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CORD HAGEN AQUAGENE

Thriller

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN Hagen_Aquagene 22.09.10 07:08 Seite 2

DAS BUCH Drohende Vorzeichen: In China versammeln sich unheimliche »Regenhäute« auf dem größten Staudamm der Erde, auf Grön- land beschwören Schamanen der die Rückkehr der Meeres- göttin. Und während Europa im Hochwasser versinkt, planen die Großmächte den arktischen Krieg, denn es geht um die letz- ten Erdölreserven der Erde. Als der Hydrotechniker Brandel auf der Bohrinsel Devon III im grönländischen Scoresbysund ein- trifft, wird er von den Ereignissen überrollt. Auch die polizeilich gesuchte Umweltaktivistin Jenna Resch weiß nicht, was sie auf Grönland erwartet. Als sie an der Ostküste landet, führt sie ihr Weg mitten hinein in einen arktischen Krieg, in dem rebellische Inuit gegen Söldner der Erdölindustrie kämpfen. Zusammen mit Glenner, einem amerikanischen Globetrotter, stößt Jenna auf finanzstarke Sektierer, die den steigenden Meeresspiegel als evolutionäre Chance begreifen. Doch welche Ziele verfolgt die- ser »Devonische Zirkel« wirklich, und welche Gene braucht der Mensch, um in einer Wasserwelt zu überleben? Ein radikaler Ökothriller über die Folgen des Klimawandels und den Kampf um die letzten Erdölreserven.

DER AUTOR Cord Hagen, geboren 1963, ist das Pseudonym eines bekannten deutschen Bestsellerautors. Er hat neben Romanen auch Dreh - bücher, Hörspiele, Erzählungen und poetische Reportagen ge- schrieben. Cord Hagen lebt in Berlin und auf der Kanareninsel La Palma, auf der sein erster Öko-Thriller Der Schlund spielt.

LIEFERBARE TITEL Der Schlund Hagen_Aquagene 22.09.10 07:08 Seite 5

Ich glaube an die friedliche Koexistenz von Menschen und Fischen. – GEORGE W. B USH, 43. Präsident der USA

Der zornige Gott Jubmel aber sprach: Ich werde die Welt umdrehen. Ich werde den Flüssen gebieten, bergauf zu fließen; ich werde das Meer heißen, sich zusammenzuraffen zu einer riesenhoch aufragenden Mauer, um sie auf euch verderbte Erdenkinder zu schleudern und euch zu vernichten. – Aus LAPPLANDS WELTSCHÖPFUNGSEPOS, übersetzt von Léonne de Cambrey, 1926 Hagen_Aquagene 22.09.10 07:08 Seite 7

1. Teil Wasserbabys

Wenn man einen Sumpf trockenlegen will, darf man damit nicht die Frösche beauftragen. – MARK TWAIN Hagen_Aquagene 22.09.10 07:08 Seite 8

Darstellung der Entwicklungsreihe des Frosches zum Menschen aus dem Jahre 1832. Quelle: C. F. Meisner: De amphibiorum quorundam papil- lis glandulisque femorabilus, Basel, Schweighauser, 1832. Hagen_Aquagene 22.09.10 07:08 Seite 9

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Qui vivra, verra. Die Zukunft wird es zeigen. – FRANZÖSISCHES SPRICHWORT

Kulusuk, Ostgrönland, März 1982

»Alarm! Los, los, alle Mann raus aus den Kojen! Wir haben eine Situation!« Die verzerrte Stimme aus den Deckenlautsprechern passte so gar nicht zu Reynar Frithjof, dem Chef der Rettungszentrale des Heliports Kulusuk, der an diesem Abend direkt an einer Schlechtwetterfront lag. Schon als der leuchtende Punkt der immer tiefer fliegenden Cessna von den Radarschirmen verschwand, wusste Frithjof, der ruhige Abend bei Rentiergulasch und herbem »Viking«-Bier war fürs Erste gelaufen. Trotz vager Angaben über die Absturzstelle – sie lag dicht vor der Küste in grönländischen Hoheitsgewässern –, hatte er sich entschieden, sofort einen Heli zu schicken. »Der Pilot hat ein SOS absetzen können«, meldete Brynjar, der wachhabende Offizier, »bei der Wassertemperatur ist es aller- dings fraglich, ob es Überlebende gibt.«

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»Das werden wir sehen«, sagte Frithjof. Es war ohnehin seine Aufgabe, bis zuletzt an die Rettung der Verunglückten zu glau- ben, aber diesmal kam noch etwas dazu: Die Maschine gehörte einem gewissen Paulino Hernando Pesceros, seines Zeichens Öl- baron, Großaktionär und neuerdings auch Regierungsberater. Der gebürtige Kolumbianer gehörte zu den als »unabkömmlich« eingestuften Personen des dänischen Königreichs. Frithjof war geradezu in der Pflicht, denn der Milliardär und seine Familie waren persönlich an Bord des Unglücksvogels gewesen. »So ein Mist …« Das Gewitter, das sich draußen zusammen- gebraut hatte, drückte seine hässliche, von Blitzen vernarbte Visage gegen die Panzerglasscheibe und vergegenwärtigte dem Rettungschef, dass er diesmal seine besten Männer aufbieten musste. »Verdammt, Reynar, das ist ein Fall für die Küstenwache! Die sollen ein Boot schicken und die Leute aus dem Wasser fischen!« Wenn man vom Teufel spricht, dachte Frithjof. Der Mann, der in diesem Moment in die Einsatzzentrale polterte, hörte auf den Namen Sig Bendikson. Er hatte den klassischen Werdegang eines Helipiloten durchlaufen – erst Mechanikerlehre, dann Helikoptermonteur bei der Luftwaffe, ein Job, der es ihm später ermöglicht hatte, die Pilotenlaufbahn einzuschlagen. Inzwischen galt er als Ass des Luftrettungsdienstes und »größter Hubschrau- berpilot« Skandinaviens – ein spitzfindiger Nörgler am Boden, doch einmal in der Luft unschlagbar, wenn es darum ging, Men- schenleben zu retten. So wie damals – Frithjof erinnerte sich – an der Südspitze Grönlands, als Bendikson seine Maschine über einen eingenebelten Gletscher dirigiert und dann – wegen be- schlagener Scheiben – halb aus dem Fenster hängend, Proviant und Verbandszeug abgeworfen hatte. Auch dass er einmaldreißig Schiffbrüchige in einer leckenden Rettungsinsel am Seil in den

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Hafen eingeschleppt hatte, war Frithjof noch lebhaft in Erinne- rung geblieben. »Nun, halt mal die Luft an«, knurrte Frithjof. »Glaubst du, ich würde dich da rausjagen, wenn ich eine Wahl hätte? Wo der Vogel abgestürzt ist, wimmelt es von Klippen … Das Skagerrak ist ein Dreck dagegen! Du bist meine einzige Chance. Tut mir leid, alter Schwede.« »Und mir erst!« Bendikson raufte sich seine grauen Stoppel- haare, aber dann marschierte er ab, ganz so wie es Frithjof von ihm gewohnt war.

Ein Expresslift bracht Bendikson aus der Tiefe des Berges hinauf zur Landplattform des Heliports. Im Hangar, der wie eine wür- felförmige Festung an der Steilküste klebte, war der Copter, ein nagelneuer US-Coast-Guard-»HH 65A«, schon betankt und startklar. Sein frisch eingewachster Rumpf funkelte im Licht der Scheinwerfer. Zwei AVCO-Lycoming-Triebwerke mit jeweils sie- benhundertunddreißig Pferdestärken verliehen dem auch »Polar- Heli« genannten Hubschrauber die nötige Kraft, auch bei orkan- artigem Wetter zu fliegen. Der Weg über die beleuchtete fünf mal fünf Meter messende Plattform erschien Bendikson diesmal länger als sonst. Ohne zu grüßen, schwang er sich in den Sitz, schnallte sich an. »Vergesst mir die Wärmflaschen nicht«, war das Einzige, was er sagte, und Gunnar Steinkehl, der Flughelfer nickte. Auch die Thermodecken gehörten zum Vorbereitungsmaterial auf der Liste, die er täglich gewissenhaft checkte. Sollte es ihnen gelin- gen, Menschen aus Seenot zu bergen, dann war die Wiederbele- bung durch Wärme die Medizin, die sofort anschlug, um den Kreislauf zu stabilisieren. Als Piloten brauchte man Flughelfer wie Gunnar, die an alles dachten und im Laufe ihrer Dienstzeit

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ein fast kybernetisches Verhältnis mit der Maschine eingingen. Sie verbreiteten das Gefühl von Sicherheit. Nicht zuletzt saßen sie im selben »fliegenden Boot«, das sie in Technikkursen immer wieder auseinandergenommen und zusammengesetzt hatten. Der junge Blondschopf neben Gunnar hieß Enok Jensen, er war Marine-Rettungstaucher, doch was echte Einsätze anbelang- te noch ein unbeschriebenes Blatt. Beim Winschen hatte er sich schon ein paar Mal bewährt, doch dieser Einsatz war seine Feuer - taufe, und er machte einen etwas in sich gekehrten Eindruck. Der vierte an Bord hieß mit vollem Namen Hanak Amaalik Innunguaq, doch wurde er von allen – wegen seiner Neigung zu Alleingängen – spöttisch Han Solo genannt. Er kauerte in seinem Kaltwasseranzug hinter Gunnar auf dem Rettungsmaterial, den Notfallsack und sein Schwimmbrett zwischen die Beine ge- klemmt. Han war ein gebürtiger Inuit, der seinen Weg aus einem kleinen Dorf namens Brandeliteqilaq in die westliche Zi- vilisation gemacht hatte. Seine bärenhafte Statur trat in dem hautengen Anzug deutlich hervor. Zu seinem Phlegma gehörte die typische Gutmütigkeit der Inuit, vermischt mit einer Prise schwarzen Humors. Abgesehen von seinem Job hatte er nur ein einziges Hobby – die Robbenjagd , die sein Clan, die kukiit inui oder Claw People, bereits seit über zweihundert Jahren in Ost- grönland betrieb. Ein einziges Mal war Bendikson einer Ein- ladung von Han gefolgt und dabei Zeuge eines Tupilak-Rituals der Jäger geworden. Das Christentum hatte auf Grönland schon lange verspielt, selbst in Nuuk, der Hauptstadt, war man längst wieder zur alten naturheidnischen Religion zurückgekehrt. Be- sonders die Jüngeren beteten wieder zu dem Mondgott , der diejenigen, die ein sinnvolles Leben gelebt hatten, ins Qud- livun, dem Paradies der Eskimos, heimführen würde. Er war auch der Gott der Liebe, der Gott der Lampenlöschspiele.

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Han gehörte zu einem anderen Kult, einem Kult, der die See- göttin Sedna wie die Heilige Jungfrau Maria verehrte. Die Zere- monie, der Bendikson beiwohnen sollte, hatte sich auf dem of- fenen Eis abgespielt, an einem großen Luftloch, in dem die See schmatzte und gurgelte. Ein Schamane versuchte die frosch- mäulige, gefräßige Göttin vom Meeresgrund an die Oberfläche zu locken, in dem er – Robbengekröse mit einer Kelle aus einem Plastikeimer schöpfend – in einen monotonen Singsang verfiel. Wie der Wirt einer Pinte Bendikson später erklärte, hatte Sedna ungezügelten Appetit auf Fleisch, ja, dem Mythos zufolge hatte sie gar versucht, die eigenen Eltern zu fressen. Die Anhänger der Göttin mochten daher ihr Fleisch gerne roh. Bendikson hatte damals nur den toleranten Schweden ge- spielt. Seine Meinung über Eskimos war ohnehin gründlich gefestigt: Männer, die sich mit einem Nasenkuss begrüßen und ihre Frauen tauschen, können keine allzu schlechten Kerle sein.

»Was für ein Sturm …« Während der Pilot die Instrumente checkte, stieß Gunnar Steinkehl Han unsanft in die Rippen. »Was sagt unser Inuit dazu?« Han griff nach dem merkwürdigen Amulett, das er immer über seinem Schutzanzug trug und das ihn angeblich vor den bösen Geistern, den Ilisitsoqs oder Angakoqs, schützte. »Entweder ist Sedna sehr wütend, oder sie gebiert gerade ein Kind.« »Sie gebiert ein Kind?« Jensen hob den Kopf. »Du meinst, wir erleben gerade so was wie ’ne schwere Geburt?« »Ja. Unsere Leute sagen, das Meer hat die Wehen.« »Lieber Himmel.« Jensen liebte es, Han aus der Reserve zu locken. »Auf den Wechselbalg bin ich gespannt! Ist bestimmt genauso gestört wie seine Mutter!«

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»Sedna ist nicht gestört«, sagte Han. »Sie wurde verärgert.« Und mit einem maskenhaftes Grinsen: »Vergesst nicht, die Erde ist zu mehr als zwei Dritteln von Wasser bedeckt. Der blaue Planet ist ein Wasserplanet. In einem Mythos der Inuit heißt es: Ich bin das Wasser. Ich werde kommen, wenn es an der Zeit ist, um euch zu holen. Denn ihr seid meine Kinder …« »He, die Geschichte kannte ich noch gar nicht«, fuhr Gunnar dazwischen, »richtig gruselig.« Hans Geistergeschichten waren bei den Männern beliebt, zumindest im trockenen, gut beheiz- ten Mannschaftsquartier. »Richtig gruselig. Aber was soll das heißen? Dass eine neue Sintflut droht, oder was?« »Aap, aap1 …« Han begann wie ein grönländischer Buddha zu grinsen. »Du wirst diese Prophezeiung auch in anderen Mythen finden. Wir haben die Erde nicht von unseren Kindern, sondern vom Wasser geborgt. Eines Tages wird die große Sassuma arnaa2 kommen und ihr Eigentum zurückfordern.« »Verstehe.« Jensen nickte mit gespieltem Ernst. »Nur, was ist mit uns? Ich meine, die Menschen leben nun mal auf dem Land, oder nicht? Wir sind keine Frösche, die sich’s aussuchen können …« Han zuckte die Achseln. »Es wäre aber besser für sie. Glaubt mir, wir alle werden bald nasse Füße bekommen.« Gunnar öffnete den Mund, als wolle er etwas Passendes aus- husten, aber seine Stimme wurde von den startenden Turbinen übertönt. Danach war alles Routine: Sobald die Triebwerkinstrumente im grünen Bereich pendelten, erhöhte Bendikson die Leistung, wartete, bis sich die Drehzahl der Turbinen stabilisiert hatte, und hob ab.

1 Inukitut (Sprache der Inuit): Ja, ja. 2 Ein anderer Name für Sedna.

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Die Lichter des Heliports kippten seitlich weg, sie waren plötzlich allein. In der Kabine war von dem Wind nichts zu merken. Der

Rotor eines Hubschraubers gleicht einer wirbelnden Schere, die thermische und dynamische Windstöße zerschneidet. So gleitet der größte Teil der Aufwinde zwischen den Rotorblättern hin- durch, ohne direkte Einwirkung auf die Maschine. Vor dem Dunkelviolett des Himmels türmten sich hohe Quellwolken auf. Noch immer schraubte sich der Rotor in die Höhe, und Bendikson holte tief Luft, wie er es immer tat, wenn er Frithjof seine Position meldete.

Inzwischen herrschte völlige Dunkelheit. Die Männer waren von Finsternis umschlossen. Nur wenn ein Blitz aufzuckte, waren der Horizont und das Meer für Sekundenbruchteile zu sehen. Ein Hexenkessel brodelte über dem Meer, die Luft flimmerte und ließ sie die starken vertikalen Luftströmungen mit bloßem Auge erkennen. Unter anderen Umständen hätte sich Bendikson vielleicht an den entfesselten Elementen erfreut, doch das Unwetter lag leider genau auf Kurs. Selbst wenn sein Schrauber gegenüber Luftströ- mungen viel weniger empfindlich war als ein Flugzeug mit Trag- flächen, konnte ein Auf- oder Fallwind dieser Stärke schnell schlimme Folgen haben. Zumindest so dicht über dem Meer. Um seine Angst zu bekämpfen, zählte sich Bendikson die Vor- teile dieser komplizierten Maschine gegenüber einem Starrflüg- ler auf. Man denke nur an die Probleme der Reduktion und des Getriebes: Verminderung der dreitausendzweihundert Umdre- hungen in der Minute des Motors auf dreihundertzwanzig Um- drehungen des Hauptrotors durch das Planetengetriebe, dann die Übertragung einer nach Verminderung höchst stabilen

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Drehbewegung auf den Heckrotor unter einem Winkel von neunzig Grad und einer Achsenführung über ungefähr zehn Rol- len. Ein wahres Wunderwerk der Technik! Dauernde Kontrolle und gute Schmierung waren notwendig. Sollte sich nur ein ein- ziges Lager festfressen, käme es unweigerlich zur Katastrophe. Die Beleuchtung der Instrumente und der Widerschein der Positionslichter in den Plexiglasscheiben blendeten ihn. Er warf einen Blick über die Schulter. »Haltet die Augen auf, ja?« Alle nickten, doch das war leichter gesagt als getan. Dicke Tropfen platschten an die Scheibe der Kanzel, rannen nach allen Seiten davon, um vom Fahrtwind fortgerissen zu werden. Da sie Licht reflektierten, zauberten sie eine leuchtende Korona auf die »Guillotine«, wie Piloten die sich drehenden Rotorblätter nennen. »Kannst du niedriger gehen?«, fragte Jensen. »Noch niedriger?« Ein plötzlicher Windstoß hatte den Heli- kopter nach unten gedrückt, so dass für einen Augenblick die dunkle, aufgewühlte See wie eine schwankende Gebirgsland- schaft in bedrohliche Nähe kam. »Festhalten!« Bendikson riss den Steuerknüppel in letzter Sekunde hoch. Bisher hatte er es mit einem starken, gleichmäßigen Sturm zu tun gehabt. Jetzt stolperte sein Heli von einem Luftloch ins nächste. Die Maschine sackte ab, fiel in einen rabenschwarzen Schacht, stieg wieder auf. Bendikson rauschte es in den Ohren. Dann hatte sich der Heli wieder gefangen, bis sie über den Kamm der nächsten Luftwelle sausten. »Du bist ja ganz grün im Gesicht«, sagte Han. »Kümmere dich um deinen eigenen Kram!«, zischte Jensen. »Hab ’ne lange Nacht gehabt, das ist alles.«

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Erst packte der Regen nach dem Plexiglas der Kanzel, dann der Hagel. Regen mag ja gehen, aber Hagel? Das Getöse der pras- selnden Körner war so gewaltig, dass es das Motorengeräusch übertönte. Jensen hielt sich die Ohren zu, selbst Gunnar schluckte, wie er es sonst nur tat, um den Überdruck in seinen Gehörgängen auszugleichen. »Gottverdammt, wofür riskieren wir unser Leben? Wenn sie abgestürzt sind, dann sind sie längst Tango-Oskar-Tango. Wir sollten den Einsatz abbrechen!« »Geht leider nicht.« Bendikson sah hinaus. In der uferlosen, tobenden See erschien das weiße, harte Licht der Blitze doppelt so grell. »Es ist scheint sich um das Flugzeug eines wichtigen Men- schen zu handeln.« »Und?«, fragte Han. »Er wird genauso ersaufen wie jeder andere Mensch.« »Trotzdem müssen wir ich ihn suchen.« »Weißt du, was wir müssen?«, jaulte Jensen. »Hier heil wieder rauskommen, Mann, heil wieder rauskommen.« »Mach halblang.« Bendiksons Gesicht glühte dämonisch im roten Schein der Instrumentenbeleuchtung. »Sollten wir diesen Einsatz überleben, dann werde ich Frithjof gehörig den Marsch blasen. Um Gottes willen, seht euch das an!« Es war kein gewöhnlicher Sturm, es war ein schweres Unwet- ter, das über dem Meer tobte. Wahre Feuergarben schossen aus den Wolken heraus. Selten hatte er aus seinem Cockpit derart bedrohlich wirkende Wolkenburgen gesehen. Weit und ausgedehnt schienen sie, schwarz-violett und unheimlich, durchbohrt vom grellen Flackern der Blitze. »Festhalten, Jungs!«

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Jetzt waren sie schon mitten drin in der schwarzen Masse. Der Orkan prallte an die Metallwände der Kabine, als wolle er sie eindrücken, er riss am Heckruder, dass der Steuerknüppel in Bendiksons Hand vibrierte. Er hatte in diesem Moment nicht mehr zu steuern, sondern schwere körperliche Arbeit zu leisten. Immer wieder entglitt ihm der Heli und er musste sich bemühen ihn aufzufangen – ein Kunststück, denn der Steuerknüppel begann sich mit irrwitziger Geschwindigkeit zu drehen. »So was hab ich noch nie gesehen!«, brüllte Jensen. »Das ist ja Wahnsinn!« »Sei froh«, brüllte der Pilot zurück, »dass du überhaupt noch was siehst.« In so einer pechschwarzen Suppe ist ein Hubschrauberpilot hilfloser als ein Autofahrer, der mit hundertfünfzig Stundenkilo- metern in eine Nebelwand fährt. Es gibt weder oben noch unten und ohne Blindfluginstrumente war man geliefert. Funkfeuer, Radar und Kontakt zum Flugverkehrsleiter waren unerlässlich, um die nächsten Minuten zu überleben, oder dieser verflixte Sea Hawk-Infrarotsensor, mit dem der Hubschrauber bald bestückt werden würde, doch in diesem Moment hatte Bendikson nichts, nur neue Probleme: Blauweiße Flammen loderten plötzlich knatternd über der Nase des Helikopters und vollführten vor der Kanzel einen unheimlichen Tanz. »Elmsfeuer!«, rief Bendikson, um Han zu beruhigen, doch der brüllte bereits, als säße ihm Sedna persönlich im Nacken. »Guutiga illiwi, beschütze uns vor dem Bösen!« Jensens Gesicht sah im Widerschein der zuckenden Flammen aschfahl aus. »Wir werden alle sterben«, murmelte er monoton vor sich. »Wir werden alle …« »Nein, werden wir nicht!« Ohne Vorwarnung drückte der

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Pilot die Maschine so lange nach unten, bis die blauen Flammen züngelnd verloschen. Geblendet, unfähig die Tourenzahl abzulesen, musste Ben- dikson sie nach Gehör abschätzen. Noch eine Leuchtgarbe, ein Sprühen des Metallrotors, und es war geschafft: Die wilden Wir- bel gingen in eine erträgliche Böigkeit über. »Juchhe!«, rief Jensen. »Wir sind durch!« Han hob beide Da- men, doch seine Freude währte nicht lang. Hatte der Pilot eben noch Mühe gehabt, die Maschine zu drücken, fiel sie jetzt plötz- lich wie ein Stein nach unten, der Zeiger des Höhenmessers lief wie rasend zurück. »Leistungszufuhr!«, brüllte Gunnar. »Abfangen, Mann! Fang sie ab!« Bendikson hatte längst reagiert. Seine Pitchhand zog, vergrö- ßerte den Anstellwinkel der beiden Hauptrotorblätter, während seine Rechte den Steuerknüppel vorwärtsdrückte. Erneut fiel die Drehzahl zusammen. Die Männer hörten es an dem tiefen, röhrenden Ton der sechs Zylinder und bissen die Zähne zusammen. Sie konnten nur hoffen, dass die Strömung nicht plötzlich abreißen und infolgedessen den Motor abwürgen würde, auch das war schon bei Rettungseinsätzen passiert, und das Meer vergab keine Fehler. Dass das waghalsige Manöver schließlich gelang, war allein Bendiksons großer Erfahrung zu verdanken: Er drückte den Steuerknüppel impulsiv bis zum Anschlag nach vorne und brachte so den Motor auf Touren. Drücken – ziehen – drücken. »Shit! Was ist denn das?« Jensen drückte sein Gesicht an die Scheibe. In dem Luftraum vor ihnen manifestierten sich eisig blitzen- de Schleier. »Schnee«, seufzte Bendikson, und im nächsten Moment hörte

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er bereits die Eiskristalle im Quirl der Rotorblätter umherwir- beln. »Jungs, eins sage ich euch, das ist der tiefste Tiefflug mei- nes Lebens.« Unter Aufbietung all seines Könnens gelang es ihm endlich den Unfallort anzusteuern. Die Boje, die der Pilot vor der Was- serung abgesetzt hatte, war ein blinkender roter Stecknadelkopf in den kochenden Fluten. Hier in einer Tiefe von fünf bis zehn Metern lag wahrscheinlich das Wrack. Von überlebenden Passa- gieren war nichts zu sehen, keine Schwimmwesten, keine Wrack- teile, nichts, selbst der starke, ferngesteuerte Scheinwerferkegel leuchtete vergebens in die dunklen Wellentäler hinein. Schwe- bend tastete sich der Rettungshubschrauber vorwärts. »Nicht zu steil kommen!«, warnte Gunnar. »Gleitwinkel ein- halten! Mehr drücken!« »Ja, schon gut.« Bendiksons Arme übertrugen seine Gedanken auf die Steuerorgane, sie drückten und zogen den Pitch, korri- gierten den Knüppel. »Licht aus!«, brüllte er und schaltete die Instrumentenbe- leuchtung aus. Was er jetzt brauchte, waren keine Barometer-, Temperatur- und Druckanzeigen, keine Drehzahl-, Fahrt- und Höhenanga- ben, sondern in erster Linie gute Sicht. Jede noch so kleine Lichtquelle spiegelte sich in den gebogenen Scheiben der Kanzel und hinderte den Blick nach draußen. Er schaltete auch das grell blinkende Anti Collision Light aus, es war überflüssig, denn er würde hier über der tobenden See keinem anderen Flugzeug begegnen. Der Heli schwebte jetzt mit drehenden Rotoren über der Boje, die wie ein Irrlicht unter ihm tanzte. »Da! Ich kann es sehen!« Ganz langsam formten sich Kontu- ren aus, nichts Plastisches, nur eine geringe Farbabstufung wie

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auf einer stark unterbelichteten Schwarz-Weiß-Fotografie: der Schemen eines Flugzeugs, ein dunkelgraues Nachbild auf einem schwarzen Schirm. Es war nur zu sehen, weil noch immer die Positionslichter brannten. »Sie kann nicht besonders tief liegen«, meinte Gunnar. »Das Leitwerk ist gut zu sehen. Ich schätze mal, das sind keine zwei Meter.« »Vielleicht hängt sie irgendwie fest«, mutmaßte Jensen. »Oder sie hat Luft im Bauch«, meinte Bendikson lakonisch, »und die wartet nur darauf, wie ein gigantischer Furz zu ent - weichen …« Jensen blickte entsetzt auf. Er wusste genau, was das bedeutete: Wer immer in der Kabine war, ja, nur am Rumpf des Flugzeugs würde mit in die Tiefe gerissen … »Alles klar, Jensen?« Der Daumen seiner Pitchhand dirigierte den Lichtstrahl wei- ter nach unten. »Verdammt, Gunnar, kannst du irgendwas sehen?« »Ja, einen Arsch voller Klippen!« »Genau wie Frithjof gesagt hat.« Das Strahlenbündel kreiste über dem Wasser, ließ den Regen zu weißen Strähnen erstarren, streifte und tastete über die scharf- kantigen Felsen zwischen den Wellenbergen und -tälern hinweg. »Wir können nicht springen«, sagte Jensen, als ob Bendikson das nicht selbst gewusst hätte. »Dann nehmt die Seilwinde!« Das windgepeitschte Wasser stäubte in gewaltigen Gischt böen zu ihnen empor. Der starke Mitraluxstrahl schien jeden Tropfen hyperplastisch hervortreten zu lassen. »Na, dann mal raus mit euch, ihr Höllenhunde!« Im grellen Licht niederfahrender Blitze lief die Bergungs - aktion an. Jede Windenoperation mit einem Hubschrauber über

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dem Meer war gefährlich und erforderte höchste Konzentration und perfektes Zusammenspiel der Besatzung. »Schiebetür auf!« Der Flughelfer hatte bereits Position am Windenhaken bezo- gen. Die Schiebtür glitt zur Seite, und rasende Eiskristalle erfüll - ten schlagartig die Kabine. Jensen klinkte sich als Erster ein. Es war ihm anzusehen, wie unwohl er sich in seiner Haut fühlte. »Worauf wartest du?«, schnaubte Bendikson. Aus seiner Sicht schienen seine Rotorblätter schon fast die Wellenkämme zu ritzen. »Was zum Teufel ist los mit dir?« Han murmelte etwas, er wollte es offensichtlich hinter sich bringen, und Jensen ließ ihm den Vortritt. »Sag deiner Sedna einen schönen Gruß von mir!« »Damit scherzt man nicht, Mann!« »He, wer scherzt denn hier? Wenn es Sedna gibt, haben wir ihr eine Menge zu verdanken, oder nicht?« Han nickte stumm. »Winde ab!« Während das Stahlseil mit Han abwärtszischte, bemühte sich Bendikson unentwegt um Schwebeflug-Steuer- korrekturen. Es war nicht leicht, denn der Wind drohte ihn immer wieder gegen die Klippen in den aufgewirbelten Wasser- massen zu schleudern. »Er ist unten!« brüllte Gunnar. Obwohl Han an einem Stahlseil hing, war es wie im freien Fall in die Tiefe gegangen. Es war ihm, als würde er in den Rachen einen fauchenden Untiers stürzen – ein lebender Schall- trichter, der im Moment des Eintauchens plötzlich verstummte. Er drang nur wenige Meter unter die Wasseroberfläche, und schon war alles friedlich und still. Han klinkte sich aus, sah sich um: Die weiße Cessna erstrahlte in ihrer Unversehrtheit wie eine unwirkliche Erscheinung. Sie hing auf einer unterseeischen Klip- pe, die an eine schlackebedeckte Variante von Neptuns Dreizack

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erinnerte. Wie lange sie sich so halten würde, war schwer zu sagen. Der Rumpf knirschte gelegentlich in der Gabel, wenn sich die Haut des Flugzeugs am Felsen scheuerte, als ob es von einer Strömung leicht angehoben würde. Das war alles andere als eine stabile Position. Han ahnte, er hatte keine Zeit zu verlieren. Er wollte gerade losstrampeln, als etwas pfeilgerade in einem Schwall Luftblasen an ihm vorbeizischte. Zwei Taucherlampen flammten auf, sie illuminierten Jensens Sil houette. Er hatte offenbar seine Angst überwunden und war gesprungen. Den Handzeichen nach zu urteilen, war alles okay. Na, dann mal los … Die weißen Tragflächen der Cessna leuchten in diesem Moment auf, denn Bendiksons Lichtkanone strahlte durch die Wassermassen zu ihnen hinab. In schnellem Beinkraulschlag näherten sich die Taucher dem Flugzeug. Noch immer war nichts von einer Beschädigung zu erkennen, man sah die ausgefahrenen Räder, alle Luken waren geschlossen, die Scheiben schienen intakt. Während sich Han an der Luke zu schaffen machte, leuch tete Jensen in eines der Fenster: Der Pilot hing in seinem Sitz, seine Arme erhoben, als wolle er ein Orchester zu dirigieren. Loses Papier, Plastikbecher, ein angebissener Mars-Riegel und ein teu- rer Montblanc-Füllfederhalter, aus dem blauen Tinte austrat, hingen über ihm wie im schwerelosen Raum. Von den anderen Passagieren war nichts zu sehen. Vielleicht hatten sie Glück und saßen im hinteren Teil der Maschine in einer Luftblase fest. Hat- ten diese Maschinen nicht sogar Sauerstoffmasken an Bord? Etwas erschütterte das Wrack. Han hatte die Bolzen der Not- verriegelungen entfernt. Die Konstruktion der Cessna war den Rettungstauchern vertraut, für das Öffnen der Luke brauchten sie in der Regel nicht einmal fünfzehn Sekunden. Han steckte seinen Kopf zuerst in die Kabine. Ein Babyschnuller trudelte

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ihm entgegen, kalkweiße, halbaufgelöste Babywindeln trieben wie mysteriöse Seeschnecken in den Lichtkegel seiner Lampe. Eine traf die Sichtscheibe seiner Brille. Ärgerlich wischte Han den Watteklumpen zur Seite – und erschrak, denn er blickte direkt in das Gesicht einer Frau. Sie kauerte hinter dem Sitz des Piloten, ihr langes blondes Haar wogte wie eine Fächerkoralle. Offenbar hatte sie es noch ge- schafft den Gurt zu lösen, bevor das Wasser sie mit seinen eisigen Fingern erwürgte. Jetzt war sie Tango-Oskar-Tango. Han schluckte unwillkürlich, selbst für einen hartgesottenen Rob- benschlächter und Rohfleischfresser war der Anblick dieser Er- trunkenen kaum zu ertragen. Etwas in ihren weit aufgerissenen Augen war noch immer schrecklich lebendig, es schien ausge- harrt zu haben, all die Zeit war es geblieben, um Han etwas zu sagen, etwas Wichtiges, etwas, dass sie nicht ins Schattenreich der adlivun, der Ertrunkenen, mitnehmen wollte. Was?, dachte Han. Warum ist deine Seele noch hier? Jensen zerrte bereits an seiner Schulter. Für ihn war die Sache gelaufen, doch Han spürte, er musste bleiben. Er machte Jensen ein Handzeichen zu verschwinden und näherte sich der weib - lichen Leiche. Wie bei dem Piloten waren auch ihre Hände in ihrer letzten Bewegung erstarrt. Sie schienen nach etwas zu grei- fen, etwas, das der Frau entglitten war und das sie wieder auf- fangen wollte. Der Rumpf scheuerte in diesem Moment heftiger über die Felsen, und Han bemerkte für den Bruchteil einer Sekunde eine schwache Bewegung im Schatten der Frau. Natürlich, das Kind! Han hätte es gleich wissen müssen. Er richtete seine Taucherlampe darauf und erschauderte, als er das Baby zwischen den Beinen der Mutter auftauchen sah. Als es der Schein der Lampe erfasste, hob es den Kopf, blinzelte und ver-

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suchte sich dann mit unbeholfenen Bewegungen unter dem Stuhl zu verkriechen. Die Sitzheizung war offensichtlich noch an. Es atmet unter Wasser, fuhr es Han durch den Kopf. War das nicht üblich bei Babys? Nein, bei Sedna, der großen Mutter des Meeres, dieses kleine Wesen war anders. Während die Cessna sich mit einem lang gezogenen Quiet- schen in der Felsgabel drehte, ein Zacken brach und die rechte Tragfläche bereits ins Nichts abkippte, hatte Han für einen Mo- ment die Kiemenspalten am Hals des Babys gesehen. Auch jetzt noch, als er sich bückte und nach dem Baby griff, hatte er nur Augen für diese organische Monstrosität, den dunklen, sich be- wegenden Spalt zwischen Ohrmuschel und Halsansatz. Sednas Kind. Ein Kind des Wassers. Hans Puls ging schneller. Es ist uns ein Wunder geschehen! Die alten Legenden hatten Recht: Ein Wassermensch würde dem Volk der Inuit den Weg aus der Sklaverei weisen. Dem großen Torngarsuk sei Dank! Fast glücklich presste er das Baby an seine Brust. Dann stieß er sich von dem Flugzeug ab. Suka, suka! 3 Und während das Grab der Eltern langsam von der Klippe rutschte und sank, strampelte Han dem weißen Licht an der Meeresoberfläche ent- gegen.

3 Inukitut (Sprache der Inuit): Schnell, schnell!

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Wir erleben eine Art Endspiel um die Eiskappe. – DR. WALT MEIER, National Snow and Ice Data Center, April 2009

Als Folge des anthropogenen Klimawandels wird der Eisschild Grönlands mit hoher Wahrscheinlichkeit abschmelzen. – NATURE, Vol. 428, 8. 4. 2004

Berlin, Bundesumweltministerium, 14 Uhr 30

Die Pressekonferenz hatte gerade begonnen, als dicke Tropfen auf das Podium fielen und zwischen den Mikrofonen der Sende- anstalten zerplatzten. Ein Sprecher des Umweltministeriums hob den Kopf, stutzte. Ein Tropfen landete genau auf seiner Brille. »Na, so was«, sagte er, »könnte mal jemand die Dusche abstel- len?« Dann hatte es auch die hochempfindlichen Membrane sei- nes Mikros erwischt, in den Lautsprechern prasselte es jetzt wie trockenes Holz im Kamin, es wurde lauter und lauter, bis sich schließlich ein wahrer Wasserschwall auf die versammelte Jour- naille Berlins ergoss. Als käme hinter der abgehängten Decke

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ein Feuerwehrschlauch zum Einsatz, so heftig spritzte das Was- ser aus den Spalten herab. Mit Hochdruck fegte es Aktenkoffer, Kameras und Diktafone zur Seite und bildete einen meterlan- gen, wabernden Vorhang zwischen der ersten und zweiten Stuhl- reihe. Die wasserscheuen, unrasierten Vertreter der Presse stoben wild auseinander – Stühle und teure Klapprechner purzelten zu Boden, umherfliegende Kaffeebecher und angebissene Crois- sants verliehen dem Ganzen eine komödiantische Note. Erst als ein Scheinwerfer über dem Podium explodierte und sich ein Geruch wie von verschmorter Elektrizität breitmachte, waren Panikschreie zu hören. Vom Gang aus konnte Jenna sehen, wie die in Zivil gekleide- ten Sicherheitskräfte versuchten, die Lage unter Kontrolle brin- gen. Sie befand sich in einer stillen Bucht des Mediengewoges, das jenseits des Wellenbrechers einer verkeilten Stuhlreihe den Raum wie ein Donnerwetter erfüllte. In dem allgemeinen Tu- mult hatte sie plötzlich eine Vorahnung, wie das befürchtete »Absaufen der Welt« aussehen würde: Das Wasser war ein unbe- rechenbarer Gegner, der blitzschnell und überraschend aus allen Richtungen zuschlagen konnte, ein gefallener Engel der Lüfte, ein feuchtkalter Dämon, dem kleinste Risse genügte, um Mauern zu sprengen und solide Fundamente zu unterspülen. In Ham- burg – kaum drei Wochen her – war das Wasser aus Tausenden von Kellern gekommen. In Nordfriesland kletterte es des Nachts ohne jede Warnung über die Deiche, stieg über die Kronen hin- weg und ertränkte die Ernte. In Oldenburg schüttete es für vier- undzwanzig Stunden sintflutartig vom Himmel, bis die Stadt in einem Schlammbad versank. Viele Landstraßen in Schleswig- Holstein standen seitdem unter Wasser, jetzt meldete auch Dres- den Land unter, die Elbe war erneut über die Ufer getreten. Doch all das wurde von den staatlichen kontrollierten Medien

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heruntergespielt. Die Chefredakteure der großen Nachrichten- magazine versuchten so bei unterschiedlichen politischen Lagern zu punkten. Jenna wusste das nur zu gut, denn sie gehörte zu einer gefürchteten Gruppe von Öko-Aktivisten, die die Ver- flechtung medialer und wirtschaftlicher Interessen öffentlich anprangerte. Die holistische Dimension der globalen Erwärmung war ihr vollauf bewusst. Ungeachtet aller warnenden Vorzeichen in den vergangenen Jahrzehnten hatte die Industrie weiterhin kräftig Reibach gemacht, um nun die Kosten der Klima-Stabilisierung dem Steuerzahler zu überlassen. Wie bei der Bankenkrise, die- sem Armutszeugnis einer an Unfähigkeit und Eitelkeit kranken- den Finanzelite, hatte der Staat die Verluste zu tragen, nicht die Verantwortlichen. Dasselbe Bubenstück versuchten die Regie- renden jetzt mit der Umweltmisere. Die Schmelze des Grönland - eises kam der Regierung wahrscheinlich nicht ungelegen, um von den wirtschaftlichen Problemen im eigenen Land ablenken zu können. Ob die eigenen Bürger inzwischen in Zelten und Notbehelfen hausten, war der Regierung offenbar gleich. Der Störung der Pressekonferenz gehörte zum Glück einer anderen Kategorie an: Ein Ministeriumssprecher sprach von einem »ordi - nären Wasserrohrbruch im dritten Obergeschoss«, der Haupt- hahn sei abgedreht worden, die Monteure schon unterwegs. Kein Grund zur Beunruhigung, alles unter Kontrolle. Der Wasserfall vor dem Pult versiegte tatsächlich allmählich. Zwar tröpfelte es noch hier und da vor sich hin, doch die Jour- nalisten hatten sich von ihrem anfänglichen Schrecken wieder erholt. »Sie haben Glück gehabt, Gnädigste.« »Bitte?« Als Jenna den Kopf drehte, sah sie ein halbes Gesicht, die andere Hälfte war von einem Kameragehäuse verdeckt. Es

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war etwas Merkwürdiges an diesem Gesicht, und es lief auf die Frage hinaus, welcher Blick kälter war, der des Kameraobjektivs oder der seines starren hellgrünen Glubschauges. Der kahl rasierte, von Pigmentflecken gesprenkelte Schädel kontrastierte scharf mit dem weißen Knopf in der Ohrmuschel und einem gleichfarbigen Spiralkabel, das unter einem Seidenchoker ver- schwand. »Sie sind nicht nass geworden. Erstaunlich. Als ob Sie es gewusst hätten.« »Hören Sie auf mich zu filmen!« »He, für wen halten Sie sich – Erin Brockovich?« »Fast richtig getippt.« Jennifer Resch – kurz Jenna genannt – fuhr mit einer raschen Bewegung durch ihr blondes, kurz geschnittenes Haar. Es wirk- te stachlig wie Johnny Rottens legendäre Punkrock-Frisur, doch passte zu ihrem Gesicht, das sich dem Kameramann in diesem Moment im Profil darbot: Das Objektiv erfasste eine vorwitzige Stupsnase über einem schön geschwungenen Mund, aus dessen Winkeln sich gelegentlich ein spöttisches Grinsen wurmte. Schwere Kajal-Schwalbenschwänze zierten die runden Augen, deren Farbe der Chip nicht deutlich erkennen konnte. Sie schie- nen grau, dunkelgrau, doch war es gut möglich, dass sie von der seltenen Sorte Blau waren, das in der Sonne wie Azur aufleuch- tete. Die Piercings in ihrem Gesicht waren ebenso echt wie der Camouflage-Regenmantel von Dolce&Gabbana. »Sind Sie … wie sagt man – so eine von diesen Gruftie- Schnecken?« »Wieso?« »Na ja, ich komme aus Leipzig, ich kenne die Gothenszene ganz gut. Jedes Jahr gibt es da dieses Treffen. Die Stadt wimmelt dann von Typen, die aussehen, als wollten sie zum Dracula-Ball …«

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»Sagen Sie – wollen Sie etwas von mir?« »Nun, weil Sie so freundlich fragen: Ich möchte gerne Ihre Einladung sehen.« Der Sicherheitsmann nahm das Auge kurz vom Sucher. »Falls Sie keine haben, tut’s auch ein Presseausweis.« »Dürfen Sie das überhaupt?« Sie griff in ihre Manteltasche, suchte den Brief des Ministeriums. »Wir dürfen alles, das wissen Sie doch.« »Oh, ist es schon wieder so weit?« Jenna faltete den Brief aus- einander und überreichte ihn dem Quälgeist mit einem ironi- schen Augenaufschlag. »Alfred-Wegener-Institut, Polarforschung. Ist der auch echt?« Sie konnte sehen, wie seine Finger das Prägesiegel befühlten. »In Ordnung.« Etwas umständlich schaltete er die Kamera aus. »Tut mir leid, aber wir müssen jede verdächtige Person über- prüfen.« »Und ich bin Ihnen verdächtig?« »Um ehrlich zu sein, in Ihrem Army-Mantel sehen Sie aus, als hätten Sie vor, die Versammlung im Alleingang zu sprengen.« Jenna nickte verächtlich, doch es war nur, um ihre Nervosität zu unterdrücken: Unter dem Mantel verbargen sich zwei einge- rollte Transparente mit höchst subversiven Texten. »Das Wasser war schneller«, meinte sie keck. »Oh, das ist es immer.« Der Mann gab ihr das Schreiben zurück. »Dann entschuldigen Sie vielmals die Störung.« »Wieso entschuldigen Sie sich? Sie dürfen doch alles.« Der Mann drehte sich noch einmal um und richtete eine aus Daumen und Zeigefinger geformte Pistole auf sie: Gotcha, Baby. Es sollte wohl heißen, er würde sie im Auge behalten.

Das Ministerium erwies sich als flexibel. In Windeseile wurden

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sogenannte »Diplomatenschirme« mit aufgedrucktem Bundes- adler verteilt. Nett frisierte Damen reichten heiße Getränke, Snacks und Handtücher. Elektrogeräte wurden mit Zellstoff - tüchern getrocknet, durchnässte Sitze mit Plastikfolien proviso- risch wieder benutzbar gemacht. Die Riege der Umweltpopulis- ten und Vergolder des Klimawandels, die sich gerne selbst als Experten auswiesen, kehrten aufs Podium zurück, setzten ritter- liche Mienen auf oder erfreuten die Journalisten in der ersten Reihe mit Schwänken aus ihrem ach-so-bewegten Leben. »Alles halb so schlimm, meine Damen und Herren. In Bagdad saß ich mal in einer Konferenz, da rauschte eine Cruise Missile direkt über uns rein …« Später hieß es dann hinter vorgehaltener Hand, eine Gruppe militanter Öko-Aktivisten habe mit einer gestohlenen Rohr - reinigungsmaschine verschiedene Wasserleitungen angefräst, um der anwesenden Journaille einen Denkzettel beziehungsweise Vorgeschmack des Klimawandels zu verpassen. Ein Teil der

Saboteure war beim Verteilen von Handzetteln verhaftet wor- den, andere befanden sich noch immer auf freiem Fuß.

»Was für ein Auftakt!« Als Kathrin auftauchte, sah sie aus, als hätte sie in ihren Klamotten geduscht. Eingekeilt von zwei schwergewichtigen Korrespondenten, hatte sie nicht schnell ge- nug aufspringen können. Ihre blau gefärbten, zu einer Trauer- weidenfrisur geflochtenen Zöpfe trieften ihr auf die Bluse, einer ehemals weißen Bluse, die sie sich von Mutti geliehen hatte, um auf der Konferenz einen guten Eindruck zu machen. »Und alles nur, weil ein paar Idioten auf sich aufmerksam machen wol- len …« Mit ihren großen Augen und dem viel zu dunklen Lip- penstift, der ihrem Mund einen bösen Zug verlieh, hatte sie Ähnlichkeiten mit einer Cartoon-Göre.

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»Halt den Rand, Kathrin, hier wimmelt es nur so von Schnüfflern!« »Oh, du meinst den, der uns gerade filmt?« Kathrin schniefte erst eine obszöne Grimasse, dann klappte sie ihren Stinkefinger aus. Jenna runzelte die Stirn, hielt sich aber zurück. Noch vor Jah- ren war sie nicht anders als Kathrin gewesen – dynamisch, spon- tan, immer bereit, den Nackenschlägen des Lebens zu trotzen. Doch inzwischen – nach einem traumatischen Erlebnis im ma- laysischen Dschungel – hatte sie sich einen Panzer zugelegt. Er war nicht sichtbar, nicht greifbar, aber sie wäre auch nicht in der Lage gewesen ihn abzulegen. Vielleicht war sie erwachsen ge- worden. In Kathrins Gegenwart, wenn sie ihre Empörung über die Winkelzüge korrupter Politiker spürte, ging ihr auf, dass sie schon lange nicht mehr zu der jungen, intellektuellen Erreg- nungsgemeinschaft gehörte.

»Weiß man, wer es war?« »Keine Ahnung«, sagte Jenna. »Irgendeine beknackte Chaoten- fraktion! Vermutlich dieselben Typen, die den letzten G8-Gipfel zum Schlachtfeld gemacht haben.« »Chaoten.« Kathrin warf einen verächtlichen Blick über die Schulter. »Autonome, Randalierer, gestörte Weltverbesserer und die übliche schwarz vermummte Zeckengemeinde. Hauptsache Stunk – und nach uns die Sintflut!« Sie stampfte einmal auf den durchweichten Teppichboden. »Die Polizei ist jedenfalls draußen mit einer Hundertschaft aufgekreuzt. Es gibt an den Ausgängen Personenkontrollen. Die passen auf wie die Schießhunde.« »Dann sollten wir die Aktion besser abblasen, solange wir noch können.« Jenna presste die eingerollten Transparente fest unter ihrem Mantel zusammen. Auch Kathrin zählte zu einer

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Gruppe von Aktivisten, denen es – nach langer Vorbereitung – gelungen war, die Konferenz zu infiltrieren, um das abgekartete Spiel – so nannten sie es in ihrer WG – aufzumischen. Beide Frauen, hauptberuflich Studentinnen einer naturwissenschaft - lichen Fakultät, hatten viel riskiert. Falls sie auffliegen sollten, hätte schon die Fälschung der Presseausweise ein gerichtliches Nachspiel gehabt. Für die Einladungen hatte Kathrin angeblich sogar mit einem netten, jungen PR-Berater des Ministers ge- schlafen. Dass er so ausgesehen hatte wie Justin Timberlake, wäre nur ein schwacher Trost, falls sie jetzt unverrichteter Dinge abziehen würden. »Was machen die anderen?« »Tja, Jens und Theo haben schon aufgesteckt.« »Wie – aufgesteckt?« »Na ja, du weißt ja, wie die sind. Jens meinte, wir bräuchten ihn nicht, um ein Transparent aufzurollen und es in eine der Kameras zu halten. Und Theo wollte noch seine Mutter besu- chen. Sie hat heute Geburtstag. Fiel ihm anscheinend noch rechtzeitig ein.« Jenna nickt stumm, sie war von Öko-Aktivisten nichts ande- res gewohnt. Die meisten hielten es für eine hippe Freizeit - beschäftigung, sich für irgendeine gute Sache zu engagieren. »Blutige Amateure. Und was ist mit Pia?« »Pia sitzt am Ausgang. Die Wachleute haben ihr einen Stuhl organisiert, damit sie bequemer demonstrieren kann. Einer hält ihr sogar das Transparent. Sie hat, glaube ich, wieder eine Seh- nenscheidenentzündung.« »Schon gut«, seufzte Jenna, »das heißt, wir sind allein.« »Das heißt es, Schwester! Aber tröste dich, du weißt ja: Sisters are doing it for themselves.« »Nicht mehr lange«, sagte Jenna. »Ich habe es satt.«

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»Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Der Bundesumweltminis- ter!« Die extra angeschleppten Scheinwerfer leuchteten auf, und in ihrem grellen Licht schienen die letzten Tropfen auf den Regen- schirmen zu verdampfen. Hemdsärmelig und lässig pochte der Minster einmal kurz an eines der Mikrofone, und der Stimmen- wirrwarr brach in sich zusammen. »Ich will es kurz machen, meine Damen und Herren. Wir stehen womöglich vor einer globalen Hochwasserkatastrophe, die genau hier ihren Ursprung hat …« Hinter der fülligen Figur des Ministers tauchten mehrere Satellitenbilder auf. »In Grönland. Diese Aufnahmen belegen einen extrem rück- läufigen Meereisbedeckungsgrad und die wohl rasanteste Inland- eisschmelze des Planeten. Sollte sich der Trend fortsetzen, müs- sen wir hier in Europa in nur einem Jahr mit einem Anstieg des Meeresspiegels um drei Meter rechnen. Sollte die gesamte Eis- decke Grönlands verschwinden, werden noch mal vier Meter dazukommen. Wir wissen noch nicht genau, wie die Folgen aus- sehen werden, doch die Welt, wie wir sie heute kennen, wird es dann nicht mehr geben.« Es erhob sich augenblicklich ein Gemurmel im Raum. Auch Jenna und Kathrin waren von dieser Mitteilung überrascht. Grönlands Eisschmelze war ein allgemein bekanntes Faktum. Ein fünfzigköpfiges Forschungsteam des Alfred-Wegener-Insti- tuts hatte im Jahr 2007 ermittelt, dass das Meereis um Grönland herum nur noch halb so dick war wie im Jahr 2001. Zu diesem Zeitpunkt verlor das Eis noch jährlich fünfzig Kubikkilometer an Masse. Der Anstieg der Temperatur an den Polkappen reichte nicht aus, diesen Schwund zu erklären, doch die Klimaskeptiker hatten die Entdeckung heruntergespielt.

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»Was wollen Sie damit sagen?«, rief jemand dazwischen. »Dass ein Walross auf Grönland einen krachen lässt und hier wackelt die Hütte?« Auf dem pausbäckigen Gesicht des Ministers zeigte sich ein verkniffener Mund. »Viel Land, sehr viel Land wird verschwin- den.« Er gab einem der Experten ein Zeichen. Neue Grafiken tauchten auf, geografische, in denen die Konturen der Konti- nente merkwürdig zu schrumpfen begannen. »Sehen Sie, hier und hier … Diese Daten hat uns die NASA geschickt. Sollte das gesamte grönländische Inlandeis abschmelzen, haben wir glo- bal ein massives Problem. Am schlimmsten wird es die Küsten Europas und Nordafrikas treffen.« »Wie gesichert sind diese Daten?« Ein nervös zuckender Kugelschreiber ging in die Luft. »Sehr gesichert. Wir konnten sogar einen Ausgangspunkt der Schmelze ermitteln.« »Und – gibt es dafür eine Erklärung?« Der Minister räusperte sich. »Wir haben für diese punktuelle Schmelze keine Erklärung. Das Zentrum scheint im Nordosten zu liegen, in der Nähe des Waltershausen-Gletschers, etwas unter siebzig Grad nördlicher Breite. Dort gibt es nichts, rein gar nichts, nur einen über dreitausend Meter dicken Eispanzer.« »Und das finden Sie unerklärlich?« Ein Meteorologe zu seiner Linken wedelte mit einem Haufen Papier. »In der ganzen Arktis herrscht Tauwetter! Ein derartig geringes Eisvolumen hat es seit achttausend Jahren nicht mehr gegeben.« »Was wollen Sie damit sagen?« »Dass all unsere Klimamodelle versagt haben! Was sich in den polaren Regionen abspielt, ist eine klimatische Mutation.« »Eine Mutation?« Der Minister versuchte ein skeptisches Lächeln.

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Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100 Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifizierte Papier Holmen Book Cream liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

Originalausgabe 12/2010 Copyright © 2010 by Cord Hagen Copyright © 2010 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA International GmbH Autoren- und Verlagsagentur, Herrsching Printed in Germany 2010 Redaktion: Heiko Arntz Umschlagabbildung: © Ruud Baan Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-453-43257-1

www.heyne.de UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Cord Hagen Aquagene Roman

ORIGINALAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 512 Seiten, 11,8 x 18,7 cm 2 s/w Abbildungen ISBN: 978-3-453-43257-4

Heyne

Erscheinungstermin: November 2010

Was braucht der Mensch, um im Wasser zu überleben?

Das rasante Abschmelzen der grönländischen Gletscher führt zu einer Überflutung der europäischen Küsten. Zugleich beginnt ein Wettrennen um die Bodenschätze der Arktis. Als die Umweltaktivistin Jenna Resch unschuldig ins Fadenkreuz von Antiterrorfahndern gerät, gelingt ihr in letzter Sekunde die Flucht nach Grönland. Doch dort herrscht bereits Krieg: Die Inuit kämpfen gegen die Erdölindustrie.