2020 | 2021

Ein Zeichen NES AMMIM der Völker für die Völker Inhalt

Liebe Leserin und lieber Leser 1 Thomas Kremers

Zeit für T´shuva: Die Bedeutung des jüdischen Neujahrs „Rosh HaShana“ 2 Rabbiner Or Zohar

Jüdische Fest- und Fastentage 4 Impressum: Nes Ammim Deutschland e.V. Gedanken zur Umkehr 5 Hans-Böckler-Str. 7 Prof. Dr. Klaus Müller 40476 Düsseldorf Tel. (0049) (0)211/4562 493 Fax (0049) (0)211/4562 497 … aber Christus gehört nicht uns. 7 Dr. Rainer Stuhlmann E-Mail der Redaktion: [email protected] E-Mail des Büros: Wie Nes Ammim, und die Palästinenser mit dem [email protected] Ausbruch von COVID-19 umgegangen sind Dr. Tobias Kriener 10 Spendenkonten: KD-Bank IBAN: DE17 3506 0190 1010 9880 19 Wie Corona unser Auslandsjahr beendete 14 BIC: GENODED1DKD Postbank Deborah Sausmikat, Silvia Pleines IBAN: DE40 3601 0043 0160 4884 38 BIC: PBNKDEFF Bewahren und erneuern – Nes Ammim auf dem Weg zu einer Peter Beier Stiftung Nes Ammim gemeinsam gestalteten Gemeinschaft 16 KD-Bank IBAN DE66 3506 0190 1013 4550 11 Thomas Kremers BIC GENODED1DKD Herausgeber Rezension zum Buch „Denk ich an Israel …“ 19 Nes Ammim Deutschland e.V. Thomas Kremers Thomas Kremers Redaktion Women Wage Peace – Peace-Carpet-Workshop 20 Liselotte Ueter, Natascha Kozlowski- Ueter, Sarah Ultes Tanja Maurer Technische Koordination Natascha Kozlowski-Ueter Arabische und jüdische Jugendliche diskutieren miteinander 21 Fotos Ofer Lior und Taiseer Khatib Copyright Nes Ammim, bzw. s. Angaben Arabische Kinder lernen Hebräisch 23 Gestaltung Michael Wichelhaus Ofer Lior und Taiseer Khatib Für den jeweiligen Inhalt der einzel- Seminar für Moderatorinnen und Moderatoren 24 nen Artikel sind die Verfasser und Taiseer Khatib und Ofer Lior Verfasserinnen verantwortlich. Alle Rechte vorbehalten. Holocaust Seminar 27 Deborah Sausmikat Studienreise nach Kfar Yasif 29 Ellen van der Meij

Die Dialogbank in Nes Ammim 30 Gerard Geitenbeek Von Nes Ammim nach Thessaloniki 31 Doro Flecken

Für Transparenz und Aufrichtigkeit 32

Liebe Leserin und lieber Leser

Ende Juli ist Gerlinde Butzphal aus gesundheit- In diesem Mitteilungsheft verknüpft Rabbi lichen Gründen kurzfristig von allen Führungs- Or Zohar seine Gedanken zum jüdischen Neu- ämtern in der deutschen und internationalen jahrsfest mit der Idee der Umkehr. Dieses Mo- Nes Ammim Bewegung zurückgetreten. Am tiv greift Klaus Müller auf und stellt es in einen 30.07.2020 wurde ich auf einer außerordentli- christlichen Kontext. Rainer Stuhlmann bezieht chen Vorstandssitzung zum Vorsitzenden des sich auf die Wurzeln Nes Ammims, die sich durch deutschen Nes Ammim Vereins gewählt. Die den prinzipiellen Verzicht auf Judenmission, das Wahl wurde auf der Mitgliederversammlung Lernen von Juden und den christlich-jüdischen am 24.10.2020 bestätigt und Sarah Ultes zur Dialog auszeichnen, und eröffnet eine nicht-antijü- stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Wir be- dische Perspektive auf Jesus als Messias. danken uns bei Gerlinde Butzphal für ihr Enga- gement und wünschen ihr eine schnelle Gesun- Die Corona-Krise hat auch Nes Ammim hart ge- dung und alles Gute. troffen. Tobias Kriener berichtet über den Um- gang Israels und der Palästinenser mit dem Virus Seit meiner Kindheit bin ich eng mit Nes Am- und ein Leben in Nes Ammim ohne Volontäre. mim verbunden. 1968 nahm mein Vater Heinz Deborah Sausmikat und Silvia Pleines beschrei- Kremers anlässlich eines Lehrauftrags an der ben, wie COVID-19 ihr Auslandsjahr abrupt been- Universität in Jerusalem seine Familie für eini- dete. ge Monate mit nach Nes Ammim. In einer der Baracken feierte ich meinen vierzehnten Ge- Ausgehend von den Ideen einer „Shared Commu- burtstag und bewässerte täglich die Baumsetz- nity“ skizziere ich einen möglichen Weg für eine linge auf dem noch weitgehend kahlen Hügel. zukünftige Gestaltung von Nes Ammim und Tanja 1971 half ich in den Sommerferien beim Bau der Maurer berichtet über die kreative Friedensarbeit Rosengewächshäuser und 1973 begann ich we- von „Women Wage Peace“. Ofer Lior und Taiseer nige Tage vor Beginn des Yom Kippur Krieges Khatib stellen dar, wie arabische Kinder Hebräisch meinen Zivildienst in Nes Ammim. Seit 2013 lernen und arabische und jüdische Jugendliche arbeite ich im Vorstand und habe seitdem mehr- miteinander diskutieren. mals Nes Ammim besucht. Es folgt ein Artikel von Deborah Sausmikat zum Die ökonomische Krise, die aus dem Aufge- Holocaust Seminar in Lochamei HaGetaot. ben der Rosenzucht resultierte, wurde durch Ellen van der Meij berichtet über die Begegnung den Verkauf von fast 100 Häusern an Israelis mit einer außergewöhnlichen Palästinenserin in überwunden. Heute besteht Nes Ammim aus Kfar Yasif und Gerard Geitenbeek erläutert die Be- zwei Teilen, dem Dorf der christlichen Freiwil- deutung der Dialogbank in Nes Ammim. Dorothee ligen und den vornehmlich jüdischen Israelis. Flecken wirbt für eine Studienreise nach Thessa- Im nächsten Jahr beginnen die Verhandlungen loniki. über den weiteren Verkauf von Häusern. Als Vorsitzender will ich gemeinsam mit allen in der Herzliche Grüße und bleiben Sie gesund Nes Ammim Bewegung Engagierten den kom- plexen Prozess der Integration beider Teile ge- Ihr Thomas Kremers stalten. Dabei gilt es, den wertvollen Kern Nes Ammims zu bewahren und in der Erneuerung wirksam werden zu lassen.

1 Zeit für T’shuva: Die Bedeutung des jüdischen Neujahrs „Rosch HaSchana“ Rabbiner Or Zohar

Übersetzung: Rabbi Or Zohar ist ein langjähriger Freund von liegen, dass bestimmte Gegebenheiten, an die Rainer Stuhlmann Nes Ammim. Er ist Musiker, Lehrer für Juden- wir gewöhnt waren und die wir für selbstver- tum und Kabbala und Community Builder in ständlich hielten, dahinzuschwinden scheinen. der israelischen Reformbewegung. Er dient als Welche Art von Perspektive brauchen wir, um Reformrabbiner des in diese Ereignisse am besten zu bewältigen, die Galiläa. uns in der ganzen Welt allesamt zu beeinflussen scheinen? Der hebräische Name für das jüdische Neu- jahr ist Rosch HaSchana. Rosch heißt Haupt Einige ältere Menschen, die heute unter uns le- oder das Erste, Schana heißt Jahr. Interessan- ben, können Ereignisse bezeugen, die vor vie- terweise kommt das Wort Schana von der he- len Jahrzehnten geschehen sind, wie die Welt- SchNH), und das heißt wirtschaftskrise, der Zweite Weltkrieg oder der) .ש.נה bräischen Wurzel beides: Wiederholung und Veränderung. Durch israelische Unabhängigkeitskrieg (an den sich diese doppelte Bedeutung macht die hebräi- viele Palästinenser als tragisches Ereignis erin- sche Sprache deutlich, dass wir, wenn wir über nern, das sie „Naqba“ nennen). Leute, die aus unsere Zeit nachdenken, beides bemerken: die weniger glücklichen Gebieten der Welt kom- wiederkehrenden und die sich stets verändern- men, wie aus bestimmten Ländern Afrikas oder den Aspekte unserer Existenz. auch hier in Nahost, erinnern uns an schreckli- che Gräueltaten, Armut und Krankheit, die für Ungleiche Erfahrungen und ungleiche Millionen Menschen eine Dauer-Realität sind in Sichtweisen genau diesen Tagen unabhängig von COVID-19. Jedes Ereignis, dem wir begegnen, als etwas Aus diesen verschiedenen Perspektiven mag Wiederkehrendes oder als etwas Neues zu be- sichtbar werden, dass „die noch nie dagewe- stimmen, ist – unnötig zu sagen – eine Sache senen Ereignisse“, von denen manche von uns der Perspektive. Einem kleinen Kind werden sprechen, in Wahrheit nach alledem keines- wahrscheinlich bestimmte Erlebnisse aufregen- wegs „noch nie dagewesen“ sind. Sie erschüt- der erscheinen als einer älteren und erfahrene- tern nur die schwache Illusion eines ziemlich ren Person. Es gibt einen Midrasch (einen anti- schwachen, aber eher privilegierten Bruchteils ken Kommentar zu einem Buch der hebräischen der Weltbevölkerung, der daran gewöhnt wor- Bibel), der sagt, dass König Salomo das „Hohe- den ist, sich sehr komfortabel, sicher und fast lied“ (ein biblisches Buch über erotische Liebe) unbesiegbar zu fühlen. Der Preis jedoch dafür, geschrieben habe, als er ein junger Mann war. so ein lukratives und gesichertes Leben zu füh- Dann habe er das Buch der „Sprüche“ geschrie- ren, ist auf Kosten des Wohlergehens anderer ben, als er im mittleren Alter war, und später, Menschen gegangen, um von den anderen Be- gegen Ende seines Lebens, habe er das Buch wohnern dieses Planeten und dem Planeten „Prediger“ geschrieben, das behauptet, dass es selbst ganz zu schweigen. „nichts Neues unter der Sonne gibt“. Viele Menschen sprechen heute davon, die Umdenken und Umkehren Menschheit erlebe gerade „noch nicht dagewe- In der jüdischen Tradition ist Rosch HaSchana sene Ereignisse“. Es scheint so, dass die Ver- auch gedacht als Jom HaDin, der Tag des Ge- bindung einer weltweiten Pandemie mit einer richtes. Diese Tradition bezieht sich übrigens ernsthaften sozio-ökonomischen Krise und po- auf alle Bewohner der Erde, nicht nur auf das litischer Instabilität in vielen Ländern dazu führt, jüdische Volk. Irgendwie ist diese Vorstellung dass viele von uns sich im Blick auf unser Leben ziemlich ähnlich der hinduistischen oder bud- verunsichert und verwirrt fühlen. Das mag daran dhistischen Idee vom Karma; das heißt, dass 2 alles, was uns widerfährt, ob wir es verstehen HaSchana jedoch sind wir aktiv, weil wir zielge- oder nicht, ist irgendwie eine Folge dessen, was richtet nachdenken, nach innen schauen, um wir vorher getan haben. Im gleichen Geist wer- Verzeihung bitten und verzeihen, Verantwortung den die Wochen vor Rosch HaSchana „die Zeit für unsere Taten übernehmen und versuchen, der Selichot“ genannt, Zeit zur Besinnung, um unser Verhalten zu ändern. einander um Verzeihung zu bitten und um Ver- antwortung für unser Tun zu übernehmen. Freilich nach der hassidischen Lesart der Ex- oduserzählung enthält auch sie ein Element Ein sehr wichtiger Begriff, der in der jüdischen menschlicher Aktivität. Sie beinhaltet ein Ver- Tradition mit diesem Datum verbunden ist, ist ständnis, nach dem der Pharao, der übelwol- der Begriff „T’schuva“, der oft mit „Reue“ lende ägyptische König, keine äußere böse übersetzt wird; allerdings bedeutet er etwas, Macht ist, sondern vielmehr ein angeborener das näher ist an Umkehr - Umkehr zu jemandes Teil aller und jeder menschlichen Seele und wahrem Selbst oder zur natürlichen Lebens- jedem menschlichen Gewissen. Nach dieser weise. Eine traditionelle jüdische Darstellung Deutung werden wir eingeladen, auszusteigen beschreibt den allbarmherzigen Schöpfer als aus der passiven Opfer-Sichtweise der Exodus- einen, der hofft und wünscht, dass die gesam- Erzählung und der unseres eigenen Lebens und te Menschheit durch den Prozess der T’schuva zu verstehen, dass die Mächte von Versklavung geht. Gegen Ende des Jom Kippur, des hei- und Aggressivität auch in uns selbst präsent ligsten Tages im jüdischen Kalender, der zehn sind. Es ist wichtig zu betonen, dass die has- Tage nach Rosch HaSchana liegt, lesen wir das sidische Deutung der Exoduserzählung (so wie Buch Jona, das uns lehrt, dass Gottes Mitleid die anderen oben erwähnten Überlieferungen in gleicherweise zu allen Bewohnern der Erde zu Selichot, Jom HaDin, T’schuva um die Zeit überfließt unabhängig von ihrer Eigenheit, ihrem des jüdischen Neujahrs, Rosch HaSchana her- Glauben oder ihrer moralischen Haltung. Die um) nicht die Bedeutung haben, ein Gefühl von Tore der T’schuva sind stets offen für die, die Schuld oder Scham zu erzeugen, sie haben viel- sie begehren. mehr die Bedeutung, uns aufzuwecken, uns auf Selbstbesinnung auszurichten und auf Übernah- Aber die Begriffe T’schuva (Umkehr) und Jom me von Verantwortung für unser Leben. HaDin (Gericht) übersehen nicht die widrigen Aspekte unserer Wirklichkeit. Nach jüdischer Wie können wir diese überlieferten Denkwei- Tradition hat die göttliche Vorsehung eine Wei- sen mit dem jetzigen Jahr 2020 (oder nach jü- se, uns Signale zu senden, wenn wir vom Kurs discher Zählung 5780/5781) verbinden und dem abkommen, um uns dazu einzuladen, auf unser COVID-19 Dauerzustand? Daran, wie diese ge- Leben zu blicken und auf die Entscheidungen, genwärtige Krise sich entwickelt und entfaltet, die wir getroffen haben, nachzudenken und wird sichtbar, dass das, was wir erleben, nicht nach innen zu schauen und vielleicht Verantwor- irgendetwas ist, das durch eine Zauber-Behand- tung für unsere Taten zu übernehmen und sie lung oder eine Impfung über Nacht ausgerottet zu korrigieren. Es gibt einen Midrasch, der lehrt, werden könnte. Ich hoffe, dass wir zwar zu ak- dass die Vorsehung in dieser Welt wirkt wie die zeptieren lernen, dass viele unserer Erfahrun- Sonne, erleuchtet das Rechte und verbrennt gen jenseits unserer Beherrschbarkeit liegen, das Verkehrte. Eine Weise, das zu verstehen, wir uns aber nicht der Passivität hingeben, uns ist, dass manche Ereignisse, die uns hart und nicht eine Opferhaltung aneignen im Blick auf ungerecht erscheinen, in Wirklichkeit der Vorse- die jetzige Pandemie und ihre verheerenden Fol- hung Weise ist, uns zu zeigen, dass wir anders gen. Ich hoffe vielmehr, dass wir lernen, ihre un- leben müssen. Mit anderen Worten, es ist eine fassbare Erscheinung als einen lauten Weckruf Sache der Perspektive. zu sehen, der gekommen ist, um uns aufzurüt- teln und uns zu veranlassen, unser Verhalten zu Aktivität und Passivität verändern. Ich glaube, dass diese Weise, die jet- Ein anderer wichtiger Punkt, den uns die jüdi- zige Situation anzugehen, weiter reichend ist als sche Tradition zu Rosch HaSchana lehrt, ist, der Glaube an irgendeine bestimmte Theologie, seinen Bezug zu Pessach zu beachten, dem Dogma, eine Weltanschauung oder Religion. Es Fest, an dem das jüdische Volk der Erzählung ist ein Weckruf an uns alle, T’schuva zu tun. Als des Exodus gedenkt und gewissermaßen ihn im Frühling die erste Virus-Welle ausbrach, ist wieder vollzieht, indem es Erlösung und Befrei- meine Cousine Tchelet Zohar, eine junge talen- ung aus der Sklaverei feiert. Der Vergleich die- tierte israelische Künstlerin des gesprochenen ser zwei Feste, von denen das eine im Herbst Wortes, inspiriert worden, das folgende Gedicht und das andere im Frühjahr liegt, zeigt, dass sie zu schreiben. Ich finde es immer noch bedeut- eine ganz gegensätzliche religiöse Stimmung sam und bedeutungsschwer und irgendwie im- ausdrücken. An Pessach erscheinen wir passiv, mer ergreifender, wenn wir uns auf den Herbst weil wir durch die Kraft der machtvollen Hand zu bewegen und leider immer noch tief in der Gottes zur Erlösung geführt werden. An Rosch andauernden Krise. 3 Indem ich ihre Worte zitiere, um diesen Essay abzuschließen, möchte ich uns allen ein gutes und angenehmes Neujahr wünschen, wie der traditionelle Festsegen lautet: „Möge das letzte Jahr und seine Flüche enden und das Neue Jahr Jüdische Fest- und Fastentage und seine Segnungen beginnen!“ 5781 / 5782 || 2021 …………………………………………………………………… Tu Bischwat 28. Januar …………………………………………………………………… Virus Purim (Losfest) 26. Februar von Tchelet Zohar …………………………………………………………………… Pessach 28. März bis 4. April …………………………………………………………………… Wenn ich ein engel wäre gesandt von Gott Jom Ha Shoa 8. April Um der menschheit eine lektion zu erteilen (Holocaust-Gedenktag) In beschränkung treffsicherheit und schlicht- …………………………………………………………………… heit Jom Ha Azma´Ut 15. April (73. Israelischer Unabhängigkeitstag) Ich würde mich in ein virus verwandeln …………………………………………………………………… Und mich in ihre körper entsenden Schawuot 17. und 18. Mai So würden sie sich zuallererst erinnern dass (Wochenfest) sie körper haben …………………………………………………………………… Fasten 9. Aw 18. Juli Aus dem gleichen stoff gemacht wie die ster- …………………………………………………………………… ne und die erde Rosh HaSchana 5782 7. und 8. September Genau wie alles was sie umgibt (Neujahr) Ich würde ihre gebrechlichsten anstecken …………………………………………………………………… Wie unbedeutend sind doch minderheiten Jom Kippur 16. September (Versöhnungstag) und fransen …………………………………………………………………… Ich würde meinen weg finden durch berüh- Sukkot 21. bis 27. September rung und atem (Laubhüttenfest) So würden sie aufmerksamkeit zollen …………………………………………………………………… den dingen die sie für selbstverständlich hal- Schemini Azeret 28. September (Schlussfest) ten …………………………………………………………………… Eine umarmung ein kuss ein tiefer atemzug Simchat Tora 29. September Ich würde sie in ihre häuser einsperren (Tora- Freudenfest) Einfrieren ihre flugzeuge ihre züge ihre raserei …………………………………………………………………… Ihre nie endende flucht vor sich selbst Chanukka 29. November bis (Weihefest) 6. Dezember Ich würde sie daran erinnern dass ihre spiel- …………………………………………………………………… chen Die sie spielen mit geld und nationen Beginn jeweils am Vorabend Mir keinen eindruck machen Selbst wenn ihr hexer der wörter geworden seid Aus ideen realitäten schafft Natur wird euch überleben Ich würde ausgehen von tiermärkten So würden sie unfähig sein das leiden zu übersehen Und wie grausamkeit einen weg findet Am ende zwiefältig zurückzukommen Hinterhältig ansteckendem lachen gleich.

4 Gedanken zur Umkehr „Weißt du nicht, dass Gottes Güte

dich zur Buße leitet?!“ Römer 2,4

Klaus Müller

In den Gremien von Nes Ammim vertritt Klaus genbaum; und als er kam und nachsah, ob er Müller die Evangelische Landeskirche in Baden Früchte trug, fand er keine. 7 Da sagte er zu sei- auf nationaler und internationaler Ebene. nem Weingärtner: Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Liebe Leserin, lieber Leser, es gehört zu den Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was wichtigsten Mitteilungen, die ein „Mitteilungs- soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? heft“ enthalten kann: Umkehren ist möglich! Es 8 Der Weingärtner erwiderte: Herr, lass ihn die- geht auch anders! Es gibt die Chance des Neu- ses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn anfangs: Das Leben kann noch einmal begin- herum aufgraben und düngen. 9 Vielleicht trägt nen. Kann es denn das? Innehalten zur Einkehr, er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn zur Umkehr, zum Neuwerden. umhauen.“

Das alte Wort Buße ist der Schlüssel – für die So sehr brennt uns das biblische Bild vom Fei- jüdisch-Glaubenden mit ganzer Intensität an den genbaum die Realität des göttlichen Gerichtes Hohen Feiertagen, für die christlich-Glaubenden ins Herz, dass sogar ein wackeliges „vielleicht“ besonders dann, wenn an den Altären unserer zum Hoffnungsträger wird. Wenn uns irgend- Gottesdiensthäuser die Farbe Violett aufgelegt wann jeder geistliche Hochmut, jede Selbstge- ist. Buße. Doch auch das Wort Buße hat die rechtigkeit aus der Hand geschlagen wird, dann Buße nötig, so malträtiert und verletzt es ist. Es in den violetten Zeiten der Buße und der Um- ist uns unter der Hand zum Drohwort verkom- kehr. Damit die freie unverdiente Gnade trium- men, dieses Wort Buße. Übrigens tut uns im phiere. christlichen Verständnis von Buße der Blick auf die jüdische Tradition besonders gut, insofern Gedanken zur Umkehr - darin steckt eine gute im neutestamentlich-griechischen „Metanoia“ und eine schlechte Nachricht an uns. Zuerst immer etwas tendenziell vergeistigt Abgehobe- die schlechte: So kann es nicht weitergehen, nes mitschwingt und im hebräischen „Schuv“ Mensch! Du bist der Buße bedürftig! Du inmit- das tatsächliche Umkehren mit Leib und Seele ten all deiner zementierten Unmenschlichkei- und Füßen betont ist. ten. Die Vorwürfe sind erdrückend. Ach Gott, vom Himmel sieh darein, was um uns herum Jedenfalls wird es darauf ankommen, dass die und in uns drin vorgeht. Die Welt und wir mit Buße das Evangelium zurückgewinnt, ohne ih- ihr sind voll von Misstrauen, Zwietracht und ren Ernst dabei zu verlieren. Geltungssucht. Zu allen Zeiten. Und nicht nur die Welt draußen, sondern auch das Gottesge- „Wird es ein Gericht geben?“, lässt Thomas wächs drinnen. Mann in seinem grandiosen Roman „Joseph in Ägypten“ fragen. Und die Antwort im Gespräch Denn mit Feigenbaum und Weinberg sind wir bi- der senilen Eltern Potiphars im Roman lautet: blisch immer auf dem Terrain des Gottesvolkes „Man muss damit rechnen.“ – kein Anlass irgendwie mit dem Finger nach draußen zu zeigen. Kein Anlass für Zorn und Ra- Und ob man damit rechnen muss; das Gleich- che nach außen hin, gegen die böse Welt, aber nis vom Feigenbäumchen spricht eine deutliche allen Grund zur Buße und Umkehr im Inneren. Sprache (Lukas 13, 6-9): Unglauben, Zwietracht und Geltungssucht. Mit- „6 Und Jesus erzählte ihnen dieses Gleichnis: ten unter uns Christenleuten. Zeige uns das Viel- Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Fei- leicht unserer Rettung. Arbeite noch ein Jahr an

5 uns! Und dann sieh noch einmal darein! Denn Lasst uns wieder anfangen, gut vom Menschen es wird ein Gericht sein. Und man wird damit zu sprechen – gerade im Zeichen der Möglich- rechnen müssen. keit zur Teschuva, und lasst uns dann einander helfen, den Weg der Buße umzusetzen in klei- Es sind aber nicht nur die hohen Ansprüche zu ne Schritte der Umkehr und des Neuanfangs im hören beim Unternehmen Umkehr, es wird nicht Zeichen des guten Wortes, das über unserem nur gefordert, es wird auch gefördert, gepflegt Leben gilt. und gehegt. Die gute Message vom Umkehren lautet: Du bist zur Umkehr fähig. Das muss nicht Am Ende ist es sehr einfach und elementar, so alles immer so weiter dümpeln mit uns und zwi- wie es Thomas Kremers als Merkspruch aus schen uns – Kurskorrektur ist möglich. Jesus dem Munde seines Vaters in Erinnerung behal- ist kein Zyniker, der zu einer Umkehr ruft, die ten hat: „Wer umkehrt, dem kommt man ent- unmöglich wäre. Die Bibel hält uns doch nicht gegen.“ zum Narren, sondern ist uns Anleitung zur Kurs- korrektur. Ja - und das Feigenbäumchen aus dem gar nicht so sanften Gleichnis Jesu? In den ersten drei Damit die Buße evangeliumsgemäß werde, bi- Jahren der Pflanzung ist sowieso noch nicht blisch richtig begründet sei, braucht es Worte an Früchte zu denken – das weiß nicht nur wie: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, ge- der Profigärtner. Da braucht es Zeit zum He- duldig und von großer Güte. Er handelt nicht mit ranwachsen. Und dann? Man wird von einem uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht Feigenbaum nicht erwarten, dass er Datteln nach unseren Missetaten. Denn so hoch der trägt, sondern Feigen, süße, wunderbare reife Himmel über der Erde ist, lasset er seine Gna- Feigen. Das liegt ihm eigentlich im Blut, ist das de walten über die, so ihn fürchten.“ Grandios. so schwer? Das liegt im Kern seines innersten Der 103. Psalm. Das wird dann der im Psalter Wesens, Feigen zu bringen. Das ist nun wirklich geschulte Apostel Paulus in seinem großen auch zu erwarten. Nicht mehr, aber doch auch Satz bündeln: „Weißt du nicht, dass dich Gottes nicht weniger. Sei doch einfach, der du bist: Güte zur Umkehr leitet?!“ Mensch, Gotteskind, Geistträger. Dann wirst du auch Früchte bringen der Menschlichkeit, der Da ist alles geschöpft aus der jüdischen Grund- Gotteskindschaft und des Geistes. Übers Jahr. haltung, wie sie aufs Eindringlichste in den Ge- Und Gott wird sehen und sich freuen. beten zu Rosch HaSchana und Jom Kippur wie- der und wieder zum Ausdruck gebracht werden: „Avínu malkénu chonénu va‘anénu ki ejn bánu ma‘assím! asséh immánu tsedaká va-chässäd ve-hoshi’énu – „Unser Vater, unser König, sei uns gnädig und erhöre uns, denn wir haben kei- ne Werke vorzuweisen! Übe an uns Gerechtig- keit und Gnade und errette uns!“

Das sind Sätze, die zur Umkehr leiten. Weil sie mir das Leben neu zusprechen, zu allererst mich abholen bei meinem Menschsein, wie schwach sich das auch anfühlen mag: Willkommen, Mensch! Du bist zu beglückwünschen, wir sind richtig selig und voller Freude darüber, dass es dich gibt. Und du kannst das auch sein. Weißt du: Es ist Gottes Güte und Glaube an dich, die dich zur Umkehr leiten!

Die Worte von der Güte und der Geduld Gottes – die markieren den ersten Schritt zur Umkehr. Und dann werden die anderen folgen und folgen müssen mit aller Entschiedenheit: die Schritte zur Gerechtigkeit, zur Friedfertigkeit, zur Barm- herzigkeit, zur Sanftmut, zur Selbstbescheiden- heit. Das wird uns alles in die Beine und in die Hände strömen, wenn das Herz und der Kopf erfüllt sind von der Einsicht in die bewunderns- werte Würde und Erhabenheit des Menschen: Wir sind Gewächse im Fruchtgarten Gottes.

6 …aber Christus gehört nicht uns. „Kristallnacht“ - Gedenken als Herausforderung für die Christologie

Rainer Stuhlmann

7 Rainer Stuhlmann war von 2011 bis 2016 Stu- „Von Juden lernen“ als theologisches dienleiter in Nes Ammim Israel. Der vorliegen- Gegenprogramm de Artikel geht zurück auf seine Hauptrede bei Nes Ammim ist Teil einer Gegenbewegung der Kristallnacht – Gedenkfeier am 9. November gegen diese Tradition. Es ist Teil einer europä- 2019 im House of Prayer and Study in Nes Am- ischen christlichen Bewegung, die die tradi- mim Israel. tionelle Theologie um 180 Grad umkehrt. Nes Ammim ist die Materialisierung dieser neuen Das Gedenken an die „Kristallnacht“ bedeutet europäischen Theologie. Ihr Programm lautet für mich eine doppelte Herausforderung. Ich bin „Von Juden lernen“. Und Nes Ammim bietet als Deutscher und als Christ (und besonders als seit mehr als fünfzig Jahren Gelegenheiten für christlicher Theologe) herausgefordert. dieses Lernprogramm. 1. ist das Programm „Von Juden lernen“ das Die Umkehr von einer mörderischen Gegenprogramm zum Programm „Juden be- Theologie lehren, Juden missionieren, Juden bekehren“. Schon vor Jahrzehnten habe ich gelernt: Eine Jede und jeder, die in Nes Ammim leben und Wurzel und wahrscheinlich die machtvollste arbeiten, haben sich durch ihre freiwillige Un- Wurzel des modernen Antisemitismus ist der terschrift zu diesem Programm verpflichtet. Alle christliche Antisemitismus. Die christliche Kir- Arten der Judenmission sind verboten, denn wir che und ihre Theologie haben zu den schreck- glauben, dass die christliche Missionierung von lichen Pogromen in Deutschland im November Juden gegen den Willen Gottes ist. 1938 beigetragen. Sie lieferten die gefährliche 2. bedeutet „Von Juden lernen“ anzuerkennen, Ideologie. Deshalb frage ich nach dem kirchli- dass 80 % der christlichen Lehre Judentum ist. chen und theologischen Beitrag zu diesen Po- Der Glaube an den einen unsichtbaren Gott, der gromen und wie wir heute diese fatale Lehre gnädig und barmherzig ist, Recht und Gerech- vermeiden können, die über Jahrhunderte Mord tigkeit liebt, die Gebote gegeben hat, die Zehn und Terror gegen Juden und schließlich im 20. Gebote, das Gebot, den Nächsten und den Jahrhundert die Shoah hervorgebracht hat. Fremden zu lieben, das Gebot der Feindesliebe, „Wir Christen wissen mehr als die Juden. Wir die Erwartung einer neuen Welt der Gerechtig- kennen ihren Messias. Juden sind blind für die keit und des Friedens. Das alles ist genuines Wahrheit.“ Das sind drei Behauptungen, in de- Judentum. Christen haben das alles von Juden nen der christliche Antisemitismus seine Wur- gelernt. Und sie haben dies auch weiterhin zu zeln hat. Durch diese Behauptungen förderten lernen - von und mit Juden. Einzig der Glaube an Kirche und Theologie die Haltung christlicher den Messias ist zwischen Juden und Christen Überlegenheit und das Verhalten religiöser Ar- strittig. Für Juden ist die Identität des Messias roganz. eine offene Frage. Christen glauben, dass der gekreuzigte und auferstandene Jesus der Mes- Die fast zweitausendjährige Geschichte von Kir- sias ist. Diese Differenz müssen wir aushalten. che und Theologie prägt uns, beginnend mit dem 3. bedeutet also „Von Juden lernen“ auch von Neuen Testament, über die griechischen und dieser Differenz zu lernen, vom jüdischen NEIN lateinischen Kirchenväter, die Karfreitagspredig- zum Messias Jesus. Früher lehrte die Kirche, ten im mittelalterlichen Europa, Martin Luther das NEIN zum christlichen Glauben sei ein jü- und die christliche Theologie aller Kirchen im 19. disches Defizit, der Glaube an Jesus als Mes- und 20. Jahrhundert. Unsere Geschichte prägt sias sei etwas, was Juden fehle. Aber ihr NEIN unser kollektives Bewusstsein und unser Unter- ist kein Mangel, den wir irgendwie überwinden bewusstsein, unser Lehren und Predigen, un- müssen, so dass wir sie evangelisieren und zu sere Handlungen und Haltungen. Leider endete Christen machen müssten. Vielmehr ist das jü- diese Prägung nicht in unserer Gegenwart. Und dische NEIN ein Vorteil für uns Christen, eine diese Prägung ist nicht auf deutsche Theologie Gelegenheit, unser eigenes Bekenntnis besser beschränkt. Die meisten Christen in Asien und zu verstehen. Wir müssen lernen, dass Jesus Afrika kennen keine Juden persönlich von Ange- keine Pille ist, die wir schlucken müssen, um sicht zu Angesicht; sie sind nicht für die Shoah das Heil zu erlangen, sondern der universale verantwortlich, ja, aber sie lehren und predigen Herr, frei, unabhängig, souverän. Er ist der Rich- die antisemitische Theologie, die sie von den ter, nicht wir Christen. Die christliche Lehre über europäischen Missionaren gelernt haben. Die Jesus Christus - genau das ist heute das Prob- Kirchen in Nord- und Südamerika haben die Ju- lem. den nicht verfolgt, ganz und gar nicht, aber sie lehren und predigen dieselbe Überlegenheit und Das Christus-Bekenntnis als Angriff auf das religiöse Arroganz: „Wir Christen wissen mehr Judentum als die Juden. Wir kennen ihren Messias. Juden Wie sollen Christen heute Jesus als Messias be- sind blind für die Wahrheit.“ kennen? Sie können das auf aggressive Weise tun. Die Christologie kann zu einem Angriff ge- gen das Judentum und den Islam werden und 8 damit zu einer neuen Wurzel des christlichen kenntnis „Christus allein“ ist eine innerchristli- Antisemitismus und der Islamophobie. Und vie- che Unterscheidung. Christus allein - nicht das le Christen bekennen sich tatsächlich auf solch Christentum. Christus - nicht unsere Christolo- aggressive Weise zu Jesus als dem Messias. gie. Wir gehören Christus, aber Christus gehört Sie behaupten den Absolutheitsanspruch des nicht uns. Christentums. „Christus allein“. „Es gibt keinen Unsere Christologie ist also auch polemisch, Weg zu Gott außer Jesus Christus“. „Jesus angreifend, aber nicht ein Angriff gegen andere Christus ist die einzige und alleinige Wahrheit“. Religionen. Unsere Christologie greift unseren Und sie interpretieren diese Sätze als Beweis eigenen christlichen Triumphalismus an, unse- für die exklusive christliche Wahrheit, für das re eigene christlich-religiöse Arroganz, unsere Fundament der christlichen Religion. Einige die- eigenen christlichen Überlegenheitsansprüche. ser Christen bezeichnen sich darum selbst als Nes Ammim macht das von Anfang an deutlich, „Fundamentalisten“. indem es das Kreuz als christliches Symbol ver- Tausende von ihnen kommen nach Israel. Sie meidet. Denn das Kreuz war lange das Symbol behaupten: „Wir lieben Israel. Wir lieben Zion“. des christlichen Triumphalismus. Das Kreuz er- Sie bezeichnen sich selbst als „christliche Zio- innert Juden und Muslime an ihre Erfahrungen nisten“. Für einige von ihnen schließt die Liebe der Verfolgung durch Kirche und Christentum, zu Israel Feindseligkeit gegen Muslime, Araber an Zwangstaufen, an Folter und Mord. Ihnen und Palästinenser ein. Die meisten von ihnen können wir Christen darum nicht verständlich wissen nicht einmal, dass es christliche Paläs- machen, was das Kreuz für Christen bedeutet, tinenser gibt, sogar evangelikale Palästinenser. den Sieg des Lebens über den Tod. Deshalb lieben die israelische Regierung und Dabei verheimlichen wir nie, dass wir Christen die rechten Parteien die christlichen Zionisten. sind. Aber nicht das Symbol des Kreuzes er- Dabei übersehen sie deren versteckte antisemi- weist uns als Christen. Um uns als Christen zu tische Botschaft „Nur ein getaufter Jude ist ein outen, benutzt Nes Ammim nicht das Symbol guter Jude“. des Kreuzes, sondern das Symbol des Fisches. Ichthys, das Bekenntnis zu Jesus Christus in So- „Nur ein getaufter Jude ist ein guter Jude.“ lidarität mit allen leidenden Opfern. Das ist nicht nur die Botschaft der christlichen Zionisten, sondern auch die Botschaft der so Ein Zeichen der Demut statt des Triumphes. Wir genannten „messianischen Juden“. Während bekennen den gekreuzigten und auferstandenen meiner fünf Jahre in Nes Ammim war ich im- Jesus als Messias. Aber der Messias, der ge- mer auf der Suche nach „messianischen Ju- kommen ist, ist nicht in unseren Händen, nicht den“. Ich traf viele von ihnen in , Akko, in unseren Köpfen, Büchern und Predigten. Er Kiryat Yam, , Haifa, Tel Aviv, Jerusalem ist der kommende Herr, der allen menschlichen … Aber was ich unter der Bezeichnung „mes- Beweisen entzogen ist. Wir können ihn nicht sianische Juden“ fand, waren englisch- oder greifen und festhalten, um uns mit ihm zu iden- russischsprechende evangelikale Christen. In ih- tifizieren. Die Frage nach dem Messias ist auch ren Gottesdiensten gab es nicht viel, was an das für Christen eine offene Frage. Sie ist offen für Judentum erinnerte. Aber ich hörte schreckliche die Antwort des Messias selbst. Der Allmächti- Predigten in den messianisch-jüdischen Ge- ge wird triumphieren, nicht die christliche Lehre meinden über die anderen Juden, die sich wei- über den Allmächtigen. Der Eine wird triumphie- gern, an den Messias Jeschua zu glauben. Es ren, der Allbarmherzige, der das Universum er- gab die gleiche Überheblichkeit und die gleiche schaffen hat. Im Blick auf den Einen, den Unver- religiöse Arroganz, wie ich sie aus meiner eige- fügbaren, haben wir viel voneinander zu lernen: nen christlichen Tradition kannte. Sie zerstörten Christen, Juden, Muslime, Hindus, Atheisten … meine Hoffnung, dass diese religiöse Arroganz Die Skulptur im Atrium unseres Gebetshauses überwunden worden ist. Und deshalb ist Nes ist eine Predigt gegen jede religiöse Arroganz Ammim weder ein Ort für christliche Zionisten und gegen jedes Überlegenheitsbewusstsein. noch für sogenannte messianische Juden. Seien Sie wachsam! Der Kampf gegen den An- tisemitismus, auch gegen den versteckten Anti- Das Christus-Bekenntnis als Angriff auf semitismus, der sich als religiöse Überlegenheit christlichen Triumphalismus tarnt, ist heute wie damals nötig. Gedenken der Nes Ammim ist ein Ort des Lernens. Auch wir „Kristallnacht“ bedeutet, aus der Vergangenheit bekennen: „Christus allein“. „Es gibt keinen für unsere Gegenwart und Zukunft zu lernen. Weg zu Gott außer Jesus Christus“. „Jesus Gedenken der „Kristallnacht“ bedeutet: Folgen Christus ist die einzige und alleinige Wahrheit“. Sie nicht den Predigern einer christlichen Über- Aber seine Wahrheit ist nicht unsere Wahrheit. legenheit, sondern folgen Sie den Lehrern der Christus ist die Wahrheit, nicht die christliche christlichen Demut, die uns lehren, auf andere Lehre über ihn. Das Bekenntnis „Christus al- zu hören, von anderen zu lernen, mit anderen in lein“ schließt andere nicht aus, weder Juden den Dialog zu treten. Das ist unsere Lektion für noch Muslime noch sonst jemanden. Das Be- den 9. November heute. 9 Wie Nes Ammim, Israel und die Palästinenser mit dem Ausbruch von COVID-19 umgegangen sind.

Tobias Kriener

10 linien wurden in Israel Schritt für Schritt in Kraft gesetzt: Schulen, kulturelle Einrichtungen wie Kinos, Theater und Hotels mussten schließen. Tobias Kriener ist seit 2016 Studienleiter in Und schließlich wurde kurz vor Pessach eine all- Nes Ammim Israel. gemeine Schließung angeordnet.

Israel und die palästinensischen Selbstverwal- In dieser Zeit zögerte die israelische Regierung, tungsbehörden im Westjordanland und in Gaza Ankommende aus den USA unter Quarantäne haben die ersten drei Monate der Corona-Krise zu stellen, weil sie darauf bedacht war, Prä- mit bemerkenswertem Erfolg gemeistert: In sident Trump nicht zu verärgern, indem sie al- Israel wurden bis Ende Mai nur weniger als lein sein Land auswählte und Einreisende aus 18.000 Infizierte mit dem neuen Coronavirus anderen Ländern nicht auch einschränkte. Nur (SARS-CoV2) registriert, von denen weniger als eine Woche später wurde schließlich allen An- 300 gestorben sind. Eine noch größere Über- kömmlingen in Israel befohlen, sich in Quaran- raschung ist, dass nur 6 % der Infizierten und täne zu begeben. Die Ankünfte aus den USA nur 2 % der Toten aus dem arabischen Sektor in erwiesen sich später als verantwortlich für 70 Israel stammen, der 21 % der Bevölkerung aus- % der SARS-CoV-2-Infektionen. Pessach und macht. Im Westjordanland und in Ostjerusalem die nationalen Gedenktage (Shoah-Gedenken, sind weniger als 600 Menschen infiziert wor- Gedenktag für die Gefallenen, Unabhängigkeits- den und zwei sind gestorben; im Gazastreifen tag) sowie der Monat Ramadan von April bis Mai waren 61 infiziert und eine Person ist gestor- mussten unter völliger Abriegelung verbracht ben. Dies steht in krassem Gegensatz zu den werden; die Menschen durften ihre Häuser nur Befürchtungen zu Beginn der Krise, die einen für dringende Angelegenheiten wie Lebensmit- möglichen Zusammenbruch des überlasteten telkauf und medizinische Versorgung verlassen. Gesundheitssystems in Israel und der fragilen Auf diese Weise konnten Infektionen wirksam Gesundheitsstrukturen im Westjordanland und eingedämmt werden. noch mehr im Gazastreifen voraussagten. Im arabischen Sektor war anfangs die Nachläs- Am 2. März fanden die dritten Knesset-Wahlen sigkeit der israelischen Behörden zu spüren: innerhalb eines Jahres statt. An den folgenden Die Anleitungen des Gesundheitsministeriums zwei Tagen waren die Fernsehnachrichten und zur sozialen Distanzierung und Hygiene wurden Zeitungen voll von Analysen der Wahlen und nicht ins Arabische übersetzt; die Tests in ara- den üblichen Spekulationen, was als nächstes bischen Gemeinden begannen erst Ende März. kommen würde: Bibi oder Benny? Die vierten Die arabischen Kommunalbehörden beschlos- Wahlen? Am 4. März hatte ich das Vorberei- sen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, tungstreffen mit den Freiwilligen aus Nes Am- und durch die Hilfe vieler Freiwilliger und ara- mim für unser jährliches Westbank-Seminar. bischer Unternehmen konnte der Ausbruch Am selben Abend wurde berichtet, dass sich des Virus in Schach gehalten werden. Später unter einer Gruppe griechischer Touristen in verbesserte sich die Zusammenarbeit mit den einem Hotel in Bethlehem mehrere mit SARS- israelischen Behörden erheblich, denn am Ende CoV-2 infiziert hatten. Ich wusste sofort, dass waren Juden und Palästinenser – wie immer unser Seminar in der Westbank nicht wie ge- wieder bemerkt wurde – „gemeinsam dabei“, plant stattfinden würde. Und in der Tat schloss da das Virus weder Grenzen noch ethnische die Palästinensische Behörde, die für die West- Identitäten kennt. bank zuständig ist, am folgenden Tag alle Hotels und Touristenorte in und um Bethlehem, und Is- Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine Kom- rael schloss alle Checkpoints aus der Westbank bination aus der sehr schnellen Reaktion auf die heraus nach Israel. Krankheit, dem hohen Bewusstsein in der Öf- fentlichkeit und der bemerkenswerten Disziplin Am selben Tag (5. März) gab Israel bekannt, bei der Einhaltung der Richtlinien hat dazu bei- dass ab Freitag, dem 6. März, Personen, die getragen, die Infektionsrate und die Zahl der To- aus mehreren Ländern Europas ankommen desopfer zu minimieren. Seit Mitte Mai hat sich (darunter Italien, Spanien, Österreich, Deutsch- das Land wieder geöffnet. In der Woche vor land – aber noch nicht aus den Niederlanden; Schawuot (vor unserem Pfingstfest) durften so- zusätzlich zu China, Japan, Südkorea und ande- gar die Restaurants und Hotels wieder öffnen. ren ostasiatischen Ländern, in denen das Virus Zu den Schawuot-Feiertagen waren also wieder ursprünglich ausgebrochen war), in eine 14-Ta- die ersten Gäste in unserem Hotel willkommen. ge-Quarantäne müssten. Flüge von und nach Die Wiedereröffnung des Landes ging sehr Israel wurden gestrichen. Die ersten COVID19- schnell vonstatten. So willfährig die Menschen Fälle wurden in Israel diagnostiziert – sie kamen auf dem Höhepunkt der Krise auch waren, man alle aus europäischen Ländern, vor allem aus spürt jetzt, wie satt sie die Einschränkungen Italien und Spanien. Soziale Distanzierungsricht- haben und wie begierig sie sind, zur Normalität 11 zurückzukehren. Dies führte zu neuen Ausbrü- zu besseren Beziehungen zwischen Juden und chen von Infektionen in mehreren Schulen und Palästinensern geführt. Das politische Denken Synagogen, weil die Regeln für Hygiene und so- und die politische Praxis Israels haben sich nicht ziale Distanzierung nicht ausreichend beachtet geändert. Obwohl weithin anerkannt wurde, wurden. Nun sucht die Regierung nach Möglich- dass die Zusammenarbeit gegen die Pandemie keiten, die Neuinfektionen einzudämmen, ohne der Schlüssel zum Erfolg ist, ist die Kluft zwi- dass sie gezwungen ist, das öffentliche Leben schen Juden und Palästinensern so tief wie eh wieder zu schließen. und je. Und der gewaltsame Missbrauch von Palästinensern durch Siedler, Armee und Polizei Neben dem Drama der Corona-Krise zog ein geht unvermindert weiter: Zwei Tage, nachdem anderes Drama weiterhin viel weniger Aufmerk- George Floyd in den USA bei einer extrem ge- samkeit auf sich: Die Bildung einer neuen Regie- walttätigen Polizeiaktion getötet wurde, wurde rung nach den Wahlen vom 2. März: Obwohl die auch ein autistischer Palästinenser, der keine Wahlen zu einer Mehrheit der Knesset-Delegier- Waffe besaß und keinerlei Bedrohung darstell- ten gegen die Fortsetzung der Herrschaft Netan- te, von der israelischen Grenzpolizei erschos- jahus führten (62 von 120 Knesset-Delegierten), sen. wurde er am Ende wieder als Ministerpräsident vereidigt. Die Ablehnung der israelischen Politik, Doch im Gegensatz zu den USA, wo weit ver- der arabischen Beteiligung an der Regierung und breitete Unruhen ausbrachen, rief dieser Mord der Entscheidungsfindung im Allgemeinen führ- so gut wie keine Reaktion hervor. Wie Gideon te zur Auflösung des Anti- Bibi- Lagers und dazu, Levi (ein Ha‘aretz-Kommentator) es ausdrück- dass Benny Gantz, der Führer der größten Oppo- te: „Hier schläfert uns das Töten ein, dort löst sitionspartei „Kahol-Lavan“(Blau-Weiß), sich Ne- es Protest aus.“ Zumindest der neue Verteidi- tanjahu in einer so genannten „Notstandsregie- gungsminister Benny Gantz drückte sein Bedau- rung“ anschloss. An dieser Regierung wird viel ern über den Tod von Eyad Hallaq aus. Es bleibt Kritik geübt: Die hohe Anzahl von Ministerien abzuwarten, ob Gantz den Umgang der Armee (35) mit ihrer Geldverschwendung; die manch- mit den Palästinensern in der Westbank spürbar mal lächerliche Anordnung der neu gebildeten verändern wird. So vieles bleibt ungewiss – in Ministerien. Die Drohungen Netanjahus gegen Nes Ammim wie auch im Land. Leider scheint das Justizsystem am ersten Tag seines Prozes- nur eines sicher zu sein: die kontinuierliche Ver- ses vor dem Jerusalemer Bezirksgericht wegen schärfung des anhaltenden, tief verwurzelten Bestechungsvorwürfen und mehr – all das zog Konflikts zwischen Juden und Palästinensern. weit verbreitete Kritik nach sich. Wie gestaltete sich das Leben und Arbeiten in Ein Punkt wurde jedoch fast gar nicht kritisch Nes Ammim ohne Volontäre? Da das Hotel auf- erwähnt: Die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, grund des Lockdowns schließen musste und Teile der besetzten Westbank zu annektieren. Flüge nach Europa fast vollständig gestrichen Obwohl dies gegen internationales Recht ver- wurden, beschlossen wir, alle Freiwilligen in stößt, und Netanjahu in einem Interview mit der Nes Ammim nach Hause zu schicken. Sie reis- israelischen Tageszeitung „Yisrael HaYom“ an- ten am Freitag, dem 20. März ab. Nur Ellen, Ger- kündigte, dass Palästinenser, die in dem zu an- linde und Dennis blieben noch ein paar Wochen nektierenden Gebiet leben, weder die Staatsbür- länger, um alles aufgeräumt und geordnet zu- gerschaft noch einen Aufenthaltsstatus erhalten rückzulassen. Anfang Mai erhielten sie schließ- würden, blieb die jüdisch-israelische Öffentlich- lich einen Rückflug nach Hause. Jetzt sind nur keit abgestumpft demgegenüber. Es stellt sich noch die Mitglieder der Familie Fox, Katja und heraus, dass es unter den jüdischen Israelis ich in Nes Ammim. Amit brachte an den Türen einen Konsens in Bezug auf die Annexion gibt – des „Chader Ochel“sowie des House of Prayer mit Ausnahme des marginalen Wahlkreises der and Study und des Centre of Learning and Dia- linken Partei Meretz (2 von 120 Knesset-Sitzen). logue Vorhängeschlösser an, damit nicht etwa Die „Zwei-Staaten-Lösung“ist tot. Die Unabhän- Jugendliche aus dem Dorf in den Häusern Van- gigkeitserklärung scheint in Vergessenheit gera- dalismus betreiben. ten zu sein. Da das Hotel von Mitte März bis Mitte Mai ge- Stattdessen scheint die Erfüllung der Vision des schlossen war, herrschte im „Chader Ochel“so revionistischen Zionismus und der nationalreli- eine Art „Dornröschen-Atmosphäre“: Am giösen Siedlerbewegung („Eretz Yisrael Hash- Schwarzen Brett gegenüber dem Village Office lema“ – die „Greater Israel“-Ideologie) zur Leit- hingen noch die Sign-In-Listen für April; auf der linie der israelischen Politik von der extremen Bar standen Gläser, die nach dem Spülen noch Rechten bis zur linken Mitte geworden zu sein nicht weggeräumt waren. Die Zeit wurde im – nur noch marginale Gruppen radikaler Linker Dorf dann dafür genutzt, alle alten Asbestdächer widersetzen sich dem Gang in den Abgrund. in den Volontärsunterkünften zu ersetzen und Bedauerlicherweise hat die Corona-Krise nicht die Appartements zu renovieren. Sie wurden 12 gerade rechtzeitig fertig, als ab Mitte Mai das hältnis zur Einwohnerzahl höher. Ab dem Vor- Hotel Schritt für Schritt wieder geöffnet werden abend von Rosh HaShana, dem Neujahrsfest, konnte. Der Lockdown in Nes Ammim war für wurde darum ein zweiter landesweiter Lock- uns nicht unangenehm. Gut – man konnte nicht down verhängt – erst einmal für drei Wochen mehr ins Kino oder nach Haifa gehen. Aber in bis zum Ende der Festtage nach Simchat Tora. Nes Ammim konnte man sich großzügig bewe- Die Ultraorthodoxen kündigten an, dass sie die gen (morgens und abends waren immer reich- Jeshivot (ihre religiösen Schulen) nicht schlie- lich Jogger und Hunde-Gassi-Geher unterwegs, ßen und in gewohnter Weise die Festtagsgot- und tagsüber Familien mit ihren Kleinkindern tesdienste feiern werden. Sie hatten dafür ihre – die größeren saßen wahrscheinlich den gan- internen guten Gründe – die aber niemand sonst zen Tag vor ihren Bildschirmen ...). Und es war nachvollziehen kann. erlaubt, Lebensmittel einzukaufen. Feisal habe ich möglichst gemieden; aber manchmal ließ Das hatte natürlich auch Folgen für uns: Das es sich nicht vermeiden (die Oliventheke von Hotel wurde wieder geschlossen, und wir wis- Feisal ist einfach in Naharijah konkurrenzlos ...) sen nicht, wann es wieder weitergehen kann. – und dann war auch da so wenig los, dass man So erweist sich die Entscheidung von Ende Au- gut Distanz zu den anderen Kund/innen halten gust, erst einmal keine neuen Volos nach Nes konnte. Ammim zu holen, als weitsichtig und richtig. Es wäre in der jetzigen Situation einfach nicht Ab Mitte Mai – die Zahl der täglichen Neuinfek- verantwortbar, Freiwillige nach Nes Ammim zu tionen lag mehrere Wochen z.T. deutlich unter entsenden. Jetzt soll erst einmal abgewartet 100 – wurde dann das ganze Land ziemlich auf werden, wie sich die Situation bis Ende des Jah- einen Schlag wieder geöffnet. Es gab zwar eine res entwickelt, um dann eventuell ab Februar Maskenpflicht – aber die wurde nur sehr lässig oder März wieder Volos in Nes Ammim begrü- gehandhabt: Man trug seine Maske irgendwo ßen zu können. Der Lockdown hat die erhoffte zwischen Nase und unterhalb Kinn – eher so Wirkung gehabt: Die Infektionszahlen sind von als cooles Accessoire wie die unentbehrliche dem Maximum von über 8.000 pro Tag auf un- Sonnenbrille, die von den Israelis ja auch min- ter 1.000 gedrückt worden. Demgemäß wurden destens so häufig auf dem Kopf wie auf der zunächst Bewegungsbeschränkungen aufgeho- Nase getragen wird. Es war eine seltsame, aber ben und die Kindergärten geöffnet. Seit 1. No- irgendwie auch typisch israelische Mentalität vember sind auch wieder die Grundschulen und – vorgegeben von Premierminister Netanjahu viele Geschäfte offen. Jetzt soll wieder 14 Tage persönlich: Wir haben Corona besiegt! Die gan- abgewartet und geschaut werden, wie sich die ze Welt bewundert uns! Darum lasst uns Party Situation weiterentwickelt. Alles hängt davon machen! Und weil man darüber die Wachsam- ab, dass die Infektionszahlen auf jeden Fall auf keit völlig vernachlässigte, krochen die Infekti- diesem Niveau bleiben. onszahlen langsam und dann schneller wieder nach oben: Im Juni auf mehrere Hundert pro Derzeit läuft alles wie geplant; d.h. die Perspek- Tag, im Juli dann auf bis zu 2000 pro Tag. Da tive ist, dass das Hotel Mitte Dezember wieder versuchte man natürlich gegenzusteuern. Das aufmachen kann. Aber die Unsicherheit ist na- ist aber nicht einfach, weil die Bevölkerung türlich groß: Letzte Woche z.B. wurde ein be- den Anweisungen von oben nur noch sehr be- deutender drusischer Würdenträger begraben; grenzt Folge leistet: Z.B. verfügte die Regie- bei der Beerdigung waren Tausende – ohne rung Anfang August, dass am Wochenende alle „social distancing“, versteht sich. Jetzt wird Geschäfte außer Lebensmittelgeschäften zu wieder eine Infektionsspitze in der drusischen schließen hätten. Daran hielt sich aber niemand, Bevölkerung erwartet. und die Polizei setzte es nicht durch. Deshalb wurde diese Anordnung eine Woche später ein- Wir hoffen auf ein besseres Jahr 2021 - Be‘esrat fach wieder aufgehoben. Hashem - Inshallah!

In den arabischen Dörfern wurden Riesenhoch- zeiten gefeiert – deshalb schossen dort die In- fektionszahlen am schnellsten nach oben. Und weil „unser“ Krankenhaus in Naharija die vielen Kranken aus den arabischen Dörfern hier im Norden behandelt, war es das erste, das ange- kündigt hat, keine Corona-Patienten mehr auf- nehmen zu können! Inzwischen (Mitte Septem- ber) sind die Infektionszahlen auf an die 5.000 pro Tag angestiegen, und damit hat Israel einen traurigen Spitzenplatz erreicht: In keinem Land auf der Welt waren die Infektionszahlen im Ver- 13 Wie Corona unser Auslandsjahr beendete Deborah Sausmikat, Silvia Pleines

Deborah und Silvia haben im August 2019 als Freiwillige im Rahmen des Internationalen Ju- gendfreiwilligendienstes (IJFD) in Nes Ammim ihren Dienst begonnen, den sie im März 2020 wegen Corona abbrechen mussten.

Lange sah es so aus, als würde uns Corona zwar stark einschränken, aber unseren Aufent- halt in Israel nicht gefährden.

Bald kamen die ersten Gäste nicht mehr, da ein Einreiseverbot unter anderem für Deutsche erlassen wurde, was viele von uns Freiwilligen auch persönlich betraf, weil im Frühling Familien und Freunde zu Besuch kommen wollten.

Daraufhin folgte die Absage des Westbank- FREIWILLIGE seminars, weil die Westbank „geschlossen“ Wir planen einen Neuanfang mit wurde (allen voran Bethlehem, wo wir über- nachtet hätten), was unsere Stimmung nicht Freiwilligen in Nes Ammim Israel verbesserte. Außerdem durften wir unsere ab dem 1. Februar 2021. Adoptiv-Familien in Nes Ammim nicht mehr se- hen, durften nicht mehr in Großstädte reisen, nicht mehr selber einkaufen oder mit mehr als Ihre Bewerbung nehmen wir zwei Leuten Auto fahren, und es durften zuerst höchstens 100, dann 50 und schnell nur noch gerne entgegen unter: zehn Leute zusammen in einem Raum sein, [email protected] was bei einer Gemeinschaft aus 25 Freiwilligen, die immer miteinander essen, schwierig wurde.

Auch das Hotel wurde geschlossen. Das alles war definitiv nicht schön und es kam immer wieder ein kleiner Schlag dazu, aber wir mach- ten das Beste daraus. Immerhin war das Virus in Israel ja noch nicht so weit verbreitet wie in anderen Ländern.

Für die drei Tage, in denen das Westbanksemi- nar stattgefunden hätte, wurde ein abwechs- lungsreiches Alternativprogramm gefunden.

14 Auch wurden zunächst freie Tage getauscht, so- verfolgen konnte, schien es uns so, als würde dass man gemeinsam wegfahren könnte, weil dieser Flug vermutlich auch gecancelt werden die Urlaubstage mit der Familie jetzt nicht mehr und auch der französische Flug wurde gestri- möglich waren. chen, sodass nach einigen Telefonaten kur- zerhand ein Flug für alle für den nächsten Tag Doch soweit sollte es nicht kommen … (Freitag) nach Amsterdam gebucht wurde. Wir Am Montag, dem 17. März, teilte man uns nahmen dies recht entspannt und backten unse- schließlich mit, dass vom Management in Nes re Waffeln fertig. Schließlich waren wir ja auch Ammim entschieden wurde, dass wir zurück- schon darauf eingestellt, dass wir zurückflögen fliegen müssten. Wir hatten so eine Vermutung – Volos müssen ja flexibel sein. Nun mussten schon einen Tag vorher, da wir von anderen Frei- wir jedoch innerhalb einiger Stunden packen, willigen aus Israel erfahren hatten (von der Or- versuchten etwas zu schlafen und trafen uns ganisation „weltwärts“), dass sie zurückfliegen schließlich ein letztes Mal mit unseren Adop- müssten. Als schließlich in Nes Ammim zu ei- tiv-Familien. Teils drinnen mit Umarmung, teils ner neuen Versammlung für ein Corona-Update draußen bei zwei Metern Abstand, aber es war aufgerufen wurde, hatten wir wieder eine Vor- für Niemanden leicht. Auch gab es für manche ahnung. Wie es zu der Entscheidung kam, ist- keine Möglichkeit mehr, sich von der Hotelma- ehrlich gesagt- vielen von uns immer noch nicht nagerin oder den Köchen zu verabschieden, da nachvollziehbar. wir ja geplant hatten, noch zwei Tage länger zu bleiben. So endeten diese Freundschaften mit Wir hatten zwar Zeit, es mit unseren Eltern zu einem Videotelefonat. besprechen, aber eigentlich war unser Rück- flug beschlossene Sache. Wir reagierten un- Wir verbrachten noch einige Stunden gemein- terschiedlich: Bei vielen flossen Tränen, andere sam, verspeisten schließlich die letzten israe- wurden sauer, manche nahmen es ganz prag- lischen Pitas, welche uns eine Adoptivmutter matisch und mit Humor und meinten, sie wür- gemacht hatte, und dann trennten wir uns von den dann mit dem Putzen anfangen, und andere der zweiten Anna, die für einen anderen Flug flüchteten kurz vorher, einer dunklen Vorahnung gebucht war. folgend, um noch ein letztes Mal zum Strand zu fahren und ins Meer zu springen. Im Flugzeug feierten wir IJFDler ein letztes Mal gemeinsam den Erev Shabbat, in einer sehr im- Als wir dann mittags schließlich die Gewissheit provisierten Version. bekamen, wurde den ganzen Nachmittag nach Flügen gesucht. Die Dutchies (unsere niederlän- Irgendwann landeten wir und das war es dann dischen Mitvolontäre) hatten genauso wie eine … Unser Jahr in Israel war auf einmal vorbei der beiden Annas einen Flug am Donnerstag, die und wir waren zurück. In der Heimat oder in der andere Anna einen für Freitag, die IJFDler soll- Fremde, das konnte niemand so wirklich sagen, ten am Sonntag fliegen und unsere Französin als und noch einige Wochen später sitzt sicherlich letzte am Montag. Nachdem diese Details ge- jeder von uns oft wehmütig da, schaut sich Fo- plant waren, versuchten wir, das Beste daraus tos an und spekuliert in Träumen, wie es wohl zu machen und die verbleibende gemeinsame gewesen wäre, wenn wir trotz Corona dageblie- Zeit zu genießen. Es gab einen Shalomcoffee ben wären. Oder wenn Corona überhaupt nicht für alle (eine Tradition als Verabschiedung eines existiert hätte. Volontärs), wir verewigten gemeinsam unsere Hände auf der „Wall of Helping Hands“, back- Wir alle hatten noch viele Pläne, in Israel gemein- ten Waffeln, zogen den Barabend vor und stän- same Urlaube zu verbringen; auch viel Arbeit vor dig gab es irgendwo eine Gruppenumarmung uns, aber auch den wunderschönen beginnen- und Erinnerungsfotos wurden gemacht. den israelischen Frühling zu erleben. Sommer, Sonne, Strandausflüge und endlich kein Regen In dieser letzten Woche zeigte sich wieder mehr nach diesem nassen Winter. Das waren deutlich, dass Nes Ammim eben ein Ort der eigentlich unsere Aussichten Anfang März, und Gemeinschaft ist. Irgendwann am Donnerstag, innerhalb kürzester Zeit wandelte sich alles um nachdem die erste Gruppe (die Dutchies und 180°. Tja, „It is what it is – what can you do“ Anna) abgereist war, wurde jedoch der Flug (ein berühmtes Nes Ammim-Zitat aus dieser der IJFDler gecancelt und ein Alternativflug Woche). Wir starten jetzt alle anders als geplant für den kommenden Mittwoch gebucht. Nach in unsere „Nach-Nes Ammim-Zeit“. Aber, dass dem, was man aber in den Nachrichten hörte wir irgendwann einmal zurückkehren, daran hal- und stündlich auf den Websites der Airlines ten wir uns alle fest.

15 Bewahren und erneuern - Nes Ammim auf dem Weg zu einer gemeinsam gestalteten Gemeinschaft?

Thomas Kremers

16 „Bewahren und erneuern“ lautete 1993 der sie sich nur begrenzt mit den zentralen Ideen Titel einer Veröffentlichung zum 30. Geburtstag Nes Ammims und viele sperren sich gegen die von Nes Ammim. Dieses Spannungsverhältnis Aufnahme arabischer Mitbewohner. ist bis in die Gegenwart immer wieder eine He- rausforderung für Nes Ammim gewesen. Weni- Wenn dieses Dilemma nicht zu einer Spaltung ge Jahre vor seinem 60. Geburtstag steht Nes führen soll, muss Nes Ammim seinen wertvol- Ammim erneut an einem Wendepunkt: Nach len Kern bewahren und gleichzeitig einen neu- dem Verkauf von mehr als 90 Häusern leben en Weg gehen. Eine mögliche Richtung liegt dort mittlerweile neben den europäischen Frei- in der gemeinsamen Gestaltung einer multi- willigen und israelischen und arabischen Ange- ethnischen, integrativen und toleranten Gemein- stellten vornehmlich jüdisch- israelisch Familien. schaft, die von allen Bewohnern gemeinsam ge- staltet wird. Diese könnte dazu beitragen, Israel Im nächsten Jahr beginnen die Verhandlungen langfristig aus einer segregierten Gesellschaft in über den weiteren Verkauf von ca. 200 Häusern. eine „Shared Society“ zu transformieren. Wie kann Nes Ammim durch die internationa- le Nes Ammim-Bewegung, die europäischen Was ist eine „Shared Society”? Freiwilligen, die israelischen Angestellten sowie Die Idee einer „Shared Society“ wurde in Staa- die jüdischen und arabischen Dorfbewohner ge- ten wie Nordirland, Südafrika, Kosovo oder Israel meinsam so gestaltet werden, dass die Vision entwickelt, die durch eine strukturelle Trennung von einem Begegnungsort des Lernens und des und Segmentierung unterschiedlicher Bevölke- Dialogs erhalten bleibt und sich eine gemeinsa- rungsgruppen gekennzeichnet sind. me, inklusive und von Toleranz geprägte Identi- tät des gesamten Dorfes entwickelt? In diesen Gesellschaften leben die verschiede- nen gesellschaftlichen Gruppen – im besten Fall Nes Ammim als Ort des Lernens friedlich – nebeneinander her. Diese Form der und des Dialogs Ko-Existenz verhindert allerdings weitgehend Die christlichen Gründer Nes Ammims wollten die Kommunikation und eine mögliche Koopera- nach der Shoah den jungen Staat Israel ökono- tion zwischen den Gruppen. Dies verhindert die misch unterstützen und ein neues Verhältnis Entwicklung einer gemeinsamen Identität und zum Judentum aufbauen. Judenmission wurde die gemeinsame Verantwortung für die Gestal- grundsätzlich abgelehnt und stattdessen eine tung der Gesellschaft. Verständigung mit Juden gesucht. Durch die beeindruckende Arbeit tausender europäischer In seiner „Vier Stämme“-Rede vom 7. Juni 2015 Freiwilliger und israelischer Angestellter wurde kritisierte Israels Präsident Reuven Rivlin den so- ein Ort des Lernens von Juden, des gegenseiti- ziodemographischen Wandel in der israelischen gen Kennenlernens und des Dialogs aufgebaut. Gesellschaft. Diese setze sich heute aus vier Nes Ammim liegt in Galiläa, einer Region Isra- zunehmend gleich großen „Stämmen“ zusam- els mit einem hohen Anteil an arabischer und men: Säkulare, National-Religiöse, Ultra-Ortho- drusischer Bevölkerung. Auch diese Nachbar- doxe und Araber. Rivlin beklagt die wachsende schaft hat dazu geführt, dass der jüdisch-christli- Kluft zwischen diesen Bevölkerungsgruppen, che Dialog um das Gespräch zunächst mit arabi- die bspw. aufgrund getrennter Wohnbereiche schen Christen und dann mit Muslimen, Drusen und separierter Bildungssysteme ganz eigene und arabischen Israelis erweitert wurde. Schritt- Identitäten entwickelt haben und kaum noch weise entstanden Dialogprojekte in einem Netz- miteinander kommunizieren. Die Transformati- werk israelischer Friedensorganisationen. Die on Israels in eine partizipative Gesellschaft mit Notwendigkeit des Verkaufs von Häusern ergab einer gemeinsamen Identität erfordere die For- sich aus der ökonomischen Krise, die aus der mulierung eines neuen Konzepts der Partner- Aufgabe der ökonomisch wichtigen Rosenzucht schaft zwischen den „Stämmen“. resultierte. Weitere Bruchlinien in der israelischen Gesell- Da die Häuser zum Großteil an relativ wohl- schaft sind die Spaltung in Reiche und Arme, habende jüdische Israelis verkauft wurden, in Alteingesessene und Neueinwanderer, in spiegeln die israelischen Bewohner nicht die Alt und Jung und Geschlechtergegensätze. soziale und ethnische Zusammensetzung der Die Konflikte manifestieren sich vor allem an- israelischen Gesellschaft wider. Sie vertreten hand ethnischer und sozialer Gegensätze und einerseits berechtigte Forderungen nach einer Fragen nach der Integration und der Teilhabe Erweiterung des Dorfes, um eine bessere Inf- an Wohlstand und politischer Kontrolle. Statt rastruktur wie bspw. bessere Bildungsangebote gegen diese Spaltung der Gesellschaft anzuge- schaffen zu können. Andererseits identifizieren hen, verschärft die israelische Regierung unter 17 Benjamin Netanyahu diese seit Jahren u. einer Graswurzelbewegung zum Aufbau regi- a. durch das Nationalstaatsgesetz. Diesem onaler Strukturen und zu einem Netzwerk ge- diskriminierenden Gesellschaftsmodell wird meinsamer Regionen führen, das schließlich das Konzept einer inklusiven und gemeinsam Israel in eine „Shared Society“ transformieren gestalteten Gesellschaft gegenübergestellt, die soll (vgl. R. Kuttner, Partnership between Arab J. Nagle und M.-A. C. Clancy in ihrem Buch and Jewish Communities for the Construction über Irland „Shared Society or Benign Apart- of Shared Society). Gleichzeitig müssen politi- heid?“ als „Shared Society“ bezeichnen. Cha- sche Rahmenbedingungen geschaffen werden, rakteristisch für diese ist eine soziale, ethni- die top down die Förderung lokaler und regiona- sche, kulturelle, religiöse und politische Vielfalt ler Entwicklungsprozesse gewährleisten. und politische Institutionen fördern eine Politik, die alle Teile der Gesellschaft und nicht nur ein Durch das „Leitbild-Projekt Shared Commu- bestimmtes Segment anspricht. Schrittwei- nities“ sollen alle Sektoren der beteiligten se wird die Ko-Existenz durch Begegnung, jüdischen und arabischen Kommunen und alle Dialog und gemeinsame Vorhaben in eine Ko- ihre Mitglieder angesprochen und aufgefor- operation transformiert, die schließlich in eine dert werden, sich gemeinsam zu engagieren. nachhaltige Partnerschaft mündet. Eine ent- Givat Haviva begleitet diese Prozesse und baut scheidende Voraussetzung ist die Entwicklung schrittweise eine „menschliche Infrastruktur“ von Vertrauen und Sicherheit zwischen den auf, d.h. die Bewohner verfügen nach ca. vier Beteiligten. In einem jahrelangen Prozess ent- Jahren über die vielfältigen Kompetenzen, die wickelt sich ein partnerschaftlich orientiertes notwendig sind, die gemeinsame Gestaltung Bewusstsein und eine dialog-orientierte Men- der Kommunen selber zu gestalten. talität wird kultiviert. Obwohl die Bürger*innen solcher Gesellschaften sehr unterschiedliche Vor allem durch die Ausrichtung quer durch Identitäten besitzen, herrscht eine übergeord- alle Altersgruppen schafft das Programm auch nete bürgerliche und nationale Zugehörigkeit die Möglichkeit, Veränderung und neue Pers- vor. Die öffentliche Sphäre ist ein Ort, an dem pektiven bis in die kleinste soziale Einheit, den Konflikte friedlich ausgetragen werden können. Familienverband, wirksam werden zu lassen. Es gibt also eine gemeinsame öffentliche Identi- Eine entscheidende Rolle spielen die Angebo- tät, zu der sich alle bekennen können und die die te für ein gutes Bildungssystem, in dem die Verteilung öffentlicher Güter wie z. B. Bildung Beteiligten sich begegnen und kennenlernen, erleichtert. miteinander kommunizieren und gemeinsame Projekte entwickeln. Ein wichtiger Faktor ist Shared Communities: Lokale Integration als dabei die Förderung von Sprachkompetenzen Leitbild für nationale Teilhabe (Ivrit für Araber - Arabisch für jüdische Israelis), Givat Haviva ist eine israelische Organisation, die eine gemeinsame Kommunikation und Ko- die einen Beitrag zur Überwindung der Frag- operation erst ermöglichen. Um das Ziel einer mentierung der israelischen Gesellschaft in so- teilhabenden Gemeinschaft zu erreichen, sind ziale, ethnische, politische, kulturelle und religiö- nachhaltige Rahmenbedingungen, kooperative se Segmente leisten will und als Alternative das Problemlösungsstrategien, Netzwerkbildungen Konzept der „Shared Society“ wesentlich voran- zwischen mehreren kommunalen Projekten, treibt. Mit diesem Konzept sollen neue Wege zu eine qualifizierte Anleitung durch professionel- einer sozial und politisch selbstverantwortlichen le Berater*innen, eine begleitende Analyse des Gesellschaft aufgezeigt werden, deren Mitglie- Prozesses und eine Öffentlichkeitsarbeit erfor- der sich ihrer gemeinsamen Verantwortung für derlich. die Zukunft ihres Gemeinwesens bewusst sind. Mit dem Modell von „Shared Communities“ Nes Ammim als eine gemeinsam gestaltete werden benachbarte jüdische und arabische Gemeinschaft Gemeinden ermutigt und darin unterstützt, eine Das Konzept der „Shared Community“ ist al- weitreichende Zusammenarbeit aufzubauen. lerdings keine eins-zu-eins übernehmbare Blau- pause für die Situation in Nes Ammim, die sich Die beteiligten Gemeinden weisen die wich- von den kommunalen Integrationsprojekten Gi- tigsten Bruchlinien innerhalb der israelischen vat Havivas deutlich unterscheidet: Nes Ammim Zivilgesellschaft zwischen Juden und Arabern, ist ein komplexes Gebilde, das sich aus einer Säkularen und Religiösen, Reichen und Armen, internationalen Nes Ammim-Bewegung, den Alteingesessenen und Neueinwanderern, Alten europäischen Freiwilligen im Dorf, den israe- und Jungen sowie Geschlechtergegensätze lischen Angestellten und den vorwiegend jü- auf (vgl. Givat Haviva, Shared Communities). dischen Israelis zusammensetzt. Um sich in Diese kommunale Kooperation soll im Sinne Richtung einer Shared Community zu entwi- 18 ckeln, müsste Nes Ammim beim zukünftigen Verkauf oder bei der Vermietung von Häusern oder Wohnungen darauf achten, dass unter- schiedliche Bevölkerungsgruppen insbesondere ein bedeutend höherer Anteil arabischer Käufer oder Mieter berücksichtigt werden. Rezension Diese Entwicklung darf jedoch nicht zur Spal- zum Buch von Jürgen Leipner tung Nes Ammims führen, sondern sollte den „Denk ich an Israel …“ Annäherungen an ein Aufbau einer Gemeinschaft ermöglichen, in der besonderes Land, Dinslaken 2019 alle Mitglieder in all ihrer Unterschiedlichkeit Ver- antwortung für ihre gemeinsame Zukunft über- von Thomas Kremers nehmen. Diese Gemeinschaft würde sich durch Inklusion, intensive Zusammenarbeit in gegen- Jürgen Leipner gelingt ein lesens- und sehens- seitigem Respekt, sozialen Zusammenhalt und wertes Buch: Er nähert sich wichtigen Aspek- eine nachhaltige Partnerschaft auszeichnen. ten der widersprüchlichen und komplexen Lebenswirklichkeit Israels und Palästinas an In diesen Prozess müssen sowohl die Moatza und präsentiert sehr informative Hintergrund- (Regionalverwaltung) als auch die gegenwär- texte im Anhang. tigen israelischen Bewohner*innen unbedingt integriert werden. Die Vision einer gemeinsam Ein inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf der gestalteten Gemeinschaft sollte von allen Be- Darstellung Jerusalems als Stadt der drei Re- teiligten als Win-Win-Situation wahrgenommen ligionen. Es werden nicht nur die touristisch werden und stellt eine gewaltige Herausforde- attraktiven und religiös wichtigen Seiten Jeru- rung dar. Eine derartige Gemeinschaft ergibt salems angesprochen, sondern ebenso wer- sich nicht von selbst, sondern muss in vielen den Konflikte wie bspw. die Verdrängung von kleinen Schritten über einen längeren Zeitraum Palästinensern aus dem Stadtteil Silwan the- aufgebaut und erhalten werden. Ein wichtiger matisiert. Sehr lesenswert ist die eindrückli- Aspekt sollte ein gutes Bildungsangebot wie che Abhandlung der Arbeit von diversen Frie- bspw. eine bilinguale oder internationale Schule densgruppen wie bspw. Talita Kumi, Newe sein, die jedoch nicht ohne finanzkräftige Part- Shalom und B’Tselem. ner etabliert werden kann. Einen großen Raum in der Darstellung dieses Ohne entsprechende Investitionen in eine pro- Netzwerkes von Friedensinitiativen nimmt fessionelle Begleitung dieser komplizierten Nes Ammim ein. Es werden wichtige Etap- Entwicklung wird uns dieser für die Zukunft Nes pen seiner mehr als fünfzigjährigen Geschich- Ammims entscheidende Prozess nicht gelin- te präsentiert und die grundlegenden Ideen gen. Dabei gilt es den wertvollen und wesent- Nes Ammims (der Verzicht auf Judenmission, lichen Kern (Verzicht auf Judenmission, Lernen das Lernen von Juden und die Dialogarbeit) von Juden und Dialogprojekte in einem Netz- erörtert. Ebenso werden die Herausforde- werk israelischer Friedensorganisationen) zu rungen für eine zukünftige Entwicklung Nes bewahren und sich gleichzeitig den neuen Her- Ammims angesprochen, die sich aus dem ausforderungen einer gemeinsamen Gestaltung Zusammenleben mit den neuen vornehmlich des Dorfes als Ort des Lernens und des Dialogs jüdischen Bewohnern ergeben. Wünschens- für den Frieden zu stellen. wert für eine neue Auflage wäre, dass eini- ge Fehler korrigiert würden, die im Kapitel zu Nes Ammim vorzufinden sind. Irritierend ist die vielfach verwendete Karte, die durch den einfarbigen Druck und die kaum identifi- zierbaren Grenzen von 1967 ein „Großisrael“ suggeriert, was den Absichten des Verfas- sers völlig widerspricht.

Das Buch ist im Eigenverlag erschienen und kann über den Autor für 39,- Euro plus Ver- sandkosten bestellt werden. E-Mail: [email protected] oder www.juergen-leipner.de

19 Women Wage Peace – Peace-Carpet-Workshop

Tanja Maurer

Der Name Women Wage Peace ist das Ergeb- nis eines Wortspiels, das davon ausgeht, dass in der Regel Männer Krieg führen, in diesem Fall aber Frauen Frieden stiften. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass die Organisation für alle offen ist, unabhängig von Kultur, Beruf und Geschlecht. Aus diesem Grund war es interes- sant, die Geschichte von Moshe, einem aktiven Mitglied von Women Wage Peace, zu hören. Außerdem zeigte er uns einige Videos von Ver- anstaltungen in der Vergangenheit.

Danach erhielt jeder Freiwillige ein Stück Baum- wolle und eine Vielzahl verschiedener Materiali- en, Stifte, Pinsel und Farben, um es zu gestal- ten. Die Aufgabe bestand darin, auf kreative Art und Weise zu zeigen, wie Gedanken zu Frieden dargestellt werden können.

Bald wurde eine vielfältige Mischung aus Bil- dern und Eindrücken auf die Baumwollstücke gezeichnet, aus Worten und Zitaten sowie Kari- katuren und Abbildungen der Natur. Tanja war von 2019 bis 2020 Freiwillige in Nes Ammim Israel. Im nächsten Schritt wurden die Stücke zu ei- nem Patchworkquilt aus je 25 Friedensgedan- Nach dem großen Erfolg des Peace-Carpet- ken zusammengenäht. Mit anderen Quilts aus Workshops im Juni haben wir beschlossen, die der ganzen Welt will Women Wage Peace ohne Women Wage Peace - Organisation erneut nach Gewalt und ohne Worte demonstrieren: Frauen Nes Ammim einzuladen. 17 Freiwillige nahmen in Israel und in Palästina wollen Frieden. Zu ei- an der zweiten Runde am 26. Dezember 2019 nem bestimmten Zeitpunkt wird die Reihe der teil. Zunächst erhielten wir eine kurze Einfüh- Quilts von Jerusalem bis Ramallah reichen. rung in die Idee hinter der Organisation Women Wage Peace und ihre Hauptziele. Das Projekt geht weiter, und alle sind eingela- den, daran teilzunehmen. Die Organisation wurde 2014 gegründet und Weitere Informationen finden Sie unter: hat heute über 44000 Mitglieder. Die Hauptziele https://womenwagepeace.org.il/en/piece- sind die Förderung einer politischen Einigung als peace-aliza-erez/ strategische Lösung des israelisch-palästinensi- schen Konflikts und die Einbeziehung von Frau- en in alle Aspekte der Entscheidungsfindung, wie es die UN-Resolution 1325 vorschreibt. Seit 2014 ist es der Organisation gelungen, Tau- sende von Menschen, Frauen und Männer, für friedliche Märsche zu mobilisieren. 20 Arabische und jüdische Jugendliche diskutieren miteinander

Ofer Lior und Taiseer Khatib

Ofer und Taiseer sind Assistenten im Centre of Learning and Dialogue.

Vom 12. bis 13. Februar 2020 trafen sich etwa 100 Jugendliche im Alter von 18 bis 19 Jahren (50 Palästinenser und 50 Juden) in Nes Ammim, wo sie an zwei Tagen einen kontinuierlichen und intensiven Dialog führten.

Die jüdischen Teilnehmenden waren Jugend- liche, die nach Beendigung der Schulzeit das einjährige Freiwilligenprogramm Mechina im Kibbuz Ma‘ayan Baruch absolvieren. Dieses Programm ist Teil der Upper Mechina. Mechina ist eine israelische Einrichtung für jun- ge Menschen aus dem ganzen Land, die ein Jahr lang in einem kleinen Kibbuz unweit von zusammenleben. Im Laufe des Jahres sind sie an verschiedenen Projekten be- teiligt, die versuchen, Werte des sozialen Enga- gements zu fördern und Führungsqualitäten bei den Teilnehmenden zu entwickeln. Sie melden sich freiwillig an verschiedenen Orten, lernen in Ha Tzair. Zu den Zielen gehört die Entwicklung verschiedenen Klassen, sammeln Erfahrungen der palästinensischen Identität im Zusammen- auf Studienreisen und in Seminaren zu verschie- hang mit sozialer Gerechtigkeit und Koexistenz. denen sozialen und politischen Themen. Zielsetzung und Beschreibung: Die arabischen Teilnehmenden waren Jugend- Das Programm basiert auf der Idee, jüdische liche, die ihre Schulzeit beendet hatten und an und arabische junge Leute zusammenzubrin- zwei verschiedenen Programmen teilnehmen: gen. Die Realität in Israel ermöglicht keine Das erste ist das Jafra-Programm aus dem Dorf Treffen, bei denen Jugendliche Fragen zu ihrer Abu Snan. Während des Jahres finden wöchent- Identität, Politik, Gleichstellung, zu Menschen- liche Aktivitäten statt, um den Teilnehmenden rechten und anderen Fragen, die ihr Leben be- zu helfen, sich auf ihre palästinensischen Werte treffen, diskutieren können. In Nes Ammim ha- zu besinnen, ihre palästinensische Geschichte ben sie die Gelegenheit, sich zu begegnen und und Kultur besser zu verstehen und gleichzeitig in einer sehr ruhigen Atmosphäre diese Themen den Jugendlichen zu helfen, sich auf eine aka- durch intensive Gespräche über ihre Existenz in demische Ausbildung und eine höhere Bildung Israel zu diskutieren. vorzubereiten. Die Teilnehmenden wurden in fünf gemischte Das zweite Programm ist das Ajial-Programm. Gruppen (jüdisch und palästinensisch) aufge- Es arbeitet mit Teilnehmenden im Alter von 18 teilt, wobei zwei Moderatoren jede Gruppe Jahren aus verschiedenen Gebieten in Galiläa moderierten: ein Jude und ein Palästinenser. und anderen Regionen in Israel. Das Programm Eines der am meisten diskutierten Themen bei kooperiert mit der Jugendbewegung Hashomer diesem Seminar war der Krieg von 1948, waren 21 weckte, zumal diese Geschichten bisher nicht erzählt wurden und die meisten vorher nicht damit konfrontiert worden sind. Nach dem Film saßen alle zusammen und die Teilnehmenden tauschten sich über das gemeinsam Erlebte aus.

In einigen Gruppen waren die Diskussionen an- gespannt, in anderen hörten alle zu und manche weinten sogar. Am Ende traf man sich erneut in die sehr unterschiedlichen Erfahrungen auf je- der eigenen Gruppe, um eine sichere und ver- der Seite und ihre Auswirkungen auf die heutige traute Umgebung zu schaffen. Zeit. In der letzten Einheit sprach man über Fragen der Gleichstellung in ihrem Leben und Auswir- Das Seminar begann damit, dass die Teilneh- kungen von Rassismus wurden diskutiert. Jun- menden sich kennenlernen konnten, verschie- ge Menschen konnten zuhören, gemeinsam dene nicht-wettbewerbsbezogene Spiele erleb- über die Situation zwischen Arabern und Juden ten, Spaß hatten und gerne zusammen waren. nachdenken und sich über ihre vielen neuen In- Nach dem Mittagessen erhielt jede Gruppe formationen und Erkenntnisse austauschen. Die etwa 15 Bilder mit Symbolen für Religion, Nati- Teilnehmerinnen und Teilnehmer betonten, dass onalität, Geschichte und Politik. Jede/r Teilneh- es das erste Mal war, dass sie die Gelegenheit mer/in wurde gebeten, nur ein Bild auszuwäh- hatten, sich mit dem „Anderen“ zu treffen und len, das ihn oder sie am meisten repräsentierte. zu diskutieren. Dies brachte Gefühle und Emotionen hervor, die Das Programm wurde von 12 professionellen jede Seite gegenüber der anderen Seite hatte. Moderatoren, sechs arabischen und sechs jüdi- schen, moderiert. Die jüdischen Teilnehmer waren überrascht, dass sich viele Araber als Palästinenser definie- Kommentare der jüdischen Israelis: ren. Einige der Palästinenser fanden es schwer • Ich habe viele Dinge über die andere Seite ge- zu verstehen, wie junge Juden eine so starke lernt, die ich vorher nicht wusste. Verbindung zur Armee haben und vielleicht da- • Ich habe ein besseres Verständnis dafür, was durch bereit werden, auch Gewalt anzuwenden. es bedeutet, in Israel zu einer Minderheit zu ge- Jede der fünf Gruppen hatte ein anderes Ver- hören. ständnis von der Situation, aber in allen Gruppen • Ich konnte meine Gedanken wirklich mitteilen, kam ein tiefes und bedeutungsvolles Gespräch während ich das Gefühl habe, dass die andere zustande. Seite wirklich zuhört und versucht, mich zu ver- stehen. Ich habe das vorher noch nie erlebt. Später wurden die Teilnehmenden in zwei ein- • Ich hoffe, dass wir in naher Zukunft eine wei- heitliche Gruppen aufgeteilt, d. h. Palästinenser tere Chance erhalten werden, Treffen wie die- in einer und Juden in einer anderen Gruppe. Ziel ses abzuhalten. Es war eine der bedeutendsten dieser Aktivität war es, sie zu befähigen und ih- Aktivitäten des Jahres! nen Raum zu geben, ihre Gefühle und Gedan- ken in ihrer jeweiligen Gruppe miteinander zu Kommentare der palästinensischen Israelis: teilen und Dinge zu diskutieren, die während • Ich hatte das Bedürfnis, der Gruppe mitzutei- des Tages in den Treffen mit Mitgliedern der an- len, was sie vor unserem Treffen nicht über un- deren Gruppe sehr schmerzhaft gewesen sein sere palästinensische Geschichte wusste. konnten, außerdem sollten sie auf den nächsten • Es ist sehr herausfordernd, selbst für mich. Tag vorbereitet werden. • Ich denke, dass zwei Tage nicht ausreichen, um diese wichtigen Fragen zu erörtern, ins- Am zweiten Tag des Seminars sahen sich alle besondere die Geschichte der Naqba sowie gemeinsam einen Film mit dem Titel Mafatih Gleichstellungsfragen der palästinensischen (Schlüssel) an. Ein Dokumentarfilm, der Palästi- Israelis. nenser darstellt, die im Krieg 1948 ihre Häuser • Es war mir wichtig, zuzuhören und zu erfah- verloren hatten. Sie kehrten zurück, um die Rui- ren, wie andere die politische und historische nen ihrer Dörfer zu besuchen und erzählten Ge- Situation in Israel sehen und einschätzen. schichten aus ihrem Leben vor dem Kriegsjahr 1948, während des Kriegs und nach dem Krieg. Es ist ein kraftvoller Film, der bei den jungen Leuten viele Gefühle, Gedanken und Fragen 22 Arabische Kinder lernen Hebräisch

Ofer Lior und Taiseer Khatib

Aufgrund der politischen Situation in Israel gibt Das Projekt war eine hervorragende Gelegen- es nicht ein Bildungssystem für alle Kinder und heit für die arabischen Kinder, um nun auch in jungen Erwachsenen in Schulen, sondern meh- ihrer Schule mit dem Ausbilder Shai zu inter- rere getrennte Systeme. Eines dieser Systeme agieren. Shai hatte ihnen einmal pro Woche ist das arabische Bildungssystem, das seit Jahr- Hebräisch beigebracht und mit verschiedenen zehnten vernachlässigt wird. Ein Ergebnis der Methoden geübt. Die Kinder waren sehr aktiv Trennung der Bildungssysteme ist, dass sowohl und begeistert. Die Atmosphäre war wunderbar arabische als auch jüdische Jugendliche durch und die Schüler_innen lernten mit viel Freude mangelnde Sprachkenntnisse nicht miteinander und Leidenschaft, Hebräisch zu sprechen. kommunizieren können. Leider mussten wir das Programm, das Ende Deshalb haben wir im Centre of Learning and Januar begann und bis Juni dauern sollte, auf- Dialogue (CLD) einen weiteren Schritt unter- grund des Corona-Virus frühzeitig beenden. Wir nommen, um jungen Palästinensern in Israel zu versuchen nun zu prüfen, ob es eine andere helfen, Hebräisch zu sprechen. Möglichkeit gibt, es weiter durchzuführen.

In Nes Ammim pflegen wir eine lange und le- bendige Verbindung zum nahegelegenen pa- lästinensischen Dorf Mazra´a. Wir vom CLD haben uns eingesetzt, um der örtlichen Schu- le in Mazra´a ein Sprachprogramm anzubieten und eine Verbindung mit einer Firma DIALOGY hergestellt, die seit einigen Jahren ein solches Projekt an arabischen Schulen durchführt. Die Methode basiert auf Spielen, Singen und viel Spaß ohne Prüfungen oder Ähnlichem. Der Mo- derator, der dieses Projekt für uns leitet, Shai Gal, lebt in einer nahegelegenen Stadt und ist auch Schauspieler und Performer. Daher nutzt er viele Hilfsmittel aus der Theaterwelt, um sich mit den Kindern in Verbindung zu setzen.

Während der zwei Monate von Januar bis März 2020 gab es zwei Gruppen aus der 5. Klasse (11 Jahre alt) in Mazra´a. In jeder Klasse waren 20 Kinder, die während des Unterrichts in einem Kreis saßen. Pädagogisch wurde der Moderator durch einen anderen Lehrer unterstützt. Jede Lektion dauerte ungefähr eine Stunde.

23 Seminar für Moderatorinnen und Moderatoren

Taiseer Khatib und Ofer Lior

24 Das Centre of Learning and Dialogue hatte für einem israelischen Fernsehsender gedreht wur- den 27.02.2020 ein jüdisch-arabisches Seminar de und in dem jüdische und palästinensische in Nes Ammim geplant. Es wurden etwa 90 jun- Historiker interviewt wurden, die jeweils eine ge Teilnehmer aus der Stadt und aus andere Periode des Konflikts vom 19. Jahrhun- dem Mechina des Kibbuz Bar‘am erwartet. Für dert bis zum 6-Tage-Krieg beschreiben. dieses Seminar planten wir zehn Moderatoren ein (fünf Palästinenser und fünf Juden), die kom- Die Historiker präsentierten verschiedene Er- men sollten, um dieses Seminar zu moderieren. zählungen, die alle zusammen die moderne Geschichte Palästinas darstellten und sich auch Einen Tag vor dem Seminar teilte uns die Schu- auf viele Ereignisse in interessanter Weise be- le aus Sakhnin mit, dass die Schüler/innen der zogen, während sie alle Arten von Filmen aus Schule wegen des Corona-Virus nicht am Se- der Vergangenheit zeigten und Personen aus minar teilnehmen können. Da wir in so kurzer den entsprechenden Zeiträumen zitierten. Nach Zeit nichts hätten unternehmen können, sahen dem Film gaben wir den Moderator/innen Zeit, wir uns gezwungen, das Seminar abzusagen. ihre Gefühle und Gedanken über den Film als Wir beschlossen, uns auf die neue Entwicklung Teilnehmende auszudrücken. Viele Gefühle des einzustellen und die Gelegenheit zu nutzen, ein Schmerzes und der Trauer durch die Erzählun- Seminar mit den zehn Moderatoren zu organi- gen von Ermordung, Exil und Vertreibung der sieren, um verschiedene Themen in zukünftigen Palästinenser fanden ihren Ausdruck. Seminaren zu diskutieren, um die bevorstehen- den Programme und Aktivitäten der Dialogsemi- Von palästinensischer Seite erzählten einige nare zu verbessern. Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre eige- ne persönliche Geschichte aus dem Krieg von Die zehn Moderator/innen nahmen an diesen 1948, die Geschichte eines Großvaters oder ei- beiden Tagen teil. Die meisten von ihnen arbei- ner Mutter und wie sie sich auf ihr Leben bis ten und moderieren auch in anderen Organisati- heute auswirkt. Die Juden teilten ihre Schuld- onen und haben große Erfahrung mit Seminaren gefühle mit und erzählten von ihrer eigenen dieser Art. Familiengeschichte – über den Holocaust und Geschichten von Familien, die aus arabischen Das Seminar war in zwei Ebenen unterteilt: Die oder muslimischen Ländern nach Israel kamen erste Ebene versucht, eine klare Zielsetzung der und die unterschiedliche Art und Weise, wie Seminare für Studierende zu definieren und sie Juden in arabischen und muslimischen Ländern neu zu überdenken. Über welche Kenntnisse und in Europa behandelt wurden. Die Teilneh- sollen sie nach dem Seminar verfügen? Was ist merinnen und Teilnehmer erzählten, was ge- der Unterschied zwischen den jüdischen und schehen war und wie sich diese Erfahrungen den palästinensischen Studierenden? Auf der auf ihre Familien und sie selbst auswirkten. Das zweiten Ebene wollten wir die Methoden und war ein wichtiger Teil des Seminars. Werkzeuge diskutieren und welche Art wir nut- zen können, um diese Ziele zu erreichen. Es war Danach hatten wir eine lange Diskussion über nicht das erste Mal, dass wir diese Fragen auf- den Film und wie wir ihn verwenden können. geworfen und darüber gesprochen haben, aber Wir fragten uns, ob der Film für das, was wir normalerweise können wir uns solche langen zu erreichen versuchen, relevant ist. Welche an- und tiefen Gespräche und Diskurse nicht leis- deren Aktivitäten könnten nötig sein, um eine ten. Während dieser zwei Tage hatten wir die signifikante Wirkung zu erzielen? Wie wirkt der Gelegenheit, gemeinsam nachzudenken und Film auf Juden und wie auf Palästinenser? Wel- voneinander zu lernen. che anderen Themen könnten nach dem Anse- hen des Films diskutiert werden? Eine unserer meistgenutzten Methoden zur För- derung des Dialogs zwischen Jugendlichen ist Wir waren uns einig, dass dieser Film sehr hilf- das Anschauen eines Films über den Konflikt. reich ist, um drei wichtige Ziele zu erreichen: Wir nutzen dieses Mittel, um Raum für Diskus- Das erste Ziel war, anzuregen, über die Ge- sionen zu schaffen. schichte nachzudenken, wie sie von offiziellen Institutionen, wie dem israelischen Schulsys- In unserem aktuellen Seminar für Modera- tem, erzählt und eingeordnet wird. Wir möch- tor/innen sahen wir einen Film mit dem Titel ten, dass die Teilnehmenden verstehen, dass „Homeland Lesson“, der die Geschichte des das Erlernen der Geschichte ein politischer Akt israelisch-palästinensischen Konflikts von An- ist und dass Menschen bei der Planung unter- fang an beschreibt. Es handelt sich um einen schiedliche Ziele verfolgen, insbesondere das Dokumentarfilm aus sechs Kapiteln, der von israelische Bildungsministerium. 25 Das zweite Ziel, das wir uns gesetzt haben, ist, Kommentare der jüdischen Israelis: dass wir wollen, dass die arabischen Schülerin- O. - Ich arbeite in verschiedenen Dialogprogram- nen und Schüler eine Verbindung zu ihrer palästi- men, und dies war eine sehr bedeutende Erfah- nensischen Herkunft herstellen und stolz darauf rung. Wir waren sowohl Teilnehmer als auch sein können, denn viele junge Palästinenserin- Vermittler. nen und Palästinenser haben heute aufgrund M. - Wenn ich meinen Eltern zuhöre, lerne ich der systematischen Unterdrückung keinen Zu- mehr über die verschiedenen Arten, wie sie die gang zu diesen Erzählungen. Geschichte und die gegenwärtige Situation be- trachten. Es ist ein dringender Schritt auf unse- Das dritte Ziel, über das wir sprachen, war die rem Weg, uns gegenseitig zu verstehen. Identifizierung von Machtverhältnissen. Für Pa- lästinenserinnen und Palästinenser ist es wich- Kommentare der palästinensischen Israelis: tig zu erkennen, dass es nicht darum geht zu R. - Ich denke, es war eine großartige Gelegen- hassen, sondern darum, sich der palästinen- heit für uns Moderatoren, nachzudenken und sischen Wurzeln, Identität und Erzählung be- ein besseres Verständnis für das Programm und wusst zu sein, um an sozialen und öffentlichen allgemein für Ideen von Dialogtreffen zu bekom- Aktivitäten teilnehmen zu können, die diese men. Situation verändern wollen. Für Juden wollen S. - Ich konnte wirklich meine Geschichte erzäh- wir dasselbe erreichen, aber ohne dass Schuld len, und es hat mir geholfen, tiefer über unsere oder Schuldzuweisungen nötig sind, sondern Ziele und über meine Rolle als Moderatorin bei vielmehr die Bereitschaft, Verantwortung zu dieser Art von Seminaren nachzudenken. übernehmen und zu handeln. Wir wollen, dass beide Seiten zusammenarbeiten, um die ge- genwärtige Situation zu verändern und eine gleichberechtigte und gerechte Gesellschaft zu schaffen, in der jede/r die gleichen Rechte und Freiheiten hat.

Am Morgen des zweiten Tages sahen wir uns den zweiten Teil dieses Films an. Die Fragen waren die gleichen, aber mit mehr neuen Ide- en, und wir versuchten gemeinsam, verschie- dene Programme zu schaffen. Während der Arbeit organisierten wir Pausen, in denen die Teilnehmenden die Möglichkeit hatten, ihre Ge- fühle auszudrücken und sich zu erinnern, dass diese Professionalität, die wir haben, nicht nur vom Kopf herkommen kann, sondern auch die Einbeziehung des Herzens erfordert. Die Men- schen drückten verschiedene Arten von Gefüh- len aus, und das war wichtig, um ein besseres Programm für die kommenden Seminare zu schaffen. Die Ideen zu den Seminaren für Stu- dent/innen umfassten verschiedene Methoden, den Film gemeinsam zu sehen. Zum Beispiel - während des Films Sätze, denen ich zustimme und denen ich nicht zustimme, aufzuschreiben und danach darüber zu sprechen; in der Mitte an verschiedenen Stellen anzuhalten und während des Films eine Diskussion zu führen. Am Ende des zweiten Tages baten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer um zukünftige Studientage, die intensiv zur Arbeit der Moderatorinnen und Mo- deratoren in der Dialogarbeit beitragen können.

26 Holocaust Seminar

Deborah Sausmikat

27 Deborah war von August 2019 bis März 2020 pen durch die verschiedenen Ausstellungen in Nes Ammim und musste ihren Aufenthalt zu gehen. Später präsentierten wir den ande- wegen Corona abbrechen. ren Gruppen, was wir gesehen hatten. Es gibt sehr viele thematische Ausstellungen: über das Nachdem die wichtigen Politiker der Welt, u. a. Warschauer Ghetto vor dem Krieg, über den auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Warschauer Ghetto-Aufstand, Juden in den Nie- der Befreiung von Auschwitz und des Holocaust derlanden, Konzentrationslager, Kinder im Holo- in Yad Vashem gedacht hatten, widmeten wir caust, die Weiße Rose, Gerechte unter den Völ- aus Nes Ammim auch einen Tag dem Gedenken kern, den Eichmann Prozess sowie temporäre an den Holocaust, die Shoah. Ausstellungen wie ein Fotoprojekt zu Auschwitz oder über medizinische Experimente im KZ. Bei Wir sind in das Museum unseres Nachbarkib- dieser Vielzahl von Themen konnten wir leider buzes Lochamei HaGetaot (Name übersetzt: nicht alles sehen. Vor allem das Kindermuseum Kämpfer des Ghettos) gefahren, das sehr groß war sehr lebendig gestaltet, mit Nachbauten der und beeindruckend ist. Vor allem aber die Tatsa- Häuser und vielen Audio- und Video-Berichten. che, dass es von Überlebenden des Warschauer Ghetto Aufstands 1943 gegründet wurde, zeigt, Ich hatte ein interessantes Gespräch mit einem wie allgegenwärtig der Holocaust heute noch in jüdischen Israeli im Museum, der bemerkt hat- Israel ist. Lochamei HaGetaot hat das Museum te, dass wir aus Deutschland kommen und et- fast selbstständig aufgebaut, ohne staatliche was skeptisch fragte, wie wir Deutsche denn Hilfe, weil es den Gründern so wichtig war, an heutzutage über den Holocaust denken. Unse- ihren Widerstand zu erinnern. Wir in Deutsch- re Generation trägt immer noch die historische land lernen sehr viel darüber in der Schule, aber Schuld mit, v. a. hier in Israel fühlt man sich hier in Israel hören Kinder von der Shoah seit sie manchmal ziemlich klein in solch einem Muse- denken können – Shoah ist überall. Jeder Dritte um. Wie auch in Yad Vashem war mein Haupt- ist eingewandert als Folge des Holocaust, fast gedanke am Ende des Tages, wie es passieren jede Familie verbindet irgendeine Vergangen- konnte, dass massenhaft Leute den normalen heit damit und Ausflüge zu Gedenkstätten ge- Menschenverstand aufgegeben haben und so hören natürlich auch zur Schulbildung. etwas anrichteten. Für uns aus heutiger Sicht ist das nicht erklärbar. Der Museumsbesuch Eine gute Freundin Nes Ammims, Tanja Ronen, war ein wichtiger und nachdenklicher Tag im die selber Tochter eines Holocaust-Flüchtlings Studienprogramm von Nes Ammim. ist, hat uns herumgeführt und meinte, man kön- ne das Land Israel und den Konflikt in dieser Re- Ein paar Wochen später kam Naftali Fuerst, gion nur auf Basis des Holocaust verstehen – es ein Holocaust-Überlebender, zu uns nach Nes ist ein Land im Trauma. Sowohl die Juden, durch Ammim, um uns Einblick in sein Leben zu ge- die Shoah, als auch die Palästinenser, durch die ben. Naftali kommt aus der Slowakei, seine Naqba, haben Traumatisches erfahren. Das soll- Muttersprache ist aber deutsch. Er war in vier te man immer im Hinterkopf haben. Nach einer verschiedenen KZ, darunter Auschwitz und Bu- Einleitung von Tanja, in der sie von ihrer eigenen chenwald, wo er im Kinderblock 66 lebte. Das Geschichte erzählte, tauschten wir uns unterei- war sein Glück, denn aus diesem Block wurden nander kurz darüber aus, was wir von Museen fast alle 200 Kinder gerettet, da der Blockältes- wie diesem lernen können, wieso es wichtig ist, te sich dafür eingesetzt hatte, dass diese Kin- zu erinnern und was das Ziel ist: Eine Wieder- der eine besondere Behandlung bekamen. Sie holung der Geschichte zu verhindern und diese durften normale Kleidung tragen und keinen Erfahrungen auf die Gegenwart anzuwenden. Judenstern, was ihm gegen Ende des Kriegs, als die Nazis versuchten, noch möglichst viele Bei der Flüchtlingskrise zum Beispiel, sagte Juden zu finden, ermöglichte zu behaupten, im Tanja, gehe es darum, den Menschen zu hel- Kinderblock gäbe es keine Juden mehr, obwohl fen, egal was ihr Hintergrund ist und wie ande- 90% der Kinder Juden waren. Die Nazis glaub- re über Helfende denken. Die Familien, die im ten ihm, die Kinder überlebten und setzten sich Zweiten Weltkrieg Juden und andere Verfolgte dafür ein, dass ihr „Retter“ zum „Righteous versteckten, riskierten ihr Leben damit und hat- amongst the Nations“ erklärt wurde. ten in keiner Weise irgendeinen Vorteil daraus. Die meisten dieser Leute wurden nach dem Krieg von Yad Vashem zu „Righteous among the Nations“ (Gerechte unter den Völkern) er- klärt. Danach bekamen wir Zeit, in kleinen Grup-

28 Studienreise nach Kfar Yasif

Ellen van der Meij

Eine Scheidung wird von der arabischen Ge- meinschaft hart bestraft. Ohne auf die Einzel- heiten einzugehen, wurde deutlich, dass ihre Entscheidung, sich scheiden zu lassen, nicht allein auf einem Streit oder auf Unzufriedenheit beruhte. Bedauerlicherweise reagierte die Dorf- gemeinschaft nicht wohlwollend. Alkhan hatte eine eigene Galerie, die sie aufgrund von Dro- hungen gegen sie, aber auch gegen ihre Familie, schließen musste.

Ellen ist eine holländische Freiwillige, die als Während eines Rundgangs durch das Dorf Human Resources Officer in Nes Ammim leb- machten wir natürlich eine Pause, um das Fa- te, bis sie im März 2020 ihren Freiwilligendienst milienrezept für die Falafel zu probieren. Wir be- wegen Corona abbrechen musste. suchten ebenfalls die Kirche, in die Alkhan und ihre Familie gerne kommen. Hier singt sie im Diese Fahrt wurde ganz spontan ins Studien- Chor und versucht immer, bei Veranstaltungen programm aufgenommen. Während unserer präsent zu sein. Studienreise führte uns Alkhan, eine neue Rei- seführerin, durch Haifa. Sie wohnt seit mehre- Zurück im Elternhaus machten wir gemeinsam ren Jahren in Haifa, aber ihre Familie lebt in Kfar mit ihrer Mutter Falafel. Ihr Bruder kam vorbei, Yasif. Aufgrund des guten Drahtes, den wir mit der mit seiner Familie im obersten Stockwerk Alkhan in Haifa hatten, lud sie uns spontan ein, wohnt. Ihr Vater spielte für uns Lieder auf der zum Haus ihrer Eltern zu kommen. Aouad, begleitet von Alkhan.

Eine christlich-arabische Familie mit einer be- Das mag wie eine normale Studienreise klingen, sonderen Familiengeschichte. Alkhans Familie war es aber nicht. Alkhan erzählte uns, wie ihr besitzt ein bekanntes Falafel-Restaurant in Kfar Großvater vom Sohn des Nachbarn ermordet Yasif und ihr Vater ist ein international bekannter wurde. Anstatt sich für einen Ehrenmord zu Aouad-Spieler. Die Anwesenheit von Alkhan ist entscheiden, hat die Familie die Nachbarsfami- im ganzen Haus zu sehen: Sie malt selber und lie gebeten umzuziehen, steht aber immer noch viele ihrer Bilder schmücken ihre Wohnung. in gutem Kontakt mit dem Rest der Familie des Täters. Wie Alkhan es beschrieb, spielte die Ver- Alkhan ist Anfang 40 und lebte einige Jahre in gebung eine wichtige Rolle in ihrer Erziehung. Berlin. Sie erklärte, dass sie auf der Suche nach Darüber hinaus geht sie sehr offen mit ihren ge- ihrer Identität war. Eine christliche Araberin mit scheiterten Ehen um. einem israelischen Pass. Diese Kombination ist immer wieder von Bedeutung: bei ihren Freund- Keine Frage war unangemessen. Während sich schaften und in ihrem Arbeitsleben. Lange Zeit andere Studienreisen oft mit Politik und Religion fühlte sie sich allerdings nirgendwo zu Hause. befassen, bot uns Alkhan einen offenen und re- Nach einigen Jahren kehrte sie aus Berlin nach Is- alistischen Einblick in ihr Leben. rael zurück, weil sie krank geworden war und für die häusliche Pflege in Berlin hätte bezahlen müs- sen. Sie hat ein ereignisreiches Leben geführt. Alkhan war dreimal verheiratet, was einen gro- ßen Einfluss auf ihr Leben hatte.

29 Die Dialogbank in Nes Ammim

Gerard Geitenbeek

30 Von Nes Ammim nach Thessaloniki

Doro Flecken

Doro Flecken ist Vorsitzende der Nes Ammimer Gemeinschaft e.V. (NAGiD e.V.), ehemalige Volontärin und Mitglied im deutschen Nes Ammim Verein.

NAGiD, die Nes Ammimer Gemeinschaft in Gerard ist Vorsitzender von Nes Ammim Nieder- Deutschland e. V., ist ein Zusammenschluss lande und Mitglied im internationalen Gremium ehemaliger Nes Ammim-Freiwilliger. Der Verein General Assembly. bietet den Ehemaligen Möglichkeiten zur Be- gegnung und zum Austausch mit dem Ziel, die In der Nähe des Dorfzentrums und der Menora in Israel angestoßenen Lernprozesse fortzuset- befindet sich eine Bank, die Shlomo und Mirjam zen. Bezek gewidmet ist. Die Bank wurde 1976 von Wim van der Hout entworfen. Aktuell lädt NAGiD seine Mitglieder und Interes- sierte zu einer Reise nach Thessaloniki ein: Shlomo und Mirjam Bezek lernten Johan Pilon Vom 12. bis 16.05.2021 werden wir die multi- 1952 im schottischen Entbindungsheim in Tibe- kulturelle Stadt am Ägäischen Meer besuchen rias kennen. Es war der Beginn einer herzlichen und verstehen lernen, was es mit dem „Jeru- Freundschaft, in der viel über die schwierige salem des Balkans“ auf sich hat, warum hier und schmerzhafte Beziehung zwischen Juden die Griechen auch Ladino sprachen und der und Christen gesprochen wurde. Johan war von Hafenbetrieb am Samstag ruhte, wie ein Mes- der Mission nach Israel geschickt worden, aber sias eine Torarolle heiraten wollte und was die bei dem Treffen wurde ihm klar, dass eine Mis- Dönme sind, was 1943 geschah und warum ein sion von Juden nicht in Frage kam. In ihren Ge- Holocaust-Museum erst jetzt im Bau ist. Auf der sprächen wuchs das Bedürfnis, ihre Beziehung neuen Uferpromenade können wir zum größten zu vertiefen. So entstand die Idee, eine Siedlung Alexander dem Großen spazieren, den Olymp in zu gründen. Bezek war stark von Martin Buber der Ferne sehen und Bougatsa essen. Geplant beeinflusst, für den Dialog kein Kommunikati- ist außerdem ein Tagesausflug nach Veria, dem onsmittel ist, sondern Kern der Kommunikation. „kleinen Jerusalem“ mit dem restaurierten jüdi- In Gesprächen mit Pilon und anderen interes- schen Viertel Barbouta. Hotelzimmer sind reser- sierten Personen nahm die Gründung von Nes viert, um die Anreise kümmern sich die Teilneh- Ammim immer mehr Form an. Von Anfang an menden selber. wurde beiden klar, dass keine Mission erlaubt war. Shlomo bemühte sich, alle Probleme auf Wer Interesse an dieser Reise hat, nimmt bitte dem Weg nach Israel zu bedenken. bis 15.1.2021 Kontakt mit NAGiD auf. Am bes- ten per Mail an [email protected] Pilon war entschlossen, Kirchen für die Nes Am- mim Idee zu gewinnen und Spenden dafür zu Weitere Infos auf der Website: www.nagid.de sammeln. Shlomo hat einmal gesagt, wer nicht an Wunder in Israel glaubt, ist kein Realist. Das Wunder geschah, ihr Traum wurde wahr, 1963 begann Nes Ammim. Als Erinnerung an diesen 1971 verstorbenen Gründervater wurde die Di- alogbank mit einem Gedenkstein aufgestellt. Auch für Mirjam Bezek, eine der Gründungs- mütter von Nes Ammim, die 2015 gestorben ist, wurde in diesem Jahr ein Gedenkstein ne- ben der Dialogbank errichtet.

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Für Transparenz und Aufrichtigkeit:

NES AMMIM, Verein zur Förderung einer christlichen Siedlung in Israel e.V. Düsseldorf Bilanz zum 31. Dezember 2019

BILANZ 31.12.2019 31.12.2018 AKTIVA EUR EUR A. ANLAGEVERMÖGEN 105.610,00 108.513,00 B. UMLAUFVERMÖGEN 63.569,94 54.302,07 C. AKTIVE RECHNUNGSABGRENZUNGSPOSTEN 13.307,08 13.386,28 Bilanzsumme 182.487,02 176.201,35 PASSIVA A. VEREINSVERMÖGEN 46.272,13 38.742,74 B. RÜCKSTELLUNGEN 11.775,85 11.163,79 C. VERBINDLICHKEITEN 124.439,04 126.294,82 Bilanzsumme 182.487,02 176.201,35

GEWINN- UND VERLUSTRECHNUNG 2019 2018 Einnahmen EUR EUR Mitgliedsbeiträge 8.085,00 9.636,44 Zuwendungen Ev. Kirche im Rheinland 62.859,00 62.859,00 Zuwendungen Ev. Kirche von Baden 14.515,60 15.640,93 Spenden/Zuwendungen 57.932,48 57.852,60 Zuschüsse 9.400,00 2.000,00 Sonstige Einnahmen 2.920,18 4.883,06 Summe Einnahmen 155.712,26 152.872,03

Ausgaben EUR EUR Zuschüsse an Nes Ammim Israel 50.221,72 45.713,92 Miete und Repräsentation in Israel 7.120,61 6.394,70 Mittel für Nes Ammim Israel und Niederlande 0,00 0,00 Entsendungskosten in Deutschland für Freiwillige 8.351,17 9.601,92 Raumkosten 9.440,60 9.294,60 Personalkosten 19.964,63 18.519,66 Honorare, Dienstleistungen Nes Ammim Büro, 19.479,41 21.088,87 Jahresabschluss, Beratung Allgemeine Verwaltungskosten 6.816,91 8.132,90 Sitzungen, Veranstaltungen u. Repräsentation 3.221,68 3.263,07 Reisekosten 4.319,10 4.975,18 Werbung, Vereinsmitteilungen 3.747,31 1.603,69 Übrige Ausgaben 15.499,73 13.595,37 Summe Ausgaben 148.182,87 142.183,88 Ergebnis 7.529,39 10.688,15

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Ihr Vermächtnis für Dialog und Friedensarbeit in Nes Ammim

Irgendwann beginnen wir alle, über unseren „letzten Willen“ nachzudenken. Was war uns wichtig? Welche Werte haben unser Leben geprägt, was möchten wir weitergeben?

Als Freund/in des deutschen Nes Ammim Vereins ist es Ihnen möglicherweise wichtig, sich gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zu wenden, wo immer Sie beides aufkeimen sehen. Oder Sie sind an der Verständigung von Juden und Christen interessiert. Oder Sie wollen ein gutes und friedliches Zusammenleben für Juden und Araber in Israel ermöglichen.

Mitglieder und Freund/innen haben den deutschen Nes Ammim Verein bereits in ihrem Testament bedacht. Dafür sind wir dankbar.

Durch Ihre Nachlassspende tragen Sie zum friedlichen Dialog von Juden, Christen und Muslimen bei und setzen ein Zeichen auch für die Zukunft.

Ich persönlich habe den Nes Ammim Verein in meinem Testament bedacht, weil die Zeit als Freiwilliger im Dorf mich tief geprägt hat. Bis heute liegt mir Nes Ammim am Herzen. Deshalb engagiere ich mich im Vorstand und deshalb werde ich jetzt schon regeln, dass ich auch nach meinem Tod zur Nes Ammim Idee beitragen kann.

Florian Rappaport

Spendenkonto: Verwendungszweck: Nachlassspende IBAN: DE17 3506 0190 1010 9880 19 BIC: GENODED1DKD Nes Ammim Israel Nes Ammim Stichting Nes Ammim Deutschland e.V. Nederlande

M.P. Western Galilee 2280100 Hans-Böckler-Str. 7 Looiersdreef 805 Israel 40476 Düsseldorf NL 7328 HZ Apeldoorn Phone: (00972) (0)4-995 00 69 Tel. (0049) (0)211/45 62 493 Fon: (0031) (0)6 28 07 23 90 Fax: (00972) (0)4-995 00 67 Fax (0049) (0)211/45 62 497 Fax: (0031) (0)55-53 33 15 43 [email protected] [email protected] [email protected]

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