Zur Mikropolitik rund um den „Ortstafelsturm“ in Kärnten 81

Peter Gstettner () „...wo alle Macht vom Volk ausgeht“. Eine nachhaltige Verhinderung. Zur Mikropolitik rund um den „Ortstafelsturm“ in Kärnten.

Im Herbst 1972 erschütterte der „Ortstafelsturm“ die politische Landschaft Österreichs. Anlass war die Aufstellung deutsch- und slowenischsprachiger Ortstafeln in Südkärnten. Zuvor war im Wiener Parla- ment mit Stimmenmehrheit der sozialdemokratischen Partei ein Gesetz über die topografischen Auf- schriften beschlossen worden. In Kärnten gingen radikale deutschnationale „Heimatschützer“ auf die Straße, um die aufgestellten zweisprachigen Ortstafeln gewaltsam zu entfernen. Ein Großaufgebot von Gendarmerie konnte gerade noch verhindern, dass es zu größeren Ausschreitungen kam. Der Terror der Straße endete erst, als die Regierung bereit war, auf die Neuaufstellung der Ortstafeln zu verzichten und eine Novellierung des Gesetzes vorzunehmen. Eine konkrete Analyse des Geschehens, die hier erstmals anhand von Archiv- und Aktenmaterial durchgeführt wird, kann zeigen, wie minderheitenfeindliche Agi- tation das staatliche Handeln bis zur Einschränkung von demokratischen Rechten deformieren kann. Dies erklärt auch, weshalb der Staatsvertrag von 1955 in Kärnten bis heute nicht voll erfüllt ist.

Keywords: Kärnten, Ortstafelsturm, Minderheitenpolitik, Minderheitenrechte , place-name sign storm, minority policies, minority rights

Auf dem Rücken der Minderheit: das durch das Urteil des Verfassungsgerichtshofes Ortstafel-Nullsummenspiel am Rande (VfGH-Urteil vom 13. Dezember 2001) über die Europas Aufhebung der 25%-Klausel für zweisprachi- ge topografische Aufschriften eine „Revision Die Regierenden, seit dem Staatsvertrag von der Volksabstimmung von 1920“. Durch das 1955 säumig in der Umsetzung von Minder- Gespenst einer neuerlich „drohenden Sloweni- heitenrechten, seit 1972 besonders ängstlich und sierung“ sollen (vordergründig) Ressentiments unwillig in der Realisierung der zweisprachi- gegen die slowenische Minderheit und ihre gen Topografie, sind auf der Suche nach Sün- Rechte und (hintergründig) eine Aversion ge- denböcken für ihr Versäumnis, die Gesellschaft gen die europäische Erweiterung nach Süden Kärntens multikulturell, europareif und zu- und Osten erzeugt werden. kunftsorientiert zu gestalten.1 Statt im neuen Nach den Nationalratswahlen im Herbst Jahrtausend europäische Modernität zu demon- 2002 kehrte die Kärntner FPÖ-Führung in die strieren, werden Abwehrkampf- und Bunker- Niederungen der heimischen Politik zurück. Die stimmung erzeugt (vgl. Gstettner 1988; Fischer/ Wahlniederlage der Haider-FPÖ vom 24. No- Gstettner 1990). So wie 1972, als der Ortstafel- vember 2002 bekommt nun die slowenische sturm das zart aufkeimende Pflänzchen „zwei- Minderheit in Kärnten empfindlich zu spüren. sprachige Ortstafeln“ ausriss und hinwegfegte, Um vom wirtschafts- und kulturpolitischen werden heute wieder Assoziationen zum histo- Desaster im Lande abzulenken, wird die Min- rischen Abwehrkampf aufgewärmt: Nach An- derheit zur Zielscheibe von Aggressionen und sicht des Kärntner Landeshauptmannes drohe Repressionen: Das Minderheitenradio „Radio

Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP), 33 Jg. (2004) H. 1, 81–94 82 Peter Gstettner dva“ wird „zugedreht“. Auch der andere feld der Landespolitik - und werden dafür vom Minderheitensender, das „Radio Agora“, steht Kulturamt des Landes finanziell unterstützt.2 vor dem Aus. Der Kampf gegen die gesetzlich Wenn es also nach Haider bzw. nach den geforderte Ausweitung der Ortstafelregelung „Heimatverbänden“ geht, dann wird in Kärn- wird intensiviert. Die Agitation gegen weitere ten das VfGH-Urteil negiert und keine einzige zweisprachige Ortstafeln wird vom Landes- neue zweisprachige Ortstafel aufgestellt. hauptmann selbst vorangetrieben. Haider wört- Gegenteilige Meinungen wären, so der KHD in lich: seiner Presseaussendung vom 10. Jänner 2003, „nichts anderes als fromme, unerfüllbare Wün- Solange ich bin, wird es keine sche“. zusätzlichen zweisprachigen Ortstafeln geben. Das habe ich gesagt und dazu stehe ich auch. (...) Meine Wegen dieser Nulllösung sind weitere Ent- Überzeugung ist, dass wir nicht in einem Richter- scheidungen des Höchstgerichts zu erwarten, staat leben, sondern in einer Demokratie, wo alle das nun – sofern es angerufen wird – über das Macht vom Volk ausgeht (Zeit für Kärnten, 1/2002, Aufstellen jeder einzelnen Ortstafel ein Urteil 2). zu fällen hat.3 Mit anderen Worten: Im Kampf gegen den „Richterstaat“ (Jörg Haider) hat sich Der FPÖ-Landesparteiobmann Martin Strutz der Kärntner Landeshauptmann bislang durch- versucht sich als Imitator der Stimme seines gesetzt. Dies wäre vermutlich kaum möglich Meisters, nicht ohne bereits die Ortstafelfrage gewesen, hätte er sich nicht in den letzten Jah- als Wahlkampfthematik für die nächste Wahl ren die politischen Vertreter der slowenischen anzukündigen: Minderheit durch Versprechungen und Vergüns- Die FPÖ Kärnten wird alles daran setzen, dass es tigungen so weit gefügig gemacht, dass sie mit zu keiner Aufstellung zusätzlicher zweisprachiger ihm ein Stück des „freiheitlichen Weges“ ge- Ortstafeln in Kärnten kommt. (...) Der freiheitliche gangen sind – jenseits der Berufung auf Staats- Landesparteiobmann verwies darauf, dass in Bezug vertrag, Minderheitenschutz, Rechtsstaat, Ver- auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes fassung und Höchstgericht. absolut kein Handlungsbedarf bestünde und die Anzahl der aufgestellten zweisprachigen Ortstafeln Die Nulllösung in der Ortstafelfrage wird – in Kärnten unverändert bleiben werde. (...) Wer zu- wie vor und nach dem Ortstafelsturm 1972 – sätzliche zweisprachige Ortstafeln in Kärnten ver- mit der Forderung nach einer „geheimen hindern möchte, müsse daher Jörg Haider und die Minderheitenermittlung“ bzw. nach einer neuen FPÖ unterstützen. Dies gelte insbesondere für die Minderheitenzählung verbunden – frei nach dem bevorstehende Gemeinderatswahl im März 2003 Motto: Es kann doch nicht sein, dass eine Min- (Presseaussendung des FPÖ-Landtagklubs, 6. De- zember 2002). derheit, die immer kleiner wird, immer mehr Ortstafeln bekommt.4 Der KHD hat inzwischen Im Umfeld dieses bewährten Spiels agieren weitere Forderungen an die politischen Reprä- die „Heimatverbände“, die sich als Traditions- sentanten der slowenischen Volksgruppe ge- träger des historischen Abwehrkampfes verste- stellt: Die slowenische Minderheit soll klar hen. Ihre Propaganda, koordiniert im Dach- machen, dass die „Scharfmacher“ in ihren Rei- verband „Kärntner Heimatdienst“ (KHD), ist hen „zurückgepfiffen“ werden, dass die Volks- seit 1920 praktisch unverändert. Die Propagan- gruppe künftig „einer Pflege der Partisanen- da weiß auch das traditionelle Verlassenheits- tradition“ entsagt und sich von dem „groß- gefühl der „Kärntner Seele“ zu bedienen: Kärn- slowenischen Nationalismus“ verabschiedet. ten fühlt sich im Abwehrkampf gegen den slo- Mehr wird einstweilen nicht verlangt. wenischen Nachbarn von der Bundesregierung Das VfGH-Urteil, das die verfassungswid- in Wien und von der übrigen Welt verlassen. rige 25%-Grenze für zweisprachige Ortstafeln Einziger Unterschied zu 1920: Damals war der außer Kraft gesetzt hat, stellt eine längst fällige KHD integraler Bestandteil der offiziellen Berichtigung hinsichtlich der gesetzlichen Landespolitik; heute bestimmen unterschwellig Richtlinien für Regionen mit grundgesetzlich KHD und „Heimatverbände“ das gesamte Um- anerkannten Minderheiten dar. Zu verhandeln Zur Mikropolitik rund um den „Ortstafelsturm“ in Kärnten 83 wäre deshalb allenfalls der schrittweise derkehr eines Habitus, der für die Ausübung Umsetzungsmodus, nicht aber die Höhe der deutschnationaler Vorherrschaft typisch ist. Prozentklausel. Eine Prämisse für künftige Statt Aufarbeitung wurde die Mythen- „Konsensgespräche“ müsste auch sein, dass bildung gepflegt. Jeder Mythenbildung liegt das vom Verhandlungstisch alle Vertreter von Grup- Klischee zugrunde, die Kärntner Politik würde pen, seien es private Vereine oder politische alle Maßnahmen im Sinne der breiten Bevöl- Parteien, ausgeschlossen werden, die für ihre kerungsmeinung setzen. Dabei wird „Bevölke- deutschnationale und/oder minderheiten- bzw. rung“ mit jener Deutschkärntner Mehrheits- fremdenfeindliche Einstellung bekannt sind. Ein gruppe gleich gesetzt, die sich „einsprachig“ relevanter Gradmesser für diese Einstellung ist definiert und die in den „Heimatverbänden“ aus der Analyse rund um die Abwehrkämpfe organisiert ist. Dort und nur dort wird über das des Jahres 1972 gegen die zweisprachigen Orts- Inszenieren von „Protesten“ Druck auf die tafeln zu gewinnen. An der Einstellung zu den Landespolitik ausgeübt. Bei entsprechender zweisprachigen Ortstafeln kristallisiert sich soziologischer Betrachtung liegt der Schluss nämlich seit 30 Jahren das Verständnis von De- nahe, dass es jeweils nur eine Minderheits- mokratie und Zivilgesellschaft, von Rechts- fraktion von gut organisierten „Heimat- staatlichkeit und Toleranz. schützern“ ist, die hinter den „Protesten“ steckt und auf diese Weise Politik im Schatten der Re- gierung macht. Dies war beim Schulstreik 1958 Der Mythos der angeblichen „Volks- gegen die gemeinsame zweisprachige Schule erhebung“ gegen zweisprachige Ortstafeln der Fall; dies war beim Ortstafelsturm 1972 der Fall und dies war bisher bei jeder „Protest- Im Jahre 1972 kam es unter dem Druck der bewegung“ gegen kritische Berichterstattung Straße zu einem Ereignis, das in seiner Bedeu- über Kärnten der Fall. Die Lautstärke und die tung für die 2. Republik einmalig war und ist, regierungsamtliche Verbrämung des Protests zum Ortstafelsturm. 1972 konnte ein Bundes- sollen glauben machen, dass „das Land Kärn- gesetz nicht vollzogen werden, weil eine kleine ten“ betroffen sei und „das Volk“ im Begriff ste- Minderheit militanter und intoleranter Chauvi- he, sich zu erheben. nisten strafbare Handlungen gegen die Exeku- Der beliebteste Kärntner Mythos ist der vom tive setzte und weil schließlich die Regierung Ortstafelsturm als spontane Volkserhebung. Die selbst durch die Zurücknahme des Gesetzes die spontane Ortstafel-Volkserhebung, so der ehe- Rechte der Minderheit zu minimieren begann. malige Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Dass dadurch die Autorität der legitimierten Heinz Stritzl, soll eine Folge der verfehlten so- Staatsorgane beschädigt und die Minderheit zialistischen Politik gewesen sein; d. h. be- selbst zutiefst gedemütigt wurde, ist bis heute kämpft wurde im Grund eine sozialistische Po- nicht wirklich bearbeitet; es handelt sich – der litik, die in Wien in „krasser Fehleinschätzung NS-Zeit ähnlich – um eine unbewältigte Ver- der Stimmung in Kärnten“ ein „schlechtes Ge- gangenheit.5 setz gegen Kärnten“ gemacht hätte (Kleine Zei- Da das Trauma „Ortstafelsturm“ nie auf- tung, 6. Oktober 1992). Es sei deshalb durchaus gearbeitet wurde, nimmt es nicht Wunder, wenn verständlich, dass das „latente Unbehagen“ der diese Geschichte Kärnten heute wieder einholt: Deutschkärntner zu „emotionsgeladenen Reak- Die Demontage der Hinweisschilder mit den tionen“ geführt hätte, dass die „aufgewühlten Ortsbezeichnungen „Ljubljana“ und „Udine“ an Gefühle“ schließlich eskalierten und Ortstafeln der Autobahn bei Villach, die Weigerungen des niedergerissen wurden. Kärntner Landeshauptmannes, das VfGH-Ur- Alt-Landeshauptmann Leopold Wagner, der teil über die topografischen Aufschriften zu der eigentliche Profiteur davon war, dass vollziehen, seine Schmähungen des obersten Landeshauptmann Hans Sima über den Orts- Gerichts und seine Drohungen in Richtung tafelsturm gestürzt ist (Sima wurde 1973 als Volksgruppe sind nichts anderes als die Wie- Landesparteiobmann durch Wagner abgelöst 84 Peter Gstettner und 1974 als Landeshauptmann durch Wagner macht wird - das „Erheben des Volkes“ bzw. ersetzt), interpretierte 1989 in einem Interview das Ausheben der Ortstafeln.7 den Ortstafelsturm wie folgt: Ein ehemaliger Ortstafelstürmer (O) im In- terview mit einer Studentin (I): Ich glaube, daß es zum Teil eine spontane Publikumserhebung war. (...) Es ist durchaus das O: Eines stimmt sicher, durch das Mittun des Bür- legale Recht der Bevölkerung, gegen irgendetwas, germeisters war die Aktion bzw. die Aktionen schon das sie als Zwangsmaßnahme ansieht zu demonst- nicht mehr so illegal für uns. Es kann auch sein, rieren. (...) Es ist dem Volk gestattet, sich gegen et- dass viele aus Solidarität mitgetan haben; aber ich was aufzulehnen. Und das hat das Volk gemacht glaube eher, dass alle, die dabei waren, sehr für die (Falter 30/1989, 6). Sache waren... Auch 30 Jahre nach dem Ortstafelsturm sieht I: Für welche Sache? Alt-Landeshauptmann Wagner das, was damals O: Na ja, die Tafeln zu stürmen, Kärnten zu retten... „das Volk gemacht“ hat, als positiv an. Nach (Tonbandabschrift, Archiv d. Verf., SS 1988) dem Ortstafelsturm sei alles zum Besten gere- gelt worden. Ein anderer ehemaliger Ortstafelstürmer, der inzwischen in seiner Heimatgemeinde ein poli- Der Ortstafelsturm wird in der Geschichtsschreibung tisches Spitzenamt bekleidet, im Rückblick nach der Republik sträflichst misshandelt, nur um Kärn- 30 Jahren: ten ein negatives Image zu geben. (...) Die sloweni- sche Minderheit wird nicht unterdrückt, in Kärnten Ich war damals ein begeisterter Anhänger des Kärnt- kann jeder frei leben. Der Staatsvertrag ist in Wahr- ner Heimatdienstes. Der KHD hat den Hass ge- heit erfüllt. (...) Das anerkennen alle bis auf die schürt. Uns wurde eingetrichtert, dass Jugoslawien Kommunisten, die an der Uni Klagenfurt lehren (...) Ansprüche an unser Land stellt, die Grenze nicht (Kleine Zeitung, 3. Dezember 2002). anerkennt. Uns Junge haben sie dann vorgeschickt (Kärntner Monat, Oktober 2002, 33). Positives will auch der KHD-Obmann Josef Feldner 20 Jahre nach dem Ortstafelsturm be- Ob dieser junge Mann, der damals 15 Jahre züglich der Mitwirkung seiner Organisation se- alt war, wirklich „vorgeschickt“ wurde, darf hen. In einer Aussendung des Kärntner Heimat- bezweifelt werden. Er selbst schildert sein Mit- dienstes (KHD) betont Feldner, dass die KHD- tun so: Großkundgebung am Alten Platz am 15. Okto- An einem Herbsttag 1972 war ich mit einem Ar- ber 1972 in Klagenfurt, an der ca. 15.000 Men- beitskollegen auf dem Heimweg nach St. Primus. schen teilgenommen haben, vor allem eines er- Vor dem Gasthaus war eine Menschenmenge. Es reicht habe: Es sei dem KHD gelungen, „den hieß: Heute gibt’s den Ortstafelsturm. Wir sind gleich breiten Protest gegen die verfassungswidrige mitgefahren. Eine Nacht lang waren wir unterwegs, und auf völlig unzulänglichen Grundlagen be- mit 60 bis 70 Autos, von Tafel zu Tafel. Wir haben ruhende Ortstafelregelung in demokratische sie in den Klopeinersee geworfen. Die Ortstafel von Obersammelsdorf habe ich selbst herausgerissen Bahnen zu lenken“ (Kleine Zeitung, 9. Oktober (Kärntner Monat, Oktober 2002, 32). 1992).6 Den Ortstafelsturm als demokratische Zum Mythos von der spontanen, friedlichen Protestbewegung darzustellen, ist ein weiterer Protestbewegung, zu der der Ortstafelsturm Mythos, an dem die Kärntner Politik, heute wie umgedeutet wurde (sei es aus schlechtem Ge- damals, höchst interessiert ist. Ein mit parlamen- wissen oder aus vordergründigen politischen tarischer Mehrheit (allerdings eben „nur“ mit Motiven), gehört auch das Image der Gewaltlo- SPÖ-Stimmen) verabschiedetes Gesetz wurde sigkeit. Nochmals Heinz Stritzl, im Kampf um als „Diktat aus Wien“ interpretiert. Die Aufleh- die „richtige“ Erinnerung nach 20 Jahren: „Es nung gegen das „Diktat aus Wien“ erschien dem muß aber mit dem gebotenen Nachdruck gesagt Volk besonders dann plausibel und legitim, werden, daß Opfer der Gewalt ausschließlich wenn beim Protest die heimischen Politiker mit Ortstafeln waren“ (Kleine Zeitung, 6. Oktober von der Partie waren und vorzeigten, wie’s ge- 1992). Zur Mikropolitik rund um den „Ortstafelsturm“ in Kärnten 85

Ganz ähnlich auch Andreas Mölzer, Sie (die Exekutive) zeigte Verständnis und es kam zeitweise Chefredakteur der Kärntner Nachrich- zu keinen blutigen Auseinandersetzungen. (...) Na- ten und persönlicher Berater von Jörg Haider: türlich gab es auch Handgreiflichkeiten, auch ich erinnere mich, einen Beamten mit den Fäusten atta- Es kam dabei nirgends zu Ausschreitungen, ge- ckiert zu haben, aber das war nicht mehr als eine schweige denn zu Tätlichkeiten gegen die sloweni- Rangelei. Das Fass zum Überlaufen gebracht hätte sche Bevölkerung. Von „antislowenischen Exzes- aber beinahe der damalige Gendarmerieoberst Z, der sen“, wie es in ausländischen Medien danach hieß, androhte, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, kann deshalb keineswegs die Rede sein. Die vielen woraufhin sich die Stimmung verschärft hat und slowenischen Privataufschriften auf Gebäuden im sogar Kommentare zu hören waren wie „das nächs- Grenzland blieben dabei ebenso unbehelligt wie te Mal nimm i a Pistoln mit“. Im Großen und Gan- etwa slowenische Grabsteine (Mölzer 1990, 103).8 zen verhielt sich aber die Exekutive tolerant. Was meines Erachtens damit zusammenhängt, dass die Die Polizeiprotokolle der damaligen Zeit auswärtigen Beamten sich auf nichts einlassen woll- widerlegen die Chefredakteure Stritzl und ten. Die waren jung und eine blutige Konfrontation Mölzer eindeutig. Die Gewalt richtete sich nicht hätte sicher ihrer Laufbahn geschadet. Außerdem nur gegen Ortstafeln: Die Autoreifen des Wa- hatten die überhaupt keine Ahnung, worum es hier ging (Tonbandabschrift, Archiv d. Verf., SS 1988). gens von Landeshauptmann Sima wurden auf- gestochen, Partisanendenkmäler geschändet, Andere Aktivisten schildern Konflikte zwi- Wegweiser und Fahrbahnen wurden mit Paro- schen „fremden“ und einheimischen Exekutiv- len wie „Tod dem Sima“ beschmiert, dem beamten: Gendarmerieposten Kühnsdorf/Sinča vas wur- de von einem anonymen Anrufer gedroht, es Diese fremden Gendarmen werden jedoch von ih- würde ein Elektromasten gesprengt, „wenn noch ren Kärntner Kollegen sofort „zur Ordnung“ geru- einmal ein Abwehrkämpfer wegen Übermalung fen. Die Beamten sind in der Bevölkerung bestens integriert und in den betroffenen Ortschaften zu von Ortstafeln zur Anzeige gebracht werde“ Hause. Sie kennen die Stimmung nur zu gut. Sie (Kärntner Tageszeitung, 1. Oktober 1972). wissen, daß es bei eventuellen Zusammenstößen mit Nach Zeitungsmeldungen gab es allein bei Verletzten zu einem Bürgerkrieg kommen könnte der Zusammenrottung von deutschnationalen (Grimm/Besser-Walzel 1986, 199). Demonstranten am 25. September 1972 vor der Klagenfurter Arbeiterkammer, als Bundeskanz- Die „fremden Gendarmen“, von denen hier ler Bruno Kreisky versuchte, vom Ausgang aus die Rede ist, mindestens 150 an der Zahl, wur- sein Auto zu erreichen, sechs verletzte Polizis- den aus anderen Bundesländern abgezogen und ten. Kreisky erinnert sich zehn Jahre später: „Die zur Bewachung der Ortstafeln in Kärnten ein- sind mit zerbrochenen Ortstafelschildern auf gesetzt. Dieser Einsatz galt nicht nur der Ver- mich losgegangen. Reine Nazis. Tausende Leu- stärkung der Kärntner Gendarmerie, sondern te“ (profil, 13. Juni 1983). sollte auch „objektive“ Amtshandlungen garan- Die antisemitischen Attacken gegen Kreisky tieren, weil zu befürchten war, dass die einhei- – er wurde mit Ausdrücken wie „Judensau“ und mischen Kollegen vielleicht doch eine zu gro- „Saujud, ich schneid dir die Gurgel durch“ be- ße „Toleranz“ gegenüber den Ortstafelstürmern schimpft bzw. bedroht9 – wurden später von der aufbringen würden.11 Interessant ist auch, dass Kärntner Presse schamhaft verschwiegen.10 zu Beginn der Aktionen die Gendarmen in Zi- Auch Kreiskys Einschätzung dieser Erlebnisse vil waren und sich in der Nähe der Ortstafeln in Klagenfurt als „größte nazistische Demon- versteckt hielten, das heißt, dass sie den Auf- stration nach dem Krieg“ wurde in Kärnten we- trag hatten, die Ortstafeln zu bewachen, ohne der geteilt noch mitgeteilt. sich selbst zu zeigen. Außerdem hatten sie vom In den Erinnerungen ehemaliger Aktivisten damaligen Innenminister Rösch den Auftrag, des Ortstafelsturmes sind Szenen präsent, die keine Personaldaten aufzunehmen, sondern nur das hohe Ausmaß an aufgestauter Aggression die Nummern der Fahrzeuge der Ortstafel- deutlich machen. Der oben zitierte vormalige stürmer zu notieren12 . Das hatte sich in der Szene Ortstafelstürmer: rasch herumgesprochen und manche Barrieren 86 Peter Gstettner noch zusätzlich herab gesetzt. Eugen Freund, eine „Minderheitenfeststellung“. Die ÖVP der damals vor Ort recherchierte und die Ereig- schwenkte ziemlich genau zu dem Zeitpunkt auf nisse in seinem Tagebuch festhielt, berichtet 20 diese Forderung ein, als die ersten Schmier- Jahre später folgende Szene: aktionen gegen zweisprachige Aufschriften stattfanden, nämlich 1968.13 Nach und nach kommen Autos, werden am Straßen- Die Gegenseite war auch nicht träge: Vor rand abgestellt. 2 Gendarmen in Zivil: „Was wollen S’ da?“ – „Wir holen die Tafeln!“ – Die verblüfften allem ab dem Jahre 1970 gingen junge Leute zwei Gendarmen, die die Tafeln bewachen, kamen von der slowenischen Volksgruppe verstärkt erst gar nicht dazu, irgend etwas zu unternehmen. daran, einsprachige Ortstafeln mit slowenischen Aus den Autos stiegen ca. 150–200 Leute, denen es Bezeichnungen zu ergänzen.14 1970 war in wenigen Minuten gelang, fünf der sechs Hinweis- überhaupt ein Jahr der verschärften Polarisie- schilder zu demontieren, wobei man sich anfäng- rung, da die 50-Jahr-Feiern des Abstimmungs- lich sogar darüber stritt, ob man sie samt den Stän- dern entfernen und was mit der einen einsprachigen ereignisses von 1920 ins Haus standen, Feiern, Tafel geschehen sollte. Man einigte sich schließlich die seit jeher von den Deutschnationalen für darauf, die zweisprachigen abzumontieren („A hot ihren Kultur- und Volkstumskampf funktiona- wer an Zehner-Schlissel do?“) und die deutschspra- lisiert wurden. So auch 1970; auf Transparen- chige stehen zu lassen (Der Standard, 28. Septem- ten wurde gefordert: „Minderheitenfest- ber 1992). stellung“, „Gleichberechtigung für die Mehr- heit“, „Toleranz ja – weitere Geschenke nein“. In der Kärntner Öffentlichkeit sind Ausmaß Der dem deutschnationalen Spektakel wohl ge- und Gewaltförmigkeit des Ortstafelsturmes so sonnene SPÖ-Landeshauptmann Sima fand es gut wie unbekannt geblieben. Weitgehend un- passend, einen ehemaligen SS-Oberscharführer bekannt ist auch, dass die Kärntner Landesre- und Kreishauptamtsleiter der NSDAP, einen gierung noch unter Landeshauptmann Sima eine Mann, der in der Nazizeit für Eindeutschungs- „Ortstafelsturm Dokumentation“ (abgekürzt: aufgaben im besetzten slowenischen Oberkrain/ OT-Doku.) angefertigt hatte. Aus verständlichen Kranj herangezogen worden war, abermals mit Gründen war die folgende Landesregierung der Organisation der Landesfeiern zu betrauen, unter Landeshauptmann Wagner nicht mehr nämlich Dr. Franz Koschier.15 daran interessiert, dass diese Dokumentation an Provoziert durch dieses Zurschaustellen und die Öffentlichkeit gelangte. Die wenigen ver- Feiern des großdeutschen Sieges (Eichenlaub vielfältigten Exemplare dieses „Geheimbe- und NS-Abzeichen wurden bei der 10. Okto- richts“, der dem Ortstafelsturm-Mythos ein ber-Feier offen getragen), verschärften die Stück weit den Boden hätte entziehen können, Kärntner Slowenen 1971 ihre Angriffe auf die konnten keine aufklärende Wirkung erzielen. SPÖ-Landespolitik und auf die Symbole des Heimatdienstes und des Abwehrkampfes. Ab- wehrkampf- und Kriegerdenkmäler wurden be- „Wir werden wieder in einen Abwehr- schmiert. Interessant ist in diesem Zusammen- kampf eintreten“. Die Mobilisierung der hang, dass schon zu diesem frühen Zeitpunkt, Straße also 1 Jahr vor dem Ortstafelsturm, für die Kärntner Exekutive eine Verstärkung von der Die Frage der zweisprachigen topografi- Wiener Staatspolizei angefordert wurde (OT- schen Aufschriften wurde auf politischer Ebe- Doku., 27). ne schon in den 60er Jahren heftig und ausführ- Die Regierung Kreisky war bereits 1971 fest lich diskutiert. Die FPÖ, angeführt durch den entschlossen, durch das Aufstellen zweisprachi- Abgeordneten Dr. Otto Scrinzi (dessen Nahe- ger Ortstafeln etwas zur Erfüllung des Art. 7 verhältnis zu Alt- und Neonazigruppen bekannt des Österreichischen Staatsvertrags von 1955 ist) und der KHD (unter dem damaligen Ob- beizutragen. Landeshauptmann Sima, bei dem mann Heribert Jordan – ebenfalls ein Mann mit sich Kreisky mehrfach rückversicherte, unter- NS-Vergangenheit) waren von Anfang an für stützte den Bundeskanzler bei diesem Vorhaben Zur Mikropolitik rund um den „Ortstafelsturm“ in Kärnten 87 vorbehaltlos16 und kündigte seinerseits in der einmal mit einer Unterschriftensammlung, und Kärntner Landtagssitzung Ende November 1971 wenn auch das nicht hilft, dann: Volk steh’ auf an, dass das Land jetzt Aktivitäten setzen wür- – Sturm brich los“ (OT-Doku., 47). Landes- de – und zwar ohne Minderheitenfeststellung. hauptmann Sima wurde von einer Abwehr- Die Aufstellung sollte auf der Basis der Volks- kämpferbund-Delegation darüber informiert, zählung von 1961 und nach der 20-%-Klausel dass man nicht gewillt sei, „eine Vergewaltigung erfolgen. Diese Kriterien erfüllten 205 Ortschaf- Südkärntens durch einseitige Maßnahmen zu ten in 36 Gemeinden – 205 Ortschaften, die dann Gunsten der slowenischen Minderheit“ hinzu- vom Ortstafelsturm betroffen waren. nehmen (OT-Doku., 47). Im Frühjahr 1972 eskalierte die Stimmung. Die Kärntner Nachrichten (FPÖ-Organ) ge- Es wurden permanent Delegationen zu Verhand- hen über die Fantasie einer slawischen Verge- lungen ausgeschickt, es wurde ununterbrochen waltigung Südkärntens noch hinaus, wenn sie diskutiert, gestritten, Tafeln beschmiert und am 10. Juni 1972 schreiben: „Eine planmäßige Flugblätter gestreut. Von einer „überfallsartigen Aussiedlung aller Deutschen aus dem Nacht- und Nebelaktion“ – gemeint ist dabei gemischtsprachigen Gebiet wird vorbereitet“. immer, die politische Entscheidung, mit dem Diese Fantasie nimmt vermutlich auf jene Zeit Aufstellen der zweisprachigen Ortstafeln zu Bezug, als im Mai 1945 den Tito-Partisanen beginnen – kann deshalb nicht gesprochen wer- unterstellt wurde, sie hätten den Plan, alle „Deut- den. Dennoch schürten die Kärntner Medien das schen“ aus Südkärnten auszusiedeln, eine Fan- Gerücht eines überfallsartigen, von Wien aus tasie, die spiegelbildlich zur tatsächlichen Aus- befohlenen Aufstellens der Ortstafeln. Seit Jän- siedlung der Kärntner Slowenen verläuft. ner 1972 schrieben sie von einem „Sima- Die Kärntner Nachrichten schrieben auf ei- Geheimplan“ bzw. von einer „Geheimdiploma- nem anderen Gebiet allerdings geradezu pro- tie der SPÖ“ und einem „Geheimvorschlag Si- phetisch, wenn sie bereits am 18. März 1972 mas“. Dieses Vokabular wurde beibehalten, verkündeten: obwohl eben diese Medien bereits im März 1972 die Meldung verbreiteten, dass nach dem Wenn in Hermagor, Klagenfurt und Völkermarkt slowenische Ortstafeln aufgestellt werden sollten, Parlamentsbeschluss 205 Ortschaften zweispra- wird dies von der überwiegenden Mehrheit der Be- chige Aufschriften bekommen sollen (Dotter völkerung als Herausforderung empfunden werden. 1972). Die Aufstellungsorte blieben allerdings (...) Es ist darum zu erwarten, daß diese Tafeln von wohlweislich bis zum Stichtag „geheim“; jeder der empörten Bevölkerung heruntergeschlagen wür- Sachkundige konnte sich selbst aufgrund der den (...) und es wird nicht möglich sein, zu jeder Kriterien leicht ausrechnen, wo welche aufge- slowenischen Ortstafel Tag und Nacht einen Gen- darmen dazuzustellen (Kärntner Nachrichten, 18. stellt werden müssen. März 1972). Die Bevölkerung war also durchaus vorbe- reitet, allerdings im negativen Sinn. KHD und Am 2. Juli 1972 wusste die Volkszeitung Abwehrkämpferbund hatten am fleißigsten (ÖVP-Organ) zu berichten, dass der damalige mobilisiert und am deutlichsten angekündigt, stellvertretende KHD-Obmann Josef Feldner in was geschehen würde, sollten die Ortstafeln – Ferlach für seine Organisation unterstrichen ohne vorherige Minderheitenfeststellung – auf- habe, „daß der KHD nicht die Absicht habe, zur gestellt werden. Bei der Jahresversammlung des geplanten Ortstafelregelung zu schweigen und Kärntner Abwehrkämpferbundes am 22. April tatenlos zuzusehen, wie sie auf einer völlig 1972 in Klagenfurt/Celovec rief der Landes- unzulänglichen Grundlage zur Durchführung obmann, Siegfried Sames, zu einem „neuen gelangen soll“. Abwehrkampf“ auf: „Wir sind wieder in einen Später hatten nur mehr ganz wenige KHD- Abwehrkampf, wenn auch mit geistigen Waf- Organisationen den Mut, hinter diesen Aufru- fen, eingetreten“ (Kärntner Tageszeitung, 23. fen und den sich daraus ergebenden Folgen zu April 1972). Ein Zwischenrufer aus dem Fuß- stehen. Zu den Organisationen mit Bekenner- volk meinte dazu: „Versuchen wir es noch mut gehörten die „waffentragenden Studenten“, 88 Peter Gstettner die später sowohl von einer „geplanten Ortstafel- tafel mehr stehen würde. Insgesamt hatten demontage“ sprachen als auch offen bekannten, bereits vor dem 10. Oktober ca. 120 Aktionen welche Corporationen aktiv am Ortstafelsturm gegen zweisprachige Ortstafeln stattgefunden teilgenommen hatten: (wie die Volkszeitung zu berichten wusste). In der Nacht vom 9. auf 10. Oktober brachen die Am Vorabend des 10. Oktober erlebt das Kärntner Kolonnen direkt von den Abstimmungsfeiern Unterland ein gespenstisches Schauspiel, das die Regierenden nie wieder vergessen sollten. Im „52 Jahre Abwehrkampf und Volksabstim- Gemeindegebiet von Ludmannsdorf, Köttmannsdorf mung“ zum Ortstafelsturm auf. 200 Autos fuh- und St. Jakob im Rosental entsteht am Abend eine ren von Ferlach/Borovlje ins Rosental. Zwi- Kolonne von mehr als hundert Autos mit demon- schen Köttmannsdorf/Kotmara vas und Lud- strierenden jungen Kärntnern. Der Zug begibt sich mannsdorf/Bilčovs formierte sich ein Zug von durch das Rosental in Richtung Rosegg bei Velden ungefähr 100 PKWs. Gegen 22h30 vereinigten am Wörther See. (...) In den ersten Autos sitzen Bur- schenschafter der Alpinaten, Taurisken, Freyonen sich beide Kolonnen mit lautem Gehupe zu ei- und Gothen (Grimm/Besser-Walzel 1986, 203). nem gewaltigen Demonstrationszug. Ein Teil davon fuhr nach Klagenfurt/Celovec, wo vor Am Anfang sollen es jedoch, so die beiden dem Gebäude der Landesregierung die abmon- Aktivisten Grimm und Besser-Walzel, „junge tierten zweisprachigen Ortstafeln und Hinweis- Windische“ gewesen sein, die zweisprachige schilder abgeladen wurden. Einer der Anfüh- Ortstafeln zu demontieren begannen. Hier wird rer, Major der Reserve und heute ein lang ge- eine für Kärnten typische ethnische Zu- dienter KHD-Funktionär, machte dort vor sei- schreibung vorgenommen, die speziell auf nen Mannen eine gefechtsmäßige Meldung: (über)assimilierte Kärntner SlowenInnen ab- „Meine Herrn, unsere Aufgabe ist damit erfüllt; zielt: „Es sind junge Windische, die mit der ich danke Ihnen, die daran teilgenommen ha- Anbringung der Ortstafeln ohne vorhergegan- ben, nochmals“ (OT-Doku., 66). Anschließend gene Minderheitenfeststellung nicht einverstan- fuhren rund hundert sangesfreudige Randalierer den sind“ (Grimm/Besser-Walzel 1986, 198).17 zur Wohnung von Landeshauptmann Sima, um In der Nacht zwischen dem 20. und 21. Sep- dort den Terror bis 2 Uhr früh fortzusetzen. tember 1972 wurden die ersten zweisprachigen Eine Anzeige wurde erstattet. In St. Mar- Ortstafeln aufgestellt. 24 Stunden später setz- garethen im Rosental/Šmarjeta v Rožu versam- ten die Schmier- und Demontageaktionen ein. melten sich am gleichen Abend nach den Fei- Gleichzeitig gab es die ersten anonymen ern ca. 120 Menschen mit Fackeln in den Bombendrohungen (gegen das Gebäude der Händen und machten sich auf den Weg nach Landesregierung und das der Schulschwestern Zell-Freibach/Sele-Frajbah. Auch in Völker- in Völkermarkt/Velikovec). Ortstafelschmierer markt/Velikovec bildete sich eine Kolonne von wurden festgenommen. Die beschmierten Orts- 100 PKWs und fuhr über Kühnsdorf/Sinča vas tafeln wurden von der Straßenverwaltung inner- und Miklautzhof/Miklavčevo weiter nach halb von 24 Stunden wieder gereinigt, demon- Bleiburg/Pliberk. tierte Ortstafeln neu befestigt. Am 24. und 25. Insgesamt waren in dieser Nacht weit über September gingen die Aktionen weiter. Polizei- 1.000 Menschen in rund 600 Autos zum Orts- und Gendarmerie bekamen Verstärkung aus tafelstürmen unterwegs, aufgehetzt, gewaltbereit anderen Bundesländern. In jeder Nacht wurden und zur radikalen „Säuberung“ entschlossen. Ortstafeln beschmiert oder abmontiert. Bei meh- Die Folge: Am 10. Oktober 1972 gab es keine reren Gendarmerieposten gingen anonyme Dro- zweisprachigen Ortstafeln mehr im Kärntner hungen ein, es würden Hochspannungsmasten Unterland. gesprengt, sollte die Gendarmerie weiterhin die Am 14. Oktober begann die Straßen- Aktionen der Ortstafelstürmer behindern. verwaltung neuerlich mit der Aufstellung von Die Beteiligung am Ortstafelsturm weitete Ortstafeln. Der Ortstafelsturm ging weiter und sich rasch aus. Man sprach davon, dass bis zum in der Nacht vom 25. zum 26. Oktober kam es 10. Oktober keine einzige zweisprachige Orts- in St. Kanzian/Škocijan neuerlich zu gewaltsa- Zur Mikropolitik rund um den „Ortstafelsturm“ in Kärnten 89 men Aktionen. Rund 300 Leute in ca. 150 Au- Die Aktionen gegen das Ortstafelgesetz tos waren unterwegs, um zweisprachige Orts- wurden bis zum Jahresende 1972 fortgesetzt, bis tafeln zu stürmen. Ein Bürgermeister wurde von keine neuen Ortstafeln mehr aufgestellt wurden. der Gendarmerie als Anführer einer Kolonne Der Ortstafelsturm versandete durch das Bemü- Ortstafelstürmer identifiziert. hen der Politiker, Kommissionen zu installie- An dieser Stelle soll aus einem aufschluss- ren und auf Verhandlungsebene den Konflikt zu reichen Dokument, das allerdings nicht Bestand- befrieden.19 Schon zuvor war offensichtlich die teil der OT-Doku. ist, eine längere Passage zi- Situation den meisten Politikern zu heiß gewor- tiert werden. Es handelt sich dabei um die Straf- den; dem KHD waren die Aktionen schon An- anzeige eines Gendarmeriepostenkommandos fang Oktober 1972 aus dem Ruder gelaufen. gegen einen der Anführer des Ortstafelsturmes Außenpolitische Konsequenzen zeichneten sich wegen Verdachts einer strafbaren Handlung ab, da die jugoslawische Regierung, die 1955 (Strafanzeige vom 16. November 1972 an die auch den Österreichischen Staatsvertrag unter- Staatsanwaltschaft Klagenfurt/Celovec): zeichnet hatte, immer deutlichere Depeschen nach Wien schickte und in Ljubljana/Laibach Der beschuldigte X fuhr am 25. Oktober 1972 ge- schon Zehntausende gegen die Kärntner gen 19.30 Uhr mit seinem PKW K...... als Anführer einer Kolonne von ca. 150 Kraftfahrzeugen auf der Minderheitenpolitik demonstriert hatten. Turnersee-Landesstraße zur Abzweigung der Gemeindestraße nach Obersammelsdorf, wo die Kolonne anhielt und den Kraftfahrzeugen min- „...ein gespenstisches Schauspiel, das die destens 300 Personen entstiegen. Diese Personen Regierenden nie wieder vergessen sollten“. versammelten sich schreiend und johlend vor den Fragen nach Struktur und Wirksamkeit zweisprachigen Wegweisern nach Obersammelsdorf und Unternarrach, um diese zu entfernen. Die ange- der politischen Inszenierung führten Wegweiser wurden durch zehn Gen- darmeriebeamte unter dem Kommando von XY Gab es in Kärnten schon Vorerfahrungen mit geschützt, (...), der unmittelbar vor XY stehende antislowenischen Demonstrationen? (beschuldigte) X forderte die Volksmenge mit den Worten „Burschen, die Tafeln müssen weg“ zur Ent- 1958 wurde von den Deutschnationalen die fernung der Tafeln auf. Hierauf drängte die Volks- erste große Kampagne gegen die obligatorische menge die Gendarmeriebeamten ab, befreite in ei- nem Massenangriff gewaltsam einen durch XY „Im zweisprachige Schule gestartet. Eltern wurden Namen des Gesetzes“ festgenommenen unbekann- aufgerufen, ihre Kinder nicht mehr zur Schule ten Mann, demontierte gewaltsam alle zweisprachi- zu schicken, sofern die Regierung am „Schul- gen Hinweistafeln und nahm diese mit. An dem tät- Sprachenzwang“ festhielt. Dieser „Schulstreik“ lichen Angriff gegen die Gendarmeriebeamte hat- war die erste gemeinsame Aktion der KHD- ten sich in diesem Falle etwa 20 männliche Perso- Organisationen. „Die führende Rolle des KHD nen beteiligt.18 im Kampf gegen den verpflichtenden zweispra- chigen Unterricht war schon damals offensicht- Der Anzeige ist weiters zu entnehmen, dass lich“ (Fritzl 1990, 65). Organisationen mit In- die Kolonne ihre Fahrt fortsetzte und eine hal- frastruktur und entsprechende Erfahrungen, be Stunde später neuerlich Gewaltakte setzte. unter anderem auch die, wie leicht die Landes- Bei diesen wurde abermals ein Mann, der zum regierung durch den Druck der Straße in die Einsatzfahrzeug abgeführt werden sollte, von Knie zu zwingen ist, existierten also bereits.20 etwa 60 Personen gewaltsam befreit; er konnte, wie das Protokoll vermerkt, „unerkannt in der Menge untertauchen. Bei diesem Vorfall wur- Wie wurde der Ortstafelsturm organisiert? den die Beamten herumgerissen und herumge- stoßen, ein Beamter wurde auf einen Sandhau- Dass er organisiert war, steht außer Frage. fen geworfen und einem anderen ein Tritt ge- Aber wie? Ein in dieser Angelegenheit neutra- gen den Hoden versetzt“. ler Fachmann, ein Offizier des Österreichischen 90 Peter Gstettner

Bundesheeres, der die oben genannten Kraft- die Tafeln, ohne beschädigt zu werden, abmon- fahrzeugströme analysierte, kam zu dem Ergeb- tiert werden konnten. Wahrscheinlich gab es nis, dass „motorisierte Kolonnenmärsche“ die- auch Organisatoren, die im Hintergrund blieben ser Größenordnung, zumal wenn sie in der und an den Aktionen nicht direkt teilnahmen: Nacht in Marsch gesetzt werden, einer logisti- Sie hatten den Überblick, wo Ortstafeln wieder schen „befehlsmäßigen Steuerung“ bedürfen. aufgestellt wurden, welche Strategien und wel- Die „Kolonnenmärsche“ nahmen ihren Ausgang che Sicherheitsvorkehrungen die Gendarmerie von vereinbarten Treffpunkten, zumeist waren plante; sie gaben die Instruktionen, worauf zu dies bekannte Gaststätten. Die Burschenschaf- achten ist bzw. mit welchen Strafen zu rechnen ter trafen sich in den Wohnungen der „Alten ist, bei Sachbeschädigung, bei boshafter Sach- Herrn“. Die Information, wann und wo es los beschädigung, bei einer einzelnen Ortstafel mit ging, wurde auf verschiedenen Wegen weiter oder ohne Rahmen, bei nächtlicher Ruhestörung transportiert, z. B. über Telefonketten, an und Übertretung der Straßenverkehrsordnung Vereinsabenden bzw. bei Chorproben, nach usw. Vermutlich wurde den Ortstafelstürmern Sportveranstaltungen. Der „harte Kern“ sprach auch ein „Rechtsschutz“ zugesagt, falls es zu sich vermutlich gleich nach jeder Aktion für die Anklagen käme. nächste Nacht ab. Manche Autos mögen wie An dieser Stelle muss auch mit einem wei- Sammeltaxis fungiert haben; man hat sich das teren Mythos aufgeräumt werden: Der Orts- Codewort von Fenster zu Fenster zugerufen, tafelsturm war keine Geheimaktion; jeden Tag „morgen obend pock mas wieda“; oder man gab stand in der Kleinen Zeitung, wo schon wieder vor dem Fenster Hupsignale. Vermutlich hatte Ortstafeln aufgestellt wurden – und in der SPÖ- jede Aktion bzw. jede Kolonne einen Anfüh- Zeitung, Kärntner Tageszeitung, stand am rer; das war auch notwendig, da sich auch Nicht- nächsten Tag, wo sie gestürmt worden sind. Man Ortskundige an den Aktionen beteiligten (PKW- darf auch nicht vergessen, dass zwar die Aktio- Kennzeichen aus Oberkärnten und aus anderen nen in der Nacht stattfanden, dass aber meistens Bundesländern wurden gesehen). In einem Fall JournalistInnen dabei waren, die Blitzlichtauf- wurde bekannt, dass Lautsprecher und Funk- nahmen machten, zum Teil auch Filmaufnah- geräte im Einsatz waren; in zumindest zwei Fäl- men. Das wurde von den Aktivisten natürlich len haben die Anführer am Treffpunkt „Reden“ nicht gerne gesehen, auch nicht von den Gen- gehalten. Ein Fall kam zur Anzeige, weil die darmen, die sich dann in der Zeitung abgebil- Versammlung nicht angemeldet war. det sahen, wie sie untätig den Ortstafelstürmern Planungen und Absprachen waren auch über zusahen oder wie sie lachten, als Bundeskanz- die Arbeitsteilung notwendig. Es gab zumindest ler Kreisky und das Ehepaar Sima mit Eiern und folgende Funktionen: Anführer mit Ortskennt- Tomaten attackiert wurden. Nicht alle haben sich nis, die wussten, wo welche Tafeln standen; sie so mutig den Ortstafelstürmern entgegengestellt, konnten auch Sicherungs- und Ablenkungsauf- wie die im Akt zitierten Beamten, die Verhaf- gaben wahrnehmen; Fahrzeuglenker: Sie wer- tungen vornehmen wollten und die gegen Orts- den später zu Protokoll geben, sie seien nur aus tafelstürmer Anzeige erstattet haben. Neugierde mitgefahren und die Leute, die ih- Die Ortstafelstürmer haben sich vermutlich nen die Ortstafeln in den Wagen geladen ha- auch dahingehend abgesprochen, wie sie sich ben, hätten sie noch nie vorher gesehen; Zuträ- rechtfertigen sollten, falls sie verhört würden; ger, also Männer, die die abmontierten Ortstafeln außer „ich habe nichts gehört und nichts gese- in die bereit stehenden Autos luden oder sie im hen“ und „ich war gar nicht dabei“ oder „ich Klopeinersee oder in der Drau „entsorgten“; habe nicht gewusst, dass die zweisprachigen manche von ihnen bewahrten die Tafeln als Tro- Tafeln entfernt werden sollen“ gab es später phäen auf; und schließlich die Demontierer: Da auch Widersprüche in den Zeugenaussagen: gab es solche, die in Rambo-Manier die Orts- Einer sagte z. B. aus, beim Zusammenstoß mit tafeln samt Verankerung ausrissen, und solche, den Demonstranten hätte ein Gendarm seine die die richtigen Werkzeuge mitführten, damit Pistole gezogen; ein andere sagte, er hätte nur Zur Mikropolitik rund um den „Ortstafelsturm“ in Kärnten 91 die Aufforderung zum Pistolen ziehen gehört; KHD nachgesagt wird. Solche Organisationen, ein Dritter hat davon weder was gehört noch deren Aktivitäten im Zusammenhang mit dem gesehen, dafür macht er die Aussage: „Die De- Ortstafelsturm standen, waren die Neonazi- montage der Wegweiser habe ich nur aus der gruppen NPD (Nationaldemokratische Partei Ferne beobachtet; Unbekannte haben mit Norbert Burgers, 1988 behördlich untersagt) Schraubenschlüsseln Tafeln abmontiert“. Sehr und ANR (Aktion Neue Rechte; wurde nach ferne kann er nicht gestanden sein, dieser Au- dem ANR-Prozess 1983 zur Auflösung gezwun- genzeuge. Er wurde auf einem Foto direkt ne- gen). ben den in Aktion befindlichen Ortstafel- stürmern identifiziert. Es soll gegen Ortstafelstürmer ca. 300 An- Wie haben sich die Kärntner SlowenInnen zeigen bzw. in dieser Angelegenheit ca. 300 während des ca. 2 Monate dauernden Zeugeneinvernahmen durch die Gendarmerie Ortstafelsturms verhalten? gegeben haben. Ob diese Zahl stimmt, oder ob sie zur Legendenbildung rund um den Orts- In den betroffenen Dörfern hatte man Angst, tafelsturm gehört, ist heute schwer zu überprü- auf die Straße zu gehen. Es war bedrohlich und fen. Jedenfalls steht fest, dass alle Verfahren gefährlich. Marjan Sturm, der zu dieser Zeit in (auch die gegen die „Ortstafelschmierer“ aus der Wien studierte, berichtete kürzlich: „Meine slowenischen Volksgruppe) ein Jahr später, also Mutter hat mich tränenüberströmt angerufen und 1973, eingestellt oder niedergeschlagen wurden. gesagt: Es ist eine Kolonne von Ortstafel- Kein Ortstafelstürmer hatte irgendwelche Kon- stürmern im Hof, sie umkreisen uns in der Nacht. sequenzen zu tragen. Komm ja nicht nach Hause!“ (Kärntner Monat, Oktober 2002, 32). Nur in Obersammelsdorf, einem Zentrum Welche Organisationen waren direkt oder des Ortstafelsturms, sollen Slowenen „demons- indirekt am Ortstafelsturm beteiligt? triert“ haben; dies berichtete zumindest ein ehe- maliger Ortstafelstürmer: „In Obersammelsdorf Diese Frage lässt sich annäherungsweise war’s kritisch, dass die Sache eskalierte. Die beantworten, sofern man die angezeigten Per- Slowenen demonstrierten. Wir waren dort. Ein sonen oder die in den Vernehmungsprotokollen Gendarm hatte seine Pistole gezogen“ (Kleine genannten Personen als Mitglieder den regi- Zeitung, 13. November 1999). strierten Vereinen und Organisationen zuordnen Es wurde auch davon gesprochen, man habe kann. Martin Fritzl schreibt: „unter den Orts- „Schüsse“ vernommen. Das kann stimmen, tafelstürmern (...) befanden sich zahlreiche Sym- denn in einem Protokoll gibt ein Gendarm an, pathisanten des KHD“ (Fritzl 1990, 88). Unter dass Ortstafelstürmer aus einem Auto heraus mit diesen können mehrere als Mitglieder von Teil- einer Spielzeug-Maschinenpistole Schreck- organisationen des KHD identifiziert werden. schüsse abgegeben hätten. Generell war von den Teilorganisationen, wie der Kärntner Turner- betroffenen SlowenInnen zu hören: „Wir blie- bund, der Sängerbund, Freiheitliche Studenten- ben zu Hause, machten die Läden zu, drehten corporationen (also „Schlagende Verbindun- das Licht ab – und hatten einfach schreckliche gen“), der Abwehrkämpferbund, der Kärntner Angst: Jetzt sind sie wieder da, die Nazis; Schulverein Südmark, der Bund der Kärntner hoffentlich kommen sie uns nicht holen“.21 Windischen waren durch Mitglieder oder Funk- Meines Wissens ist nur ein Fall aktenkun- tionäre vor Ort, wobei von zahlreichen dig, wo ein Ehepaar nachschauen ging, was da Doppelmitgliedschaften bei den Aktivisten aus- am Ortseingang geschah. Autonummern wur- zugehen ist. Außerdem waren zu dieser Zeit den notiert und Anzeige erstattet; und dann Organisationen in Kärnten aktiv, die nicht brachte man noch den Mut auf, bei der Behörde Mitgliedsorganisationen des KHD sind, wobei nachzufragen, was nun mit der Anzeige gesche- aber einzelnen Personen ein Naheverhältnis zum hen sei. Weil dieser Fall des Ehepaares Maria 92 Peter Gstettner und Miro Miškulnik so singulär ist, muss man 2. Die Aktivisten verletzten die demokratische ihn erwähnen - auch oder gerade weil die An- Verfassung durch gezielte Regelverstöße zeige im Sande verlaufen ist und weil Herr bzw. Gesetzesüberschreitungen. Miškulnik später von SPÖ-Landeshauptmann 3. Die Aktionen waren gewaltförmig; die Ak- Wagner als „Kommunist“ und „leidenschaftli- tivisten attackierten die Vertreter der staatli- cher Slowene“ diffamiert werden sollte.22 chen Macht. Ein Ausschnitt aus einem Protokoll einer 4. Die Aktivisten waren organisiert und nutz- Zeugeneinvernahme (als Folge der Anzeige ten Kader und Infrastrukturen von Vereinen durch Herrn Miškulnig, aufgenommen am 19. ethnopolitischer und/oder kultureller Aus- 12. 1972, also zweieinhalb Monate nach dem richtung. Ortstafelsturm) wirft ein Licht auf die damalige 5. Die Aktivisten griffen eine Gruppe an, de- „Verteidigungsstrategie“ der Akteure: ren nationale Symbole und Einrichtungen unter staatlichem Minderheitenschutz ste- Ich habe keine zweisprachige Ortstafel abmontiert, hen. wohl aber habe ich mich aus Protest gegen die An- bringung der zweisprachigen Ortstafel am 9.10.1972 6. Es wurde ein Feindbild konstruiert; gegen mit dem PKW meines Vaters (...) an der De- den „Feind“ wurden Antipathien gerichtet monstrationsfahrt (...) beteiligt. Irgendwelche Zwi- und Aggressionen geschürt. schenfälle bei der Abmontierung der zweisprachi- 7. Die Ortstafelstürmer schufen ein hoch emo- gen Ortstafel habe ich nicht wahrgenommen. Die tionelles Klima; dumpfe Gefühle (anti- Personen, die die Ortstafel abmontiert haben, sind slawische Urängste) und antisemitische Vor- mir nicht bekannt, und würde ich diese auch nicht mehr wiedererkennen. Der Verdächtigte Z hat auf urteile wurden geweckt und mobilisiert. der Fahrt mit einem Lautsprecher immer wieder zur 8. Die Aktivisten stilisierten sich zu Opfern Besonnenheit die Teilnehmer des Demonstrations- staatlicher Macht; sie meinten, sie müssten zuges ermahnt, insbesondere hat er die Teilnehmer sich wehren, weil sie in einer Nacht- und ermahnt, die Tafeln nicht herunterzureißen, sondern Nebelaktion „überfallen und vergewaltigt“ sie herunterzuschrauben und sie nicht zu beschädi- 23 worden wären. gen. 9. Der Ortstafelsturm erzeugte Angst und Un- sicherheit bei der slowenischen Minderheit. 10. Der Ortstafelsturm zwang den Staat, Untolerierbares, nämlich einen Gesetzes- Wenn geschürte Empörung zu Protest und bruch, zu tolerieren. Protest zu offenem Terror wird Der Terrorismusexperte Peter Waldmann Sofern man die analytischen Kategorien von schreibt: „Strukturell sind offenbar jene Gesell- Peter Waldmann (1998) anwendet, steht der schaften besonders anfällig für Terrorismus, in Ortstafelsturm von 1972 für jene historische denen Probleme sozialer Integration und kol- Schnittstelle, an der ein „illegaler Protest“, wie lektiver Identität auftreten und deren Machtha- es z. B. der Schulstreik von 1958 war, in eine ber Mühe haben, ihre Herrschaft zu legitimie- Terroraktion überging. ren“ (Waldmann 1998, 54). Folgende Merkmale charakterisierten die Die Kärntner Nachkriegsgesellschaft war Terroraktionen, die im hier diskutierten Fall auch offensichtlich in den 70er Jahren in einem be- als „irregulärer Krieg der Kärntner Deutschna- sonderen Maße damit beschäftigt, Fragen der tionalen gegen eine Wiener sozialdemokratische „Integration“ der slowenischen Minderheit und Regierungsmehrheit“ interpretiert werden kön- solche der Diffusion der eigenen kulturellen nen: Identität einer radikalen Lösung zuzuführen. Die Lösungen mussten destruktiv ausfallen, da die 1. Die Aktivisten agierten aus dem Untergrund entsprechenden Fragen in diesem Land ohne und rechneten mit Sympathieeffekten bei der Aufklärung und ohne politische Bildung seit 50 Bevölkerungsmehrheit. Jahren entweder vernachlässigt, verdrängt, tot- Zur Mikropolitik rund um den „Ortstafelsturm“ in Kärnten 93 geschwiegen oder herrschaftlich von oben herab zweisprachiger Volksschule und laut VfGH-Urteil erledigt wurden. mit Anspruch auf zweisprachige Topografie, wieder entfernen – und zwar noch am selben Tag. Der Villacher SPÖ-Bürgermeister begründete diesen Schritt damit, die Tafel sei „eine Provokation, die nur darauf abzielt, das friedliche Zusammenleben ANMERKUNGEN in Villach zu gefährden“ (Kleine Zeitung, 15. März 2002). 1 Dieses Versäumnis hat nicht nur die Kärntner Lan- 8 Dass die „vielen slowenischen Privataufschriften“ desregierung; sondern ebenso auch die Bundesre- auf Häusern und Grabsteinen unbehelligt blieben, gierung, die „Kärnten den Kärntnern“ überlassen hat, soll offenbar den Ortstafelstürmern als Verdienst an- zu verantworten. gerechnet werden – oder als Hinweis dienen, wel- 2 Im September 2002 erfolgte mit Zustimmung der che Handlungen sonst noch möglich (und vielleicht ÖVP der Beschluss zur finanziellen Basisförderung schon geplant?) gewesen wären. der fünf „Heimatverbände“: Landsmannschaft, Ab- 9 Vgl. Abdruck in Sommeregger 1983, 133; vgl. auch wehrkämpferbund, Kameradschaftsbund, Ulrichs- Obid/Messner/Leben 2002, 137-138. berggemeinschaft und Heimatdienst. Dies ist einer 10 In der Literatur fand ich nur eine Stelle, an der ex- der „Erfolge“ der FPÖ-Kulturpolitik unter Landes- plizit auf „Antisemitismus“ Bezug genommen wird: hauptmann Jörg Haider, der seinerseits Mitglied bei „Unschwer war den Beschimpfungen und tätlichen mehreren Teilorganisationen des KHD ist. Bedrohungen des Bundeskanzlers Bruno Kreisky 3 Die von VfGH eingeräumt Frist, innerhalb derer die und des Kärntner Landeshauptmannes Hans Sima Bundesregierung das Volksgruppengesetz mit der zu entnehmen, daß sich Antisemitismus und Anti- Ortstafelregelung von 1977 hätte „korrigieren“ kön- sozialismus in durchwegs eindeutiger und nen, ist am 31. Dezember 2002 abgelaufen. Wegen undemokratischer Ausformung einmischten“ dieser Untätigkeit (oder Unwilligkeit bzw. Unfähig- (Bogataj 1989, 138). keit) der Regierung wurden von Volksgruppen- 11 Die männliche Form „Ortstafelstürmer“ wird hier vertretern Anfang Jänner 2003 bereits neue Klagen bewusst verwendet. Kein einziges mir bekanntes beim VfGH eingebracht (Kleine Zeitung, 9. Jänner Foto zeigt, dass sich auch Frauen als Ortstafels- 2003). Als good-will-Aktion ist zu werten, dass eine türmerinnen betätigt haben; vielleicht kam es den- Kärntner Kulturinitiative Ende Jänner 2003 am Hei- noch vor und sie wurden nur nicht dabei fotogra- matort Jörg Haiders (in Oberösterreich) eine zwei- fiert; oder sie hatten andere „Aufgaben“ zugeteilt sprachige Ortstafel anbrachte: Bad Goisern/ bekommen, die sich mehr auf den häuslichen bzw. Gojzerje. Die Hochschülerschaft der Universität kommunikativen Bereich beschränkten. Klagenfurt/Celovec hatte schon zwei Monate davor 12 Diese Weisung sollte Zusammenstöße zwischen der eine „Ortstafel“ beim Haupteingang aufstellen las- Exekutive und den Ortstafelstürmern verhindern. sen, um eine Vorbildwirkung – „als Zeichen für ein 13 Im Sommer 1968 kam es z. B. zu Schmieraktionen gelebtes Miteinander“ – zu erzielen: Universität an der Spar- und Darlehenskasse Völkermarkt/ Klagenfurt/Univerza v Celovcu. Velikovec, deren slowenische Aufschrift überstri- 4 Tatsächlich wird die slowenische Volksgruppe in chen und mit der Beschriftung „Kärnten ist deutsch“ Kärnten „immer kleiner“. Der historische Tiefststand versehen wurde. Ein Jahr später wurde die neue wurde bei der Volkszählung 2001 erreicht (rund zweisprachige Tafel an diesem Geldinstitut abge- 12.000 Personen = 2,6 Prozent der Kärntner Gesamt- schraubt und entfernt (OT-Doku., 13). bevölkerung). 14 Beim Besprühen der Ortstafel von Hermagor wur- 5 Ein Symptom für diese unbewältigte Vergangenheit de am 26. Oktober 1970 Marjan Sturm, heute Vor- ist das Fehlen von wissenschaftlichen Analysen zu sitzender des Volksgruppenbeirates im Bundeskanz- den Ursachen und zum Verlauf des Ortstafelsturms. leramt, erwischt und angezeigt. Anzeige und Pro- 6 Der Terminus „verfassungswidrig“, der in solchen zess lösten ein internationales Medienecho aus. Aussagen immer wieder verwendet wird, soll of- 15 Koschier war SPÖ Mitglied und 1970 auch Direk- fenbar die Rechtmäßigkeit des Protestes suggerieren. tor des Landesmuseums sowie Multifunktionär in 7 Sofern eine politische Zuordnung möglich ist, zeigt mehreren KHD-Mitgliedsorganisationen; vgl. Fritzl sich, dass die Ortstafelstürmer keineswegs nur aus 1990, 24–26. FPÖ- und ÖVP-Kreisen kamen. Auch lokale Funk- 16 Landeshauptmann Sima versuchte in seiner Amts- tionäre der SPÖ beteiligten sich – zu einem Zeit- zeit mehrmals einen riskanten Balanceakt: Auf Lan- punkt, als Kreisky und Sima noch auf die volle desebene kam er oftmals den Wünschen der Umsetzung des Ortstafelgesetzes bestanden. Die deutschnationalen Kräfte entgegen, auch wenn die- Kärntner SPÖ hat in der Ortstafelfrage bis heute se die slowenische Minderheit brüskierten oder be- keinen fortschrittlichen Standpunkt gefunden. Eine drohten, denn schließlich einte der Deutsch- Trennung von der KHD-Linie scheint unmöglich zu nationalismus in Kärnten ein nicht zu vernachlässi- sein. Noch im März 2002 ließ die Villacher Bezirks- gendes WählerInnenpotential. Andererseits versuch- SPÖ eine von den Grünen „spontan“ errichtete Orts- te Sima – auch aufgrund der herrschenden Partei- tafel in Maria Gail/Maria na Zilji, einem Ort mit disziplin – minderheitenfreundliche politische 94 Peter Gstettner

Rahmenbedingungen, die die Bundes-SPÖ beschlos- 23 Zitat leicht verändert, da Personennamen ano- sen hatte, auf Landesebene durchzusetzen. Damit nymisiert wurden; Kopie der Anzeige (AZ 12 Vr konnte er aber nur so lange erfolgreich sein, als er 2621/72) im Archiv d. Verf. seine Landesorganisation, die traditioneller Weise eine starke deutschnationale Schlagseite hatte, mehr- heitlich hinter sich und den Beschlüssen der Regie- rung Kreisky wusste. Tatsächlich folgte die Kärnt- LITERATUR ner SPÖ der Sima-Kreisky-Linie, so lange das minderheitenfreundliche Programm der Regierung Bogataj, Mirko (1989). Die Kärntner Slowenen, Klagen- nur am Papier stand. In der Causa „Zweisprachige furt/Celovec. Ortstafeln“ im stürmischen Herbst 1972 blieb dann Dotter, Franz (1982). Der Beginn des „Ortstafelstreits“ die SPÖ-Landesorganisation Sima die Gefolg- in den Kärntner Tageszeitungen, in: Arbeitsgemein- schaftstreue schuldig. schaft Volksgruppenfrage (Hg.): Kein einig Volk von 17 Dieser Topos ist aus der Geschichte bestens bekannt: Brüdern. Studien zum Mehrheiten-/Minderheiten- Für die herrschende Schichte ist es immer am güns- problem am Beispiel Kärntens, Wien, 182–233. tigsten, wenn die Unterdrückten selbst ihre Unter- Fischer, Gero/Peter Gstettner (Hg.) (1990). „Am Kärnt- drückung in die Hand nehmen. „Die jungen Wind- ner Wesen könnte diese Republik genesen“. An den ischen“ sind die „deutsch fühlenden Slowenen“, die rechten Rand Europas: Jörg Haiders „Erneuerungs- keinesfalls zu den „nationalen Slowenen“ gerech- politik“, Klagenfurt/Celovec. net werden wollten. Die Windischen-Konstruktion Fritzl, Martin (1990). Der Kärntner Heimatdienst. Ideo- geht auf den deutschnationalen Landeshistoriker logie, Ziele und Strategien einer nationalistischen Martin Wutte zurück, der in den 30er Jahren des Organisation, Klagenfurt/Celovec. vorigen Jahrhunderts dieses „schwebende Volks- Grimm, Horst/Leo Besser-Walzel (1986). Die tum“ und eine dazu gehörende Sprache erfand. Corporationen. Handbuch zu Geschichte – Daten – 18 Zitat leicht verändert, da Personennamen Fakten – Personen, Frankfurt am Main. anonymisiert wurden; Kopie der Anzeige (E.Nr. Gstettner, Peter (1988). Zwanghaft Deutsch? Über fal- 3512/72) im Archiv d. Verf. schen Abwehrkampf und verkehrten Heimatdienst, 19 Die österreichische Bundesregierung setzte eine Klagenfurt/Celovec. „Studienkommission für die Probleme der sloweni- Mölzer, Andreas (1990). Kärntner Freiheit. Ein schen Volksgruppe in Kärnten“ (die sog. Ortstafel- österreichischer Sonderfall, Wien/München. kommission) sowie ein „Kontaktkomitee“ ein, dem Obid, Vida/Mirko Messner/Andrej Leben (2002). auch Vertreter der slowenischen Organisationen Haiders Exerzierfeld. Kärntens SlowenInnen in der angehörten. Von den ursprünglich 205 Ortschaften, deutschen Volksgemeinschaft, Wien. die im Jahre 1972 zweisprachige Tafeln bekommen Pohl, Heinz Dieter (2002). Ortsnamen als Kulturgut. sollten, blieben 1977, als das Verhandlungsergebnis Überlegungen aus der Sicht der Namensforschung, in Form einer Verordnung der Bundesregierung fest- in: Anderwald, Karl/Peter Karpf/Hellwig Valentin geschrieben wurde, nur mehr 91 Ortschaften übrig (Hg.): Kärntner Jahrbuch für Politik 2002, Klagen- (aufgrund der 25%- Klausel, angewandt auf die Er- furt, 227-246. gebnisse der „Volkszählung besonderer Art“ aus dem Sommeregger, Borut (Hg.) (1983). Ein Dorf an der Gren- Jahre 1976). Tatsächlich wurde aber auch dieses ze? Klagenfurt/Celovec. Ergebnis nicht überall umgesetzt. In 34 Ortschaften Waldmann, Peter (1998). Terrorismus. Provokation der fehlten im Jahre 2000 die zweisprachige topografi- Macht, München. schen Schilder, Ende 2002 immer noch in 20 Ort- schaften (lt. Kleine Zeitung, 14. Juli 2000 bzw. 6. Dezember 2002). 20 Der sozialdemokratische Landeshauptmann Fer- dinand Wedenig beugte sich dem Druck der deutsch- nationalen Organisationen und gab am 22. Septem- AUTOR ber 1958 einen Erlass an die Bezirksschulbehörden heraus, wonach die Eltern Anträge auf Befreiung Peter GSTETTNER, Professor für Allgemeine Er- vom zweisprachigen Unterricht stellen konnten. ziehungswissenschaft an der Universität Klagenfurt/ Daraufhin wurden ca. 80 Prozent der SchülerInnen Celovec, Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für in- vom Slowenischunterricht abgemeldet. terkulturelle Bildungsforschung. 21 Eigene Forschungsnotiz, SS 1988, Archiv d. Verf. 22 Brief von Landeshauptmann Leopold Wagner vom Konatkt: Universitätsstr.65-67, A-9020 Klagenfurt/ 23. August 1983 (Zl. 1621/2/83) an „Herrn Gottfried Celovec. Miskulnig“; Kopie des Briefs im Archiv d. Verf. E-mail: [email protected]