Geschichte der Pfarrei

Von Karlheinz Bauer

Im Jahr 1275 erscheint die Pfarrei Amstetten erstmals in der urkundlichen Überlieferung. Dieser Umstand hat folgenden Zusammenhang: Auf der zweiten allgemeinen Synode von Lyon 1274 unter Papst Gregor X. wurde ein neuer Kreuzzug zur Verteidigung des Heiligen Landes beschlossen, der jedoch nicht zustande kam. Zur Bestreitung der Kosten wurde eine Generalbesteuerung des gesamten Klerus angesetzt. Alle Inhaber von kirchlichen Pfründen sollten den zehnten Teil ihrer Einkünfte beisteuern. Dieses Einzugsregister ist der „Liber decimationis“ (= Zehntbuch) der Diözese Konstanz von 1275. In ihm sind alle Pfarreien des damaligen Dekanats Süßen enthalten, zu dem auch Amstetten gehörte. Damit wird ausgesagt, dass Amstetten zu dieser Zeit bereits eine eigene Pfarrei besaß. Allerdings war sie die am schlechtesten besoldete: ganze 15 Pfund Heller waren die Einkünfte des Pfarrers.

Zum Glück verbesserte sich dieser Mangel in der Folge erheblich. In späteren historischen Quellen gibt es einige Anhaltspunkte dafür, dass die Pfarrei Amstetten ein besonderes Gewicht innerhalb des Kapitels Geislingen eingenommen hat. 1373 ist Johannes Schatzmann als hiesiger Kirchherr genannt; er war zugleich Dekan des Geislinger Kapitels.

Die Bedeutung der Amstetter Pfarrstelle bestätigt auch ein Zahlenvergleich der Pfarrerbesoldungen innerhalb des Kapitels (= Dekanat) Geislingen. Die einzelnen Pfarrerstellen waren früher sehr unterschiedlich dotiert. Das Einkommen eines Pfarrers beruhte in einer Zeit, in der es noch keine Kirchensteuer gab, allein auf Stiftungen der Pfarreimitglieder. Stiftungen waren ein Ausdruck frommen Sinnes der Bevölkerung. Je nachdem, in welchem Ort ein Pfarrer tätig war und wie spendenfreudig sich seine Gemeinde zeigte, saß er auf einer „fetten“ oder „mageren“ Pfründe, bezog er also ein höheres oder niedrigeres Einkommen.

Aus dem Jahre 1508, aus der Zeit kurz vor der Reformation, hat sich ein Register des Bistums Konstanz erhalten, das genaue Einblicke in die damaligen Einkommensverhältnisse der Pfarrer und Kapläne im Kapitel Geislingen ermöglicht. Daraus ergibt sich, dass die finanzielle Ausstattung der Pfründen im Durchschnitt sehr bescheiden war. Nicht nur Kapläne, auch viele Dorfpfarrer hatten aus ihrer Pfründe ein so geringes Einkommen, dass sie ihren Lebensunterhalt daraus nicht bestreiten konnten. Drei Viertel aller Geistlichen lebten damals am Rande oder unter dem Existenzminimum. Viele von ihnen versuchten, durch unerlaubte Nebentätigkeiten bis hin zum Ablasshandel ihr Einkommen zu verbessern. Dieser soziale Sprengstoff begünstigte nicht zuletzt die Hinneigung vieler Kleriker zu reformatorischen Ideen. Die schlechte Bezahlung führte außerdem dazu, dass nur schlecht ausgebildete Geistliche bereit waren, solche mageren Pfründen zu übernehmen. Für die seelsorgerliche Betreuung der Bevölkerung war diese Entwicklung mehr als ungünstig. Eine umgekehrte Folge war natürlich, dass nur auf wenigen, besser dotierten Stellen Geistliche mit Universitätsausbildung oder gar mit einem akademischen Grad, etwa dem Doktortitel oder der Magisterwürde, zu finden waren. Die Pfarrei Amstetten schneidet bei diesem Vergleich hervorragend ab. Ihr Pfarrer lag mit einem Jahreseinkommen von 60 Gulden weit über dem Durchschnitt innerhalb des Geislinger Kapitels. Er saß also auf einer „fetten“ Pfründe; außerdem war er im Besitz der Magisterwürde. Es handelte sich damals um den Pfarrherren Magister Johann Hawg (Haug). Dieser Pfarrherr, seit 1493 in Amstetten, muss ein sehr rühriger und einflussreicher Mann gewesen sein. Während seiner Amtszeit wurde 1499 der bereits genannte Umbau der Kirche durchgeführt und gleichzeitig das heutige Pfarrhaus gebaut. Außerdem trat er unerschrocken als Kritiker der spätmittelalterlichen römischen Kirche hervor und wurde damit zu einem Wegbereiter der Reformation in unserer Gegend.

Reformation

Die Reichsstadt führte 1531 die Reformation ein, und zwar anfänglich nicht im Sinne Martin Luthers, sondern nach der Lehrmeinung des Schweizer Reformators Ulrich Zwingli. Die Einführung der Reformation geschah in der Reichsstadt Ulm nicht durch einen obrigkeitlichen Akt, sondern kam auf demokratischem Wege zustande. Eine breite Mehrheit, nämlich sieben Achtel der Ulmer Bürgerschaft stellten sich in einer Abstimmung entschlossen auf den Boden der evangelischen Sache. Was das Ulmer Land betraf, so sah der Ulmer Rat auch dort grundsätzlich von einer zwangsweisen Durchführung der Reformation ab. Vielmehr wurde beschlossen, sämtliche Untertanen nach ihren Amtsorten kommen und dort drei Tage hintereinander durch einen Prediger aufklären und für die neue Sache gewinnen zu lassen. Die Amstetter Bevölkerung hörte die Predigten der Reformatoren entweder in Geislingen oder in . Der Geislinger Geistlichkeit war schon zuvor der große Umschwung, der sich auch in ihren persönlichen Verhältnissen anbahnte, zum Bewusstsein gekommen. Der Ulmer Rat hatte der gesamten Geistlichkeit eröffnen lassen, dass alle Zinsen und Gülten für die Seelenmessen, Jahrtage, Bruderschaften, die für ihre Pfründen gestiftet seien, von der Obrigkeit übernommen und für die Almosen verwendet werden sollten. Begreiflicherweise erhoben die Betroffenen Einspruch dagegen unter Hinweis darauf, dass es sich dabei um einen wesentlichen Teil ihres Einkommens handle, das durch päpstliches und kaiserliches Recht geschützt sei. Der Rat ging bei seiner Maßregel von der Überlegung aus, dass alle diese Gottesdienste, für welche diese Pfründen gestiftet waren, durch die Reformation hinfällig werden und damit auch ihre Pfründen.

Ein besonders hartnäckiger Gegner der Reformation in unserer Gegend war der Pfarrer an der Geislinger Stadtkirche, Dr. Georg Oswald. Er kämpfte leidenschaftlich in Wort und Schrift gegen die neue Lehre und es gelang ihm auch, viele Pfarrer des Kapitels Geislingen gegen die Neuerungen aufzubringen. Der Ulmer Rat bestellte die Pfarrer der Landgemeinden zu einer eigens dafür anberaumten Versammlung nach Ulm, bei der ihnen 18 Artikel zur Stellungnahme vorgehalten wurden. Als dann die Pfarrer über ihre persönliche Haltung zu der neuen Lehre vernommen wurden, stellte sich heraus, dass sich von 67 Pfarrern nur 22 als Anhänger der neuen Richtung bekannten. Unter den Gegnern befand sich auch der Amstetter Pfarrer Kalhart. Er war „papistisch“ gesinnt und erklärte, die Artikel seien wider seinen Glauben, er bleibe bei den Konzilien, d. h. beim alten Glauben.

Bei der weiteren Verhandlung über die Frage, wie man sich zu den verhörten Geistlichen stellen sollte, verzichtete der Ulmer Rat ohne weiteres auf diejenigen, die sich zur alten Lehre bekannt hatten. Die anderen wurden aber nicht ohne Prüfung des Einzelfalles in den Kirchendienst übernommen, sondern der Rat hielt sich an eine Auslese der Tüchtigsten und Zuverlässigsten und lud die Gutherzigen und diejenigen, welche erklärt hatten, sie verstehen die neuen Artikel noch nicht recht, zu einer zweiten Prüfung nach Ulm. Das Ergebnis war, dass sämtliche bisherigen Geislinger Geistlichen als unbrauchbar abgelehnt wurden, unter den Laien untergetaucht waren und von da an aus der Geschichte vollständig verschwanden. Nur die Pfarrer von Altenstadt, Bräunisheim, Luizhausen und wenige andere durften in ihren Gemeinden bleiben, erhielten aber die Weisung, sich den Artikeln gemäß zu halten und ihre „Dirne“ zu ehelichen.

Der zähe Widerstand, den der streitbare Pfarrer der Geislinger Stadtkirche zusammen mit der Mehrzahl seiner altgläubigen Mitbrüder leistete, um dadurch die religiöse Neuordnung zu hintertreiben, war der Grund, dass sich die Ulmer Reformation von 1531 in unserer Gegend nicht sofort, sondern erst nach Ablauf mehrerer Jahre durchsetzte. So kam 1535 Johannes Lauterer als erster evangelischer Pfarrer nach Amstetten. Neben der Erneuerung des Kirchenwesens zählte zu den Früchten der Reformation die Einrichtung deutscher Schulen. Dazu ist im ältesten Pfarrmatrikel von Amstetten vermerkt: „Anno 1598 10. Martii ist per Senatus Decretum [= Beschluss des Ulmer Rats] den Ambstettern vergunnt worden, weil die Jugend sich gemehrt und der Heilig [= Kirchenpflege] zimmlich vermögend, ein aigne Schul aufzurichten“. Die Gemeinde Amstetten besitzt damit schon seit 400 Jahren eine Schule.

Dreißigjähriger Krieg

Von den vielerlei Fehden und Kriegsstürmen der Vergangenheit wurde Amstetten wie das ganze Land betroffen, doch eine besondere Brandschatzung und Plünderung des Orts wurde nirgends aufgezeichnet. Lediglich in den Jahren 1610 bis 1612 fallen in den Kirchenbüchern drei Jahre lang verdoppelte Todesfälle auf. Der Pfarrer vermerkte damals im Totenregister „tempus grassantis pestis“ (= eine Zeit der grassierenden Pest), wobei heute nicht mehr zu entscheiden ist, ob es sich damals wirklich um die Schwarze Pest oder um eine andere Seuche gehandelt hat. Außer der möglichen Flucht in die Wälder oder dem gänzlichen Verlassen des Dorfes bot die Befestigung um die Kirche den einzigen Schutz vor aufziehenden Gefahren. Ob und wie oft die Bewohner davon Gebrauch machen mussten, ist nicht überliefert. Die größte Katastrophe, die unsere Gegend jemals in ihrer Geschichte erlebte, waren die Wirren des Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648). Diese überaus bewegte Zeit brachte großes Leid auch über Amstetten.

Aus konfessionellen und machtpolitischen Gegensätzen erwachsen, hatte sich der Dreißigjährige Krieg rasch zu einem europäischen Flächenbrand ausgeweitet. Es handelte sich um den ersten Weltkrieg in der Menschheitsgeschichte; seine Kriegsschauplätze lagen überwiegend in Deutschland. Nach der Nördlinger Schlacht (1634), die für den deutschen Südwesten schicksalhaft wurde, raste die Kriegsfackel auch durch den Geislinger Raum und hinterließ dort ihre grausamen Spuren. Heerhaufen zogen plündernd, brandstiftend und mordend durch das Land. Welche Not diese Heere über die Menschen brachten, berichten zahllose Dokumente in den Archiven. Kriegssteuern und Inflation, Münzverschlechterung und Wucher vergrößerten die allgemeine Armut. Schwere Lasten und Nöte erduldete die Bevölkerung durch ständige Truppendurchzüge, Einquartierungen, Kampfhandlungen und Flucht. Zur Teuerung trat der Hunger. Den Plünderungen folgte die Feuersbrunst, ganze Städte und Dörfer wurden total niedergebrannt. Zu allem Unheil grassierten noch Seuchen, allen voran die Pest, die so wütete, dass viele Ortschaften nahezu ausstarben. Um das genaue Ausmaß der Kriegsfolgen in Amstetten zu ermitteln, hat der Referent die Kirchenbücher des hiesigen evangelischen Pfarramtes durchgearbeitet.

In den ersten Jahren des Krieges ab 1618 war unsere Gegend noch wenig vom Kriege berührt. Als Wallenstein, der Oberbefehlshaber der kaiserlichen Heere, 1627 bei Heidenheim sein Lager aufschlug, verlegten sich seine Truppen vor allem auf Plündern und Niederbrennen. 1628 fielen 16000 Mann kaiserliche Truppen ins Ulmer Land ein und verheerten zahlreiche Dörfer, u. a. Nellingen, und . Die Kriegsherren traten den wilden, zügellosen Ausschreitungen ihrer Soldaten nicht entgegen. Eine rühmliche Ausnahme spielte sich in Geislingen ab: 1628/29 hielten die Kaiserlichen unter ihrem Feldmarschall Graf von Montecuccoli „ziemlich gut Regiment“ in der Stadt. Er ließ wegen Plünderung an einem einzigen Tag zehn Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten auf dem Geislinger Markt (= Hauptstraße) mit dem Schwert hinrichten. Doch die Ausschreitungen rissen in den folgenden Jahren nicht ab. Schon 1628 waren Soldaten auch nach Amstetten gekommen. Sie hatten teils ihre Frauen und Bräute dabei, denn es wurden hier Soldatenkinder getauft und Soldatenehen geschlossen; auch mehrere Todesfälle von Fremden vermerkt das Totenregister. Die Soldaten waren aus dem Raum Kassel, aus Eisenach, ferner aus Schlesien, Frankreich und der Schweiz. Sie starben hier während des Durchzugs in Richtung Italien.

1633 folgte der Auftritt der Schweden in unserer Gegend. König Gustav Adolf von Schweden hatte aktiv in den Krieg eingegriffen, einerseits zum Schutz des deutschen Protestantismus, andererseits aber auch aus machtpolitischen Gründen. Die Schweden lagerten bis 1634 zwischen Altenstadt und Süßen. Die Anwesenheit so vieler Truppenverbände im Filstal bedeutete eine hohe Gefahr für die Bevölkerung. In Amstetten fiel deshalb in diesen unruhigen Jahren immer wieder das Abendmahl aus.

Die größten Kriegsgreuel brachen nach der Schlacht bei Nördlingen (1634) an, bei der die Kaiserlichen über die Schweden siegten und danach kaiserliche wie schwedische Truppen erneut in den deutschen Südwesten einbrachen. Kaiserliche Truppen zündeten die Pfarrkirche in Altenstadt an; das Dorf Steinenkirch wurde fast gänzlich niedergebrannt. Sie zerstörten die Burg Hoheneybach, weil Christoph-Martin von Degenfeld als Oberst auf schwedischer Seite stand. Bei der Plünderung Geislingens kamen damals über 300 Personen zu Schaden, viele davon wurden ermordet, darunter der evangelische Stadtpfarrer Leo Roth. In Überkingen wurde der Badwirt Stephan Fink von den Soldaten am Feuer gebraten. 1635 plünderten die Kaiserlichen das Dorf Merklingen; die Orte Gingen und Stötten sanken ganz in Asche. Kein Wunder, wenn die Bevölkerung in diesen Jahren massenweise auf die Flucht ging. Die Wehranlagen ihrer Kirchhöfe reichten angesichts der feindlichen Übermacht nicht mehr aus. Teils suchten die Menschen Schutz hinter den Mauern Ulms – dort brach aber die Pest aus - , teils verkrochen sie sich in die Wälder, dort wurden sie von den Kroaten mit Bluthunden aufgespürt und zu Tode gehetzt. Auch die Einwohnerschaft von Amstetten war damals vor den Kaiserlichen nach Ulm geflüchtet. Der Pfarrer vermerkte in den Kirchenregistern: es „wurd die ganze Gmein zerstreuet, fiel aller Gottesdienst aus“. Was von Plünderungen und Zerstörungen verschont geblieben war, rafften Hungersnot und Seuchen vollends dahin. In den Jahren 1634 bis 1637 dezimierte die Pest alle Städte und Dörfer des Landes. In unserer engeren Umgebung waren viele Dörfer nahezu menschenleer, u. a. Hofstett-Emerbuch, Stubersheim, Böhmenkirch, Treffelhausen, Schnittlingen und Donzdorf.

Auch in der Gemeinde Amstetten hielt damals der Tod reiche Ernte. Die langen Namenslisten im Sterberegister berichten von den Opfern der Pest, der hitzigen Krankheit, des Hungers, des natürlichen Todes aus Schwäche und des gewaltsamen Todes durch Erschießen oder durch Selbstmord aus Verzweiflung. In den besonders schlimmen Jahren 1634 und 1635 starben in Amstetten 143 Männer, Frauen und Kinder. Bei einer geschätzten Zahl von etwa 200 Einwohnern entsprach das einem Bevölkerungsverlust von drei Vierteln innerhalb von zwei Jahren. Angesichts der hohen Sterberate wurden die Toten ohne Leichenpredigt beerdigt. Unter den Toten befanden sich besonders viele Wöchnerinnen und Kinder. Die Neugeborenen starben fast alle nach der Nottaufe. Hochzeiten fanden in diesen Notjahren kaum noch statt; meist Witwer wagten vereinzelt diesen Schritt, vermutlich um eine Mutter für die verwaisten Kinder zu bekommen. In den Amstetter Kirchenbüchern finden sich immer wieder kurze Randnotizen des Pfarrers, die schlaglichtartig die allgemeine Stimmung beleuchten. Da heißt es z. B. „Pestmonat“, „Du Würgemonat! “, „Ach! Auch ein leidiges Trauerjahr“. Und immer wieder ist die Rede von der Flucht. Von 1638 bis 1648, zehn lange Jahre, befanden sich die Amstetter auf der Flucht, teils nach Ulm, aber meist zogen sie nach Geislingen. Gerade auf der Flucht starben viele, vor allem die Kinder an Dysenterie (= Durchfall).

Die landwirtschaftliche Arbeit der Bauern war völlig zum Erliegen gekommen. Die Fluren waren verödet, die Äcker wurden nicht mehr bestellt, an ihrer Stelle wucherte mit Buschwerk überwachsenes Heideland. Große Rudel Wildschweine und Wild zerstörten die Forsten, und selbst Wölfe trieben sich durch die verwilderte Gegend. Die Besitzverhältnisse waren oft ungeklärt, denn die meisten Urkunden waren verlorengegangen. Noch bis zum bitteren Ende des Krieges währten die Schrecknisse. 1647 brannte das Dorf Gruibingen, 1648, kurz vor Friedensschluss, wurde von den Schweden in Brand gesetzt, weil die völlig verarmte Stadt die verlangte Kontribution nicht mehr leisten konnte. Ob Freund, ob Feind, für die geschundene Bevölkerung machte es keinen Unterschied, wer ihr brutal zusetzte, die Kaiserlichen, die Kroaten, die Spanier, die Bayern, die Schweden oder die Franzosen. Schwer wogen die Bevölkerungsverluste. Deutschland hatte durchschnittlich 50 % seiner Bewohner verloren. In den am meisten in Mitleidenschaft gezogenen Gebieten, wie in unserer Heimat, überlebte nur etwa ein Drittel der Bevölkerung. Ganze Familien wurden ausgelöscht und verschwanden aus der historischen Überlieferung der Städte und Gemeinden.

Während der langen Kriegsjahre waren in Amstetten immer wieder Soldaten einquartiert, die von dem Wenigen, das die Bevölkerung noch hatte, verpflegt werden mussten. Die menschlichen Verhältnisse zwischen Einheimischen und den Fremden scheinen gar nicht so schlecht gewesen zu sein. Gegen Ende des Krieges traten oft Soldaten als Paten auf bei Amstetter Kindstaufen. Sogar die Heirat eines Soldaten mit einem Amstetter Mädchen ist im Kirchenbuch vermerkt. Allerdings wurde dieser Vogel später samt seinem Nest wegen Bigamie des Landes verwiesen.

1648 wurde nach 30 Kriegsjahren der langersehnte „Westfälische Friede“ in Münster und Osnabrück unterzeichnet. 1650 gab es in Amstetten ein Dankfest. 1651 predigte ein schwedischer Superintendent in der hiesigen Pfarrkirche. 1652 fand hier die Taufe eines Kindes polnischer Flüchtlinge statt. Überhaupt siedelten sich nach dem Dreißigjährigen Krieg in unserer Gegend, die insbesondere durch die Pest einen hohen Bevölkerungsverlust erlitten hatte, viele Flüchtlinge an; sie waren im Tross des Krieges aus aller Herren Ländern gekommen, waren total entwurzelt und suchten in der Alblandschaft eine neue Heimat. Als „merkwürdig“ wird berichtet, dass sich Amstetten nach dem Großen Kriege sehr bald erholte und „trotz mancher Drückereien seitens der Amtleute wohlhabend wurde“.

Neuere Geschichte

Die Pfarrei Amstetten umfasste ursprünglich nur das Dorf und den Steighof mit der Ziegelhütte, wobei letztere Parzelle politisch schon immer (und bis heute) zu Geislingen zählte. Für das Jahr 1786 sind die ersten exakten statistischen Daten bekannt: Danach zählte Amstetten 210 Einwohner; das waren 36 Haushalte in 33 Häusern. Der Viehbestand der Bauern umfasste 40 Pferde, 125 Kühe und 49 Schafe.

Im 19. Jahrhundert entstanden entlang der uralten Verkehrslinie, die vom Filstal über die nach Ulm führt, vereinzelte Gebäude. Mit dem Bau des Bruckenwirtshauses im Jahre 1814 neben der kleinen Straßenbrücke über den vom Hofstetter Weg herunterkommenden Graben entstand der Weiler „Neuhaus“. In den Jahren bis 1848 kamen drei weitere Anwesen dazu. In der Beschreibung des Oberamts Geislingen von 1842 wurden im Dorf 299 und in der Parzelle „Neuhaus“ – auch Bruckenwirtshaus genannt – 14, also insgesamt 313 Einwohner, gemeldet. Weiter werden in diesem Bericht 55 Pferde und Fohlen sowie 197 Kühe und Schmalvieh angegeben.

Bald entwickelte sich aus der Parzelle „Neuhaus“ ein eigener neuer Ortsteil von Amstetten. Hauptsächliche Ursache war der Bau der württembergischen Staatseisenbahn, die seit 1850 als Hauptbahn des Landes von -Bad Cannstatt über die Geislinger Steige nach Ulm und von dort weiter nach führte. Mit dem Eisenbahnbau und dem Bau der Station Amstetten (Einweihung 29. Juni 1850) vergrößerte sich der Weiler Neuhaus sprunghaft (Steighof 1850, Gasthaus „Zur Post“ 1860, Gasthaus „Zum Rößle“ 1875). Am 20. Oktober 1901 wurde die schmalspurige Privatbahn Amstetten – sowie eine Postagentur eröffnet. Durch die am 30. Juni 1906 eröffnete vollspurige Privatbahn Amstetten – Gerstetten wurde die Stubersheimer Alb dem Verkehr erschlossen. Damit war Amstetten ein kleiner Eisenbahnknotenpunkt geworden. Gleichzeitig hatte durch diese Nebenbahnlinien der Wirtschaftsraum Geislingen eine beachtliche Erweiterung erfahren. Große Teile der Bevölkerung des Bezirks waren nun näher an das Industriezentrum Geislingen gerückt.

Die weitere Entwicklung der Gemeinde Amstetten wurde bestimmt durch die Lage des Bahnhofs im Tal. Während das Dorf Amstetten seinen Charakter als altes Albbauerndorf fast unverändert bewahren konnte, bekam der Bahnhof Amstetten seine besondere Bedeutung dadurch, dass hier die Bremser für die Bergauf- und –abfahrten auf der Geislinger Steige zusteigen und vorher die Bremsen nachgeprüft werden mussten. Schon bald bildete sich um diesen „Bremserbahnhof“ eine kleine Eisenbahnersiedlung, die sich ständig erweiterte durch neue Industrieunternehmen.

Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1905 ergab sich folgendes Bild: Dorf 263, Neuhaus 143, Bahnhof 39 und Steighof 8, insgesamt 453 Einwohner. Die stetige Weiterentwicklung am „Bahnhof“ durch Ansiedlung von Gewerbebetrieben und die Arbeitsmöglichkeiten in den Geislinger Industrien zeigte sich in der Volkszählung vom 16. Juni 1925: 502 evangelische und 27 katholische, zusammen 529 Einwohner. Dieser Zuwachs entfiel in der Hauptsache auf den Weiler Neuhaus einschließlich des Bahnhofs. Mit der Bekanntmachung des Ministers des Innern vom 9. April 1926 wurde der Beschluss des Amstetter Gemeinderats genehmigt, dass die Wohnplätze Bahnhof, Neuhaus und Steighof die einheitliche Bezeichnung „Amstetten-Bahnhof“ führen, während der westlich der Bahnlinie gelegene Teil die bisherige Bezeichnung Amstetten behielt.

Schon in 1930er Jahren, aber insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich um den Bahnhof Amstetten eine starke Bautätigkeit. Inzwischen hatten sich hier immer mehr Flüchtlinge und Heimatvertriebene aus den deutschen Ostgebieten angesiedelt, so dass der Ortsteil „Amstetten-Bahnhof“ von den Bevölkerungszahlen her bald das Dorf überflügelte. Die entsprechenden Zahlen lauten für das Jahr 1966: Amstetten-Dorf 287 (269 ev., 16 kath., 2 sonst.), Amstetten-Bahnhof 1030 (677 ev., 324 kath., 29 sonst.), zusammen 1317 (zuzüglich 167 Gastarbeiter). Später kam noch die Aurain-Siedlung dazu. Heute zählt Amstetten (ohne Eingemeindungen) 2678 Einwohner (Stand vom 31.12.2018).

Dieser sprunghafte Bevölkerungszuwachs brachte auch viele Probleme für die Evangelische Kirchengemeinde Amstetten mit sich. Vor allem wirkte sich die Tatsache aus, dass der Ortsteil „Amstetten-Bahnhof“ plötzlich mehr als doppelt so viele evangelische Gemeindeglieder zählte wie das Dorf, dem Standort der alten Pfarrkirche. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg hielt der Ortspfarrer im Winter Bibelstunden am „Bahnhof“ ab. Diese fanden bis 1960 im Saal des Gasthauses „Zum Rößle“ statt. Im gleichen Raum begannen ab 1954 auch Gottesdienste. 1955 wurde das neue Schulhaus am Sandrain eingeweiht. Die Gottesdienste konnten dann dort gehalten werden. Der Gedanke, Amstetten-Bahnhof müsse ein eigenes Gotteshaus bekommen, fand zuerst starken Widerspruch. Doch angesichts der immer weiter wachsenden Gemeinde setzte sich allmählich der Gedanke eines Neubaus durch. Nach den Plänen des Architekten Hans Krell, Ellwangen, entstand die Friedenskirche. In herrlicher landschaftlicher Umgebung, auf dem höchsten Punkt des Sandrains gelegen, erhielt sie am 22. Mai 1966 ihre feierliche Weihe. Ihr nadelförmiger Turm beherbergt 5 Glocken (a – c‘ – d‘ – e‘ – g‘).

Karlheinz Bauer

Quellen: Archiv des Evangelischen Pfarramtes Amstetten: „Ältestes Taufregister, Totenregister u. Trauungsregister (Nro I) der Gemeinde Amstetten 1601 – 1683“. Protokolle des Kirchengemeinderats. Pfarrberichte.

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