Arbeitsgemeinschaft Südostniedersach- Agrarlandschaft, die Lachmöwe an den Klärteichen der sen – AviSON im NABU-Landesverband Niedersach- Zuckerfabrik Schladen, den Einflug von Rotfußfalken sen. 7. Jahrgang. 64 S. Zahlr. farb. Fotos und Grafiken. 2015 sowie die Beobachtung eines trommelnden Mittel- spechts runden das sehr informative Heft ab. AVES BRAUNSCHWEIG (2017): Mitteilungen der Avifau- nistischen Arbeitsgemeinschaft Südostniedersach- Der Jahrgang 8 bietet neben dem Jahresrückblick Arbeiten sen – AviSON im NABU-Landesverband Niedersach- über 25-jährige Bestandsaufnahmen in einem Feuchtgebiet sen. 8. Jahrgang. 68 S. Zahlr. farb. Fotos und Grafiken. bei Meine (W. PASZKOWSKI), Schutzmaßnahmen für den Bezug: Avifaunistische Arbeitsgemeinschaft Südostnie- Kiebitz (H. BÖHNER, N. RÖDER & C. BUSCHMANN), altersdiffe- dersachsen - AviSON. c/o Günter Brombach, Heidelbergstr. renzierte Zufallsbeobachtungen der Lachmöwe (U. RINAS 2, D-38112 Braunschweig, E-Mail: guenter.brombach@t- & W. OLDEKOP) und die Vögel im Renaturierungsgebiet online.de. ISSN 2190-3808. Je 9,00 € Wabetal (H.-M. ARNOLDT & M. STEINMANN). Dazu kommen kurze Beiträge über einen Schlangenadler im Viehmoor Die Jahrgänge 7 und 8 dieser Zeitschrift über die Avifauna und Wasseramseln in Wolfenbüttel. der Region Südniedersachsen (Raum Braunschweig, Helm- stedt, Wolfenbüttel bis an den Harz) erschienen wie ge- Lars Wellmann wohnt sehr zeitnah im Herbst des Folgejahres unter der Schriftleitung von GÜNTER BROMBACH. Von besonderer Be- deutung ist jeweils der avifaunistische Jahresrückblick, BERGMANN, H.-H., W. ENGLÄNDER, S. BAUMANN & H.-W. HELB der auf knapp 20 Seiten und mit vielen Fotos untermalt, (2017): Die Stimmen der Vögel Europas auf DVD. 2. einen Überblick über die bedeutendsten Beobachtungen erg. und korr. Version. 500 Artporträts mit 1.713 des vergangenen Jahres gibt. Dabei liegt der Schwerpunkt Rufen und Gesängen und 1.962 Sonagrammen. Aula- auf einer knappen Nennung der Anzahl der Meldungen Verlag, Wiebelsheim. DVD-ROM. ISBN 978-3-89104- für jede Art (wobei in vielen Fällen, etwas gewöhnungs- 808-5. 39,95 €. bedürftig, die mittlere Anzahl der Individuen pro Beob- achtung genannt wird) und der Erst- bzw. Letztnachweise. Der ausführlichen Rezension von T. KRÜGER in Band 45 (1) Insbesondere Seltenheiten erhalten relativ viel Raum und der Vogelkundlichen Bericht ist eigentlich nichts hinzu- werden oftmals durch sehr gute Fotos belegt. So konnten zufügen. Es sei aber auf die neue Auflage hingewiesen, im Jahr 2015 u. a. Rötelpelikan, Steppenweihe, Wüsten- die im Feb. 2017 erschien und nun noch mehr Arten, regenpfeifer, Zitronenstelze und Karmingimpel und 2016 Rufe und Gesänge und Sonagramme bietet. Insbesondere Amerikanische Krickente, Adlerbussard und Graubrust- bei den Röhrennasen wurden acht zusätzliche Arten er- Strandläufer dokumentiert werden. Schön wäre es, wenn gänzt. Mängel wurden behoben und einige Arten neu ein paar zusätzliche Informationen über die mittelhäufigen bearbeitet. Aus den Beschreibungen geht leider nicht Brutvogelarten aufgeführt werden könnten. Hier sind hervor, welche Arten dies sind. die Angaben, z.B. zur Verbreitung und zu Bruten doch recht kurz gehalten. Erschreckend sind, bei der relativ Leider hat sich in das Lernprogramm ein Fehler einge- hohen Beobachterdichte, die geringen Nachweiszahlen schlichen: Gleich beim Abspielen des ersten Beispiels, von Brutvogelarten wie Turteltaube (2015: 22 Meldungen, das die flötenden Elemente im Gesang der Nachtigall in 2016: 17 Meldungen!) oder Braunkehlchen. Kombination zwischen Audio-Datei und Sonagramm ver- deutlichen soll, ertönt der Gesang des Buchfinks. Ein är- Im Jahrgang 7 gibt es weiterhin einen interessanten und gerliches Missgeschick, das die Bedeutung des Gesamt- sehr gut bebilderten Artikel über die schwierige Bestim- werks aber nicht schmälert. Im Jubiläumsjahr 2017 des mung von Hybriden zwischen Spatel-, Schell-, Büffelkop- Aula-Verlages wird die DVD sogar für nur 24,95 € ange- fente, Kappen- und Zwergsägern durch JÖRN LEHMHUS. boten. Ein unschlagbar günstiges Angebot für dieses Über jährliche Bestandserfassungen an Greifvögeln und umfassende und sehr empfehlenswerte Werk. Eulen seit 1991 in Braunschweigs Norden berichten G. BENTLAGE, H.-J. SCHLOSSER und D. SCHOMBURG. Weitere Lars Wellmann 242 Rezensionen

BERGMANN, H.-H., & S. KLAUS (2016): Spuren und Zeichen Fußspuren von Gänsen, Enten oder Watvögeln an einem der Vögel Mitteleuropas – Entdecken – Lesen – Zu- Ufer können auch mit Hilfe dieses Buches nur in Ausnah- ordnen. Aula-Verlag, Wiebelsheim. 288 S., zahlr. farb. mefällen auf Artniveau bestimmt werden, aber vielleicht Fotos. Hardcover. ISBN 978-3-89104-791-0. 24,95 € zeigen sich weitere charakteristische Zeichen, die eine genauere Bestimmung ermöglichen? Dieser Feldführer behandelt die vielfältigen Spuren und Zeichen, die Vögel in der Natur hinterlassen. Dabei geht Natürlich wird der Vogelbeobachter auch weiterhin die es vorrangig um so vielfältige Hinweise oder Hinterlassen- Vögel überwiegend optisch oder akustisch nachweisen schaften, wie Fußspuren, Gewölle und Speiballen, Kot, und in seine Ergebnislisten oder Tagebücher eintragen. Rupfungen, Huderpfannen, Stocherspuren, Höhlen und Die Kenntnis charakteristischer Spuren und Zeichen kann auch Horste. Nicht oder nur in geringem Umfang werden aber weitere Hinweise oder gar zusätzliche Nachweise dagegen Nester, Eier, Knochen und Federn behandelt. ergeben. Es lohnt sich verstärkt auf indirekte Hinweise in Form von Spuren und Zeichen zu achten. Dieses kleine Nach einer kurzen Einführung, in der die verschiedenen Büchlein regt dazu an und hilft bei der Zuordnung zu Spuren und sonstigen Hinterlassenschaften beschrieben einer Art oder Familie. werden und Hinweise zur Sicherung und zum Beleg ge- geben werden folgt auf ca. 200 Seiten eine artbezogene Lars Wellmann Beschreibung typischer Spuren. Dabei werden nur Arten behandelt, für die tatsächlich charakteristische Spuren Hinweise auf Artniveau geben, wenn das bei vielen Fuß- BEZZEL, E. (2017): Erlebnis-Guide Vögel - sehen, hören abdrücken auch oftmals sehr schwierig ist. So werden und erleben. BLV Verlag, München. 176 S., zahlr. Farb- zwar die Gänse ausführlich, dagegen nur wenige Enten fotos, Broschur. ISBN 978-3-8354-1643-7. 15,- €. abgehandelt. Der Schwerpunkt liegt auf den Hühnern, Greifvögeln, Eulen, Spechten und Rabenvögeln. Dieser kleine Vogelführer bietet dem Einsteiger in die Vogelbeobachtung eine begrenzte Auswahl von Arten Gerade für die scheuen Raufußhühner sind Spuren als (66), die aber ausführlich in Text und aussagekräftigen Nachweis von hoher Bedeutung. So gilt z. B. der Nachweis Fotos vorgestellt werden. Dabei werden vielfältige Erfah- kleiner Mulden um die Huderpfanne einer Henne als rungen, die sich jeder Vogelbeobachter erst nach lang- Nachweis für die erfolgreiche Fortpflanzung. Die beiden jähriger Beobachtungstätigkeit aneignet durch eine Autoren, die zu den Kennern der Raufußhühner zählen, einfache aber wirkungsvolle Methode aufgearbeitet: Es haben hier viel Interessantes zusammengetragen. wurden Fotos ausgesucht, die verschiedene Kleider, Ver- haltensweisen oder auch Vogeltrupps zeigen ausgesucht. Schließlich werden typische Spuren in verschiedenen Le- Durch eine Nummerierung von wichtigen Hinweisen im bensräumen aufgeführt, Fußspuren nebeneinander auf Text und auf den Fotos werden auf einfache Weise Fotos dargestellt und Horste von Großvögeln abgebildet wichtige Details anschaulich erläutert. Ein der aktuellen und erläutert. Die Beschreibung von Fachbegriffen und Technik entsprechendes Zusatzangebot sind QR-Codes ein Literaturverzeichnis runden das Buch ab. für jede Art, die es ermöglichen, die Gesänge mit dem Smartphone abzuhören. Der Wert dieses kleinen Büchleins liegt darin, die vielfältigen Spuren und Zeichen der Vögel konzentriert in einem Wer nicht das Glück hat mit einem Vogelkenner die Werk abzubilden, zu erklären und zu deuten und sie ersten Schritte in der Natur zu unternehmen, der einem damit in das Bewusstsein der Vogelbeobachter oder Na- viele Details zu den beobachteten Arten erklären kann, turfreunde zu bringen. Dabei können die Autoren neben für den ist für den Start in das Hobby der Vogelbeobach- allgemein bekannten Aspekten auch sehr interessante tung ein derartiges Hilfsmittel sehr zu empfehlen. Aber wohl weithin unbekannte Hinweise auf Spuren von auch der erfahrene Vogelbeobachter findet noch viele Vögeln geben. So wird eine charakteristische Brutlosung interessante Hinweise und Details. des Birkhuhns oder das Foto eines Igelfells als typischer Beuterest eines Uhus gezeigt. Auch die vergleichenden Nun ist die Artenauswahl auf die häufigsten Arten be- Abbildungen der verschiedenen Höhleneingänge von schränkt. Es werden 47 Singvögel, darunter sieben Fin- Spechten oder der Horste von Großvögeln sind so noch kenarten, fünf Meisen und fünf Rabenvögel, 10 Wasser- nirgends dargestellt worden. vögel, zwei Spechte, drei Tauben, Mauersegler, Waldkauz, Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 243

Turmfalke und Sperber vorgestellt. Einige deutschlandweit Seine wichtigste Errungenschaft hier war sicherlich die verbreitete und eher auffällige Arten, wie Mäusebussard, Rückverlegung des Deiches bei Lenzen und damit die Waldlaubsänger und Dorngrasmücke sind leider nicht Schaffung von 450 ha zusätzlicher Überschwemmungs- vertreten. Dies ist allerdings dem Konzept geschuldet. fläche mit der Begründung neuer Auwälder. Im Jahr Für den ambitionierten Einsteiger werden Fragen offen 2005 trat FRANK NEUSCHULZ als Leiter für Naturschutz in bleiben, die er sich mit weiterführender Literatur oder die Dienste der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und konnte einem versierten Vogelkenner beantworten muss. sich noch umfassender seinem Lebenswerk, dem Schutz unserer Auen und Fließgewässer mit ihrer Lebenswelt Das broschierte Büchlein ist mit € 15,- recht preiswert einsetzen. und eignet sich daher auch gut als Geschenk. Leider haben sich insbesondere bei Bildunterschriften einige WERNER PLINZ, geb. 1933, kam als Hamburger bereits Fehler eingeschlichen, die gerade den Anfänger auf eine während des Krieges ins Wendland und schuf sich dort falsche Spur führen können. Dies betrifft z. B. Grünfink, in den 1960er Jahren einen zweiten Wohnsitz in Restorf Erlenzeisig und Silbermöwe. bei Gartow. Im Jahr 2013 feierte er seinen 80. Geburtstag. Zu diesem Anlass blickt WILHELM MEIER-PEITHMANN auf das Lars Wellmann Schaffen des Jubilars zurück. WERNER PLINZ erforschte die Vogelwelt der Seegeniederung des Höhbeck und des Elbholzes im Raum Gartow äußerst intensiv. Er war viele HEIMATKUNDLICHER ARBEITSKREIS LÜCHOW-DANNENBERG (2016): Jahre einer der aktivsten Mitstreiter der Avifaunistischen Hannoversches Wendland – Band 18 – 2012/2015. Arbeitsgemeinschaft Lüchow-Dannenberg und Autor Selbstverlag des Heimatkundlichen Arbeitskreises. 408 zahlloser Beiträge über die Vogelwelt im Raum Gartow. S., zahlr. farb. und s/w-Abb., brosch. Bezug: Heimat- Im 2003 wurde ihm für seine Verdienste die Silberne Eh- kundlicher Arbeitskreis Lüchow-Dannenberg, c/o Wolfgang rennadel der Avifaunistischen Arbeitsgemeinschaft ver- Jürries, Im Anger 6, 29439 Lüchow. ISSN 0931-6051. liehen. 16,90 € zzgl. Porto. Die Avifaunistische Arbeitsgemeinschaft Lüchow-Dan- In Band 18 dieser heimatkundlichen Schriftenreihe über nenberg ist ohne ihren langjährigen Vorsitzenden und das Hannoversche Wendland wird an drei bedeutende Ehrenvorsitzenden WILHELM MEIER-PEITHMANN nicht denkbar. Ornithologen dieses so artenreichen östlichsten Landkreises Im Jahr 2015 vollendete er sein 75. Lebensjahr und ist Niedersachsens erinnert. So wird das Schaffen von Dr. aktiv wie eh und je. Der Jubilar ist auch Ehrenmitglied FRANK NEUSCHULZ (1954 - 2008) durch einen Nachruf ge- der Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung würdigt. Dazu kommen Ehrungen zum 80. Geburtstag (NOV). Interessant ist, dass der aus Ostwestfalen stam- für WERNER PLINZ und zum 75. Geburtstag für WILHELM mende MEIER-PEITHMANN, der viele Jahre Grund- und Volks- MEIER-PEITHMANN. schulen in Bergen/Dumme, Schnega und Clenze leitete, neben seinen vielfältigen avifaunistischen Aktivitäten Dr. FRANK NEUSCHULZ verstarb völlig unerwartet im Sommer auch als Familienforscher tätig ist. Sein größtes Interesse 2008 auf einer Reise nach Namibia. Mit seinem Namen gilt aber der Vogelkunde und insbesondere die Dannen- sind insbesondere zwei typische Arten des Wendlands berger Elbmarsch mit den so wichtigen Brut- und Rast- untrennbar verbunden: Brachpieper und Sperbergras- gebieten „Taube Elbe“ und „Penkefitzer See“ sind eng mücke. Vor allem letztere wurde durch FRANK NEUSCHULZ mit seinem Namen verbunden. CHRISTOPH SIEMS-WEDHORN intensiv für Diplom-Arbeit und Dissertation untersucht, kennt den Jubilar bereits viele Jahre und kann manches wobei ihm vollkommen neue Entdeckungen in der Po- Interessante aus dem Leben MEIER-PEITHMANNS erzählen. pulationsbiologie und in der engen Bindung an den Zu erwähnen ist die vollständig aufgeführte, schier un- Neuntöter gelangen. WILHELM MEIER-PEITHMANN als Verfasser endliche Bibliographie des Jubilars, die etwa 300 Veröf- dieses Nachrufs und langjähriger Wegbegleiter berichtet fentlichungen umfasst, viele davon erschienen in den interessant aus dem Leben und Wirken von Frank Neu- Vogelkundlichen Berichten aus Niedersachsen. schulz und lässt auch einen persönlichen Streit über die Ausgestaltung eines Großschutzgebietes an der nieder- Lars Wellmann sächsischen Mittelelbe nicht aus. In den 1990er Jahren war FRANK NEUSCHULZ verantwortlich für den Aufbau eines Biosphärenreservats in der brandenburgischen Elbtalaue. 244 Rezensionen

JONSSON, L. (2016): Wintervögel. Kosmos-Verlag, Stuttgart. Hinweise zur Altersbestimmung von Grünfinken. Auch 344 S., 246 Farbillustrationen und 73 s/w-Zeichnungen. für den versierten Vogelbeobachter sind hier noch viele Gewebeband mit Schutzumschlag. ISBN 978-3-440- neue und interessante Sachverhalte gerade über die häu- 15290-4. 38,- € figen Arten zu entdecken. Dabei wird deutlich welches immense Fachwissen sich JONSSON angeeignet hat. LARS JONSSON, der bekannte schwedische Künstler und Ornithologe, nimmt uns in diesem sehr persönlichen Dieses Wissen wird beiläufig, wie nebenbei, in seine Er- Buch mit in sein winterliches Atelier auf die Insel Gotland. klärungen eingeflochten. Überhaupt ist JONSSONS Erzählstil Hier beobachtet und aquarelliert er Vögel, die an seine sehr angenehm zu lesen und einfühlsam. Dies ist auch Fütterung und in seinen Garten kommen. ein Verdienst des deutschen Übersetzers DETLEF SINGER.

58 der in Schweden häufigsten Gäste an Winterfütterungen Die Aquarelle allerdings machen das Buch zu einem stellt uns Jonsson in Text und Zeichnung vor. Von Rebhuhn Kunstwerk, einer Ausstellung über die Wintervögel mit und Sperber über Seidenschwanz und Grauspecht bis zu herrlichen lebendigen und naturgetreuen Zeichnungen. Feldsperling und Goldammer. Darunter befinden sich Es fällt schwer einzelne Aquarelle herauszuheben und auch Arten, die in Deutschland kaum an Winterfütterungen jeder mag seinen eigenen Favoriten finden. Zu erwähnen auftauchen: Lapplandmeise, Unglückshäher, Hakengimpel sind vor allem der karminrote Hakengimpel im verschneiten und Schneeammer. Beerenstrauch, das Kleinspechtpaar am Birkenstamm oder die dick aufgeplusterte Ringeltaube. In einer Einführung beschreibt JONSSON die Landschaft um sein Atelier auf Gotland mit dem nahenden Winter, Die Kombination aus persönlichen, detailreichen Texten erläutert die Strategie vieler Arten Wintervorräte anzulegen mit den ästhetischen und naturgetreuen Aquarellen er- und erklärt die Mauser und Altersbestimmung. Zu jedem geben ein wundervolles Werk, das eigentlich viel zu Artkapitel von zwei bis zwölf Seiten gibt es mindestens schade zum Verschenken ist, sich aber natürlich gerade eine Zeichnung. In den meisten Fällen zusätzlich weitere zu Weihnachten als Geschenk für Vogelfreunde jeglichen Aquarelle von anderen Kleidern, teilweise auch Skizzen Alters sehr eignet. oder Farbstudien, die die akribische Arbeit des Autors deutlich werden lassen. Lars Wellmann

Weiterhin wird die Winterverbreitung der Arten für Mit- tel- und Nordeuropa dargestellt, wobei JONSSON darauf KRÜGER, T. & H. ZANG (Hrsg., 2017): Die Vögel Nieder- hinweist, dass diese durch die Zugaktivitäten vieler Arten sachsens und des Landes Bremen – Zur Kenntnis überprägt ist. der Vogelwelt Niedersachsens 1920-1940 und Nach- träge zum Speziellen Teil der Avifauna. – Naturschutz Jonsson beschreibt sehr detailliert und aus der Sicht des Landschaftspfl. Niedersachs. B, H 1.2. 244 S., zahlr. hist. Vogelmalers, der bis auf die Federstruktur und Farbnuancen Karten, farb. und s/w-Fotos . Bezug: Niedersächsischer sehr genau beobachtet, um den Vogel lebendig und na- Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Natur- turgetreu auf Papier festzuhalten. Er lässt uns persönlich schutz (NLWKN) – Naturschutzinformation, Postfach 91 Anteil nehmen an seinen Gedanken und Überlegungen 07 13, 30427, Hannover, naturschutzinformation@nlwkn- sowie Erlebnissen mit den Vögeln. h.niedersachsen.de, Tel.: 0511/3034-3305, http://web- shop.nlwkn.niedersachsen.de. 20,- € zzgl. Versandkos- Am Beispiel der Kohlmeise zeigt JONSSON seine Versuche, tenpauschale. die changierenden und ineinanderlaufenden Farben des Federkleides möglichst exakt wiederzugeben. Hier sind Mit dem vorliegenden Band 1.2 werden die Arbeiten an besonders intensiv seine Versuche dargestellt, die ver- der Avifauna Niedersachsens abgeschlos-sen. Das Kernstück schiedenen Gelb-, Grün- und Grautöne des Federkleides einer jeden Avifauna ist der „Spezielle Teil“, der die Brut- der verschiedenen Altersstadien und Geschlechter wie- und Gastvögel behandelt und in den Heften B 2.1 bis B derzugeben. Zusätzlich lässt uns JONSSON in den einzelnen 2.11 veröffentlicht wurde. Als zweite und abschließende Artkapiteln an interessantem Detailwissen teilhaben. Das Lieferung des „Allgemeinen Teils“ enthält der neue Band gilt z. B. für den Mauserverlauf bei der Amsel, das 1.2 Themenkomplexe, die in den bisherigen Lieferungen Auftreten der verschiedenen Unterarten des Kleibers oder nicht einzubringen waren. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 245

Zum einen sind dies Angaben und Ergebnisse aus den MULLARNEY, K., L. SVENSSON & D. ZETTERSTRÖM (2015): Der 1920er, 1930er und 1940er Jahren, die vor allem in die Kosmos Vogelführer. Alle Arten Europas, Nordafrikas Zeit zwischen dem Erscheinen der „Vogelwelt Nordwest- und Vorderasiens. Kosmos-Verlag, Stuttgart. 448 S., 2. deutschlands“ im Jahre 1933 und dem Beginn der Arbeit Aufl., aktual. Ausg., über 4.000 Farbzeichnung, über 1960 für eine neue, moderne Avifauna liegen: 500 Verbreitungskarten, geb. ISBN 978-3-440-15635-3. • Vorarbeiten und Verbreitungskarten von HUGO WEIGOLD 29,99 €. zu einem Brutvogelatlas Niedersachsens, • Mitteilungen aus dem Land Oldenburg für diesen Der seit Jahren wichtigste Vogelführer über die Vögel Atlas von KARL SARTORIUS, Europas und seiner Randgebiete wurde 2015 aktualisiert • Beispielhaft eine Lokal-Avifauna des ehemaligen Kreises und 2017 durch den Verlag mit neuer Einbandgestaltung Rotenburg/Wümme, die von Ludwig Müller-Scheessel versehen. Es wurden umfangreiche Aktualisierungen, be- als Zuarbeit zu dem „Weigold-Atlas“ zu sehen ist , sonders bei Sturmtauchern, Greifvögeln, Möwen, Tauben, • Zwei erhalten gebliebene Handexemplare der „Vogelwelt Eulen, Drosseln und mehreren Sperlingsvogelfamilien Nordwestdeutschlands“ von HUGO WEIGOLD ind JULIUS durchgeführt. Damit ist der „Svensson“ erfreulich aktuell, GROSS. stellt er doch jetzt die in drei Arten aufgesplittete Weiß- bartgrasmücke mit Balkan-Bartgrasmücke Sylvia cantillans, Zum anderen beinhaltet das Heft Nachträge zum Speziellen Iberien-Bartgrasmücke S. inornata und Ligurien-Bartgras- Teil der Avifauna „Die Vögel Nieder-sachsens und des mücke S. subalpina vor. Es wurden neue Zeichnungen Landes Bremen“ soweit sie in dem langen Bearbeitungs- der Männchen dieser Arten eingefügt. Weitere neue zeitraum 1979-2015 neu hinzugekommene Arten und Zeichnungen umfassen u. a. Sperbergeier, Fischuhu, Unterarten betreffen sowie die Liste der seit 1800 in Nie- Schwarzkehlbraunelle und Berghänfling. dersachsen und Bremen nachgewiesenen Brut- und Gast- vogelarten. Weitere neu augesplittete Arten umfassen Pallasschwarz- kehlchen, Balearengrasmücke, Middendorff-Laubsänger Mit dem Abschluss des Werkes „Die Vögel Niedersachsens und Atlasgimpel. Die ehemalige Wüsenprinie, die nach und des Landes Bremen“, dem Gemeinschaftswerk der neuesten Erkenntnissen nicht zu den Prinien gehört Niedersächsischen Avifaunisten, das immer mit den erhielt einen neuen Namen und wurde in die Arten Ori- Namen HERWIG ZANGS und HARTMUT HECKENROTHS eng ver- entdickichtsänger Scotocerca inquieta und Saharadi- bunden sein wird, ist mit diesem Band ein Projekt ckichtsänger S. saharae aufgeteilt. Weitere Änderungen vollendet worden, dass erst zur Gründung der jetzigen betreffen Gattungsbezeichnungen, die an neue taxono- Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung führte. mische Erkenntnisse angepasst wurden. Es begann alles unter dem Namen „Kommission Avifauna Niedersachsen“ im Jahr 1962. Nach vielfältigen Problemen PETER H. BARTEL hat in bewährter Weise die deutsche Bear- struktureller und zwischenmenschlicher Art konnte erst beitung übernommen. Es ist sehr erfreulich zu sehen, wie 1979 ein erstes Heft und erst 1981 die erste Lieferung rasch der Verlag der schwedischen Originalauflage, als erscheinen. Nach weiteren Umstrukturierungen gelang auch der Kosmos-Verlag die Neuerungen, die sich aus es anschließend in Abständen von jeweils nur wenigen den taxonomischen Neuordnungen ergeben, umsetzen. Jahren die Lieferungen des speziellen Teils mit den Art- bearbeitungen bis 2009 abzuschließen. Es folgte mit Auch wenn der eine oder andere Beobachter nicht be- Band 1.1 die sehr ausführliche Darstellung der Geschichte geistert über die nicht ganz günstige Neuanschaffung der Ornithologie in Niedersachsen und Bremen und nun ist, wird sich für viele engagierte Beobachter sicherlich der Abschluss mit Band 1.2. eine Aktualisierung lohnen. Bei häufigem Gebrauch und als ständiger Begleiter ist doch vielen der älteren „Svens- In der Summe wurden nicht weniger als 3.396 Seiten sons“ in den Beobachtungsrucksäcken der Beobachter bedruckt. Neun Herausgeber und 67 Artbearbeiter waren (trotz der soliden Bindung und Verarbeitung) sicherlich beteiligt, um das Wissen über die Vögel Niedersachsens ihr häufiger Gebrauch anzusehen. Es spricht also nichts und Bremens zusammenzutragen. Eine wahrlich giganti- dagegen die alte Ausgabe in den Ruhestand, sprich das sche Leistung und für eine Reihe der Beteiligten sicherlich Bücherregal, zu schicken und die neue Ausgabe auf die das Lebenswerk. Gratulation! nächsten Beobachtungstouren mitzunehmen.

NLWKN / Lars Wellmann Lars Wellmann 246 Rezensionen

NABU-KREISGRUPPE UELZEN (2017): Naturkundliche Beiträge kenswerten Arten. Während einige Arten nach 2000 Landkreis Uelzen. Heft 4 (2017), 196 S., brosch. Bezug: nicht mehr gefunden wurden und vermutlich ganz ver- NABU Uelzen, Karl-Heinz Köhler, Parkstr. 11, 29525 schwunden sind, gelangen in einigen Fällen auch Wie- Uelzen, [email protected]. ISSN 1861-6062. 10,- €. derfunde lange nicht festgestellter Arten. Insgesamt hat sich aber der Rückgang der Individuen- und Artenzahl Nach 6-jähriger Pause ist 2017 das Heft 4 der Naturkund- von Tagfaltern in den letzten 10 Jahren fortgesetzt. lichen Beiträge Landkreis Uelzen erschienen, herausgegeben von der NABU Kreisgruppe Uelzen. Wie die Vorgänger Vor dem Hintergrund enorm angewachsener Datenmengen versammelt der Band mehrere, vor allem faunistische, Bei- (vor allem durch die Online-Portale ornitho.de und na- träge aus dem Kreisgebiet. Den Schwerpunkt bildet der turgucker.de) und inzwischen regelmäßig aktualisierter Avifaunistische Jahresbericht für die Jahre 2011 bis 2015, Publikationen zu bundes- und landesweiten Bestands- für den mehr als 140.000 überwiegend online eingegangene entwicklungen einzelner Arten auf der Basis von Moni- Datensätze ausgewertet wurden. Bemerkenswert ist, dass toringprogrammen stehen viele faunistische Arbeitsgruppen auch mehrere großflächige Untersuchungen eingeflossen vor der Frage, ob, und wenn ja, in welcher Form, eine re- sind, für die im Rahmen größerer Infrastrukturplanungen gelmäßige Publikation regionaler Datenzusammenstel- öffentliche Aufträge vergeben wurden. Der umfangreiche lungen heute noch sinnvoll und arbeitstechnisch zu be- Bericht behandelt den Großteil der im betreffenden wältigen ist. Muss es ein umfangreicher, farbig gedruckter Zeitraum im Bearbeitungsgebiet festgestellten Vogelarten und mit Fotos illustrierter Bericht sein, der Entwicklungen und dokumentiert die aktuelle Bestandsentwicklung zahl- über mehrere Jahre aufwendig dokumentiert? Ist man reicher Brut- und Rastvogelarten ebenso wie Beobachtungen mit kurzen Einzeljahresberichten und Einzel-Artbearbei- seltener Gäste und erstmals im Kreisgebiet festgestellter tungen besser bedient, die nur die wichtigsten Daten Arten (wie Gänsegeier, Würgfalke, Trauerbachstelze, Bin- auflisten und gegebenenfalls nur noch online publiziert denkreuzschnabel u. a.). Alle Arten sind mit Statusangaben werden? Oder sind regionale Datenauswertungen in versehen, für die Brutvogelarten wird die ungefähre Be- Zeiten zunehmender Verfügbarkeit von Online-Daten in- standsgröße angegeben. Zahlreiche Diagramme zur Phä- zwischen ganz obsolet geworden? nologie einzelner Arten ergänzen das Bild. Die Antwort auf diese Fragen wird je nach Region, Prio- Weitere, ebenfalls sehr lesenswerte Berichte behandeln ritätensetzung und verfügbarer ehrenamtlicher Arbeitszeit die Fledermäuse sowie die Großschmetterlinge im Landkreis unterschiedlich ausfallen. Die aktuellen Naturkundlichen Uelzen. Für die Fledermäuse wurden hauptamtlich er- Beiträge des Landkreises Uelzen zeigen meines Erachtens mittelte Daten ausgewertet, die im Rahmen der Planungen jedoch, dass sich auch heute noch die Publikation detail- für den Neubau der BAB A 39 zwischen Lüneburg und reicher Regionalauswertungen lohnt, die überregionale Wolfsburg in den Jahren 2009 und 2010 erhoben wurden. Darstellungen in wesentlichen Punkten ergänzen kön- Die Kenntnisse zur Fledermausfauna im Landkreis wurden nen. dadurch erheblich erweitert. Es ist zu hoffen, dass Jann Wübbenhorst zukünftig auch anderswo durch öffentliche Gelder fi- nanzierte faunistische Daten verstärkt auch öffentlich verfügbar gemacht werden und in übergreifende Aus- ORNITHOLOGISCHE ARBEITSGEMEINSCHAFT OLDENBURG IM NATUR- wertungen eingehen können. SCHUTZBUND DEUTSCHLAND E.V.: Jahresberichte der Orni- thologischen Arbeitsgemeinschaft Oldenburg 22 / Die Daten zum Vorkommen von Großschmetterlingen 2016. 280 S., zahlr. farb. Fotos und Grafiken. Bezug: Na- im Landkreis Uelzen beruhen dagegen fast ausschließlich turschutzbund Deutschland, Bezirksgruppe Oldenburger auf ehrenamtlicher Erfassungstätigkeit. Die aktuelle Dis- Land e.V., Schlosswall 15, 36122 Oldenburg, mail@nabu- kussion um die dramatischen Rückgänge der Insekten- oldenburg.de. ISSN 0948-0846. 15,00 €. bestände in den letzten Jahrzehnten macht deutlich, wie wichtig eine Verbesserung der meist noch sehr lückenhaften Auf 280 gehaltvollen und sehr ansprechend gestalteten Daten zum Vorkommen von Schmetterlingen und anderen Seiten bietet die OAO in bewährter Qualität ein breites Insektengruppen ist. Der aktuelle Bericht ergänzt eine Spektrum an Beiträgen zur Avifauna des Oldenburger bereits im Vorgängerheft publizierte Auswertung mit Landes. Herausgegeben wird das Werk von der Bezirks- einer aktualisierten Gesamtliste der Großschmetterlinge guppe Oldenburger Land des NABU. Die Schriftleitung im Landkreis Uelzen und Angaben zu besonders bemer- lag bei J. GRÜTZMANN und E. LIEBL. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 247

Als auch dem Umfang nach wichtigster Beitrag sind die Turteltaube im Jahr 2013 (nach ornitho.de) nur 12 Nach- Avifaunistischen Beobachtungen im Oldenburger Land weise im gesamten Oldenburger Land gelangen! 2011 - 2013 zu nennen. Das Berichtsgebiet umfasst das gesamte Oldenburger Land von Wangerooge im Norden Weitere Beiträge befassen sich mit einem winterlichen bis zum Dümmer im Süden. Es beinhaltet sechs Landkreise Schlafplatz der Kornweihe über acht Jahre (K. HINSCH & und drei kreisfreie Städte und deckt etwa 12 % des H. VOLLSTAEDT), mit dem Wintervorkommen des Mäuse- Landes Niedersachsen ab. Eine beeindruckend lange Liste bussards (H. MEINECKE), der Thülsfelder Talsperre als Rast- an Beobachtern hat fast 130.000 Datensätze zusammen- gebiet für Sing- und Zwergschwäne (J. LINNHOFF, H. NIESKE getragen, aus deren Fundus die Darstellung für ca. 225 & J. SCHNÖTKE), der Bedeutung des neuen Überflutungs- Arten und Unterarten und 12 Gefangenschaftsflüchtlinge polders Holtgast für Rastvögel (E. LIEBL & A. KESSLER), Li- erfolgte. Besonders zu erwähnen sind die ersten Brut- mikolen im Goldenstedter Moor (W. LANGE & J. LINNHOFF), nachweise von Lachseeschwalbe und Seeadler sowie bun- Silberreihern im Dümmer-Gebiet (W. BRINKSCHRÖDER & B. desdeutsche Erstnachweise von Middendorff-Laubsänger HÜLSMANN) und dem Wiesenvogelschutz auf der Strohauser und der Östlichen Unterart phoenicuroides des Hausrot- Plate (T. CLEMENS). Dazu kommen einige Kurzbeiträge. schwanzes. Daneben wurden Heckensänger, Waldpieper Sowohl thematisch, als auch räumlich wird mit diesen und Bartgeier erstmals im Oldenburger Land festgestellt. Beiträgen ein großes Spektrum abgedeckt. Sie beweisen auch durch die Vielzahl an Autoren die Breite der avifau- Die Darstellung der Beobachtungen erfolgt ganz über- nistischen Arbeit im Oldenburger Land. wiegend übersichtlich in Tabellenform. Allerdings gehen zwischen den farbig hervorgehobenen Tabellen die text- Unter der Rubrik „Historische Ornithologie“ beschäftigen lichen Beiträge und Erläuterungen etwas unter. Für jede sich zwei weitere Beiträge mit historischen Vogelpräparaten behandelte Art wird der Status und der ungefähre Brut- des Mariengymnasiums Jever (W. MENKE) und mit der bestand, bei seltenen Gästen auch die Zahl der Nachweise zwiespältigen Persönlichkeit HANS KUMMERLÖWES alias KUM- angegeben. Einzelne sehr schöne Fotos lockern die Dar- MERLOEVE (J. GRÜTZMANN). Ehrungen, Nachrichten und stellung auf. Buchbesprechungen runden den lesenswerten Band ab.

Ein avifaunistischer Jahresbericht über eine historische Es bleibt anzumerken, dass eine zeitnähere Bearbeitung Region, wie das ehem. Land Oldenburg, die mehrere des Beobachtungsberichts sicher wünschenswert wäre. Landkreise umfasst erfährt sicherlich eine breitere Beach- Wobei wir alle wissen, dass diese umfangreiche Arbeit tung als kreisweise Abhandlungen, wie sie für viele von einigen wenigen Aktiven so „nebenbei“ erledigt andere Regionen erstellt werden. Andererseits scheinen wird und damit kaum zeitnah gelingen kann. Schön einige weniger häufig von Beobachtern aufgesuchte Re- wäre es weiterhin, wenn die in großen Teilen abnehmende gionen und auch manche Arten dabei etwas aus dem Brutvogelwelt unserer Feldflur noch stärker Berücksichti- Fokus zu geraten. Die Autoren E. LIEBL und J. GRÜTZMANN gung finden könnte, da ansonsten diese Problematik weisen zwar einleitend darauf hin, dass die Artenauswahl auch gegenüber der interessierten Öffentlichkeit bei aller wegen der großen Datenmenge strenger reglementiert verständlichen Freude über den Nachweis seltener Gast- wurde und insbesondere Brutbestände von Arten, die in vögel zu kurz kommt. den jüngsten Atlaswerken für Deutschland und Nieder- sachsen verzeichnet sind nicht jeweils wieder genannt Lars Wellmann werden, doch verwundert es schon, wenn im Nordwesten Niedersachsens bereits sehr seltene Arten, wie Neuntöter oder Braunkehlchen gar nicht mehr behandelt werden. PRÖHL, T., D. NILL & B. ZIEGLER (2017): Coole Käuze. Die Das gleiche gilt für sämtliche Taubenarten. Auch das verborgene Welt der besonderen Eulen. Kosmos-Verlag, Weißsternige Blaukehlchen wird nicht abgehandelt, Stuttgart. 160 S., 104 Farbfotos, geb. ISBN 978-3-440- obwohl der Oldenburger Raum doch zu den wichtigsten 15292-8. 16,99 €. Brutgebieten Deutschlands zählt. Der Schwerpunkt der Artbearbeitung liegt damit eindeutig bei der Dokumen- Eulen haben viele Freunde. Dementsprechend erscheinen tation des Durchzuges (meist der max. Rastzahlen) und zahlreiche Bücher über diese Artengruppe. Nun ist ein auf dem Nachweis von Seltenheiten. Das ist schade, weil neuer Bildband über „Käuze“ erschienen, in der Größe einige Arten so vollkommen aus dem Fokus geraten. Es zwischen DIN A4- und DIN A5-Format. Stein-, Wald-, wäre z. B. auch überregional von Interesse, dass von der Raufuß-, Sperlings-, Habichts- und Bartkauz werden in 248 Rezensionen

Text und Bild vorgestellt. Der Text im flüssigen Erzählstil ganz z. B. mit dem „Svensson“ mithalten. Alterskleider, ist nicht sonderlich tiefgründig und basiert teilweise auf Unterarten und einige Hybride sind daneben vielfach alten Erkenntnissen. Die Eulenfotos und Lebensraumauf- auch fotographisch dokumentiert. Die Qualität der Fotos nahmen sind sehr gut. Leider entstanden viele der Bilder bzw. deren drucktechnische Wiedergabe bleibt aber teils am Brutplatz. Auch wenn die Autoren selbst die erfor- etwas hinter vergleichbaren Werken zurück. Dafür sind derliche Sorgfalt bei solchen Aufnahmen haben walten angeblich alle bekannten, über 100 regelmäßig in der lassen und keine Störungen verursachten, so ist leider Natur vorkommenden Hybriden abgedeckt, was ein großer mit weniger umsichtigen Nachahmern zu rechnen, wenn Fortschritt zur Behandlung dieses Problemfeldes ist, dem solche Bilder veröffentlicht werden. auch ein ausführlicher Einführungstext gewidmet ist.

Thomas Brandt Die Texte umfassen die für ein Handbuch zu erwartenden Textblöcke zu Taxonomie, Bestimmung, Kleidern, Mess- werten, Lebensraum und Jahreszyklus, Verbreitung und REEBER, S. (2017): Die Entenvögel: Europa, Asien und Population sowie – bei dieser Artengruppe besonders Nordamerika (übersetzt von PETER H. BARTHEL). Franckh- bedeutsam – auch der Gefangenschaftshaltung. Taxonomie Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart: 654 S., 934 und Bestimmung einschließlich Unterarten und Hybriden Farbzeichnungen, 660 Farbfotos und 12 S-W-Zeichnungen. nehmen dabei relativ breiten Raum ein. Auf strittige ta- ISBN 978-3-440-14678-1. 89,00 €. xonomische Einstufungen z. B. beim Saatgans-Komplex wird hingewiesen. Der KOSMOS-Verlag legt ähnlich den „Eulen Europas“ und den „Greifvögeln Europas, Nordafrikas und Vorder- Messwerte werden erfreulicherweise auch für viele Un- asiens“ mit diesem gewichtigen Band erneut zu einer terarten separat geliefert, ihnen liegen jedoch oftmals viel beachteten Artengruppe nach eigenem Bekunden recht geringe Stichproben zugrunde, die sich durch kon- „das Standardwerk“ vor. Berücksichtigt werden dabei sequente Einbeziehung von Daten aus Beringungspro- neben Europa und Asien auch Nordamerika - eine grammen z. T. erheblich hätten verbessern lassen. sinnvolle Kombination im Hinblick auf die Zugwege ins- besondere der arktischen Gänse. Alle auftretenden Ge- Bestandszahlen und -trends sowie die Ursachen für Rück- fangenschaftsflüchtlinge von Arten anderer Erdteile gänge einzelner Arten werden zumeist nur angerissen. vermag das Werk jedoch nicht abzudecken. Während dies z. B. bei Rothalsgans, Eisente und Schwarz- kopf-Ruderente recht gut gelungen ist, überzeugen die Es gelingt dem Autor dabei durch Beschränkung des Ausführungen etwa zum Zwergschwan weniger. Auch Textumfanges sowie relativ kleiner Fotos und Schrift mit die Angaben zu Zugwegen, Überwinterungsquartieren, einem Band auszukommen, während sich Baldassarre Nahrungshabitaten und zum diurnalen Aktivitätsrhythmus (2014) allein für die Entenvögel Nordamerikas zwei Bände vieler Arten gehen wenig in die Tiefe und helfen für gönnte. ethologische und ökologische Fragestellungen nur wenig weiter. Wer die entsprechende „Warnung“ im Vorwort zur deut- schen Ausgabe von PETER H. BARTHEL nicht vorab liest, Die Literaturangaben beschränken sich weitestgehend wird verwundert sein über einen im deutschsprachigen auf international relevante, englischsprachige Arbeiten. Raum bislang kaum geläufige Mauser- und Kleidertermi- Nur zehn deutschsprachige Quellen wurden im Rahmen nologie mit z. B. „definitiven Basiskleidern“ bei Adulten. der Übersetzung angefügt. Auch in Englisch zusammen- Nicht minder gewöhnungsbedürftig ist die verwendete gefasste Originalarbeiten etwa aus den russischen Brut- Systematik. gebieten hätten umfangreicher erschlossen werden kön- nen. Hinweise zu Markierungsprojekten, die vielfach Mit insgesamt über 1.550 Illustrationen und Fotos ist das stark von der Mitarbeit von Hobbybeobachtern abhängen, Buch sehr reich bebildert. Die übersichtlich gestalteten wären in einem solchen Werk sehr zu begrüßen, finden und nirgendwo überladenen Farbtafeln berücksichtigen sich jedoch leider nicht. nahezu alle relevanten Kleider, Unterarten und Hybriden und kommen weiteren artspezifischen Notwendigkeiten Alles in allem bietet das Werk einen umfassenden nach, wie z. B. den variablen Schnabelzeichnungen von Überblick über die Entenvögel der Nordhalbkugel und ist Zwergschwänen, manche Tafel kann aber optisch nicht eine gute Hilfe bei der Bestimmung insbesondere auch Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 249

der Unterarten und Hybriden, wenn auch in ungewohnter Systematik und Sprachregelung. Gefangenschaftsflücht- linge bedürfen jedoch weiter Werke mit weltweitem Bezug und für weitergehende biologische Fragestellungen können Artmonographien sowie das für diese Artengruppe stark veraltete Handbuch der Vögel Mitteleuropas nicht ersetzt werden. In eine Reihe mit den Greifvögel- und Eulen-Handbüchern von KOSMOS, die jeweils deutlich weniger Arten ausführlichere Ausarbeitungen widmen, kann es nicht ohne weiteres gestellt werden.

Volker Blüml 250

Rothalstaucher Podiceps grisegena. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Red-necked Grebe. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 251

Nachrichten

Eine Ära geht zu Ende – zum Abschied von Herwig Lüneburg war ein Zeichen nach außen, dass man neben Zang als Vorsitzendem der Niedersächsischen Orni- der Arbeit an der Avifauna weitere zunehmend wichtiger thologischen Vereinigung (NOV) werdende Aufgaben aus dem gesamten Spektrum von Ornithologie, Avifaunistik und Vogelschutz zu bewältigen Am 09. Oktober 1982 wurde in Gartow der Vorstand hatte, konnte und wollte. der „Vereinigung Avifauna Niedersachsen“ (VAN) während der Mitgliederversammlung neu gewählt. Als Nachfolger Bei all dem war Herwig Zang der Motor, Herausgeber von Dr. Joachim Press übernahm damals Herwig Zang und Hauptautor der mittlerweile auf 13 Bände ange- aus Goslar das Amt des 1. Vorsitzenden, Friedel Knolle, wachsenen Avifauna-Reihe. Davon hat er neun Bände ebenfalls aus Goslar, folgte Wilhelm Meier-Peithmann im mit 2.721 Seiten verantwortlich herausgegeben und Amt des 2. Vorsitzenden. Diese Neuwahl sollte sich rück- einen Großteil der Manuskripte selbst oder unter aktiver blickend als ein Glücksfall für die Avifaunistik in Nieder- Mithilfe erstellt. Ohne Herwig Zang hätte es dieses ge- sachsen wie auch für das Projekt Avifauna Niedersachsen wichtige, herausragende und aktuell komplettierte Werk (Die Vögel Niedersachsens), dem Kernanliegen des Vereins, niemals gegeben! Im August 2017, pünktlich zu unserer herausstellen. 45. Jahresversammlung 2017 in Hannover, konnte das Gesamtwerk mit dem Erscheinen von Band 1.2 „Zur Herwig Zang war es, der mit neuem Schwung die bereits Kenntnis der Vogelwelt Niedersachsens 1920-1940 und unter Dr. Joachim Press (VAN) und Hartmut Heckenroth Nachträge zum Speziellen Teil“ zum Abschluss gebracht (Staatliche Vogelschutzwarte) begonnene Zusammenarbeit und allen Mitgliedern quasi als Abschiedsgeschenk des ausbaute und intensivierte. Als damals schon langjähriger Vorsitzenden übergeben werden. Vogelberinger und Mitarbeiter im Höhlenbrüterprogramm des Instituts für Vogelforschung – Vogelwarte Helgoland Herwig Zang verstand es zudem immer, mit seiner großen (IfV) und aufgrund seiner verbindenden menschlichen Menschlichkeit und Freundschaft andere zu „unserem“ Art war Herwig Zang ein Glücksfall für den Verein, der Thema zusammen zu führen und zur Mitarbeit zu moti- sich bei der Übernahme des Amtes in „schwerer See“ vieren. So war die Zusammenarbeit im Team der NOV befand. Unbeeindruckt von historisch gewachsenen Ani- mit Herwig Zang als Vorsitzendem, den weiteren Vor- mositäten, ohne persönliche Befindlichkeiten und Eigennutz standsmitgliedern und Beisitzern, Kolleginnen und Kollegen führte er die Ornithologen und Avifaunisten zusammen und scharte sie hinter das Projekt Avifauna. Insbesondere baute er die auf einer verlässlichen und auf gegenseitiger positiver Beförderung fußenden Zusam- menarbeit der ehrenamtlichen Vogelkundlermit dem behörd- lichen Vogelschutz in der Staat- lichen Vogelschutzwarte auf. Aus dieser Konstellation ent- wickelte sich eine gewinnbrin- gende Situation für alle Betei- ligten mit Strahlkraft und Vor- bildfunktion auch für andere Bundesländer. Die Umbenen- nung der Vereinigung in „Nie- dersächsische Ornithologische Mit standing ovations feiert die Mitgliederversammlung Herwig Zang für seine lang- Vereinigung“ (NOV) 1987 in jährige Tätigkeit als 1. Vorsitzender der NOV. Foto: Werner Leistner.. 252 Nachrichten

der Staatlichen Vogelschutz- warte und der Schriftleitung der Vereinszeitschrift Vogel- kundliche Berichte aus Nieder- sachsen durchweg von großem gegenseitigen Vertrauen und echtem Miteinander geprägt.

Nach 35 Jahren trat Herwig Zang am 31. März 2017 vom Amt des 1. Vorsitzenden zurück.

Die Jahresversammlung der NOV am 02. September 2017 in Hannover bot nun die Gele- genheit, Herwig Zang einen würdigen, von Dankbarkeit ge- Frank-Ulrich Schmidt überreicht Herwig Zang die Urkunde zum Ehrenvorsitzenden. prägten Abschied in Form von Foto: Werner Leistner. gewichtigen Vorträgen aus den Bereichen Ornithologie, Avifau- nistik und Vogelschutz aus ganz Deutschland sowie Seesen absolvierte er in Langelsheim eine Ausbildung Österreich, aus z. T. sehr emotionalen Grußworten und zum Radio- und Fernsehtechniker. Über eineinhalb Jahre vielen persönlichen Glückwünschen zu bereiten. diente er danach beim Bundesgrenzschutz im Harz. Im Forstamt Lutter fand er dann eine Anstellung als Waldar- Sein Nachfolger im Amt ist Thomas Brandt von der Öko- beiter – für ihn ein Traumjob. So konnte er doch seiner logischen Schutzstation Steinhuder Meer (ÖSSM). Leidenschaft, Vögel und Tiere zu beobachten, nicht nur in seiner Freizeit, sondern so „nebenbei“ auch während Der Vorstand der NOV bedankt sich ganz herzlich bei seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen. Herwig Zang für die geleistete Arbeit, für seinen mensch- lichen Umgang mit uns Vorstandskolleginnen und Seine besondere Liebe galt Greifvögeln und Eulen. Für -kollegen sowie seine konstruktive, an der Sache orientierte Rotmilan, Rohrweihe, Habicht, Sperber, Mäusebussard und dabei immer herzliche Art. Von der Mitgliederver- und andere hat er 1980 bis 1988 gemeinsam mit U. sammlung wurde Herwig Zang zum Ehrenmitglied und Ahrens und M. Bollmeier, beide Liebenburg, umfangreiche Ehrenvorsitzenden gewählt und erhält als sichtbares Daten zu Dichte, Brutbiologie und Nahrung auf einer Dankeschön neben einer Urkunde das Siegerbild der Fläche von 313 km² im nördlichen Harzvorland (Landkreis diesjährigen Ausstellung Moderne Vogelbilder 2017 (auch Goslar) ermittelt. Sie sind in dem Greifvogelband der hier ist Herwig Zang in der Jury aktiv) im Museum Hei- Avifauna von Niedersachsen (ZANG et. al. 1989) ausführlich neanum, Halberstadt: Familie Takahe von Dr. Elke Grö- berücksichtigt (vgl. auch BOLLMEIER & STEUBE 1992). In den ning. letzten Jahren interessierten ihn u.a. Wander- und Turm- falke. So begleitete er hin und wieder U. Ahrens, Lieben- Frank-Ulrich Schmidt burg, der seit der Wiederbesiedlung des Westharzes durch den Wanderfalken 1984 als einer der Landesbe- auftragten der Vogelschutzwarte Hannover alljährlich Vorkommen und Bruterfolg der Art im Harzraum erfasst. Ulrich Ristig (1952 – 2017) An den Beringungen des Turmfalken beteiligte sich U. Ristig bis zuletzt (s. [6], [8]). Turmfalken haben in einem Ulrich Ristig kannte die Natur seiner Heimatregion, das Nistkasten in seinem Haus gebrütet, über eine Webcam ist vor allem der westliche Teil des Landkreises Goslar, konnte er ihr Leben aus der Nähe verfolgen und so wie kein anderer. Hier wurde er am 25. Juni 1952 in haben ihm Turmfalken die Zeit während seiner schweren Nauen geboren, heute ein Ortsteil der Stadt Lutter am Krebserkrankung verkürzt. Am 27. März 2017 ist Ulrich Barenberge. Nach dem Besuch der Schule in Nauen und Ristig in Nauen verstorben. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 253

In der Arbeitsgruppe des NABU um P. Mannes zur Wie- dereinbürgerung des Uhus im Harzvorland beteiligte er sich von Anbeginn, kontrollierte mögliche Brutplätze und half bei der Beringung von Jungvögeln. Nach dem Tod von Peter Mannes 1992 führte er die Kontrollen sowie die Beringung der Jungvögel eigenständig fort, die Er- gebnisse sind in 2 größeren Arbeiten veröffentlicht ([3], [4]). Regelmäßig hat er auch bei Populationsstudien des Raufußkauzes im Harz mitgewirkt ([9], ZANG & KUNZE 1986, ZANG 1987).

Darüberhinaus beteiligte er sich an vielen ornithologischen Aktivitäten, so an den Wasservogelzählungen im Oker- steinfeld NE Goslar, an der alljährlich im Frühjahr durch- geführten Zählung der Graureiherkolonie bei Salzgitter- Ohlendorf (KNOLLE 1989), an den im Winterhalbjahr an- stehenden Nachtkontrollen von Kleinhöhlenbrütern im Ulrich Ristig. Foto: Willi Grope. Harz (ZANG & KUNZE 2009) sowie an allen landesweiten Zählungen, die gemeinsam von NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasser-, Küsten- und Naturschutz) [4] RISTIG, U., M. WADEWITZ & H. ZANG (2003): Der Uhu und NOV (Niedersächsische Ornithologische Vereinigung) Bubo bubo im nördlichen Harzvorland. Vogelwelt 124: ausgerichtet wurden. Dabei hat er stets die Messtischblätter 249-253. 4027 (Seesen) und 4127 (Lutter) bearbeitet (siehe z. B. [5] AHRENS, U., & U. RISTIG (2011): Kleiber Sitta europaea KRÜGER et al. 2014). Kurz vor seinem Tod hat er noch als Felsbrüter in einem Steinbruch bei Hardegsen, seine zahlreichen Vogelbeobachtungen 2013 bis 2016 Landkreis Northeim. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. am Kiesteich Salzgitter-Ringelheim zusammengestellt [2]. 42:171-172. [6] BEYERBACH, U., & U. RISTIG (2014): Zweitbrut eines Turm- Doch nicht nur die heimische Vogel- und Tierwelt haben falkenpaares Falco tinnunculus im nördlichen Harz- ihn gefesselt, bei mehreren Reisen nach Afrika gemeinsam vorland bei Seesen. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. mit seiner Frau Birgitt – sie starb bereits am 1. April 2010 44:103-104. – und seinem Bruder Rolf, lernte er vor allem Kenia, Sim- [7] ZANG, H., P. KUNZE & U. RISTIG (1993): Schwankungen babwe und Namibia kennen. Hier galt sein Interesse in der Höhenverbreitung der Blaumeise P. caeruleus wiederum ganz besonders den Greifvögeln. Mit seinen im Harz. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 25:98-102. gelungenen Fotos konnte er in Vorträgen seine Afrika- [8] ZANG, H., P. KUNZE & U. RISTIG (1994): Der nördliche Begeisterung auf die Zuschauer übertragen. Die Vogel- Steilabfall des Harzes als Landschaftsbarriere für wan- kundler des Landkreises Goslar verlieren mit U. Ristig dernde junge Schleiereulen (Tyto alba) und Turmfalken einen kenntnisreichen und engagierten Ornithologen (Falco tinnunculus). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 26:33- und Naturschützer. Für den Verfasser schließt sich eine 36. über viele Jahre währende Freundschaft. [9] ZANG, H., & U. RISTIG (1992): Zwei neue Fälle von Bigy- nie beim Rauhfußkauz Aegolius funereus im Harz. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 24:57-60. Publikationen von U. Ristig:

[1] RISTIG, U. (1987): Kuhreiher (Bubulcus ibis) im Landkreis Literatur Goslar. Vogelkdl. Ber. Niedersachsen 19: 29. BOLLMEIER, M. & U. STEUBE (1992): Lebensräume, Pflanzen [2] RISTIG, U. (im Druck). Die Vogelwelt des Kiesteiches und Tiere im Salzgitter-Höhenzug zwischen Salzgit- Salzgitter – Ringelheim 2013 – 2016. Mitt. Naturwiss. ter-Bad und Goslar. Liebenburg-Heissum. Ver. Goslar 14: XXX. KNOLLE, F. (1989): Zur Geschichte der Graureiherkolonie [3] RISTIG, U., H. MANNES & H. ZANG (1998): Vom Uhu Bubo im Landschaftsschutzgebiet „Grüte“ in Salzgitter. Na- bubo in SE-Niedersachsen – Erfahrungen in einer turschutznachrichten 1:121-133. durch Freilassungen entstandenen Population. Vo- KRÜGER, T., J. LUDWIG, S. PFÜTZKE & H. ZANG (2014): Atlas gelkdl. Ber. Niedersachsen 30: 91-100. der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen 2005- 254 Nachrichten

2008. Naturschutz, Landschaftspfl. Niedersachsen 48. weihen-Projekt der Arbeitsgemeinschaft Landschaftsöko- Hannover. logie der Uni Oldenburg ins Leben gerufen. Seit 2009 ist ZANG, H. (1987): Rauhfußkauz-Teilalbino (Aegolius fune- Frau Knipping für dieses Projekt verantwortlich. reus) im Harz. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 19:20-22. ZANG, H., H. HECKENROTH & F. KNOLLE (1989): Die Vögel Im Fokus der vielseitigen Untersuchungen steht einerseits Niedersachsens und des Landes Bremen – Greifvögel. die Ermittlung von Grunddaten zur Biologie der Kornweihe Naturschutz und Landschaftspflege Niedersachsen in den Brutgebieten wie z. B. Habitat- und Raumnutzung, Reihe B, H. 2.3. Ernährung, Schlupf- und Bruterfolg, Populationsdynamik, ZANG, H., & P. KUNZE (1986): Zum Ansiedlungsverhalten andererseits die dringend erforderlichen Kenntnisse zu des Rauhfußkauzes (Aegolius funereus) in einem sub- Verbleib und Ernährung während des Winters. optimalen Habitat des Harzes. Vogelwelt 106:264- 267. Dabei kommt neben klassischen Methoden moderne ZANG, H., & P. KUNZE (2009): Zum Nächtigen von Kohl- Technik wie Farbberingung, Nestkameras, GPS-Datenlogger (Parus major), Blaumeise (P. caeruleus) und Kleiber und Satellitentelemetrie zum Einsatz. (Sitta europaea) in den Wintern 1982/83 – 2006/07 in Nistkasten-Untersuchungsflächen im Harz. Ornithol Jber. Mus. Heineanum 27:43-60.

Herwig Zang, Oberer Triftweg 31A, 38640 Goslar

NOV-Förderpreis 2016

Seit 2002 gibt es den NOV-Förderpreis, er wurde 2016 zum fünften Mal vergeben. Preisträgerin 2016 ist Nadine Knipping aus Rastede

Die Niedersächsische Ornithologische Vereinigung hat ihr auf ihrer 44. Jahrestagung am 24. September 2016 in Goslar den NOV-Förderpreis 2016 zuerkannt.

Die Förderung ist für möglichst in sich begrenzte Vorhaben Herwig Zang überreicht den NOV-Förderpreis anläßlich aus allen Bereichen der Vogelkunde gedacht, die sich der Jahrestagung 2016 in Goslar an Nadine Knipping. mit Biologie, Ökologie, Verbreitung, Populationsbiologie, Foto: Frank-Ulrich Schmidt. Wanderungen und Schutz der Vögel Niedersachsens und Bremens beschäftigen. Dieses Kriterium zeichnet die Un- Ziel ist ein verlässliches Konzept für den Schutz der Korn- tersuchungen der Preisträgerin in besonderem Maße weihe. Diese steht im Anhang I der EU-Vogelschutz- aus. Richtlinie, darum kommt den Arbeiten auch herausge- hobene Naturschutzbedeutung zu. Die Kornweihe gehört zu den seltensten und am stärksten bedrohten Brutvogelarten Deutschlands. Einst war sie Herwig Zang weit verbreitet und Charaktervogel der nordwestdeutschen Moor- und Heidelandschaften, heute konzentriert sich nahezu der gesamte deutsche Bestand im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, hier insbesondere auf den Ostfriesischen Inseln. Doch auch hier ist der Bestand seit 1997 rückläufig, ohne dass Gründe dafür auf der Hand liegen. Insbesondere fehlen Kenntnisse zu den Zugbewegungen und dem Aufenthalt im Winterhalbjahr. Zur Erforschung möglicher Ursachen wurde das Korn- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45 (2017) 255

Schwarzhalstaucher Podiceps nigricollis. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Black-necked Grebe. 256

Rothalstaucher Podiceps grisegena. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Red-necked Grebe. Niedersächsische Ornithologische Vereinigung e. V.

Die Niedersächsische Ornithologische Vereinigung wurde 1972 unter dem Namen „Vereinigung Avifauna Nieder- sachsen“ gegründet, mit dem speziellen Ziel, eine Vogelfauna für das Land Niedersachsen zu erarbeiten. Der heutige Namen „Niedersächsische Ornithologische Vereinigung“ dokumentiert das seit 1987 wesentlich breitere Tätig keits- spektrum. Ziele der Vereinigung sind insbesondere: • die faunistische Arbeit im Land Niedersachsen für Zwecke des Natur- und Artenschutzes durch die Sammlung wis- senschaftlicher Daten zu fördern, • die faunistische Arbeit in der Bundesrepublik Deutsch land zu fördern durch Zusammenarbeit mit den anderen Landesver bänden und dem Dachverband Deutscher Avifaunisten, • die wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Vogel kunde durch Veröffentlichungen, Heraus gabe der Fachzeit schrift „Vogelkundliche Berichte aus Niedersachsen“ und Fachveran staltungen zu fördern.

Aktivitäten Zu den Aktivitäten - u. a. in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Vogelschutzwarte Niedersachsen in Hannover - zäh- len die kontinuierliche Mitwirkung am niedersächsischen Arten-Erfassungsprogramm (Vögel), am langjährigen Brutvogelmonitoring (z. B. bei Weißstorch, Birkhuhn, Saatkrähe) und an der Wasser- und Watvogel zählung. Außerdem werden in einzelnen Jahren aus aktuellen Anlässen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, so unter anderem: • Goldregenpfeifer-Rastplatzzählungen, • Kormoran-Schlafplatzerfassung, • landesweite Brutbestandserfassungen u. a. von Kranich, Rotmilan, Seeadler, Bekassine, Sperlingskauz, Grauspecht, Raubwürger, Saatkrähe, • Probeflächen-basiertes Monitoring mittelhäufiger Brutvogelarten, u. a. von Kranich und Rotmilan, • Monitoring häufiger Brutvögel auf repräsentativen Probeflächen in der „Normallandschaft“, • Sammlung, Auswertung und Dokumentation von Beobachtungsdaten seltener Vogelarten durch die Avifaunistische Kommission Niedersachsen und Bremen.

Ergebnisse gemeinsamer Arbeit Die Mitglieder der Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung ermöglichten durch ihre Mitarbeit die Erar beitung von zahlreichen Veröffentlichungen, u. a.:

• Atlas der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen 2005-2008, • Übersicht der Brutbestandsentwicklung ausgewählter Vogelarten 1900-1990 an der niedersächsischen Nordseeküste, • Beiträge zur Geschichte der Ornithologie in Niedersachsen und Bremen, • Wichtige Brut- und Rastvogelgebiete in Niedersachsen - Eine kommentierte Gebiets- und Artenliste als Grundlage für die Umsetzung der Europäischen Vogelschutzrichtlinie, • Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen: - Bd. 1: Seetaucher - Flamingos (1978), - Bd. 2: Entenvögel (1985), - Bd. 3: Greifvögel (1989), - Bd. 4: Hühner- und Kranichvögel (1985), - Bd. 5: Austernfischer bis Schnepfen (1995), - Bd. 6: Raubmöwen bis Alken (1991), - Bd. 7: Tauben- bis Spechtvögel (1986), - Bd. 8: Lerchen bis Braunellen (2001), - Bd. 9: Drosseln, Grasmücken, Fliegenschnäpper (2005), - Bd. 10: Bartmeisen bis Würger (1998), - Bd. 11: Rabenvögel bis Ammern (2009), • die Zeitschrift Vogelkund liche Berichte aus Niedersachsen (VBN) mit vielfältigen Beiträgen aus allen Bereichen der Vogelkunde, insbesondere zu Biologie, Ökologie, Verbreitung, Popula tionsbiologie, Wanderun gen und Schutz der Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen.

www.ornithologie-niedersachsen.de Vogelkdl. Ber. Niedersachs. Band 45 | Heft 2 | 2017 ISSN 0340-403 x

Inhalt

WÜBBENHORST, J.: Vorkommen und Verbreitung von Haubentaucher Podiceps cristatus, Rothalstaucher Podiceps grisegena und Schwarzhalstaucher Podiceps nigricollis in Niedersachsen. Ergebnisse der landesweiten Brutbestandserfassung 2014...... 121 DIERSCHKE, V.: Verbreitung und Brutbestand der Uferschwalbe Riparia riparia in Niedersachsen und Bremen: Ergebnisse einer landesweiten Erfassung im Jahr 2015...... 161 KOOIKER, G.: Zum Niedergang des Kiebitzes Vanellus vanellus in und um Osnabrück: Bestand, Entwicklung und Phänologie zwischen 1976 und 2016...... 179 HUMMEL, D.: Dokumentation der Brut 2016 am Horst eines niedersächsischen Paares des Seeadlers Haliaeetus albicilla unter besonderer Berücksichtigung des Beuteeintrags lebender junger Greifvögel...... 193 BRANDT, T., T. BEUSTER & E. LÜERS: Beobachtungen zur Brutbiologie an einer niedersächsischen Lokalpopulation des Fischadlers (Pandion haliaetus) und Hinweise zum Artenschutz...... 213 WARTLICK, M., E. LÜERS & T. BRANDT: Die Brutvögel des Lichtenmoores im Landkreis Nienburg, Niedersachsen, und dessen Bedeutung als Brutvogellebensraum...... 221

Aus der Staatlichen Vogelschutzwarte ...... 237 Schriftenschau ...... 241 Nachrichten ...... 251