Titelseite Schaffhauser Az
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Nr. 25 Donnerstag, 20. Juni 2019 CHF 4.00 AZA 8200 Schaf ausen Schaffhauser Gegründet 1918 als Arbeiterzeitung 6 Velo Ein Radweg beschäf igt ein Dorf 8 Moschee Wo hört Angst auf und wo 18 Hip-Hop Drei Muchachos räumen seit 30 Jahren. Wie die Rüdlinger Kantons- beginnt Rassismus? SVP-Grossstadtrat Kurt Schaf ausen auf. Wer holt die Krone? Bühne strasse zur Kampfzone wurde. Reuter über die «Ängste der Bevölkerung». frei für Megan, Tony Dean und Dari Ferrari. Laute Stille Der Frauenstreik hat alle Erwartungen über trof en. Antifeministische Reaktionen auf das Schweigen des Munotglöggli zeigen aber: Es gibt noch viel zu tun. Seite 3 Peter Pfi ster 2 DIE ZWEITE — 20. Juni 2019 Kurzgesagt Kommentar Die zwei Feindbilder der SVP: Engagierte Frauen und Muslime Im Würgegrif Munotwächterin Karola Lüthi war es mulmig zumute, als sie am Abend des Frauenstreikta- ges das Glöggli nicht schlug. Die Symbolkraf ihrer Geste war ihr bewusst. Ihr Streik (mehr dazu ab Seite 3) dauerte nur fünf Minuten und fand doch schweizweite Beachtung. Kei- ne 48 Stunden später hat SVP-Grossstadträtin Susanne Kobler bereits eine kleine Anfrage Kevin Brühlmann über die verfasst, die Rede ist von «Missbrauch», von Emanzipation der FDP und «Schafauser Kultur», von «Konsequenzen». die verpasste Chance der SP. Kobler schreibt: «Die Gleichberechtigung ist ein wichtiges Anliegen und es ist legitim, dafür einzustehen.» Dann kommt das grosse Aber, Vielleicht hat sich die FDP vom Frauen- Freisinn schwieg. Es galt die Devise: Der dann kommt der antifeministische Angrif. streik anstecken lassen – kann ja sein. Es bürgerliche Schulterschluss ist aufrechtzu- Mit Verlaub: Die SVP schert sich keinen Deut ist nicht verboten, mutiger zu werden. Je- erhalten, um jeden Preis. um die Gleichberechtigung von Mann und denfalls versucht sich die Partei nun in der Vielleicht hat die FDP nun gemerkt, Frau und stand bei allen wichtigen Kämpfen Emanzipation. dass der Schulterschluss eher einem Wür- konsequent auf der falschen Seite. Sie schreibt Ihr platzte der Kragen, weil ihr Re- gegrif gleicht. Dem Freisinn hat er nichts sich Frauenrechte nur zwischendurch auf die gierungsrat, Christian Amsler, zum xten als Ärger eingebracht. Die Bilanz der letz- Fahne, um Stimmung gegen Muslime zu ma- Mal von der SVP attackiert worden war. ten Jahre klingt wie ein Song von Gölä – chen (Seite 8). Gut, dass darauf immer weniger Kantonsrat Erhard Stamm hatte in einem grauenhaf: Verluste in den Parlamenten, Leute reinfallen. Mattias Greuter Vorstoss geschrieben: «Mehrfaches Füh- ein Sitz im Stadtrat weg und, am schwer- rungsversagen – ist Christian Amsler als wiegendsten, ein Erblassen des politischen Erziehungsdirektor noch tragbar?» Es ging Profils. Bei den letzten Nationalratswah- um den Streit mit Ernst Schläpfer, dem len war die SVP dank einer Listenver- Was weiter geschah geschassten Rektor des Berufsbildungszen- bindung näher am zweiten Sitz denn die trums. Die Frage war natürlich rein rheto- FDP am ersten. Im Mordfall von Hemmental, als im Dezem- rischer Natur. Was passiert nun bei den nationalen ber 2015 zwei Männer getötet wurden, be- In einer Mitteilung warf die FDP Wahlen in diesem Herbst? stätigt nun das Bundesgericht das Urteil des ihrer bürgerlichen Kollegin vor, ihr Vor- Es sieht schlecht aus für eine bürger- Schafauser Obergerichts. Die Beschwerde gehen sei «nicht nur unanständig und liche Listenverbindung in Sachen Natio- der Beschuldigten wurde abgewiesen. Die respektlos», sondern «schlichtweg stillos»: nalratswahlen. Aus Sicht der FDP ist das Hafstrafe von 15,5 Jahren ist somit rechts- «Wir verurteilen ganz grundsätzlich die- nicht weiter tragisch. SVP (locker) und SP kräfig. rl. se ehrverletzende Vorgehensweise scharf.» (weniger locker, aber letztlich ungefähr- Die FDP erwartet Wiedergutmachung: det) werden ihren Sitz verteidigen. «Es wird sich weisen, ob SVP-Kantonsrat Auf der anderen Seite wartet die Stän- Stamm Grösse zeigen kann und sich für deratswahl, und hier wird es interessant – diesen verbalen Fehltritt entschuldigen beziehungsweise hätte es interessant wer- Impressum wird.» den können. Ohne die Unterstützung der Schafhauser AZ Es ist schon das zweite Mal in die- SVP, und davon muss man ausgehen, wird Die unabhängige Wochenzeitung sem Jahr, dass sich Freisinn und SVP in FDP-Kandidat Christian Amsler kaum Webergasse 39 Kontakt die Haare geraten. Im Januar wollte er, Chancen haben, Thomas Minder gefähr- Postfach 36 052 633 08 33 zusammen mit der SP, SVP-Parteipräsi- lich zu werden. 8201 Schafhausen [email protected] dent Walter Hotz mittels Geheimplan ab- Da Amsler seine Kandidatur prak- www.shaz.ch Redaktionsleitung sägen (die Wahl des Polterers Hotz in die tisch schon unter den Weihnachtsbaum Mattias Greuter (mg.) Verlag Geschäfsprüfungskommission sollte ver- gelegt hat, hätte die SP aus diesem Tanz Marlon Rusch (mr.) Bernhard Ott hindert werden). Das Vorhaben scheiterte der Eitelkeiten herausschiessen können. [email protected] knapp, aber der Unmut blieb. Ab und zu Ob ihr das mit dem Jungpolitiker Patrick Redaktion Kevin Brühlmann (kb.) Inserate müsse man etwas für die Psychohygiene Portmann gelingt, ist fraglich. Nora Leutert (nl.) Sibylle Tschirky tun, sagte FDP-Fraktionschef Beat Hedin- Romina Loliva (rl.) [email protected] ger seinerzeit. Jimmy Sauter (js.) Vor zwei, drei Jahren wäre die Partei Julia Tarczali (jt.) Abonnieren Philippe Wenger (pw.) 3 Monate: 35 Fr. vermutlich stumm geblieben. Die SVP 1 Jahr: 185 Fr. haute munter drauf, einmal bezeichne- Fotografie 1 Jahr Soli-Abo: 250 Fr. te sie FDP-Exponenten als «in die Jahre Peter Pfister (pp.) [email protected] gekommene Buschtrommler», und der 20. Juni 2019 — FOKUS 3 Ein Anfang FRAUENSTREIK Packen wir's an: Der tinnen gibt», strahlte eine Teilnehmerin, «ich bin überwältigt», sagt eine andere. 14. Juni zeigte, was möglich ist, wenn Im Mosergarten beginnt das Fest nach dem Streik. Die Sitz- sich Frauen organisieren. Die Bewegung plätze werden knapp, Essen und Getränke müssen schon nach kurzer Zeit nachgeliefert werden. Hunderte von Frauen und ist aber noch lange nicht am Ziel, wie einige Männer feiern den Mobilisierungserfolg. heftige Reaktionen zeigen. Es fühlt sich in diesen Stunden an, als gehörte Schafausen ganz den Frauen, dem Fortschritt. Frau könnte meinen, es wäre gerade die ganze Schweiz auf ihrer Seite – was aber keineswegs stimmt, wie sich bald schmerzlich zeigen sollte. Mattias Greuter Spürbare Solidarität Kurz vor vier Uhr nachmittags erleben die Teilnehmerinnen diesen Moment, in dem sie merken: Der Frauenstreik ist richtig, Der eigentliche Erfolg des Frauenstreiks ist nicht seine Grösse, richtig gross. Auch in Schafausen. sondern ein dato unerreichtes Mass der Vernetzung. Was Schweiz- Aus rund dreihundert Frauen, die auf dem Fronwagplatz weit beobachtet wurde, zeigte sich auch in Schafausen: Frauen Reden, Lieder und ein Strassentheater mitverfolgten, werden und Gruppierungen mit unterschiedlichem Hintergrund ver- auf einen Schlag geschätzt achthundert, als sich der Umzug in bündeten sich schon in der Vorbereitung und schlossen sich für Richtung Mosergarten in Bewegung setzt. Als die Spitze des De- die gemeinsamen Forderungen zusammen. Entsprechend plura- monstrationszuges den Turm des Sankt Johann passiert, setzen listisch sind Streik, Umzug und Fest: Vorkämpferinnen, die noch sich die letzten Teilnehmerinnen 240 Meter weiter hinten ge- ohne Stimmrecht aufgewachsen waren, trefen auf aufallend rade erst in Bewegung. Zahlreiche Pflegeangestellte, Verkäufe- viele sehr junge Frauen, gestandene Politikerinnen marschierten rinnen und Bürokräfe, die am 14. Juni arbeiten müssen, haben Seite an Seite mit Arbeitnehmerinnen, die zum ersten Mal ein rechtzeitig zum Umzug für kurze Zeit die Arbeit niedergelegt, sichtbares politisches Zeichen setzten. mit oder ohne Erlaubnis. Eine davon ist Pflegefachfrau Elke Wolter: Sie sagt, in ihrem Euphorie macht sich breit im bunten und lauten Umzug: Beruf sei Streiken fast nicht möglich, sie hat heute frei. Ihre arbei- «Ich wusste gar nicht, dass es in Schafausen so viele Feminis- tenden Kolleginnen, die nicht teilnehmen können, haben sich 4 FOKUS — 20. Juni 2019 «Die Politik muss den «Das Gedankengut in den Köpfen unserer «Konsequenzen? Ich muss wohl Gleichstellungsartikel Gesellschaft muss sich verändern. Und wir froh sein, dass es im Munot keinen endlich umsetzen.» müssen unsere Mütter entlasten.» Kerker gibt!» Eden Habtemicael Patricia Scharr Munotwächterin Karola Lüthi vor dem Kantonsspital zu einem Gruppenfoto getrofen, mit ei- antwortlich, wo Dutzende von Frauen in pinken Pussyhats das nem Spruchband: «Sind wir wirklich weniger wert?» Wolter kriti- Mannehägli durchschwommen. Ausserdem arbeiteten in der siert zu tiefe Stellenschlüssel und die mangelnde Bereitschaf der Rhybadi am Streiktag nur Männer: Die Frauen streikten, und Politik zu Lohnerhöhungen – wovon aufgrund der Zusammen- zwar während der bezahlten Arbeitszeit. setzung der Belegschaf vornehmlich Frauen betrofen sind. Katharina Issa, Hebamme und Stationsleiterin in der Frau- enklinik, trug ein Foto ihrer arbeitenden Kolleginnen mit. Die Wenn Frau will, bleibt die Glocke still Hebammen reduzierten am Streiknachmittag ihre Arbeit: Rou- tinekontrollen wurden nicht angeboten, nur wenn Not an der Mitten zwischen hunderten von begeisterten Frauen sitzt im Mo- Frau war, arbeitete das Team. Issa sagte, sie werde gemeinsam sergarten Esther Bührer, die erste und bisher einzige Schafauser mit dem Hebammenverband Lohntransparenz fordern. Ständerätin. Beim ersten Frauenstreik 1991 hatte sie die Haupt- Gleiche Löhne sind die in den Gesprächen